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Tagebuch einer Reisenden

von

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Aufbruch

Wir sind immer auf der Suche – doch kommen niemals irgendwo an.

Wonach haben wir fast vergessen. Unser Ziel ist nur noch schemenhaft in unseren Köpfen vorhanden.

Verweht vom Wind. Er trug es fort, an einen Ort, den wir niemals erreichen sollen.

Wir gehen schon so lange in die falsche Richtung. Es war so schwer den Kurs zu halten. Zu schwer für uns.

Aber wir haben nicht immer gesucht, lange Zeit waren wir nur.
 

All die Tage, die wir wanderten. Die viele Zeit, die verstrich.

Und wir folgten ohne ein Wort des Zweifelns unserer stummen Führerin.

Zu dritt sind wir. Ein alter, klappriger Ritter, dessen Lanze schon längst gebrochen ist, ein kleines Mädchen, dass niemals ein Wort spricht und schließlich ich. Die Schreiberin.

Die Einzige von uns, die die Kunst des Lesens und Schreibens beherrscht.

Das macht die Verständigung leider nicht gerade einfacher. Der Ritter spricht nicht meine Sprache und das Mädchen überhaupt nicht. Aber wir wissen, dass das Ziel unsere Suche, das selbe ist. Wenn auch aus verschiedenen Gründen. Wir wissen, dass diese so verschiedenen sind, dass es am Ende nur einer schaffen wird, sich durch zusetzen. . Wer das sein wird, wird sich zeigen.

Bis dahin hegen wir allerdings keine feindseligen Gedanken gegeneinander. Dafür sind wir viel zu sehr aufeinander angewiesen.

Ich möchte nicht bestreiten, dass mir die beiden sehr ans Herz gewachsen sind.

Ihren Namen kenne ich nicht und sie nicht den meinen. Obwohl wir schon so lange zusammen sind, dass es fast unglaublich scheint. Tag auf Tag. Jahr für Jahr. Als würde es nichts anderes geben.

Oft frage ich mich, was nach unsere Reise kommen wird. Und ob sie überhaupt jemals ein Ende finden wird.

Wir waren so lange fort. Ein zurück in unsere alte Welt gibt es nicht mehr, das ist uns klar.

Wir haben so unglaublich viel verloren. Manchmal schmerzt es an das Verblichene zu denken, aber gleichzeitig haben wir so viel Neues gefunden, dass es die Verluste fast ausgleicht. Fast. Ein gewisses Maß an Schmerz wird immer bleiben.

Ein wenig Trauer für die Menschen, denen wir begegnet sind und die uns nicht lange begleiten konnten, für die Orte, an denen wir gewesen sind, aber nicht bleiben konnten, für die Gefühle, die wir hatten, aber nicht halten konnten.

Das sind Dinge, an die ich versuche nicht zu denken. Denn in solchen Momenten breitet sich etwas schweres, Lähmendes in mir aus und gibt mir das Gefühl nie weiter gehen zu können.

Zum Glück gibt es den Ritter und die Kleine. Er würde mich überall hin tragen und wenn er sein Schwert dafür zurück lassen müsste.

Und das nur, weil wir uns zufällig vor vielen Jahren vor den Mauern, einer heute vergessenen Stadt, trafen.
 

Es war an einem warmen Frühlingstag. In der Nacht zuvor hatte es heftig geregnet und der Boden war noch schlammig. Ich saß auf einem Karren, der nur schwerlich voran kam. Immer wieder blieb er im aufgeweichten Boden stecken. Oder es entstand ein Streit im Gewirr aus Wägen, Menschen und Vieh. Obwohl es noch früh am morgen war, waren die Straße schon sehr überfüllt. Jeder, der ein Bein oder mehr hatte, machte sich auf, die Stadt zu verlassen. Es war in der Luft zu riechen. Zu fühlen, zu sehen und zu hören. Die Zeit war überschritten. Lange hatten hier viele Menschen an einem Ort zusammen gepfercht gelebt. Nun war im Kern die Pest ausgebrochen und die Gemeinschaft zerfiel. Schutz gab es nun hinter den hohen Mauern nicht mehr. Nun galt es auf zu brechen. Ich wollte nicht. In mir sträubte sich alles dagegen, doch trotzdem hatten mich meine Beine am morgen aus dem Bett getragen, meine Hände meine wichtigsten Sachen zusammen gesucht und meine Füße mich auf die Straße gebracht, wo ich auf dem Wagen eines Korbflechters, der auf dem Weg nach Schlütt, zu seiner Familie war, einen Platz gefunden. Je näher das Stadttor kam, umso mehr fürchtete ich mich. Was mochte da draußen erwarten. Ich war so lange nicht mehr dort gewesen, dass ich es vergessen hatte.

