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Wolf - Lover

von

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Pers. Notiz: Ich muss zugeben, dass ich für dieses Kapitel hier am längsten gebraucht habe, auch wenn es von der Länge her nicht so scheint. Es lag mehr an dem Grund, dass ich Abschiede hasse - auch im Privatleben - und es mir dieses mal sehr schwer fiel, eine Person, die ja schon fast ein Teil von mir ist, das glaubhaft darstellen zu lassen. Ich hoffe, es ist ein wenig gelungen ^__^;;;

Viel Spaß beim lesen.
 

~ * ~
 

" Bist du wach?"

Ferlan, der auf dem Boden seines Gefängnisses gelegen und geschlafen hatte, erschrak als unvermutet eine leise Stimme von der Tür her erklang. Müde setzte er sich auf und rieb sich über die Augen. " Ja", antwortete er und lehnte seinen Kopf gegen das Holz der Tür. " Wo ist Laoren?"

" Den hab ich zu Tyrna geschickt. Wie geht es dir?"

" Aredh, ich kann nicht mehr. Ich möchte hier raus", flüsterte Ferlan heiser.

" Ich weiß", kam es als Antwort.

" Wie lange bin ich jetzt schon hier?"

Aredh atmete hörbar aus. " Morgen sind es siebzehn Tage."

Ferlan vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Dass es schon so lange her sein sollte, seit er unter Arrest stand, war ihm die ganze Zeit nie richtig bewusst gewesen. Irgendwann hatte er aufgehört, die Sonnenaufgänge zu zählen, deren Licht nur spärlich in sein abgedunkeltes Gefängnis schien. " Gibt es was Neues?" fragte er schließlich.

" Sie treffen sich gerade im Gemeindehaus, um zu beraten, was nun aus dir wird."

" Ist Tyrna dabei?" Ferlan wartete nicht auf Aredh und beantwortete sich seine Frage selbst. " Natürlich ist er dabei. Dann kenn ich das Ergebnis schon..."

" Warte doch zuerst mal ab."
 

" Aredh?" ertönte es nach einer Weile wieder.

" Ja?"

Ein leises Rascheln war hinter der Tür zu hören. " Tust du mir einen Gefallen?" kam es leise von drinnen und Aredh musste sich etwas zum Haus hindrehen, um das Flüstern verstehen zu können.

" Was denn?" fragte er Ferlan.

" Gib die Melva zurück..."

Abwartend sah Aredh zu, wie nacheinander ein paar kleine Glasperlen unter der Tür durchgeschoben wurden.

" Ich hatte Melva versprochen ihre Kette zu reparieren, aber werde ich wohl nicht mehr können..."

" Vergiss es!" erwiderte Aredh wütend.

Sprachlos blickte Ferlan auf die winzigen Perlen, die auf dem selben Weg zu ihm in sein Gefängnis zurück geschoben wurden, den sie kurz zuvor noch in die entgegen gesetzte Richtung genommen hatten.

" Die gibst du ihr selbst zurück!" Aredh schlang seine Arme um die angezogenen Knie. Er wusste nicht, ob Ferlan mit seiner Vermutung, was die Strafe anging, so falsch lag. Schließlich hatten sie noch nie zuvor einen ähnlichen Fall in ihrer Gemeinschaft gehabt, wie diesen, aber dass man ihn mit dem Tod bestrafen würde, konnte und wollte Aredh sich nicht vorstellen.
 

* * * * *
 

Zur selben Zeit war im Gemeindehaus ein heftiger Streit zwischen den Mitgliedern des Rates und ein paar Bewohnern ausgebrochen.

Alinor, die solche Streitereien schon zur Genüge kannte, verharrte ruhig auf ihrem Sitzplatz und lauschte schweigend den Gesprächen. Irgendwann aber war auch ihre Geduld vorbei und sie schlug mit einer Hand auf die Tischplatte vor sich.

" Tyrna!" fuhr sie den Mann mit den dunklen Haaren an, der mit wütendem Gesicht vor dem Großen Rat stand und seinen Ärger dessen Mitgliedern verständlich zu machen versuchte. " Du bist vielleicht der Anführer der Krieger, aber hier", mit einer weitausholenden Geste, die die gesamte Runde einschloss, zeigte Alinor auf die versammelten Mitglieder des Rates. " Hier habe ich das letzte Wort!"

" Alinor", Tyrnas zuvor verärgerte Stimme klang nun beschwörend, als er das Wort an die alte grauhaarige Frau richtete. " Ferlan ist daran schuld, dass wir überfallen wurden."

