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Die Blutfinke

Wenn die Phantasie zur Waffe wird
von

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Nichts

Sie fiel ohne Widerstand ins hohe Gras.

Der Aufprall raubte ihr den Atem. Sie rappelte sich hoch und drehte sich um. Ihr Vater war weg. Kein Kind.

Doch ... aber der Junge mit dem Zeichenblock weiter hinten.

„Vati?“

Marie-Louise blickte um sich. Niemand. Der verwahrloste Park stand finster und leer da. Die Neoleuchtreklame überwand die Dunkelheit und sandte mattes gelbliches Licht über die Gräser und Sträucher. Grillen zirpten.

Sie holte tief Luft.

Was war geschehen? Sie blickte verwirrt. Im Gras erkannte sie keine Spuren außer ihre eigenen.

Hatte sie geträumt?
 

Regungslos verharrte sie eine Weile. Dann lachte sie. „Ach, Marie, was ist heute los mit dir?“ fragte sie sich. Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Heute ist nicht mein Tag. Aber wie es scheint, habe ich geträumt. Der Vater ist gar nicht da. ... Mama ist wohl auch nicht echt gewesen. Wäre ich doch zu ihre zurück gegangen, ich hätte erkannt, dass niemand da war!“

Sie holte tief Luft. Ja, es ist alles nicht wahr, dachte sie erleichtert. Ich werde noch wahnsinnig! Ich bin froh, wenn bald die Ferien kommen, dann kann ich mich mal ausruhen.

Sie ging durchs Gras zurück auf die Straße. „Alles nur geträumt! Der ganze Abend war nicht real. Ich wache gleich zu Hause im Bett auf und alles ist wie immer. Und die Schule muss ich auch nicht aufgeben.“

Die Schülerin schritt durch eine andere Straße. Sie kannte den Stadtteil nicht, aber sie vermutete, dass sie in dieselbe Richtung zurück ging, von der sie her gekommen war, auch wenn sie eine andere Straße nahm. Sie wollte nicht in die Straße zurück, in der die Mutter ihre „Beschäftigung ausübte.“ Die Vorstellung von der Mutter als Prostituierte ängstigte sie immer noch, obwohl sie hätte feststellen können, dass es eine Illusion war. Zu Hause würde alles so sein wie immer, beruhigte sie sich, sie würde weiterhin fleißig lernen und versuchen ihre Eltern glücklich zu machen. Eines Tages sollten sie stolz auf sie sein, dafür lohnten sich doch die Entbehrungen, und wären sie noch so groß! Sie lächelte müde, aber erleichtert.

Plötzlich kicherte sie. Wie verrückt war sie denn, dass sie sich ihre Eltern als eine Hure und einen Kinderschänder vorstellte? Sie waren doch ganz anders, stets um gute Manieren und Sitten bemüht, nahmen sie sogar an ehrenamtlichen Wohltätigkeitsprojekten teil um die Welt schöner zu machen. Die Menschen, die sie kannten, wussten ihre Güte und Großzügigkeit zu schätzen; man fragte sie sogar um Rat, da sie über soviel Weitsicht verfügten und dort noch Auswege sahen, wo andere aufgegeben hatten. Wie konnte Marie-Louise nur so hässliche Dinge von ihnen denken? Egal! Sie wollte nach Hause, ab ins Bett und morgen würde die Welt wieder in Ordnung sein.

Der Junge stolperte hinter ihr her. Seine kurzen Beine hatten mühe ihr zu folgen. Er keuchte und wischte mit dem Ärmel den Rotz von der Nase.

Sie beachtete ihn nicht mehr. Er war auch nicht real, entschied sie.



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