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La Revelación - Die Offenbarung

von

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Die Wende

Ein Monat war seit der Hochzeit vergangen. In Arras spürte man den herannahenden Herbst. Die Blätter der Kastanie färbten sich langsam braun und die ersten Äpfel der Obstbäume konnten gepflückt werden. Rosalie und Bernard verließen Arras vier Tage nach der Hochzeit. Ruhe war eingekehrt im Hause Jarjayes. Obwohl Oscar Andrés Namen angenommen hatte, war man sich bewusst wem man das Haus und den Wohlstand zu verdanken hatte. Jeder im Haus genoss die Abgeschiedenheit des Landsitzes. André konnte in einer ruhigen Minute seiner Großmutter von ihrer Absicht nach Spanien zu reisen erzählen. Sie war außer sich und sie versuchte ihr Bestes ihre Kinder von dieser wahnwitzigen Idee abzubringen. Jedoch biss sie auf Granit, somit fand sie sich damit ab und betete inständig jeden Abend zu Gott, dass er sie ihr heil zurückbringen werde.
 

An einem stürmischen und verregneten Septembernachtmittag saßen Oscar, André, Alain und Viktor im Salon vor dem Kamin. Es hatte stark abgekühlt und der Nordwind frischte die von den Regentropfen getränkte Luft noch mehr auf. Das Feuer loderte im Kamin und verzauberte mit seinem Knistern und Knacken seine vier Zuhörer. Oscar brach als Erste die Stille, sie musste dieses Thema ansprechen, auch wenn sie die innere Ruhe der Anderen damit zerstörte.

„Wie ihr wisst, hatte ich vor, mit André nach Spanien zu reisen, ich verfolge noch immer diese Idee und habe mir schon Gedanken darüber gemacht. Ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob Ihr uns noch begleiten wollt?“ Sie blickte Alain und Viktor erwartungsvoll an. „Ich dachte schon, Ihr habt diese Idee wieder verworfen, Kommandant! Also ich bin immer bereit für ein neues Abendteuer. Wie sieht es bei dir aus, Viktor? Schließt du dich uns an, oder willst du dich hier in Arras in den Ruhestand begeben?“ „Alain, mein Freund, wie kommst du darauf, dass ich mich zur Ruhe setzen möchte? Spielst du etwas auf mein Alter an? Dich steck ich noch in zwanzig Jahren in die Tasche. Lady Oscar, natürlich kommen wir mit. Nun, wie sehen Eure Pläne aus?“ Sie schenkten sich noch jeder eine Tasse Tee ein und warteten gespannt auf Oscars Ausführungen. „Mein Plan erscheint im ersten Moment vielleicht etwas ungewöhnlich, jedoch sollt Ihr wissen, dass ich so schnell wie möglich nach Spanien kommen möchte. Meines Erachtens sollten wir nach Calais reiten und ein Schiff nach San Sebastian nehmen. Von dort reiten wir Richtung Süden und suchen nach einem passenden Arzt. Nun, was haltet Ihr davon? André, du bist so still, stimmt etwas nicht?“ André starrte stumm und geistesabwesend ins Feuer. Es war also soweit, für André hätte das Leben so weitergehen können. Aber es wurde ihm auch wieder bewusst, dass er sich behandeln lassen musste, um sein so gewünschtes Leben mit Oscar verwirklichen zu können. „ Oh entschuldigt bitte, ich war in Gedanken. Um wie viele Tage wären wir schneller? Wir dürfen das Wetter nämlich nicht vergessen, je schneller wir Spanien erreichen desto besser, zu dem wir nicht wissen, ob wir im Herbst die Pyrenäen passieren können.“ „Genau diesen Risikofaktor wollte ich mit der Schiffsüberfahrt ausschließen.“ Wiedereinmal hatten André und Oscar denselben Gedanken. Die Seelenverwandtschaft zwischen ihr und André kam Oscar seit der Hochzeit noch stärker vor. „Mit dem Schiff nach Spanien?“ Alain sah Oscar entsetzt an. „Muss das denn wirklich sein, ich werde doch immer so leicht seekrank!“ Alain schüttelte enttäuscht den Kopf, er konnte viel ertragen, doch es musste ihm wirklich keiner dabei zusehen, wie er sein Innerstes nach außen brachte. „Alain, möchtest du vielleicht irgendwo in den Pyrenäen eingeschneit werden und vielleicht noch erfrieren?“ Gegen dieses Argument konnte Alain wirklich nichts dagegen halten. „Die Reise per Schiff dauert höchstens vier Tage, mit dem Pferd wären wir mindesten drei Wochen unterwegs.“ „Lady Oscar, wann gedenkt Ihr aufzubrechen?“ „Sobald wie möglich, am liebsten nächste Woche, sofern wir hier alles geklärt haben.“ Die Männer nickten zustimmend. „Ich bitte Euch Eure persönlichen Gegenstände zusammen zu packen. Für den Ritt nach Calais benötigen wir zwei Tage. Heute in sieben Tagen reiten wir los, dann erreichen wir das Schiff welches uns nach San Sebastian bringt.“ Oscar stand mit diesen Worten auf und zeigte ihren Freunden damit, dass das Gespräch für sie beendet war. Eine plötzliche Müdigkeit überkam sie und Oscar begab sich auf ihr Zimmer. Sie merkte wie ihr Körper noch immer mit der Tuberkulose zu kämpfen hatte. Oscar legte sich auf ihr frisch bezogenes Bett und lauschte den Regentropfen, die an die Fensterscheiben trommelten. Je kälter und feuchter es hier im Norden von Frankreich wurde, desto mehr machte sich ihre Krankheit wieder bemerkbar. ‚Ob ich je wieder gesund werde?!’ Sie wollte es unbedingt, schon allein um Andrés Willen. Ein Leben ohne ihn konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Als sie so gedankenverloren in ihrem Bett lag, öffnete sich leise die Tür, André kam durchnässt ins Zimmer. Seit ihrer Vermählung bewohnten sie Oscars Räumlichkeiten. „André, warum bist du so nass, warst du etwa draußen?“ Oscar blickte ihn an, einerseits fürsorglich anderseits unverständlich. André sah bedrückt aus und er schwieg. „André, was ist los mit dir? Wieso antwortest du mir nicht?“ Oscar erhob sich aus dem Bett und bewegte sich auf André zu. „Zieh’ doch deine nassen Sachen aus, du erkältest dich noch.“ Sie wollte ihm die nasse schwere Jacke abstreifen, als er ihre Hände ergriff „Ist es schon so schlimm geworden?“ In Andrés Augen sah man pure Angst. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, André. Seit es öfter regnet und die Luft immer kühler wird, muss ich vielmehr husten und ich fühle mich ab und zu etwas matt. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich nach Spanien will.“ Oscar strich sanft über Andrés Haarschopf, der sein verletztes linkes Auge verdeckte. „Wer weiß, wie lange wir noch so eine Reise antreten können?!“ André seufzte, ihm war bewusst, dass er eine Belastung für alle darstellte. Schuldgefühle kamen in ihm hoch und Oscar spürte, wie er innerlich zusammensackte. Sie trat noch einen Schritt näher an ihn heran und fuhr mit ihrer zuvor begonnenen Arbeit weiter. Sie hängte die Jacke über einen Stuhl damit diese trocknen konnte, dann öffnete sie sein Hemd, der Stoff klebte regelrecht auf seiner Haut. Seine Muskeln fingen vor Kälte an zu zittern und die kleinen feinen Härchen, die seinen Körper übersäten, stellten sich auf. „Du frierst ja schon“, mit diesen Worten drückte Oscar ihren Körper an Andrés. Sie legte ihren Kopf an seinen Oberkörper und hörte sein Herz schlagen. Sie lächelte und begann seinen Rücken zu massieren, damit das Blut mehr zirkulierte. André vergrub seine Nase in ihrem Haar, er wirkte noch immer sehr nachdenklich, aber er genoss auch Oscars Nähe und war froh, dass sie da war, bei ihm. „André zieh dich um und leg’ dich zu mir ins Bett, jetzt wird mir nämlich auch etwas kalt.“ Oscar huschte darauf hinüber zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Ein paar Sekunden später folgte ihr André. Beide genossen die Zeit, die sie als frisch Vermählte zusammen verbringen konnten ohne Alain und Viktor oder Sophie, denn schon bald war ihnen dies nicht mehr möglich. André legte sich zu Oscar ins Bett, er war froh über die Ruhe, denn sein Auge machte ihn zu schaffen. Kam es ihm nur so vor oder sah er wirklich schlechter, wenn er sich Sorgen machte? Ob es für ihn überhaupt noch Hoffnung gibt? Gedankenverloren starrte er an die Decke. Oscar kuschelte sich an ihren Mann, sie legte ihren Kopf an seine Schulter und streichelte seinen Bauch. „Woran denkst du gerade André?“ „An die Zukunft.“ „Hast du Angst vor der Reise?“ „Nein, ich meinte nicht die Reise, ich meinte unsere Zukunft.“ Jetzt wurde auch Oscar nachdenklich. „Oscar, glaubst du, ich werde jemals einer Tochter oder einem Sohn das Reiten beibringen können? Ich meine, ich sehe jetzt schon sehr schlecht und...“, André stockte, er hatte sich alles so schön ausgemalt, doch es kam doch immer anders als man dachte. „André, ich kann dir nicht versprechen, dass sich alles zum Guten wenden wird. Aber ich kann dir versprechen, dass ich nichts unversucht lasse um dich glücklich zu machen.“ Oscar drückte ihn an sich. „Danke Oscar, du machst mir wieder einmal klar, dass ich mein oder besser gesagt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen muss.“ André küsste die junge Frau neben sich und schmiegte sich an sie. Beruhigt und gelöst verfielen beide in einen erholsamen Schlaf. Die folgende Woche verging wie im Flug. Oscar war damit beschäftigt alle finanziellen Belange zu klären. Auch Sophie musste während ihrer Abwesenheit versorgt sein. André und Alain kümmerten sich um die sonstige Ausstattung wie Zelte, Decken, Geschirr der Pferde, Satteln und was sonst noch notwendig für ihre weite Reise war. Viktor besorgte noch zwei weitere Tiere die als Gepäcksträger fungieren sollten. Er schrieb auch einen Brief an seine Mutter, der ihr alles genauestens erklären sollte. Es beruhigte ihn zu wissen, dass seine Mutter in Nizza weilte. Oscar packte ihre letzten Kleiderstücke ein. Sie überlegte, ob sie wirklich das Kleid mitnehmen sollte, welches sie sich damals hatte anfertigen lassen. ‚Naja, wer weiß wofür man es noch brauchen kann.’ Sie stopfte es zu ihren restlichen Kleidungsstücken die sie bereits in ihren Rucksack gesteckt hatte. Zum Schluss streifte sie ihr Medaillon, welches sie von André geschenkt bekommen hatte, über und küsste den silbrigen Anhänger. ‚Wohlan Oscar, es wird schon alles gut gehen.’ Es klang so, als wolle sie sich selbst beruhigen und Mut zusprechen. Als sie die Treppe hinunter ging, sah sie Sophie am Treppenabsatz stehen. Ihre alte Kinderfrau hatte Tränen in den Augen, sie musste schon zuvor geweint haben, da sie ein ganz gerötetes Gesicht hatte. „Ach Sophie, mach dir nicht so viele Sorgen. Es hilft doch alles nichts und du bekommst davon nur weitere Falten.“ Oscar streichelte ihr bei diesen Worten liebevoll die Wange. Seit sie denken konnte, war Sophie da und Oscar hoffte, dass Sophie auch bei ihrer Rückkehr hier auf sie warten würde. „Kommandant, wo bleibt Ihr, wollten wir nicht so früh wie möglich los?“ Alain wirkte ungeduldig, insgeheim wünschte er sich etwas Neues zu erleben, andererseits graute es ihm vor der Überfahrt. Die Pferde merkten die innere Anspannung ihrer Reiter und fingen zu tänzeln an. Nur Diablo blieb ruhig und gelassen stehen, so fest wie ein Fels, es schien als würde dieses kampferprobte Pferd Nerven aus Stahl besitzen eben so wie sein Herr. Selbst Alain wunderte es, dass Viktor fast schon gleichgültig wirkte. Es schien, als wäre es ihm egal was passieren würde. Alain nahm sich vor, während der Überfahrt ein paar Worte mit ihm zu wechseln, Zeit genug hätten sie ja. Oscar stieg auf ihr Pferd und nickte den Männern zu. Irgendwie fühlte sich Oscar in die Zeit zurückversetzt in der sie persönlich für die Sicherheit der Königin sorgte und ihre ihr aufgetragenen Missionen erfüllte. „Lebt wohl Großmutter, und dass Ihr mir hier auf alles Acht gebt.“ André hob seine Hand zum Gruß und gab seinem Pferd das Zeichen sich in Bewegung zu setzen. Sophie blickte ihnen nach und zwei Minuten später waren sie verschwunden.
 

