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Bomb Run

Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg
von

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Heimatfront

Er hatte von Anfang an gewusst, dass es eine saublöde Idee der Regierung war, die Bauern mit Frauen als Hilfsarbeiterinnen zu belästigen. Denn die hatten nur Sachen im Kopf, die nicht wichtig waren einen Krieg zu gewinnen: Lippenstift, amerikanische Filme, Tanzen, und was am allerschlimmsten war, diese Amerikaner, von denen zwei, oder manchmal auch mehrere, ständig hier auf dem Hof auftauchen.

Reg schmiss eine Gabel voll Mist aus dem Schubkarren hinauf auf den Misthaufen und spuckte eine Ladung Kautabak hinterher. Dann kratzte er sich am Hinterkopf und schaute hinauf in den Himmel. Er vernahm Motorendröhnen, wahrscheinlich das einer B-17 vom amerikanischen Flugplatz, auch etwas dass ihn zunehmend störte. Eigentlich störte ihn im Moment mehr, als das etwas ihn freute. Die Mädchen gingen ihm mit ihrem Gekicher auf den Keks, Meggie kümmerte sich ständig um diesen jungen Ami, Sam ließ sich von dem Scotch ködern, den ihm der andere Ami immer wieder mitbrachte. Und letztens erst hatte er Erica und den Ami im Heu erwischt. Das hieß, nicht erwischt, sondern eher unfreiwillig dabei beobachtet, als er noch einmal nach einer trächtigen Kuh sehen wollte. Sie hatte wie immer gekichert und der Ami hatte irgendetwas in seinem komischen Dialekt zu ihr gesagt. Dann war es still geworden und nur das Heu hatte geraschelt. Als Reg einen lauten seltsamen Seufzer gehört hatte, hatte er so schnell es ging das Weite gesucht, vergessen die Kuh, die würde ihr Kalb schon allein bekommen. Keinesfalls wollte er hier von dem Ami erwischt werden, der würde ihn sonst auch noch mit dem Scotch verhexen.

Die B-17 schoss über seinen Kopf hinweg, nicht so tief wie sie früher schon geflogen waren, aber immer noch tief genug, dass Reg wütend seine Faust reckte und in den Himmel boxte. Er plagte sich seufzend weiter mit dem Mist ab und verfluchte den Krieg. Verfluchte sein Alter, er war immerhin schon achtundsiebzig, und er fragte sich, warum er sich das alles überhaupt noch antat. Er dachte kurz verwirrt nach, dann fiel es ihm wieder ein: Damit diese Frauen hier nicht die Regentschaft übernahmen und den Hof in ein Tanzcafé umfunktionierten. Meggie würde sie sicher noch dabei unterstützen, und Sam würde sich rar machen und denen das Zepter überlassen.

Reg warf die Mistgabel in den Schubkarren und fuhr zurück in den Stall. Hinter der letzten Kuh fand er Anne, die sie gerade molk. Reg blieb hinter ihr stehen, bis sie sich umdrehte und fragte: „Ja, Mr. Reynolds?“

Mit einem Knurren, das dem eines wütenden Wolfes glich, drehte er sich um und verschwand in der Milchkammer. Dort fand er, anhand der Füllhöhe der Milch im Behälter, heraus dass bereits alle Kühe gemolken waren. Und so wie es aussah hatte dieses andere Mädchen auch bereits die Schweine ausgemistet. Eins musste man ihnen lassen, sie waren schnell wenn sie wollten, dachte Reg, aber wenn sie nicht wollten, dann fand man sie im Obstgarten im Schatten unter den Bäumen liegen, schlafend. Er ging nach draußen und schaute Erica eine Weile dabei zu, wie sie den Hof kehrte, während sie versuchte ein Gespräch mit ihm anzufangen. Aber Reg stellte sich einfach taub, das konnte er am besten. Dann rief Meggie aus der Küche zum Frühstück und er stand auf und ging hinein.
 

Meggie wusch gerade bei ein paar Eiern die Schale ab, da es letzte Nacht geregnet hatte und diese nun dementsprechend matschig waren und schlug sie dann in eine Bratpfanne. Ein paar Minuten später nahm sie sie vom Herd und stellte sie vor Reg auf den Tisch.