" Das gesamte Vieh ist tot und das wenige Vermögen, das wir zum tauschen hatten ist ebenfalls weg! Wovon sollen wir leben?" rief ein weiterer aufgebrachter Dorfbewohner in die Diskussion und erntete zustimmendes Gemurmel der übrigen Leute.

" Wenn ihr nicht sofort still seid, dann werdet ihr alle gehen und der Fall wird nur vom Großen Rat entschieden!" Alinors Worte, die wie scharfe Messer durch das Durcheinander aus Stimmen schnitt, ließ die Bewohner der kleinen Siedlung augenblicklich verstummen und sich wieder hinsetzen.

Tyrna fiel es sichtlich schwer, sich zusammenzureißen." Ferlan hat diese kleine Spionin ins Dorf gebracht! Er ist für den Tod von vielen Bewohnern verantwortlich und dafür, dass ich keinen Erben mehr habe!"

" Du verstehst anscheinend nicht, was ich dir sagen wollte, Tyrna! Es geht hier nicht darum, ob du deinen Sohn verloren hast, so leid es mir tut. Du hast deine Frau und deine Tochter. Dafür solltest du dankbar sein!"

Tyrna verbiss sich einen weiteren Kommentar und nahm Platz.
 

Schweigend sahen alle zu der kleinen grauhaarigen Frau. Mit fester Stimme begann Alinor zu reden. " Ferlan ist kein schlechter Mensch. Er hat einen Fehler gemacht, bei dem er nicht ahnen konnte, dass es sich als unsere schwierigste Prüfung herausstellen würde.

Was ich damit sagen will, ist, dass Ferlan uns nicht bewusst in die Katastrophe geführt hat. Er ist einfach noch zu jung und unerfahren und hat die Situation falsch eingeschätzt. Aber wenn wir ehrlich sind, hätte das jedem von uns passieren können. Wer hätte auch gedacht, dass dieses kleine Mädchen zu eben dem Stamm gehörte, der plante uns auszurauben?!

Jeder hat ihr vertraut - Nicht nur Ferlan..."

Eindringlich blickte Alinor einen Bewohner nach dem anderen an.

" Die meisten von euch habe ich schon in den Armen gehalten, als sie noch kleine Kinder waren und ich weiß, dass niemand von Grund auf böse ist. Keiner von euch - Egal, was er auch schon getan hat! Ferlan auch nicht!

Es war unser, und vor allem sein Schicksal, das uns hierher gebracht hat und derjenige, der am meisten dafür büßen muss, ist Ferlan. Ihn zum Tode zu verurteilen, wie es manche von euch verlangen, bringt keinen unserer Getöteten zurück! Aber ich weiß auch, dass Ferlan nicht ohne Bestrafung davonkommen darf."

Alinor endete ihre lange Rede und stand auf. Und trotz ihrer kleinen Gestalt wirkte diese Geste auf die immer noch schweigende Menge, ehrfürchtig. Kein Wort erklang und niemand wagte es, sich auch nur zu bewegen - So gespannt waren alle darauf, was ihre Stammesälteste zu sagen hatte.
 

" Ich beschließe, das Ferlan für sein schweres Fehlverhalten bestraft werden muss. Aber statt den Tod der anderen mit seinem Tod zu vergelten, bestimme ich im Namen des Großen Rates, dass Ferlan für seinen Fehler anders büßen wird. Das", Alinor unterbrach sich selbst und sah Tyrna fest an, der sich erhoben hatte und protestieren wollte. " Das soll Ferlans Strafe sein: Er soll den Stamm verlassen. Ohne Waffen und ohne ein Stück seines alten Besitzes, außer dem, was er am Leib trägt. Sollen die Götter darüber entscheiden, ob er am Leben bleibt.

Er darf sich der Siedlung nicht mehr bis auf einen Tagesmarsch Entfernung nähern. Sollte sich er nicht daran halten, hat jeder Bewohner das Recht und die Pflicht, Ferlan daran zu hindern. Wenn nötig auch mit Waffengewalt - Selbst, wenn es Ferlans Tod bedeuten sollte.

Ich erkläre Ferlan für frei. Er wird zum Ausgestoßenen und verliert sämtliche Rechte und Positionen, die er sich bis jetzt hier erarbeitet hatte."

Alinor hielt kurz inne. Was sie als nächstes zu sagen hatte, fiel ihr sichtbar schwer.

" Ferlan existiert in unserem Stamm nicht mehr!"

Alle, Tyrna miteingeschlossen, schwiegen betreten und sahen zu, wie Alinor wieder auf ihrem Stuhl Platz nahm. Mit ausdrucksloser Miene, saß sie da und hatte die Hände vor sich auf dem Tisch verschränkt.
 

