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Schnee

von

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Fremde Angst

Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.

Frank Thiess, (1890-1977), dt. Schriftsteller
 

Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.

John Wayne
 

Völlige Dunkelheit umgibt mich. Dunkelheit und Stille. Es macht mir Angst, doch ich unternehme nichts dagegen, ohne zu wissen warum. Rufe nicht nach jemanden, versuche nicht, etwas zu sehen. Es kommt mir vor, als wäre ich nur ein unbeteiligter Zuschauer, der weiß, dass etwas nicht stimmt, der es weiß, aber nichts unternehmen kann, fühle mich eingesperrt in einen fremden Körper.

Ich konzentriere mich auf ein Geräusch. Irgendwas muss es hier doch geben, außer mir und der Panik, die in mir aufflammt, sich von der gestaltlosen Schwärze um mich herum ernährt, an mir zerrt. Ich höre ein schwaches Atmen und ein leises Geräusch. Bin ich es?, frage ich mich, bekomme keine Antwort. Nur sehr langsam wird es klarer, entpuppt sich als Stimmen.

„Du solltest dich besser beeilen!“ Eine Frau. Ihre Worte sind hetzend, ungeduldig. Ihre Stimme ist hart, nicht gewohnt, dass man sich ihren Befehlen widersetzte.

„Ich weiß nicht, was das Problem ist ... die Werte sind in Ordnung, allerdings können die Nanomaschinen sie verfälschen. Ich sag ja immer wieder, erst nach dem Erwachen einsetzen, aber Nein, auf das kleine Genie hört ja niemand!“, brummt eine zweite, deutlich jüngere Stimme, die klingt, als gehöre sie einem Jungen, nicht älter als 17.

„Deine Meinung zählt nicht! Mach deine Arbeit!“

„Ich könnte mich mit ihm verlinken. Dann kann ich das System besser checken.“ Etwas fällt klirrend zu Boden, wird schnell wieder zusammen gerafft. Als er wieder spricht, sind seine Worte nur schwer zu verstehen, er klingt eingeschüchtert. „Ja, kein Verlinken, hab verstanden ... nur mit dem Programm über den Computer laufen lassen“, nuschelt er mit zittriger Stimme. Die Frau schweigt.

Ich höre einen Schrei, brauche etwas, ehe ich begreife, das ich schreie, das die beiden über mich geredet haben, doch dieses ich macht mir angst.

Ich reiße die Augen auf, kann dennoch nichts sehen. Die Dunkelheit ist einem schmerzenden, hellen Weiß gewichen. Mein Atem geht stoß weise, unregelmäßig.

„Na bitte, geht doch“, sagt die junge Stimme triumphierend. Das ist das letzte, was ich klar verstehe, ehe sich erneut der Schleier der Dunkelheit um mich legt.
 

Das nächste Erwachen ist anders. Ich weiß, dass ich mich hier befinde, dass dieser Körper meiner ist, doch nach wie vor habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass etwas anders ist, als es eigentlich sein soll. Es macht mir Angst, mehr noch, als bei meinem ersten Erwachen.

Ich liege auf einem Bett, zumindest fühlt es sich so an, und kann mich nicht bewegen. In meinem Kopf ist ein beständiges, leises Summen, nur unterbrochen von einem schmerzhaften Pochen. Immer wieder habe ich das Gefühl, als würde mir jemand Elektroschocks verpassen. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen, eigentlich eher, von hier weg zukommen, doch es gibt nur das Hier. So sehr ich auch versuche, mich in Erinnerungen zu flüchten ... ich finde keine! Es ist alles leer, als hätte es nie etwas vor dem Jetzt gegeben. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich an nichts erinnern.

Das Geräusch einer sich öffnenden Tür holt mich in die Wirklichkeit zurück. Ich schaffe es, meinen Kopf leicht zur Seite zu drehen. Ein Junge schlüpft leise durch den Spalt in der Tür und schließt diese wieder. Er hat wirres, rotblondes Haar und in seinen Augen liegt eine erschreckend klare Intelligenz. An seiner Schläfe befindet sich ein Datalink und ein kleines rotes Lämpchen, das in dem Implantat eingelassen ist, blinkt kontinuierlich.

„Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm, aber die Gewöhnungsphase ist immer etwas ... unangenehm“, sagt er, als müsse er sich für etwas entschuldigen. An seiner Stimme erkenne ich den Jungen wieder, der bei meinem ersten Erwachen anwesend war. Ich schweige, weiß nicht, was ich sagen soll, ob ich überhaupt reden kann.

Der Junge zieht sich einen Stuhl neben das Bett und holt einen kleinen, flachen Computer aus seiner Tasche. „Ich bin Jason“, stellt er sich vor, während er das Gerät einschaltet und seine Finger über die Holotastatur fliegen, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nichts anderes gemacht. „Ich soll dich fit machen. Dir alles beibringen. Mit den Nanos und dem Implantat und dem Ganzen“, erklärt er, als müsste ich wissen, wovon er spricht. Leise summend überfliegt er die Anzeige, die in dem Hologrammfeld über dem Computer schwebt. „Haben sie dir schon irgendwas erzählt oder haben sie dich erstmal in ruhe gelassen?“, fragt er, lässt mir allerdings keine Zeit in irgendeiner Form zu antworten, sondern redet munter weiter.

„Sah ziemlich übel aus, als sie dich hergebracht haben. Weiß allerdings nicht, ob du einer von den Freiwilligen bist. Glaube eher, du bist eines der armen Schweine, die sie einfach so herbringen. Nach der Explosion gab es viele davon.“ Er steht auf, verschwindet aus dem Bereich, in dem ich ihn sehen kann.

Nichts von dem, was er sagt, ergibt für mich einen Sinn. Verzweifelt versuche ich, die Zusammenhänge zu verstehen, denn irgendwas sagt mir, dass ich es können muss. Ich will Fragen stellen, doch kein Wort kommt über meine Lippen, so sehr ich es auch will. Er scheint es zu bemerken, denn er kommt zurück in mein Sichtfeld.

„Versuch es besser nicht, zu reden mein ich, ... Oh! Beiß die Zähne zusammen, dass tut jetzt weh.“ Seine Hand berührt mein Gesicht, drückt gegen meine Schläfe. Ich höre etwas einrasten, dann durchzuckt ein heller, plötzlich aufflammender Schmerz meinen Körper. So plötzlich, wie er gekommen war, verebbt er wieder. Mein ganzer Körper zittert, ich fühle mich anders als vorher, abgesehen von dem schmerzhaften Pochen, das in jeder Zelle von mir vorhanden zu sein scheint. Die Sicht verschwimmt mir vor Augen, rote Sterne blitzen auf, kurz stehe ich davor, das Bewusstsein zu verlieren, doch dann ist alles weg. Ich fühle nur noch, wie ich auf dem Bett liege, hektisch atme. Der Schmerz ist wie weggeblasen.

„Was...“, bringe ich krächzend hervor. Meine Stimme ist mir nicht fremd, was mich wundert, war doch ansonsten alles ungewohnt, seit ich aufgewacht bin.
 

Aufgeregte Schreie, Feuer... Neben mir jemand, dessen Name mir entfallen ist. Er ist jünger als ich, sein Haar ist so hellblond gefärbt, dass es beinahe weiß ist. In seinen Augen liegt ein Ausdruck purer Angst.

„Wir müssen hier weg, Nin! Bitte lass uns endlich verschwinden! Ich hab Angst!“, wimmert er, Tränen glitzern in seinen Augen. Er packt mich am Arm, versucht verzweifelt, mich fortzuziehen, doch ich reiße mich mit Leichtigkeit los.

„Das geht nicht! Komm!“ Ich ziehe ihn mit. Zu den Flammen. Mein Herz rast. Ich habe mindestens genauso viel Angst wie er. Sie zieht an meinen Eingeweiden, versucht mich in die Knie zu zwingen, flüstert mir leise zu, dass es aussichtslos sei, dennoch renne ich, ihn hinter mir herziehend. „Es könnte noch jemand am Leben sein!“

Mühsam kämpfen wir uns durch den Strom panischer Menschen, der uns entgegenkommt. Ich achte nicht darauf, wie viele von ihnen verletzt sind, wie viele tot. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm stolpert, versucht aufzustehen, schreit panisch, wird niedergetrampelt, bis sie sich nicht mehr rührt. Irgendwer hebt das weinende Kind auf, bevor dieses dasselbe Schicksal erleidet wie seine Mutter.

