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Die Söhne des Drachen

Fortsetzung von "Drachenherz"
von

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Hahn im Korb - Huhn in der Pfanne

Müde schlurfte Niha zum Hühnerhaus, um die allmorgendliche Eierausbeute einzusammeln.

In Anbetracht des unermesslichen Appetits ihres neuen Haushaltsmitgliedes wäre es für die Hühner wohl besser, eine Sonderschicht einzulegen. Sonst würden noch sie selbst auf den Tisch kommen, um dieses bodenlose Loch zu stopfen, welches der Kerl unterhalb seiner Nase klaffen hatte.

Am Ende würde sie dieser impertinente Mensch mehr kosten, als er ihr nutzte. Vielleicht sollte sie die Idee, ihn auszustellen wieder aufgreifen und Eintritt dafür verlangen!

„Bestaunen Sie ein Wunder der Natur! Der Mann ohne Hirn! Er atmet selbstständig und frisst Ihnen nebenbei die Haare vom Kopf! Ansehen: Fünf Yu. Anfassen: Preis auf Anfrage“, schimpfte Niha laut vor sich hin.
 

Lee hörte das undeutliche Gemaule schon von Weitem. Er runzelte die Stirn und versuchte verzweifelt, sich weiterhin zu konzentrieren.

`Blende Alles andere aus. Es existiert nur die Energie der Sonne in Deinem Inneren´, erklang die ruhige Stimme seines Vaters in seinem Kopf. `Atme ein... Aus... Lass die Wärme strömen. Gut so. Die Bewegungen folgen dem Atem, dem Licht und d ...´

Den Moment, in dem Niha um die Ecke bog, konnte Lee auf die Millisekunde genau definieren, da seine Kopfhaut sich abrupt zusammenzog.

„Guten Morgen“, murmelte er mit geschlossenen Augen.
 

Eine Mauer hätte Niha nicht schneller zum Stillstand gebracht.

Er war schon wach? Was zum Henker tat er da?

Für Morgengymnastik wirkte es recht lahmarschig.

„Äh... Morgen!“

Die fließenden, eleganten Bewegungen wurden weiter zelebriert.

„Konntest Du im Heu nicht schlafen, oder warum spielst Du schon um halb fünf den Hampelmann?“

[style type="italic"]`Ruhe, Lee. Ruhe und Harmonie. Und lass den Kiefer locker!´[/style]

„Das mach´ ich jeden Morgen“, antwortete Lee mit erstaunlich gelassener Stimme.

„Jeden Morgen?“

„Ja.“

„Um halb fünf?“, fragte Fräulein Frühaufsteherin ungläubig.

„Uhren sind doch wirklich erstaunliche Erfindungen, was? Sagen jedem, der sie lesen kann, die genaue Zeit.“

„Nicht wahr?“, säuselte Niha trügerisch sanft. „Hier müssen wir extra ein Jahr länger die Schulbank drücken, bis wir das gelernt haben, dumm wie wir Bauerntrampel nun mal sind. Aber wenigstens sind wir clever genug, nicht jeden modernen Firlefanz mitzumachen!“

Jetzt verkrampfte Lees Kiefermuskulatur doch.

„Der Tento ist ein ALTER Firlefanz! Ein URalter Firlefanz sogar! Und er muss vor Sonnenaufgang durchgeführt werden.“

„Firlefanz bleibt Firlefanz!“

„Dein ach so verehrter Feuerlord vollzieht ihn ebenfalls. Jeden Morgen, sagt man.“

Außer, der ach so verehrte Feuerlord hatte andere Dinge, wie zum Beispiel seine ehelichen Pflichten, im Kopf. Himmel, Lee hoffte wirklich, nicht nur das Temperament und die Hartnäckigkeit seines Vaters geerbt zu haben, sondern auch dessen Vitalität!

„Ha! Und Du willst dann wohl im Feuerpalast Karriere machen, was? Aber aus einem Spatz wird keine Nachtigall, sagt man!“

„VERDAMMT!“, explodierte Lee. „Ich mache den Tento seit meinem zwölften Geburtstag. Mein VATER hat ihn mich gelehrt! Wenn Du etwas dagegen hast, dass auf Deinem Grund und Boden ein antiker Sonnenritus stattfindet, dann SAG es einfach, statt ständig an anderen Leuten herumzunörgeln!“
 

Niha schluckte.

