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A Dreamless Carroll

von

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An meine Sehnsucht

„Hau ab! Verschwinde endlich!“, brülle ich die Gestalt vor mir an. Ihre graue Kleidung hängt in Fetzen an ihrem Körper, sie ist schmutzig, dreckig, als wäre sie schon weit gegangen. Trotz der schwarzen Leere in ihren Augen wirkt sie stolz. Unglaublich stolz. Nicht bereit, auch nur einen Centimeter von hier zu weichen. Mit dem Ziel, mich ins Unglück zu treiben.
 

„Was machst du hier?“, schreie ich weiter, „Ich hab dir beim letzten Mal schon gesagt, dass du nicht wiederkommen sollst! Ich brauche dich nicht mehr! Also geh! Geh endlich!“
 

Ein hämisches Grinsen. Ein Lachen, das in meiner ganzen Welt wie ein quälendes Echo wiederkehrt, schallend, wallend, wissend. Mein Besucher muss sich nicht bewegen, er muss nicht einmal die Augen verdrehen, allein die Bewegung seines Mundes reicht aus, um seine ganze Verachtung auszudrücken.
 

„Nein. Du hast mich gerufen, und ich komme.“, erwidert die Gestalt kalt.
 

„Das ist eine Lüge!“, wehre ich mich, „Ich habe dich nicht gerufen, ganz im Gegenteil, ich habe dir klargemacht, dass ich dich nie, nie wieder sehen will!“
 

„Dein Verstand hat mich abgewiesen, aber deine Seele hat mich geradezu angefleht wieder zu kommen.“ Seine Selbstsicherheit geht mir auf die Nerven. Was erlaubt sich dieser Haufen Lumpen eigentlich? Das ist meine Welt. Ganz allein meine. Und da hat er nichts verloren. Nicht mehr.
 

„Warum sollte ich dich wiederhaben wollen? Ich habe dich lange genug ertragen! Ich habe unter deinen Klagen, deinen Schelten, deinen Suggestivfragen genug gelitten! Tagelang hast du dagegessen und zugeguckt, wie ich meine Welt aufgebaut habe! Wie ich die graue Wüste begrünt, die Felsenbrocken weggeräumt, die Erde mit den Hände aufgelockert und schließlich Samen gesät habe! Wie ich den Regen aufgefangen und damit meine Felder bewirtschaftet habe. Wie ich den Lehm angerührt und mir daraus ein Haus gebaut habe! Was hast du gemacht? Nichts! Sieh an, was aus mir geworden ist? Sicher, Blumen sprießen noch nicht, aber der Rasen wächst und gedeiht, und langsam kommen auch die Tiere zurück! Siehst du, wie schön, wie hell meine Welt ist, seit du nicht mehr da bist?!“
 

„Du hast mich gerufen.“, beharrt mein Gegenüber fest.
 

„Warum sollte ich dich wollen? Du mit deiner Zerstörung! Guck dich doch mal um! Du hinterlässt eine Spur der Verwüstung, die Erde, auf die du trittst, wird zu Asche, die Pflanzen verdorren, selbst die massivsten Gebäude verweht der Wind als wären sie aus Staub! Du bist tot, alles um dich herum ist tot. Kein Mensch braucht dich!“, schreie ich. Ich frage mich, wie ich dieses Wesen jemals in meinem Garten lassen konnte. Aber es ist damals einfach gekommen. Und ich hatte nicht die Kraft es abzuweisen. Monatelang hockte es in meiner Welt und vergiftete den Boden. Aber wie durch ein Wunder wuchsen die Pflanzen trotzdem. Und irgendwann ging das Wesen. Es kam zwar noch so manches Mal, aber meine Welt erholte sich immer gut von seinen Besuchen. Doch vor ein paar Tagen hatte es mir gereicht und ich wies es endgültig ab. Doch es kam wieder.
 

„Du irrst.“, zwei Worte, mehr brauchte es nicht, um mich zu paralysieren und meine Wut kurz darauf in ungeahnten Höhen schießen zu lassen.
 

„Was soll das heißen? Willst du mir erklären, dass du noch etwas anderes bringst außer Trauer und Zerstörung? Das ist lächerlich!“, fauche ich.
 

