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Lifestories

von

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Das neue Schuljahr beginnt

An diesem Montagmorgen war es ungewöhnlich warm für einen Septembertag. Der Sommer war offiziell vorbei, doch man sah die meisten Schüler des Goethe-Gymnasiums ohne Jacken und in kurzen Hosen oder Röcken durch den Haupteingang ins Schulgebäude strömen. Das neue Schuljahr begann, und für viele bedeutete dies das Ende der sorgenfreien Zeit. Nun musste wieder gelernt und aufgepasst werden, vorbei waren die faulen Tage und die langen Nächte.

Der altbekannte Schulstress ging schon vor dem Unterricht los, als die Jugendkulturen aufeinanderprallten. Die Hopper drängten sich an den Goths vorbei, die Punks sahen die Metaller schief an, die Tussis lästerten über die Streber. Der Geräuschpegel stieg rasch an, an allen Ecken wurde geredet, gelacht, gerufen und gepöbelt. Durch das Getümmel der Schüler sah man in unregelmäßigen Abständen die bereits entnervten Lehrer zum Haupteingang hasten.

Inmitten des Gedränges arbeitete sich ein eher unauffälliger Junge zum Haupteingang vor. Sein schwarzes Haar fiel ihm fast über die Augen. Er sah auf den Boden, blickte nur manchmal auf, um sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Haltung schien defensiv und unsicher. Mit dem Gedanken, wieder Schule zu haben, verband er Nervosität und ein unangenehmes Gefühl, dass er nicht genau beschreiben konnte. Woher es kam, wusste er allerdings sehr genau, als er nicht weit entfernt ein ihm bekanntes Gesicht erblickte.

Basecap und Baggy-Klamotten, das waren die Markenzeichen eines lauten und ordinären Kerls, der sich zu den Hip-Hoppern zählte. Er ließ es sich nie entgehen, einen dummen Spruch loszulassen, und meistens war unser schüchterner Freund das Opfer.

Mit gesenktem Kopf ging er zügig an seinem Peiniger vorbei, lief die Treppe hinauf in den Flur und hielt vor dem zweiten Zimmer. Die Tür war offen, einige Schüler saßen bereits an den Tischen und sprachen lebhaft miteinander. Die Tische waren zu der klassischen "U-Form" zusammengestellt worden, um das Gefühl einer zusammengehörigen Gruppe zu vermitteln, da sich so jeder ansehen konnte, ohne sich erst umdrehen zu müssen. Das gefiel ihm, denn so hatte er niemanden hinter sich.

Er wurde paranoid bei dem Gedanken, vor jemandem zu sitzen. Wenn hinter ihm gelacht oder getuschelt wurde, fühlte er sich automatisch angesprochen. Saß er am Rand und konnte alles überblicken, konnte er anhand von Blicken und Gesten differenzieren, ob sich jemand über ihn lustig machte, oder nur etwas belanglos witziges seinem Nachbarn erzählte.

Er las das Schild. 11b. Die Elfte soll die schwerste sein, hatte er gehört. Obwohl er kein schlechter Schüler war, musste er einiges dafür tun, seine guten bis mittelmäßigen Noten zu halten. Mit einem leisen Seufzer betrat er das Zimmer und suchte sich einen Platz. Er setzte sich an den Äußeren Rand, und sein Blick wanderte durch den Raum. Ungefähr zehn andere Schüler hatten sich auch schon einen Platz gesucht. Die meisten waren ihm egal, nur zwei bekannte Gesichter fielen ihm gleich auf.

Direkt Gegenüber, an der anderen senkrechten Tischreihe, saß Leni und las in einem Buch. In der letzten Reihe, die parallel zur Wand verlief, saß Alicia mit ihrer Freundin Steffi und unterhielt sich laut über Shoppen, Schminken und andere oberflächliche Dinge. Während sie mit ihr sprach, schaute sie kurz zu ihrem Beobachter herüber, wandte den Blick aber schnell wieder ab. Sie mochte ihn nicht, und er wusste das. Aber es war ihm egal, er hielt nicht viel von Alicia. Mit ihren mittellangen, schwarzen Haaren, den immer trendigen Klamotten und der fast modelähnlichen Figur war sie ihm zu klischeehaft. Alicia war eines der beliebtesten Mädchen der Schule, was sie wusste, und sich dementsprechend benahm.

