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Santa ... Seto?

Eine schöne Bescherung
von

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Von Erinnerungen und zu heißem Kaffee

Kapitel 1

Von Erinnerungen und zu heißem Kaffee
 

Der Wagen hielt und Roland, der gefahren war, stieg aus. Seto musterte mit einem für jeden anderen Menschen unverständlichen Interesse das Stoffmuster der Kopfstütze des Sitzes vor ihm. Auf der Fahrt hatte er sich wohl mehr als tausend Mal gefragt, ob das, was sie vorhatten – oder eher, was Mokuba da vorhatte – nötig war. Bisher hatte es stets ausgereicht, jemanden damit zu beauftragen und sein kleiner Bruder hatte sich nie über diese Vorgehensweise beklagt. Seit einigen Wochen jedoch lag er ihm mit diesem abstrusen Wunsch in den Ohren, mit Sicherheit darauf spekulierend, dass er früher oder später nachgeben würde. Wie immer.

Dennoch hätte er zu gern gewusst, wer Mokuba auf diese Schnapsidee gebracht hatte. Einen Verdacht hatte er zumindest, denn ihm klang dieses Friede-Freude-Eierkuchen-Gehabe sehr nach Yugi und seiner Clique. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sich Mokuba ausgerechnet mit seinem größten Rivalen anfreunden musste, dem Einzigen, der ihm den Titel „König der Spiele“ verweigerte.

„Seto“, sagte Mokuba und blickte ihn fragend an. „Großer Bruder?“

Die Stimme des Elfjährigen riss ihn aus seinen Überlegungen heraus. Er nickte ihm zu.

„Alles okay.“

Roland öffnete mit einer leichten Verbeugung die rechte Hintertür der Limousine und ließ die Kaiba-Brüder aussteigen. Außerhalb der behaglichen Wärme des Wagens empfing sie ein schneidender, eiskalter Wind, gegen den sie selbst ihre warmen Mäntel nicht vollkommen zu schützen vermochten. Vor ihnen erhob sich ein großes, graues Gebäude. Die Bäume, die auf dem Hof standen, hatten ihr Laub längst abgeworfen, immerhin war heute der 24. Dezember. Der Wind zerrte an den kahlen Ästen, rüttelte an den Schaukeln und Spielgeräten, die nun einsam und verlassen dort standen.

Seto fröstelte leicht bei Anblick des Gebäudes. Es war Jahre her, seit er zuletzt hier gewesen war. Jahre waren vergangen, seitdem Gozaburo Kaiba im Kinderheim aufgetaucht war und Seto ihn zu einer Partie Schach herausgefordert hatte. Ihn, den großen Schachweltmeister. Und er hatte ihr Spiel gewonnen. Gozaburo hatte sein Versprechen einlösen und ihn und Mokuba adoptieren müssen. An jenem Tag hatte sich sein Leben für immer verändert, seine Kindheit hatte mit einem Schlag aufgehört. Von diesem Zeitpunkt an hatten Lernen und die strengen Pläne seines Adoptivvaters sein Leben bestimmt. Hätte er nicht seine Duel Monsters-Karten gehabt, hätte er nicht vor allem gewusst, dass er das alles für Mokuba auf sich nahm, hätte er diese Zeit nie durchgehalten. So jedoch hatte sie ihn stärker gemacht, stark genug für den Augenblick, an dem er Gozaburo gegenübergetreten war und ihm verkündet hatte, dass die Kaiba Corp nun ihm, Seto, gehöre.

Ja, seither war viel Wasser die Bäche und Flüsse entlang zum Meer geflossen und doch stand ihm jenes schicksalhafte Treffen von damals so deutlich vor Augen, als wäre es erst gestern geschehen. Ebenso erinnerte er sich an seine letzten Worte, die er geflüstert hatte, bevor die Tür von Gozaburos Limousine hinter ihm zugeschlagen war: Er hatte sich geschworen, dieses Waisenhaus nie mehr zu betreten. Nun allerdings war er im Begriff, eben diesen Schwur seinem Bruder zuliebe zu brechen. Für niemand sonst auf der Welt hätte er das getan.