Er hatte Recht! Sie nörgelte. Grundlos! Und das nicht erst seit heute.

Wurde sie tatsächlich zu einer dieser unausstehlichen Matronen, die weder andere Meinungen noch Lebensauffassungen gelten ließen, nur weil ihnen im Leben diese EINE Chance auf Glück durch die Lappen gegangen war?

War ihre Einstellung zum Leben so feindselig, nur weil es darin keinen Riu mehr gab?

„Entschuldigung!“, sagte sie steif. „Mach weiter.“

Konsterniert blickte Lee ihr nach.

Er hatte eine Frau angebrüllt. Eine Frau!

Zu was würde er sich als nächstes hinreißen lassen? Bewaffneter Raubüberfall?

Seine ganze schöne Sonnenaufgangsstimmung sackte in sich zusammen!

Zudem widersprach dieser neueste Ausbruch seiner zurechtgelegten Taktik.

Er war letzte Nacht zu dem Schluss gekommen, dass es bessere Mittel und Wege gab, diesem streitbaren Weib eine Niederlage beizubringen, als offenen Krieg.

Entschieden bessere!

Er musste erst einmal hinter ihre Verteidigungslinien brechen, sich auf seine eigenen Vorteile besinnen. Wenn sie für seine männliche Ausstrahlung partout unempfänglich sein wollte, bitte sehr... Dann würde er einfach seine Signale auf ihre Antennen abstimmen müssen.

Es hatte in der Vergangenheit schließlich auch einige Frauen gegeben, die Lu Tens subtilerer Art den Vorzug gegeben hatten. (Nur Agni wusste, warum. Aber man konnte schließlich niemanden zu seinem Glück zwingen.)

So schien es Lee vorerst das Vielversprechendste zu sein, Charme nur noch in kleinen Dosen zu versprühen.

So oder so, er würde Niha Koro dazu bringen, die Waffen zu strecken und dann würde sie den Preis für die ungerechtfertigten, impertinenten Schmähungen seiner Person zahlen.

Ihre Vorurteile und Beleidigungen würden ihr bald sehr, sehr leid tun!
 

Lee zwängte sich durch die winzige Tür in den noch kleineren Hühnerstall.

„Ich wollte nicht schreien“, murmelte er wahrheitsgemäß.

„Schon gut“, sagte Niha.

„Nein, ist es nicht.“

„Doch! Ist es. Ich bin nicht aus Zucker!“

Nein, sie war ungefähr so süß wie Lebertran, DAS hatte er ja schon feststellen können.

„Ich... vorhin...“, begann Niha, „Natürlich kannst Du dieses Sonnendings machen. Dann stehst Du wenigstens früh auf.“

„Ah! Ein Pragmatiker pro Familie muss einfach sein, hm?“

„Kommst Du an diesen Balken?“, fragte Lees pragmatischer Boss.

„Sicher.“

„Gut! Dann hol die Eier runter. Müssten zwei oder drei sein.“

„Zu Befehl!“ Lee salutierte zackig, bevor er vorsichtig das Gebälk abtastete.

„Da ist nichts.“

„Unsinn. Natürlich sind da Eier.“

„Nein!“

Niha schnalzte ungeduldig mit der Zunge, schnappte sich eine kleine Leiter und lehnte sie gegen den Holzpfeiler.

Dieser Städter!

Sie hatte ja gleich gewusst, dass die Arbeit an ihr hängen bleiben wür... WO waren die Eier?

„Verdammter Mist!“, fluchte sie.

„Ja. Das ist so ziemlich das Einzige, was da oben zu finden ist“, meinte Lee genüsslich, verschränkte die Arme und lehnte mit der Schulter gegen den Türrahmen.

„Aber Berta legt ihre Eier immer da hin!“

„Tja, dann hat es sich die Gute heute wohl anders überlegt.“

„Anders? Sie ist eine Henne, kein Gockel.“

Der Gockel fixierte Niha aus schmalen Augen.

„Sie scheint sich jedenfalls nicht an die Anweisungen des Oberhuhns zu halten“, knurrte er.

„Das... Du bist doch wohl... Was glaubst Du...“, gackerte Miss Oberhuhn auf der Leiter.

„Ja?“ Lee klang zerstreut, woraufhin er scharf ins Visier genommen wurde.

„Gaffst Du etwa meine BEINE an?“ rief Niha empört.