Das Klassenzimmer füllte sich langsam, und bis auf zwei Jungen, die das letzte Schuljahr nicht geschafft hatten, waren nun alle anwesend. Ein allgemeines Raunen ging durch den Raum, alle sprachen durcheinander. Schließlich betrat Herr Schmidt, der Lehrer, der die Klasse letztes Jahr in Geschichte unterrichtet hatte, und nun der Klassenlehrer war, den Raum. Es wurde leiser, doch die Gespräche verstummten erst dann, als er schon eine Weile gesprochen hatte.

"So, ich begrüße euch herzlich in eurem neuen Schuljahr." Ein Stöhnen ging durch die Klasse.

"Ich hoffe ihr hattet angenehme Ferien, denn ab jetzt wirds wieder ernst. Einige von euch müssen anfangen etwas zu tun, sonst seh ich für eine Versetzung schwarz." Er vermied absichtlich den Blick in bestimmte Richtungen.

Nach der kleinen Ansprache blickte er sich um, und vermisste ein Gesicht.

"Ich sehe wir sind noch nicht vollzählig, aber ich gehe die Anwesenheitsliste trotzdem schon mal durch..." Schmidt begann die Namen aufzuzählen, und die entsprechenden Schüler hoben die Hand oder antworteten mit "hier". Unser Freund sah sich seine Klassenkameraden einen nach dem anderen an, und fragte sich, wen Herr Schmidt wohl vermisste. Nach dem neuesten Stand waren sie vollzählig. Währenddessen fuhr Schmidt mit der Liste fort.

"...Alexander Reyer..." leise antwortete unser schüchterner Freund mit "ja". Prompt wurde aus der hinteren Ecke spöttisch gelacht und geflüstert. Mahnend sah Herr Schmidt zu der Gruppe herüber. "Wie ich sehe sind Arno und Patrick ebenfalls anwesend" sagte er, und fügte mit zynischem Tonfall hinzu, "noch". Beide verstummten.

"...Magdalena Baur..." Leni erwiderte ein "hier". Ihre und Alex' Blicke trafen sich. Sie lächelte kurz. Die beiden sprachen nicht allzu viel miteinander, nur hin und wieder ein bisschen Smalltalk in den Fünf Minuten Pausen, doch Leni war im Gegensatz zu den meisten anderen immer nett und aufgeschlossen ihm gegenüber. Obwohl ein paar von den Mädchen in der Klasse ihn ganz nett fanden, wurde er vom größten Teil ignoriert. Alex war still, nicht auffällig, und ging auch nicht auf die angesagten Parties. Für die meisten war er einfach "der aus meiner Klasse". Aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, und es störte ihn auch nicht weiter, da er die meisten Leute seines Alters sowieso nicht verstand.

Doch Leni schätze er als etwas ausgefallener ein. Manchmal bewunderte er ihre Art, immer ein gewisses Maß an Fröhlichkeit auszustrahlen. Obwohl Leni bei den Jungen der Klasse nicht unbeliebt war, wurde sie oft wegen ihrer geringen Größe geärgert,, schaffte es aber immer, spontan zu kontern. Ganz im Gegensatz zu Alex. Er war nicht besonders schlagfertig. Und selbst wenn ihm mal ein Spruch eingefallen wäre, den er hätte erwidern können, hatte er nicht genug Mut dazu. Oder besser gesagt, er hatte es nie gelernt.

"Alex," hatte seine Mutter gesagt, bevor er eingeschult wurde, "wenn dich einer ärgert oder hänselt, dann fang keinen Streit an. Ignoriere ihn einfach, dann hört er ganz von alleine auf."

Und daran hatte er sich immer gehalten. Selbst, als er schon lange bemerkt hatte, dass ihn genau dieses Verhalten zum perfekten Opfer macht, hatte er weiter daran geglaubt, was seine Mutter ihm gesagt hatte.

Herr Schmidt war immer noch dabei, die Liste durchzugehen, als ohne ein Klopfen die Tür geöffnet wurde. Schmidt hielt inne, sah über den Rand seiner Brille und runzelte die Stirn. Alle Köpfe drehten sich in Richtung Tür. Es wurde still.