„Und, schon fertig mit melken, Reg?“

Der alte Mann nickte und schaufelte sich eine Ladung Rühreier auf den Tisch, zufrieden mit sich und der Welt. Kurz darauf kamen die beiden Mädchen herein und setzten sich ebenfalls an den Tisch. Als letztes kam Sam, nahm auf seinem Stuhl am Kopfende Platz und warf Reg böse Blicke zu, während er die wenigen Worte eines Dankesgebets sprach. Reg aß unbekümmert weiter.

„Morgen ist Sonntag, Mädels. Geht ihr mit euren jungen Männern aus?“ Meggie hatte durchgesetzt, dass die Frauen einen freien Tag bekamen, auch wenn es auf einem Bauernhof eigentlich keinen Urlaub gab und Sam sie zu Beginn sieben Tage durchschuften ließ. Morgen würde einfach sie mit anpacken und die jungen Frauen konnten etwas unternehmen.

„Wenn Chase nicht fliegen muss, dann ja. Er will mit mir nach Felixstowe fahren.“ Erica nahm einen Bissen Marmeladenbrot und sprach weiter: „Er hat gemeint, dass wir auch Baden gehen können, wenn das Wetter gut ist. Vielleicht kommt Verge auch mit.“ Sie warf einen Blick zu Anne, die ihn auffing und breit grinste. „Wirklich?“

„Wie gesagt, wenn sie nicht fliegen.“

„Hoffentlich hat’s richtigen dicken Nebel über Deutschland. Gibt’s noch ein Ei, Meggie?“

„Tut mir leid, ich brauch noch welche für den Kuchen.“ Meggie zwinkerte. „Aber vielleicht hat Reg noch welche gefunden.“

Reg tat immer noch als habe er sie nicht gehört, bis Sam vor ihm auf den Tisch klopfte und er aufsah. „Ob du noch Eier aus dem Stall raus hast, fragt meine Frau.“

Reg schüttelte den Kopf. Die drei Eier würde er für sich behalten, die gingen gar niemanden was an. Was bekam er denn sonst schon geschenkt? Eine Ladung Pferdemist für das Rosenbeet vor dem Haus, von Mrs. Dawson vom Nachbarhof vielleicht.

„Was hast du eigentlich mit den Zigarren gemacht, die Chase dir geschenkt hat, Reg?“ fragte Erica.

Reg erstarrte, wie Wild im Scheinwerferlicht, und warf einen gehetzten Blick in die Runde. Anne begann zu kichern und Sam grinste in seinen Kaffeebecher hinein. Reg beschloss sich nicht lumpen zu lassen. „Die werde ich aufheben und jemandem zum Geburtstag schenken.“

„Sei doch kein Frosch, Reg. Du hast längst eine geraucht, ich hab dich gestern hinterm Schuppen gesehen.“

Reg seufzte.
 

Sophie Lamont hatte immer schon gewusst, dass es irgendwann passieren würde. Sie hatte es bisher nie gewollt, aber dann war dieser Mann aufgetaucht. Evan Thompson, gerade zwanzig Jahre alt, zu allem Schreck auch noch Amerikaner, und hatte sie wortwörtlich aus ihren Träumen gerissen. Sie dachte immer, sie würde irgendeinen langweiligen Engländer heiraten, einer den ihre Eltern ihr ausgesucht hatten und der ebenso wie sie einen guten Namen mit in die Ehe brachte. Aber in der Zeit ihres Debüts schon war nie einer dabei gewesen, der mehr in ihr ausgelöst hatte als den Drang von dem Fest zu flüchten. Sie hatte vor sich hingeträumt, von einem der Cowboys aus den Wild-West-Romanen, die sie heimlich nachts unter der Bettdecke las, und der sie hoffentlich bald aus ihrem Elend befreien würde und mit ihr auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang davonreiten würde. Und dann war der Krieg gekommen und sie war mit gerade einmal siebzehn Jahren vor die Tatsache gestellt worden, dass nun wohl die ganzen „passenden“ Männer an die Front gehen und einige von ihnen nicht mehr wiederkommen würden. Und dann hatte sie dieses Plakat gesehen: Eine junge Frau in der taubenblauen Uniform der Königlich-Britischen Luftwaffe, ein Mann in Fliegeruniform, Schwimmweste und Fliegerhaube, dahinter die Flagge des Vereinigten Königreichs. Beide schauten in den Himmel und darüber der Schriftzug: „Diene im Weiblichen Hilfskorps der Königlich-Britischen Luftwaffe. Zusammen mit den Männern, die fliegen.“ Irgendetwas daran hatte sie sofort bestochen, und dann hatte sie wie im Traum gehandelt. Sie ging nachhause, ihre Eltern waren nicht da, nahm Mutters Lippenstift, ihre Puderdose und umschattete sich sogar die Augen mit einem Hauch Schwarz. Für irgendetwas musste ihr Debüt ja gut gewesen sein. Dann zog sie ein Kostüm an und schaute sich im Spiegel an. Sie sah nicht aus wie siebzehn, eher wie über zwanzig. Was ein bisschen Schminke ausmachen konnte…