„Äh... nein! Nur die Knöchel.“

Vielleicht wäre es besser gewesen, zu lügen.

„Du kannst gleich auch die Knöchel meiner Fäuste betrachten. AUS NÄCHSTER NÄHE!“

„Du hast was gegen Männer, oder?“

„Nichts Wirkungsvolles!“

„Oh, Deine unglaubliche Liebenswürdigkeit ist ein guter Anfang“, entgegnete Lee süßlich. „Gibt´s hier auch was zu tun, bei dem kein Kontakt mit Hennen vonnöten ist?“

„Ja!“, fauchte Niha. „Geh Holzhacken!“

„Fein! Ich bin zwar davon überzeugt, dass DU unschlagbar bist, wenn es darum geht auf etwas herumzuhacken, aber ich werde mein Möglichstes tun.“

Diese Furie machte es einem wirklich leicht, mit Charme und Esprit hinterm Berg zu halten, alle Achtung!
 

Ein lautes und entsetztes „Oh nein!“ bremste Lees Rückzug.

„Was ist?“, fragte er schnell.

„Berta ...“, flüsterte Niha und starrte auf einen Punkt am Boden.

„Das Huhn?“

„Oh nein...“

Irgendwie fand er es rührend, wie nahe ihr der Tod des Federviehs ging.

„Verdammt! Sie hat doppelt so viele Eier gelegt, wie die andern.“

Ah... Also keine Trauer sondern ein reines Rechenexempel.

„Gut. Dann gibt es heute eben Hühnerragout“, seufzte Niha.

„Du willst sie ESSEN?“ Lee blinzelte ungläubig.

„Natürlich.“

„Aber...“

„Aber was?“

„Sie... hatte einen Namen.“

„Ja. Sie war ja auch ein gutes Huhn. Doch jetzt ist sie ein... Exhuhn.“

„Du... weißt doch gar nicht, an WAS sie gestorben ist.“

„Natürlich weiß ich das. Sie war die älteste Henne im Stall. Ich glaube kaum, dass es Mord war."

Lee schluckte.

In seinem ganzen Leben hatte er noch nichts gegessen, das an Altersschwäche gestorben war, geschweige denn etwas, das einen Namen gehabt hatte.

„Mhm. Ich geh Holzhacken“, murrte er.
 

Holzhacken war gut! Mit Äxten konnte er umgehen.

`Seltsam, hattest Du das von Frauen nicht auch gedacht?´

Lee fluchte die gelassene, rauchige Stimme aus seinem Kopf. Da sein Vater ihm diese Suppe eingebrockt hatte, könnte er ja wohl wenigstens die Güte haben, sich aus seinen Gedanken rauszuhalten, oder?

Mit jedem genauen, wuchtigen Axthieb wurde der fürstliche Frust ein Wenig abgebaut und hatte beinahe schon einen erträglichen Pegel erreicht, als das Zauberwort `Frühstück!´ aus dem Haus schallte.

Ein an sich freudiges Ereignis, sollte man meinen, doch selbstauferlegte Zurückhaltung brachte Lee dazu, verkrampft auf seinem Holzstuhl zu hocken, und darauf zu achten, auf KEINEN Fall mehr zu essen, als die anderen.

Als seine Aufmerksamkeit für einen Moment von Jem abgelenkt wurde, bekam er schnell einen Nachschlag.

„Äh...“, Lee zwang eine der größten Lügen seines privilegierten Lebens über die Lippen: „Eigentlich bin ich schon satt.“

„Da Du heute noch zu arbeiten hast, solltest Du lieber zulangen“, meinte Niha nur knapp.

Er ließ es sich nicht zweimal sagen.
 

Das würzige Rührei war in der Tat der letzte Lichtblick eines nicht enden wollenden, deprimierenden Tages.

Lee hatte plötzlich nicht nur zwei linke Hände, sondern auch die entsprechenden Beine und Füsse dazu.

Die Aufgabe des Pflugs schien es zu sein, den Sohn Zukos des Zweiten eben genannter Gliedmaßen zu entledigen. Und der störrische Ochs-Esel, der das Ding zog, hatte es scheinbar auf den restlichen Menschen abgesehen.

Der Stacheldraht der Weidenumzäunung befleißigte sich einer hochgradig feindseligen Haltung und das simple `Stallausmisten´ entpuppte sich als komplettes Desaster.

Lee zweifelte am Lauf des Lebens, am Lauf der Sonne UND... an sich selbst.