Der Neue

Ohne vor der Türschwelle anzuhalten, ohne sich in der Klasse umzusehen, spazierte ein junger Mann herein. Das schwarze, glatte Haar verdeckte fast seine rechte Gesichtshälfte, von der man dank einer schwarzen Ray-Ban Sonnenbrille ohnehin nicht viel sah. Der Nietengürtel passte zu seinem Nietenarmband und dem schwarzen Halstuch mit einem weißen Totenkopf in der Mitte. Er trug ein enges, schwarzes Muskelshirt mit einem "Avenged Sevenfold" Aufdruck und schwarze Jeans. Ein Apple i-Pod hing um seinen Hals und seine Schultasche trug er lässig über der Schulter. In der einen Hand hatte er einen Coffee-to-Go. So cool kam noch keiner zu spät, dachte Alex und beobachtete, wie er sich an den freien Eckplatz in der letzten Reihe setzte. Dort hatte er keine Tischnachbarn, nur Alicia und Steffi saßen drei Plätze weiter. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.

"Jonathan Beck, schön dass sie sich auch noch entschieden haben, zu kommen." sagte Herr Schmidt nüchtern.

Der Angesprochene nahm die Ohrhörer seines i-Pods heraus und sagte Kaugummi kauend "kein Ding", sah dabei kurz auf, stellte den Kaffeebecher auf den Tisch und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Alex beobachtete, wie Alicia mit leuchtenden Augen zu Jonathan herüber sah. Seine übertriebene Coolness und die fast schon unnahbare Art von Arroganz war genau das, was Alicia gefiel. An solche Typen konnte sie sich wochenlang heranwerfen und alle Tricks ausprobieren. Darin ging sie auf. Alex' Meinung nach war das auch das einzige Talent, das sie besaß.

"Herr Beck -" begann Schmidt, wurde aber unterbrochen. "Johnny, please." fiel ihm Jonathan knapp ins Wort. Ein paar Mitschüler kicherten.

Johnny verzog keine Miene. Er strahlte kühle Souveränität und absolutes Selbstvertrauen aus. Alex wusste nicht, was er davon halten sollte. War das echt, oder nur eine Masche? Wenn ja, schien sie recht gut zu funktionieren, denn alle waren, zumindest kurzweilig, polarisiert. An sich verständlich, dachte sich Alex, wenn man bedenkt, dass dieser Kerl trotz seines eigenwilligen Auftretens doch äußerst attraktiv war. Es war ihm nicht entgangen, dass auch Leni mit gewisser, wenn auch verhaltener, Faszination zu Johnny herüber sah.

Herr Schmidt holte tief Luft und war bemüht, nicht genervt zu klingen.

"Wie auch immer." Er sprach zur Klasse. "Herr Beck wiederholt diese Klassenstufe und wurde in unsere Klasse eingeteilt. Von nun an sind wir also 22 Schüler. Jonathan, am besten stellen sie sich kurz einmal der Klasse vor."

Johnny holte Luft, doch bevor er etwas sagen konnte, ergänzte Schmidt in rauhem Ton: "Sonnenbrille ab und Kaugummi raus". Alex sah gespannt auf den Neuzugang und behielt dabei Leni und Alicia im Auge. Normalerweise interessierte er sich nicht großartig für die Geschehnisse innerhalb der Klasse, er beobachtete auch niemanden oder wollte immer wissen was so passierte.

Aber solch eine Situation, direkt am Anfang des Schuljahres, war schon ein Hingucker und er fand die ganze Sache äußerst interessant. Denn wenn selbst die schwer zu beeindruckende Leni schon seit Minuten zu diesem Johnny herüber sah, dann muss das einiges heißen. Als Leni Alex' Blick bemerkte, wandte sie schnell den Kopf von Johnny ab und sah zu Herr Schmidt nach vorn. Sie schluckte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Während Alex die Situation von seinem Platz aus betrachtete, und die anderen schon gruppenweise angefangen hatten über den Neuen zu tuscheln, fragte er sich, wieso er diesen Kerl noch nie zuvor gesehen hatte. Als unauffällig konnte man ihn ja nicht gerade bezeichnen.

Johnny spuckte den Kaugummi in den leeren Kaffeebecher. Er nahm die Sonnenbrille ab, und sah mit hell schimmernden blauen Augen geradeaus zu Herr Schmidt, ohne sich um die Blicke oder das Getuschel seiner neuen Klassenkameraden zu kümmern. Er grinste. Es war eines dieser aufsässigen, "du-kannst-mir-gar-nichts" Grinsen, dass die Schüler den Lehrern gegenüber perfektioniert haben. Erst jetzt, als er zu sprechen begann, sah er sich in der Klasse um. Er lächelte, und mit diesem breiten Lächeln wich eine freundliche Ausstrahlung der übertriebenen Coolness und Arroganz.