Roland hob mit ein paar ächzenden Lauten den riesigen Sack aus dem Kofferraum und stellte ihn auf der asphaltierten Straße ab. Er war mit einer dicken roten Kordel zugeschnürt und bis oben gefüllt. Roland rieb sich verstohlen den Rücken, wie Seto unzufrieden bemerkte. Anscheinend hatte Mokuba bei der Auswahl der Sachen kein Ende finden können und wenn sich Roland deshalb ein Rückenleiden zuzog ... Das Gericht würde das mit hoher Wahrscheinlichkeit als Arbeitsunfall anerkennen und er würde die Kosten für die Massagen und anderen Behandlungen tragen dürfen, die sein Angestellter dann von diesen Quacksalbern, die sich Ärzte nannten, verschrieben bekam. Ein paar Päckchen weniger hätten es auch getan, der Sack sah schwer aus.

Auf Mokubas Gesicht lag, sehr zu Setos Unverständnis, ein fröhliches Lächeln. Wie konnte er sich nur freuen, wieder hier zu sein, auch wenn es nicht mehr als ein kurzer Besuch war? Besonders während er sich danach sehnte, sich mit einer Tasse frisch gebrühtem Kaffee in sein Büro zurückzuziehen und in Ruhe arbeiten zu können. Es gab Tage, da verstand er den Kleinen einfach nicht mehr. Wie sollte das erst werden, wenn er richtig in die Pubertät kam?

„Also, bringen wir es hinter uns“, sagte Seto und zog den Kragen seines Mantels enger um seinen Hals, um sich vor dem an Intensität zunehmenden Wind zu schützen.

Roland wuchtete den Sack auf seinen Rücken. Seine Beine knickten unter dem Gewicht ein und er musste einige Schritte hin und her stolpern, um das Gleichgewicht zu finden. Dann machten sie sich zu dritt auf den Weg über den Hof. Mokuba lief vor und betätigte die Klingel. Der schrille Ton war im ganzen Gebäude zu hören.

Der Direktor, ein rundlicher kleiner Mann mit allmählich ergrauendem Haar und Schnurrbart, öffnete ihnen persönlich die Tür.

„Guten Abend, Kaiba-sama. Wir freuen uns sehr, Sie bei uns begrüßen zu dürfen“, sagte er mit einer Verbeugung.

Seto quittierte seine Worte mit einem Kopfnicken. Wie immer waren seine Bewegungen knapp, auf das nötigste Maß reduziert. Nur das Verhalten von Direktor Kazuoka ihm gegenüber hatte sich verändert, und das nicht gerade wenig. Damals hatte er ihn behandelt ... ja, wie ein Kind eben. Nichts anderes war er damals auch gewesen. Heute hingegen war sein Verhalten so förmlich, um nicht zu sagen devot, als hätte sich der Kaiser persönlich die Ehre gegeben, im Waisenhaus vorbeizuschauen.

Er trat zur Seite und ließ die drei Gäste herein. Seto ließ den Blick kurz durch die Eingangshalle schweifen. Es schien sich nichts verändert zu haben. Die Wände waren cremefarben gestrichen, an der Decke hingen die gleichen Lampen wie früher. Selbst der Geruch hat-te sich nicht verändert, warm, manchmal etwas stickig.

Er hätte wetten können, dass auch die Stufe der Treppe immer noch knarrte und den Kindern, die sich abends in die Küche schlichen, um noch etwas Essen zu stibitzen, so ihre Probleme bereitete.

Die Wände des Flurs, durch den sie der Direktor führte, waren mit Girlanden, aus buntem Papier gebastelten Sternen und Bildern geschmückt, die die Kinder gemalt hatten. Passend zur Weihnachtszeit zeigten die meisten Weihnachtsbäume, die Kinder mit dem Weihnachtsmann oder – und diesen Wunsch teilten sicher alle Bewohner des Waisenhauses – Eltern, die sie adoptierten.

