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Was hast du mir angetan?

Fortsetzung von Kleiner Schatz
von

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Geheimnisse

Hi!
 

Ich weiß, man hat lange nichts mehr von mir gehört, das liegt zum einen daran, dass ich zwischenzeitlich eine Schreibblockade hatte und zum anderen habe ich auch an anderen Ffs geschrieben. Bitte lauft nicht gleich weg, weil ich euch mit annähernd 10.000 Wörtern erschlage, aber das Kapitel musste einfach so lang werden. Wenn dort noch irgendwo Rechtschreibfehler sein sollten oder ein Wort fehlt, bitte ich dies zu entschuldigen. Ich habe mir das ganze drei Mal durchgelesen, aber irgendwie schien mein Word den 'Speichern'-Button nicht ernst zu nehmen und ein viertes Mal wollte ich es nicht lesen. ^^'
 

Hier zunächst einmal die Ffs an denen ich in der Zwischenzeit geschrieben habe:
 

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/155195/213118/
 

Dies ist ein Weihnachtssequel zu dieser Ff und und sollte eventuell zum besseren Verständis von späteren Ereignissen gelesen werden. Es ist aber natürlich keine Pflicht.
 

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/155195/213907/
 

Das nächste Machwerk ist nur eine kleine Geschichte, die auf parodistischeweise die These vieler World of Warcraft Spieler aufgreift, dass Illidan eine Lusche ist und alle Blutelfen schwul sind. ^^
 

So, nun gehts aber wirklich los. Viel Spaß.
 


 

Geheimnisse
 

Die kühle Morgenluft brachte die Flaggen auf dem Schiff zum flattern, während das Wasser des Flusses sanft gegen den Bug wogte. Trotz der kräftig strahlenden Sonne war es so früh am Morgen jedoch sehr kalt. Der Wind erschien regelrecht eisig. Es war gerade einmal acht Uhr morgens und das Boot war bereits seit einer Stunde unterwegs. Müde rekelte der Schwarzhaarige sich auf einer der Liegen auf dem Sonnendeck. Wärmesuchend zog er die beiden Jacken enger um seinen Körper, als ihm ein dampfender Becher unter die Nase gehalten wurde.

„Hier. Dein Tee.“

„Danke.“

Vorsichtig schloss er die kalten Finger um den heißen Pappbecher und zog die Beine an, um ihn gleichzeitig auf die Knie zu stellen. Währenddessen setzte sich der Russe zu ihm auf die Liege. Seine Hände glitten zum Reißverschluss der größeren Jacke und zogen diesen zu.

„Ist dir immer noch kalt?“

„Ja.“

Fest rubbelte der Russe ihm über die Arme, um ihn zu wärmen. Doch es schien nicht sehr zu helfen.

„Wieso ist es nur schon so kalt. Wir haben schließlich Ende August.“

„Wir sind auf den Wasser. Hier ist es immer kälter als an Land.“

„Das hilft mir leider auch nicht weiter. Kann ich bitte dein Handy haben?“

„Wieso? Glaubst du, dass dir dadurch wärmer wird?“

Grinsend zog er das schwarze Telefon aus seiner Hosentasche und hielt es Ray hin.

„Nein. Ich möchte meinen Chef anrufen. Schließlich werde ich wohl nicht mehr arbeiten können.“

„Macht dich das sehr traurig?“

„Ich weiß nicht, was ich fühlen soll...“

„Nichts ist wichtiger als deine Gesundheit, also nimm es nicht so schwer.“

Der Schwarzhaarige schwieg und nippte an seinem Tee, während er die Nummer wählte. Kaum etwas war ihm bisher so schwer gefallen, wie seine Arbeit zu kündigen. Sein Herz schlug wild, als das Freizeichen ertönte. Und es machte einen Sprung, als sich auf der anderen Seite die Stimme seines Chefs meldete.

„Guten Morgen Lian-san. Hier ist Ray.“

„Guten Morgen. Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich nicht mehr rechtzeitig melden.“

„Es tut mir Leid, ich habe zwei sehr aufregende Tage gehabt.“

„Du klingst nicht so, als ob es sich um positive Aufregung handelt.“

„Nein, das tut es wirklich nicht...“

„Wie hast du dich entschieden?“

„Ich werde aufhören. Du kannst den Bewerbern zu sagen.“

Er schluckte und eine Träne rann ihm die Wange hinunter, was man auch an seiner Stimme hörte.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Nein... Doch... Ich kann nicht mehr arbeiten, weil... weil ich vielleicht mein Kind verlieren könnte.“

„Das tut mir sehr Leid für euch. Geht es dir ansonsten gut?“

„So gut, wie es einem eben gehen kann, wenn darauf gefasst sein muss sein Kind zu verlieren.“

„Ich muss jetzt auflegen und den Bewerbern zusagen. Tu mir einen gefallen und pass auf dich auf, es wäre schön, wenn du irgendwann wieder anfangen würdest, bei mir zu arbeiten.“

„Ja, das wäre es... Auf Wiederhören.“

„Auf Wiederhören.“

Kraftlos lehnte er sich gegen den Russen und reichte ihm das Handy zurück. Nun hatte er es also getan... Seine Arbeit gekündigt. Es war ein seltsames Gefühl. Eine gähnende Leere die sich plötzlich in seinem Alltag und seinem Inneren ausbreitete. Er kam sich so nutzlos vor. Ein Umstand, der ihn sehr deprimierte.

„Hier. Vielleicht hilft dir das.“

Verwundert blickte er auf, als ihm ein längliches Ding in einem knisternden Plastikpapier zugeschoben wurde. Der Neko-Jin öffnete die Hand und drehte den Gegenstand herum, um das Etikett lesen zu können. Als ihm die rote Schrift entgegen blitzte, wurde sein Blick wieder etwas finsterer und nüchterner.

„Ein Schokoriegel...“

Der andere nickte.

„Wie soll mir ein Schokoriegel helfen?“

„Du sagst doch immer, dass Schokolade Nahrung für die Seele ist.“

„Ja... Aber...“

„Kein ‚aber’. Das setzt Endorphine frei und die tun dir im Moment ganz gut.“

„Ich möchte im Moment aber kein Twix.“

„Was möchtest du dann?“

„Ich... weiß es nicht.“

Flink wurde ihm das Twix in eine Jackentasche gesteckt und ein Arm um ihn gelegt.

„Dann heb es auf für später.“
 

Es waren einige Stunde vergangen, bis sie wieder in ihrem Leihwagen saßen und darauf warteten, dass die Heckklappe der Fähre geöffnet wurde, um das Schiff verlassen zu können. Ray stellte seinen Sitz zurück, rollte seine Jacke zu einem Kopfkissen zusammen und sah danach desinteressiert aus dem Fenster. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis das Schiff überhaupt dabei war anzulegen.

„Mir ist so langweilig.“

„Möchtest du Wahrheit oder Pflicht spielen?“

Grinsend sah der Graublauhaarige ihn an, bis sich der Kopf des anderen drehte und ihn ein teuflischer Blick traf.

„Wenn das witzig gewesen sein sollte, habe ich wohl vergessen zu lachen.“

„Zieh nicht so ein Gesicht, das gibt nur Falten. Iss lieber deinen Schokoriegel.“

„Ich lasse mir von dir nicht vorschreiben, wann ich zu essen habe.“

„Du weißt genau, dass du zunehmen sollst, also hör auf darüber nachzudenken, was du isst.“

Trotzig wurde der schwarze Haarschopf weggedreht. Schweigen herrschte zwischen den beiden, während man von draußen Motorengeräusche hörte. Doch als sich die ersten Autos in Bewegung setzten, knisterte auf einmal ein Papier im Wagen. Siegessicher schaute Kai hinüber und sah, wie sein Verlobter ein großes Stück des Gebäcks abbiss. Dieser schloss dabei genüsslich die Augen, als ob er noch nie etwas besseres gegessen hätte.

„Mh... Ich liebe Karamell.“

„Und ich liebe es Recht zu haben.“

„Aber ich würde es noch viel mehr lieben, wenn du endlich losfahren würdest.“

Mit einer schnellen Kopfbewegung, waren die roten Augen wieder nach vorne gerichtet, wo der Abstand zum voranfahrenden Auto bereits 15 Meter betrug. Er drehte daraufhin schnell den Zündschlüssel herum und gab Gas. Bei einem Automatikgetriebe wäre dies auch eine sehr gute Idee gewesen, da der Leihwagen jedoch eine Schaltung besaß, machte das Auto einen kleinen Satz nach vorne und blieb dann wieder stehen. Das anfängliche Lächeln des Chinesen wurde nun zu einem Grinsen, als er in das verdatterte Gesicht seines Verlobten sah. Endlich hatte dieser heraus gefunden, weshalb das Gefährt abgewürgt worden war und startete den Motor mit einem Fluchen neu. Dieses Mal wäre es ihm auch gelungen, hätte das auf die Sekunde synchron einsetzende Hupkonzert hinter ihm, ihn nicht erneut aus der Fassung gebracht, wodurch er den falschen Gang erwischte und abermals nicht vom Fleck kam. Das Grinsen des anderen wurde währenddessen zu einem Kichern, bei dem er sich die Ohren zu hielt.

