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A Dreamless Carroll

von

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Wasser

Hi, das ist ein Beitrag zum Thema 'Angst' :-D
 

Wasser. Überall Wasser. Hunderte. Tausende. Millionen Liter Wasser vor mir. Tausende Kubikmeter glasklare Flüssigkeit. Ich stehe am Beckenrand und sehe hinunter. Der Fußboden zwei Meter unter mir kräuselt sich inmitten der Wellen. Wie Schlangen bewegen sich die Linien der Kacheln vor und zurück, zur Seite und wieder nach vorne. Erbarmungslos platzschen sie gegen den Beckenrand. Sie greifen nach mir. Und irgendwann werden sie mich kriegen. Ich weiß es. Ich muss nur einen Schritt nach vorne machen und dann haben sie mich. Ich werde strampeln, doch meine Füße werden keinen Halt finden. Ich werde schreien, doch meine Angst wird nur an den Wänden widerhallen. Ich werde atmen, panisch atmen, bis aus meinen Lungen nur noch Luftbläschen aufsteigen. Ich weiß es. Denn ich bin viel zu schwer. Issac Newton sagt mir, dass die Gravitation zu stark, das Wasser zu undicht ist, um mich zu tragen. Ich werde untergehen. Ich darf nicht hineinfallen! Ich muss mein Gewicht immer nach hinten verlagern, ich darf keine ungeschickten Bewegungen machen und ich darf mich nicht von ihm treiben lassen. Es, das große ‚ES‘, entstanden aus Gruppenzwang und zahlreichen Filmen. Es, das mir sagt, dass der Mensch auf dem Wasser schwimmen kann, solange er sich bewegt, dass man irgendwann doch Halt findet und dass es cool ist, verschwitzt aus dem Wasser zu steigen und sich in die Sonne zu legen. Aber ich widerstehe ihm. Ich muss meine Hand nur einmal unter fließendes Wasser halten, spüren, wie es durch meine Finger rinnt und zu sehen wie es schnell im Abfluss verschwunden ist. Es kann mich nicht tragen. Es kann mich nur umspülen, festhalten, es platzscht von allen Seiten auf mich ein, seine Wellen reißen mich mit, schleudern mich umher bis sie mich ertränken. Eine fremde Macht ergreift mich, hält mich fest und ich kann ihr nicht entkommen. Ich kann sie nicht einfach bitten loszulassen. Niemand kann das. Ich kann nur warten, bis meine Qual endlich vorbei ist.
 

Ich habe immer alles unter Kontrolle. Wenn ich über den Fußweg laufe, habe ich festen Boden unter den Füßen, ich kann ihn jederzeit verlassen, umkehren. Wenn ich auf einem hohen Gebäude stehe, kann ich mich irgendwo festhalten. Und selbst wenn ich im Flugzeug sitze, spüre ich den harten Teppich unter mir. Wenn ich mit Menschen rede, weiß ich, wie sie reagieren und kann darauf wieder agieren. Selbst wenn etwas Unerwartetes passiert, weiß ich, was zu tun ist, ich habe tausende Möglichkeiten und suche mir eine aus.
 

Aber hier kann ich nichts tun. Wenn ich einmal in den Wellen bin, bin ich verloren.
 

Doch es gibt nicht auf. Immer wieder sagt es, ich solle mich fallen lassen, ich solle einfach nach vorne kippen und sehen, was passiert. Ich würde merken, dass mein Körper das täte, was er immer tun würde: versuchen zu überleben, meine Reflexe würden alles machen, ich müsste es nur zulassen. Und manchmal gerate ich in die Versuchung, ihm zu glauben. Ja, manchmal denke ich darüber nach, den Schritt zu wagen und mich dem Wasser hinzugeben. Was hätte ich schon zu verlieren? Wäre es schlimm, wenn ich sterben würde? Im Grunde nicht, ich habe keine Schulden, die ich begleichen müsste, und die moralischen Schulden, die ich durch meinen Tod erzeugte, könnte ich ohnehin nicht begleichen. Ich bin nur ein kleines Rädchen im Netzwerk eines anderen, falle ich aus, nimmt ein anderer meine Position ein. Doch dann denke ich an mich. An all die Schmerzen, die ich haben werde; während ich panisch herumstrampele, werde ich mir Arme und Beine auskugeln, Bänder werden reißen, Muskeln zerren und am Ende wird das Wasser in meine Lunge eindringen, mein Kehlkopf verschließt sich und ich ersticke. Und das ist es mir nicht wert. Was bringt es mir überhaupt mich fallenzulassen? Ich bin glücklich, ich habe eine Familie, ich habe Freunde, ich habe einen Job und tolle Hobbies. Ich habe keinen Grund zu springen; ich muss mir nichts beweisen, ich bin vollkommen zufrieden mit mir!
 

