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Avatar - Wege des Schicksals

von

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Die Sturheit der Erde

Den ersten Gang hatte Serina mittlerweile erkundet. Nach diesem schrecklichen Traum hatte sie erstmal einige Zeit gebraucht, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Doch sie hatte erkannt, dass es nichts helfen würde, einfach die drei Tage rumzusitzen. So hatte sie sich die Tasche mit den Vorräten genommen und hatte sich, an der Wand hangelnd, zum ersten Ausgang begeben. Der Traum hatte ihr nur das gezeigt, was sie sowieso wusste. Sie hatte etwas Schreckliches getan. Entweder konnte sie sich damit abfinden oder sie würde daran zerbrechen. Und sie hatte sich dafür entschieden, es so hinzunehmen und aus ihren Fehlern zu lernen. Wenn sie Paku jemals wieder sehen würde, würde sie ihm nichts verheimlichen und ihm alles erzählen. Doch sie würde auch nicht auslassen, wie mies sie sich danach gefühlt hatte, einfach so einen Freund im Stich gelassen zu haben. Und sie würde es nie wieder tun. Selbst wenn sie wieder vor Rahir stehen würde und sich vor Angst kaum rühren könnte. Sie würde keinen Freund jemals wieder im Stich lassen.

Und was Tao anging. Serina hatte sich geschworen, ihn zu retten, wenn er noch leben würde. Und sie war fest davon überzeugt, dass er noch nicht tot war. Immerhin war er einige Zeit mit dem Avatar unterwegs gewesen und hatte möglicherweise wichtige Informationen. Serina hoffte nur, dass sie ihm nicht allzu schreckliche Dinge antun würden. Sie wollte ihn so wieder sehen, wie sie ihn kannte: Frech und sorglos.

Serina hoffte nur, dass der Wirt in dieser Bar das plötzliche Auftauchen des Avatars nicht mit diesem merkwürdigen Mädchen verband, als dass sie sich ausgegeben hatte. Denn dann wüssten sowohl die Erdbändiger als auch die Wasserbändiger, was sie vor hatte. Und auch wenn sie nicht wussten, wo sich Toph aufhielt, so konnten sie ihnen wenigstens bei späteren Etappen ihrer Reise in den Weg kommen. Und Serina wollte jeden Ärger, der sich vermeiden ließ, umgehen. Es würde so schon schwer genug werden, die vier Elemente zu lernen. Nicht nur, dass sie erst mal Lehrer finden musste. Schließlich musste sie es auch schaffen, die Elemente zu beherrschen. Und wer sagte denn, dass sie das so gut können würde, wie das Wasserbändigen. Außerdem half auch nicht immer ein Lehrer weiter. Immerhin hatte sie für das Erdbändigen bereits einen gefunden. Und was hatte ihr das gebracht? Drei einsame Tage in einem wahrscheinlich endlosen Tunnelsystem mit schmerzenden Füßen.
 

Der Tunnel war lang gewesen. Serina hatte schwer einschätzen können, wie viel Zeit sie benötigt hatte. Wenn man nur im Dunkeln wandelte, bekam man ein völlig neues Zeitgefühl. Sie konnte auch nicht sagen, wie lange sie geschlafen hatte. Vielleicht war es noch mitten in der Nacht gewesen, als sie aufgewacht war. Nach diesem Traum hatte sie es nicht mehr gewagt, sich wieder hinzulegen. Es hätte aber auch gut schon morgen oder bereits Mittag sein können. Wahrscheinlich wäre Serina sehr überrascht, wenn Toph dann endlich zurückkam. Entweder die Zeit wäre ihr viel zu kurz vorgekommen oder auch viel zu lang. Serina glaubte aber eher an das Letztere. Denn bei der Vorstellung ganz allein im Dunkeln durch dieses unbekannte Tunnelsystem zu laufen, lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Vermutlich würde sich die Zeit endlos hinziehen. Obwohl sie nicht nur tatenlos herumsaß, glaubte sie wenig, dass schon viel Zeit vergangen war.