Aber nun ist es Zeit … es ist Zeit. Es ist Zeit und es ist gut. Es ist gut … Altes vergeht, Neues beginnt. Es gibt etwas neues außerhalb der Stadtmauern. Dies ist kein Ende, es ist ein Anfang. Sieh den Anfang, den die zeit bringt. Es ist Zeit.

Als das Tor in Sichtweite kam, kam der Zug gänzlich zum stehen. Es gab Probleme mit dem Auslass eines Mannes, der zu Pferd unterwegs war. Ein heftiger Streit entbrannte zwischen ihn und der Wache. Minuten des Wartens verstrichen. Um mich herum wurde es unruhig. Neben mir entleerte sich ein Pferd, worüber sich eine alte Frau, weiter vorne schrecklich aufregte. Meiner Meinung nach steigerte es den Geruchspegel nicht nennenswert.

Es stank auch schon vorher, nach einem Geruch der fast greifbar war. Der Geruch des Todes. Über uns schwirrten die Fliegen, als wären wir eine Menge aus altem Fleisch. Wenn ich mich umsah, war dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Überall blickten mir faltige, grimmige Gesichter entgegen. Weiße Haare wurden unter schmutzigen Kopftüchern verborgen. Weiter vorne saß ein Alter mit nur noch einem Bein auf einem Karren, der von einem Ochsen gezogen wurde.

Ich begann mir langsam zu wünschen, endlich draußen zu sein.

Dieser Gedanke verflüchtigte sich allerdings mit dem steigen der Sonne. Es wurde unerträglich heiß. Die umstehenden Häuser fingen keinen ihrer Strahlen mehr. Nun stand sie in einem geraden Winkel über uns und quälte uns mit ihrer Hitze. Nun wurde zwar wenigstens der Boden wieder fest, aber es ging noch immer nicht voran. Sengende Hitze legte sich über uns; füllte die wabernde Suppe aus Todesgestank, schlechter Laune, unerträglichen Schmerzen und Hoffnung auf ein Leben außerhalb der sterbenden Stadt nun auch noch mit ihrer Glut.

Irgendwann war ich mit meiner Geduld am Ende und Sprang vom Wagen. Dem Korbflechter warf ich eine Münze zu und verschwand im Getümmel. Es war nicht gerade einfach vorwärts zu kommen, aber ich wusste, dass ich mich beeilen musste, sonst würde ich umdrehen und zurück in meine gewohnte Umgebung laufen.

Still. Es ist das Richtige. Still.

Ich kämpfte mich mit Ellenbogen und Zähnen vorwärts und wie durch ein Wunder, stand ich plötzlich vor dem Soldaten, der die Ausreisenden kontrollierte. Er blickte auf mich herab und nickte. Mit dem nächsten Schritt, den ich tat, zerriss mein Herz. Ich konnte nur noch keuchend atmen. Ich hatte es getan.

Vergiss nicht zu atmen

Ich war frei. Nun konnte ich nie mehr zurück.

Atmen!

Eine seltsame Schwerelosigkeit erfüllte mich. Als hätte ich etwas zurück gelassen, das nun zu lange schon meine Last gewesen war. Ich fühlte mich wie neu geboren, auch wenn ich nun nichts mehr besaß, als die Kleider an meinem Leib und die wenigen Dinge, die sich in meinem Beutel befanden. Aus zuverlässigen Quellen wusste ich, dass die Stadt morgen angezündet werden sollte, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.

Lächelnd trat ich aus der Menge auf den Straßenrand zu und ließ mich ins Gras, neben dem Weg, der von der Stadt weg, in mein neues Leben führte, fallen. Jetzt hatte ich den ersten Schritt getan, aber um weiter zu gehen brauchte es seine Zeit.

Ich atmete tief durch und besah erst einmal die Umgebung um mich herum. Dürre, aber stark beblätterte Bäume säumten die nun staubige Straße. Links und rechts befanden sich weite Felder, an dessen Seiten grünes Gras wuchs. Ewig weit konnte man blicken. Bis zum Horizont. Endlos, wie es mir schien. Ich sah nicht nur die Sonne, sondern ein blau, von einer Farbe, die schöner nicht hätte sein können. Es war hell und dunkel, weit und nah zugleich. Der Himmel. Ein Himmel, der durch kein Haus, keine Mauer und keine Wolke unterbrochen wurde. Dort oben war Freiheit und sie reichte hier so weit zur Erde herab, dass sie mich mit ihren kühlen, einladenden, gefährlichen Klarheit berührte.

Ich riss mich vom Anblick des Himmels los und sah mich um. Ob es den anderen Menschen auch so ging? Ihre Gesichter zeigten nicht den leisesten Anflug von Überwältigung. Sie quetschen sich aus der Stadt und hasteten sofort weiter, als könnten sie sich gar nicht weit genug davon entfernen. Spürten sie nicht, dass sie frei waren?

Traurig sah ich noch eine Weile zu, wie die Stadt ihre Ausgeburten ausspie. Die Außenwelt mit ihrer dreckigen Brut verschmutzte.