Aber warum bin ich dann hier? Warum komme ich jeden Tag in die Halle und starre auf das Wasser? Warum bin ich gleichzeitig fasziniert und voller Angst? Warum habe ich überhaupt Angst? Wasser tut mir nichts; ich dusche gerne, ich mag das kühle Gefühl auf der Haut, ich mag Schnee, solange ich ihn nur sehen muss, und mein Lieblingsgetränk ist Wasser. Ich kann auch inmitten des Meeres auf einer kleinen Insel sitzen, ohne die Massen als bedrohlich zu empfinden. Ich mag es, wenn sich die Wellen am Strand brechen, wenn sie tosen und wüten. Aber hier, in dieser Halle, habe ich Angst.
 

Es ist in Ordnung Angst zu haben. Angst zeigt uns unsere Grenzen auf, sie sagt uns, dass wir nicht perfekt sind. Ein Mensch ohne Angst geht Risiken ein, die sein Leben bedrohen können, gerade weil er sie nicht spürt. Sind wir nicht immer auf der Suche nach Grenzen? Wollen wir nicht immer austesten, wie weit wir gehen können, wieviel unser Körper und unsere Seele aushalten? Angst stellt uns vor die Entscheidung: weitergehen oder wegdrehen. Man kann sie überwinden oder vor ihr kapitulieren. Das ist nicht schlimm. Auch Kapitulation kann eine Erfahrung sein. Aber viele Ängste sind unbegründet. Die Gesellschaft und unsere Erfahrung erzeugen sie, ohne, dass sie unser Leben wirklich bedrohen.
 

Genau wie das Wasser. Es sind nur 2,5 Meter, nur 80 cm weniger als ich groß bin. Wenn ich also auf dem Fußboden stehe, ist über mir eine Wassermasse, die mir nur bis zur Mitte des Oberschenkels geht. Außerdem kann ich mich an den Fliesen des Beckens jederzeit nach oben tasten. Es ist ganz einfach. Es ist ganz einfach. Es – ist – ganz – einfach. Ganz einfach. Einfach nur springen.
 

Ich hole tief Luft und schließe die Augen. Die Gefahr scheint weit weg und ich kann mich ganz auf mich konzentrieren. Ich schüttele mich ein letztes Mal und schreie schonmal, um mich abzulenken – auch wenn es in dieser Situation denkbar unpassend ist. Dann springe ich.
 

Noch bevor ich denken kann, spalten meine Füße die durchsichtige Masse, ich falle und falle bis ich den Boden unter meinen Füßen spüre. Intuitiv stoße ich mich ab. Als ich die kalte Luft in meinem Gesicht fühle, öffne ich die Augen. Meine Haare kleben auf meinem Gesicht, die Decke über mir dreht sich, meine Arme liegen auf dem Wasser und bewegen sich irgendwie. Ich habe es geschafft.
 

Ich habe es geschafft! Ich bin gesprungen und ich habe es überlebt! ‚Juchu!‘ rufe ich. Es hallt an den Wänden wider. Mehr kann ich nicht. Ich kann nicht denken, nicht fühlen, ich sehe nur den Himmel über mir und rufe ‚Juchu!‘ Erst dann bewege ich mich irgendwie zum Beckenrand. Als ich aus dem Wasser geklettert bin, stelle ich mich auf das Sprungbrett. Und springe nochmal.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-28T15:05:11+00:00 28.05.2011 17:05
Ja ich stimme nIgHt_wAlKeR und -Moonshine- voll zu.
Die Story erzeugt echt Gänsehaut, gut gemacht.
Man kann die Angst schon richtig spüren.
Die Art wie du diese, wie ja auch schon gesagt wurde, einfache Angst beschreibst, ist wirklich gut.
Du zeigst, dass für einige ganz normale Dinge andere vor Angst beinahe in den Wahnsinn treiben können.
Das mag ich sehr.
Es ist an sich auch gut zu lesen.
Du hast hier sehr schön beschrieben, was die Atmosphäre sehr gestärkt hat und ein wahrlich wunderbares Bild in meinem Kopf heraufbeschworen hat.

Schade fand ich, dass ich vom Ende leider gar nicht überrascht war, irgendwie hatte ich mir das schon genauso gedacht.
Das ist aber nicht deine Schuld, ich hatte es eben einfach erwartet.



Aber trotzdem hast du es wirklich sehr gut gemacht.
Man fühlt sich richtig hineingezerrt in diese Story und man wird bis zu Ende nicht mehr losgelassen.
Das schafft nicht jeder.
was mir auch noch besonders gut gefallen hat, war die Beschreibung des Todes und die Szene, wo der Protagonist dann seine Angst überwindet und springt.
Das hat mir sehr gefallen.
Denn das ist ja eigentlich der Kern dieser Story und der passt wirklich toll.

Am Besten gefiel mir in dieser Szene, dass du geschrieben hast, dass die Person einfach nur glücklich ist das sie noch lebt und zu normalem denken nicht mehr imstande ist.