„Danke für den Tinnitus, Schatz. Der hat mir zu meinem Glück noch gefehlt.“

„Verdammt noch mal!“

„Soll ich dir vielleicht helfen?“

Die Antwort des größeren bekam er nicht mit, da er in schallendes Gelächter verfiel, als er den Einweiser bemerkte, der mittlerweile auf sie zu kam, um die Genossen darauf aufmerksam zu machen, dass in manchen kommunistischen Regimen zwar gerne Schlange gestanden wurde, sie dies aber doch bitte nicht auf die Spitze treiben möchten. Zumindest wäre dies wohl seine Absicht gewesen, wenn der Russe nicht just in diesem Moment den Ersten Gang gefunden hätte, genervt abwank und versuchte sich möglichst unauffällig aus der Affäre zu ziehen. Sein Beifahrer wischte sich indes die Lachtränen aus den Augen und konnte sich auch so schnell nicht wieder beruhigen. Jeder Blick, den er dem finsteren Gesicht zuwarf, brachte ihn erneut zum Lachen. Erst als sie sich etwas außerhalb von Tangnag auf einer Strasse in südlicher Richtung befanden, kehrte allmählich wieder Ruhe ein. Sie schwiegen sich jedoch eine Weile an, da dieser kleine Zwischenfall die Laune es Russen nicht gerade auf den Höhepunkt des Tages brachte.

„Du musst da vorne rechts abbiegen.“

Ein teuflischer Blick traf ihn.

„Ich bin nicht bescheuert. Stell dir vor, ich kann auch Verkehrschilder lesen.“

„Kai... Sei nicht mehr sauer.“

Doch wieder herrschte nur Schweigen. Man konnte geradezu spüren, wie wütend der Graublauhaarige war. Aber was sollte der kleinere schon tun? Darüber zu diskutieren hatte keinen Zweck. Überhaupt hatte es keinen Zweck mit seinem Partner zu diskutieren. Eine Weile sah er sich dieses geladene Fahrverhalten daher noch an. Ihm war schon die ganze Zeit ein wenig mulmig gewesen, allerdings wurden die Straßenverhältnisse immer schlechter, so dass bald äußerste Vorsicht geboten war, wenn man mit erhöhter Geschwindigkeit fuhr. Als ob er es mit seinen Gedanken herauf beschworen hätte, kam kurz darauf eine Situation, die seinen Mut auf eine harte Probe stellte. Bei einem Überholmanöver geriet der Wagen für einen Augenblick außer Kontrolle und zog durch den Dreck auf der Straße scharf nach rechts auf die Leitplanke zu. Ein kurzer Aufschrei entfuhr ihm. Seine Hände bedeckten die Augen. Angst... Es war alles, was er in diesem Moment empfand. Angst um sein Baby. Doch der erwartete Zusammenprall blieb aus. Sie waren noch einmal glimpflich davon gekommen. Der ältere hatte das Auto wieder unter Kontrolle bekommen und tat so, als wäre nichts gewesen. Bleich schaute der Neko-Jin umher. Er war so erleichtert und trotzdem noch immer ängstlich. So konnte es nicht weiter gehen. Beim nächsten Mal hätten sie bestimmt nicht soviel Glück.

„Halt bitte an.“

„Wieso?“

„Ich möchte, dass du anhältst.“

„Die Straße ist völlig frei. Nenne mir einen guten Grund, warum ich anhalten sollte.“

„Kai, fahr jetzt sofort rechts ran! Oder...“

„Was oder?!“

„Oder ich bespucke die Sitze.“

Demonstrativ hielt er sich die Hand vor den Mund und atmete tief ein und aus. Man sollte es nicht für möglich halten, doch es wirkte. Allmählich kam der Wagen zum Stehen und diese Höllenfahrt hatte ein Ende. Doch der Schwarzhaarige machte keine Anstalten auszusteigen. Er saß ruhig auf seinem Sitz und blickte den anderen an.

„Willst du nicht aussteigen?! Ich denke, dir ist schlecht!“

Ray schnaubte, stellte den Motor aus, zog den Zündschlüssel ab und nahm ihn an sich.

„Mir wird bald schlecht, wenn du weiter so fährst.“

„Ich weiß gar nicht, was du hast.“

„Verdammt noch mal! Sieh dich doch an! Du bist schon wieder völlig außer dir! Erzähl mir nicht, dass du dich so noch auf den Verkehr konzentrieren kannst!“

„Natürlich kann ich das! Und jetzt gib mir die Schlüssel wieder!“

Kaum hatte er dies gesagt, wurde sein Kopf von einer Ohrfeige zur Seite geschleudert. Scharf Luft einziehend, rieb er sich die schmerzende Wange.

„Du bist so ein Arschloch!“

Völlig aufgebracht stieg der kleinere aus dem Auto und lief die Straße zurück. Erschrocken verließ der Russe ebenfalls das Fahrzeug, was ihm zunächst ein Hupkonzert von dem LKW einbrachte, den er zuvor überholt hatte und welcher den jungen Fahrer nun als Hindernis sah. Doch es scherte ihn nicht. Schnell eilte er seinem Kätzchen nach, welches die Arme um sich geschlungen hatte und einen sehr geknickten Eindruck machte. Vorsichtig berührte er den Chinesen an der Schulter. Als er ihn ein wenig herum drehte, sah er die Tränen in dessen Augen, welche wie Sturzbäche über seine Wangen flossen.

„Ray, es tut mir Leid. Du hast recht. Ich hätte vorsichtiger fahren sollen.“

Schluchzend drückte er sich an den Graublauhaarigen. Sein ganzer Körper bebte. Beschämt über seine Tränen schlug er die Hände vors Gesicht. Er wollte es nicht soweit kommen lassen. Nicht schon wieder.

„Das ist es nicht. Seit wir von dem Baby wissen, streiten wir uns nur noch!“

„Das ist nicht wahr...“

Behutsam redete der ältere auf ihn ein, doch nichts vermochte ihn zu trösten.

„Doch ist es. Entweder wir streiten uns oder wir haben Sex. Das Erste, was unser Baby in seinem Leben hören wird, ist, wie seine Eltern sich streiten!“

Zwei starke Arme drückten ihn an eine ebenso starke Brust und eine Hand streichelte ihm tröstend über den Kopf. Durch leichten Druck wurde er dazu animiert zum Auto zurück zu gehen.

„Komm, wir sollten das nicht hier draußen diskutieren.“

Einige Minuten später saßen sie beide wieder im Wagen. Auf dem Fahrersitz. Kai hatte seinen Verlobten auf den Schoß genommen, da dieser noch immer weit davon entfernt war, sich zu beruhigen.

„Hör zu. Ja, wir haben unsere Probleme, aber die haben alle Paare. Zur Zeit sind wir eben in einer schwierigen Situation, aber es wird auch wieder anders werden. Wir hatten doch in letzter Zeit auch schöne Momente.“

Ein lautes Schluchzen erklang und der schwarze Haarschopf schien sich noch tiefer in seine Halsbeuge zu drücken, während sich die femininen Hände haltsuchend in seine Schultern krallten.

„Nenn mir auch nur einen einzigen Moment, in dem das so gewesen wäre.“

„Zum Beispiel, als wir den Kleinen das erste Mal auf dem Ultraschallbild gesehen haben. Oder im Park, als wir Yukiyo gefunden haben. Dann wäre da noch der Abend, an dem wir uns wieder vertragen haben, nach diesem fruchtbaren Krach vor zwei Wochen. Oder jetzt zum Beispiel.“

Er lächelte auf das verwuschelte Haarbüschel hinab und streichelte dem jüngeren über den Bauch. Dieser war etwas ruhiger geworden und genoss die Liebkosung sichtlich.

„Ich reagiere wohl immer ein wenig über.“

Seufzend kuschelte er sich dichter an den Russen. Es war schön so. Einfach einmal nichts zu tun. An nichts zu denken. Sich einfach nur halten lassen. Draußen hatte es mittlerweile begonnen zu regnen. Die schweren Tropfen, welche ein gleichmäßiges Trommeln verursachten, waren sehr beruhigend. Zufrieden schloss er die Augen. Seinen Gefühlsausbruch hatte er schon fast wieder vergessen. Die bloße Anwesenheit seines geliebten ehemaligen Teamchefs brachte ihn dazu, alle Sorgen abzustreifen und lediglich den Augenblick zu genießen. Zögerlich legte er seine eigene Hand auf die, welche bereits auf seinem Unterleib lag. Sein Kopf hob sich. Er lächelte. Glücklich küsste er die blassroten Lippen, die ihm eben noch solch tröstende Worte zu geflüstert hatten.

„Ich liebe dich.“

„Ich weiß.“

Ein triumphierendes Grinsen legte sich auf die Züge des Graublauhaarigen. Er zog den anderen noch einmal fest an sich und gab ihn dann frei. Zärtlich strich er eine der schwarzen Strähnen hinter das spitzzulaufende Ohr, während er den Autoschlüssel aus der dargebotenen Hand wieder an sich nahm.

„Du solltest dich ein wenig hinlegen. Diese Nacht hast du nicht gerade viel Schlaf bekommen.“

„Ich bin nicht...“

Er gähnte.