Als der Direktor die Flügeltüren öffnete, die zum Speisesaal führten, schlug ihnen nicht nur eine gewaltige Wärmewelle entgegen, dass ihnen in den dicken Mänteln nach dem Kälteschauer draußen nun richtig heiß wurde, sondern auch ein unbeschreiblicher Lärm. Die Kinder schrien und redeten wild durcheinander und schienen die Besucher noch gar nicht bemerkt zu haben. Der Direktor klatschte laut in die Hände. Seine dröhnende Bassstimme übertönte den Krach im Saal.

„Kinder, bitte seid ruhig und stellt euch auf. Unser Besuch ist da.“

Sechsunddreißig Köpfe wandten sich der Tür zu und ihre Besitzer verstummten. Dann setzte unter einigen ein kurzes Flüstern ein.

„Das ist Kaiba-sama.“

„Er ist es wirklich.“

„Sie haben uns nicht angelogen, ich hab dir doch gesagt, dass er heute kommt.“

Eine der jungen Erzieherinnen räusperte sich vernehmlich. Es wurde wieder ruhig und die Kinder stellten sich in mehreren Reihen hintereinander auf. Alle hatten ihre besten Kleider angezogen. Auf ein Zeichen der Erzieherin hin sagten sie gemeinsam:

„Wir heißen Sie herzlich willkommen bei uns, Kaiba-sama, und wünschen Ihnen frohe Weihnachten!“

„Das wünschen wir euch auch“, sagte Mokuba.

Seto spürte einen Finger in seiner Seite bohren und sah sich dazu genötigt, ein „Ja, genau“ hinzuzufügen, wobei die Worte nicht so ganz zu seinem etwas grimmigen Gesicht passen wollten.

Er wünschte sich nichts sehnlicher, als diesen lästigen Pflichttermin, zu dem ihn Mokuba gedrängt hatte, endlich hinter sich zu haben. Er hatte immerhin einen weltweit operierenden Konzern zu leiten, so etwas machte sich nicht von allein. Mokuba wusste ganz genau, wie viel Arbeit damit zusammenhing.

Die Frau des Direktors setzte sich an das Klavier und schlug die ersten Takte von „Alle Jahre wieder“ an. Die Kinder, Mokuba und die Erwachsenen stimmten in das Lied ein. Um nicht weiter aufzufallen, bewegte Seto die Lippen, jedoch ohne dass ihnen ein Ton entschlüpfte. Er nutzte die Zeit, um den Speisesaal einer näheren, kritischen Betrachtung zu unterziehen. Auch hier waren überall diese kitschig bunten Girlanden aufgehängt, dazwischen baumelten große Glocken. Die Tische waren mit Tannenzapfen, Kiefernzweigen und roten Kerzen geschmückt.

Es hat sich nichts verändert, dachte Seto. Außer meiner Einstellung zu diesem Kram.

Er konnte sich kaum vorstellen, dass er einmal selbst zu diesen Kindern gehört hatte, die diese geschmacklose Dekoration als schön betrachteten. Oder richteten sich die Augen bereits auf den prall gefüllten Geschenksack, den Roland neben dem Weihnachtsbaum abgestellt hatte? Es hätte ihn nicht weiter gewundert. Wenn er da an Mokuba dachte ...

An Heiligabend fragte er ihm Löcher in den Bauch, wann endlich Bescherung sei, obwohl er genau wusste, dass es die Geschenke erst am nächsten Morgen gab. Wenn er dann herunterkam, saß sein Bruder bereits unter dem Weihnachtsbaum und war mit dem Geschenke-Auspacken beschäftigt. Spätestens wenn er sich diesen zuwandte, um sie auszuprobieren, nahm er Seto für den Rest des Tages kaum noch wahr. Er stellte seinen Laptop dann im Wohnzimmer auf, um ihn im Auge behalten zu können. Trotzdem musste er sagen, dass sie Weihnachten in den letzten paar Jahren immer getrennt verbracht hatten, obwohl sie sich sogar im gleichen Raum befunden hatten.