„Ja.“, sagt mein Besucher und ich weiß nicht, was er damit meint. Hoffentlich klärt er mich endlich mal auf! Mir geht diese Einsilbigkeit auf den Geist. Ich habe ihn nie verstanden. Ich habe nie verstanden, warum er mir immer nur Fragen stellt, die keinen Sinn machen. Warum er mir nie antwortet, und wenn, dann nur mit ein oder zwei Worten. Selbst als er damals in meinem Garten war, hat er meistens nur gelächelt. Das war das schlimmste. Nicht seine Worte, sondern sein Schweigen. Er redete und redete immer über Dinge, die ich nicht begreifen konnte – und dann hörte er plötzlich auf. Alles war gesagt. Elender Rechthaber!
 

„Ich bin Tod und Leben in einem, das weißt du, sonst hättest du mich nicht gerufen.“, führt mein Gegenüber leicht vorwurfsvoll aus, „Im Moment bin ich für dich die Zerstörung, aber für viele Menschen bin ich die Keimzelle neuen Lebens. Und auch du hast mich am Anfang geradezu angebetet. Siehst du die Rose dort drüben?“, er weist mit seiner knochigen Hand auf eine rote Blume, die gerade aufblüht. Vorhin hat sie noch nicht geblüht, bis gerade eben hat noch gar keine Blume geblüht – was hat er gemacht?, „Bevor ich kam, als deine Welt noch in Ordnung war, wuchsen hier nur Gänseblümchen, Klee und Butterblumen. Wunderschön, aber auch ziemlich eintönig. Und jetzt, sieh dir die Rose an! Die Kraft, die Stärke, die sie ausstrahlt. Ohne mich hättest du diese Schönheit nie erschaffen können.“
 

Ich fange an zu grübeln. Damals… damals hat er an meiner Tür geklopft und um Einlass gebeten. Er sah so anders aus, statt in Lumpen war er in ein gülden-wallendes Gewand gekleidet, wie eine Elfe schwebte er über dem Boden und seine Augen strahlten wie tausend Sonnen. Um ihn herum pulsierte das Leben und ich gewährte ihm nur zu gern einzutreten. Doch nach ein paar Tagen ging er. Mein Garten, der unter ihm geradezu aufgeblüht war, fing an zu verdorren. Die Blumen verwelkten, die schöne Villa, die ich mir erbaut hatte, zerbröckelte, mein See trocknete aus. Ich konnte nicht begreifen, was passiert war, ich war süchtig nach diesem Wesen geworden und konnte mich nur langsam von ihm lösen. Irgendwann fing ich wieder an zu leben. Doch dann kam er wieder, dunkel, schwarz, voller Häme, als hätte ihn jemand auf die dunkle Seite der Macht gezogen. Ich will das nicht. Ich würde am liebsten alle Keime, die er unsichtbar in meinen Boden gesetzt hat, einfach auslöschen, ausgraben, verbrennen, vernichten. Aber wie immer hat er recht – es geht einfach nicht. Die Dinge, die ich in seiner Anwesenheit gelernt habe, werde ich nicht wieder los. Zu tief sind die Erkenntnisse verbuddelt und strahlen nach außen. Selbst wenn ich sie suchte, ich würde sie nicht finden. Ich würde niemals herausfinden, warum er gekommen, gegangen, was er hinterlassen hätte. Ich würde niemals herausfinden, wie ich es geschafft habe, mir meinen Garten aufzubauen, trotz seiner Anwesenheit. Ich werde niemals erfahren, ob es anders nicht besser, einfacher gewesen wäre. Aber er hat mir viel gegeben – viel Schlechtes, aber leider auch viel Gutes.
 

„Und genau deswegen habe ich dich gerufen, oder?“, frage ich geschlagen.
 

„Genau deswegen hast du mich gerufen.“, wiederholt mein Gegenüber, „Du weißt, dass dein Garten ohne mich nicht so schön wäre, wie er gerade ist. Du siehst es noch nicht, aber wenn erst einmal Frühling ist, werden all deine Pflanzen erstrahlen, schöner und üppiger als zuvor.“
 

„Du bist nicht nur Tod. Auch für mich nicht. Mein Verstand sieht in dir das Verderben, doch für meine Seele bist du der Schöpfer. Aber sieh dir deine Spuren an – du vergiftest meine Garten immer noch!“, ich ringe mit mir. Die wahre Erkenntnis, dass meine Wut nichts als Fassade war, zehrt an mir. Sich einzugestehen, dass das Böse auch eine gute Seite hat, bedeutet, dass sich neue Türen öffnen, es bedeutet, wieder viele Entscheidungen treffen zu müssen, neue Risiken einzugehen. Es bedeutet, die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass alles irgendwie gut wird.
 

