Das Kämpfen für Träume
Das Kämpfen für Träume
"Lass dir nie von jemandem einreden, dass du etwas nicht schaffen kannst. Wenn du einen Traum hast, schütze ihn. Wenn du etwas willst, dann geh und hol's dir."
(Das Streben nach Glück)
Der Mann, der in einem großen Schreibtischstuhl saß, lehnte sich zurück. Es war sein Job, Hoffnungen zu Nichte zu machen, scheinbar war er daran gewöhnt. Nichts in seinem Mienenspiel verriet Mitleid. Kein Anflug von Verstehen in seinen Augen
„Tut mir Leid, das passt einfach nicht in unser Programm.“
„Aber sie haben mir doch vor einem halben Jahr versichert, dass Sie genau so etwas suchen.“
„Vor einem halben Jahr haben wir danach gesucht. Heute schreit der Markt nach etwas anderem. Etwas Neuem.“
„Das heißt, es gibt keine Chance dafür, dass es vielleicht doch noch von Ihnen in Erwägung gezogen wird. Es eventuell...“
„Nein, vorerst nicht. Wenn Sie wollen, mache ich mir eine Notiz und werde Sie sofort kontaktieren, falls sich an der derzeitigen Lage etwas ändert. Obwohl ich das ehrlich gesagt bezweifle, die Verbraucher sind mit solchen Geschichten in den letzten Monaten geradezu überflutet worden. Sie brauchen Veränderung.“
„Aber, ich habe mich doch so damit beeilt, das Manuskript fertig zu bekommen.“
„Das bestreite ich ja auch gar nicht. Aber andere waren einfach schneller. Es tut mir Leid.“
Paul Sander nickte betrübt und griff nach dem dicken Stapel Papier um ihn in seiner Tasche zu verstauen.
„Ich danke Ihnen trotzdem dafür, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben“, sagte er noch und reichte dem Verlagsvertreter die Hand. Der ergriff sie, schüttelte sie kurz und nickte.
Paul wusste, dass das Gespräch nun vorbei war.
Er stand auf, hängte sich seine Tasche um und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Die Enttäuschung, die sich in ihm breit machte, war einfach nicht zu beschreiben. Das erneute Zerschlagen seines Traums hatte mal wieder Spuren hinterlassen.
Er verließ das Gebäude und wanderte langsam durch den kleinen Park auf der gegenüber liegenden Straßenseite, während er verzweifelt versuchte zu akzeptieren, dass er es wieder nicht geschafft hatte. Dabei war er sich so sicher gewesen.
Stundenlang, nächtelang hatte er an seinem Computer gesessen und die Tastatur malträtiert. Tagelang hatte er nichts gegessen um sicher zu gehen, dass er die Frist, die man ihm vor sechs Monaten gestellt hatte, auch wirklich einhalten würde. Er hatte nur von der Begeisterung für das, was er tat, was er erschaffte, gelebt.
Alles umsonst.
Sein Werk wurde nicht gebraucht. Es war überflüssig und es war seine Schuld. Er war nicht schnell genug gewesen und nun wollte man seine Idee nicht mehr. Vielleicht war seine Strategie die falsche. Vielleicht musste er anfangen, einfach nur zu schreiben.
Zu schreiben, zu schreiben.
Nicht um des Schreibens Willen, sondern um fertig zu werden. Um einmal schneller zu sein, als die anderen.
Aber tief in seinem Inneren wusste Paul, dass er das nicht wollte. Nicht konnte. Das, was er anstrebte, waren gute Manuskripte, mit Tiefgang, mit Gefühl. Nicht diese Massenproduktion, in der so viele Ideen, so viele Geschichten ein Abklatsch der anderen waren.
Seine Geschichte war anders. Er wusste es.
Aber der Verlag wollte sie nicht. Die Leute wollten sie nicht.
Er ging weiter, setzte einen Schritt vor den anderen, während ihm der kalte Herbstwind wieder um die Ohren strich. Er wusste, dass seine Mutter sich einen anderen Beruf für ihn gewünscht hatte. Etwas Sichereres.
„Du kannst doch nebenbei schreiben, so wie viele andere.“
Aber das wollte er nicht. Das Schreiben und die Literatur waren zu groß, zu umfassend, zu gewaltig, als dass man ihnen nur einen Teil seines Lebens widmen konnte. Ganz oder gar nicht. Entweder mit Leidenschaft oder durch Geldgier.
Er hatte sich für erstes entschieden. Er wollte Schreiben. Schreiben um des Schreibens Willen.
Er ließ sich auf einer Bank nieder, die direkt an dem kleinen See des Parks stand. Es wurde immer frischer, nahezu eisig und Pauls Finger, die in abgenutzten Handschuhen mit Löchern steckten, wurden langsam steif. Er konnte es spüren.
Sowohl die Kälte als auch das Kribbeln, das die Sehnsucht nach einem Stift ausdrückte.