Sie wurde außerdem zunehmend schneller und gewandter. Ihre Füße schmerzten zwar höllisch, vermutlich waren sie mit Kratzern und Wunden nur so übersät, aber mittlerweile hatte sie sich an die völlige Dunkelheit gewöhnt. Serina merkte eindeutig, wie ihre anderen Sinne dadurch zusätzlich geschärft wurden. Ihre Hände konnten fühlen, was ihre Augen nicht sehen konnten und ihre Ohren hörten das, was sie wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hätte. Kleine Tiere, wie sie über den Boden huschten oder kratzende Geräusche, die vermutlich von Nagern stammten. Auf jeden Fall nichts Aufregendes, wie Serina fand. Sonst war es da unten totenstill. Kein Anzeichen von irgendwelchen anderen Lebewesen. Serina war dort unten völlig allein, von der Zivilisation abgeschnitten. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie wieder herausfinden sollte.

Der erste Tunnel war eine Sackgasse gewesen. Nun trottete Serina gerade den langen Weg zurück. Sie hatte nicht vor, so schnell aufzugeben. Erst würde sie den zweiten Gang untersuchen. Wenn dort auch nichts zu finden sein sollte, würde sie den Weg nehmen, von dem Toph und sie gekommen waren. Immerhin war sie damals nur Toph hinterher geeilt und hatte sich nicht großartig um ihre Umgebung gekümmert. Vielleicht gab es dort noch andere Wege, die irgendwohin führten.

Gerade kam sie wieder in der großen Halle an. Es war eine Erleichterung. Auch wenn sie nichts sehen konnte, spürte sie förmlich, dass sie wieder mehr Platz hatte. Im Tunnel hatte sie zwar noch stehen können, aber viel mehr Raum war nicht vorhanden gewesen. Und jetzt fühlte sie, wie weit die Wände plötzlich entfernt lagen. Sie hätte hier drin tanzen können, doch das ließ Serina lieber bleiben. Nicht nur, dass Serina keine wirklich begnadete Tänzerin war. Sie wollte das auch nicht ihren geschundenen Füßen antun. Serina wünschte sich so sehr, etwas kühlenden Schnee vom nördlichen Wasserstamm. Zu Hause war sie oft barfuß gelaufen. Doch der Schnee war auch schön weich gewesen. Natürlich war er dazu noch eiskalt, doch Paku und sie hatten daraus immer lustige Mutproben gemacht. Wer am längsten mit nackten Füßen im kalten Schnee stehen konnte, hatte gewonnen. Serina musste lächeln, als sie daran dachte. Einmal hatten sie beide es echt zu weit getrieben. Keiner von Beiden hatte aufgeben wollen. Serina war es stundenlang vorgekommen. Am ganzen Leib zitternd hatten sie nebeneinander im Schnee gestanden. Ihre Füße waren blau und schon halb abgestorben. Doch beide wollten nicht nachgeben. Bis dann endlich Serinas Meister Tarik gekommen war. Paku und sie hatten großes Glück gehabt. Es war nichts Ernsteres passier, als eine starke Erkältung für sie beide. Nach der Genesung hatte jeder von ihnen seine Strafe bekommen. Serina hatte Tarik noch nie so wütend gesehen und sie hatte es damals nicht verstanden. Es war doch nur ein Spiel gewesen. Heute wusste sie, dass er einfach nur besorgt gewesen war. Und Serina musste auch zugeben, dass diese Wette mehr als dämlich gewesen war. Leider konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wer von ihnen beiden auf die Idee gekommen war. Aber eigentlich war es auch egal, schließlich hatte sie beide mitgemacht.