„Ich werde deinen Garten immer vergiften, aber es wird auch eine heilende Wirkung haben. Und irgendwann brauchst du mich nicht mehr. Irgendwann werde ich nicht mehr in dieser Gestalt kommen, sondern als das Leuchten, dass du kanntest. Aber bis dahin komme ich gerne, und ich komme in Frieden. Es ist in Ordnung, wenn du mich rufst, wenn du mich brauchst, dann brauchst du mich. Es bedeutet, dass du nichts vergisst. Ich bin ein Mahnmal."
 

„Deine Schritte, deine Worte, deine Taten werden immer schneiden. Aber sie werden auch heilen. Sie werden auch heilen.“, resümiere ich. Er hat recht. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn, weil mein Garten sonst öde wäre, auch wenn er mir wehtut, brauche ich ihn einfach. Und es ist in Ordnung. Niemand stört mich in meinem Garten, ich kann machen, was ich will. Ich habe mir sovieles wieder erkämpft, dass ich jeden seiner Besuche überstehe. Ich würde ihn nicht rufen, wenn ich nicht wüsste, dass er keinen Schaden anrichten würde. Ich habe zwar immer Angst, dass er mich besiegt. Aber vielleicht rufe ich ihn, weil ich ihn besiegen will. Ich will sehen, dass ich noch lebe, dass ich etwas anderes außer gärtnern kann.
 

„Also gut, dann bleib“, sage ich schließlich.
 

„Möchtest du Tee oder Kaffee?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-19T13:07:44+00:00 19.05.2011 15:07
Ich bin hier auch der Meinung dass sich die Story wirklich erstaunlich gut liest. Ich mag sie sehr und ich denke das diese hier und das Gedicht Remain von dir bis jetzt deine besten Werke sind (vielleicht stoße ich ja noch mal auf was anderes). Dein Schreibstil ist hier wirklich besonders gut, weswegen es sich, wie ich ja schon sagte (und wie hier auch schon erwähnt wurde) ja so gut liest. Ich mag den Titel übrigens sehr, denn es ist nicht so ein Titel, der direkten Bezug (damit meine ich das er Wortwörtlich im Text vorkommt) zur Story hat, sondern einer der vor allem Sinngemäß auftaucht. Das ist ein Titel wie ich ihn auch selbst gerne benutze, wirklich gut.

So ich würde diese Story jetzt gerne mal Interpretieren und mal gucken inwieweit ich damit an dem was du meintest dran liege.
Also ich denke das es hier( oh wunder) um Sehnsucht geht, vielleicht um die Sehsucht nach einer geliebten Person oder etwas anderem. Aber ich gehe jetzt einfach mal von jemandem aus, den man liebt. In dem Fall würde ich sagen, war man als man die Person kennen lernte sehr in sie verliebt und hat die schlechten Seiten (deswegen zu Anfang Elfe) überhaupt nciht wahrgenommen, später jedoch sind sie einem dann aufgefallen (verdorrender Garten und so). ich denke jedoch nicht das man die Person (oder wonach auch immer man Sehnsucht hat) wirklich zu sch ruft, sondern eher das man die Erinnerungen (also die Sehsucht) in den Verstand (hier Garten) lässt. Man kann sie nicht aus dem eigenen Verstand vertreiben udn leidet darunter (Blumen verdorren etc..) außerdem sieht man aber auch die guten Seiten, die das alles einst hatte (aufblühen der Blumen) udn wünscht sich insgeheim das alles zurück, auch wenn es schmerzt.
Ich würde mich wie immer sehr über eine Antwort auf meine Interpretation freuen.