Vorsicht zog der junge Mann den Stapel Papier aus seiner Tasche. Er war heute Morgen extra noch in einen Copyshop gegangen, um das Manuskript einmal auszudrucken, denn er wusste, dass ein Verlag die Papierversion auch in modernen Zeiten noch bevorzugte.
Es waren gut und gerne zweihundertfünfzig Seiten.
Zweihundertfünfzig Seiten, die die Geschichte eines kleines Kindes erzählten. Von seinem Leben berichteten und den Leser in eine Fantasiewelt voller Feen und Elfen entführte.
Zweihundertfünfzig Seiten, in denen so viel Mühe und Leidenschaft steckte, dass Paul mit seinem inzwischen vor Kälte blassem Zeigefinger langsam über die gedruckte Buchstaben der ersten Seite strich.
So viel Arbeit.
So viel Liebe.
Umsonst?
Er hatte einen harten Beruf gewählt. Einen Beruf, der keinerlei Sicherheit und bei weitem nicht das große Geld in Aussicht stellte, so wie es sich viele vor Augen hielten. Aber dafür voller Spaß, Kreativität und Freude steckte.
Voller leerer Versprechungen.
Voller enttäuschter Hoffnungen.
Voller Träume.
Was würde er jetzt tun? Bisher hatte man nur mehrere kleine Schriften von ihm veröffentlicht. Und seit Monaten hatte er gehofft, dass dieses Buch, ihn endlich dahin bringen würde, wo er hinwollte. In die Welt der Autoren.
Es war naiv, sich voll auf diesen Beruf zu konzentrieren, das hatte seine Mutter schon vor vier Jahren gesagt. Aber Paul wollte es, er wollte kämpfen.
Erneut fegte ein kalter Windstoß durch den kleinen Park und ließ das Laub der Bäume durch die Luft fliegen. Dabei nahm er gierig ein paar Blätter des verwaisten Manuskriptes in seine eisigen Finger.
Es ging so schnell, dass Paul es nur am Rande registrierte und keine Chance hatte, sie einzufangen.
Stattdessen wurden die Seiten nach oben gerissen und flogen mit dem Laub, das im Sommer die Bäume geschmückt hatten, in den Himmel.
Immer höher und höher.
Der Freiheit entgegen.
Paul schaute ihnen nach ohne sich zu regen. Es war nur eine Kopie, das eigentliche Manuskript lag in seiner kleinen Wohnung. Er ließ sie fliegen, die Seiten, die voller Fantasie und Magie steckten. Vielleicht bereiteten sie irgendjemandem eine Freude.
Er würde es nie erfahren.
Er würde nie erfahren, ob es Leute gab, die seine Geschichte interessant gefunden hätten. Ob es Leute gab, die sie mit Feuereifer gelesen hätten oder sie einfach nur als gutes Buch in den Wintertagen geschätzt hätten.
Paul stand auf, rückte seine Tasche zu Recht und griff nach dem restlichen Stapel. Es wurde immer kälter und da er nur eine dünne Jacke trug, wollte er nach Hause. Er ging und ging, immer weiter, als wäre nichts geschehen.
Einen Schritt vor den anderen, während der Wind gierig an den restlichen Blättern in seiner Hand zerrte. Als wollte er die Geschichte, die sie erzählten in die Welt hinaustragen.
Schließlich gab Paul auf.
Er blieb stehen und warf die Blätter in die Luft. Sie wirbelten herum, ein paar wenige fielen zu Boden, die meisten wurden weiter getragen. In die einsamen Gassen, auf die Straßen, in den Himmel.
Der Wind verteilte sie, weit und weiter, als wollte er Pauls Unglück in der Welt verteilen und jedem die Chance geben darüber zu urteilen, was sie von den Seiten hielten.
Als wollte er jedem die Chance geben, sich in die Seiten, die nie als Buch gedruckt werden sollten, zu vertiefen.
Als wollte er der Geschichte eine Chance geben zu leben.
Paul legte den Kopf in die Nacken und schaute ihnen ein paar Minuten lang nach. Dann ging er weiter. Nach Hause, zu seinem Tee und seinem Computer.
Er wusste, was er tun würde.
Er würde sich an seinen Schreibtisch setzten und wieder stundelang auf seinem Stift herum kauen und literweise Tee trinken. Solange, bis ihm etwas in den Sinn kam, das es Wert war, erzählt zu werden, ohne nur ein billiger Abklatsch zu sein.
Er würde wieder stundelang, nächtelang auf seine Tastatur einhämmern und er würde wieder enttäuscht werden.
Aber vielleicht war es ja eines Tages so weit, dass er die Geschichte schrieb, die der Markt brauchte.
Vielleicht.
Als er seine Haustür aufschloss, war er in Gedanken bereits wieder auf der Suche nach etwas neuem. Einer neuen Idee, die er zu einer Waffe ausarbeiten würde. Einer Waffe, mit der er erbarmungslos und unersättlich kämpfen würde.
Für seinen Traum.