"Hi, ich bin der Johnny, bin 19 und wohn in Merzhausen." Alle Schüler sahen zu ihm herüber. Die Mädchen mit gespannt neugierigem Blick, die Jungen eher verhalten. Da hatten einige wohl schon ihre Konkurrenz erkannt, dachte Alex, und ihm gefiel der Gedanke, dass in Zukunft nicht mehr Arno derjenige wäre, der in der Klasse den Ton angibt. Bei dieser Überlegung musste Alex unkontrolliert lächeln, und hatte vergessen, dass er immer noch in Johnnys Richtung schaute. Dieser blickte nun direkt zu Alex. Als er aus seiner Träumerei wieder zu sich kam, bemerkte er, dass es so aussehen musste als lächle er Johnny an. Schnell sah er zur Seite und wurde rot. Aus der hinteren Reihe hörte er Gekicher, das zu einer weiblichen Stimme gehörte, und er verfluchte sich, dass Alicia diese peinliche Situation mitbekommen hatte. Obwohl sie ihn größtenteils in Ruhe ließ, ließ sie es sich nicht nehmen, ihn hin und wieder mit einem geschickt plazierten Kichern oder einem abschätzigen Lächeln zu schikanieren.

Da Johnny nicht mehr als seinen Namen, sein Alter und seinen Wohnort nannte, übernahm Herr Schmidt.

"Herr Beck wiederholt das Jahr gegebenermaßen freiwillig. Da er fast das ganze letzte Schuljahr in den USA verbracht hat und dort die Highschool besucht hat, unterschied sich der Lehrplan zu sehr von unserem, um problemlos in die nächste Stufe zu wechseln." Wieder ging ein Raunen durch die Klasse. Johnny lächelte und nickte. Damit war die erste Aufregung auch schon vorbei.

Schmidt fuhr mit ein paar Formalitäten fort, wie die Aktualisierung der Telefonliste, die niemand nutzte, oder die Vorstellung der AG-Angebote, die niemanden interessierte.

Als er damit fertig war, läutete auch schon die Schulglocke, und fast alle standen auf und verließen das Zimmer um zu Rauchen, oder sich am Kiosk etwas zu essen zu holen. Johnny war genauso schnell weg, wie er gekommen war.

Alex blieb sitzen und holte einen Block hervor, auf dem er immer herumkritzelte, wenn ihm langweilig war. Leni stand auf und warf ein Stück Papier in den Mülleimer. Auf dem Rückweg hielt sie vor Alex' Tisch und sagte "Na?". Sie lächelte ihn an, und er lächelte zurück. Sie sprachen mit gedämpfter Stimme.

"Was, na?"

"Na..." sie nickte mit dem Kopf in die Richtung von Johnnys leerem Eckplatz. Alex zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung, bisschen affig." log er.

"Ja... aber hat schon was, das muss man ihm lassen." Sie grinste.

"Hm." meinte Alex knapp, und fing an, auf seinem Block herumzukritzeln. Ihm war die Unterhaltung irgendwie unangenehm, und er wollte nicht zugeben, dass auch er diesen Johnny ziemlich interessant fand. Vielleicht weil er sich gern gegen den Trend stellte.

"Nuja, ich geh dann mal wieder..." sagte Leni munter, machte kehrt und ging an ihren Platz.

Obwohl Alex sich auf seine Zeichnerei konzentrierte, konnte er Alicias und Steffis hohe Stimmen und ihr lautes Gelache nicht ausblenden. Genervt drückte er den Bleistift fester aufs Papier. Er hörte heraus, wie Alicia etwas im Sinne von "der ist geil" und "da wüsste ich schon was ich mache", gefolgt von einem schmutzigen Lachen, von sich gab. Verächtlich sah er zu ihr herüber, und ihm wurde mit einem ebenso verachtenden Blick geantwortet.

Männergespräche

Johnny lief zügig die Treppe hinunter und kam auf den Schulhof. Im Gehen grüßte er ein paar ihm bekannte Gesichter, und begab sich ohne Umweg in die inoffizielle Raucherecke. Die Nikotinabhängigen versammelten sich an einer sichtgeschützten Stelle an der Rückwand der Sporthalle.