Mit Paku hatte man immer viel Blödsinn anstellen können. Er besaß ein wirklich sonniges Gemüt, zumindest meistens. Wenn er nicht gerade beim Training war, hatte er die ganze Zeit mit seiner kleinen Schwester herumgehangen. Alles hatten sie zusammen gemacht. Wenn sie traurig gewesen waren, hatten sie sich gegenseitig getröstet. Wenn sie fröhlich waren, haben sie gemeinsam gelacht. Und wenn sie sich gestritten hatten, haben sie sich mit schlechten Gewissen wieder versöhnt.

Serina vermisste Paku. Er wäre ihr eine große Hilfe gewesen. Schon allein durch seine bloße Anwesenheit wäre Serina um einiges mutiger gewesen. Er hätte ihr beigestanden und sie unterstützt. Oder nicht? Sollte ihr Meister vielleicht doch Recht behalten? Serina schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Paku war ihr bester Freund und er hatte ihr schon mehrere Male geschworen, dass sie immer zusammen bleiben würden, egal was komme. Und selbst dass Serina nun der Avatar war, durfte daran nichts ändern. Zumindest hoffte sie es.
 

Der nächste Tunnel war nicht viel größer als der Letzte. Hier war jedoch der Nachteil, dass er eher breit als hoch war. Serina passte nicht stehend hinein. Sie hätte sich zwar nur leicht bücken müssen, doch sie ließ sich lieber sofort auf alle Viere nieder. Zum einen war das nicht so unbequem und zum anderen könnte der Tunnel noch niedriger werden. So bewahrte sie sich zumindest vor einer großen Beule. Sie nahm sich vor auf den Hinweg die rechte Seite zu untersuchen, auf dem Rückweg die linke, damit sie keine möglichen Abzweigungen verpasste.

Serina hatte das Gefühl, gut voranzukommen. Sie hatte bestimmt schon einige hundert Meter hinter sich gelassen. Bisher hatte sie noch keinen weiteren Tunnel entdecken können, was Serina jedoch nicht sehr verwunderte. Sie nahm nicht an, dass es hier irgendwelche Abzweigungen gab. Vermutlich hatte Toph selbst dieses Tunnelsystem durch Erdbändigen angelegt. Zuzutrauen wäre es ihr. Wahrscheinlich gab es nicht mal einen Ausgang. Nur durch Erdbändigen käme sie hier heraus und das würde dann auch den gewünschten Lerneffekt erzielen. Doch Serina fragte sich, wie sie das anstellen sollte. Sie wusste, dass es ihr im Blut lag. Aber wie sollte sie die Erde bändigen, wenn sie es davor nie zuvor getan hatte und auch noch nie einen Erdbändiger dabei genau beobachtet hatte? Bei dem Kampf in Ba-Sing-Se war sie nämlich eher darauf konzentriert gewesen, heil aus dieser Stadt herauszukommen, als den Erdbändigern auf die Finger zu schauen. Wie sollte sie es denn ganz alleine schaffen? Sie hatte sich doch extra einen Meister zugelegt, damit sie es nicht alleine lernen musste.

Beim Wasserbändigen hatte sie nie große Probleme gehabt. Sie hatte sich in und um Wasser immer geborgen gefühlt. Die wellenförmigen Bewegungen hatte sie schnell nachempfinden können und mit jedem einzelnem Finger das Wasser in die gewünschte Form bringen können. Es war einfach gewesen. Sie hatte das Wasser fließen gefühlt.

Aber Erde war da was völlig anderes. Von Fließen konnte hier keine Rede sein. Sie nahm eine Hand voll Erde. Sie war hart und körnig. Kein Anzeichen von der Anmut des Wassers. Wie sollte sie daraus etwas formen? Serina versuchte es, versuchte der Erde ein neues Aussehen zu verleihen. So wie sie es mit Wasser auch tat. Doch es rührte sich nichts. Der Dreck blieb in seiner ursprünglichen Gestalt. Wütend warf Serina es wieder auf den Boden. Wie sollte man mit soviel Sturheit klar kommen? Wenn sich die Erde weigerte, konnte Serina auch nichts tun.