Weihnachten ... für Mokuba war es ganz offensichtlich das Fest der Geschenke. Für ihn hingegen waren es Arbeitstage, nur mit dem kleinen Unterschied, dass er zu Hause und nicht in der Firma seine Arbeit erledigte. Gerade um die Feiertage herum gab es am meisten zu tun. Der Verkauf lief auf Hochtouren und die von der Kaiba Corp produzierten Duel Disks, Stofftiere und vielen anderen Dinge, die zu ihrer Produktpalette gehörten, ließen die Kassen mehr klingeln aus sämtliche Weihnachtsglocken zusammen. Die Nachfrage war derzeitig so groß, dass es teilweise sogar zu Lieferschwierigkeiten gekommen war und man die Preise etwas hatte anziehen können. Auf diese Weise hatte er es innerhalb weniger Tage geschafft, die Kosten für die Geschenke, die an das Waisenhaus gingen, und die Weihnachtsfeier seiner Firma doppelt und dreifach wieder reinzukriegen.

Er bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass das Lied zu Ende ging und schloss den Mund, um nicht wie ein Fisch auszusehen, der an Land lag und nach Luft schnappte.
 

Ihm stieg der Geruch von Zimtsternen in die Nase, die auf großen sternförmigen Papptellern auf den Tischen aufgehäuft waren. Hoffentlich erwartete der Direktor nicht von ihnen, so lange zu bleiben, um mit ihnen Kaffee zu trinken. So etwas hätte ihm gerade noch gefehlt. Seto hatte damit gerechnet, dass sie nur die Geschenke ablieferten und dann nach Hause fahren würden. Von mehr war in den Gesprächen zwischen den beiden Brüdern nie die Rede gewesen. Wenn Mokuba ihn jetzt ausgetrickst hatte ... immerhin war er für sein Alter sehr klug. Wenn er später richtig in die Firma mit einstieg, würden ihm seine Fähigkeiten zugute kommen, er würde einmal keine Probleme bei den Verhandlungen mit Geschäftspartnern haben. Was ihm nicht an der Sache passte, war, dass er für seinen Bruder als Versuchskaninchen herhalten musste. Obwohl man in Setos Fall wohl eher von einem Versuchsdrachen sprechen konnte.

Oder lasse ich mich da zu sehr auf Spekulationen ein?, überlegte er, wobei ihm einfiel, dass er auf dem besten Wege war, eine seiner wichtigsten Grundregeln zu vergessen: Halte dich stets an die harten Fakten. Er konnte keine Dinge in Mokubas Verhalten hineininterpretieren, die gar nicht da waren.

„Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Kaiba-sama?“

Seto blickte die junge Erzieherin leicht irritiert an, fing sich jedoch rasch. Ein Kaiba ließ sich nicht irritieren, von nichts und niemandem.

„Nein danke, wir werden nicht sehr lange bleiben.“

„Oh, das ist schade. Wir hatten gehofft, Sie würden noch eine Weile bleiben und den Kindern ihre Geschenke geben.“

Trage ich einen roten Mantel oder einen langen weißen Bart? Wohne ich seit Neuestem am Nordpol?, fragte er sich und hatte Mühe, sie angesichts ihrer Worte nicht anzuschreien. Der Blick, der die Erzieherin stattdessen traf, war vernichtender als Worte es hätten sein können.

„Hey, das ist eine tolle Idee“, klang es da aus einer Ecke und Seto wünschte sich heute nicht zum ersten Mal, sich verhört zu haben. Mokuba, umringt von den anderen Kindern, blickte seinen Bruder an.

„Mir fehlt die Zeit für so etwas.“

„Die halbe Stunde hast du sicher noch Zeit. Immerhin ist Weihnachten“, versuchte er es weiter.

Hartnäckigkeit, noch so eine Eigenschaft, die er mit seinem Bruder teilte.

„Mokuba, wir müssen wirklich –“

„Herr Direktor, haben Sie etwas dagegen, wenn wir unsere Geschenke schon jetzt verteilen?“, wandte sich der Junge dem Mann zu.