„...müde.“

„Natürlich. Jetzt setzt dich wieder richtig hin und dann fahren wir weiter.“

Vorsichtig half er dem Schwarzhaarigen über den Schaltknüppel zu klettern und deckte ihn mit seiner Jacke zu. Die bernsteinfarbenen Augen sahen ihn daraufhin eindringlich, aber dennoch unschuldig an. Ruhig aber bestimmt legte sich die Hand, an welcher der silberne Ring schimmerte auf seinen Unterarm, als er den Motor gestartet hatte.

„Fahr vorsichtig, ja?“

Lächelnd beugte der Russe sich zur Seite und gab dem anderen noch einen Kuss.

„Mach dir keine Sorgen.“
 

Schwerfällig öffnete er die Augen und strich sich die verwuschelten schwarzen Haare aus dem Gesicht. Seine Arme und Beine schienen völlig steif geworden zu sein, weil sie so lange nicht bewegt worden waren. Mit einem Gähnen rieb er sich die brennenden Augen. Die Sonne schien wieder und brachte ihn dazu, die schwarze Jacke, mit welcher er zugedeckt war, auf den Boden gleiten zu lassen. Danach setzte er sich auf und ließ seine Hand zu dem kleinen Knopf an der Rückenlehne des Sitzes wandern, um diesen wieder nach oben schnellen zu lassen. Fragend blickte er aus dem Fenster und betrachtete die Gegend.

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Fast zwei Stunden. Wir sind vor etwa 20 Minuten durch Wenquan gefahren.“

„Dann sind wir ja fast da!“

Kurz sah der Russe herüber und lächelte ihn an.

„Ja, es müsste hier doch eigentlich bald ein Schild stehen.“

„Auf der Hauptstraße steht kein Schild. Du musst auf eine Straße achten die links abgeht, da müsste ein Schild stehen.“

Er nickte und achtete nun besonders auf die Straßen auf der linken Seite. Eine Weile bemerkte er nichts, was wie ein Wegweiser aussah und somit wurde er allmählich stutzig, bis sich sein Verlobter wieder meldete.

„Da vorne musst du abbiegen.“

Noch verwirrter als zuvor bremste er einwenig, um die Straße genauer betrachten zu können.

„Ray, das ist ein Feldweg und außerdem steht dort kein Schild.“

„Doch das ist der richtige Weg. Das Schild ist bestimmt wieder zu gewachsen. Fahr einfach dort hinein.“

Kopfschüttelnd bog der Graublauhaarige in den Weg ein, jedoch hielt er umgehend an, als er bemerkte wie schmal dieser war. Zwar war der Boden trocken, doch dies änderte nichts an der Tatsache, dass diese angebliche Straße nicht geteert war. Während er sich noch fragte, ob er die Straße weiterfahren oder lieber in die Stadt zurückkehren und nach einem besseren Weg fragen sollte, wurde neben ihm die Tür geöffnet.

„Was machst du da? Steig wieder ein, das hier kann unmöglich der richtige Weg sein.“

„Ich beweise dir, dass es doch der richtige ist.“

Suchend wühlte sich der Neko-Jin durch die Büsche auf der rechten Seite, bis seine Finger einen metallischen Untergrund ertasteten. Unter leichtem Kraftaufwand schob er das Gestrüpp zur Seite und legte ein Schild frei, auf dem nur noch schwerlich einige Schriftzeichen zu erkennen waren. Mit etwas Fantasie bildeten sie jedoch die Wörter ‚Ku Hai’. Der Name des Sees und des Dorfes, welches sie zu erreichen gedachten. Zufrieden grinsend setzte er sich daraufhin wieder auf den Beifahrersitz.

„Siehst du, ich habe es dir ja gesagt.“

Ein leises Schnauben war zu hören, bevor der ältere langsam weiterfuhr. Jedoch wurde die Straße nicht besser, sondern eher noch schlechter, da sie bald steiler wurde und in engen Serpentinen um den See herum führte. Die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben. Noch nie war er auf solch einer Straße gefahren. Rechts eine Steilwand und links ein Abgrund, der in einem See endete. Er schaltet einen Gang herunter. Das Getriebe ratschte, weil er in seiner Aufregung die Kupplung nicht weit genug getreten hatte. Aufbegehrend heulte der Motor auf und das Auto machte einen kleinen Satz, was ihn dazu veranlasste schnellstens die Bremse durchzutreten und anzuhalten. Beunruhigt sah der Schwarzhaarige zu ihm herüber. Seine Hand war in den Gurt gekrallt.

„Soll ich lieber fahren?“

„Nein. Du sollst dich doch nicht aufregen und das hier ist alles andere als entspannend.“

„Glaub mir, es regt mich viel mehr auf, dir beim Fahren zuzusehen, als mich selbst hinter das Steuer zu setzen.“

Entschuldigend lächelte er Kai an, welcher einwenig beleidigt zurück schaute. Er sah es als Verletzung seiner Männlichkeit an, dass ihm unterstellt wurde, nicht mit dieser Bergstraße fertig zu werden.

„Sei vernünftig und lass mich fahren. Ich kenne mich hier besser aus als du.“

Ergeben hob der andere die Hände, schnallte sich ab und öffnete die Tür, damit sie die Seiten tauschen konnten.

„Aber mach mich nicht dafür verantwortlich, wenn irgend etwas passiert.“

Er seufzte und schaltete in den Ersten Gang. Mit nur 20 kmh fuhr er die schmale Straße entlang. Es schien ihm nichts auszumachen. Schließlich kannte er sie in- und auswendig.

„Es wird schon nichts passieren. Ich weiß, was ich tue.“

Dem Russen war trotz dieser Beteuerrungen mulmig zu mute. Skeptisch betrachtete er einen kleinen Busch, der aus dem Felsen wuchs und am Fenster entlang schabte. Wenn er gewollt hätte, hätte er aus dem Fenster heraus ohne Schwierigkeiten einen Blumenstrauß pflücken können. Warum war er nur so nervös bei dem Gedanken, diese Straße entlang zu fahren? Seit Tagen quälte ihn eine innere Unruhe, die ihn müde machte. Nicht körperlich, aber seelisch. Gedanken verloren zupfte er an seinem Ohrläppchen, welches immer noch das Loch des Ohrsteckers zeigte, den er sich mit 15 hatte stechen lassen. Zehn Jahre war dies schon her. Die Zeit verging wirklich schnell. Das sein Großvater ihn damals nicht enterbt hatte, wunderte ihn heute noch. Einmal ganz davon abgesehen, dass dieses Loch nie mehr richtig zuwachsen würde, hatte er sich damit mehr oder weniger geoutet. Und das in einem Jungeninternat, in dem es keinen Spielraum für Eskapaden mit dem anderen Geschlecht gab. Man könnte nun meinen, er hätte sich vor Verehrern nicht retten können, doch da viele seiner Mitschüler Spätzünder waren, fiel diesen erst in der letzten Klasse auf, was dieser Ohrstecker zu bedeuten hatte. Doch er hatte zu keinem mehr Kontakt. Eventuell könnte dies auch daran liegen, dass er zur Abschlussfeier seinen Freund mitgebracht hatte und dieser nicht in der selben finanziellen Liga spielte, wie die Herren aus gutem oder einfach nur reichem Hause. Aber was kümmerten ihn diese hochnäsigen Möchtegern-Gentlemen schon? Er hatte damals nicht das beste Abitur gemacht, aber auch nicht das schlechteste und als Freund würde er keinen seiner damaligen Mitschüler bezeichnen. Warum also darüber grübeln?

„Ist irgend etwas?“

„Was...?“

Einwenig verwirrt schreckte er aus seinen Gedanken hoch und sah wieder die Steilwand vor sich. Gleichzeitig spürte er jedoch Blicke auf sich haften und drehte sich mit einem unguten Gefühl um. Seine Augen trafen dabei auf ein Paar Bernsteine, die nüchtern fragend in seine Richtung sahen.

„Sieh nach vorne!“

„Reg dich nicht so auf. Ich achte doch auf die Straße.“

„Nein, tust du nicht und jetzt sieh nach vorne!“

Ein wenig genervt äffte der Schwarzhaarige ihn nach, während er seine Aufmerksamkeit wieder völlig der Straße zu wandte, wo er auch gleich einem Felsen ausweichen musste.

„Pass auf! Da ist ein Felsen.“

„Den habe ich gesehen.“

„Das glaube ich nicht.“

Plötzlich erinnerte sich Ray wieder, warum er sonst immer seinen Verlobten fahren ließ und lieber auf dem Beifahrersitz platz nahm. Der andere war völlig paranoid, wenn er nicht selbst fuhr. An allem hatte er dann etwas auszusetzen und sah angeblich Unfälle voraus, die es nur dank seinem Eingreifen nicht gab. Einige Zeit hörte der Schwarzhaarige sich die ewigen Meckereien noch an, jedoch platzte auch ihm, der er eigentlich immer die Ruhe selbst war, irgendwann der Kragen. Völlig genervt hielt er an und warf dem Blaugrauhaarigem böse Blicke zu.