Er galt als einer der herausragendsten Kampfmeister des Landes!

Es gab nur etwa ein Dutzend Männer, das ebenso viele Waffengattungen beherrschte, wie er! Auf der ganzen Welt gab es vielleicht fünf oder sechs Menschen, die ihm mit einem Schwert gefährlich werden konnten. Und mit zweien davon war er verwandt!

Der fürstliche Sohn der Sonne war es gewohnt, sich mit der Präzision und dem Gleichklang eines meisterhaften Uhrwerks zu bewegen.

Doch mit einem Mal sollte er ein Tollpatsch sein? Niemals!

Aber ach! Je verbissener er versuchte, die Dinge in den Griff zu bekommen, umso widerspenstiger wurden sie. Warum verschwor sich hier denn ALLES gegen ihn? Lag es an einer seltsamen, kosmischen Magnetstrahlung?

Tatsache war, dass Lee in seinem gesamten Leben noch nie so frustriert gewesen war, wie jetzt.

Und bestimmt war eben dies in der Absicht seines Vaters gelegen.

Vielen Dank auch!
 

Abends kaute Lee das Ragout, der an Altersschwäche dahingesiechten Berta, welcher auch die Kochkunst seines Furien-Bosses die Zartheit der Jugend nicht hatte wiederbringen können. Immerhin gingen ihre zähen Überreste gut gewürzt in die Geschichte ein.

Um sich wenigstens noch ETWAS nützlich zu machen, bot Lee an, mit Maja zusammen abzutrocknen. Das trug ihm einen verführerisch dunklen und einen misstrauisch grauen Blick ein.

Nach der zweiten zu Bruch gegangenen Schüssel, warf Lee im wahrsten Sinne des Wortes das Handtuch und verzog sich in den einsamen Stall.

Seinen geschundenen Körper zur Ruhe bettend, fragte er sich, warum zum Teufel es bisher niemand für notwendig erachtet hatte, ihn wissen zu lassen, was für ein kompletter Volltrottel er war!

Er schlief unruhig, träumte von einem Stacheldrahtgeflecht, das ihn in die Tiefen eines riesigen Milchbottichs zog, während ein strenger Ochs-Esel zu Gericht über ihn saß und mit einer Axt auf eine Pfanne eindrosch, um für Ruhe im Saal zu sorgen.
 


 

Einen weitaus angenehmeren Abend verbrachte die Mutter Seiner Hoheit, bei der Lektüre einer mehr als willkommenen Nachricht.
 

`Überaus geliebtes, fehlinformiertes Weib,
 

Tians Jubiläum ist nicht am Siebzehnten, sondern am Sechzehnten.

Du solltest also entweder Deine Informanten wechseln,

oder aber Deinen Kalender überarbeiten.

Ich habe übrigens beschlossen, dass dieser

glorreiche Tag Deiner Anwesenheit bedarf.

Somit sind es nur noch drei Tage,

bis Du mich wieder zur Weißglut bringen kannst.´
 

Mylady musste sich beherrschen, nicht undamenhaft aufzukreischen.
 

`Diese Nachricht ist einer Besserung Deiner

`asthmatischen Beschwerden´ hoffentlich zuträglich.

Mein eigenes Befinden hat sich seitdem jedenfalls um Einiges gebessert.

(Deine älteste Tochter war tatsächlich der Ansicht,

ich hätte Trübsal geblasen. Lächerlich!)

Lass Dir versichern, sämtliche Mitglieder des Hofstaats,

inklusive der Katzen, fiebern Deiner Rückkehr geradezu entgegen.

Ich selbst erwarte sie mit einer gewissen Ungeduld.

Das Problem mit den Damen des Fördervereins

für bändigungsfreie Zonen in Teehäusern habe ich gelöst.

(Du wirst mir erklären müssen, welcher Teufel Dich geritten hat,

sie in den Palast zu bitten und es sollte besser eine GUTE Erklärung sein!)

Allerdings scheine ich sie verärgert zu haben,

also mach Dich bitte auf eventuelle Beschwerdebriefe gefasst, mein Herz.

Solltest Du Deine Vorliebe für Ziegelsteine aufrecht erhalten wollen,

führe Dir bitte vor Augen, wie das Land aussähe,

sollte ich mich gezwungen sehen, diese Art Baumaterial von

Angesicht der Feuernation zu tilgen.