* * * * *
 

Ferlan kniff die Augen geblendet zusammen und hielt sich eine Hand vors Gesicht, als der helle Lichtstrahl durch die geöffnete Tür zu ihm ins Dunkel hineinfiel.

" Steh auf!" fuhr ihn Laoren an, der begleitet von einem weiteren, finster dreinblickenden Krieger, ins Innere von Ferlans Gefängnis kam.

Langsam erhob sich Ferlan vom Boden - Die Spitze des auf ihn gerichteten Speeres absichtlich übersehend.

Mit schleppenden Schritten ging er vor den beiden Männern her ins Freie. Draußen hob Ferlan den Kopf.

Tief atmete er durch und musste husten, als die lang entbehrte, kühle Luft seine Lungen füllte. Es war das erste mal seit langem, dass er wieder den Himmel und die Wolken sah. Die Äste der Laubbäume waren nun allesamt vollständig von sattem Grün überzogen und wisperten sich im sachten Wind zu, dass es nun endgültig Frühling war. So vieles hatte sich seit dem Angriff verändert. Von überall her erklang Vogelgezwitscher und alles strahlte. Ganz im Gegensatz zu ihm... Ferlan sah an sich hinab.

Der lange Aufenthalt in dem finsteren Häuschen und das wenige Essen, das man ihm zugestanden hatte, hatten sichtbare Spuren an ihm hinterlassen.

Der Schmutz der staubigen Hütte hatte sich wie ein feiner Schleier auf seine Kleider und seinen ganzen Körper gelegt. Mit einer matten Handbewegung strich sich Ferlan sein sonst blondes Haar aus den Augen, das ihm in zottigen Strähnen in sein blasses Gesicht fiel.

Seit Aredhs letztem Besuch waren wieder etliche Tage verstrichen und in der ganzen Zeit hatte man Ferlan im Ungewissen darüber gelassen, welche Strafe ihn nun erwartete.

Und jetzt? War es nun soweit? Sollte heute sein letzter Tag sein?

Ferlan unterdrückte die aufkommende Angst. Er drehte sich zu Laoren und seinem Begleiter um. " Wohin?" fragte er leise.

" Zum Dorfausgang", antwortete Laoren und bekräftigte seine Worte mit einem energischen Wink mit der Speerspitze in die entsprechende Richtung.
 

Während sie über die von der warmen Frühlingssonne getrockneten Wege gingen, sah sich Ferlan um. Eine seltsame, ungewohnte Ruhe lag über der Siedlung. Fast keine Wolke aus den Kaminen der Häuser, stieg in den Himmel. Noch nicht einmal aus der Richtung der Schmiede, über der normalerweise immer eine dichte, schwarze Rauchwolke hing, war etwas zu sehen.

Die Häuser, die beim Angriff Schaden genommen hatten, waren teilweise wieder aufgebaut und repariert. Äußerlich schien alles in Ordnung zu sein und trotzdem waren die Straßen wie ausgestorben. Nicht ein einziger Mensch war zu sehen.

Waren sie schon alle an dem Platz, an dem er die letzten Minuten seines Lebens vor ihren vorwurfvollen Augen verbringen würde?

Ferlan wand den Blick ab, als sie die Zäune der Siedlung hinter sich ließen und an den frisch aufgeworfenen Grabhügeln vorbeigingen. Elf. Es waren genau Elf - Zehn Große und ein Kleiner. Ferlan musste sie nicht zählen.

Als der letzte Grabhügel endgültig aus seinem Blickfeld verschwunden war, hob Ferlan wieder den Kopf. Nicht weit entfernt erkannte er die Silhouetten der wartenden Dorfgemeinschaft.

Ferlans erster Reflex war, sich umzudrehen und wegzulaufen, aber Laoren und sein Begleiter würden ihn mit Sicherheit nach ein paar Schritten eingeholt haben.

Schnell verwarf er den Plan wieder und ging seinem Schicksal entgegen, das ihn aus unzähligen Augenpaaren ansah.

" Es wird ja auch Zeit!" fuhr Tyrna die drei Männer ungeduldig an.

Ferlan atmete tief ein und ging mit gestrafften Schultern auf seinen Schwager zu.
 

~ * ~
 

Alinor, die neben Tyrna trat, bedeutete diesem, dass er ruhig sein sollte.

" Ferlan", wand sie sich an den jungen Mann vor sich, der sie mit unsicherem Blick ansah. " Du weißt, weshalb wir hier sind, oder?"

" Ja", antwortete Ferlan kaum hörbar. Seine Hände wurden kalt und sein Magen begann zu rebellieren. Zwischen all den Menschen erkannte er auch seine Freunde und seine Familie, die wie erstarrt da standen und ihn beobachteten.