„Ich weiß nicht ob es dir schon aufgefallen ist, aber im Moment fahre ich. Also würdest du jetzt bitte die Klappe halten?! Ich weiß, was ich tue.“

„Aber du siehst es doch nicht! Du wärst schon längst irgendwo gegen gefahren, wenn ich dich nicht immer warnen würde.“

„Kai, wenn du dich nicht mit sofortiger Wirkung daraus hältst, läufst du die letzten zwei Kilometer! Wenn das hier dein Auto wäre, könnte ich deine Hysterie noch in gewisser Weise nachvollziehen, aber das hier ist ein Leihwagen!“

„Ich bin nicht hysterisch! Du kannst nur nicht richtig autofahren!“

„Raus!“

„Wie bitte?“

Etwas irritiert sah der Russe ihn an. Sein Blick schrie förmlich, was er dachte. Nämlich, dass der andere dies unmöglich ernst meinen konnte. Zu dumm nur, dass auch der stärkste Geduldsfaden irgendwann riss und bei einem sehr stark von seinen Hormonen beeinflussten Neko-Jin konnte dies von einer Sekunde auf die andere passieren.

„Steig sofort aus, oder ich vergesse mich...“

„Das kannst du nicht ernst meinen, wie sieht das denn aus, wenn du da alleine vorfährst und ich zu Fuß hinterher komme?“

„Es ist mir egal wie, dass aussieht. Entweder du hältst jetzt deinen Mund oder du läufst.“

„Okay, weißt du was? Ich werde einfach aus dem Fenster sehen und die Wand anstarren.“

Es behagte dem Russen überhaupt nicht in dieser Situation kleinbei geben zu müssen, allerdings wusste er ebenso gut, dass wenn der Chinese einmal wütend war, man nicht auch noch Öl ins Feuer gießen sollte.
 

Die Spannungen zwischen dem jungen Paar hatten sich zum Glück gelegt, als sie bei dem Haus vorfuhren, in dem Mariah mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebte. Das Grundstück war durch eine hohe Mauer begrenzt und so erstreckte sich außer dem großen Garten hinter dem Gebäude vor diesem noch ein großer Hof, auf dem genug Platz für mehrere Autos war. Alles war in einem altchinesischen Stil gehalten. Fast fühlte man sich 2000 Jahre zurück versetzt. In die Zeit in welcher der Disney Klassiker ‚Mulan’ spielte. Dieses zweistöckige Haus erinnerte auf eine verspielte Art und Weise an das Anwesen von dem aus Mulan ihr Abenteuer startete. Beinahe schien es so, als hätten die Bewohner geahnt, dass soeben Besuch eingetroffen war, denn kaum dass der Motor abgestellt war, öffnete sich die Tür und ein pinker Haarschopf lugte durch den Spalt in den Hof. Nur ein paar Augenblicke später kam die dazugehörige Person auf sie zu, um sie auf das Herzlichtste und nach allen Sitten und Gebräuchen zu begrüßen. Überglücklich schloss sie den Schwarzhaarigen in die Arme, nach dem er ausgestiegen war.

„Es ist so schön, dass es endlich geklappt hat.“

„Ja, geht es dir gut? Und wo ist deine kleine?“

„Kommt erst einmal herein. Sie ist mit meinem Mann im Wohnzimmer.“

Sie packte ihn am Arm und zog ihn ins Haus, wobei man nun nicht klar sagen konnte, ob sie Kai einfach vergessen oder ihn absichtlich ignoriert hatte. Kopfschüttelnd nahm er die Taschen aus dem Kofferraum und hatte die beiden bereits im Flur wieder eingeholt, während sie zielstrebig auf das Wohnzimmer zusteuerten. Auf dem Sofa saß ein schwarzhaariger Mann, der sich mit dem kleinen Kind auf seinem Schoß ein Bilderbuch ansah. Das pinkhaarige Mädchen quietschte vergnügt, als er eine Ziege nachahmte und sie am Bauch kitzelte. Freundlich lächelnd hob er den Kopf und sah den Besuch an.

„Guten Tag.“

Sittlich stand er auf und gab den beiden jungen Männern die Hand, während des Mädchen ganz erstaunt über die Fremden große Augen machte.

„Das ist Zhou, mein geliebter Göttergatte. Und diese kleine Maus hier...“

Die Chinesin nahm das Kind auf den Arm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„...ist Rin. Sag ‚Hallo’ zu deinem Onkel.“

Schüchtern blickte das Mädchen den Neko-Jin an. Ihr war das alles nicht geheuer. Mit großen wässrigen Augen kauerte sie sich an die Schulter ihrer Mutter. Für sie war das der große böse schwarze Mann, auch wenn er lächelte. Umso lauter protestierte sie daher auch, als man sie zu diesem Fremden auf den Arm gab. Schreiend wie eine Sirene zappelte sie in dem zögerlichem Griff umher und wollte zurück zu ihrer Mutter.

„Was hat sie den?“

Ein wenig überfordert, versuchte der Schwarzhaarige das Kind zu beruhigen, doch stattdessen, kam es immer mehr in die Gefahr eines Sturzes auf den Fußboden. Grinsend zupfte Kai ihr an den pinken Zöpfen.

„Sie scheint dich nicht besonders zu mögen.“

„Das ist doch lächerlich. Versuch du doch dein Glück, aber bei dir wird sicherlich noch mehr schreien.“

„Warte so habe ich das nicht gemeint!“

Doch kaum, dass er den Satz beendet hatte, fand er das aufgeregte Kleinkind auf seinem Arm wieder. Das erstaunliche war jedoch, dass Rin begann sich zu beruhigen. Sie war auf einmal ganz still und hielt sich am Hemd des Russen fest. Dieser grinste siegessicher, während er ihr über das Köpfchen streichelte.

„Sie hat eine ausgesprochen gute Menschenkenntnis.“

„Papperlapapp. Sie hat heute einfach einen schlechten Tag.“

Ein wenig pikiert, nahm die Chinesin ihre Tochter wieder auf den Arm und achtete dabei peinlich genau darauf, dass die kleine den Graublauhaarigen nicht sehen konnte. Sie wollte gerade zu einer weiteren Spitze ansetzen, als plötzlich ein leises Pochen und Schaben von der Tür zu hören war. Hereingeschlichen kam etwas, dass man zwar erwartet, jedoch nicht vermutet hätte. Auf vier Pfoten tapste eine rotbraungetigerte Perserkatze über den Boden und strich den Anwesenden um die Beine, bevor sie auf das Sofa sprang und sich dort mit wachsamen Augen einrollte. Ihre blauen Saphire ruhten auf den Menschen, bis sie zähnezeigend gähnte.

„Wer ist das?“

Verwundert wandte der Chinese sich an Mariah, die dem Tier nur einen missbilligenden Blick zuwarf.

„Das ist Mushu, unser Kater. Eigentlich soll er Mäuse fangen, doch er liegt lieber den ganzen Tag auf unseren Sofakissen herum.“

Der Russe lachte hämisch, während er das Tier ansah.

„Er ist so fett, dass er selbst ein Sofakissen sein könnte.“

„Lästere nicht über unsere Katze. Ich muss jetzt in die Küche. Zhou wird euch das Gäste Zimmer zeigen.“
 

Eine halbe Stunde später ließ Kai sich von Zhou den Garten zeigen, während Ray mit Mariah in der Küche saß und ihr dabei zu sah, wie sie das Abend essen machte. Die chinesische Gastfreundschaft verbot es, dass ein Gast bei der Zubereitung der Speisen half, also achtete er derweil auf Rin, welche auf dem Tisch einige Bauklötzchen übereinander stapelte.

„Kommt Lee heute auch zum Essen vorbei.“

„Ähm... Nein. Wenn du ihn sehen willst, dann wirst du wohl oder übel zu ihm gehen müssen.“

„Wieso?“

Die Pinkhaarige drehte sich herum. Es schien ihr sehr unangenehm zu sein, darüber zu sprechen, doch sie antwortete ihm schulterzuckend.

„Er ist allergisch gegen Mushu.“

Er brach in schallendes Gelächter aus, als er dies hörte. Ein Neko-Jin mit einer Katzenhaarallergie? So etwas musste man gesehen haben, um es zu glauben.

„Lach nicht. Das ist wirklich nicht komisch. Außerdem bekommen wir heute trotzdem noch Besuch.“

„Wer denn?“

Sie strahlte ihn an, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes getan hätte.

„Dein Onkel ist aus Frankreich für ein paar Wochen hierher gekommen. Ich habe ihn auch zum Essen eingeladen, ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen.“

Sein Onkel war in China... Natürlich wollte er ihn nach seinen Eltern fragen, doch so bald nun auch wieder nicht. Es war die Angst vor einer Antwort, die er vielleicht nicht hören wollte. Aber so schnell würde sich die Möglichkeit nicht mehr ergeben. Heute Abend. Wenn sein Onkel einlenkte würde er schon heute Abend die Wahrheit erfahren. Darüber wo er her kam... Was er war... Eine innerliche Unruhe ergriff ihn. Wollte er es überhaupt wissen? Verdutzt sah die kleine Rin ihn an, weil er schon seit geraumer Zeit einen ihrer Bauklötze in der Hand hielt und darauf herumdrückte, als könne er das Holzteilchen mit der Hand zerquetschen. Aber seine Hand lies den Klotz plötzlich los, als sich die Tür öffnete und die ‚Herren der Schöpfung’ eintraten.