Sie ging zurück zu dem Schild, unter dem eine Wegbeschreibung zum nächsten Rekrutierungsbüro angebracht war. Sophie fand das Gebäude auf Anhieb. Und dann stand sie plötzlich wieder draußen, gerade einmal eine halbe Stunde später, und fragte sich, was sie da gerade getan hatte. In der Hand den Zettel, auf dem stand, dass sie angenommen sei und in kurzer Zeit ihren Einberufungsbescheid bekommen würde. Sie hatten nicht nach ihrer Geburtsurkunde gefragt und Sophie reckte den Kopf hoch, wenn Männer bei ihrem Alter schwindeln konnten, dann konnte sie das schon lange.

Ihre Mutter stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch, als der Bescheid kam und musste mit Riechsalz wieder aufgeweckt werden, nachdem sie umgekippt war. Dann begann sie zu zetern, dass Sophies ganze Ausbildung umsonst gewesen sei und Sophie kam nicht umhin sich zu fragen, welche für eine Ausbildung? Dass sie lernte sich zur Schau zur stellen, sich herauszuputzen, bei Männern mit albernem Gekicher Aufmerksamkeit zu erregen?

Drei Monate später hatte sie ihre Grundausbildung und die darauf folgende Schulungen, wo sie zuerst lernte feindliche Flugzeuge auf dem Radar zu erkennen und dementsprechende Warnungen herauszugeben. Danach arbeitete sie an einem Funktisch, wo sie die Positionen der feindlichen Flugzeuge an die eigenen weitergab und die englischen Jagdstaffeln zum Ziel lotste. Und genau dort arbeitete sie jetzt immer noch. Und dann hatte sie an einem Abend in diesem Pub Evan kennengelernt. Zumindest war es so, dass sie sich erst am Morgen danach sehr langsam wieder an alles erinnern konnte. Und seitdem war er nie länger als zwei Wochen am Stück verschwunden gewesen. Sie machte ihm auch keine Vorwürfe, denn er hatte schließlich einen Job zu machen. Wie sie auch, aber sie dachte dass seiner wichtiger war. Viel gefährlicher. Nein, dachte sie, daran wollte sie jetzt nicht denken. Lieber daran denken, dass sie ihn heute Abend sehen würde. Wenn ihre Mutter davon wüsste, würde sie sie wahrscheinlich enterben, aber Sophie war das egal. Das einzige was sie bekommen würde, war eine Mitgift, falls sie einen passenden Mann heiraten würde, den Rest würde ihr Bruder Johnnie erben. Und das bisschen Mitgift konnte sich ihre Mutter getrost an den Hut stecken, dachte Sophie.
 

Reg stand hinter dem Hühnerstall und schaute in den Himmel. In der Hand hielt er eine brennende Zigarre. Man lebte schließlich nur einmal, dachte er, und bevor der Ami sie jemandem anderen schenkte, sprang er lieber über seinen Schatten und nahm sie schweren Herzens an, man konnte die Dinger ja nicht verkommen lassen, das Lang befand sich immerhin im Krieg. Da durfte man nichts wegwerfen. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und erschrak, als die Eier in seiner Jackentasche platzten. Laut fluchend holte er die Schalenreste heraus und warf sie weg. Den Eiermatsch würde er später beseitigen. Er hörte Gekicher aus dem Stall und plötzlich einen lauten Ruf, demzufolge der Amerikaner wieder da war. Reg schaute auf und sah wie sich Erica in die Arme des Amerikaners schmiss, er lächelte kurz, seufzte dann und ergab sich schließlich in sein Schicksal. Immerhin hatte er viel weniger Kreuzschmerzen, seit die Frauen den meisten Kuhmist aus dem Stall schoben und er sich nicht mehr mit dem Karren abplagen musste.



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