Wollten sie etwa alle zusehen, wie man ihn hinrichtete?

" Ab hier wird sich dein Weg von unserem trennen", riss Alinor Ferlan aus seinen Gedanken.

Stumm blickte Ferlan die alte Frau an. " Wie?" fragte er leise.

" Was meinst du damit?"

Ferlan schluckte. " W - wie wollt ihr mich hinrichten?" Er griff nach Alinors Hand. " Tut es bitte schnell! Ich weiß, dass ich einen langsamen Tod verdient habe, wie diejenigen, die wegen mir sterben mussten, aber ich bitte dich, Alinor..." Ferlans Stimme überschlug sich vor Angst und seine Finger gruben sich tief in den Stoff des Kleides der alten Frau.

" Ferlan!" unterbrach Alinor den verzweifelten jungen Mann erneut und löste dessen Hände sanft, die sich um ihre dünnen, faltigen Unterarme schlossen.

" Niemand hat vor, dich hinzurichten!"

" ... Nicht?"

" Nein", Alinor schüttelte langsam und bedächtig ihren Kopf.

" Und was soll ich hier? Warum sind die anderen alle hier?"

Die alte Frau machte eine kurze Pause. " Sie sind hier, um sich von dir zu verabschieden."

Ferlan benötigte einen Augenblick, um das Gehörte zu verarbeiten. " Was genau heißt das?"

Alinor zog sich ihren Umhang fester um die gebeugten Schultern. " Du wirst von nun an auf dich selbst gestellt sein, Ferlan. Der Große Rat hat beschlossen, dass du unseren Stamm verlassen musst."

" Verlassen?" Ferlans Augen blickten unruhig zwischen Alinor und den anderen hin und her. " Für wie lange?"

" Für immer!" fuhr ihn Tyrna an.
 

Alinor hob die Hand und wehrte Tyrnas weitere Versuche, seinen Schwager zu beschimpfen, mit einer energischen Bewegung ab.

" Du wirst uns, so schwer es uns auch fiel zu entscheiden, für immer verlassen müssen, Ferlan", begann Alinor wieder zu reden. " Es war das einzig gerechte Urteil, das wir fanden", fügte sie leise, fast entschuldigend hinzu.

Ferlan schwieg betroffen. Er musste die Neuigkeit erst einen Moment verdauen, bevor er darauf reagieren konnte. Das war also der Grund, warum man ihn so lange im Unklaren gelassen hatte - Der Rat war nicht zu einem Ergebnis gekommen... Ferlan hob den Kopf und sah zur Siedlung hinüber.

" Es ist in Ordnung", fing Ferlan nach einer Weile an zu reden. Er senkte seinen Blick. " Ich weiß, dass es euch schwer gefallen sein muss, ein gerechtes Urteil für meine Schuld zu finden."

" Du bist dir auch bewusst, dass es für dich bedeutet, nie wieder hierher zurückzukehren?!"

Ferlan atmete tief ein. " Ja", hauchte er kaum hörbar.

" Dann hast du jetzt noch etwas Zeit, um dich von deiner Familie und Freunden zu verabschieden." Alinor nahm Ferlan beiseite und brachte ihn zu seiner Mutter, die die ganze Zeit regungslos dagestanden und aus einiger Entfernung dem Gespräch zugesehen hatte.
 

* * * * *
 

Ferlan stockte der Atem, als er das Gesicht seiner Mutter sah. Er spürte den stummen Schmerz, der in Selias Augen lag, auch wenn sie tapfer lächelte.

" Es tut mir so leid", flüsterte Ferlan erstickt und lehnte seinen Kopf gegen die Schulter seiner Mutter.

" Ich liebe dich, Ferlan", antwortete Selia und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Mit einer Hand fuhr sie die Gesichtszüge ihres Sohnes nach und wischte ihm die Tränen weg, die trübe Spuren auf Ferlans schmutzigem Gesicht hinterließen. Selia nahm Ferlans Kopf in ihre beiden Hände und drehte ihn zu sich.

" Ferlan, egal was vorgefallen ist und egal, was noch passieren wird, ich liebe dich und werde es immer tun. Das darfst du nie vergessen."

Ferlan hatte bis hierher schweigend den Worten seiner Mutter gelauscht und genau in dem Moment, als Selias letzter Satz verstummt war, wurde er sich seinem Schicksal richtig bewusst und verlor alle Achtung und alle Scham vor den Umherstehenden. Er zog seine Mutter in die Arme und weinte.