„... wo wir gerade dabei sind. In Wenquan gibt es eine Tuningwerkstatt. Da sollten wir mal zusammen hingehen. Ich kenne den Besitzer recht gut.“

„Gleich Morgen?“

„Wann du willst.“

„Gut, dann Morgen.“

Gut gelaunt gab der Graublauhaarige ihm einen Kuss und setzte sich zu ihm an den Tisch. Man hätte es nicht für möglich gehalten, doch er verstand sich prächtig mit Zhou. Sie beide teilten eine geheime Leidenschaft für Motorräder.

„Was wolltest du uns eigentlich noch erzählen, was du mir am Telefon nicht sagen konntest?“

„Was...?“

Etwas desorientiert blickte er zu Mariah.

„Du hast doch gesagt, ich soll den guten Pflaumenschnaps kaltstellen. Weshalb?“

„Ach das...“

Verwirrt sah er sie an. Er hatte es völlig vergessen. Warum hatte er überhaupt etwas gesagt? Was sollte er den beiden jetzt nur sagen? Schließlich lächelte er leicht, während er antwortete.

„Kai und ich haben uns verlobt.“

Sie ließ die Stäbchen fallen, die sie in der Hand gehalten hatte. Völlig entgeistert sah sie die beiden Männer an, während ihr Mann durch dieses Verhalten in schallendes Gelächter ausbrach.

„Das ist nicht dein Ernst...“

„Natürlich ist es unser Ernst.“

Besitzergreifend verschränkte der Russe seine Arme auf den Schultern des anderen. Er hatte erwartet, dass Mariah nicht gerade begeistert sein würde, aber sie so aus der Fassung zu sehen, amüsierte ihn nun doch. Immerhin hatte sie nie viel von ihm gehalten und ständig versucht die beiden auseinander zu bringen. Sie nun so resignierend seufzen zu sehen, war eine wahre Augenweide.

„Also schön, ich gebe endgültig auf. Mach doch was du willst. Gibt es vielleicht sonst noch irgend etwas, dass ich wissen sollte?“

„Nein. Nichts.“

Irritiert von dieser Antwort beugte Kai sich vor, um dem Schwarzhaarigen etwas ins Ohr flüstern zu können.

„Warum hast du ihr nichts von dem Baby erzählt?“

Der Neko-Jin legte den Kopf an seinen Hals und schloss die Augen. Er wollte nicht mehr diskutieren und schon gar nicht hier.

„Ich will nicht, dass es noch mehr Leute erfahren, bevor ich mir nicht sicher sein kann, dass ich es nicht vielleicht doch verliere.“

Ein gutes Argument. Ein Argument, dass auch noch den letzten Aufrührer eines jeden Gewissens zum Schweigen brachte.
 

Mittlerweile nahm er sich bereits zum dritten Mal nach und Mariah begann allmählich ihn besorgt zu mustern. Doch er konnte nichts dafür. Es kam ihm vor, als hätte er seit Tagen nichts gegessen, dabei lag seine letzte Mahlzeit erst vier Stunden zurück. Bei seinem momentanem Appetit brauchte er sich scheinbar keinen Sorgen zumachen, dass er ein paar Kilos zunehmen würde, wie Dr. Zhang ihm geraten hatte. Man konnte sagen, dass er sich pudelwohl fühlte. Mit diesem ganzen Essen. Die anderen ließen sich Zeit und warfen ihm immer wieder verwunderte Blicke zu.

„Ray, es ist ja schön zu sehen, dass es dir so sehr schmeckt, aber möchtest du dich nicht an unserem Gespräch beteiligen? Wir haben uns schließlich schon so lange nicht gesehen.“

Sein Onkel lächelte ihn amüsiert an. Doch ihm war dies mehr als peinlich. Mit geröteten Wangen schluckte er den Brocken Hähnchenfleisch hinunter, den er gerade im Mund hatte und tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab.

„Entschuldigt bitte.“

„Ist schon in Ordnung. Du erinnerst mich gerade sehr an deine Mutter. Sie konnte manchmal auch soviel essen.“

Dies zu hören versetzte ihm einen Stich. Mutter... War diese Bezeichnung für die Person, die ihn geboren hatte wirklich eine Lüge? Eigentlich hatte er schon wieder den Mut verloren nach der Wahrheit zu fragen, doch diese Aussage brachte all die Verzweiflung und den Hass vom vor Tag zurück. Er legte die Essstäbchen beiseite und warf seinem Verlobten einen alles sagenden Blick zu.

„Wo wir gerade von ihr sprechen... Gibt es dort irgend etwas, was du mir über sie sagen solltest?“

Mariah und Zhou waren nun endgültig verwirrt. Man musste kein Hellseher sein um zu erraten, dass den Schwarzhaarigen etwas verändert hatte. Erst seine neuerlichen Essgewohnheiten und nun diese seltsame Frage. Er wusste doch alles über seine Mutter, warum erkundigte er sich nun nach Dingen, die er doch eigentlich längst wissen müsste. Und dann diese kühle Betonung. Die Chinesin war sich sicher, dass mit ihrem Freund etwas nicht stimmte.

„Wie kommst du darauf? Alles Wichtige weißt du doch.“

Es war unfassbar. Nicht nur, dass man ihn sein ganzes Leben lang angelogen hatte, nun log sein Onkel ihm auch noch direkt ins Gesicht. Eine verdammte Frechheit war dies, die ihn so wütend machte. So... Dafür gab es einfach keine Worte mehr. In einem Anfall von Raserei fegte er sein Glas vom Tisch, welches klirrend auf dem Boden zerbarst.

„Und was ist mit der Tatsache, dass mir eine Frau unmöglich gewisse Eigenschaften eines Neko-Jins vererben konnte?!“

„Junge, mach dich nicht lächerlich.“

„Ich?! Mich lächerlich machen?! Ich war bei einem Arzt und dieser sagte mir, dass es biologisch unmöglich ist, dass ich von einer Frau geboren wurde! Nun Sag mir endlich, was du verschweigst! Ist es wahr?! Waren meine Eltern beide männlich?!“

Beruhigend wurde ihm eine Hand auf den Arm gelegt. Er wusste, Aufregung war pures Gift für ihn, doch er konnte sich einfach nicht beherrschen. Sein Onkel seufzte.

„Ich weiß nicht, wie dieser Arzt es herausgefunden hat, aber ja, es ist wahr.“

Er konnte es nicht fassen. Es war die Wahrheit. Sein ganzes Leben war eine Lüge. Alles war zerstört. In einem kleinen Augenblick. Auch die letzte Hoffnung, dass Dr. Zhang sich geirrt hatte starb mit den Worten des älteren Mannes. Sollte er nun wütend oder verzweifelt sein? Diese Frage war so kompliziert. Doch eine andere Frage lag ganz klar vor ihm. Wer war er wirklich? Wieso?

„Aber warum habt ihr mich angelogen...?!“

„Wir wollten es dir sagen, allerdings wollten wir auf den richtigen Moment warten.“

Es reichte. Tränen liefen ihm über die Wangen. Er konnte nicht mehr mit diesem Mann in einem Raum sein, der ihn immer angelogen hatte. Zornig und verletzt sprang er auf, so dass sein Stuhl scheppernd zu Boden fiel. Die kleine Rin war so verängstigt, dass sie, schon seit er angefangen hatte zu schreien, herzzerreißend weinte. Die Pinkhaarige versuchte sie zu beruhigen, doch da ihr alter Freund noch immer völlig außer sich war, hatte sie nur wenig Erfolg.

„Ihr hattet 25 Jahre lang Zeit es mir zu sagen! Ich will nichts mehr mit dir oder meiner Tante zu tun haben! Ihr habt mich verraten!“

Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zur Tür. Es machte ihn krank seinen Onkel noch weiter um sich zu haben. War er es etwa nicht wert, dass man ihm die Wahrheit erzählte? Fort. Einfach nurhe raus aus diesem Zimmer. Doch leider kam er nicht weit. Kurz vor der Tür brach er ohne Vorwarnung schreiend zusammen.

„Um Gottes Willen! Ray!“

Der Russe brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um bei ihm zu sein. Vorsichtig richtete er seinen Verlobten einwenig auf, während dieser mit schmerzlich verzerrtem Gesicht vor sich hin wimmerte. Die Hände fest auf seinen Unterleib gepresst.

„Verdammt... Holt sofort einen Arzt!“

„Wieso? Was hat er?“

Beinahe zu Tode erschreckt und sicherlich genauso bleich wie der Schwarzhaarige, kam Mariah auf sie zu und kniete sich neben die beiden. Ihre Hände legten sich auf dessen Wangen. Er hatte verzweifelt zu schluchzen begonnen und klammerte sich in seiner Angst an den Graublauhaarigen. Sie versuchte ihm die Tränen fort zu wischen und ihn dazu zu bringen sie anzusehen.

„Ray, was ist los?“

„Ich verliere mein Baby... Es ist alles meine Schuld... Ich hätte nicht fragen dürfen... Es ist meine Schuld, dass er nie geboren wird... Alles meine Schuld...“

Entsetzt ließ sie ihn wieder los. Er hatte nur geflüstert und dennoch hatte sie ihn verstanden. Sie konnte es nicht glauben. Er war schwanger und hatte ihr nichts gesagt? Doch plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie keine Zeit hatte darüber nach zu denken.