Auf ihren Weg nach Calais trafen sie auf viele Handelsleute die noch vor dem Wintereinbruch ihre Waren verschifft wissen wollten. Die Route, die sie gewählt hatten, führte die Gruppe durch dünn besiedelte Gebiete. Darum schlugen sie rechtzeitig ihr Lager an einem geschützten Platz im Wald auf. Die zwei kleinen Zelte waren schnell aufgebaut und ebenso rasch brannte ein wärmendes Feuer. Sie packten ihren Proviant aus und bei der Fülle an Köstlichkeiten die sich ihnen darbot, dankten sie still Sophie für ihre Fürsorglichkeit. Genüsslich ließen sie es sich schmecken, als Viktor als erster das Wort ergriff, „Lady Oscar, wir sollten uns nun überlegen, wie wir am Besten in Zukunft Fremden gegenüber auftreten werden. Ich meine, würde es nicht etwas seltsam und vielleicht auch anrüchig erscheinen wenn eine junge hübsche Frau mit drei Männern reist? Mein Vorschlag wäre es, wenn Ihr Euch als Mann ausgebt. Fremde Gestalten würden auch dann nicht auf die Idee kommen Euch zu nahe zu treten.“ „Viktor, keine Angst, ich hatte nicht vor in Damenkleidung übers Schiff zu laufen. Aber Ihr scheint vergessen zu haben, dass ich mich sehr gut selbst zu verteidigen weiß. Ihr musstet doch selbst einmal eine Niederlage hinnehmen, oder irre ich mich da?“, Oscar grinste, sie spielte auf jenes Duell an, welches vor fast zwanzig Jahren stattgefunden hatte. Viktor gab ihr Recht, damals hatte sie ihn mit dem Degen besiegt. Doch wie würde es im Faustkampf aussehen? „Lady Oscar, ich stimme Euch zu, aber seid Ihr auch stark genug einen Mann mit den bloßen Händen zu besiegen, einen Mann der mindestens so groß ist wie ihr es seid und der nach nichts anderen verlangt als Euch zu berühren?“ Oscar sah nachdenklich ins Feuer. Alain und André waren bisher sehr still gewesen. Ihr kam die Erinnerung jener Nacht in den Sinn, als sie sich mit André gestritten hatte. Die Ohrfeige die sie ihm damals gegeben hatte, schien ihm nicht im Geringsten zu interessieren und als er ihre Hände festhielt und sie küsste, hatte sie keine Chance sich zu befreien. An Stärke wird sie einem Mann immer unterlegen sein, dass musste sie sich endlich bewusst machen. André blickte derweilen beschämt zu Boden, auch er erinnerte sich and die Szene und es tat ihm leid seine Frau damals in diese Situation gebracht zu haben. „Sie wird sich nicht gegen andere Männer verteidigen müssen, solange ich bei ihr bin.“ Wütend stand André auf und ging ein paar Schritte. „Viktor, behandelt mich nicht wie ein krankes Kind, ich bin durchaus in der Lage Oscar zu beschützen, so wie ich es immer getan habe und tun werde. Dies habe ich in meiner Jugend geschworen und diesen Schwur bei meiner Hochzeit mit ihr erneuert.“ Alle starrten André überrascht an. Vor allem Oscar war über diese plötzliche Reaktion erstaunt. André war sonst der ruhige und besonnene Pol von ihnen. Und trotzdem musste sie sich eingestehen, dass ihr diese Seite an ihrem Mann gefiel. André verschwand im Wald, er musste alleine sein und sich beruhigen. Von der Angst gepackt, blieb er stehen, schon wieder ein Moment wo alles vor seinem Auge verschwand. Konnte dies möglich sein, vorhin war es noch ganz normal. Auf einmal hörte er ein Knacken und wie er sich umdrehte, konnte er Alain erkennen. „Hm, das Heranpirschen muss ich wohl noch üben! André, was sollte das gerade eben?“ Alain wartete auf eine Erklärung. „Viktor möchte mich einfach immer wieder runterputzen. Er hat es früher schon getan. Unser Herr Graf will Oscar immer noch und er verkraftet es nicht, dass sie sich für mich entschieden hat. Seinen Heiratsantrag lehnte sie einst ab und obwohl so viel Zeit vergangen war, konnte er diese Ablehnung nicht verkraften. Nun lässt er seine Eifersucht an mir aus.“ „Teilweise kannst du schon Recht haben. Vielleicht kann ich etwas zur Klärung dieses Problems beitragen, darf ich?“ „Versuch es Alain, ich höre dir zu!“ „Du hast Recht, wenn du sagst, dass Viktor den Kommandanten noch immer liebt. Jedoch ist ihm genauso bewusst, dass er sie nie gewinnen kann, da er weiß, dass sie nur dich liebt. Er hat es mir selbst gesagt, sogar unser Graf findet, dass du der Einzige bist und sein wirst, der sie glücklich machen kann.“ „Ach und dann macht er mich vor Euch schlecht und das nicht zum ersten Mal? Das will und kann ich dir nicht glauben, Alain!“ „Glaubst du denn wirklich, er will dich fertig machen, du nimmst das alles viel zu persönlich, Viktor macht sich halt auch seine Gedanken, besonders um den Kommandanten, da sie die einzige Frau ist, die mitreist. Sei also bitte nicht eingeschnappt und komm zurück!“ „Alain, ich weiß nicht, was ich denken soll, ich empfinde eben so, bitte lass mich noch etwas alleine, damit ich in Ruhe nachdenken kann.“ Alain konnte seinen Freund verstehen und ließ ihn zurück. „Verliebte, ich hoffe nur mir passiert so ein Chaos einmal nicht.“ Als Alain zu Oscar und Viktor zurückkehrte, sahen sie ihn fragend an. „Er braucht noch eine Weile, André muss über einiges nachdenken.“ Oscar fing an zu husten, nur schwer konnte sie sich wieder beruhigen „Ich gehe wohl besser schlafen, morgen müssen wir früh weiter, gute Nacht zusammen!“ „Gute Nacht Kommandant“, tönte es ihr entgegen. „Alain, was ist bloß mit André los? Habe ich ihn wirklich so beleidigt, es war auf jeden Fall nicht meine Absicht.“ „Tja Viktor, er empfindet dich als Konkurrenz würde ich sagen.“ „Als Konkurrenz, jetzt wo er mit ihr verheiratet ist? Verstehe ich irgendwie nicht.“ „Nun hast du ja genug Zeit um darüber nachzudenken. Gute Nacht Viktor.“ Alleine saß Graf de Girodelle vor dem Lagerfeuer, er konnte es sich nicht erklären, warum André so reagierte. Als Viktor ein Rascheln hörte, blickte er auf und Sekunden später nahm er die Umrisse von André wahr. André würdigte ihm keines Blickes, er steuerte direkt auf Oscars und sein Zelt zu. „André wartet doch, lasst uns reden. Erklärt mir, womit ich Euch so getroffen habe!“ „Da fragt Ihr noch? Ihr lasst es mich immer wieder spüren, dass ich schlechter sehe und für Euch scheine ich irgendwie nicht zu existieren. Für Oscar würde ich mein Leben geben und Ihr zieht es gar nicht in Erwägung, dass ich sie beschützen könnte. Für Euch bin ich doch noch immer der Stallbursche, der nichts wert ist.“ Bei diesen Worten vergaß Viktor jeglichen Anstand und verabreichte André eine saftige Ohrfeige. „Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen, André?! Sie hat Euch geheiratet und schon damals als ich um ihre Hand angehalten habe, hat sie mir klar gemacht, dass sie nie etwas tun könnte, das Euch verletzen würde. Ja, auch ich habe Euch damals gedemütigt und dafür möchte ich mich hier entschuldigen. Aber könnt Ihr mich nicht verstehen, warum ich so agiere? Mir ist aus meiner Vergangenheit nichts mehr geblieben außer Euch zwei, Euch kenne ich seit fast zwanzig Jahren, wenigsten eines soll nach so vielen Jahren konstant bleiben.“ „Ach, lügt mich nicht an, Ihr seid doch noch immer hinter ihr her. Vergangenheit hin oder her, Ihr könnt es nicht ertragen, dass sie sich für mich entschieden hat und nun wollt Ihr mich vor ihr schlecht machen.“ Als André den Satz beendet hatte, stürzte er sich auf Viktor, beide Männer fielen zu Boden und eröffneten eine wilde Rauferei. Durch den überraschenden Angriff von André lag Viktor unten am Boden. Es war eine sichtlich schlechte Ausgangsposition um sich gebührend verteidigen zu können. Der Lärm den die zwei Raufbolde verursachten, weckten Alain und Oscar, die verwundert die Köpfe aus den Zelten steckten. Viktor hatte gerade seine Hände freigekämpft und verpasste André einen ordentlichen Kinnhaken. Durch die vom Fausthieb verursachte Benommenheit musste André sich zusammenreißen um nicht die Oberhand zu verlieren. Viktor nutzte die Chance und wälzte André von sich, er rappelte sich auf und wartete, dass es André ihm gleich tat. Oscar traute ihren Augen nicht, ihr sonst so ruhiger Mann prügelte sich mit einem ehemaligen Hauptmann der königlichen Leibgarde. Als sie gerade auf die Kämpfer zustürmen wollte, stellte sich Alain ihr in den Weg. „Kommandant, lasst die Zwei, vielleicht ist es besser so, sie können ihren unterdrückten Gefühlen freien Lauf lassen.“ Beide Männer schlugen sich gegenseitig ins Gesicht, durch die raschen Bewegungen und Ausweichmanöver wirbelten sie Erde und Schmutz auf. Aus Viktors Nase rann Blut und sein Haar war vollkommen zerzaust. Andrés Gesicht war leicht verschwitzt wodurch der Schmutz noch besser haften konnte und seit dem letzten Hieb von Viktor war Andrés Lippe blutig. Oscar hatte genug gesehen, bei solchen Sturköpfen wie es die beiden waren, konnte es ewig dauern bis sie sich beruhigt hatten. „Halt, es ist genug!“ Oscar trat mit gezogenen Degen zwischen sie, worauf Viktor und André erstarrten. Hatte sie wirklich die Waffe gehen sie erhoben? „Seid ihr beide verrückt geworden? Was soll denn dieser Unfug?“ Oscar schüttelte verärgert ihr Haupt. Nun kam auch Alain dazu, er zog Viktor mit sich und murmelte etwas davon zum nahegelegenen Bach zu gehen um die blutende Nase von Viktor zu versorgen. Als die zwei Männer verschwunden waren, schritt Oscar auf André zu. „Was sollte das gerade eben? Wieso schlagt ihr euch die Köpfe ein?“ Sie sah ihren Mann verständnislos an. „Das fragst du noch? Glaubst du denn wirklich, dass ich es nicht bemerke, dass unser werter Herr Graf dich immer noch liebt?“ Oscar verstand die Welt nicht mehr und fing an zu schmunzeln. André war also eifersüchtig. Nach all den Jahren die sie zusammen verbrachten. Hegte er denn früher auch solche Gefühle? Zumindest konnte er sie nie öffentlich zeigen, aber jetzt wo sie verheiratet waren, durfte er seine Emotionen zeigen. Oscar war einerseits geschmeichelt, andererseits wusste sie wie dumm sich die beiden Männer verhalten hatten. „Findest du das etwa lustig?“ Oscars Lächeln brachte ihn nur noch weiter in Rage. „André, beruhige dich doch, es kann dir doch egal sein ob Viktor oder halb Frankreich mich liebt, ich habe dich zu meinem Ehemann genommen und für mich ist das Wichtigste, dass du mich liebst!“ André atmete tief durch, Oscars Worte beruhigten ihn etwas und wie er darüber nachdachte, empfand er seine Reaktion selbst etwas lächerlich. Oscar strich ihm durchs Haar und wollte ihn einen kleinen Kuss geben, doch André zuckte zusammen als sich ihre Lippen berührten. „Das hast du Dummkopf nun davon“, Oscar zog eines ihrer weißen Stofftaschentücher aus ihrer Hosentasche und machte es mit etwas Wasser aus dem Ledertrinkbeutel nass. Vorsichtig tupfte sie das eingetrocknete Blut von Andrés Lippe. „André, du wirst dich bei Viktor entschuldigen müssen“, Oscar sah ihn ernst an. In André entfachte ein neues Feuer der Wut. „Den Teufel werde ich tun“, trotzig und gekränkt, drehte er sich auf der Stelle um und marschierte auf das Zelt zu um sich schlafen zu legen. Oscar wusste beim besten Willen nicht, was sie tun könnte um bei André diese Gefühle verschwinden zu lassen. Still betete sie zu Gott. Ohne ein Worte zu verlieren begab sie sich zu ihrem Mann der anscheinend schon schlief, er rührte sich nicht, als sie sich zu ihm legte. André lag noch wach und zum ersten Mal nachdem sich André und Oscar sich ihre Liebe gestanden hatten, spürte André eine Mauer zwischen seiner Frau und ihm. Seine Ängste beschäftigten nicht nur ihn sondern übertrugen sich auch auf Oscar und seiner Beziehung zu ihr.
 

„Glaubst du, dass deine Nase gebrochen ist?“, Alain sah den Grafen fragend an. „Ach was, er hat zwar einen unglaublich harten Schlag, aber da braucht es doch mehr um die Nase eines Girodelle zu brechen.“ „Hatte die Schlägerei denn unbedingt sein müssen? Vor allem gerade jetzt wo wir länger unterwegs sind?“ „Soll ich jetzt an allem Schuld sein? Er ist doch auf mich losgegangen, ich habe ihm zwar eine Ohrfeige verpasst, aber das was er mir ins Gesicht sagte.....“, Viktor blickte traurig zu Boden, „Alain ich weiß, ich habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und ja, ich habe sie geliebt oder ich liebe sie noch immer, aber bin ich deswegen so ein schlechter Mensch?“ „Eines muss dir klar werden, André tat schon früher alles nur, damit ihr nichts geschieht und jetzt verstärkt sich sein Instinkt umso mehr, da sie seine Frau ist. Hinzu kommt noch, dass er glaubt, noch mehr Mann sein zu müssen als zuvor, da er die durch sein Auge verursachte Benachteiligung auszugleichen versucht.“ Alain war selbst über seine Ausführung überrascht. Eine andere Erklärung kam jedoch für ihn nicht in Frage. „Ihr müsst beide erst lernen, dass ihr nur zwei Männer mit Schwächen seid“, er blickte Viktor dabei starr in die Augen. „Und du bist unfehlbar Alain, oder was?“ Seinen Humor wieder gefunden klopfte Viktor Alain auf die Schulter, „komm, lass uns schlafen gehen, morgen sieht sicher alles ganz anders aus.“ Schweigend suchten die Männer ihr Zelt auf und legten sich schlafen. Den nächsten Tag verbrachte die Gruppe schweigend. André fühlte sich noch immer von Viktor beleidigt und von Oscar unverstanden. Viktor widerrum war enttäuscht darüber, dass es soweit hatte kommen müssen. Alain befand es für besser sich aus der ganzen Angeleigenheit herauszuhalten, falls sie seine Meinung hören wollten, würden sie ihn schon danach fragen. Er wollte nicht zwischen den Fronten stehen. Am Nachmittag erreichten sie endlich Calais.
 

Es war ein beschauliches Städtchen, welches wirtschaftlich äußerst gut da stand. Durch den regen Schiffsverkehr und dem Handel der dort betrieben wurde, ging es den Einwohnern nicht schlecht. Am Hafen und in den umliegenden Lokalen wuselte es nur so von Menschen, dass man glauben konnte in einem Bienenstock gelandet zu sein. Oscar wusste zwar, wie das Schiff hieß auf dem sie mitgenommen werden konnten, doch hatte sie keine Ahnung wo es ankerte. Sie befand es für das Beste zuerst einmal den Hafenmeister zu befragen. Er kassierte ja schließlich auch die Miete für den Anlegeplatz der Schiffe. „Oscar, wo willst du denn hin und welches Schiff suchen wir eigentlich? André versuchte seine Frau noch aufzuhalten, die ihr Pferd schon gewendet hatte. „Ich will zum Hafenmeister, der wird doch wissen, wo welches Schiff stationiert ist. Ihr könnt euch derweilen auch etwas umsehen, das Schiff heißt „Velaje curento“. Am Besten wir treffen uns in einer Stunde wieder hier.“ Fast nebensächlich hob sie die Hand zum Gruß und verschwand auch schon im Getümmel des Hafens. „’Velaje curento’? Na hoffentlich ist hier nicht Nomen das Omen!“ André musste zugeben, dass ihn der Name des Schiffes doch etwas beunruhigte. „Hey, was meinst du damit?“ Alain war fast nicht wieder zu erkennen, der Anblick der Kähne schüchterten ihn dermaßen ein, dass er sich zusammenreißen musste um überhaupt ein Wort heraus zu bringen. „Ich habe doch zu meinem Geburtstag dieses Wörterbuch von Rosalie und Bernard geschenkt bekommen. Und in den letzten Tagen vor unserer Abreise hab’ ich etwas darin gelesen. Wenn mich nicht alles täuscht, heißt ‚Velaje curento’ blutiges Segel!“ Viktor folgte der Konversation nur mit einem Ohr, er musste zugeben, dass ihn der majestätische Anblick der riesigen Gefährte beeindruckte. Das Holz der Schiffswände knarrte etwas und die kleinen Wellen peitschten dagegen. In seiner Kindheit gab es für ihn nichts Interessanteres als über Piraten zu lesen, wie oft hatte er davon geträumt mit einem Segelschiff und starken Männern die sieben Weltmeere zu befahren. In der Ferne konnte Viktor etwas Rotes aufblitzen sehen. Was wäre, wenn die ‚Velaje curento’ ein blutrotes Segel hatte? Würde das dann nicht den Namen erklären? Von seiner Neugier getrieben, bahnte sich Viktor mit Diablo einen Weg durch die Menschenmengen.
 