„Nin! Es bringt nichts, den Helden zuspielen! Helden sind immer die, die zu erst sterben“, höre ich ihn hinter mir rufen, merke, wie er versucht, sich aus meinem Griff zu befreien, also verstärke ich ihn. „NINIAN!“

Es kommt ganz plötzlich, wie beim ersten Mal. Von einer Sekunde auf die nächste steht alles in Flammen. Schmerz durchfährt mich, um mich herum Feuer. Der Junge liegt reglos neben mir, mein Herz setzt aus bei dem Gedanken, er könne tot sein. Wegen mir. Und auf das Orangerot des Feuers folgt schwarze Finsternis.
 

„HEY! Wach bleiben!“ Die Ohrfeige ist nicht schmerzhaft, holt mich aber dennoch in die Gegenwart zurück. Der Junge (Jason?) steht neben mir. „Wir sind noch nicht fertig.“

„Was ist passiert?“, frage ich heiser. Jason schweigt eine Weile, lässt sich dann seufzend auf den Stuhl fallen.

„Ich will es dir eigentlich nicht erzählen, aber irgendwann muss ich es.“ Er wirft einen hektischen Blick zur Tür. „Du wurdest bei einer Explosion schwer verletzt. Nicht nur du, auch viele andere.“ Unsicher kratzt er sich an dem Implantat. „Dieser verdammte Krieg macht noch alles kaputt“, murmelt er, ehe er fortfährt. „Sie haben dich hier hergebracht und versorgt. Sobald dein Zustand stabil war, haben sie es installiert.“ Rasch wirft er mir einen Blick zu, bevor er ins Detail geht. „Du hast bei der Explosion deine Beine und den rechten Arm verloren …“

„Was …“ Eilig sehe ich zur Seite. Das, was Jason sagt, ergibt keinen Sinn! Ich sehe es doch! Ich sehe doch, dass mein Arm da ist! Ich spüre ihn!

„Theoretisch ist er so gut wie der Alte, nein besser“, versucht er zu erklären, wirkt etwas unbeholfen. „Ich hab es konstruiert.“ Er beißt sich auf die Unterlippe, sucht nach Worten der Erklärung, doch scheinbar ist er nicht sonderlich gut darin, mit Menschen umzugehen. Seufzend wendet er sich dem kleinen Computer zu. Das Hologrammfeld verändert sich, zeigt nun statt mir unverständlichen Daten eine menschliche Silhouette und ein Skelett. Da, wo sich die Beine und der rechte Arm befinden sollten, ist nur ein kompliziertes Gewirr zu erkennen.

„Die Gliedmaßen sind komplett maschinell. So wie bei einem Roboter, mit dem Unterschied, dass sie mit einer synthetischen Haut überzogen und viel präziser sind“, erklärt er voller Stolz. „Sie sind mit deinem Nervensystem verbunden und daher kannst du sie nutzen, als wären sie deine normalen Beine. Du musst es nur neu lernen. Das ist die einzig gute Sachen an dem Ganzen hier …“ Die Anzeige erlischt und er steht auf.

„Ich … Ich versteh das Ganze nicht“, sage ich heiser.

„Keine Sorge, das wird noch. Und wunder dich nicht, dass du keine Erinnerungen hast. Sie haben sie gelöscht. Das machen sie mit jedem hier. Du bist jetzt kein freier Mensch mehr sondern ihr Eigentum. Glieder dich ein und nimm es hin, etwas anderes kannst du nicht tun, denn offiziell bist du Tod.“ Bevor ich weitere Fragen stellen kann, die unzählig in meinem Kopf herumschwirren, verschwindet er wieder, lässt mich alleine. Verwirrt und desorientiert. Nur eines ist mir klar, ich habe Angst. Und wahrscheinlich ist diese sogar berechtigt.



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