„Zhou...“

Als sie sich umdrehte war er verschwunden. Schnell stand sie daher auf und ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass er schon fast bis zum Haus des Dorfarztes gerannt war. Zumindest hatte er etwas geistesgegenwärtiger gehandelt, als sie selbst. Wie dumm sie doch war. Ihr bester Freund lag dort unten vor Schmerzen und Verzweiflung weinend und sie dachte über die Situation nach anstatt zu handeln.

„Bring ihn ins Gästezimmer. Ich komme gleich nach.“

Sie sah noch aus den Augenwinkeln, wie der Graublauhaarige ihn hochhob, dann war sie schon in der Küche verschwunden und wartete ungeduldig, bis die Schüssel, die sie geholt hatte, mit kaltem Wasser vollgelaufen war. Nachdem sie noch einen Waschlappen besorgt hatte, ging sie zum Gästezimmer. Der andere Besuch war im Moment völlig vergessen. Schon durch die geschlossene Tür hörte sie die verzweifelten Schmerzenslaute und wie der Graublauhaarige versuchte beruhigend auf den anderen einzureden, doch anstatt ruhiger zu werden, schien dieser nur in Hysterie zu verfallen. Sie setzte sich mit der Schüssel neben das Bett. In der Hoffung, dass der kühle Lappen ihn etwas besänftigen konnte, legte sie dem Schwarzhaarigen den nassen Stoff auf die Stirn. Es war nicht mit anzusehen, wie er dort in dem Bett lag. Eine Hand hielt er verkrampft über seinem Bauch, die andere drückte die seines Partners so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Man konnte seine Angst gerade zu spüren. Wo blieb nur der Arzt?
 

Seit einer halben Stunde war der Kerl nun schon da drinnen. Unruhig lief Kai vor der Tür zum Gästezimmer auf und ab. Der Arzt hatte ihn rausgeschmissen, nachdem er den jungen Mann als reines Nervenbündel und nicht hilfreich charakterisiert hatte. Das Wimmern hatte irgendwann nachgelassen, doch noch immer blieb die Tür verschlossen. Was wenn irgend etwas geschehen war? Ihm saß nicht mehr nur die Angst in den Knochen, dass sie ihr Kind verlieren könnten. Was wenn...? Nein. Daran durfte er nicht denken. Zhou, der bis dahin an der Wand gelehnt hatte, legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Davon, dass du hier ewig auf und ab rennst, wird es auch nicht anders. Wolltest du nicht noch seinen Arzt anrufen?“

Zhang. Ja. Er musste ihm bescheid geben. Mit zitternden Händen holte er den Zettel mit dessen Handynummer hervor und wählte. Das Tuten in der Leitung erinnerte ihn an das Piepen eines Herzmonitors. Nein, nicht daran denken.

„Zhang?“

„Guten Abend Doktor. Hier ist Kai Hiwatari.“

„Ich hatte gehofft, dass sie mich nicht anrufen würden. Was ist passiert?“

Es klang so, als ob der Chinese damit gerechnet hätte, wegen Komplikationen kontaktiert zu werden. Ein Umstand, der ihn keinesfalls ruhiger stimmte.

„Ray hatte ein Gespräch mit seinem Onkel. Über seine Herkunft. Er ist dabei sehr in Rage geraten und hatte daraufhin starke Krämpfe im Unterleib. Der Dorfarzt ist jetzt bei ihm, aber ich weiß noch nichts genaues.“

„Ich verstehe, also war Stress der Auslöser. Wenn es noch einmal gut gegangen ist, verabreichen Sie ihm weiterhin die Hormone. Es ist wichtig, dass die Behandlung nicht unterbrochen wird.“

„Ja, in Ordnung.“

„Wie lange bleiben Sie noch in den Bergen?“

„Drei Tage.“

„Gut, kommen Sie wenn Sie zurück sind sofort in meine Praxis. Ich kann Ihnen keinen Termin geben, aber ich werde mir dann die Zeit für Sie nehmen. Und sorgen Sie dafür, dass ihr Mann keine weitere Aufregung hat. Am besten wäre es, wenn er Bettruhe hält und das Haus nicht verlässt.“

„Ja. Ich habe verstanden.“

„Und Kai... Passen Sie gut auf Ihn auf. Er ist mir irgendwie einwenig ans Herz gewachsen.“

„Das werde ich. Auf Wiederhören.“

„Auf Wiederhören.“

Das Gespräch hatte ihm gut getan. Nun kam er sich nicht mehr ganz so nutzlos vor. Doch noch immer blieb das Zimmer verschlossen. Zhou überredete ihn schließlich sich ins Wohnzimmer zu setzen, wo sich noch immer Rays Onkel befand, welcher sich um Rin gekümmert hatte. Das Mädchen schlief nun neben ihm auf dem Sofa. Der Russe wollte ihm irgend etwas an den Kopf werfen, eine Beleidigung oder einen Vorwurf, aber er hatte einfach nicht mehr die Kraft dazu. Stattdessen setzte er sich in einen Sessel und sah den Mann einen Moment lang an, ehe er etwas sagte.

„Wie konnten Sie ihm das antun?“

„Ich habe das alles nicht gewollt. Es tut mir so schrecklich Leid. Vielleicht könnte ich Morgen noch einmal mit ihm sprechen. Es gibt dort noch einige Dinge, die er wissen sollte.“

„Das halte ich für keine Gute Idee. Sie haben genug angerichtet.“

Es war mittlerweile eine ganze Stunde verstrichen, als sich endlich die Tür zum Wohnzimmer öffnete und der Arzt herein trat. Er hatte einen neutralen Gesichtsausdruck, so dass man nicht erahnen konnte, wie es im Moment aussah. Erwartungsvoll stand der Graublauhaarige auf, doch leider sprach der Mediziner kein japanisch, weshalb er auf Zhous Übersetzung warten musste.

„Er sagt, dass Ray jetzt schläft und es ihm und dem Baby den Umständen entsprechend gut geht. Aber er kann nicht garantieren, dass so etwas nicht wieder passieren könnte.“

„Kann ich zu ihm?“

Dieses Warten auf eine Übersetzung machte ihn ganz krank. Warum sprach der Kerl auch nur chinesisch?

„Er sagt, dagegen gibt es keine Einwände, aber du sollst ihn nicht aufwecken und bei ihm sein, wenn er aufwacht, weil er sich dann wahrscheinlich wieder aufregen wird.“

Er dankte dem Arzt und verabschiedete sich. Einige der wenigen Worte, die er auf chinesisch sagen konnte. Auch dem Rest sagte er gute Nacht und ging in das Gästeschlafzimmer. Dort angekommen machte er nur die Nachttischlampe an und zog sich um. Die Spritze hatte er beinahe vergessen, doch es war ihm wieder eingefallen, als er sich gerade zudecken wollte. Missmutig erhob er sich wieder und bereitete alles vor. Dann schob er die Decke des anderen etwas zur Seite. Normalerweise mussten die Hormone in die Hüfte injiziert werden, doch dafür hätte er den jüngeren aufwecken müssen, also verabreichte er ihm das Mittel in den Oberschenkel.

„Entschuldige.“

Leise flüsterte er dieses Wort. Nur um es gesagt zu haben, doch auf dem schlafenden Gesicht des Schwarzhaarigen zeigte sich keine Regung. Vorsichtig kletterte er ins Bett und strich dem Neko-Jin einige zerzauste Strähnen seines Haares aus dem Gesicht. Er war sehr blass und seine Haare scheinen nur noch aus Büscheln zu bestehen. Aber er schlief und ihrem Kind ging es wieder gut. Das war alles was zählte. Der Russe lehnte seinen Kopf an die Schulter des kleineren. Er selbst war auch so unbeschreiblich müde und erleichtert, dass er bald darauf einschlief.
 

Am nächsten Morgen wurde er durch die Sonne geweckt, welche ihm auf penetrante Art und Weise ins Gesicht schien. Verschlafen öffnete er die Augen und drehte sich mehr zu dem warmen Körper neben ihm. Er spürte, wie ihn die langen schwarzen Haare im Gesicht und auf den nackten Armen kitzelten. Der kleinere schlief noch friedlich. Und er würde seinen Schlaf nicht stören. Stattdessen beobachtete er ihn einfach nur eine Weile, einen Arm um dessen Taille gelegt. Er wusste nicht, wie lange er bereits wach gewesen war, als es leise an der Tür klopfte.

„Herein.“

In der Pforte stand Mariah. Sie hatte die Tür nur soweit geöffnet, dass sie den Kopf hindurch stecken konnte. Ein Blick in das Zimmer zeigte ihr jedoch lediglich eine muntere Person, weshalb sie nur mit gesenkter Stimme sprach.

„Guten Morgen. Möchtest du mit uns frühstücken? Ich habe den Tisch schon gedeckt.“

„Nein. Ich warte bis Ray aufwacht.“

Die Pinkhaarige wollte die Tür bereits wieder schließen, als er es sich noch einmal anders überlegte.

„Nein, warte. Ich glaube, ich könnte doch einen Kaffee vertragen.“

Behutsam stand er auf und schlich aus dem Raum. Immer hinter der Chinesin her in die Küche, wo Zhou ihn mit einer dampfenden Tasse empfing.