Alain und André sahen ihm verdutzt nach, sie wussten auch ehrlich gesagt nicht, was sie in dem Moment tun sollten. André wollte nicht unbedingt dem Grafen hinterher trotten, noch immer war sein Stolz verletzt gewesen und Alain konnte sich nicht recht entscheiden bei wem er bleiben sollte. Am liebsten wäre es ihm gewesen mit Oscar mitzureiten. Als Freund der beiden Streithähne stand er genau in der Mitte und er wollte sich zu keiner Seite bekennen, er hoffte inständig, dass sie ihren Disput während der Fahrt überwinden könnten, denn auf eine Reise mit andauernden Spannungen innerhalb der Gruppe konnte er beim besten Willen verzichten. Sie warteten und bestaunten die Güter, die die Matrosen der einzelnen Schiffe in den dicken Bauch der schwimmenden Kolosse hievten. Nach einer halben Stunde etwa kehrte Oscar zu ihnen zurück, erstaunt darüber, dass Viktor fehlte und keiner der beiden wusste, wo er war, atmete sie einmal tief durch. „Wo ist Girodelle hin? Habt ihr euch wieder gestritten?“ „Nein, das haben wir nicht, er ist einfach ohne ein Wort zu sagen davon geritten, er wirkte eher etwas geistesabwesend.“ „Entschuldige André, aber ich konnte ja nicht wissen..., also unser Schiff legt heute Abend noch ab und es soll am unteren Ende des Hafen vor Anker liegen. Der Hafenmeister meinte, dass es leicht zu erkennen wäre durch das rote Segeltuch.“ „So und welches Ende des Hafens ist das Untere?“, Alain drehte seinen Kopf abwechselnd nach links und nach rechts. „Da, er meinte Norden!“ Oscar nahm die Zügel der Packpferde und setzte sich in Bewegung. ‚Viktor wird uns mit Sicherheit finden, lesen kann er ja und den Namen des Schiffes kennt er.’ Die Sonne stand schon tief am Himmel und bot den Menschen in Calais ein wunderbar romantisches Bild. Auch André genoss den Anblick, wer wusste schon wie lange er sich noch am Anblick der Sonne erfreuen konnte. Die drei Reisenden näherten sich dem Schiff mit dem roten Segeltuch und waren etwas überrascht als sie Viktor davor stehen sahen. Wie gefesselt starrte er auf den Drei-Mastschoner der vor ihnen lag. „Ihr habt es also gleich gefunden“, Oscar sprach ihn an, doch er zeigte keine Regung. „Viktor? Was ist denn los?!“ Wie aus einem Trancezustand erwacht, nahm Viktor nun seine Mitreisenden wahr. „Oh entschuldigt bitte, aber irgendetwas fesselt mich bei diesem Anblick. Ob es das rote Großsegel ist?“ „Viktor, hast du vielleicht schon den Kapitän des Schiffes gesehen, meinen Informationen nach läuft das Schiff noch heute Abend aus und ich möchte alles erledigt haben, nicht das wir am Ende doch nicht mitgenommen werden.“ „Oscar, ich bin mir nicht sicher, aber ich habe schon einige Personen auf und ab laufen sehen. Fragen wir doch einfach.“ Als Viktor mit Diablo die Planke hinaufreiten wollte, schrie ein Matrose von der Reeling herunter, „No, no caballos“. Verdutzt sahen sie sich an. Sie stiegen von ihren Pferden und gingen den schmalen Steg hinauf aufs Schiff. Das Schiff wirkte nicht sehr beladen und auch sonst hielten sich nicht viele Menschen darauf auf. „Entschuldigung, wo kann ich den Kapitän diese Schiffes finden?“, Oscar hoffte eine Antwort zu bekommen und blickte hilfesuchend umher. Da, plötzlich öffnete sich die Tür einer Kabine, heraus trat ein stattlich anzusehender Mann Anfang vierzig. Er war sehr schlicht gekleidet und doch wirkte dieser Mann so elegant und vornehm wie die herausgeputzten Adeligen am Versailler Hof. Sein glattes pechschwarzes Haar reichte ihm bis zum Kinn und seine ebenso dunklen Augen hatten die Form von zwei Mandeln. Seine Haut hatte einen ebenmäßigen hellbraunen Teint und an den freiliegenden Unterarmen erkannte man den starken Haarwuchs dieses Mannes. Er lächelte und wirkte in seiner unaufdringlichen Art sehr freundlich und offen. „Buenas Tardes, Ihr wolltet den Kapitän sprechen, nun womit kann ich Euch dienen“, mit einer eleganten Verbeugung schritt er auf die vier Männer zu. Der blonde, etwas schmächtig und feminin auf ihn wirkende Mann trat als erstes hervor und erhob das Wort. „Guten Tag Kapitän, mein Name ist Oscar Jarjayes und meine drei Freunde und ich suchen ein Schiff welches uns mit nach San Sebastian nimmt. Wie ich hörte, legt Ihr heute Abend noch ab um in den Orient zu reisen. Würdet Ihr uns, natürlich gegen Bezahlung, bis an die nördliche Küste Spaniens mitnehmen?“ Der Kapitän war erstaunt, sehr selten kamen Personen auf ihm mit so einem Anliegen zu. Man handelte gerne mit ihm, da er einer der wenigen war die sich bis in den Orient vortrauten, näher wollte jedoch keiner etwas mit ihm zu tun haben. Seine fränzösisch-spanisch-arabische Abstammung ließ die Leute doch etwas abschrecken und das blutrote Segeltuch tat ihr übriges. „Nun, ich bin doch etwas überrascht, es liegt doch einige Jahre zurück, wo ich Passagiere mitnehmen durfte. Ach, wo bleibt mein Anstand, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Alejandro Zeen Molieré. Nun, ich würde mich sehr freuen, wenn ich Gäste auf meinem Schiff willkommen heißen darf.“ Oscar musste sich selbst ehrlich eingestehen, dass sie von diesem Mann sehr beeindruckt war. Er wirkte so männlich, war sehr höflich und man hatte das Gefühl, dass keines seiner Worte aufgesetzt war. Sie richtete sich auf um auch ihre Gefühle wieder ordnen zu können. Was würde es denn für einen Eindruck machen, wenn sie diesen Mann fast anhimmelnd gegenüberstand, noch dazu wenn es André bemerken würde. Ja André, jetzt fiel ihr das Wort ein welches sie als Beschreibung für Kapitän Moliere die ganze Zeit suchte, weltmännisch. „Kapitän Molieré, es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Wie viel würde es uns kosten, wenn wir zu viert mit sechs Pferden reisen würden?“ „Pferde wollt Ihr auch mitnehmen? Das wird mein Purser nicht gerade gefallen. Normalerweise transportieren wir keine Tiere und haben daher auch kein Futter für sie dabei. Lasst uns zuerst alle Details klären und dann werde ich einer meiner Matrosen losschicken um noch Heu und Hafer zu besorgen.“ Oscar nickte ihm dankbar zu und folgte ihm in seine Kajüte. Schnell waren sie sich über den Preis einig und die Vereinbarung wurde per Handschlag besiegelt. „Gut Monsieur Jarjayes, dann bringt Eure Pferde und Euer Gepäck an Bord, in zwei Stunden werden wir ablegen. Ich werde einen meiner Leute um Futter für die Tiere schicken. Benötigt Ihr sonst noch etwas?“ „Vielen Dank, vielleicht wenn Ihr uns dann noch unsere Unterkunft zeigen würdet.“ „Natürlich“, Alejandro war froh darüber wieder einmal Menschen mitnehmen zu können, jedoch fühlte er sich doch etwas unbehaglich wie er Oscar betrachtete. ‚Das kann doch kein Mann sein, diese Hände und erst das Gesicht, andererseits welche Frau würde in Herrenkleidung reisen noch dazu mit drei Männern ohne weibliche Begleitung.’ Er wusste nicht, was er denken sollte, war es wirklich ein Mann oder doch eine Frau in Männerkleidung. Nun er würde es schon noch herausfinden in den nächsten Tagen. Sie betraten wieder das Deck des Schiffes, man konnte Oscars Begleitern anmerken, dass sie sich in der Zwischenzeit langgeweilt hatten. „André, Alain, Viktor, würdet Ihr bitte die Pferde an Board bringen, Kapitän Moliere möchte uns dann noch unsere Unterkunft zeigen.“ Die drei Männer sprangen auf und taten wie ihnen geheißen. Die Packpferde und Alains und Andrés Pferd ließen sich ohne Probleme auf das Schiff führen und im untersten Teil des Schiffsbauches unterbringen. Nur Diablo und Agrios, Oscars Pferd machten Probleme, sie scheuten davor die Planke zu betreten, auch Lockversuche stimmten sie nicht um. „Verdammt Diablo, was ist mit dir los? Du zierst dich doch sonst nicht so?“ Oscar hielt ihren Schimmel fest an den Zügeln, auch für sie war es vollkommen neu, dass ihr Pferd ihr nicht gehorchte. „Wartet bitte“, als André die Szene mitbekommen hatte, beeilte er sich zu den zwei übrigen Pferden zu gelangen. Er steuerte zuerst auf Diablo zu und nahm Viktor die Zügel aus der Hand, „Ihr erlaubt doch“, ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ein paar Schritte mit Diablo vom Schiff weg. André strich ihm dabei beruhigend über den samtig schwarzen Hals und als er mit dem Rappen stehen blieb, flüsterte er ihm einige Worte ins Ohr. André hielt dabei immer Körperkontakt zum Pferd und als er mit ihm auf die Planke zusteuerte war es wie ein Wunder. Zaghaft aber doch betrat Diablo das knarrende Holzbrett. Ohne ein weiteres Problem ließ sich Diablo im Inneren absatteln und striegeln. Nachdem Agrios gesehen hatte wie Diablo fast leichtfüßig auf das Schiff schritt, tat er es ihm gleich. Anscheinend ließ sich Agrios nur von Diablo beeinflussen, ein Mitläufer eben. André versorgte die Pferde mit etwas Heu und Hafer und ließ jeden noch ein paar Streicheleinheiten zukommen. Von der anfänglichen Nervosität der Pferde war danach nichts mehr zu spüren. Oscar betrachtete ihn heimlich bei seiner Arbeit, bei der André aufzublühen schien. Sie selbst fand es faszinierend, welches Vertrauen die Tiere in ihren Mann hatten. Als er mit seiner Tätigkeit fertig war und sich zur schmalen Treppe wandte, erschrak er leicht. „Oscar, was tust du denn hier unten, stehst du etwa schon länger da?“ Sie nickte nur, ihr war nicht nach Reden, es genügte ihr, wenn sie ihn einfach nur ansehen konnte. André wusch sich die Hände in einem Kübel mit Salzwasser, womit er vorher die Pferde abrieb. Als er damit fertig war, ging er zu ihr hinüber. „Was ist mit dir, du bist so still heute? Bist du mit immer noch böse wegen dem Vorfall mit Girodelle? Daran hatte Oscar gar nicht gedacht. „Oscar ich verspreche dir, ich werde mit ihm sprechen, aber jetzt noch nicht ansonsten sage ich etwas was......“ Sie küsste ihn, sie küsste ihn so, dass es den Anschein hatte, dass sie ihm gar nicht zugehört hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das auch nicht wirklich getan, sie war fasziniert von ihm und die Tatsache, dass sie schon länger nicht mehr allein waren, verstärkte ihr Gefühl. Ein brennendes Verlangen stieg in ihr hoch, welches ihr nur befahl bei André zu sein, ganz nahe, doch so sehr sie ihren Körper an den seinen drückte, sie konnte ihr Begehren nicht erfüllen. „Oscar, was wenn uns jemand erwischt, sollten wir nicht deine Tarnung aufrecht erhalten?“ André konnte sich selbst nur schwer von ihren Lippen lösen, zu lange musste er auf ihre berauschenden Küsse verzichten und der Streit letztens trieb sie ein Stück voneinander weg und die Distanz zwischen ihnen konnte er nicht ertragen. Oscar schloss ihre Augen, sie fuhr André durch sein dichtes, starkes Haar und küsste ihn mit so viel Gefühl und Verlangen, dass es André heiß wurde. Er konnte nicht anders, sein Körper und seine Seele verlangten nach ihr, er hob sie hoch und stolperte mit ihr zur Schiffswand, Oscar stand mit dem Rücken zur Wand und André verdeckte sie komplett mit seinem breiten Rücken. Beide waren voneinander berauscht, hastig öffnete Oscar Andrés Hosenband, „André, schlaf mit mir.“ Wie oft hatte sich André gewünscht diese Worte aus Oscars Mund zu hören. Er hätte sich auch nicht mehr länger zurückhalten können und die Gefahr erwischt zu werden, erregte ihn durchaus. Er öffnete den Gürtel ihrer Hose und streifte sie ihr von ihren langen Beine ab. Gefühlvoll glitten seine wohlgeformten Hände ihre Oberschenkel entlang und waren erst am Ziel angelangt als er ihre hinteren Rundungen fühlte. Er hob sie hoch und Oscar schlang ihre langen Beine um seine Körpermitte. Als sie ihn in sich fühlte, steigerte es ihre Lust in ein ungewohntes Ausmaß. Sie vergrub ihr Gesicht in Andrés Beuge zwischen Hals und Schulter und gab sich dem neu gewonnen Gefühlen hin. Ihre Vereinigung war anders als sonst, instinktiver, bewusster und vertrauter. Beide gaben sich ihren Gefühlen füreinander hin und erschafften sich daraus eine neue gemeinsame Ebene. Sie gestanden sich beide ihr Verlangen ein, das Verlangen den anderen zu spüren, ihm so nah zu sein wie es keinem anderen Menschen möglich war. Als sie die Welt um sich herum nur mehr am Rande wahrnahmen, erklommen beide den Höhepunkt ihrer Lust. Für Oscar war dieser Moment fast noch schöner als wenn sie diesen Moment für sich alleine hätte auskosten müssen. Sie war sich nicht immer sicher ob sie in Liebesangelegenheiten alles richtig machte und sie wusste auch nicht, ob es André so sehr gefiel bei ihr zu liegen wie sie bei ihm. Sie wusste, dass er diesbezüglich nie etwas sagen würde, wenn es nicht der Fall wäre. „Und war es schön für dich?“ Sie konnte sich diese Frage einfach nicht verkneifen und flüsterte sie ihm ins Ohr. „Oscar, ich liebe dich, für mich ist es schon schön, wenn du mich nur ansiehst, aber das war….“, er wusste nicht wie er es beschreiben sollte. „Wie war es André, sage es mir bitte“, Oscar sah ihn an wie ein kleines Mädchen, das etwas angestellt hatte. „Es war einfach nur unglaublich und nicht von dieser Welt...“ Oscar war gerührt und es machte sie glücklich, wenn ihr Mann so empfand. Und nachdem sie sich ihre noch vorher am Boden liegende Hose übergestreift hatte, küsste sie ihn sanft auf seine Lippen.
 