Dessen zustimmendes Nicken kam für Seto in dieser Sekunde einem Todesurteil gleich. Jetzt saß er noch länger hier fest. Er nahm sich vor, Mokuba für den nächsten Monat kräftig das Taschengeld zu kürzen. Und wenn er grad dabei war, konnte er Roland auch gleich das Gehalt stutzen, denn dieser machte sich an der Kordel des Sacks zu schaffen. Mokuba half ihm, den dicken Knoten zu entwirren, die Kinder drängten sich um sie und die Erwachsenen sahen nicht so aus, als wollten sie etwas dagegen unternehmen.

Mokubas Hände tauchten in den Sack und zogen das erste, in buntes Papier gewickelte Geschenk heraus, das er einem kleinen Jungen überreichte. Während dieser zwischen den Kindern hindurchtauchte, um sich eine ruhige Ecke zum Auspacken seines Geschenks zu suchen, hatte Mokuba seine Arbeit wieder aufgenommen und beförderte die nächsten Päckchen zutage, die ihm augenblicklich aus der Hand genommen wurden. Seto beobachtete sie eine Weile. Der Sack leerte sich schnell, selbst das kleinste Päckchen wurde herausgefischt.

Mokuba schien diese Aufgabe richtig Spaß zu machen. Die Strenge im Gesicht des jungen Firmenchefs milderte sich ein wenig. Er sah es lieber, wenn sein Bruder lachte und seine Kindheit genoss, denn in wenigen Jahren würde sie vorbei sein und auch für ihn der Ernst des Lebens anfangen.

Er spürte, wie jemand an seinem Mantel zog, den er trotz der Wärme im Saal nicht abgelegt hatte, schließlich hatte er keinen längeren Aufenthalt hier eingeplant. Er sah um sich, konnte jedoch niemanden entdecken. Erneut wurde an dem teuren Mantelstoff gezogen und sein Blick senkte sich verärgert nach unten, um endlich den Grund für diese Störung auszumachen.

Neben ihm stand ein etwa sechsjähriges Mädchen, dessen lange dunkelbraune Haare zu dicken Zöpfen geflochten waren. Sie schaute ihn aus großen, braunen Augen an und das mit einem Blick ... Joey hatte doch nur eine Schwester, oder? Mit diesen Hundeaugen hätte sie ihm gut Konkurrenz machen können.

„Was willst du?“, fragte er. „Für die Geschenke ist Mokuba zuständig.“

„Ich weiß, mein Geschenk habe ich schon“, erwiderte sie und hielt

ihre neue Schwarzes-Magiermädchen-Puppe hoch. „Vielen Dank, Kaiba-sama. Und fröhliche Weihnachten. Bitte, nehmen Sie das, das habe ich für Sie gemacht.“

Sie hielt ihm ein in der Mitte gefaltetes Blatt Papier entgegen. Er nahm es ihr aus der Hand, auch wenn er nicht so recht wusste, was er damit anfangen sollte.

„Akiko, sieh mal, was ich gekriegt habe!“, rief ein Junge, der gerade die letzten Papierreste von einem Plüschtier entfernte, das wie der Weiße Drache aussah.

„Ich komme, Shinji!“, sagte Akiko, ließ Seto stehen und lief zu ihrem Freund. „Lässt du mein Magiermädchen auf dem Drachen reiten?“

Seto wandte sich von ihnen ab. Es kam ihm eigenartig vor, die beiden Monster miteinander spielen zu lassen; wenn sie auf dem Duellfeld waren, bekämpften sie sich immer. Sein Blick schweifte ein weiteres Mal durch den Raum. Die Kinder hatten sich mit ihren neuen Spielsachen überallhin verteilt. Mokuba half Roland dabei, den Sack zusammenzulegen. Es war kaum zu glauben, dass er bis vor kurzem noch all diese Sachen enthalten hatte, die nun für so viel Lärm sorgten.

Setos Hand fuhr an seinen Kopf. Mokuba konnte, wenn er wollte, genug Krach für sechs machen, aber eine ganze Horde Kinder ... Das war schwerer zu ertragen als ein großer Aktieneinbruch an der Börse. Hinter seiner hohen Stirn machte sich ein leises Pochen breit. Kopfschmerzen hatten ihm jetzt gerade noch gefehlt.

„Achtung bitte. Vorsicht!“, rief da jemand hinter ihm.