Man konnte von ihr aus fast den ganzen Schulhof überblicken, doch einsehbar für andere war sie schlecht, weil man um sie herum Bäume und Sträucher gepflanzt hatte. Bis einer der aufsichtspflichtigen Lehrer die Raucherecke erreicht hatte, war er schon lange entdeckt worden und alle hatten ihre Glimmstengel bereits ausgedrückt. Obwohl dieser Zufluchstort der Raucher von fast allen Schülern als "total versifft" beschrieben wurde, war er gut besucht.

Niemanden störten die bunten Graffittibilder, die ordinären Sprüche, die man mit Edding über die Graffittis gekritzelt hatte, oder der verschmutze Boden, den man dank unzähliger Zigarettenstummel, Schokoriegelverpackungen und Taschentüchern fast nicht mehr sah.

Johnny erkannte seinen guten Kollegen Sebastian unter den qualmenden Gestalten. Er nickte ihm zu, stellte sich neben ihn und lehnte sich an die Wand. Nachdem er sich die Zigarette angezündet hatte, nahm er einen tiefen Zug und bließ den Rauch langsam und genüsslich zwischen den Zähnen heraus. Ein schwerer Seufzer folgte.

"Was'n los?" fragte sein Freund, den er nur 'Basti' nannte, und wandte sich ihm zu.

Johnny rollte mit den Augen.

"Kaum bin ich wieder hier, könnt' ich schon wieder abhauen." Er lachte bitter.

"Schmidt?"

"Japp." Johnny nahm einen weiteren, tiefen Zug von seiner Zigarette.

"Den werd' ich nicht mehr los. Der hat mich voll auf'm Kieker, nachdem was anfang letztes Jahr abgelaufen ist." sagte er kleinlaut.

Basti nickte langsam.

"Jo," meinte er leise, "aber das hättest du dir auch denken können. Jetz' musst du es halt ausbaden und das Jahr durchziehen, so gut es geht."

Johnny sah ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen ernst an.

"Du klingst wie mein Vater."

Beide lachten.

"Naja, ich dachte nach fast einem Jahr wäre so langsam mal Gras über die Sache gewachsen, aber kannste' knicken." sagte Johnny wieder etwas ernster.

"Ach, wer braucht den schon. Und wie ist die Klasse so?" fragte Basti neugierig.

Johnny zuckte mit den Achseln.

"Kann ich nich sagen. Außer blöd gegafft ham' die nix gemacht." Johnny grinste überheblich, und dachte an Alicias überschwengliche Aufmerksamkeit. Solche Reaktionen schmeichelten ihm, aber das wollte er vor seinen Kollegen nicht zugeben. Sie würden sich dann nur darüber lustig machen. Zumal er damit auch eine Schwäche preisgeben würde, die dann maßlos ausgeschlachtet werden würde. Sobald irgendjemand mal etwas Negatives über ihn sagte, würden sie ihm ständig vorhalten, dass ihn wohl doch nicht alle so toll fanden.

Obwohl er das überhaupt nicht glaubte. Er sah sich selbst nicht als besonders guttaussehend oder sexy, oder gut gebaut. Johnny führte seine Wirkung hauptsächlich auf seine Art sich darzustellen zurück. Jeder konnte sich stylish anziehen, alles was man dafür brauchte, war ein bisschen Geld und ein Kaufhaus. Die Art, dies alles rüberzubringen, das war das Entscheidende.

Und Johnny war der geborene Schauspieler. Neben seinem musikalischen und sportlichen Talent besaß er die Fähigkeit, seine ganze Unsicherheit und seine Unzulänglichkeiten hinter einer Mauer aus Selbstsicherheit und Überzeugung zu verstecken.

"Aber was soll's, das bin ich gewohnt." merkte Johnny an. Basti nickte und grinste vor sich hin.

Ein blondes Mädchen mit langem, offenen Haar lief zügig und mit stur geradeaus gerichtetem Blick an der Raucherecke vorbei. Sie kam gerade vom Bäcker, wie Johnny an den zwei Tüten in ihrer Hand erkannte. Ein kurzer Rock mit Tartan-Muster und eine weiße Bluse mit schwarzer Krawatte klassifizierten sie als Punk. Johnny sah ihr nach. Ihre Blicke trafen sich, und er deutete ein Lächeln an, so wie er es immer tat, wenn ein Mädchen ihn ansah.

