Wider Erwarten
~ Für Ricke ~
Severus Snape hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne so fest aufeinander gepresst, dass seine Wangenknochen noch stärker hervor traten als ohnehin schon. Er fror erbärmlich. Und er hatte äußerst schlechte Laune.
Die vergangenen zehn Minuten waren wahrlich anders verlaufen, als Severus geglaubt hatte. Wider alle Erwartungen hatten sie verloren. Der Ruhm, der ihm zustand, war zum Greifen nahe gewesen. Nun war er wieder in weite Ferne gerückt. Die vergangenen zehn Minuten hatten alles zunichte gemacht.
Während rot-goldener Applaus über das Quidditch-Feld brandete, umgab Severus sich mit einer kühlen Aura der Gleichgültigkeit. Nicht, dass es etwas Neues wäre, dass seine Slytherins gegen die Gryffindor-Mannschaft verloren. Obwohl der Hauslehrer inzwischen sogar so weit gegangen war, gewisse Maßnahmen zu ergreifen, um die Slytherin-Spieler unter den nötigen Erfolgsdruck zu setzen, hatten sie ihn bisher weiterhin enttäuscht.
Doch seit kurzem lag Erfolg in der Luft: Mit dem Drittklässler Grubb hatte Slytherin einen neuen Sucher bekommen, der alle anderen Sucher der Gegenwart – und, wovon Severus fest überzeugt war, der Vergangenheit – in den Schatten stellte. Nun, offenbar war Grubb nicht bewusst gewesen, dass es nicht als Entschuldigung für sein Versagen galt, wenn er auf der Jagd nach dem Schnatz mit einem Torpfosten kollidierte. Severus würde dieses Missverständnis natürlich umgehend aus der Welt schaffen, sobald der Junge wieder bei Bewusstsein war.
Für den Moment jedoch blieb dem Hauslehrer der Verlierer-Mannschaft nichts anderes übrig, als mit stoischer Miene die Niederlage hinzunehmen. Unwillkürlich glitt sein Blick zu dem Mann, der nun so unverdient den Sieg davon getragen hatte.
Remus Lupin saß in der Reihe vor ihm und hatte den Blick auf die sieben rot-goldenen Angeber gerichtet, die in hochtrabender Manier auf ihren Besen durch das Stadion fegten. Wenigstens hatte Lupin den Anstand, einen unparteiischen Eindruck erwecken zu wollen: Er applaudierte mehr oder minder gemäßigt; und zu seinem Glück wandte er sich nicht zu Severus um. Das fehlte gerade noch, dass der verdammte Werwolf seinen Triumph besiegeln würde, indem er versuchte, den Blick des geschlagenen Kontrahenten aufzufangen.
„Nehmen Sie es nicht so schwer, Severus.“ Im Gegensatz zu Lupin hatte die Schulleiterin keinerlei Skrupel, Severus mit einem betont freundschaftlichen Schulterklopfen die erlittene Niederlage zusätzlich unter die Nase zu reiben: „Slytherin war diesmal sehr nah dran.“
Der Tränkemeister straffte die Schultern. Während er beobachtete, wie Poppy Pomfrey sich unten auf dem Rasen um den Slytherin-Sucher kümmerte, der offenbar inzwischen das Bewusstsein wiedererlangt hatte, legte sich ein entschlossener Zug um seine Mundwinkel. „Wir werden sehen, was das nächste Spiel mit sich bringt.“
Bevor es allerdings so weit sein würde, musste sich Severus zunächst einer Herausforderung ganz anderer Art stellen.