„Morgen. Hier, das baut dich vielleicht etwas auf.“

Dankend nahm er das dunkle Gebräu entgegen und nippte daran. Aber so wirklich konnte er sich nicht auf etwas konzentrieren. Das Ehepaar redete über etwas, doch er wusste nicht worum es ging, da er nur Wortfetzen mitbekam. Sein Blick hing die ganze Zeit auf der kleinen Rin, welche an einer Schnabeltasse mit Milch nuckelte. Sie war so ein unschuldiges Kind. Wahrscheinlich hatte sie nicht die geringste Ahnung, was hier vorgefallen war. Woher auch? Schließlich war sie erst 13 Monate alt. Ob sie wohl schon laufen konnte? Es schmerzte ihn sehr, über die Kinder anderer Leute nachdenken zu müssen, weil er nicht wusste, ob er jemals ein eigenes in diesem Alter haben würde. Erschreckt fuhr er aus seinen Gedanken hoch. Hatte ihn jemand angesprochen? Zhou trommelte mit den Finger auf der Stuhllehne herum und sah ihm direkt in die Augen. Also hatte er ihn doch angesprochen.

„Geht’s dir gut?“

„Ja. Ja...“

„Natürlich. Du bist ja völlig durch den Wind. Geh wieder zu deinem Schatz, du denkst ja sowieso an nichts anderes.“

„Ja, du hast recht.“

Etwas abwesend drehte er sich zu Tür und flüsterte noch eine Kleinigkeit hinterher, welche die beiden jedoch trotzdem verstanden.

„Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn er aufwacht und ich nicht bei ihm bin.“

Hilflos sah Mariah zu ihrem Mann, als der Russe den Raum verlassen hatte.

„Was sollen wir nur machen?“

„Wir können nichts tun. Das müssen die beiden alleine durchstehen. Es würde nur noch mehr Schaden anrichten, wenn wir ihnen sagen würden, dass alles wieder gut wird und am Ende verlieren sie das Kind doch.“

„Aber dass er mir nichts gesagt hat...“

Gedanken verloren streichelte sie ihrer Tochter über den Kopf. Es war ihr ein Rätsel, warum ihr bester Freund so etwas wichtiges vor ihr verheimlichen wollte.

„Er wird seine Gründe gehabt haben. Du hast deine Schwangerschaft schließlich auch erst im vierten Monat öffentlich gemacht.“

„Ja. Ich sollte nicht gekränkt sein. Hoffentlich passiert so etwas nicht noch einmal. Ich würde es ihm so sehr wünschen.“

Schweigend schloss er seine Frau in die Arme. Sie beide wollten nichts sehnlicher als dem Paar helfen, doch dies lag leider nicht in ihrer Macht.
 

Die Tasse dampfte auf dem Nachttischchen vor sich hin, doch die Wasserschwaden wurden allmählich weniger. Kai saß die ganze Zeit nur da, hielt die Hand seines Partners und sah aus dem Fenster. Was sollte er sagen, wenn dieser aufwachte? Was sagte man jemandem, der beinahe das wichtigste in seinem Leben verloren hätte? Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sich der Druck auf seine Hand verstärkte und er spürte, wie die kühlen Finger zufassten. Nur einen Augenblick später öffnete der Schwarzhaarige die Augen.

„Hi...“

„Wie geht es dir?“

„Gut. Wieso?“

Er versuchte sich aufzurichten, doch seine Glieder schmerzten in einer ungewöhnlichen Weise. Dann erinnerte sich. Wo er war. Was geschehen war. Entsetzt sah er den anderen an.

„Was ist passiert?! Habe ich... ich...“

Das konnte er einfach nicht aussprechen. Das Übel bloß nicht beim Namen nennen. Sanft wurde er aufgerichtet und in den Arm genommen.

„Nein. Es geht dem kleinen wieder gut. Aber du sollst vorerst nicht aufstehen.“

Erleichtert seufzte er auf und konnte sich einige Tränen nicht verkneifen. Am Rande nahm er war, wie eine Hand auf seine Bauch gelegt wurde und behutsam darüber streichelte. Die wohltuende Wärme, welcher der Graublauhaarige ausstrahlte, schien seinen ganzen Körper zu erwärmen. Er ließ den anderen wieder los und lehnte sich gegen den Kopf des Bettes. Dabei bemerkte er dessen traurigen und müden Blick.

„Was ist los?“

„Nichts.“

„Verschweig es nicht vor mir, du solltest dich freuen und stattdessen ziehst du so ein Gesicht.“

„Es ist nichts!“

Gereizt wurde er an geblickt, doch die sich anbahnenden Tränen blieben ihm nicht verborgen, auch wenn der ältere noch dagegen ankämpfte.

„Kai... weinst du?“

„Nein!“

Verzweifelt schlug er die Hände vor die Augen und schluchzte. Er wirkte so schwach. Es war eine Schande. Aber es zu verstecken half nichts mehr. Alles war zu spät. Zögerlich nahm er die Hände von den Augen und zeigte seine Tränen. Ray war ein wenig geschockt von diesem Verhalten. Noch nie hatte er seinen Verlobten so aufgelöst gesehen. Und noch nie hatte er ihn weinen sehen. Zumindest nicht so offen. Er streckte seinen Arm nach dem Russen aus, doch zog er ihn wieder zurück. Wie sollte er jetzt reagieren? So etwas war schließlich noch nie vorgekommen.

„Verdammt noch mal. Ich kann das nicht mehr! Was bin ich nur für ein verdammter Schwächling.“

Erneut verdeckte er sein Gesicht durch seine Hände und die Haare, die ihm in die Stirn fielen.

„Ich bin so erbärmlich, aber ich kann nicht mehr stark sein. Nicht nachdem, was gestern geschehen ist. Nicht wo ich weiß, dass zwischen Leben und Tod nur Minuten liegen können.“

Der Neko-Jin blickte ihn wehleidig an. Schließlich kroch er langsam zu der bebenden Gestalt hinüber und nahm sie in den Arm.

„Du musst nicht für mich stark sein. Es reicht mir, wenn du bei mir bist. Bürde dir nicht diese Last auf, denn du kannst sie nicht tragen.“

„Aber was bin ich für ein Mann, wenn ich dir keine Stütze sein kann, in einer Zeit, in der du jemanden brauchst der dir Halt gibt?“

„Das ist doch gar nicht wahr. Komm her.“

Vorsichtig zog er den älteren auf das Bett und streichelte ihm durchs Haar, während dessen Gesicht sich in den Kissen vergrub.

„Du warst doch bisher immer für mich da. Niemand verlangt von dir, dass du es nicht zeigen darfst, wenn es dir schlecht geht.“

Doch er schien mit seinen Kommunikationsversuchen nur auf Taubeohren zu stoßen. Was konnte er nur sagen, um den anderen zu überzeugen? Gedankenverloren drehte er den silbernen Ring an seinem Finger. Ein plausibles und überzeugendes Argument musste her. Eines, dass der größere auch verstand und anzunehmen bereit war.

„Wenn du mich wirklich heiraten willst, musst du etwas begreifen. In einer Ehe teilt man nicht nur Freud, sondern auch Leid miteinander. Wir können miteinander lachen, aber auch miteinander weinen. Du musst nicht gefasst bleiben, wenn ich traurig bin. Es reicht mir schon, wenn du mich im Arm hältst und ich deine Nähe spüren kann. Was wäre es für eine trostlose Ehe, wenn wir nicht alle unsere Gefühle teilen würden?“

Der Graublauhaarige schwieg. Es schien so, als ob er sich wieder gefangen hätte. Schwach hörte man noch seinen unruhigen Atem, doch ansonsten war er friedlich. Langsam richtete er sich etwas auf und legte seinen Kopf in den Schoß des Chinesen. Dieser fuhr ihm wieder durchs Haar und strich ihm über die feuchten Wangen.

„Stimmst du mir zu?“

Er nickte nur. Eine kleine Geste. Dennoch ausreichend. Es war ein befreiendes Gefühl zu zweit zu sein. Und er genoss es, sich einmal bei dem jüngeren fallen zu lassen. Sein Gedächtnis schien schon gar nicht weit genug zurückzureichen, um sich an den letzten Moment, in dem er sich so gefühlt hatte, zu erinnern.

„Dein Onkel möchte nachher noch einmal mit dir sprechen. Glaubst du, du schaffst das?“

„Es wird schwer werden, aber ich will endlich die Wahrheit wissen. Ich hätte gestern nicht so überreagieren sollen.“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Es war verständlich.“

„Schon, aber ich vergesse zu leicht, dass ich nicht mehr nur auf mich selbst aufpassen muss.“

Etwas verspannt setzte der ältere sich auf, nach dem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten. Was hätte er auch dazu sagen sollen? Sie wussten schließlich beide, was auf dem Spiel stand.

„Möchtest du frühstücken?“

„Ja, gerne.“

Lächelnd schlug der Schwarzhaarige die Decke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett, doch bevor er aufstehen konnte, wurde er zurück gezogen.