Der Grund war mehr der anerzogene Anstand, als das Interesse, von Mädchen bemerkt und gemocht zu werden. Sie erwiderte sein Lächeln nicht, aber sah ihn einen Moment zu lange an, um uninteressiert zu wirken. Johnny fielen ihre schlanken Beine und die formschöne Taille auf. Basti stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite.

"Ah... was?" zischte er gereizt. Basti sah ihn an und nickte dann in die Richtung, in der das Mädchen verschwand.

"Der brauchste nich hinterhergucken. Früher war die so'n schüchternes Mäuschen im Rollkragenpulli, dass sich immer hinter ihren Haaren versteckt hat, und seit Mitte letztes Jahr isses' ober die Punkschratze." Basti schüttelte abwertend den Kopf.

"Kann ja nicht jeder so'n langweiliger Normalo sein wie du." neckte Johnny, grinste und streckte ihm die Zunge raus. Basti schlug ihn mit der Faust kumpelhaft auf den Oberarm und lachte.

Die Schulglocke läutete.

Johnny bließ den letzten Schwall Rauch aus seinem Mund und zertrat seinen glimmenden Zigarettenstummel auf dem Boden.

"Eh, seit wann hälst du dich an die Pausen?" fragte Basti halb im Scherz, halb ernst. Johnny zuckte mit den Achseln.

"Du, ich muss es ja nicht drauf' anlegen." meinte er knapp und ging.

"Amerika hat dich wohl verweichlicht!" rief Basti ihm scherzhaft hinterher.

Doch Johnny war schon außer Hörweite.

Während er zurück in sein neues Klassenzimmer ging, dachte er über seine neuen Mitschüler nach. Da war einmal seine quasi-Tischnachbarin, die ihn mit ihren von Kajal umrandeten Augen praktisch ausgezogen hat. Die offensive Art, mit ihrer Begeisterung für ihn nicht hinter dem Berg zu halten, fand er langweilig. Sie reizt mich nicht, dachte er, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Chancen bei ihr im Hinterkopf zu behalten. Es war nie ein Nachteil, auf etwas zurückkommen zu können, sollte nichts anderes in Sicht sein.

Das hielt Johnny mit seinen Liebeleien genauso wie mit seinen Jobs oder seinen Freunden. Im "Hintertüren offen halten" war er geübt. Obwohl er meist nie etwas mit einer bösen Absicht tat, hatte er die Gabe sich die Dinge so zurechtzulegen, wie sie ihm am besten passten. Das einzige, worauf er dabei achtete, außer auf sich selbst, war mit diesem Verhalten niemanden zu stark zu verletzen. Deshalb hatte er auch keine moralischen Bedenken, das schwarze Luder unter "Fickschnitte" einzuordnen. Als etwas anderes stellt sie sich ja nicht da, dachte Johnny.

Ganz im Gegensatz zu dem kühlen Blondchen, das fast ganz vorne saß. Mit dem formlosen blauen Pullover und den weiten, ausgewaschenen Jeans schien sie ihre Weiblichkeit den Blicken entziehen zu wollen. Soweit er es erkennen konnte, trug sie keine Schminke und ihr fast schon konservativer Kleidungsstil ließ sie, trotz ihres hübschen Kleinmädchen-Gesichts, unscheinbar wirken. Aber sie hat was, dachte Johnny, ohne weiter darüber nachzudenken.

Und außer dem Schwarzhaarigen, der ihn so schief angelächelt hat, war ihm sonst keiner in besonderer Erinnerung geblieben. Die anderen Mädchen in der Klasse fand er durchschnittlich hübsch, aber es war für ihn nichts wirklich auffallend attraktives dabei. Bei den Jungen hatte er ein paar Pöbler herausgehört, aber das war normal. Solche Leute gab es überall.

Alles in Allem stand Johnny der neuen Klasse positiv gegenüber. Er hasste es zwar, "der Neue" zu sein, aber es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Mit ein paar Reibereien musste er natürlich rechnen, das war ihm klar. Selten wurde sein Auftreten von allen akzeptiert, meistens hatten ein paar andere Jungen ein Problem mit seiner Wirkung, vorallem auf Mädchen. Oft winkte er einfach ab und sagte sich, hey, die sind nur neidisch, aber es ärgerte ihn trotzdem. Schließlich würde er sich nicht anders benehmen oder anziehen, nur weil seine Art ein paar Leuten nicht passte.

