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Ein Schritt

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Ein Schritt

Seit ER nichtmehr da war hatte sich sein Leben verändert. Seit ER nicht mehr da war hatte er gemerkt, dass er niemanden dieser Freunde, von denen er sich hatte verabschieden wollen, wirklich gekannt hatte.

Die meisten kannte er durch IHN.

ER hatte ihn aus seinem Loch geholt. ER hatte ihm gezeigt, dass es noch andere Sachen gab als die Schule und die Familie. ER.

Ashley.

Doch Ashley war jetzt nicht mehr da.

Er hatte ihn kennen gelernt, als er sich bei ihm für Nachhilfe in Physik gemeldet hatte.

Ashley war gut. Sehr gut, und ihm standen soweit er das einschätzen konnte alle Türen dieser Welt offen.
 

-Wieder wehte ihm eine schwarze Strähne ins Gesicht. Als wäre sie die Hand, die eine weitere Seite in seinen Erinnerungen umblätterte.-
 

Ashley war 19, und ein Jahrgang über ihm.

“Du brauchst doch gar keine Nachhilfe!“, hatte er gesagt, als er sich die Tests und sein Zeugnis angesehen hatte.

“Aber ich will die beste Note haben.“ DAS hatte er ihm geantwortet.

Und das Gesicht, das Ashley nach dieser Antwort an den Tag legte, würde er nie nie wieder vergessen. Er musste lächeln.

Ashley hatte ihn ausgefragt. Und er hatte ihm alles erzählt. Dass sein Vater Diplomat war, dass seine Mutter immer mit ihren Freundinnen unterwegs war, erpicht darauf, das Geld, das sein Vater verdiente so schnell wie möglich auszugeben, dass er seinem Vater gefallen wollte. Ja, er wollte der beste sein um zu zeigen, dass es ihm nichts ausmachte, alleine zu sein. Dass es ihm nichts ausmachte, dass niemand Zeit für ihn hatte.

Ashley hatte sich alles angehört.

“Weißt du...du bruachst keine Nachhilfe in Physik,kleiner.“ – wie er dieses ‚Kleiner’ gehasst hatte – „Was du brauchst, ist Nachhilfe im Fach ‚Mein Leben’“

Und er hatte ihn mitgeschleppt. Das war das erste Mal, dass er das Wochenende NICHT hinter Büchern verbracht hatte. Und es hatte ihm gefallen. Jedoch fiel es ihm schwer, mit den Leuten, die da waren zu reden. Aber dafür gab es ja Ashley. Ashley kannte anscheinend jeden und jeder kannte Ashley.

“Das is ein Kumpel von mir.“, hatte Ashley zu jedem gesagt, dem er seinen neuen Nachhilfeschüler vorstellte. Dabei legte er jedesmal den Arm um die Schultern des schwarzhaarigen. Immer. Und jedes Wochenende das gleiche. Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen, wie viele Leute er durch Ashley kennen gelernt hatte. Aber in der Schule wurde er auf einmal gegrüßt, die Leute kannten seinen Namen.

Egal, welcher Tag es war, einmal hatte er Ashley über seiner Schulter hängen. Er hasse sowas. Aber Ashley durfte das. Nur er. Ashley war auch der einzige, dem er alles erzählte. Weil Ashley zuhören konnte.
 

- Der Wind hier oben war kalt und scharf. Das war seiner Meinnung nach auch der Grund, dass seine Augen tränten -
 

Einmal hatten er und Ashley bei Ashley zu Hause gesessen, jeder mit einer Flasche Bier, Ashley rauchte seine Zigarette. Selbst darüber sah er bei Ashley hinweg. Obwohl er Zigarettenrauch über alles hasste.

Von diesem und jedem Thema kamen sie auf ihre Eltern zu sprechen.

“Meine Eltern sind cool. Sie meinen, wenn ich mich wirklich für was entschiden hab und das machen will werden sie mich unterstützen. Machen deine das auch? Die sind sicher ganz schön stolz auf ihren kleinen Einstein hm?“

Er hatte Ashley einen Moment einfach nur angesehen.

“Weiß nich. Meine Eltern seh ich eigentlich nie. Mein Vater ist immer unterwegs. Im Ausland. Und Mama...ach...die kann mich mal.“

An diesem Nachmittag hatte er Ashley sein Herz ausgeschüttet.

Und Ashley?