Selia wartete einige Augenblicke. " Ich glaube, es wird Zeit, Ferlan." Ein letztes Mal noch strich sie über das Haar ihres Sohnes und gab ihm einen Kuss. " Hör mir gut zu, Ferlan", fest sah Selia Ferlan in die Augen. " Ich möchte, dass du von hier mit dem selben Stolz weggehst, den du vorher hattest, ja?!"

Ferlan rang sich ein gequältes Lächeln ab. " Ich versuche es..."

" Dann geh jetzt. Ich weiß, dass ich mir um dich keine Sorgen machen muss." Selia ließ die Hände ihres Sohnes los. Schnell vergrub sie ihre eigenen Hände in den Taschen ihres Kleides, um dem Drang zu widerstehen, ihr Kind fest zu halten, am weggehen zu hindern und vor allem Bösen zu beschützen, das ihm in der Fremde auflauern würde.
 

' Die Glasperlen!' durchfuhr es Ferlan, als er Melva an der Seite seiner Schwester erblickte. Seine Hand griff nach dem kleinen Lederbeutel an seinem Gürtel. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Er konnte sie Melva nicht so einfach zurückgeben - Schließlich hatte er ihr versprochen, sie zu reparieren... Ferlan ließ seine Hand sinken und streckte sie stattdessen seiner kleinen Nichte entgegen.

Melva, die die Situation mit ihrem kindlichen Verständnis nicht in ihrem ganzen Ernst erfassen konnte, schlang ihre Arme um Ferlans Hals und drückte sich schweigend an ihn.

Ebenso stumm löste sie sich nach einer Weile aus der Umarmung und warf ihm ein Lächeln zu, ehe sie wieder ihren Platz neben Bedana einnahm.

' Du bekommst deine Perlen wieder zurück. Genau, wie ich es dir versprochen habe', dachte Ferlan und erwiderte Melvas Lächeln.

" Pass gut auf dich auf", Bedana umarmte Ferlan.

" Das werde ich", Ferlan küsste seine Schwester auf beide Wangen und sah sie sich genau an, als wolle er sich ihr Bild für immer ins Gedächtnis brennen. " Und du versprichst mir, dass du gut auf Melva aufpasst. Lass ihr das Holzschwert. Sie ist sehr tapfer und ich wünschte, ich könnte sehen, wie sie ihr erstes richtiges bekommt..."

Bedana nickte wortlos und fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung über ihre tränennassen Augen.
 

~ * ~
 

Nachdem Ferlan sich auch von Cal und Iona und deren Familien verabschiedet hatte, kam er schließlich vor Aredh an.

Fest schloss Aredh seinen Freund zum Abschied in seine Arme. " Geh zu dem kleinen Felsen, nicht weit von hier", flüsterte er Ferlan leise ins Ohr. " Du weißt ja, welchen ich meine. Oder?!"

Ferlan nickte. " Ja."

" Gut", fuhr Aredh fort. Unauffällig warf er einen schnellen Blick zu Tyrna.

" Dort in einer Spalte findest du einen Stein zum Feuer machen, eine Decke und etwas zu Essen. Das müsste für die ersten paar Tage reichen. Nimm es, aber pass auf, dass dich niemand dabei sieht! Waffen konnte ich dir keine hinlegen. Der Große Rat hat alle noch vorhandenen Waffen genauestens aufgelistet und verwahrt sie in der Kammer, in der normalerweise die Vorräte sind. Mehr kann ich leider nicht für dich tun. Ich will nicht wissen, was passiert, wenn sie das rausfinden. Mein Vater..."

" Ich weiß", unterbrach ihn Ferlan leise. " Danke für alles. Du hast mehr getan, als ich dir vielleicht je zurückgeben kann..."

" Ferlan!" Tyrna hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und blickte seinen Schwager unerbittlich an. " Es wird Zeit, dass du uns nun endlich verlässt!"

" Ja." Ferlan löste sich aus Aredhs Umarmung.
 

Ein letztes Mal noch sah Ferlan zu seiner Familie und seinen Freunden, die wie gelähmt in der ersten Reihe standen und ihm stumm entgegenblickten.

Iona hob die Hand und öffnete den Mund um Ferlan noch etwas zuzurufen, ließ es aber sein, als ihn Tyrnas eisige Blicke trafen.

" Du kannst ihn gerne begleiten!" zischte Tyrna dem jungen Mann zu.

Ferlan zog die Augenbrauen zusammen und wand der versammelten Dorfgemeinschaft den Rücken zu.

Langsam, aber trotzdem mit vor Stolz erhobenem Kopf, verließ er für immer die schützenden Mauern seiner Kindheit, um in den unbekannten Tiefen der Wälder eine neue Heimat zu finden.
 