Beide hörten schwere Schritte die die kleine Treppe heruntertönen. Oscar fingerte nervös an ihrem Gürtel herum und ärgerte sich warum das nur so lange dauerte. Einer der Matrosen stand in der Türe und war sichtlich verwundert, dass diese zwei Männer so eng und vertraut nebeneinander standen. „Ähm, der Kapitän bittet Euch in die Offizierskabine zum Diner.“ „Vielen Dank, wir werden sofort erscheinen.“ Oscar sah ihn direkt in die Augen, sie wusste, selbst wenn sie sich selber unsicher fühlte, ein klarer Blick in die Augen ihres Gegenübers ließen den ihre Unsicherheit nicht spüren. Als der Matrose verschwunden war, atmete sie erleichtert aus. „Das war knapp, stell dir vor, er wäre zwei Minuten früher heruntergekommen!“ „Tja Oscar, das war das Risiko dabei, aber das war es wert“, André grinste und drückte ihr einen heftigen Kuss auf die Lippen. „Komm lass uns rauf gehen, nicht das sie noch einen Suchtrupp nach uns losschicken.“ Mit etwas Abstand zueinander verließen sie den Laderaum. In ihrem Rausch der Gefühle hatten Oscar und André es gar nicht bemerkt, dass das Schiff längst abgelegt hatte. Einige Matrosen hingen in den Seilen um die Segel zu setzen und der Kapitän stand beim Steuermann um mit ihm die wenigen Details zu besprechen. Alejandro war schon Jahre mit Piere unterwegs, Piere war einer der erfahrensten Steuermänner, die er kannte und er konnte ihm voll und ganz vertrauen. Als sie gerade die letzten Koordinaten durchgegangen waren sah Alejandro auf und erkannte seine neuen Gäste. „Monsieur Oscar, sehr schön, wir wollten gerade zu Tisch.“ Alain und Viktor gesellten sich zu André und Oscar, sie hatten dabei zugesehen wie die Matrosen das Schiff klar zum Auslaufen machten und waren beeindruckt von der Kraft des Windes der diesen Koloss in Bewegung brachte. „Alain, wie geht es dir? Willst du überhaupt bei uns am Tisch sitzen?“, Oscar sah ihn besorgt an. Alain versuchte sein Bestes, aber die leicht aufkeimende Übelkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er war blass und er ungewohnt ruhig. „Kommandant, noch ist es erträglich, lasst mich heute noch am Tisch sitzen, wer weiß wie es morgen um mich bestellt sein wird.“ Er versuchte zu lächeln, aber es sah sehr gequält aus. „Mein Herr, leidet Ihr unter der Seekrankheit, wenn ja habe ich ein ausgezeichnetes Hausmittel dagegen. Ich werde gleich meine Schwester darum bitten es auch zum Diner zu servieren.“ Alain, André, Viktor und Oscar horchten überrascht und interessiert auf. „Pardon, Ihr habt eine Frau auf dem Schiff?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. „Aber natürlich, ich werde Euch, wenn es gestattet ist, Eure Fragen beim Abendessen beantworten. Lassen wir das gute Essen also nicht länger warten. Ich freue mich schon darauf Näheres von Euch allen zu erfahren und ich möchte Euch auch sehr gerne meine geliebte Schwester vorstellen.“ Oscar nickte zustimmend und folgte dem Kapitän der ‚Velaje curento’.
 

Alle vier waren überrascht über den Komfort, den dieses Schiff anscheinend zu bieten hatte. Am Esstisch standen zwei schwere silberne Kerzenständer und das Porzellan hätte genauso gut von einer alteingesessenen Adelsfamilie von Frankreich stammen können. Das Silberbesteck lag frisch poliert daneben und auch die Kristallgläser funkelten im Kerzenschein. „Kapitän, wegen uns hättet Ihr Euch nicht so viele Umstände machen müssen. Wir kommen durchaus auch ohne diesen Luxus aus.“ „Verzeiht Monsieur Oscar, aber meine Schwester und ich legen sehr großen Wert auf eine gewisse Etikette und da wir uns nicht jeden Luxus auf hoher See gestatten können so erlauben wir uns doch diesen Aufwand.“ Alejandro fühlte sich fast etwas angegriffen, wieso glaubten diese Landratten auch immer, dass es auf Schiffen immer rau, grob und ungeschliffen zuging. Die Unwissenheit und die Voreingenommenheit sind wohl die größten Probleme der Menschheit. „Ich bitte Euch Platz zu nehmen. Meine Schwester wird gleich das Essen auftragen.“ Just in diesem Moment betrat eine Erscheinung wie aus Tausend und einer Nacht den Raum. Sie trug, wie sich später herausstellte ein Salwar Kamiz, eine Bekleidung aus dem Orient bestehend aus einer Hose und einem Hemd welches der Trägerin bis zu den Knien reichte. Das kohlrabenschwarze glatte Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Ihre Augen waren noch größer und noch dunkler als die ihres Bruders, ihre Haut war ebenmäßig, glatt und milchkaffeefarben. Ein Detail fiel ganz besonders auf, sie trug ein kleines goldenes Schmuckstück auf dem linken Nasenflügel. Sie lächelte freundlich, aber doch etwas zurückhaltend und stellte sich neben ihren Bruder. „Meine Herrschaften, ich darf meine Schwester Haydee vorstellen, sie ist seit Jahren an meiner Seite und kümmert sich hervorragend um mich.“ Er nahm sie bei diesen Worten in den Arm und lächelte. Alejandro war froh, dass ihn seine Schwester auf seinen langen Reisen begleitete. Auch wenn er die See liebte, er war ein Familienmensch der auch einen familiären Anker brauchte. „Es ist mir ein Vergnügen Euch kennen zu lernen, ich bin Oscar Jarjayes und meine Freunde sollten sich wohl selbst vorstellen.“ Oscar deutete eine leichte Verbeugung bei ihrer Vorstellung an und trat danach einen Schritt zurück. „André Grandier, Madame“, auch er tat es Oscar gleich. „Alain Soisson“, Alain nickte nur kurz, Alain wollte nicht unhöflich erscheinen, jedoch befürchtete er, dass, wenn er sich nach unten beugen würde, er sich noch schlechter fühlen würde. Fasziniert von ihrer Person schritt Viktor hervor und verbeugte sich tief. „Viktor de Girodelle, es ist mir ein Vergnügen Eure Bekanntschaft zu machen.“ Um seine Vorstellung gebührend zu beenden, hauchte er ihr einen Kuss auf ihren zarten Handrücken. Sie war sichtlich überrascht von so viel Zuwendung und rügte sich innerlich zur Selbstbeherrschung. „Meine Herren, es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen, jedoch sollten wir nicht länger mit dem Essen warten, da es nicht mehr besser wird.“ Sie lächelte allen freundlich zu und verschwand aus der Offiziersmesse. „Bitte nehmt doch alle Platz“, Alejandro deutete auf die Stühle. Seine Gäste wurden für ihn immer interessanter und er freute sich darauf Zeit mit ihnen verbringen zu können und mehr von ihnen zu erfahren. Kurz darauf kam Haydee herein, in ihren Händen hielt sie eine riesige, schwer aussehende Pfanne. „Da wir gerade erst abgelegt haben, dachte ich mir, wir sollten die Variationen unseres Proviants ausnutzen, deswegen gibt es heute Paella!“ Sie stellte die große Pfanne in die Mitte des Tisches. Noch einmal verschwand sie in die Kombüse und kehrte mit einer Tasse Tee zurück. Haydee blickte kurz in die Runde und stellte die Tasse direkt vor Alain. „Monsieur, ich glaube dieses alte Hausmittel wird Euch gut tun.“ Er sah sie überrascht an, konnte man ihm seine Übelkeit an der Nasenspitze ansehen? „Vielen Dank, ich bin um jede Hilfe dankbar.“ Er lächelte schwach und nahm zugleich die Tasse in die Hand. Der Geruch und die Farbe waren ihn gänzlich unbekannt. Alain nippte kurz, der Tee war noch heiß und er war über den Geschmack verblüfft. Es war stark, würzig, hatte eine gewisse Schärfe, eine Medizin, die Alain sogar schmeckte. Genüsslich trank er den Tee und merkte, wie sich die Krämpfe in ihm lösten. Alejandro griff zur Kelle und nahm den Teller seiner Schwester, „sie verstehen doch sicher, dass ich zuerst der einzigen Dame am Tisch serviere“, bei diesen Worten sah er Oscar an und hoffte eine auffällige Regung wahrzunehmen. Doch er wurde enttäuscht, sie nickte ihm zustimmend zu. Als jeder mit der Paella versorgt war, klirrte das Besteck und die kleine Gesellschaft begann mit dem Essen. Bei jedem Bissen entdeckten Alain, Oscar, André und Viktor einen neuen Geschmack. „Darf ich fragen, wie es Euch schmeckt?“, Haydee warf einen Blick in die Runde. „Es ist vorzüglich Madame, darf ich fragen, was wir hier eigentlich essen, noch nie hatte ich so viele Geschmackserlebnisse auf einmal wie bei diesem Gericht.“ Oscar sah sie fragend an, sie hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht wie man Nahrungsmittel zubereitet, geschweige denn, hatte sie jemals selbst gekocht, dafür gab es bei ihnen zu Hause Angestellte. „Die Paella ist ein traditionelles Gericht aus Spanien, bestehend aus Reis, Huhn, Kaninchen und Schweinfleisch. Außerdem werden noch ein paar Gewürze und Gemüsesorten hinzugefügt. Ach und bevor Ihr fragt, was in dem Tee drinnen ist. Ingwer, einfach Ingwer mit heißem Wasser übergießen und ziehen lassen.“ Jetzt meldete sich Viktor zu Wort, „Madame, wir danken Euch aufs Herzlichste, dass Ihr uns an diesem Geschmackserlebnis teilhaben lasst.“ Viktor starrte Haydee regelrecht an, so als wolle er ihre Seele erkunden. Alejandro war es nicht entgangen, dass sich Girodelle seit der Anwesenheit seiner Schwester verändert hatte. Er selbst wusste noch nicht, ob er dieses Verhalten für gut befinden sollte. Er sagte zu sich selbst, dass er Viktor im Auge behalten werde. „Nun Kapitän Molieré, Madame, wenn Ihr erlaubt, würde ich nur zu gerne mehr über Euch wissen. Schon die unterschiedlichen Namen die Ihr tragt, machen mich neugierig.“ Oscar war ehrlich neugierig, schon wie sie mit dem Kapitän Bekanntschaft machte, war sie über seinen Namen überrascht gewesen. „Darf ich Euch alle beim Vornamen nennen, so fällt es mir leichter auf Eure möglichen Fragen einzugehen. Sehr gerne werde ich die Geschichte von Haydee und mir erzählen.“ Er schenkte allen ein Glas von dem dunkelroten Wein ein, er schwenkte sein schweres Glas und inhalierte das Bouquet das Weines. „Nun unsere Familiengeschichte ist vielleicht nicht so aufregend, wie Ihr es Euch erhofft. Wie Ihr bestimmt alle einmal gehört oder gelernt habt, wurde Spanien im 8. Jahrhundert von Arabern erobert und besiedelt. Natürlich schwand die Anzahl Araber in Spanien durch die Jahrhunderte durch, aber noch heute kann man auf sogenannte reinrassige Araber treffen. Wisst Ihr, früher lehnte man es ab sich mit Spaniern oder umgekehrt mit Arabern abzugeben, geschweige denn mit ihnen zu verkehren. Nun unsere Großmutter war eine dieser reinrassigen Araberinnen, sie wohnte in einem kleinen Bergdorf, ihre Familie lebte von der Landwirtschaft und von dem was sie mit ihrer Heilkunde dazuverdienten. Während eines starken Winters durchquerten spanische Soldaten die Gegend, sie waren auf der Suche nach einem Betrüger der mindestens fünf Menschen ermordet hatte, doch die Schneefälle und die schlechte Ausrüstung machten es für die Soldaten unmöglich ihre Suche fortzusetzen. Kurz bevor sie im Wald bei ihrem Nachtlager erfroren, hatten meine Großmutter und ihr Vater sie gefunden und unter Müh und Not nach Hause geschleppt und versorgt. Und wie Gott es wollte, hatte sich meine Großmutter in einen der spanischen Soldaten verliebt und er in sie. Sein Name war Alejandro.“ Der Kapitän machte eine kurze Pause und befeuchtete seine Kehle mit einem Schluck Rotwein. „Verzeiht Kapitän, aber war Euer Nachname nicht Molieré? Der klingt für meine Ohren nicht gerade sehr spanisch.“ Es hatte fast den Anschein, dass Alain von den Toten auferstanden war. So still er die letzten Stunden am Schiff war, so hatte er doch durch den Ingwer-Tee zu seiner alten Form zurückgefunden. „Verzeiht, aber ich war noch nicht mit meinen Ausführungen fertig.“ Alejandro lächelte und seine schneeweißen Zähne kamen zum Vorschein. „Alejandro, iss du fertig zu Abend und lass mich die Geschichte weiter erzählen.“ Haydee nahm ihr Rotweinglas und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. „Wie Ihr Euch alle sicherlich vorstellen könnt, war die Liebe zwischen meiner Großmutter und dem Soldaten überhaupt nicht gerne gesehen. So mussten sie ihre Konsequenzen ziehen. Großmutter verließ das kleine Bergdorf und ihre Familie und begann ein neues Leben mit Alejandro in der Nähe von Barcelona. Alejandro lebte für seine Familie, aber sein Herz hing auch an der Armee, er hatte nie den Dienst quittiert. Nun ja, einige Monate nach der Hochzeit erblickte unsere Mutter das Licht der Welt. Sie soll schon als Kind eine Schönheit gewesen sein und sie vereinte alles Gute beider Kulturen. Als unsere Mutter sechs Jahre alt, war verstarb ihr Vater bei einem Einsatz seiner Truppe. Unsere Großmutter kam nur schwer über den Verlust hinweg, sie hatte ihm ihr Herz geschenkt, aber sie wusste, dass sie für ihre kleine Tochter da sein musste. Die Jahre vergingen und unsere Mutter wuchs zu einer bildhübschen jungen Frau heran die mehr von der Welt sehen wollte als nur Barcelona. Wie ihre Mutter verließ auch sie ihre Familie und stillte ihr Fernweh, ihre erste Reise führte sie nach Frankreich wo sie unseren Vater kennen lernte, den Rest könnt Ihr Euch vermutlich denken. Auf Grund unserer äußeren Erscheinung werden wir oft mit Argwohn bedacht, doch gerade wegen unserer Herkunft können wir für uns sehr gut leben und wir sind sehr glücklich.“ „Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, aber ich stelle es mir äußerst schwierig vor von allen Seiten angefeindet zu werden.“ Man konnte es Viktor an der Nasenspitze ansehen, dass er von dieser Frau fasziniert war. „Nun Viktor, wir sind des Arabischen, Spanischen und Französischen mächtig. Den meisten Handel betreiben wir im vorderen Orient und auf Grund unserer Hautfarbe unterscheiden wir uns nicht sonderlich von den dort Ansässigen.“ Sie warf ihm ein Lächeln zu. Haydee spürte, wie ihr eine leichte Röte ins Gesicht stieg, als sie ihn ansah. Sie war eine stolze Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und die so schnell nichts aus der Bahn warf, aber bei Viktor war das anders. „Und wie seid Ihr zu diesem riesigen Drei-Mast-Schoner gekommen?“, André hatte sich bis jetzt sehr still verhalten aber die Familiengeschichte der beiden Gastgeber erinnerte ihn etwas an seine eigene mit Oscar. Alejandro räusperte sich, „Nun unser Vater war erster Offizier auf diesem Schiff, er nahm Mutter überall auf seine Fahrten mit, sie kümmerte sich um die restlichen Männer an Bord, kochte und pflegte sie, wenn es ihnen nicht gut ging. Als der alte Kapitän an Altersschwäche starb, vermachte er sein Schiff unseren Eltern. Er vertraute und achtete unsere Eltern und er wusste, dass sie das Schiff in seinem Sinn weiterführen würden. Haydee und ich sind hier auf dem Schiff zur Welt gekommen und auch aufgewachsen. Für uns gibt es nichts anderes. Nun Haydee, wie wäre es jetzt mit dem Nachtisch?“ Er sah seine Schwester fragend und zugleich bittend an. Sie nickte leicht genervt und verschwand in die Küche um sogleich mit sechs kleinen Schüsseln aufzutauchen. „Zum Dessert gibt es heute Flan, das ist ein Pudding aus Karamell. Ich hoffe er schmeckt euch.“ Für alle war es eine willkommene Abwechslung die Süßspeise zu verzehren. „Und Eure Namen sind eine Hommage an eure Vorfahren, verstehe ich das richtig“, Oscar kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. „Ja, ganz recht, Alejandro wurde nach unserem Großvater und Urgroßvater mütterlicherseits benannt und ich erhielt den Namen meiner Großmutter mütterlicherseits und den zweiten Vornamen von der Großmutter väterlicherseits.“
 