Zornig machte sie sich weiter daran, das Ende des Tunnels zu erreichen. Der Tunnel wurde mit jedem Schritt enger. Die Decke kam immer näher. Bald würde Serina nicht mehr durchpassen, befürchtete sie. Mittlerweile lag sie schon auf den Bauch und kroch mühselig voran. Immer enger und enger wurde es. Serina hatte Angst, dass sie gleich einfach stecken bleiben würde und nicht mehr hinaus konnte. Doch sie bewegte sich immer weiter vorwärts. Wenn sie hängen bleiben würde, müsste sie halt auf die Rückkehr von Toph ausharren. Aber sie wollte unbedingt wissen, ob dieser Tunnel nicht doch noch irgendwohin führte. Vermutlich wollte Toph sie nur ärgern, indem sie diesen Weg so eng gemacht hatte. Und Serina sollte Recht behalten. Nach einer endlosen Zeit kam sie aus dem Tunnel heraus. Er wurde nicht nur einfach breiter, sondern sie stand wieder in einer großen Höhle, aus der sie auch aufgebrochen war. Serina hatte es geschafft. Sie hatte nicht aufgegeben, war standhaft geblieben und hatte ihr Ziel erreicht.

Jetzt erst merkte sie, dass sie großen Hunger hatte. So setzte sie sich neben die winzige Öffnung und wühlte in der Tasche herum. Erst einmal trank sie etwas und dann nahm sie ein paar Früchte heraus. Zumindest glaubte Serina, dass es sich um Früchte handelte, doch ihr Geruchssinn ließ sie eigentlich nie im Stich, besonders nicht jetzt, dachte Serina. Sie ließ sich Zeit mit der Mahlzeit, um so auch ihre Energie wieder aufzutanken. Das letzte Stück durch den Tunnel war nicht einfach gewesen. Mehrere Male hatte sie sich einfach auf den Boden gelegt, um ein bisschen auszuruhen. Ihre Arme taten weh, weil sie ihren ganzen Körper damit gezogen hatte. Vielleicht sollte sie sich etwas ausruhen, überlegte Serina. Sie dachte auch nicht mehr lange darüber nach und legte sich hin. Wenige Zeit später war sie eingeschlafen. Diesmal war der Schlaf traumlos.
 

Serina erwachte durch eine heftige Erschütterung. Sofort war sie voll da. Und noch einmal fühlte sie dieses merkwürdige Beben. Es musste eindeutig etwas sehr Großes sein, was dieses verursachte. Sofort wünschte Serina sich die kleinen Tiere zurück, die sie vor ein paar Stunden noch als langweilig eingestuft hatte. Nach einem weiteren Beben sprang Serina auf. Sie wusste zwar nicht, was sie tun wollte, aber länger dort zu sitzen und auf das zu warten, was dort kam, war auch nicht sehr hilfreich. So entschied sie sich, die Höhle zu erkunden, um mögliche Fluchtwege zu finden.

Mir der rechten Hand immer an der Wand, wollte sie einmal um die ganze Höhle laufen. Außer, wenn das Beben stärker werden sollte, würde sie die erstbeste Abzweigung nehmen. Am Klügsten wäre es wohl, durch den Tunnel zu verschwinden, durch den sie gekommen war. Denn das Wesen, das diese Erschütterungen verursachte, passte wohl kaum durch die kleine Öffnung. Doch Serina wollte sich durch so ein winziges Erdbeben nicht wieder in ihrem Fortschritt zurückdrängen lassen. So machte sie sich an die Arbeit. Schnell, aber mit sicherem Schritt, fing sie an, die Höhle zu erkunden. Am Anfang kamen die Erschütterungen noch unregelmäßig, doch sie wurden immer mehr und es fühlte sich fast so an, als ob es direkt hinter der Wand vor sich ging. Serina hatte wahrscheinlich gerade mal die Hälfte der Höhle durchschritten, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie diese Beben wirklich durch die Wand fühlen konnte. Und an der Stelle, wo sie gerade stand, spürte sie es besonders deutlich. Genau dahinter musste sich die Wesen aufhalten. Zum Glück war hier kein Durchgang, dachte Serina und atmete erleichtert aus. Die Wand war an dieser Stelle einfach nur sehr dünn, dass man es gut fühlen konnte. Sie würde also kaum die Bekanntschaft dieser Wesen machen. Beruhigt wollte sie gerade weitergehen, als sie spürte, wie sie langsam weggeschoben wurde. Erst nur ihre Hand, die auf der Wand lag und dann ihr ganzer Körper. Sie bewegte sich ganz von allein, als ob der Boden unter ihren Füßen bewegt wurde.