Doch Du siehst sicher ein, dass ich nicht zulassen kann,

für überflüssig erklärt zu werden!

Ich verbleibe in der Hoffnung, dass Du die wenigen Tage

bis zu Deiner Heimkehr ohne weitere melancholische

Anwandlungen überstehst.

Also, sei schön brav!
 

Dein Dich hochachtender, erwartungsfroher Gatte.´
 

Dem dünnen, im Grunde völlig unschuldigen Pergament wurde eine ziemlich unziemliche Behandlung zuteil. Es wurde an eine in kostbare Seide gehüllte Brust gepresst, beinahe zerdrückt und mit stürmischen Küssen bedacht.

Danach begann Jin die Prozedur von vorn.
 


 

Lee erwachte früh, aber ohne seinen üblichen Elan, alles andere als bereit, sich den Katastrophen zu stellen, die ihm dieser neue Tag bieten würde.

Aber es half ja nichts.

Ächzend erhob er sich, ließ seine müden Gelenke knacken und mühte sich die Leiter hinab. Nach einer halbherzigen Katzenwäsche am Brunnen, beschloss er, es sei an der Zeit, seine Lebensgeister zu wecken und eröffnete den Tento. Das alte Ritual half auch diesmal. Schon bald durchströmte neue Energie Lees Körper und Geist.
 

Nihas Morgen begann ebenfalls ganz fürchterlich.

Sie hatte verschlafen. Und es gab nichts, was sie mehr hasste!

Sie spritze sich ein wenig Wasser ins Gesicht und hastete in die Küche.

Zuerst entzündete sie ein Feuer, holte schnell den am Vorabend gekneteten Teig, formte hektisch die flachen Brote und schob sie in den Ofen.

Jetzt musste sie nur fix zum Hühnerhaus und wieder zurück, da sonst die ganze Herrlichkeit verbrennen würde.

Nun, sie war auch recht schnell.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie fast in dieses lange Elend gekracht wäre, welches gerade seinen meditativen Sonnenhokuspokus beendete.
 

„Haben wir etwa verschlafen?“, schnurrte der samtweiche Bass des Störenfrieds.

Eines musste sie ihm lassen, sein Sarkasmus war kaum wahrnehmbar.

Niha selbst beschloss, weniger subtil zu sein.

„Sind WIR als Kind vielleicht zu heiß gebadet worden?“

„Eigentlich,“, seufzte Lee, „wollte ich nur meine Hilfe anbieten.“

„Oh, bitte... Ich kann doch nicht zulassen, dass Du Dein Tantra unterbrichst, nur um auf meinem Hof Unheil zu stiften."

„TENTO!", knirschte Seine Hoheit. „Und Eier holen werd ich wohl gerade noch schaffen."

„Danke“, säuselte Niha, „Aber ich brauche sie GANZ.“

In Anbetracht seiner gestrigen Nutzlosigkeit, konnte er ihr eigentlich keine Vorwürfe machen. Lee tat es trotzdem.

Agni! Diese Frau würde sogar eine Seekuh zum Mord verleiten!

Bevor eventuelle kriminelle Energien freigesetzt werden konnten, stapfte ein zorniger Prinz zum Holzstapel neben dem Hühnerstall und begann mit seinem therapeutischen Holzhacken.

Unverschämtes Weib!

*Zack*

Zänkische, feuerspeiende Furie!

*Zack, zack*

Dieses streitlustige, aufmüpfige, undankbare Frauenzimmer...

„Fabrizierst Du schon wieder Deine riesigen Holzklötze, die ich nicht in den Ofen kriege?“

*ZACK*

Ein einziger, mächtiger Hieb grub die Schneide der Axt tief in das harte Holz des Spaltblocks.
 

Als Lee herum schnellte, hielt nur die Faszination Niha davon ab, ein paar Schritte zurückzuweichen.

Himmel!

Er war wirklich unglaublich wütend, und dabei - sie schluckte - unglaublich... äh, ansehnlich.

Flammendes Gold hatte wieder die Vorherrschaft über seine Augen übernommen und brannte sich in ihren erschrockenen Blick.

Alles, wirklich ALLES in diesem markanten Gesicht deutete darauf hin, dass sie in ernsthaften Schwierigkeiten steckte.

Es war ziemlich unfair, fand Niha. Wenn man ihr schon einen mordlüsternen Buben ins Haus schickte, wäre eine kleine Warnung ja wohl das Mindeste gewesen.