Johnny ging mit einem selbstbewussten Lächeln in das Klassenzimmer zurück, und nahm sich vor, zurückhaltender als sonst zu sein.



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Von: abgemeldet
2008-02-22T19:00:20+00:00 22.02.2008 20:00
Hey! :D
Die FF ist wirklich klasse ^^
gefällt mir, mach weiter so!!
Von: abgemeldet
2007-12-08T14:09:46+00:00 08.12.2007 15:09
hey
gefällt mir echt gut deine story wenn du jetz noch weiter schreibst bin ich happy ^^

LG Red_Witch
Von:  _mariko_
2007-11-02T21:48:49+00:00 02.11.2007 22:48
Das Kapitel war wie die anderen auch ganz gut hoffe hier bald noch mehr von dir lesen zu können.
Von:  _mariko_
2007-11-02T21:36:22+00:00 02.11.2007 22:36
Auch das Kapitel gefällt mir sehr gut dieser Johnny wäre zu Schulzeiten genau mein Fall gewesen allerdings hätte ich ihn nur im Stillen angebetet und Nachts von ihm geträumt denn so wie diese Alicia war ich nie.Mach auf jedenfall weiter so.
Von:  _mariko_
2007-11-02T21:23:44+00:00 02.11.2007 22:23
Dein Kapitel ist echt Klasse hatte es ähnlich schwer in der Schule und meine Eltern haben etwas ähnliches zu mir gesagt wie Alex Mutter zu Alex.Allerdings wusste damals noch keiner das es mal Emos geben würde.Mach weiter so dann wird man vielleicht bald mal im Buchladen was von dir lesen.
Von: abgemeldet
2007-10-28T12:10:55+00:00 28.10.2007 13:10
alsoooo^^
alle 3 kapitel gefallen mir sehr gut,besonders da sie realistisch geschrieben sind und nicht einfach so aus der luft gegriffen oder abgekukt sind ...ich hoffe du schreibst bald weiter^,^....
Von: abgemeldet
2007-10-20T16:36:54+00:00 20.10.2007 18:36
mir hat dein erstes pitel echt gut gefallen. ich hab nichts zu kritisieren. was mir gefällt ist das es realistisch ist . dein schreibstil gefällt mir auch gut. ich lies normalerweise keine altagsstories aba die gefällt mir , werde sie weiterverfolge
mach weiter so

pat
Von:  Kyrill
2007-10-19T18:20:00+00:00 19.10.2007 20:20
dein schreibstil ist gut und es ist leicht nachzuvollziehen, da es eine alltägliche Sache ist, der Schulbeginn nach den Ferien. Und ich glaube viele von uns, empfinden ihn als ähnlich unangenehm xDD nur hatte ich nie so interessante leute in der klasse -__- alles ohne ausnahen hopper und bauernchicksen, die meinten sie wärens >__>

Von: abgemeldet
2007-10-18T18:38:22+00:00 18.10.2007 20:38
sooo ^^
etwas verspätet aber sie schreibt letzenendlcih doch^^''
also.. ich soll ja kritisieren... das fällt echt schwer, denn ich finde, das erste chap ist echt gut gelungen, ich finde, du hast ne tolle art dich auszudrücken ^^
werd bei zeiten die anderen chaps auch noch lesen.. mal gucken, vielleicht gibts da ja was zu kritisieren^^

-greez- Loviatar
Von:  Ditsch
2007-10-11T17:51:55+00:00 11.10.2007 19:51
Mal wieder ein nettes Kapitel! Mir gefällt es sehr gut, auch wenn es so kurz ist.

Hier noch ein paar Anmerkungen:
Die Nikotinabhängigen versammelten sich an einer sichtgeschützten Stelle an der Rückwand der Sporthalle.
→ Nur weil man raucht, ist man doch nicht gleich nikotinabhängig, oder? Find ich etwas übertrieben.

„... Der hat mich voll auf'm Kieker, nachdem was anfang letztes Jahr abgelaufen ist."
→ „nach dem“ heißt es in diesem Fall. Außerdem „Anfang letzten Jahres“...

Ein kurzer Rock mit Tartan-Muster und eine weiße Bluse mit schwarzer Krawatte klassifizierten sie als Punk.
→ Ziemlich oberflächlich, oder?

Jaa, das wars dann auch schon von mir.
Sag bitte bescheid, wenn es weitergeht, ich merk das sonst nicht ^^"

Ditsch


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