Seto sah auf und drehte sich mit dem Oberkörper in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Da spürte er etwas Heißes, Nasses an seinem Arm und seiner Brust. Was ihn getroffen hatte, konnte er sagen, ohne hinzuschauen. Den Geruch kannte er nur zu gut, wehte er doch tagtäglich durch sein Büro. Als er an sich heruntersah, um sich das Ganze anzusehen, konnte er jedoch nur mit Mühe einen zornigen Schrei unterdrücken.

Sein ehemals sauberer weißer Mantel schmückte sich mit einem riesigen dunkelbraunen Fleck, der auch die Ärmel in Mitleidenschaft gezogen hatte. Er mochte Kaffee ja wirklich sehr gern und nach einer langen, durchgearbeiteten Nacht mochte er für ihn hin und wieder so etwas wie ein Lebenselixier sein, doch drin baden wollte er sicher nicht.

Sein Blick und damit seine gesamte noch nicht ausgesprochene Wut richteten sich auf ein siebzehnjähriges, braunhaariges Mädchen, das vor ihm auf dem Boden hockte. Die leere Kaffeekanne in ihrer Hand zeigte ihm mehr als deutlich, dass sie dafür verantwortlich war, dass er wie eine ganze Kaffeeplantage roch.

Schon lag ihm ein „Sie sind gefeuert!“, auf der Zunge, als er sich daran erinnerte, dass sie ja überhaupt nicht für ihn arbeitete. Stattdessen zischte er: „Wie kannst du es wagen!“

Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, dass sie zu zittern begann.
 

Mokuba hatte sich gerade ein Plätzchen genommen, als er den Wutschrei seines Bruders hörte. Dieser sah für ihn jedoch momentan verdächtig nach einem sehr gereizten Stier aus, der jeden Augenblick losrennen und das Mädchen auf seine Hörner nehmen würde. Bei seinen Mänteln verstand er keinen Spaß. Jeder war ein Einzelstück und hatte nicht unbedingt wenig gekostet. Diese Kaffeeattacke musste ihm wie ein Sakrileg vorkommen.

Mokuba ließ das Plätzchen auf den Teller zurückfallen und war mit wenigen Schritten bei seinem Bruder, der sich vor dem Mädchen aufgebaut hatte, die Arme in die Seiten gestemmt und mit einem Gesichtsausdruck, als stünde ihr das Jüngste Gericht bevor. Mit dieser Vermutung lag er wahrscheinlich noch nicht einmal so daneben – und Seto hatte den Vorsitz.

„Seto, ich glaube, wir sollten gehen“, äußerte er vorsichtig und tippte ihn an.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, was dieser Mantel gekostet hat?“, setzte Seto seine Schimpftirade fort. „Für den hab ich ein kleines Vermögen hingeblättert.“

„Seto!“, kam es nun eindringlicher von Mokuba. „Bitte lass uns gehen.“

Die Frau des Direktors eilte zu ihnen, einen Stapel Weihnachtsservietten mit Sternendruck in der Hand, mit denen sie versuchte, den entstandenen Schaden zu beheben.

„Bitte verzeihen Sie ihr, Kaiba-sama, Sakura ist manchmal sehr ungeschickt.“

Dann wandte sie sich an das Mädchen, das Gesicht krebsrot vor Aufregung, dass sie kaum noch einen richtigen Satz zustande brachte.

„Marsch ... dein Zimmer – kein Abendbrot.“

Sakura stellte die Kanne auf einem Tisch ab und verließ den Saal. Setos Augen folgten ihr bis zur Tür. Im Raum war es leise geworden, so dass sie jeden ihrer Schritte durch den Flur und die Treppe herauf hören konnten. Eine der Stufen gab ein knarrendes Geräusch von sich. Dann schlug eine Tür zu und es herrschte Ruhe.

Seine Hand ballte sich und zerknitterte das Papier, das ihm Akiko geschenkt hatte. Er fegte die Hand von Frau Kazuoka, die immer noch mit den Servietten an ihm herumtupfte, unwirsch zur Seite. Das Papier entglitt seinen Fingern, flog durch die Luft und landete unter einem der Tische.