„Madame, würdet Ihr uns Euren zweiten Vornamen auch verraten?“ Viktor richtet das Wort an Haydee, er musste mehr von ihr erfahren, obwohl sie sich bis jetzt sehr zurückhielt und nicht viel von ihren Gefühlen preis gab, spürte er, dass er eine sehr temperamentvolle und leidenschaftliche Frau vor sich sah, die er unbedingt näher kennen lernen wollte. Noch nie hatte ihn eine Frau, abgesehen von Oscar, so interessiert wie diese hier. Nicht nur ihr Äußeres sprach ihn an, ihr Wesen war so geheimnisvoll und von ihr ging eine Aura aus, welcher er sich nicht entziehen konnte. „Meinen zweiten Vornamen wollt Ihr wissen Viktor, nun es ist nichts besonderes, ich heiße Mercedes. Ihr seht etwas ganz gewöhnliches.“ Für Viktor war es überhaupt nichts gewöhnliches, am liebsten hätte er dieser Frau all jene Komplimente zugeflüstert, die ihm jetzt gerade in den Sinn kamen. Wie gerne würde er mit ihr alleine draußen am Deck spazieren gehen und den Anblick des Sternenhimmels genießen.
 

„Liebe Freunde, würdet Ihr mich kurz entschuldigen, jeden Abend mache ich am Schiff einen Rundgang, doch würdet Ihr meiner Einladung folgen und euch in einer halben Stunde am Heck einfinden? Haydee und ich lieben es am Abend noch einen Schluck Cognac an Deck zu nehmen. Das Himmelszelt und das sanfte Rauschen des Meeres tun ihr übriges bei um entspannt und ruhig schlafen zu können.“ Während seiner Worte hatte sich Alejandro auch schon erhoben. Die Pflicht rief nach ihm, aber er wollte die Gelegenheit des ersten Abends nutzen und seine Passagiere näher kennen lernen. Die Vier blickten sich überrascht an, darauf waren sie wahrlich nicht gefasst gewesen, doch sie nickten sich einstimmig zu. Diesmal übernahm Viktor die Führung und nahm die Einladung dankend an. Haydee hielt einige warme Wolldecken für alle bereit und die entzündeten Laternen spendeten ein sanftes Licht. Es war Oktober und die Nächte am Meer waren deutlich kälter als an Land, sodass sich jeder der Gesellschaft genüsslich in seinen Überzug kuschelte. Oscar hätte sich am liebsten an André gelehnt und seine Wärme gespürt, doch sie wusste, dass sie dies in der Gegenwart der Anderen nicht tun dürfte, ihre Tarnung musste aufrecht erhalten bleiben. Jedoch wählte sie den Platz rechts von André, Gegenüber von ihr saßen Alain und Viktor und zu ihrer Rechten hatten Alejandro und Haydee Platz genommen. Alejandro verzichtete beim Cognactrinken auf Gläser und so saß man in der Runde und ließ die Flasche wandern. „Ihr wisst nun einiges über Haydee und mich und wenn ich ehrlich bin, interessiert es mich brennend mit wem ich hier sitze und trinke.“ Alejandro war ein direkter Mann, er wusste, dass, wenn man gewisse Informationen erhalten möchte, es am besten war, direkt danach zu fragen. Oscar war keineswegs darüber überrascht, sie hatte sich schon so etwas gedacht. „Nun Kapitän, wir alle vier hier sind ehemalige Soldaten aus Paris, Söldner wenn ihr es genau wissen wollt, doch mit dem Sturm auf die Bastille und den Aufständen in der Stadt wurden wir verletzt. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, beschlossen wir einen anderen Weg in unserem Leben einzuschlagen und jetzt sitzen wir hier auf Eurem Schiff.“ Sie wollte bis zu einem gewissen Grad ehrlich zu dem Mann und seiner Schwester sein, die sie so freundlich auf ihr Schiff aufgenommen hatten. Oscar fand es für richtig ihre Wahrheit etwas ungenau zu erzählen. „Verzeiht meine Direktheit, jedoch scheint es mir, als würdet Ihr mir noch etwas verschweigen“, Alejandro lächelte sie bei diesen Worten wohlwissend an. Er war in seinem Leben vielen Leuten aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und Kulturkreisen begegnet und er erkannte es sofort, wenn ihm jemand nicht die ganze Wahrheit erzählte. Oscar wurde langsam nervös und ihre Hände wurden feucht, sie wischte sich ihre Handflächen mehrmals an ihren Hosenbeinen ab und überlegte krampfhaft, was sie darauf antworten sollte. André spürte ihre Nervosität und übernahm deshalb das Wort, „Wie kommt Ihr darauf, dass wir Euch etwas verheimlichen würden?“ André sah Alejandro direkt in die Augen. „Nun, ich finde es schon interessant, dass zwei Männer die gleichen Ringe am rechten Ringfinger tragen“, in der Stimme des Kapitäns lag Triumph. In den Moment als sich Oscar und André überrascht und überrumpelt anstarrten, war ihre Tarnung aufgeflogen. „Madame, lasst mich raten, der Herr zu Eurer Linken ist Euer Gemahl, habe ich nicht Recht?“ Selbst Haydee war über die Worte ihres Bruders überrascht, auch sie ahnte so etwas in der Art, doch hätte sie es nicht auszusprechen gewagt, doch die Ringe an deren Finger waren eindeutige Indizien. Nach einem kräftigen Schluck von der Cognacflasche meldete sich Alain zu Wort, „Seid uns bitte nicht böse Kapitän, doch wir dachten, dass es besser und sicherer sei, wenn wir den Kommandanten als Mann ausgeben würden.“ ‚Kommandanten?!’, schoss es Alejandro durch den Kopf. „Ich denke, es wird heute eine lange Nacht werden, bis ihr dies aufgeklärt habt.“ Oscar nickte ihm zu. „Kapitän, Ihr habt unser Vertrauen verdient, mein Name ist aber wirklich Oscar Francois Jarjayes, nein, wenn ich ehrlich bin jetzt Oscar Grandier und ihr hattet Recht, André hier ist mein Mann. Es stimmt auch, dass ich eine Frau bin und dass ich ein Söldner war oder besser gesagt der Kommandant der Truppe.“ Oscar atmete noch einmal tief durch und begann dann ihre Geschichte von Anfang an zu erzählen. Von zu Hause, ihrem Vater dem General und seinem Wunsch nach einem Stammhalter, von ihrer Erziehung und von der Aufgabe Hauptmann der Leibgarde zu werden. Sie erzählte alles, sie ließ nichts wichtiges aus und als sie mit ihrer Geschichte geendet hatte, war es, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Erschöpft vom vielen Reden und von der Last die von ihr fiel, lehnte sie sich an André, der sie zärtlich in die Arme nahm. Erst jetzt bemerkten sie, dass sich Haydee Tränen wegwischte, Alejandro dagegen saß mit offenen Mund vor ihnen. Unter einem leisen Schluchzen wandte Haydee einige Worte an Oscar, „Madame, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich Euch um Euren Mut und um Eure Stärke beneide. Ihr habt wohl wissentlich alles riskiert und so viel gewonnen.“ „Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, ich habe für mich einfach alles gewonnen“, wie Oscar dies gesagt hatte, drückte sie Andrés Hand und sah ihn verliebt an. Alejandro war wie erschlagen, nicht nur ihre Offenheit sondern auch die Geschichte selbst machten ihn sprachlos. Wieder machte die Cognacflasche ihre Runde und jeder nahm einen ordentlichen Schluck. Nachdem sich Alejandro wieder etwas gefasst hatte und auch realisierte, dass er den ehemaligen Kommandanten der königlichen Leibgarde und ihren Stellvertreter Graf de Girodelle neben sich sitzen hatte, fragte er nach ihren weiteren Vorgehen. „Nun Madame, was begehrt Ihr in Spanien, reist Ihr mit einer bestimmten Absicht dorthin oder wolltet Ihr nur weg von Frankreich?“ Oscar hatte bei dieser Frage das Gefühl, dass jeder für sich selbst sprechen sollte. Und so geschah es auch. Oscar erzählte von ihrer Tuberkulose und von dem damaligen Rat ihres Arztes sich zu schonen und dass sie sich eine neue Behandlungsmethode erhoffte. André berichtete von dem damaligen Auftrag den „Schwarzen Ritter“ zu stellen und das Unglück, dass ihnen damals widerfahren war, auch über seine Angst sein zweites Auge endgültig zu verlieren, teilte er ihnen mit. Für Alejandro und Haydee waren das zwei sehr nachvollziehbare Gründe solche Strapazen auf sich zu nehmen. Doch was bewegte Viktor und Alain sich dem Ehepaar anzuschließen? Als Alain an der Reihe war seine Absichten kund zu tun, wusste er nicht wirklich, wo er anfangen sollte, einen so triftigen Grund wie Oscar und André hatte er nun nicht. „Hm, wenn ich ehrlich bin wollte ich einfach nicht alleine sein. Ich habe meine Schwester und meine Mutter verloren und als uns der Kommandant aus unserer Pflicht entließ, stand ich alleine da. Mir sind die Zwei ans Herz gewachsen und da man auf so einer Reise doch jede Hand gebrauchen konnte, schloss ich mich einfach an.“ Er nickte zufrieden, für ihn waren seine Ausführungen mehr als plausibel. Alejandro nickte Alain verständnisvoll an, er konnte ihn voll und ganz verstehen. Jeder Mensch brauchte einen Ort oder Menschen an dem er sich Zuhause fühlte. Er selbst hatte diesen Platz auf seinem Schiff mit seiner Schwester Haydee. Kurz dachte Alejandro daran, wie er fühlen würde, wenn es ihm so ergangen wäre wie Alain, er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.
 

Viktor starrte unterdessen aufs Meer. Er hatte den anderen nur mit einem Ohr zugehört, darüber was er erzählen sollte, hatte er noch nicht nachgedacht. Das Einzige was er spürte, war eine Sehnsucht, doch er konnte beim besten Willen nicht erklären wonach er sich sehnte. Zeitweise fühlte er sich alleine, verlassen, wie wenn er der einzige Mensch auf der Welt wäre und dass obwohl er jeden Tag mit Oscar, André und Alain verbrachte. Der Streit zwischen ihm und André hatte ihn vermehrt zum Nachdenken gebracht. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er unheimlich eifersüchtig auf André war. Nicht auf Grund der Tatsache, dass Oscar André gewählt hatte, damit konnte sich Viktor langsam aber doch abfinden und er wusste, dass es das Beste für alle war. Er beneidete André darum, dass er einfach geliebt wurde, er wurde so von einer Frau geliebt, die sich sogar für ihn in den Tod begeben würde. Viktor wurde immer mehr seine Einsamkeit bewusst, je mehr Zeit er mit Oscar und André verbrachte umso mehr wurde ihm sein eigenes Schicksal klar. Musste er etwas ändern, musste er sich ändern um wieder glücklich sein zu können? Es war ihm bewusst gewesen, dass er bei seinen Soldaten als arrogant und unterkühlt galt, damals musste er diese Mauer aufrechterhalten, er war schließlich ihr Vorgesetzter, doch war es jetzt noch für ihn möglich diese Mauer zu durchbrechen? Die Gedanken die in seinen Kopf Purzelbäume schlugen, deprimierten ihn und er wollte in diesem Moment nur alleine sein. „Entschuldigt mich bitte, ich fühle mich etwas unwohl...“, Viktor erhob sich schnell und verschwand unter Deck. Er ging zu den Pferden, vielleicht gab ihm Diablo seine innere Ruhe wieder. Viktor hielt Diablos Kopf und lehnte seinen dagegen, er streichelte sanft den Hals des Rappen.