Alles in allem, eine sehr schöne (so schön wie es bei dem Thema eben geht XD) Story.
Mal eine andere Angst.
Da sieht man mal, dass es nicht immer etwas ausgefallenes sein muss, dass einen in Panik versetzt.
Schön.
Mach weiter so.


jöker
FCY
Von:  TommyGunArts
2010-10-18T12:02:56+00:00 18.10.2010 14:02
Heurika! Eine geniale Geschichte, die sich durchaus zu lesen lohnt! Du beschreibst die Situation wahrlich klasse, sodass ich als Leser direkt im Geschehen mit dabei war. Gut gemacht!
Schreibtechnisch gesehen hast du ein paar kleine Fehler drin, die dir Moonshine aber zum größten Teil bereits raus geschrieben hat. Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen:

"Ich bin nur ein kleines Rädchen im Netzwerk eines anderen, falle ich aus, nimmt ein anderer meine Position ein."
>Ich würde 2 Sätze daraus machen und das Komma vor "falle" zu einem Punkt machen. Das hört sich dann noch besser an.
Ansonsten wunderbar.

Ich mag besonders die sehr gut gewählten Worte. Man merkt, dass du dir beim Schreiben Gedanken gemacht hast, nicht nur über die Idee an sich, sondern auch über die Art und Weise, wie du es schreibst.
Da ist mir aufgefallen, dass du aus der "einfachen" Angst eine Angst um die eigene Existenz machst. Da merkt man sehr gut, wie die Angst geplagten Personen sich selbst verunsichern und immer weiter in die Angst hinein steigern.
Gut gemacht!

Der Gruselfaktor kommt ebenfalls nicht zu kurz. Ich muss zugeben, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen ist, bei der Stelle, wo er sich vorstellt, wie das Wasser ihn "töten" könnte. Eine wahrlich erschreckende Vorstellung.

Alles in allem ist das eine deiner besten Storys, nicht nur vom schreiberischen, sondern auch von der Idee. Scheen, wie du jetzt sagen würdest :b Wenn du jetzt noch die kleinen Mengel beseitigst, die Moonshine dir so schön raus geschrieben hat, dann ist es perfekt!
Ich packe das Ganze mal gleich zu den Favoriten und hoffe ich finde beim weiter lesen der anderen kleinen Geschichten noch mehr so tolle One-Shots.

lg
schnorzel
Von:  -Moonshine-
2010-10-01T15:42:49+00:00 01.10.2010 17:42
Hallo du :)

So, jetzt bin ich mal dran. Der One-Shot war mal was Anderes, als das, was man sonst so über Ängste liest. Mir hat es sehr gefallen, wie du die Furcht der betreffenden Person vor Wasser bzw. speziell vor dem Wasser im Hallenbad beschrieben hast. Sehr plastisch, muss ich sagen. Ich konnte mich richtig in sie hineinversetzen, aber am besten fand ich die Stelle, in der der Protagonist beschreibt, wie der Tod durch das Ertrinken einsetzt. XD Das war schon ein bisschen gruselig.
Kurzzeitig hab ich auch gedacht, dass er sich ertränken will, und wollte schon aufstöhnen, aber zum Glück war das dann ja doch nicht so. ^^
Mir sind ein paar Fehler und sprachliche Mängel aufgefallen, die mich immer wieder ein bisschen aus dem Lesefluss gerissen haben. Ich zähl dir mal ein paar Sachen auf:

>Erbarmungslos platzschen
-> Du meinst sicher "platschen", ein solches Wort mit z kenn ich nicht... aber auch platschen hört sich irgendwie kindlich an... Leider weiß ich auch kein besseres Wort, das passen könnte. Vielleicht klatschen, andererseits ist es ja genau das gleiche...

>Issac Newton
-> Soweit ich weiß wird Herr Newtons Vorname "Isaac" mit zwei A geschrieben ^^ aber a und s liegen auf der Tastatur ja sehr nah beieinander. ^^;

>verschwitzt aus dem Wasser zu steigen
-> Ich bin mir ziemlich sicher, dass man nicht "verschwitz" aus dem Wasser steigen kann, höchstens, dass die Wassertropfen am Körper perlen... aber der Schweiß wird ja im Wasser direkt abgespült.

>Ich muss meine Hand nur einmal unter fließendes Wasser halten, spüren, wie es durch meine Finger rinnt und zu sehen wie es schnell im Abfluss verschwunden ist.
-> Da ist ein kleiner Fehler im Satzbau. "Und zu sehen", passt nicht so recht. Wenn man den Satz kürzt, sieht er so aus: Ich muss meine Hand nur einmal unter fließendes Wasser halten [...] und zu sehen wie es schnell im Abfluss verschwunden ist.
Weißt du, was ich meine? ^^;

>wie sie reagieren und kann darauf wieder agieren.
-> Normalerweise heißt es doch, "auf eine Aktion folgt immer eine Reaktion" - d.h. man muss zuerst agieren, dann reagieren. Hier hast du es ein wenig umgedreht. Streng genommen ist natürlich alles eine Reaktion auf eine Reaktion auf eine Reaktion, aber so herum liest es sich doch etwas irreführend.^^

Hin und wieder hast du auch ein paar Kommafehler, vor allem vor Relativsätzen. Aber naja, nicht so schlimm. Ich denke, das wars erstmal von mir, und vielleicht lesen wir uns irgendwann ja nochmal wieder. Da warten noch ein paar One-Shots in dieser Sammlung auf mich, hmß? :)
Ein schönes Wochenende dir.
LG
Eli

[KmS]



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