Ashley war zu ihm gekommen und hatte ihn in den Arm genommen. Einfach so. Er hatte seine Hand auf das shwarze Haar gelegt und ihn einfach im Arm gehalten. Solange, bis er vor lauter Ratlosigkeit nicht anders konnte, und auch nicht anders wollte, als seine Arme um Ashley zu legen und sich an ihm festzuhalten.

Noch nie hatte er so etwas getan.

Ashleys Mutter freute sich als sie hörte, dass er bei ihnen übernachten wollte.

Er wollte nicht nach Hause, war er sich doch sicher, dass er dort alleine sein würde. Eine Tatsache, auf die er heute keine Lust hatte. Noch weniger als sonst.

Und dann passierte, was passieren musste.
 

- Jetzt wo er hier oben stand, war er sich sicher, dass es so kommen musste.-
 

Wie er auf einmal darauf gekommen war wusste er auch nicht aber er hatte Ashley aus heiterem Himmel gefragt, ob dieser ihn nochmal in den Arm nehmen würde.

Ashley tat es und er merkte sofort, dass etwas anders war. Er nahm Ashley wahr.

Er sog den Geruch seiner Haut unter dem Shirt in sich auf, erklärte diesen Geruch für das beste, was er je gerochen hatte und dieser Duft lockte ihn.

Er schob seine Hand unter das Shirt und ertastete die Haut des anderen. Langsam und bedächtig ließ er seine Hand über Ashleys Bauch gleiten, nahm jeden Muskel aufs genaueste wahr. Und Ashley wehrte sich nicht.

Darüber schon fast entsetzt blickte er zu Ashley auf. Es war als würde Ashleys Gesicht nur aus dessen Augen bestehen. Aus Augen, die ihn in diesem Moment wie schimmernde Glasperlen anstarrten, ehe er die Lippen des älteren auf seinen eigenen spüren konnte.

Danach war er es, der es zuließ, dass Ashley seinen Körper erforschte.

Noch nie hatte das ein anderer getan. Es erfüllte ihn gleichermaßen mit Angst und so etwas wie Abenteuerlust.

Und wenn es wirklich stimmte, was er über Liebe gelesen und gehört hatte, ja, dann liebte er diesen jungen Mann.

Er liebte ihn, mehr als er sonst jemals jemanden lieben würde. Er liebte ihn, dass es ihm nicht einmal schwer fiel, Ashley genau das zu sagen.

“Ich liebe dich“

Den Schmerz, den er in dieser Nacht fühlte, war der wohl wunderbarste Schmerz, den er je empfunden hatte. Oh, wie süchtig war er schon im ersten Moment danach.

Mit Ashley zusammen zu sein, mit ihm Freunde treffen, mit ihm schlafen.

Ihm war, als hätte er hier tatsächlich einen Sinn für sein Leben gefunden! Wer waren schon seine Eltern? Diese beiden flüchtigen Bekannten? Er hatte Ashley.
 

- /Spring endlich. Spring und alles ist zu ende/ -
 

Drei Monate später war Ashley nicht mehr da.

Er hatte noch mit Ashleys Eltern im Krankenhausflur gesessen und gehofft, der Arzt würde ihnen gute Nachrichten aus dem OP-Saal bringen.

War das Naivität?

Als Ashleys Mutter ihn angerufen hatte und meinte er solle sofort zum Krankenhaus kommen hatte er es schon geahnt.

Jeden Tag sterben Menschen bei einem Verkehrsunfall.

Aber als der Arzt dann tatsächlich mit betretener Miene Ashleys Tod verkündete,schickte ein junger Mann mit schwarzen Haaren sämtliche Hassparolen, die ihm einfielen gen Himmel.

Warum?

Warum hatte man ihm den einzigen Menschen genommen, der es verstanden hatte, sich Zeit für ihn zu nehmen?

Ashleys Eltern kümmerten sich danach um ihn. Seinen Eltern hatte er nieetwas von Ashley erzählt. Er war sich sicher, es hätte sie nicht interessiert.

Aber auch die Zuneigung, die er von Ashleys Eltern erhielt half ihm nicht weiter. Gar nichts half. Ja, Ashleys Eltern hatten gewusst, wie die beiden zueinander standen. Und sie hatten es akzeptiert.

Doch es half nichts. Er zog sich wieder mehr und mehr zurück. Seine Freunde, die Freunde, die eigentlich nie seine Freunde waren – nein es waren ASHLEYS Freunde- hatten ansheinend kein Interesse mehr an ihm. Nach dem Schulabschluss hatten sie eh keine Zeit mehr.

