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Nur ein Wort

von

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Your place in my Diary...

Gedanken umschwirrten sie, nahmen ihr alle Luft zum Atmen, flüsterten ihr seltsame Dinge ins Ohr. Buchstaben tanzten vor ihrem inneren Auge, stahlen ihr die Sicht. Und sie suchte. Suchte nach den richtigen Worten.

Nur der matte Mondschein, der durchs Fenster ins Zimmer drang, beschien das weiße Blatt Papier, das vor ihr auf dem Schreibtisch lag. So leer. Genauso leer wie ihr Kopf, der zwar die Worte wahrnahm, die sie umtanzten, diese jedoch nicht greifen – oder begreifen – konnte. Immer wieder rutschte sie an ihnen ab, glitt an ihnen vorbei, bis sie wieder durchs Nichts trieb. Ein endloser Lauf durch die Dunkelheit. Ein Seufzen.

Sie blickte aus dem Fenster, auf die schwach beleuchtete Straße, die Bäume, die sich gegen den starken Wind neigten. Hörte förmlich das beruhigende Rauschen ihrer Blätter. Dann hob sie den Blick zum Himmel. Der Mond. Ein silbriges Leuchten. Und irgendwo da draußen befand sich derjenige, wegen dem sie sich jetzt gerade den Kopf zerbrach, und betrachtete vielleicht genau denselben Mond wie sie. Irgendwo. Was dachte er?

Sie schloss die Augen und sammelte sich.

So viele Nächte hatte sie wach gelegen, nur wegen diesem einen Gedanken, der sie quälte. Dem Gedanken an ihn. So viele Tränen hatte sie vergossen. Und wusste nicht, wieso.

Denn er war es doch, der sie immer zum Lachen brachte.

Mit noch geschlossenen Augen kringelte sie sich eine Haarsträhne um den Finger und atmete tief durch. Ein und aus. Ruhe.

Egal, was sie schreiben würde, sie hatte das Gefühl, es wäre das Falsche. Sie wollte über ihn schreiben, ihm ein paar Worte in ihrem Tagebuch widmen, und doch konnte sie nicht. Was sie niederschreiben würde, wäre in jedem Falle für die Ewigkeit. Unendlich. Unauslöschlich. Verankert in Raum und Zeit. Das machte ihr Angst.

Sie öffnete wieder die Augen und wand den Blick dem Blatt Papier zu. Weiß. Was für eine unpassende Farbe. Vielleicht gelb, oder orange. Das passte zu ihm. Aber nicht weiß. Weiß war zu kalt.

Der Füllfederhalter brannte in ihrer Hand, als würde er es nicht länger aushalten, untätig ihrem wechselnden Mienenspiel zuzuschauen. Eigenartig. Wieso schmerzte ihr Herz auf einmal so?

Sie strich mit den Fingern sanft über die unbeschriebene Seite, fühlte die Berührung an jeder einzelnen Fingerkuppe. So glatt. So rein. So richtig. Dann verlor sie sich in einem Meer aus bisher ungedachten Gedanken, nie zuvor wahrgenommenen Gefühlen, die sie mit aller Macht zu verdrängen versucht hatte. Die in diesem einen Augenblick zu stark waren, um weiter ignoriert zu werden.

Aber er war doch ihr bester Freund.

Und plötzlich prangte das Wort inmitten des ganzen Weißes. In einem kurzen Moment, da sie nicht aufgepasst hatte. Sie erschrak.

Mit eisernem Griff umklammerte sie den Füllfederhalter, näherte ihn diesem unglückseligen Geständnis – und setzte mit einer immensen Entschlossenheit dicke, dunkelblaue Linien über die sauber geschriebenen Buchstaben. Die Feder kratzte laut auf dem Papier, so fest drückte sie auf. Was für ein unschöner Fleck auf dem sonst unbefleckten Papier. Was für ein unschönes Gefühl inmitten ihrer perfekten Freundschaft. Eine ihrer Tränen setzte eine weitere Unreinheit in das Weiß.

Vertrauen. Glück. Freude. Ein Lachen. Die warmen Strahlen der Sommersonne.

Das alles waren Dinge, die sie mit ihm in Verbindung brachte, die sie lächeln ließen, wenn sie an ihn dachte. Und doch waren es nicht die Worte, die sie gesucht hatte. Das wusste sie.

Denn es genügte nur ein Wort, um zu zeigen, was sie für ihn empfand. Ein einziges. Und es schien ihr wie ein Fluch, dass es genau dieses eine Wort sein musste, vor dem sie sich fürchtete wie vor einem Feind.

Er war doch ihr bester Freund.

Und Freundschaft war für die Ewigkeit –

Alles andere konnte schneller zerbrechen, als man sich umsah.

Deshalb hatte sie die Wahrheit ausgelöscht, mit dicken, wütenden Linien. Sie würde nichts kaputt machen, wollte ihn nicht verlieren.

Und doch –
 

Liebe – das hatte dort gestanden, inmitten des Weißes.



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