„Leider habe ich keine Ahnung von den Ausmaßen Deines Ofens“, spie der potentielle Assassine zornig aus. „Sondern nur von denen Deines schrillen Organs!“ Er wurde stetig lauter. „Vielleicht wären klare, sachliche Arbeitsanweisungen zweckmäßiger, als Dein unausstehliches Dauergekeife.“ Demnächst würde man Lees Lautstärke guten Gewissens als Brüllen bezeichnen können. „`Geh Pflügen!´ ist KEINE ausreichende Schulungsmaßnahme! Ebenso wenig wie: `Kümmere Dich um den Zaun!´. Und JETZT...“ Er beugte sich drohend über sie. „LASS mich in Ruhe!“

Bevor Niha Luft holen, oder auch nur blinzeln konnte, kam ihre Rettung in Form eines Rufes.
 

„NIHAAAA?“, schrie Jem.

„Ja?“, piepste die Gerufene. Sie räusperte sich schnell. „JA?“

„ICH GLAUB DIE BROTE SIND JETZT WIRKLICH FERTIG ...“

„Agni!“ Niha wirbelte herum und rannte zum Haus. „LASST JA DIE FINGER VOM OFE ...“

Ein hoher, schriller Schrei unterbrach sie.

Ein Sekundenbruchteil später schoss ein Riesenkerl mit einer Geschwindigkeit an ihr vorbei, die ihr eigenes Tempo zum gemütlichen Sonntagsspaziergang degradierte.
 

Als Lee in die Küche stürzte, lagen halb verbrannte, qualmende Brotleibe auf dem ganzen Boden verteilt. Mitten drin kauerte Zerfa, umklammerte mit der Linken das Handgelenk ihrer anderen Hand und wimmerte zum Steinerweichen.

„Jem!“, stieß Lee hervor, „Kaltes Wasser! Schnell!“

Er kniete nieder, zog das weinende Mädchen in die Arme und untersuchte vorsichtig ihre Hand.
 

„Zerfa?“ Niha stütze sich keuchend am Türrahmen ab.

„Sie hat sich die Hand verbrannt.“

„WAS? Du sollst doch nicht an den Ofen!“

Zerfa schluchzte stockend.

„Sie hat nur versucht, die Brote zu retten!“, knurrte Lee, der sich mit guten Absichten und deren weniger guten Ergebnissen bestens auskannte.

Er wollte Niha eben empört anfunkeln, als er Schuld und Sorge in den weichen, grauen Augen erkannte.

Schnell kam sie näher, nahm ihm das Kind ab und setzte sich auf einen Stuhl.

„Schätzchen...“ Sanft wiegte sie die Kleine hin und her. „Die dummen Brote sind doch nicht wichtig gewesen!“, flüsterte sie. „Lass mich die Hand sehen.“

Schluchzend wurde ihr ein mit Brandblasen übersäter, zitternder Handrücken präsentiert.

Als sie die Bescherung sah, schossen Niha die Tränen in die Augen.

Das war IHRE Schuld!

Sie hatte ja lieber gestritten, als sich um ihre Aufgaben zu kümmern.
 

Mittlerweile war Jem mit dem Wasser vom Brunnen gekommen. Maja, die die Kuh gemolken hatte, war ebenfalls herbeigeeilt. Zusammen bemühten sich die Geschwister redlich, Zerfas Schmerzen zu lindern und sie abzulenken.

Doch Brandwunden hatten einen ganz entscheidenden Nachteil, wie Lee aus zahlreichen Trainingsversuchen wusste: Mit der Zeit schmerzten sie mehr, statt weniger.

„Wir brauchen einen Arzt. Gibt es im Dorf einen Wasserheiler?“

„Ja“, murmelte Niha und blickte zu Boden. „Aber den können wir uns nicht leisten.“

„Nicht leisten? Das ist eine ziemlich üble Verbrennung.“

„Ja...“ Trotzige, ratlose Augen bohrten sich in seine. „Wir haben aber kein Geld mehr. Letzte Woche musste ich Saatgut kaufen und.... Dr. Kwan arbeitet leider nur gegen Vorkasse.“

„Wirklich?“ Lee spürte seine Halsschlagader pochen. „Reizender Zeitgenosse. Dann werd ich ihn jetzt besuchen und ein kleines Schwätzchen halten.“ Er stapfte zur Tür.