Voller Panik riss sie ihre Hand von der Wand fort und lief so schnell weg wie sie konnte. Sie rannte zur Mitte der Höhle hin. Weg von diesen unheimlichen Wänden. Was ging hier bloß vor? Ihre Hände wanderten zu dem Knoten hinter ihren Kopf, doch sie hielt noch rechtzeitig inne. Auch wenn sie zu gern sehen würde, was da gerade vor sich ging, durfte sie die Augenbinde nicht abnehmen. Toph hatte sie gebeten, sie aufzubehalten, egal was passierte. Und auch wenn das Serina gerade fast zu Tode erschreckt hatte, durfte sie die Binde nicht abnehmen. Sie musste sich doch an Tophs Anweisungen halten. Toph hätte sie hier bestimmt nicht alleine gelassen, wenn ihr Leben in Gefahr wäre. Vermutlich hörte sich das alles nur viel schlimmer an, als es eigentlich war. Vielleicht war es sogar Toph selbst, die mit Erdbändigen diese ganzen Geräusche gemacht hatte und Serina somit auf die Probe stellen wollte.

„Ja, das ist eine logische Erklärung. Das war alles bloß Toph“, versuchte Serina sich selbst zu beruhigen. „Ich meine, wie riesig müssten die Kreaturen sein, die eine solche Erschütterung verursachen können. Und außerdem welche Tiere können denn bitte schön Erd – aaah!“ Mit einem lauten Krach war gerade die Wand vor ihr zerborsten. Zumindest hatte es sich genauso angehört. Serina zog ihre Beine an und wagte nicht, sich noch irgendwie zu bewegen. Vielleicht konnte das riesige Tier sie dann nicht wahrnehmen. Doch mit klopfenden Herzen musste Serina feststellen, dass das Wesen sie wohl doch entdeckt hatte. Denn sie spürte ganz deutlich, dass da irgendetwas vor ihr war. Ein regelmäßiger Luftzug, was wohl der Atem der Kreatur war, erfasste Serina. Ganz still und am ganzen Leib zitternd saß sie da und hoffte, dass das Tier einfach wieder verschwinden würde. Stattdessen fühlte sie aber, wie das Wesen immer näher kam. Irgendetwas berührte sie an ihrem Kopf. Serina wagte nicht, sich zu bewegen. Sie hatte zwar fürchterliche Angst, doch sie blieb eisern. Jetzt wanderte es schon ihr Gesicht runter. Es war kalt und feucht. Vermutlich war es die Nase des Tieres, das wissen wollte, was es da vor sich hatte. Jeder vernünftige Mensch wäre schon längst weggelaufen, dachte Serina. Nur sie saß noch da und starb fast vor Furcht.

Aber je länger das Tier sie beschnupperte, desto weniger Angst hatte Serina. Wenn es ihr etwas tun wollte, hätte es das wahrscheinlich schon längst getan. Außerdem fing es an zu kitzeln, denn das Tier wurde immer aufdringlicher mit seinem Schnuppern. Irgendwann konnte Serina nicht mehr an sich halten und musste laut loslachen. Sie drückte die Nase sanft von sich. „Nein, bitte, hör endlich auf damit!“, schrie sie vor Lachen.

