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Der Gaukler

von

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Kommt schnell, seht her!

Das ewige Rauschen der Gaststätten von Paris war in weiter Ferne zu hören, als dumpfe Schritte sich in einer kleinen Seitengasse verirrten und langsamer wurden, als ihre Besitzer sich unbeobachtet fühlten. „Was machen wir nun mit diesem Kind?“ „Leg es einfach hier hin! Entweder es stirbt oder jemand findet es, es hat uns nichts mehr zu kümmern.“ Zögernde Bewegungen waren es, die die Frau voran schreiten ließen. Doch letztlich gab sie nach und bettete ihr gerade geborenes Kind in eine alte Holzkiste, die achtlos in der Ecke lag und verschwand so schnell sie konnte mit ihrem Mann.
 

Nein, noch nicht ganz, denn sie konnte nicht davon ablassen, noch einmal zu ihr zu gehen und ihr einen Zettel auf die Brust zu legen, den sie zuvor mit den spärlichen Worten, die sie zu schreiben in der Lage gewesen war, verfasst hatte, sollte jemand den Säugling finden. Lange konnte sie nicht mehr verweilen, um Abschied zu nehmen. Der Mann, ob nun ein Geliebter oder ihr Mann oder dergleichen, kam zurück und packte sie grob am Oberarm, um sie gleich darauf gewaltsam hinter sich her zu ziehen. Schreiend und flehend streckte sie den Arm nach ihrem Kind aus, scheinbar aber ohne wirkliche Worte von sich zu geben. Ungeduldig warf ihr der Mann die Hand vor den Mund und presste so jeden Laut zurück in ihren Körper. Unachtsam, ob sie sich verletzen konnte oder nicht, ging er mit ihr weiter.
 

Gleichen Ortes verirrte sich zum selben Zeitpunkt ein junger Mann in einer nahe gelegenen Seitengasse, in der eine unauffällige Wirtschaft aufzufinden war, in der er sich eine Unterkunft für die Nacht erhoffte. Er hatte den ganzen Tag Geschichten erzählt und gesungen und getanzt, um sich nun mit seinem hart erarbeiteten Geld in etwas anderes als das dreckige Heu eines Kuhstalls niederlassen zu können. Doch dieses Glück sollte ihm vergönnt werden, als ihn ein kleiner Junge anrempelte und ihm seine Tasche entriss. Tobend verfolgte der Mann den Jungen eine Weile, dann wurde er müde und wandte sich seufzend um. Und dann fing es an zu regnen. Der junge Mann blickte starr geradeaus und dachte über sein jetziges Dasein nach. Wie viel Unglück konnte wohl einem einzigen Menschen in einem bisher kurzen Leben und an einem ebenso bisweilen kurzen Tag widerfahren? Er sollte es nicht fassen, doch es kam schlimmer und schlimmer. Denn je tiefer er auf der Suche nach einem trockenen Platz war, umso mehr spürte er, wie sehr sein Hass auf diesen Jungen stieg, der ihm sein Geld und sein weniges Hab und Gut entwendet hatte und der sich wahrscheinlich gerade in ein warmes Bett kuschelte, das er mit dem Diebesgut bezahlt hatte. Und je tiefer er auch voran schritt, umso mehr wurde er vom Regen durchnässt; umso mehr begann er wieder die Leere in seinem Magen zu spüren; umso mehr begann er zu frieren und zu ermüden. Nach einigen weiteren, endlos erscheinenden Minuten erschlafften seine müden Muskeln und er sank zu Boden und schlief bald darauf ein.
 

Der nächste Morgen brach früher an, als es dem jungen Mann lieb gewesen wäre. „Hey!“ Er wurde grob in die Seite getreten und aufgefordert, aufzustehen. Das Erste, was er an diesem Tag erblicken sollte, war nicht das freundliche Gesicht eines lieben Menschen, sondern das eher zornige eines Wachmanns. Der Junge befürchtete bereits das Schlimmste. Man würde ihn festnehmen, ihn unter Arrest stellen, bis er alt und grau war oder bis er in der Zelle verfault war. Doch nichts dergleichen. Der Wachposten, der wohl seine morgendliche Patrouille abhielt, deutete auf etwas neben dem Mann und fragte nur mürrisch „Bring es endlich zum Schweigen!“.
 

Verwundert drehte sich der Angesprochene zur Seite und erlitt einen tiefen Schreck, als er dort zwischen einigen Holzlatten einen Säugling sah, der, wie er erst jetzt merkte, als er langsam seinen wachen Zustand erreichte, bitterlich schrie. Doch es blieb bei einem Zögern. Mehr war der Junge nicht in der Lage zu tun. Er war zu erschrocken und vielleicht auch zu hilflos mit seinem jungen Alter, um zu wissen, wie er das Kind behandeln sollte. Der Wachmann schien von dieser Reaktion genervt und wies ihn erneut an, das winzige Bündel dort ruhig zu stellen. „Es ist doch deines, oder?“ Der junge Mann überlegte kurz, dann nickte er zögerlich und hob das Kind auf seine Arme. Mit einem leichten Hin- und Herwiegen von selbigem, gelang es ihm, es zumindest etwas weniger schreien zu lassen. Der Wachmann schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas vor sich her, ehe er weiterging und gänzlich zu ignorieren schien, dass streunende Menschen festgenommen werden sollten.
 

Der Junge nahm dies aber als Gelegenheit war, stand auf und versuchte so schnell wie möglich das Weite zu suchen, ehe es sich der Posten anders überlegen konnte. Dabei spürte er aber schnell, wie seine erschöpften Muskeln und Knochen schmerzten und ihm das Rennen kaum machbar erschien, er sich also mit einem schnellen Gehen befriedigen musste. Es würde reichen, um aus dem Blickfeld von Gefahren zu gelangen. Und das musste er. Er musste sich in seine Schatten zurückziehen, aus denen er am Vorabend gekommen war. Es gab jetzt, an diesem Morgen nur eine Möglichkeit, nur einen einzigen Ort, wo er sich verstecken konnte: Der Hof der Wunder.



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