„Was soll das bringen?“, wollte seine Niha leise wissen.

„Eine verheilte Hand“, antwortete Lee knapp. „Welches Haus ist seines?“

„Am Marktplatz, das mit der blauen Tür“, sagte Maja schnell.

„Gut. Bin in einer Viertelstunde wieder da.“

JETZT wusste Niha, dass er verrückt war. Selbst wenn man den ganzen Weg rannte, brauchte man mindestens zehn Minuten bis ins Dorf.
 

Sechs Minuten später hämmerte es an Dr. Kwans Tür.

Acht Minuten später untermauerte Prinz Lee seine Argumente eindrucksvoll, indem er dem Heiler am Dorfbrunnen demonstrierte, wie verflixt knapp Atemluft unter Wasser werden konnte.

Nach einer weiteren, ziemlich kurzen Minute, zeigte der Mediziner sich kooperationsbereit und stellte sogar sein Reit-Rhino zur Verfügung.

Exakt dreizehneinhalb Minuten, nachdem Lee los gespurtet war, betrat ein etwas feuchter, aber stinkend freundlicher Dr. Kwan die Küche der Familie Koro.
 

Beim Anblick des kleinen Mädchens, das verzweifelt versuchte, die Tränen zurückzuhalten, überkam den Arzt ein verteufelt schlechtes Gewissen, dass es tatsächlich erst der enorm handfesten Verhandlungstaktik des energischen, jungen Mannes hinter ihm bedurft hatte, um ihn hierher zu lotsen.

„Gute Güte!“ Er schnalzte mit der Zunge, während er sachte die Wunde untersuchte. „Na, das haben wir gleich.“

Er öffnete einen Wasserschlauch und begann mit Hilfe des eisig schimmernden Wassers die Brandwunde zu behandeln.

Nach nur wenigen Augenblicken fing Zerfa vor Erleichterung an, leise zu weinen. Niha drückte den Lockenkopf ihrer kleinen Schwester fest an ihre Brust.

„So... das hätten wir. Hier ist noch eine Salbe, für die Nachbehandlung. Fünfmal am Tag auftragen, dann dürfte übermorgen nichts mehr zu sehen sein.“

Dr. Kwan fingerte einen Tiegel aus der Tasche, den er Niha in die Hand drückte.

„Danke“, murmelte sie. „Ich werde Ihnen das Geld so bald wie möglich bringen.“

„Oh... äh... DAS... äh...“, stammelte der Doktor mit Seitenblick auf den großen Kerl, der immer noch mit verschränkten Armen an der Türschwelle stand, verlegen.

„Ich mach Notfälle jetzt umsonst. Seit Neuestem! Also... ich bekomme Geld.“

„Wirklich? Von wem?“, wollte Niha wissen.

„Ich... Von... von...“

„Vom Staat“, schaltete Lee sich schnell ein.

„Ja... äh...“ Kwan schwitze mittlerweile ganz erbärmlich. „Vomääh Staat!“, log er heroisch.

„Neue Reform!“, half Lee freundlich aus.

In Gedanken machte er eine entsprechende Randnotiz. Er würde diesen Vorschlag so bald als möglich seinem Vater unterbreiten.

„Reform?“, fragte Niha verwirrt. „Gut. Aber... ich werde zumindest die Hälfte zahlen!“

„NEIN! Äh ... Nicht nötig! Wirklich! War mir eine Freude!“ Hastig packte Dr. Kwan sein Sammelsurium zusammen. „Und Du, kleines Fräulein, versuch lieber, Dich vom Backofen fernzuhalten, ja?“

„Ja“, wisperte Zerfa schniefend.

Der Doktor klopfte die Taschen seiner Jacke ab.

„Herrje... jetzt hab ich gar keine Lollies mehr“, murmelte er entschuldigend. „Trotzdem noch einen schönen Tag allerseits.“

„Ja. Schönen Tag“, brachte Niha perplex hervor, als er auch schon wieder hinaus eilte.

„Lollies?“, fragte Jem völlig baff.

Seit wann verteilte der alte Knacker denn Lollies? Also, rein theoretisch gesehen.
 

Draußen, am betagten Reittier des Arztes, wechselte eine erhebliche Geldsumme den Besitzer.