War er denn der EINZIGE, dem Ashley selbst nach fast einem Jahr immer noch so sehr fehlte? Hatten die anderen denn überhaupt gemerkt, dass Ashley nicht mehr da war? Wussten die denn, auf wessen Beerdigung sie kurz vor ihrem Abschluss waren?

Er wollte das nicht! Er wollte nicht weiter in einer Gesellschaft leben, die den Verlust eines so wichtigen Menschen nach einiger Zeit einfach...überspielten?
 

Ja, er wäre gesprungen.

Er wäre gesprungen, wenn dieser Feuerwehrmann nicht gesagt hätte, dass er genau wüsste, wie er sich fühle.

Das hatte ihn verwirrt und gab seinen ‚Rettern’ die Chance ihn vom Rand des Daches zu ziehen.
 

- Aber das würde jetzt nicht passieren. Es war dunkel, es war kalt, er war alleine. Nur noch ein einziger Schritt trennte ihn von...von was eigentlich?

Egal. Wen interessierte das schon.

Er schloss die Augen.

Als er den Schritt tat, fiel alles von ihm ab. All die Wut auf jeden seiner Mitmenschen, alle Trauer, alle Einsamkeit.

Er fühlte sich leicht, er war frei.

Er hatte seine Entscheidung gefällt.

Er war stolz auf sich und als er die Augen ein letztes Mal öffnete sah er Ashley, der ihn mit offenen Armen erwartete.
 

Schritte hallten über den Gang.

Die Nachtschwester war von einem Patienten gerufen worden.

Niemand außer ihr war auf dem Gang.

Das einzige Licht, das brannte, war das kleine Licht im Schwesternzimmer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  CassiopaiaRiddle
2008-06-28T14:55:18+00:00 28.06.2008 16:55
Sorry, dass es so lange gedauert hat mit der Bewertung des Wettbewerbs, zur weiterer Information, schau auch bitte auf die Wettbewerbsseite^^

Ok, was soll ich groß dazu sagen, ich finde die Geschichte wirklich genial, genial traurig. Ich mag deine Idee den Rückblick, das Ordnen der Erinnerungen zu schreiben und auch die Umsetzung ist perfekt gelungen. Trotz des Rückblickes letztendlich hast du nie vergessen lassen was für eine Situation jetzt ist, mit nur einem kurzen Satz jeweils aber wirklich gelungen. Auch die Idee selbst, was ihn direkt dazu getrieben hat finde ich sehr gut und interessant, wenn es auch nicht direkt etwas wirklich Neues ist *grins*wenn du weißt was ich meine, aber es hat gepasst und man hat nicht wirklich damit am Anfang gerechnet. Du hast die Informationen aus der Vorgabe auch sehr schön verarbeitet, von wegen keiner hat Zeit etc.
Vom Schreibstil fügt sich der Schluss sehr schön in das Gesamtbild der Geschichte ein. Der Titel ist auch sehr gut gewählt, er passt zur Geschichte ohne etwas zu verraten.
Alles in allem finde ich dass eine wirklich geniale, wenn auch traurige, Geschichte.

Von: abgemeldet
2008-03-22T12:53:09+00:00 22.03.2008 13:53
Ich hab heute zufällig den Wettbewerb entdeckt und die meisten der Einsendungen schon gelesen. Und ich muss sagen, deine Umsetzung der Story bzw. die Fortsetzung finde ich wirklich gelungen. Es hat mich wirklich bewegt.
Von:  Shinichi_Kudou
2008-03-21T15:41:29+00:00 21.03.2008 16:41
Also die FF ist ja schon was länger hier auf Mexx und obwohl ich sie gelesen hatte, hab ich noch keinen Kommentar dazu geschrieben. Ich sag auch nicht so viel über diese FF. Nur eines:

Es hat mich unglaublich bewegt und ich kann nachvollziehen, warum er so gehandelt hat.
Von: abgemeldet
2008-02-09T18:00:29+00:00 09.02.2008 19:00
Hi^^

Hab mir gerade mal so die anderen Einseundungen bei Cass' Wettbewerb durchgelesen und ich muss sagen, du bist echt harte Konkurrenz^.~
Ehrlich, ich mag deine Umsetzung bzw. Fortführung der Geschichte und dein Schreibstil gefällt mir auch wahnsinnig gut^^
Kannst mir ja bei Gelegenheit ein Bisschen davon abgeben^.~

Schöne Grüße und man liest sich,
Chris



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