Mit einem Mal fragte ich mich, wie ich es so lange hinter den Mauern ausgehalten hatte. Hatte ich denn wirklich vollkommen vergessen, was leben heißt? Nein, dort drinnen hatte ich nicht gelebt. Ich hatte höchstens überlebt.

Hier war es, als würde ich das atmen neu lernen. Die Luft war so klar. Das sehen neu erfahren. Der Himmel in seiner Weite. Meine Umwelt neu spüren. Wie lange hatte ich kein saftiges Gras mehr zwischen meinen Fingern gefühlt?

Ich stand auf, um das erste Mal in meinem Leben einen Schritt zu machen. Fast schwerelos sprang ich einige Male auf und ab, bis mir ein Mädchen, auf der anderen Seite, der Straße auffiel. Ein weißer Fetzen bedeckte ihren dürren Leib. Ungewöhnlich große Augen starrten aus einem hageren, von verfilztem Haar umrahmten Gesicht zu mir hinüber.

Ich konnte mir nicht erklären warum, aber sie strahlte eine unglaubliche Stärke aus. Sicherlich hatte sie Hunger, Kälte, Angst und Schmerz erlebt, aber dies schien sie nicht gebrochen zu haben. Ihr Anblick hätte Mitleid in mir regen müssen, aber alles, was ich fühlte war Faszination. Fast wie im Traum, angezogen von ihrer überwältigenden Ausstrahlung zwängte ich mich erneut durch die Menge, zu ihr hinüber. Sie schien allein zu sein, niemand kümmerte sich um sie. War ich etwa die Einzige, die einem kleinen, dünnen Mädchen, dass alleine am Wegesrand steht, Aufmerksamkeit schenkt? Anscheinend schon.

Ich beschloss sie anzusprechen: „He, Kleine. Wo sind denn deine Eltern?“

Keine Antwort.

„Ich tu dir ganz sicher nichts! Ich möchte dir helfen!“

Schweigen.

„Du kannst doch hier nicht ganz allein bleiben!“

Stille.

„Sprich doch bitte mit mir. Ich möchte dir wirklich nur helfen.“

Endlich eine Reaktion. Kopfschüttelnd tippte sie mir auf die Brust. Ihre Lippen formten ein Wort.

„Kannst du nicht sprechen?“

Dieses Mal ein nicken. Ich seufzte. Ein stummes, hilfloses Mädchen. Mir war klar, dass ich sie nicht mehr einfach alleine lassen kann.

„Also, wo ist deine Begleitung denn lang gegangen? Vielleicht können wir sie noch einholen.“

Wieder hob sie ihren dürren Finger und zeigte auf mich. Verwundert sah ich sie an. Ob sie nicht ganz gesund war? Nein, diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Sie wirkte auf mich sehr klar, als wisse sie genau, was sie wolle.

„Ich?“, fragte ich, um sicher zugehen, dass sie auch wirklich auf mich gezeigt hatte.

Sie nickte.

„Hmm“, machte ich. Aus einem mir nicht erklärbaren Grund, mochte ich sie und wollte gerne auf sie aufpassen, aber ich wusste nicht, ob ich das konnte. Ich besaß ja selber nicht viel.

Dieses Mal war es an mir stumm zu nicken. Ich fragte mich, wie ich uns beide sicher bis ins nächste Dorf bringen und ernähren sollte, da wurde ein Mann in Ritterrüstung von seinem Pferd geworfen und landete vor unseren Füßen. Ein anderer schwang sich auf den Rücken des Tieres und preschte durch die Menge davon. Der Ritter richtete sich schwerfällig wieder auf. Er schien nicht mehr der Jüngste zu sein, aber schimpfen konnte er dennoch gut. Zwar verstand ich ihn nicht, da er nicht meine Sprache sprach, dennoch war es deutlich zu spüren, dass es keine Worte des Dankes waren, die er dem Pferdedieb nach brüllte.

Als er wieder etwas zur Ruhe gekommen war, drehte er sich zu uns um, besah uns kurz und wir wussten, dass wir unseren Beschützer gefunden hatten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-04-03T21:12:58+00:00 03.04.2008 23:12
Geiler Ausdruck.
Genial geschrieben.
Man kommt gut hinter her.
Liebe Die Story jetzt schon bitte mach weiter XDDDDDDD
Von: abgemeldet
2008-04-02T19:54:14+00:00 02.04.2008 21:54
Mir gefällt dein Schreibstil sehr gut.
Wie du die Gedanken deines Charakters schreibst finde ich fantastisch.

Zwar ist hier am Anfang wenig Handlung, aber das ist denke ich für eine Einleitung auch nicht schlimm. Schließlich gibt es verschiedenste Möglichkeiten einen in eine Welt einzuführen. Deine hat einen zumindest nicht so sehr im Dunkeln tappen lassen wie bei vielen anderen Einleitungen.

Gruß
Zodi


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