* * * * *
 

Wütend hatte Aredh die Hände zu Fäusten geballt, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Fest presste er seine Lippen aufeinander. Warum musste man Ferlan so dermaßen hart bestraften?

Verbannung!

Als ob das die Leben der Getöteten sühnen könnte...

Mutig fasste sich Aredh ein Herz und trat beherzt einen Schritt vor.

" Ferlan!" schrie er dem schon in der Ferne Verschwindenden zu. " Bleib am Leben!" Leise und für die anderen unhörbar, sagte er zu sich selbst " Damit wir uns vielleicht wiedersehen. Irgendwann..." Er machte auf dem Absatz kehrt und bahnte sich grob einen Weg zwischen seinen betreten herumstehenden Stammesmitgliedern hindurch, die ihm wortlos nachstarrten.

Wie konnten sie nur alle damit einverstanden sein und schweigen?!

Sie kamen ihm wie Verräter vor.

Heftig schüttelte Aredh die Hand ab, die sich ihm beruhigend entgegenstreckte. Er musste erst einmal selbst einen klaren Gedanken fassen und dann erst konnte er sich wieder mit dem Alltag auseinandersetzen.
 

Bedana ließ ihren Arm sinken und sah Aredh nach. Sie wusste, wie zerrissen es in ihm aussehen musste und sie wünschte, dass sie ihm etwas tröstendes sagen konnte. Ihre Trauer darüber, noch zusätzlich ihren einzigen Bruder verloren zu haben, überwog ihren eigenen Schmerz über den Verlust ihres Babys.

Diese Ungewissheit, die sich schon in ihr breit zu machen begann, fegte alle anderen Sorgen beiseite. Würde Ferlan überleben? Und wenn nicht - Niemand würde es je erfahren...

Bedana schlug die Hände vor ihr Gesicht und wand sich ab. Sie wollte nicht zusehen müssen, wie ihr Bruder im Wald und für immer aus ihrem Leben verschwand.

" Komm!" Tyrna legte seine Hand sanft auf Bedanas Oberarm und drängte sie Richtung Dorf.

Bedana biss sich auf die Lippen. Fast schämte sie sich für den kurzen Moment, an dem sie so etwas wie Hass gegenüber ihrem Mann empfunden hatte.

Unwirsch entzog sie Tyrna ihren Arm. Ihm noch einen letzten vernichtenden Blick zuwerfend, ließ Bedana ihren Mann stehen und ging mit gestrafften Schultern zu ihrer weinenden Mutter.
 

~ * ~
 

Von den Ereignissen noch immer völlig aufgelöst, betrat Aredh das kleine Häuschen, das er zusammen mit seinem Vater bewohnte. Achtlos warf er seinen Umhang in eine Ecke und nahm an dem Tisch, der vor dem Kamin stand, Platz.

Nachdenklich blickte er in die hell lodernden Flammen.

" Aredh? Bist du es?"

" Ja, Vater", antwortete Aredh der leisen Stimme, die aus dem hinteren Teil des Wohnraumes zu ihm herüber drang. " Möchtest du was essen?"

" Nein."

Die Stille ließ Aredh für einen Moment die Augen schließen.

" Aredh?"

Unterbrochen von seines Vaters Stimme, öffnete der junge Mann wieder seine Augen und rieb sich mit einer Hand über die müden Lider. " Was ist denn?"

Ein leises Rascheln war aus dem mit einem Vorhang vom restlichen Haus abgeteilten Zimmer, zu hören.

" Komm doch bitte mal her."

Aredh erhob sich von seinem Sitzplatz und schlurfte langsam zum Schlafzimmer seines Vaters.
 

Der graue Vorhang verbreitete einen modrigen Geruch, als ihn der junge Mann zur Seite schob, um einzutreten und der aufgewirbelte feine Staub kitzelte Aredh in der Nase. ' Hier muss unbedingt mal wieder sauber gemacht werden', dachte er bei sich.

Die letzten Wochen hatte er dafür nie Zeit gefunden. Zuerst waren sie von der erwarteten Heimkehr der Truppe zu sehr abgelenkt und danach war die Sache mit dem Überfall und Ferlans Verhaftung zuvorgekommen.

Aredh biss sich auf die Unterlippe und ließ den Vorhang hinter sich zufallen. Wenigstens hatten er und sein Vater Glück und ihr Haus stand noch. Im Gegensatz zu denen, die weiter im Zentrum der Siedlung standen, war ihres beim Angriff gut geschützt gewesen, als sich die Kämpfe auf die Dorfmitte konzentriert hatten.

Aredh seufzte leise.