Zu Serinas Verwunderung wandte sich das Tier ab. Also war es wohl wirklich nicht bösartig. Serina fiel ein Stein vom Herzen. Aber nun interessierte es sie, das Tier genauer zu betrachten. Vorsichtig streckte sie ihren Arm aus. Sie bekam die Nase zu fassen, wobei sie kurz zurückzuckte, erschrocken, weil die Nase so nass und kalt war. Doch dann stand Serina auf und betastete das Tier weiter. Anscheinend hatte es nichts dagegen, denn es hielt ganz still. Allein schon der Kopf war fast so groß wie Serina. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie gewaltig dann das ganze Tier sein mochte. Was es wohl war? Serina konnte sich nicht erinnern ein solches Tier schon einmal gesehen zu haben, aber Serina war ja bisher auch noch nie im Erdkönigreich gewesen. Wahrscheinlich gab es auf der Welt viel Tiere, die sie noch nicht gesehen hatte. Aber ein Tier, das erdbändigen konnte und sich somit durch diese unterirdischen Höhlen fortbewegte? Und dann fiel es Serina plötzlich ein. Im Buch ihres Meisters hatte sie von diesen Geschöpfen gelesen. Die Leute im Erdkönigreich hatten das Erdbändigen von Tieren erlernt. Wie hießen sie noch einmal? Serina musste lange nachdenken, bis es ihr wieder einfiel. Dachsmaulwurf war ihr Name.

Traurig streichelte Serina das riesige Tier, das neben ihr stand. „Du kannst also erdbändigen. Schade, dass du es mir nicht zeigen kannst, wie es geht. Aber leider wirst du mich wohl kaum verstehen.“ Resigniert ließ sie den Kopf hängen. Sie musste wohl einfach hier ausharren und darauf warten, dass Toph zurückkehrte. Anders würde sie nie rausfinden. Es waren ja nur noch zwei Tage. Zwei vergeudete Tage, in denen sie schon vieles hätte lernen können.

Plötzlich stupste der Dachsmaulwurf sie an. „Was ist? Was willst du von mir?“, fragte Serina überrascht. Serina hatte noch nie viel mit Tieren zu tun gehabt. Deshalb wusste sie nicht, was es von ihr hätte haben wollen. Doch es stupste sie noch einmal an und wanderte mit seiner Nase zu ihrer rechten Seite. „Ach so“, verstand sie nun. Sie holte etwas Essbares aus ihrer Tasche und hielt es dem Tier hin. Der Dachsmaulwurf fraß es freudig. Währenddessen streichelte Serina ihm über die Nase. Sein Fell war überall sehr weich und sie hätte alles dafür gegeben, um nur ein paar Stunden auf seinem kuscheligen, warmen Fell schlafen zu können, an Stelle von dem steinharten Boden.

„Bleibst du ein bisschen bei mir und leistest mir Gesellschaft?“, fragte Serina. Es tat gut mit jemanden reden zu können, auch wenn es nur ein Tier war. „Ich hatte lange nicht mehr die Gelegenheit, richtig mit jemanden reden zu können. Es ist so viel passiert in den letzten Tagen.“ Und ehe sich Serina versah, erzählte sie dem Dachsmaulwurf ihre ganze Lebensgeschichte oder zumindest die letzten aufregenden Tage. Als sie fertig war, musste sie feststellen, dass es ihr richtig gut getan hatte, darüber zu reden. Sie hatte von Tao berichtet, von Ba-Sing-Se und von der Angst, dass jeder in ihrer Umgebung in Gefahr war. „Ich muss jetzt ganz schnell die vier Elemente beherrschen lernen, sonst wird alles nur noch schlimmer.“

Und mit diesem Satz stand der Dachsmaulwurf plötzlich auf. Serina, die sich gegen ihn gelehnt hatte, fiel fast nach hinten über. „Hey, warte, wo willst du denn hin?“ Sie rannte ihm hinterher, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. Aber es war nicht besonders schwer, ihm zu folgen, bei dem Lärm, den er verursachte. Es war jedoch nicht nur der Lärm, den Serina vernahm. Irgendwie konnte sie ihn durch den Boden fühlen. Sie spürte die Vibrationen in der Erde. Aber nicht so, wie es vorhin noch der Fall gewesen war. Nun konnte sie den exakten Ort bestimmen, von dem sie auskamen.