So ok das war es auch schon was mir so hierzu in den Sinn kommt.
Eine wirklich gute Arbeit, ich habe keine Fehler gefunden und bis auf das das Ende etwas zu kurz kommt, nichts zu meckern.
Mach auf jedenfall weiter so.



jöker
Von:  w-shine
2011-05-15T18:52:55+00:00 15.05.2011 20:52
Hey,

hier bin ich, um meinen Schuldschein einzulösen ^_^
Fangen wir von vorne an: Die Geschichte liest sich wirklich gut, die Beschreibungen sind sehr bildhaft und man kann die Verzweiflung mit der der Erzähler (bzw. die Erzählerin ;)) die Anwesenheit der „Gestalt“ verabscheut und will, dass sie verschwindet, gut nachvollziehen.
Die Steigerung in der Geschichte gefällt mir auch, die sich über den Erkenntnisgewinn bis hin zur Akzeptanz der „Gestalt“ führt.
Der letzte Satz hat mir ein Lächeln entlockt – allerdings finde ich nicht, dass er nicht so ganz zur Geschichte passt, aber das ist nur mein persönliches Empfinden.
Das Verstehen der Geschichte finde ich etwas schwieriger. Da die Geschichte „An meine Sehnsucht“ heißt, nehme ich an, dass die „Gestalt“ die Sehnsucht ist. Ich finde es auch in sofern verständlich, als dass Sehnsucht, am Anfang das Leben vergiftet und man immer wieder von ihr überrollt wird, obwohl man eigentlich bereits der Meinung war, dass alles wieder gut ist.
Die Rose und die positiven Seiten sehe ich jetzt mal in sofern, als das es einem nach dem Überwinden der Sehnsucht besser geht und man dann wieder die guten Seiten des Lebens sehen und besser schätzen kann.
Was ich allerdings nicht verstanden habe, ist, warum die Gestalt am Anfang wie eine Elfe aussah und ein goldenes Gewand an hatte… ist mir jetzt nicht ganz klar.
So. Jetzt darfst du mir noch ein bisschen auf die Sprünge helfen und mich vielleicht korrigieren, wenn du irgendwas anders gemeint hast (super mit FFs, man kann vom Autor Feedback für die eigene Interpretation bekommen!).
Insgesamt liest sich die Geschichte wirklich gut, ist für mich aber ein einigen Stellen etwas kryptisch.

Liebe Grüße,
Shine
[FCY]

Von:  TommyGunArts
2011-04-24T20:52:23+00:00 24.04.2011 22:52
Abgefahren! Wirklich abgefahren!
Diese Geschichte liest sich wie Butter und die Spannung steigt von Zeile zu Zeile. Ich habe nach den ersten zwei Sätzen nicht mehr aufhören können. Sehr gut!
Die Geschichte hat mir sehr gefallen, auch wenn ich glaube, dass ich sie nicht ganz begreife, weil ich das Gefühl habe dass da etwas hinter steckt, was ich nicht erkenne. Ich kann mir irgendwie schlecht vorstellen, dass die normale Handlung alles ist. Da steckt 100% noch etwas Tiefsinnigeres dahinter.
Vor allem, was ist das denn jetzt für ein Wesen? Ist es wie in dem Titel steht, die Sehnsucht des Protagonisten, die alles beeinflusst? Und ist mit dem Garten vielleicht das soziale Umfeld gemeint?
Oder ist dieses Wesen einfach so eine Art Dämon, das den Garten des Protagonisten zerstört?
Wie gesagt, so ganz blicke ich da noch nicht dran lang, aber vielleicht ist ja auch gerade das der Sinn dahinter, dass der Leser für sich selbst ein Urteil fällen soll.

Schön finde ich des Weiteren auch, dass du das Ganze wie ein Rätsel geschrieben hast, auf dessen endgültige Antwort man erst kommen muss. Das hat etwas gigantisches an sich! Wirklich klasse gemacht!
Puu.. ich bin noch immer etwas überwältigt... ^^

Ansonsten ist mir noch aufgefallen, dass du sehr viele schöne und gut überlegte Sätze mit eingebracht hast. Aber zu Meckern habe ich absolut gar nichts!
Bis jetzt mag ich diese Geschichte von dir am liebsten, weil sie einfach etwas besonderes und außergewöhnliches an sich hat. Genau die Art von Geschichten, die ich ungemein liebe!
Grandiose Leistung!
Mehr davon! ;D

lg
Schnorzel


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