Der Rest der Gruppe sah Viktor verstört hinterher. Keiner wusste, was genau Viktors Reaktion ausgelöste hatte, noch dazu kannte keiner von ihnen solch ein Handeln. „Am Besten ist es wohl, ich gehe ihm hinterher.“ Alain wollte gerade aufstehen und in den Bauch des Schiffes gehen, da meldet sich Haydee zu Wort, „Alain, lasst ihn vielleicht noch etwas alleine und dann werde ich zu ihm gehen. Ich habe das Gefühl, dass ihn etwas bedrückt, das hiermit zu tun haben könnte und da ist es wahrscheinlich besser, wenn er mit einer außenstehenden Person darüber spricht.“ Alain nickte Haydee dankbar zu, er war erleichtert, selbst Alain kam ab und zu an seine Grenzen und auch er wusste bei Viktor nicht immer was er ihm raten könnte. Haydee erhob sich und ließ Alejandro, Alain, Oscar und André zurück.

Als würde sie einem roten Faden folgen, führte sie ihr Weg direkt in den Frachtraum, in dem die Pferde standen. Sie blieb kurz am Treppenabsatz stehen und betrachtete Viktor eingehend, er hatte sie bis dahin nicht bemerkt, er war zu sehr in die Streicheleinheiten, die er seinem Pferde schenkte, vertieft. In Haydee entflammte das Gefühl, dass ihr Schicksal irgendwie mit diesem Mann verbunden war. Erst als sie ihm gegenüber stand bemerkte Viktor, dass er nicht alleine war. „Ihr habt ein wunderschönes Tier, Monsieur.“ Haydees Finger glitten langsam über das schwarze Fell des Tieres. „Ja, das ist er, auf ihn kann ich mich immer verlassen, er lässt mich nicht im Stich.“ Haydee ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie erneut zu sprechen anfing. In der kurzen Zeit musterte sie den Grafen gründlich. Er war groß gewachsen, hatte aber nicht allzu breite Schultern, im Vergleich zu Alain oder André wirkte er fast etwas schmächtig, er war etwas feingliedriger als die zwei Männer, drahtiger. Sein braunes Haar enthielt alle möglichen Nuancen, selbst dünne blonde Strähnen ließen sich darin erkennen. Seine wohlgeformten Augenbrauen waren um einiges dunkler als sein Haar und sie verliehen seinen hellen Augen noch mehr Ausdruck. Wie wahr war doch der Spruch, dass die Augen die Spiegel der Seele seien. Haydee konnte darin Enttäuschung, Einsamkeit und Traurigkeit erkennen. Sie verspürte einen leichten Stich in ihrem Innersten, der Ausdruck seiner Augen berührte sie, Haydee hatte das Bedürfnis ihm nahe sein zu wollen. Sie wollte ihn trösten, Kraft geben, sie wollte doch nur, dass es ihm besser ging. Warum sie so empfand, konnte sie noch nicht richtig deuten. Als Viktors Hand erneut Diablos Hals hinunterglitt, nahm Haydee allen Mut zusammen und ergriff seine Hand. Er war sichtlich erstaunt über ihr Handeln, doch ließ er ihre Nähe zu. „Viktor, was bedrückt Euch, Ihr seid doch nicht ohne Grund einfach so davon gelaufen? Haben wir Euch in irgendeiner Weise beleidigt oder verletzt?“ Sie machte sich wirklich Sorgen, das spürte er und er war dankbar für ihre Anteilnahme und ihr Interesse. „Mademoiselle, ich weiß nicht, ob ich Euch mit meinen Problemen belasten darf. Vielleicht erscheinen sie sogar lächerlich, wenn ich sie laut ausspreche.“ Sein Blick richtete sich gen Boden. „Graf, so dürft Ihr nicht sprechen, es hat jeder Mensch einen guten Grund warum er so fühlt, dafür braucht Ihr keine Entschuldigung.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an und hoffte, dass er ihr sein Herz öffnen würde, um sich seine Last von der Seele zu reden. Viktor atmete tief durch, vielleicht war es gar keine schlechte Idee einmal mit einer außenstehenden Person darüber zu reden. „Nun, es ist gar nichts Weltbewegendes und für einen Mann vielleicht auch etwas untypisch zuzugeben, aber nach all den Jahren des Dienstes in der Leibgarde, der Kämpfe und der Verluste fühle ich mich einfach nur einsam. Ja, ich bin tagtäglich mit Alain, Oscar und André zusammen und ich danke Gott dafür, dass ich sie begleiten kann, aber.“ Er stockte, sollte er vor der Frau mit der ganzen Wahrheit herausrücken oder merkte sie vielleicht schon etwas? „Graf, sprecht doch weiter, bitte, habt keine Scheu.“ Sie hielt immer noch seine Hand und es fühlte sich gut an, nicht nur um seinetwillen lag sie noch dort, sondern auch um ihretwillen. „Auch ich habe um die Hand von Oscar angehalten, doch sie wollte damals nie heiraten. Wahrscheinlich wusste sie insgeheim um ihre Liebe zu André. Ich finde es auch sehr gut so wie es gekommen ist, André ist der richtige Mann für sie. Aber wenn ich ehrlich bin, nagt die Eifersucht an mir. Ich beneide André um seine Liebe und darum, dass er von einer Frau so geliebt wird. Wisst Ihr, ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo andere Dinge einen höheren Stellenwert bekommen. Vereinfacht gesagt, auch ich wünsche mir eine Familie, eine Frau an meiner Seite, die mich liebt und die ich lieben darf.“ Viktor schüttelte den Kopf, seine Worte kamen ihm so dumm vor, noch mehr als es ihm bewusst wurde wem er sie gesagt hatte. Viktor konnte gar nicht erahnen, wie er Haydee aus der Seele sprach. So lange sie mit dem Schiff unterwegs waren und sich vor ihnen nur das offene Meer darbot, war für sie alles in Ordnung. Doch so bald sie an Land ging wurde sie von der Realität eingeholt. Sie war gerade dreißig geworden, ihr Bruder und sie trennten ein großer Altersunterschied, da ihre Mutter einige Fehlgeburten erlitten hatte. Auch sie sehnte sich immer öfter nach einem Mann an ihrer Seite. Haydee betrachtete bei ihren Landgängen immer wieder die jung vermählten Paare wie sie glücklich und zufrieden am Hafen entlang schlenderten. Oder die vielen Familien die in den vielen Geschäften ihre Besorgungen erledigten. Ja, sie verstand Viktor sehr gut, viel zu gut. Am liebsten hätte sie ihm übers Haar gestrichen und sich an ihn gelehnt, bei dem Gedanken erschrak sie selbst ein bisschen. Sie ließ sonst solche Gefühle nicht zu. „Monsieur, eure Gefühle sind mir nicht fremd und dennoch vertraue ich darauf, dass das Schicksal mir dieses Glück noch bereit hält. Ich glaube fest daran, dass jeder Mann oder jede Frau sein Gegenstück auf dieser Welt hat und finden wird. Und Ihr solltet ebenso daran glauben.“ Ihre Worte überraschten ihn, nie hätte er gedacht so offene Worte von ihr zu hören und er dankte ihr mit einem zart gehauchten Kuss auf ihre Hand. „Madame, wenn ich Euch so betrachte bin ich mir sicher, dass Euch das Glück noch hold sein wird.“ Er konnte tun und machen was er wollte, aber die Frau die ihm gegenüber stand hatte einfach die dunkelsten und geheimnisvollsten Augen die er je gesehen hatte. „Viktor, lasst uns wieder zu den anderen gehen, sie werden sich sicher schon Sorgen machen.“ Er nickte, doch es tat ihm leid wieder zu der Gruppe zurückzukehren, da er ihre zarte Hand wieder loslassen musste.
 

Alejandro sah als erster wie seine Schwester und Graf de Girodelle der Gruppe wieder näher kamen. Er stand auf, streckte sich und gähnte. „Es ist wohl das Beste wenn wir uns jetzt zu Bett begeben, es war ein langer, aufregender Tag.“ Den Anderen ging es nicht anders, der anstrengende Ritt, das aufregende Abendessen und der Nachttrunk hatten das ihrige getan und alle waren froh, müde in ihre Betten zu fallen. Oscar war erleichtert Viktor wieder bei ihnen zu sehen, sie würde morgen mit ihm über das Vorgefallene sprechen, obwohl sie sich nicht viel davon erhoffte. André zog fast ungeduldig an ihrer Hand, er wollte mit ihr etwas alleine sein, er wollte einfach neben ihr einschlafen, sie dabei umarmen, ihren Atem hören und den Duft ihres Haares einatmen. Er war sichtlich erleichtert darüber die Besatzung des Schiffes nicht anlügen zu müssen, er mochte keine Versteckspiele. Als Oscar und André in ihrer Kabine verschwunden waren, der Kapitän noch die letzten Worte mit seinem Steuermann gewechselt hatte, standen nur mehr Alain und wenige Meter von ihm entfernt Viktor und Haydee an Deck. Alains Blick schweifte aufs schwarz schimmernde Meer, er wartete noch ein paar Minuten, vielleicht würde Viktor noch mit ihm reden wollen, er selbst hatte das Gefühl, dass noch etwas besprochen werden musste. Alain hörte leise Schritte hinter sich, Viktor stellte sich zu ihn an die Reling und blickte aufs Wasser. „Danke Alain.“ Der Ex-Söldner wandte verwundert sein Gesicht zum Grafen „Wofür dankst du mir?“ „Dass du mein Freund bist, obwohl wir uns nur so kurz kennen.“ „Viktor, was ist mit dir los, du kamst mir schon bei unserer Abreise so komisch vor, bedrückt dich etwas? Du weißt, du kannst es mir sagen, ich werde es keinem erzählen.“ „Wenn du es wirklich wissen willst, ich fühle mich einsam, ich will ehrlichgesagt dasselbe wie André Nicht wie du denkst, ich will eine Frau, die mich liebt, ich will ein zu Hause und vielleicht Kinder, ist das denn so falsch?“ Alain verstand seinen Freund nur zu gut. Durch Oscar und André wurden beide unmittelbar klar, was ihnen bisher gefehlt hatte. In ihren Leben gab es bisher nur Krieg und Kampf, Leben oder Tod, natürlich hatten sie alle Damenbekanntschaften gemacht, Bezahlte und Unbezahlte, doch das Herz sehnte sich nach Wärme, das konnte der noch so härteste Soldat nicht abstreiten. „Viktor, ich verstehe dich voll und ganz, seit dem Tod meiner geliebten Schwester Diane und meiner Mutter verspüre ich diese Sehnsucht immer mehr. Aber wenn mich meine Augen nicht täuschen, bist du, mein Freund, auf dem besten Wege dorthin deine Sehnsüchte zu stillen. Er schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und lachte herzhaft. „Denkst du wirklich?“ Viktor zwinkerte seinem Freund zu „Dann lass uns sehen, was der nächste Tag wohl bringen mag.“
 

Es war ein ungewohnt sonniger Morgen für einen Tag Anfang Oktober. Oscar rieb sich verschlafen die Augen als sie und André an Deck gingen. Keiner von ihren Freunden hielt es für wichtig sie zu wecken. Nach dem Stand der Sonne musste es bereits gegen halb zehn Uhr sein. „Ah, guten Morgen Kommandant, André. Euer Frühstück steht schon bereit und André, du musst dir keine Sorgen machen, Viktor und ich haben die Arbeit bei den Pferden schon erledigt, du kannst dir also genügend Zeit lassen.“ André war überrascht über die gute Stimmung, die Alain erfasst hatte. Man könnte glauben, er empfand die Schiffsüberfahrt als Vergnügen. „Alain, wo ist denn Viktor, ich kann ihn nirgends entdecken?!“ „Der, der hängt dort oben in den Seilen.“ Alain zeigte zur Verstärkung seiner Aussage hinauf zum Hauptmast und wirklich, geschickt hangelte sich der ehemalige Kommandant der königlichen Leibgarde von einem Tau zum Nächsten. Oscar konnte zu ihrer Verwunderung nur den Kopf schütteln. So etwas hatte sie noch nicht gesehen und wenn sie ehrlich war, konnte sie es fast nicht glauben als nach ein paar Minuten Viktor strahlend vor ihnen stand. „Guten Morgen Lady Oscar, André“, er nickte den beiden zu, „ich möchte mich für mein Verhalten von vorgestern entschuldigen, mir ist klar geworden, dass ich mir einiges angemaßt habe.“ Er streckte seine Hand André entgegen und hoffte darauf Vergebung zu finden. „Graf, auch ich muss mich entschuldigen, mit mir sind wohl die Pferde durchgegangen, es tut mir leid.“ Erleichtert darüber, die Konflikte gelöst zu haben, gaben sich die beiden Männer die Hände. „Wie ich gesehen habe, werdet Ihr wohl eure Bestimmung wechseln, wenn man das überhaupt kann. Wollt Ihr vielleicht Seemann werden?“ Oscar erlaubte sich einen kleinen Scherz, doch wie sie den Grafen am Mast herumturnen sah, wirkte er auf sie glücklich. „Nun Madame, sagt niemals nie, wer weiß was das Leben noch bringen wird.“ Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatten, widmete sich Oscar wieder ihrer Landkarten um die nächste Route genauestens zu planen. Sie tat sich dabei etwas schwer, da sie keine Anhaltspunkte hatte, wo sie nach geeigneten Ärzten Ausschau halten könnten. Alain half währenddessen den Matrosen bei ihren Arbeiten an Deck und Viktor ließ sich vom Steuermann in die Schiffsfahrt einweisen. Jeder hatte etwas zu tun, nur André wusste nicht so recht, was er machen sollte, seine Arbeit bei den Pferden wurde schon erledigt und so blieb ihm nichts anderes mehr übrig als in seinem Wörterbuch zu lesen. Er saß draußen an Deck und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen in seinem Gesicht. Seit er sich mit Viktor vertragen hatte, spürte er um wie viel er wieder besser sah. Die Schwankungen seiner Sehstärke brachten ihn zum Nachdenken. Noch mehr sorgte er sich aber um Oscar. Er merkte in der Nacht wie unruhig sie schlief und dass ihr Körper eiskalt durch den Schweiß auf ihrer Haut war. Sie hustete zwar nicht mehr so oft wie früher, doch man sah es ihr regelrecht an, wie ihr Körper aus dem Gleichgewicht geraten war. „André, bald ist das Mittagessen fertig, würdet Ihr Euch dann bitte zu Tisch begeben?“ Aus seinen Gedanken gerissen, bemerkte er wie Haydee neben ihm stand, er hatte sie gar nicht kommen sehen. „Natürlich Mademoiselle, habt vielen Dank.“ Er klappte sein Buch zu und wie er es beiseite legte, fiel Haydees Blick auf das Werk. „Oh André, lernt Ihr Spanisch? Das ist eine wundervolle Idee und Ihr werdet es sicher brauchen können. Wenn Ihr wollt, können wir am Nachmittag eine kleine Übungsstunde abhalten!“ „Sehr gerne, wenn es Euch keine Umstände macht, ich habe schon einige Fragen bezüglich der Aussprache.“ Haydee hatte sich in ihrer kleinen Kombüse wieder selbst übertroffen. Oscar fühlte sich fast wie zu Hause und hätten sie nicht schon ihre Pläne, wäre sie am liebsten mit der ‚Velaje curento’ weiter bis in den Orient gesegelt. Sie saß mit ihren Freunden am Mittagstisch als sie ein leichter Schwindel überkam und ein Schmerz, der Oscar bis dato unbekannt war, in ihr aufging. Sie hielt sich verkrampft am Tisch fest und wartete bis ihr Leid vorbei war. Ihr war auch aufgefallen, wie schlecht sie in den letzten Nächten geschlafen hatte, obwohl es keinen ersichtlichen Grund dafür gab. ‚Es wird wohl mit der Tuberkulose zusammenhängen oder habe ich gestern zu viel getrunken?“ Der Cognac war sehr stark und gut, nachdem sie gestern aufgestanden war, hatte sie gemerkt, wie sehr sie den Alkohol spürte. André bemerkte ihre verkrampfte Körperhaltung und wie angestrengt sie nachdachte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. „Lady Oscar, geht es Euch nicht gut, kann ich etwas für euch tun?“ Auch Haydee war der schmerzverzehrte Gesichtsausdruck nicht entgangen. Oft brauchte sie nur einen Menschen ansehen und sie wusste womit sie ihm helfen konnte. So war es ja auch mit Alain, sie hatte es ihm damals ansehen können, wie schlecht er sich am Tisch gefühlt hatte. „Habt Dank Haydee, aber es geht schon, ich werde mich wohl besser etwas hinlegen.“ Sie stand auf und als sie bei der Tür stand, wandte sie sich um und fragte Alejandro, ob er ihr vielleicht etwas später helfen könnte ihre Route zu planen. Natürlich würde er ihr helfen, das war eine Selbstverständlichkeit. „Oscar, soll ich dich begleiten?“ André wollte sich schon von seinem Platz erheben und seine Frau zur Kajüte begleiten, aber sie winkte ab. „Lass es gut sein André, genieße noch das restliche Mittagessen und in mein eigenes Bett werde ich wohl noch finden.“ Sie trat hinaus an die frische Luft, es waren vermehrt Wolken am Himmel und die Windböen blähten die Segel in ihre volle Größe auf. Der untypische sonnige Morgen war einem normalen Herbstwetter auf See gewichen, die Wellen schlugen höher und das Schiff fing an zu schaukeln. Oscar musste sich an der Reling festhalten, denn ein neuer Anfall von Schwindel und das schwankende Schiff ließen sie fast hinfallen, ihre Augen taten weh, vor allem wie sie von der noch ab und zu durchscheinende Sonne getroffen wurden. Ihr wurde übel und ein unerwarteter Schmerz in ihrem Kopf ließ sie aufstöhnen. Kopfschmerzen kannte sie nur von durchzechten Nächten. Sie wollte nur mehr in ihr Bett, am liebsten würde sie sich in das dunkelste Eck des Schiffes verkriechen und sich eine Decke über den Kopf ziehen. Sie kniff die Augen zusammen und machte sich, geplagt von der Übelkeit und den Kopfschmerzen, auf den Weg in ihre Kajüte. Währenddessen kämpfte André mit sich ihr nicht zu folgen. Oder sollte er doch? Er sorgte sich um sie. Was wenn sich ihr Zustand während ihrer Reise noch weiter verschlechtern würde? Was wenn sie noch kränker wurde und... Er schüttelte seinen Kopf, am liebsten hätte er diese Gedanken aus sich herausgeschüttelt. André wollte nicht daran denken, was alles Schreckliche passieren konnte. Wenn sie ihn für immer verlassen würde, er würde ihr folgen, das hatte er sich geschworen. Ohne Oscar machte sein Leben keinen Sinn. „André, würdet Ihr es gestatten, wenn ich Eure Frau in Eurer Kajüte aufsuche? Ich habe das Gefühl, dass es ihr nicht sonderlich gut geht, vielleicht kann ich ihr helfen?“ Haydee hatte sein betrübtes Gesicht bemerkt und nach dieser unglaublichen Geschichte die sie von den beiden Liebenden erst gestern erzählt bekommen hat, fühlte sie Andrés Schmerz und Sorgen. „Ja, sehr gerne, ich werde Euch begleiten.“ Haydee nickte ihm zu und so verschwanden die beiden um Oscar aufzusuchen.
 