Bis alles wieder aufgebaut und verarbeitet war, dauerte es sicher Monate und ihr Problem mit dem Vieh hatte wieder von vorne angefangen. Alles war durch den Angriff durcheinander gebracht worden. Überall herrschte Hektik und Unruhe und die Menschen fanden nur schwer wieder in ihren gewohnten Alltag zurück. Der Schock, über so eine Tat saß allen noch zu sehr in den Knochen.

Aredh fühlte sich hier nicht mehr wohl und am liebsten wäre er mit Ferlan mitgegangen, doch das konnte er seinem Vater nicht antun.

Seine Blicke fielen auf das Bett, in dem ein alter Mann lag.
 

Die Augen in dem faltigen Gesicht waren geschlossen und die keuchenden Atemzüge, die aus dem leicht geöffneten Mund drangen, verstärkten den Eindruck, dass es dem Alten momentan sehr schlecht ging. Der Überfall hatte auch an ihm seine Spuren hinterlassen. Wenn auch nicht sichtbar.

Langsam öffneten sich die Lider des Alten und seine trüben Pupillen schauten seinen Sohn blicklos an.

" Ich habe das Gefühl, dass es dir nicht gut geht..." Der Alte hielt einen Moment ein, um Atem zu schöpfen. " Es ist wegen Ferlan, hab ich Recht?! Heute ist doch der Tag, an dem er die Siedlung verlassen muss, oder?! Willst du mir nicht erzählen, wie es dir geht?"

Aredh ließ den Kopf hängen und atmete leise aus. Was sollte er seinem Vater darauf antworten? Wenn er all das, was er ihm Augenblick fühlte, in Worte fassen würde, dann befürchtete er, dass er sich nicht mehr beherrschen könnte und zu weinen anfing.
 

~ * ~
 

" Aredh!" Sein Vater klang nun forscher, als man es ihm auf den ersten Blick zutrauen würde. Er streckte seine welke Hand aus und umklammerte die seines Sohnes am Handgelenk. Mit sanfter Gewalt zog er diesen zu sich herab. " Man muss nicht immer den Helden spielen! Wenn es dir schlecht geht, dann sag es auch und verbirg nicht das, was dich belastet! Es würde mit der Zeit nur immer mehr und mehr werden, bis es dich zum Schluss nicht mehr schlafen oder essen lässt. Verstehst du, wie ich das meine?"

" Ja", flüsterte Aredh. Er hatte auf der Bettkante Platz genommen, sich zu seinem Vater herabgebeugt und seinen Kopf auf dessen Schulter gelegt.

Sachte fuhr ihm seine Vater mit einer Hand durch die hellbraunen Haare. " Es tut mir leid, dass ich dir einen Teil deines Lebens geraubt habe, der sehr wichtig für dich war..."

" Das stimmt doch überhaupt nicht!" Entsetzt unterbrach Aredh die Rede seines Vaters. Er hatte sich wieder aufgerichtet und sah den Mann vor sich an. " Du hast mir nichts genommen! Ich habe es gerne getan!"

" Laß mich ausreden!" fuhr Enree seinen Sohn wütend an. " Erzähl mir nicht, dass du dir nichts besseres vorstellen kannst, als einen alten halbblinden Krüppel zu versorgen?! Egal, was du jetzt antwortest, es kann nicht das sein, was du dir von deinem Leben erhofft hattest!"

" Du willst darauf doch nicht wirklich eine Antwort von mir, Vater?! Es gibt keine, weil ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht habe! Und, das werde ich auch in Zukunft nicht tun!"

Wütend verließ Aredh das Zimmer seines Vaters. Das letzte, was der Alte noch von seinem Sohn hörte, war das zuschlagen der Eingangstür.

" Und es ist doch so, wie ich gesagt hatte", flüsterte Enree leise vor sich hin und schloss seine Augen.
 

~ * ~
 

Ferlan, dem Aredhs letzte Worte nicht mehr aus dem Kopf gingen, hatte mittlerweile die Lichtung hinter sich gelassen und den Rand des Waldes erreicht. Mit einer Mischung aus Beklommenheit und dem Willen, sich von dem Fremden nicht unterkriegen zu lassen, betrat er nun diese ihm bekannte, aber in seiner jetzigen Situation feindliche, neue Welt. Er musste sich dieser Herausforderung stellen und - in Ferlans Augen blitzte Trotz auf - Er würde nicht aufgeben. Niemals!

" Keine Sorge, Aredh", stieß Ferlan zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

" Ich werde am Leben bleiben!"

Energischen Schrittes ging er weiter. Immer tiefer in den Wald hinein.
 

* * * * *
 

Ende Kapitel 6



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
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Von:  Ixtli
2003-04-08T22:59:07+00:00 09.04.2003 00:59
Hi ^^
*gerade gemerkt hat, dass hier schon seit Ewigkeiten ein Kommentar ist* ^^;;; 'Tschuldigung...