„Das... ist unnötig!“, murmelte Kwan. „Sie haben mir heute etwas klar gemacht, das ich vergessen hatte, junger Mann.“

„Das wäre?“

„Warum ich Arzt geworden bin. Ich werd in Zukunft bestimmt nicht mehr JEDE Behandlung in Rechnung stellen.“

„Nun, dann sollten Sie sich bei den Leuten, die es sich leisten können nicht so anstellen“, antwortete Lee trocken, und drückte dem Heiler einen Beutel in die Hand. „Ich denke, das dürfte für alle in Zukunft anfallenden Behandlungskosten der Familie Koro reichen. Danke sehr. Und wegen des nassen Kopfs... nichts für Ungut.“

„Nein, nein. Äh ... Wiedersehen“, meinte der Doktor, zerstreut die prall gefüllte Börse befummelnd.
 

Von Stund an wurde Lee Iroh Tian Tatzu, Prinz der geeinten Feuernation, auf Schritt und Tritt belauert. Wo auch immer er hinging, tauchte in der Nähe ein neugieriges, misstrauisches kleines Mädchen auf, das unbedingt herausfinden wollte, warum dieser komische Mann ihr geholfen hatte.

Denn Freundlichkeit von Fremden, war etwas, das Zerfa in ihrem Leben nicht oft erfahren hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Bernsteinseele
2008-02-11T15:51:00+00:00 11.02.2008 16:51
jaaaa *Lee anfeuer* *g*

Bei dem Temperament musste sowas einfach kommen *zufrieden grins* ... aber er ist ja sicher auch so großartiger Feuerbändiger wie sein Vater ... kommen da vielleicht noch irgendwie Räuber oder so, die Niha und Familie was schlechtes wollen und dafür von Lee mit seiner herausragenden Feuerbändigerkunst eingeheizt bekommen? ^^

Find den Umgang zwischen Lee und Niha echt klasse ... wäre ja sonst zu langweilig. ^^

Hoffe es kommt bald ein neues Kapitel :)
Von:  Fresa-del-bosque
2008-01-26T21:08:44+00:00 26.01.2008 22:08
klasse, VIELEN VIELEN dank, dass du dich entschlossen hast, fanfics zu schreiben...ohne dich hätte die welt wohl nie erfahren, dass es romantische UND zum schreien komische Fanfics gibt x)
Ich liebe ganz besonders diesen einen part:
"Starrst du etwa auf meine BEINE?"
"N-nein, nur auf deine Knöchel!"
Ist jetzt wahrscheinlich nicht der genaue Wortlaut, aba egal...aaaaaaaaaaarme Berta xD
Echt super Arbeit deinerseits, kanns kaum erwarten, bis das nächste Kapitel kommt
*gruezis*
Von:  Tamatoshi
2008-01-23T17:42:00+00:00 23.01.2008 18:42
klasse kapi ^-^
einfach unverbessrlich! da gibts ( malwieder) nichts zu kritisieren! ich frau mich schon aufs nächste chapi!
schreib bald weiter!

SCHRANK

PS: bekomm ich keine ENS mehr? *sniff* TT^TT
Von:  Dive
2008-01-23T11:20:45+00:00 23.01.2008 12:20
Heyho,
irgendwie tut er mir ja fast schon leid, aber eben nur fast.^^
Ich freu mich schon auf ne Fortsetzung und hoffe, dass er weiterhein gequält wird.

Bis bald

Dive

Von:  DarkEye
2008-01-21T15:47:36+00:00 21.01.2008 16:47
hahaha
wie immer einfach weltklasse!
dark
Von: abgemeldet
2008-01-21T11:07:50+00:00 21.01.2008 12:07
Highlights:

- "er atmet selbstständig!!..."
- "This... is an Ex-huhn!!" (ich stell mir das mit John Cleeses Stimme vor...)
- Lees "Überredungskünste, doktorbezogen
- Der nicht so kommunikative Ziegelstein

Klasse!
Von: abgemeldet
2008-01-21T10:44:04+00:00 21.01.2008 11:44
hahahaha - ich lach mich tot!
einfach nur herrlich!
am besten war ja der Brunnen *lach*
schreib schnell weiter - kanns kaum erwarten.
lg cicia
Von:  suz
2008-01-21T00:19:31+00:00 21.01.2008 01:19
hallihallo
da hab ich schon mal de chance als erste nen kommi zu hinterlassen
und was istes fällt mir nur eins ein: toll
da werden wohl bald verschiedene reformen im zukos reich gemacht??
machweiter so
gruz suz



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