Das Zimmer war dunkel, es war keine Kerze angezündet und auch die kleine Luke, die als Fenster diente, war verhangen. Haydee war etwas überrascht, als sie keine Antwort erhielt, wie sie klopfte und wie sie das abgedunkelte Zimmer sah, hatte sie schon eine Vermutung worunter Oscar litt. „Lady Oscar, seid Ihr hier?“ André und Haydee orteten nur ein leichtes Brummen, das vom Bett zu kommen schien, als sie sich diesem näherten, sahen sie, wie ein Körper unter der Bettdecke lag. „Oscar, was ist mit dir, geht es dir so schlecht?“ André kniete sich besorgt nieder und lüftete die Bettdecke, der blonde Haarschopf lugte hervor und die Augen waren fest verschlossen. „Ich hab solche Kopfschmerzen und mir ist so übel. Ich kenne so etwas gar nicht.“ „Dann weiß ich was euch fehlt, ihr habt Migräne, doch normaler weise leiden die Personen häufiger darunter.“ Sind euch diese Symptome gänzlich unbekannt?“ Oscar nickte nur kurz. Sie fühlte sich, wie wenn ihr Pferd auf sie gefallen wäre. Sie wollte sich so wenig wie möglich bewegen und auf keinen Fall die Augen öffnen. „Wartet hier einen kleinen Moment, ich werde Euch etwas bringen, vielleicht haben wir Glück und Ihr fühlt Euch danach besser.“ Haydee verschwand in die Küche und setzte Wasser auf, dann huschte sie in ihr Zimmer und holte ein kleines Fläschchen. Als sie mit ihren Erledigungen fertig war, brachte sie Oscar eine Tasse Kaffee und eben dieses Fläschchen. „So Lady Oscar, trinkt dies bitte. Das einzige was jetzt noch passieren kann, ist, dass Eure Kopfschmerzen sich verschlechtern.“ Haydee öffnete derweilen das Fläschchen und träufelte einige Tropfen davon auf ihre Fingerspitzen. „Ihr erlaubt doch?“, ohne eine Antwort abzuwarten, begann Haydee die Schläfen von Oscar zu massieren „Spürt Ihr schon eine kleine Besserung?“ Oscar verneinte. Daraufhin massierte sie ihren Nacken. In Oscar löste sich eine Verspannung nach der anderen. Die Kopfschmerzen waren zwar nicht ganz weg, doch hatten sie an Intensität verloren. „Legt Euch nun wieder hin, ruht Euch aus, die Stellen die ich jetzt massiert hatte, werden wahrscheinlich ganz kühl werden, das ist ganz normal.“ Oscar kam der Geruch des Öls sehr bekannt vor, nur konnte sie es noch nicht richtig zuordnen. André der die Szene still beobachtet hatte, dachte auch angestrengt nach, wonach es sich hier handeln könnte. „Pfefferminze und, ach was war denn da noch beigemischt?“ Er kam einfach nicht darauf. „Eukalyptus, der Baum aus Australien. Die kühlende und erfrischende Eigenschaft von Pfefferminze und Eukalyptus helfen, dass sich die damit behandelten Körperregionen entspannen. Beim Kaffee weiß ich leider nicht, warum er wirkt, aber er hilft oft bei Kopfschmerzen. André würdet Ihr bitte so nett sein und noch eine Karaffe mit frischem Wasser holen, Flüssigkeit ist überaus wichtig.“ André nickte und war froh, wenn er helfen konnte. Bisher konnte er nur tatenlos zusehen und hoffen, dass es seiner Liebe bald besser ging. Als die Tür hinter ihm zufiel, beugte sich Haydee zu Oscar hinunter und sah sie fragend an. „Verzeiht mir meine Neugier, aber Menschen die sonst nicht unter dieser Krankheit leiden, erwischt es meistens nicht so stark. Ist Euch vielleicht sonst noch etwas aufgefallen? Ich meine, Ihr seid verheiratet Lady Oscar, könnte es möglich sein, dass Ihr schwanger seid?“ Schwanger? Oscar wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass die Möglichkeit bestünde schwanger zu sein. Nie hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, diesen Teil ihres weiblichen Daseins hatte sie wohl vollkommen verdrängt. Auch das Ausfallen ihrer Regelblutung war für sie normal, schon früher hatte sie diese Unregelmäßigkeiten auf Grund ihres Lebensstil. Stress und Ärger, ihre kräfteraubende Arbeit und die Dienst bei jeglichem Wetter taten das ihrige zu diesem Umstand bei. Die Möglichkeit bestünde auf jeden Fall, da sie das Bett mit André teilte. „Ähm, möglich wäre es ja, mein Gott, darüber hab ich gar nicht nachgedacht.“ „Ich würde sagen, Ihr beobachtet Euren Körper etwas eingehender in den nächsten Tagen. Es wird sich bald zeigen, was Euch fehlt.“ Haydee grinste, sie fand es fast schon belustigend wie sorglos Oscar mit körperlicher Liebe umging und das obwohl sie eine erwachsene Frau war. Just in dem Moment als die beiden Frauen ihr Gespräch beendet hatten, ging die Tür auf und André kam mit der gewünschten Karaffe mit Wasser herein. „Ich lasse Euch jetzt allein, falls Ihr noch etwas braucht, meldet Euch bitte!“ „Danke Haydee.“ Als die zwei alleine waren, kniete sich André vor Oscars Bett. „Kann ich noch etwas für dich tun, bevor ich dich wieder alleine lasse?“ „Bleib bitte bei mir.“ Sie rutschte zur Seite, um ihren Mann Platz zu machen und zog ihn zu sich aufs Bett. Der Gedanke einer Schwangerschaft verunsicherte sie ungemein, Oscar wusste noch nicht, ob sie André diese Vermutung erzählen sollte oder nicht. Sie wollte ihn nicht unnötig hoffen lassen, denn was wäre, wenn sie doch kein Kind erwartete. Sie beschloss für sich noch zu warten, Haydee hatte Recht, am Besten war es, wenn sie mehr auf ihren Körper achten würde. Doch diese Unsicherheit nagte an ihr und sie war froh André neben sich zu spüren. Sie hatte ihren Kopf an seine Brust gelehnt und er umschloss sie mit seinen Armen. „Dich bedrückt doch etwas, aber du wirst es mir hoffentlich sagen, sobald du so weit bist, oder?“ André drängte Oscar gar nicht dazu mit ihren Problemen herauszurücken. Er wusste, wenn die Zeit reif war würde sie selbst auf ihn zukommen, so war es immer. „Lass mir noch ein bisschen Zeit, aber ich verspreche dir, dass ich mich dir als erstes anvertraue.“ Sie schenkte ihm einen zärtlichen Kuss auf seine weichen Lippen und schmiegte sich an ihn. André streichelte ihren Rücken und durch das Schwanken des Schiffes wurden sie langsam in den Schlaf gewiegt.
 

Haydee war in Gedanken versunken. Auf ihren Weg in die Küche; sie musste noch das Chaos beseitigen, welches sie jedes Mal veranstaltete, wenn sie kochte; stieß sie mit Viktor zusammen. Sie war zuerst sehr erschrocken wegen des Aufpralls, aber wie sie sah, mit wem sie zusammenstieß, wurde es ihr regelrecht heiß und sie errötete. Er nutzte die Gelegenheit und hielt sie an ihren Oberarmen fest, für Außenstehende vielleicht eine Spur zu lange, doch die beiden genossen diese unschuldig anmutende Geste sehr. „Mademoiselle, verzeiht mir bitte mein Unachtsamkeit.“ Viktor sah ihr dabei fest in die Augen, ehrlichgesagt tat es ihm überhaupt nicht leid, sondern er dankte Gott dafür mit ihr zusammengestoßen zu sein. Auch Haydee war mehr als erfreut über dieses Zusammentreffen. Nur selten war es hier am Schiff möglich mit dem Grafen ein vertrautes Wort zu wechseln. „Ihr müsst mich entschuldigen, ich war in Gedanken und sah Euch nicht kommen.“ Viktor nahm all seinen Mut zusammen, er wusste, wenn er jetzt nichts riskierte, würde er auch nichts gewinnen können. Die Abweisung, die ihm damals Oscar gezeigt hatte, nagte lange an ihm, damit hatte er wahrlich schwer zu kämpfen. „Haydee, würdet Ihr mir heute die Ehre zuteil werden lassen und mit mir nach dem Abendessen einen kleinen Spaziergang an Deck unternehmen?“ Jetzt war es heraus, mit dieser Einladung tat er sein Interesse an dieser Frau kund. Die Sekunden zu ihrer Antwort kamen Viktor wie Stunden vor, er hatte schon die Befürchtung, dass er wieder abgewiesen werden würde, er blickte zu Boden. Haydee hingegen war so perplex, nichts hätte sie sich sehnlicher gewünscht, als mit Viktor alleine zu sein und so dauerte es etwas bis sie ihre Antwort herausstotterte. „Sehr, sehr gerne Graf.“ Ein erleichtertes und freundliches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. „Nun Mademoiselle, dann werde ich Euch nach dem Abendessen in Eurer Kabine abholen, wenn Ihr gestattet.“ Wieder hauchte er ihr einen Kuss auf ihre Hand und verschwand sogleich unter Deck. Viktor hätte lügen müssen, wenn er seine Schmetterlinge im Bauch verleugnet hätte. Alain war gerade in der Kabine um sich etwas hinzulegen, das gute Essen und die wenige Arbeit am Schiff verleiteten ihn etwas zur Faulenzerei. Früher in der Kaserne hatte er in solchen Momenten mit seinen Kameraden Karten gespielt und sich gegenseitig derbe Witze erzählt. Nun würde er halt seinem Körper etwas Erholung gönnen. Er hatte sich gerade seine Jacke ausgezogen und aufs Bett gelegt, als sich die Tür der Kabine öffnete und eine strahlender Graf de Girodelle eintrat. „Viktor, mein Freund, was ist denn mit dir los, die Sonne ist ein harmloser kleiner Stern gegen dich. Dir ist wohl anscheinend der weibliche Kapitän dieses Schiffes über den Weg gelaufen?“ Alain konnte sich seine Bemerkungen nicht verkneifen, er meinte es aber nicht wirklich böse. Er freute sich, wenn Viktor so gut aufgelegt war und es ihm gut ging. Viktor musste ihm insgeheim ja Recht geben, seine Laune besserte sich einfach, sobald er Haydee begegnete. „Alain, dir kann man wohl nichts vormachen, du bist einfach ein zu guter Menschenkenner.“ Viktor begegnete seinem Freund mit dem selben Unterton den er zuvor gebrauchte, nämlich etwas sarkastisch. „Nun Viktor, habe ich jetzt vor dir meine Ruhe oder wirst du mir den restlichen Nachmittag etwas vorsäuseln?“ Alain liebte es seinen Freund etwas aufzuziehen, jeder von ihnen wusste, wie etwas gemeint war und so konnten sie dieses Spiel ins Unermessliche ziehen. „Alain, es tut mir leid, aber bis zum Abendessen musst du mit meiner Anwesenheit vorlieb nehmen.“ Viktor legte sich mit diesen Worten zu Bett. Er musste sich selbst immer wieder beruhigen, denn der Gedanke an heute Abend verursachte in ihm eine angenehme Nervosität.
 