„Was habe ich dir vorhin gesagt?“

Mit einiger Verwunderung sah Ray den anderen an. Worauf wollte dieser hinaus? Er kramte in seinem Kopf, doch ihm fiel nichts ein.

„Du sollst doch nicht aufstehen.“

„Aber ich werde doch wohl zum Essen am Tisch sitzen dürfen.“

„Nein. Ich hole uns etwas aus der Küche.“

„Oh, schon wieder. Wird Frühstück im Bett jetzt langsam zur Gewohnheit?“

Er konnte nicht beschreiben, wieso. Aber plötzlich fühlte er sich so wohl und geborgen. Genießerisch kuschelte er sich erneut unter die Bettdecke, während er wartete, dass der andere zurück kam. Es war recht idyllisch, wie sie hier beieinander saßen und sich gegenseitig den Aufstrich vor der Nase wegschnappten. Normalerweise begann der Tag in China mit Reis und Gemüse, doch da Mariah wusste, dass die beiden ein europäisches Frühstück bevorzugten, hatte sie daher Brötchen, Marmelade und Honig besorgt. Wurst war in China schwer zu bekommen und Käse kam der jungen Frau nicht ins Haus, da dieser von vielen Chinesen als giftig angesehen wurde.

„Du hast da was.“

Grinsend sah er den Russen an, welcher nur verwundert zurück blickte. Mit einer lasziven Geste beugte er sich vor und leckte dem anderen ein kleinen Honigklecks aus dem Mundwinkel. Danach lehnte der Schwarzhaarige sich erneut entspannt in die Kissen in seinem Rücken.

„Ist schon weg.“

„Hast du die Kräutertinktur heute schon genommen?“

„Ja. Sonst hätte ich wohl nicht so beherzt zugelangt. Obwohl die Brötchen einwenig noch Pappe schmecken.“

Wehleidig sah der älter ihn an.

„Wir sollten wirklich wieder einmal nach Russland fahren. In Asien gibt es einfach keine anständigen Backwaren.“

„Würdest du nicht lieber in Russland leben? Dann wärst du nicht soweit weg von deinen Freunden.“

Der Neko-Jin stellte sich diese Frage immer wieder. Warum lebten sie eigentlich in Japan? Seine Freunde lebten alle in China und Kais in Russland. Gegenseitig versuchten sie immer den Bekannten des jeweils anderen aus dem Weg zu gehen. Er selbst hielt wirklich nicht viel von den Neo Borgs. Den Kampf bei dieser Weltmeisterschaft, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, hatte er nie vergessen. Zwar war ihm bewusst, dass es keinen Grund mehr gab den Freunden seines Verlobten nicht zu vertrauen, wenn sie sich unter anderen Umständen kennen gelernt hätten, wären sie wohl von allein gute Vertraute geworden, doch trotzdem fühlte er immer ein Unbehagen, wenn er in der Nähe der Russen war.

„Dann wäre vieles anders, aber es wäre auch nicht wirklich besser.“

Er lächelte verschmitzt.

„Ich kann schon kaum noch russisch. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir dort hinziehen würden. Mit meinem japanischen Akzent würde ich mich nur blamieren.“

Ray kicherte leise, als er sich dies vorstellte. Dieser Umstand war auch nicht verwunderlich. Mit wem Sprach der andere denn auch russisch? Es war keine Wunder, dass er seine zweite Muttersprache mit der Zeit verlernte.

„Gut, dann bleiben wir eben in Japan. Aber versprich mir, dass du nicht versuchst unserem Kind russisch beizubringen. Es reicht, wenn sich einer in unserer Familie damit blamiert.“

„Jaja, ist schon gut.“

Beiläufig stellte er das Tablett auf den Nachttisch und kuschelte sich an den Chinesen. Tala oder Bryan hatten nie etwas gesagt, wenn er mit ihnen telefoniert hatte, doch er wusste, dass es nicht an der Verbindung, sondern an seiner Aussprache lag, wenn sie ihn manchmal nicht beim ersten Mal verstanden. Zwar sprachen beide fließend japanisch, doch er selbst wollte sich einfach nicht die Blöße geben und sich mit ihnen in dieser asiatischen Sprache unterhalten.
 


 

Damit sind wir schon wieder am Ende. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ihr erschlagt mich nicht gleich nach diesen Enthüllungen. ^^

Aber wahrscheinlich liest das hier eh keiner mehr.

Ich bitte euch nur, mir bescheid zu geben, wenn ihr weiterhin per ENS benachrichtigt werden wollt, wenn es ein neues Kapitel gibt, denn da die Kapitel Anzahl steigt, wird es auf Dauer richtig nervig alle Kommentare durchzugehen und wirklich alle, die irgendwann mal einen Kommentar geschrieben haben, anzuschreiben.

Und auch wenn ich sogut wie nie einen Kommentar/Danksagung zu den Kommentaren schreibe, lese ich mir doch alle Kommentare durch und das meistens drei oder vier Mal, wenn ich mal wieder nicht weiß, wie ich weiter schreiben soll.
 

MfG

Yami



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jackie20
2009-03-11T21:20:28+00:00 11.03.2009 22:20
hey, wann schreibst du denn weiter
freue mich schon drauf
ist voll interessant
ob ray das kind griegt hoffe ich
also schreib schnell weiter
Von:  Pfefferminze
2009-02-15T21:55:13+00:00 15.02.2009 22:55
Das Kapitel war einfach... genial eigentlich schon wieder.
Kai, wie er Rei behandelt und betüttelt und zudem der Schrecken aller Autofahrer ist.
Rei mit seiner Art... und den Stimmungsschwankungen *grinsel* Selbst als den Rei, den ich so in meinem Kopf hab, ist er andauernd am PMSn *kicha*
Ich mag die Beziehung zwischen den Beiden, gerade in so Momenten wie zum Schluss, wo Kai seinen Zusammenbruch hat. Bei der Aufregung ist es ja eigentlich fast ein Wunder, dass es so lange gedauert hat.
Ich bin mal gespannt, was jetzt noch alles mit Reis 'Mutter' kommt *nods*
Irgendetwas muss ja noch rauskommen, zusätzlich, vor allem aber auch, warum sie Rei nie was erzählt haben.
Jedenfalls, ich mochte auch nie Kapitellänge, schön mal länger als 6 Minuten nen Kapitel zu lesen, sondern mal ne Viertelstunde zu brauchen *extremer schnellleser ist*

*wave*
lg, Ming
Von: abgemeldet
2009-02-15T19:03:25+00:00 15.02.2009 20:03

Schön, dass es weiter geht ^^
Und dann auch gleich so ein herrlich langes Kaptel.
Ich finde das Verhalten der beiden wunderbar autentisch und auch wenn ich bei den Streits manchmal innerlich mit den Augen rolle, kann ich sie verstehen. Kais Führsorge hat schon was für sich und ich finde es irgendwie richtig rührend, dass er auch mal Schwäche scheint. Das zeigt ja nur, wie wichtig ihm die beiden sind~

Mao find' ich allerdings ein bissel begrifftsstutzig, dass sie nicht auf den Grund für Reis Schweigen kommt @__@ Na ja~

Ich bin neugierig, was der Onkel noch zu erzählen hat ö__ö Ich hoffe es ist mal etwas positiveres .__. *seufz* Diese Unsicherheit und Angst zu ertragen muss schwer sein...

Ich würde mich auch über eine ENS zum nächsten Kapitel wieder freuen ^^
Von: abgemeldet
2009-02-14T22:27:16+00:00 14.02.2009 23:27
Hallu, ich hab das Kapitel beim Freischalten entdeckt und war ganz happy mal wieder was zum Lesen zu haben ^^v.
Ich find lange Kappis total toll, mag ich auch lieber als kurze, da kann man sich so richtig schön drin vergraben =).
Tja was soll ich sagen, vielleicht eine kleine Sache vorab - wenn du möchtest könnte ich dir ab dem nächsten Kapitel Betalesen, ich bin da eig recht fit und ich hab n paar Tippfehler gefunden (die ich jetzt mal nicht aufgezählt hab, weil zu faul xD)...
Ich muss erstmal loben, du scheinst richtig gut über die chinesische Kultur bescheid zu wissen/recherchiert zu haben, das sind zwar nur Kleinigkeiten aber ich finde es trägt dazu bei, dass die Geschichte realistischer wirkt, wenn man das bei einer FF überhaupt noch so nennen kann :P.
Auch die Interaktionen mit den Charas finde ich sehr gut, zwar stellst du Ray ab und an etwas zu weiblich dar, aber wenn man seine momentanen Umstände bedenkt ist das schon okay und nachvollziehbar, also nicht irgendwie störend oder so.
Anfangs hab ich ja fast damit gerechnet, dass die Beiden einen Unfall bauen, bei der haarsträubenden Fahrweise, aber das wäre dann wohl doch ZU viel Drama gewesen *lach*.
Auch interessant, dass unser lieber Kai mal Gefühle gezeigt habe, man hat ja sonst nie so wirklich bei ihm gemerkt, dass ihn das ähnlich mitnimmt wie Ray...
Naja, wie auch immer, ich freu mich aufjedenfall auf das nächste Kapitel und wegen dem Betalesen, wenn du das möchtest, dann meld dich einfach bei mir, ich mach sowas gerne ^^v

Liebe Grüße, Katze


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