Danke schön ^^ Ja und Mühe hab ich mir wirklich gegeben, obwohl ich schon befürchtete, es wäre nicht so besonders gut rübergekommen. Ferlan war irgendwie ein ziemlich schwieriger Chara ( fand ich persönlich). Er war so schrecklich unscheinbar.
Aber jetzt wird er erst mal beweisen können und müssen, dass er sich von dem Urteil nicht unterkriegen lässt.
Wie du auch schon in ungefähr geschrieben hast, gibt es ja nur zwei Wege für Ferlan: Überleben oder sterben...

Geschichte aus der Morgendämmerung... Wenn du nichts dagegen hast, werde ich mir die Umschreibung mal bei Gelegenheit ausleihen ( für eine Überschrift) - die ist nämlich absolut genial *ggg*

Bis dann ^^
Von:  hekari
2003-03-31T12:51:40+00:00 31.03.2003 14:51
Ich auch,

Hach, Abschiedschmerzen gehen mir immer so nah. In Ferlans Zeit ist das ja eigentlich so gut wie ein Todesurteil nur noch heftiger, weil man damals davon ausgehen musste, das der Tod langsam von statten geht.
Ich finde Geschichten aus der Morgendämmerung der Menschen großartig.
So langsam finde ich mich im Wolflover auch so richtig gut in die Charaktere rein.
Man merkt, dass du dir viel Mühe gegeben hast. Ferlan Zerissenheit ist dir echt gut gelungen.

Dann bin ich mal gespannt wie es weitergeht.

Hekari
Von:  Ixtli
2003-03-28T18:50:47+00:00 28.03.2003 19:50
Hallo
Danke schön *freu* Bei diesem Kapitel hab ich echt Blut und Wasser geschwitzt, bis er schließlich so war wie jetzt und freut mich riesig, dass er dir auch gefallen hat ^___^ *knuddel*

Len hätte ich echt noch erwähnen können *nachdenk* Würde gut wirken, ja. Ich überleg mir den Part dazu und änder das dann ^^

Mit Alinor hast du Recht. Vielleicht könnte man es so erklären, dass sie sich schlussendlich dafür entschieden hat, Ferlan zu verbannen, damit es keinen Aufstand im Stamm gibt, wenn sie ihn nicht so hart bestrafen würde.
Immerhin besteht der Rat auch noch aus anderen Dorfmitgliedern und auch aus Tyrna, der Barneaghs Stellvertreter ist. Und eben Tyrna hätte Ferlan lieber tot gesehen, statt ihn 'nur' zu verbannen. Er war wohl auch eine treibende Kraft, die Alinor zu der Entscheidung gebracht hatte. ( Lausiger Erklärungsversuch ^__^;;;)

Bei Vogelfrei war ich mir nicht sicher, ob der Ausdruck schon in die Zeit gepasst hätte. Klang so nach Mittelalter, aber je länger ich drüber nachdenke, gefällt er mir besser als nur 'frei' ^^

Ja, ich mag Aredh auch sehr. Manchmal sogar fast mehr als Ferlan ^^;
Die Wölfe kommen jetzt bald. Der Weg für sie ist ja frei. Auf den Part freu ich mich schon besonders *auch Wölfe mag* ^^

Bis bald ^___^
Von: abgemeldet
2003-03-28T17:59:27+00:00 28.03.2003 18:59
Jouhou ^^

Das war ein TOLLER Teil ... auch wenn er sehr traurig war ... die Abschiedsszene hab ich teils nicht verstanden, weil ich gedacht hätte, Ferlan würde zum Abschied zu Bedana noch was wegen Len sagen - das hätte meiner Meinung nach in seinen Chara gepasst aber vielleicht kannte ich ihn noch nicht gut genug. ^^"

Ich hätte Alinor für klüger gehalten. Ich meine wenn sie einsieht dass ALLE den selben Fehler gemacht haben, weil sie Iaree ALLE vertraut haben, und dann verhängt sie Ferlan noch so eine heftige Strafe, nur weil er das Mädel ins Dorf gebracht hat - es hätte doch jeder sein können, Aredh, Iona, Cal!! (.........)

>>"Ich erkläre Ferlan für frei."
Ich glaub du meinst vogelfrei ^^;;

Ich hoffe du schreibst bald weiter ... ich bin ziemlich gespannt, was Ferlan und besonders was Aredh jetzt tut ... den Typen mag ich ungemein gerne ^^ Und lass die Wölfe bald auftreten *auf Wölfe abfährt*

Bis denne *knuuuuuuutsch*
~Milu


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