„Lassen Sie das. Mokuba, wir gehen, auf der Stelle.“

Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Seto voraus, gingen er, Mokuba und Roland im Sturmschritt durch den Saal. Herr Kazuoka folgte ihnen, wobei er ununterbrochen Entschuldigungen und Bitten um Verständnis murmelte.

„Sie werden von meinen Anwälten hören“, sagte Seto noch, bevor er durch die Haustür ging. „Ich verlange Schadenersatz.“

Der Direktor schluckte schwer. Die drei marschierten zur Limousine zurück. Roland bekam kaum so schnell die Hintertür auf, wie sein Chef bei ihm war und in das Wageninnere drängte. Mokuba warf einen letzten Blick auf das Haus, dann stieg auch er ein, eine verkniffene Miene zur Schau tragend. Sein schöner Plan, in wochenlanger Kleinarbeit erstellt, war durch dieses verdammte Ereignis zunichte gemacht worden.

Seto war immer noch sauer, als sie nach Hause kamen. Er zog den Mantel aus, kaum dass sie durch die Tür gekommen waren. Das nun weiß-braun gefleckte Kleidungsstück segelte zu Boden wie eine Fahne. Roland hob es auf und betrachtete es stirnrunzelnd. Das sah nicht danach aus, als würde er heute pünktlich Feierabend machen können. Er musste zumindest versuchen, die Flecken zu entfernen, solange sie noch frisch waren. Ansonsten würde sich eine Reinigung mit dem empfindlichen Material beschäftigen müssen. Sein Chef stapfte die Treppen hinauf, kurz später konnte man hören, wie er die Tür seines Büros zuknallte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Zerberuz
2008-12-07T17:41:41+00:00 07.12.2008 18:41
Oo wow, wirklich Weihnachtliche Geschichte xD
^^ Armer Mokuba
Von:  Weissquell
2008-11-03T15:06:39+00:00 03.11.2008 16:06
Aha, er soll also wieder in das Waisengaus, diesmal als Gönner. Kein Wunder, dass er sich sträubt. Du hast es gut beschrieben, dass er alles versucht um Zeit zu schinden. Irgendwie passt das zu ihm, obwohl es ja normalerweise nicht seine Art ist, aber hier passt es.
War ja schon n bisschen heftig die Kleine nur wegen verschüttetem Kaffee so anzupflaumen. Ist schließlich keine gute Puiblicity Waisenkinder am Heiligabend auszuschimpfen, aber es sollte halt klar werden, dass er n echtes Eckel zu Anfang ist.
Wie der ein sehr guter Schreibstil. Weiter so!
Von:  Tea_Kaiba
2008-01-11T14:44:23+00:00 11.01.2008 15:44
So, wie versprochen, ein weiterer Kommentar von mir. :)
Ich finde es gut, wie du Setos Gefuehle bei der Rueckkehr ins Waisenhaus beschreibst - und ich koennte wetten, ein bisschen Nostalgie ist auch dabei, oder nicht? Auch wenn er das aus verstaendlichen Gruenden nie zugeben wuerde.
Ich haette ja gern noch erfahren, was Seto da geschenkt bekommen hat...
Auch wenns ja irgendwie in dem ganzen Trubel untergeht (armes Maedchen, kein Essen wegen so einer Lappalie...).
Was mich etwas wundert, ist dass der Sack so schwer sein soll, wo doch nur Kuscheltiere drin sind?
Von:  Sathi
2007-12-24T12:26:19+00:00 24.12.2007 13:26
woow schönet kapi
richtich gut
seto wieda der eisbock schlecht hin
wat hätt ich auch anderes erwartet^^

hoffe doch dat du schnell weidder schreibst dat hört sich nämlich richtich toll an
hach ich liebe deinen schreibstil
Von: abgemeldet
2007-12-23T19:40:57+00:00 23.12.2007 20:40
*lach* ahahhaaaaa! wie cool!
wegen einem Kaffeefleck will Seto seine Anwälte auf das Waisenhaus hetzen!

Ich find die Geschichte voll cooli! schreib bloß schnell weiter, ja?!


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