Auch Haydee wurde immer aufgeregter. Es kam noch nicht so oft vor, dass sich ein Mann um sie bemühte. Durch ihre kurzen Aufenthalte in den Häfen dieser Welt und ihr fremdländisch wirkendes Aussehen waren nicht sehr förderlich, wenn es darum ging heiratsfähige Männer kennen zu lernen. Umso mehr freute sie sich darüber, dass gerade so ein Mann wie Graf de Girodelle auf sie aufmerksam wurde. Damit ihr nachher noch etwas Zeit blieb sich etwas herzurichten, gab es an diesem Abend eine Auswahl an kalten Speisen wie Schinken, Brot, Käse, eingelegtes Gemüse und geräucherter Fisch. Trotz der Einfachheit der Speisen schmeckte es jeden. Sogar Oscar gesellte sich zur Runde und aß etwas Brot und Käse. Die schlimmen Kopfschmerzen waren vergangen, doch die Übelkeit und der Schwindel blieben vorerst, sie hoffte innerlich, dass morgen alles vorbei sein würde. André genoss es ein wenig sie zu umsorgen. Es machte ihn glücklich, wenn er sich um sie kümmern konnte, wenn er von ihr gebraucht wurde. ‚Er wäre ein guter Vater’, schoss es dabei Oscar durch den Kopf, ‚ganz anders als meiner’, sie liebte zwar ihren Vater, aber ein richtig herzliches Verhältnis hatten sie nie zueinander entwickelt, keine seiner Töchter hatte das zu ihm. Es schickte sich auch nicht sonderlich in ihren Kreisen, die Herzlichkeit blieb dem Bürgertum überlassen. Plötzlich erinnerte sie sich an das Verhältnis von Marie Antoinette zu ihren Kindern und wie traurig sie war, wie ihr Sohn gestoben war. Wäre sie auch so eine liebende Mutter wie die Königin? Würde sie ihren Kindern genug Liebe schenken können? War das überhaupt möglich, würde es noch einen Platz in ihrem Herzen geben, jetzt wo sie André liebte? Die Fragen verwirrten sie selbst, so konnte sie nicht dem Gespräch am Tisch folgen. „Liebling, es ist wohl besser wenn du dich wieder hinlegst, du wirkst noch nicht sehr erholt auf mich.“ André strich ihr dabei die Haare aus der Stirn. Wie schön sie doch war, selbst wenn es ihr nicht so gut ging und man ihr ansah, dass sie litt, war sie schön wie der Erzengel Gabriel in seiner strahlenden Rüstung. Oscar nickte ihrem Mann zustimmend zu, sie fühlte sich wirklich etwas schlapp und gerädert. „Geh schon vor, ich bringe dir dann noch etwas zu trinken nach.“ Oscar wünschte allen eine gute Nacht und machte sich auf den Weg in ihre gemeinsame Kajüte. André half unterdessen Haydee mit dem Aufräumen der Kombüse und des Verräumen des Geschirrs. Er war es noch von zu Hause gewohnt bei den Aufräumarbeiten in der Küche zu helfen, seine Großmutter hatte ihn dementsprechend erzogen. Wie André mit Haydee den Abwasch erledigte, brach er das Schweigen und überraschte sie mit seiner Aussage. „Er ist ein ehrenvoller Mann.“ Haydee war sprachlos und sie war so überrascht, dass sie fast einen Teller fallen ließ. „Wie, wie kommt Ihr darauf?“ „Mademoiselle, auch wenn ich auf einem Auge blind bin und ich vielleicht andere Sorgen habe, nehme ich doch meine Umwelt war. Und so versteckt sind Eure Gefühle nicht, um sie nicht zu entdecken. Nehmt es mir nicht übel, aber weiß Eurer Bruder davon?“ „Ja, ich habe ihm etwas in der Richtung angedeutet. Sehr erfreut war er darüber nicht gerade, doch es ist ihm wichtig, dass ich glücklich bin. Er würde es auch nie von mir verlangen meine Bedürfnisse hinter seine zu stellen.“ Sie waren fast mit ihrer Arbeit fertig und André trocknete sich seine Hände in einem der Küchentücher ab. „Mademoiselle, ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.“ Haydee nickte dankbar und lächelte ihn an. Es erleichterte sie etwas, dass ihre Einschätzung von Viktor doch richtig war. Schnell begab sie sich in ihre Kajüte um sich noch etwas frisch zu machen, es würde ja nicht mehr lange dauern bis er kam um sie abzuholen. Sie entkleidete sich um sich mit einer feinen Rosenseife zu waschen. Das kalte Wasser auf ihrer Haut und der leicht sinnliche Duft der Rose waren eine Wohltat nach dem arbeitsreichen Tag. Sie öffnete ihren Zopf und ihr langes schwarzes Haar fiel über ihren Rücken, sie war froh darüber, Haydee wollte nicht nur schön aussehen, es tat ihr auch schon der Kopf weh von dem streng zusammengenommen Haaren. Flüchtig strich sie ein paar Mal mit ihrer Bürste durch das seidene Haar und betrachtete sich im Spiegel. Ob sie ihm wirklich so gefallen wird? Sie konnte es kaum glauben, sie dachte an die Erzählungen über den abgelehnten Heiratsantrag von Oscar und sah ich dabei immer eingehender an. ‚Wir sind doch so verschieden, warum sollte er sich für mich interessieren?’ Just in diesem Moment klopfte es an der Tür, Haydee wurde aus ihren Gedanken gerissen öffnete die Tür. Da stand er vor ihr, auch er hatte sich nach dem Abendessen noch gerichtet. Er hatte sich extra umgezogen, das Gewand war zwar nicht so aufwendig gearbeitet wie es man sich von einem Grafen hätte erwartet, doch es war doch um einiges edler als das Gewand welches er untertags trug. Der Schnitt der Kleidung brachte seinen wohlgeformten Körper zur Geltung und sein sowohl freundlicher als auch etwas nervöser Gesichtsausdruck vervollständigte seine attraktive Erscheinung. Haydee wäre am liebsten in seine Arme gesunken, doch ihr Anstand und ihre Unsicherheit hielten sie davon ab. Viktor war sichtlich überrascht als er sie sah, nie hätte er gedacht, dass sie noch schöner für ihn sein könnte, doch er hatte sich getäuscht.
 

Draußen an Deck hatte der Wind aufgefrischt und der Mond schien sichelförmig auf die Welt. Es war eine sternenklare Nacht und sie versprach sehr kalt zu werden, doch den zwei Menschen die gemeinsam am Rumpf der Velaje curenta standen, schien dies völlig egal zu sein. Man sah es ihnen an wie sehr sie die Zweisamkeit genossen, durch unschuldige, schon zufällig anmutende Berührungen versuchten sie sich näher zu kommen. Sie setzten sich auf eine der kleinen Bänke die entlang der Reling befestigt war und Haydee zog ihre Wolldecke, die sie vorausschauend mitgenommen hatte, fester um sich. Bis jetzt hatten sie nur Höflichkeiten ausgetauscht und Viktor hoffte inbrünstig auf eine intime Atmosphäre wie einen Tag zuvor im Frachtraum. Sie blickte mit ihren schwarzen Mandelaugen direkt in die seinen, zu gefangen war sie von seinem Blick um ein Wort herauszubringen, doch war ihr bewusst, dass sie nicht den ganzen Abend schweigen nebeneinander saßen konnten. „Monsieur, darf ich euch eine sehr persönliche Frage stellen?“ „Natürlich, aber bitte sprecht mich mit Viktor an, sonst fühle ich mich noch älter als ich wirklich bin“, Viktor lachte und hielt sich dabei den Kopf. Obwohl sie nur einige Jahre jünger als er war kam sie ihm so wild, eigensinnig und doch auch schüchtern wie ein junges Mädchen vor. „Was war es was euch an Lady Oscar faszinierte, oder warum liebt ihr sie?“ Er hatte vieles erwartet, aber diese Frage verwunderte ihn und trotzdem wollte er ihr keine Antwort schuldig bleiben. „Ich weiß ja nicht welchen Eindruck ihr von Lady Oscar erhalten habt, doch ich denke sie wirkt auf fremde Personen etwas kalt, vielleicht arrogant und sehr in sich gekehrt. Sie ist aber ein Mensch mit Prinzipien, Werte stehen sehr hoch bei ihr und man kann sich auf sie verlassen wie auf keinen zweiten Menschen. Sie ist eine Frau die als Mann erzogen wurde und trotzdem wirkte sie auf mich sehr weiblich. In Paris und Versailles schätzte man sie sehr und sie hob sich dementsprechend von den anderen Damen wenn nicht sogar von der ganzen Gesellschaft dort ab.“ Haydee starrte Löcher in die Planken des Decks, er sprach in den höchsten Tönen von ihr, da konnte sie sich gar keine Chancen ausrechnen. Der Graf bemerkte ihre angespannte etwas abweisende Haltung und wollte sich schon selber für seine Formulierungen schelten, hatte er sie denn schon verloren bevor er sie sein nennen konnte? Er ergriff ihre Hand die auf ihren Schoß lag, so musste sie ihr Gesicht zu ihm wenden und er konnte Tränen in ihren Augen erkennen. „Mademoiselle, verzeiht mir meine Worte wenn ich euch damit verletzt habe und doch möchte ich euch eines sagen, ich bin sehr froh Lady Oscar kennen gelernt zu haben, denn nur durch sie darf ich heute hier Abend mit euch sitzen.“ Haydee musste schlucken, damit hatte sie nun wirklich gerechnet. Noch nie hatte sie so das Bedürfnis einem Mann zu berühren, ihm nahe zu sein wie diesem Mann. Obwohl sie ihn erst so kurz kannte wusste sie in dem Moment, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Sie löste ihre Hand aus der seinen und wie hypnotisiert berührte sie seine Wange, wie ihr bewusste wurde was sie getan hatte, sprang sie auf und wollte nur noch weg. Was musste er jetzt bloß von ihr denken? Dass sie komplett verrückt war? Viktor selbst fühlte sich nur frei und gelöst, da er jetzt um ihre Gefühle für ihn wusste und er würde sie nicht so einfach gehen lassen, nicht jetzt. Er war einfach zu schnell für sie und er hielt sie an ihrem Handgelenk fest und zog sie sanft zu sich. Er ließ sie nicht los, zu groß war die Gefahr sie würde ihm wieder davon laufen. Eine Windböe zerzauste das Haar von beiden und Viktor strich gefühlvoll einige Haarstränen aus ihrem Gesicht. Bei dieser Berührung brannte es in ihrem Innersten, ein Brennen für das es sich zu sterben lohnte. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und beugte sich langsam zu ihr hinunter. Haydee spürte seinen warmen, gleichmäßigen Atem auf ihrer Haut und seine Hände. Wie gebannt stand sie da und wartet darauf was als nächstes passieren würde. Fast so als würde sie Halt suchen, wanderten ihre Hände an seine Hüfte. Viktor nahm all seinen Mut zusammen und küsste sie auf ihre dunklen Lippen. Es fühlte sich einfach nur richtig an, wie wenn zwei Puzzelteile zueinander gefunden hätten. Ihre Lippen waren weich und warm und sie machten ihn süchtig, süchtig sie immer wieder zu küssen. Haydee’s Knie wurden weich und sie glaubte jeden Moment zu Boden zu stürzen wenn sie sich nicht an Viktor festhalten würde. Auch als er seine Lippen wieder von den ihren genommen hatte, hielt sie ihre Augen weiterhin geschlossen, vielleicht um den Moment noch weiter zu genießen. Langsam öffnete sie ihre Augen und sah ihm ins Gesicht, er wirkte fast etwas verlegen. „Verzeiht wenn ich euch überrumpelt habe, dies war nicht meine….“, weiter kam er gar nicht, denn Haydee verstärkte ihren Griff um seine Hüften und zog ihn zu sich heran, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen um ihn küssen zu können.
 

to be continued...



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  MuadDib
2008-08-20T17:47:58+00:00 20.08.2008 19:47
mach auf alle fälle weiter ;P
mir ist nichts aufgefallen, was ich zu kommentieren habe.
auser das ich mit deiner zeit etwas durcheinader gekommen bin. erst war es anfang september, dann wollten sie in 7 tage los reisen, dann war es mitte oktoper als sie mit dem schiff los furen und dann wieder anfang oktoper.
ein bischen komsich aber warschenilich hab ich des auch einfach nich verstanden lol

ich bin gespannt auf neue teile.
Von: abgemeldet
2008-08-16T11:54:37+00:00 16.08.2008 13:54
Hey, es freut mich sehr, dass du die FF jetzt auch hier on gestellt hast. Ich hab dir ja shcon gesagt, dass ich die Story liiebe und hoffe doch soo sehr das du bald weiter schreibst!
Von:  Natasha
2008-08-15T22:17:18+00:00 16.08.2008 00:17
Hallo, das ist aber eine echt tolle FF. Hab sie mit Begeisterung verschlungen. Sie ist sehr spannend aufgebaut. Am besten gefällt es mir, wie du die Zärtlichkeiten von André und Oscar beschreibst. Sie wirken sehr verliebt auf mich. Echt super! Du achtest sehr auf Kleinigkeiten und beschreibst die Dinge bis ins kleinste Detail, so kann man sich in die Personen hineinversetzen.
Auch die Dialoge der Hauptcharaktere sind sehr gut von dir durchdacht worden.
Und die Romanze von Girodelle find ich ja sooooo sweet :)
Schreib fleißig weiter!!!!
Liebe Grüße
Von:  Yvaine
2008-08-10T18:50:04+00:00 10.08.2008 20:50
Ui, wie ich mich freu, die hab ich schon auf "Rosenvonversailles" gelesen und mir die ganze Zeit gewünscht Du würdest sie endlich bei Animexx reinstellen!
Ich find die FF richtig klasse, so das ich jedes neue Kapitel mit Begeisterung verschlinge! Es wird nie langweilig beim lesen, vor allen Dingen weil mir Dein Schreibstil so gefällt und der Verlauf der FF immer fortwährend interessant bleibt!
Die bekommt gleich nen Platz in meiner Favoritenliste!
Ich hoffe, dass Du noch viele Kommis bekommst und so schnell wie möglich weiterschreibst!
LG Yvaine
Von: abgemeldet
2008-08-10T12:42:11+00:00 10.08.2008 14:42
hey^^
wow bin froh dass du endlich deine tolle ff bei animexx reingestellt hast.
ich mag deine story aber das weißt du ja bereits.
es ist toll geschrieben und die idee ist wirklich gut.
bin schon mega gespannt wie es weiter geht. mit victor aber auch mit unserem lieblings paar und natürlich mit alain.


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