Serina lief diesem riesigen Wesen hinterher, ohne genau zu wissen, warum sie das tat. Vielleicht sehnte sie sich nur nach etwas Gesellschaft und wollte nicht wieder alleine sein. Vielleicht hoffte sie aber auch, irgendwie durch ihn nach draußen zu gelangen. Immerhin konnte das Tier erdbändigen. Es konnte gehen, wohin es wollte. Es besaß eine Freiheit, die Serina nie hatte. Selbst am nördlichen Wasserstamm hatte Serina nicht viel Freiraum besessen. Sie war noch zu klein, um groß auf Reisen zu gehen, hieß es immer. Selbst wenn Paku versicherte, auf sie aufzupassen, durften sie nicht alleine weg. Er war zwar fünf Jahre älter als sie, dennoch sahen die Erwachsenen ihn immer noch als Kind. Das Problem daran war, dass sie beide sozusagen von der ganzen Stadt groß gezogen worden waren. Sie hatten früh ihre Eltern verloren und weil keiner sie adoptiert hatte, hatte jeder auf die beiden Waisen aufgepasst. Zum einen war es toll gewesen, weil jeder irgendwie mit ihr verbunden war, zum anderen fühlte sich jedoch keiner hundertprozentig für sie verantwortlich und hatte nie eine elterliche Beziehung zu ihr aufgebaut. Wenn es schon schwierig genug war, sich gegen zwei Eltern aufzulehnen, war es noch hundertmal schwerer, sich gegen jeden Erwachsenen, der in der Stadt lebte, zu wehren. Vielleicht war das auch der Grund, warum Paku und sie immer so viele Streiche gespielt hatten. Sie wollten sich wehren.

Voller Neid lief sie dem Dachsmaulwurf immer noch hinterher, bis er plötzlich stehen blieb. Serina merkte es sofort, weil die Vibrationen aufgehört hatten. „Was ist denn?“ Überrascht ging sie an dem massigen Körper vorbei, bis sie beim Kopf angekommen war. Dann spürte sie plötzlich, wie sie von hinten etwas noch weiter nach vorne drückte. Die Tatze des Tieres schob sie sanft nach vorne, bis sie an der Wand vor ihnen angekommen war. Serina betastete sie. Sie war wie alle anderen Wände, die sie hier schon untersucht hatte. Fest und undurchdringbar. Hatten sie sich etwa die ganze Zeit mit Erdbändigen einen Weg gebahnt? „Was willst du von mir? Ich kann nicht erdbändigen. Du hast das doch bisher ganz gut hingekriegt. Warum machst du denn nicht einfach weiter?“

Dann fühlte Serina, wie die Tatze des Tieres sich auf ihre Hand legte und die Wand vor ihr verschwand. „Wow!“, war die einzige Reaktion, die Serina dazu abgeben konnte. Es war merkwürdig gewesen. Sie hatte gespürt, wie die Erde sich dem Willen des Tieres gebeugt hatte. Irgendwie war es fast so, als ob die Erde Respekt vor ihm gehabt hätte. Sie hatte mit Freuden den Weg frei gemacht, weil der Dachsmaulwurf diese Ausstrahlung besaß. Serina war es von Anfang an aufgefallen. Dieses Tier trat mit einer Bestimmtheit auf, die sie bisher nur bei einem anderen Menschen gesehen hatte. Und das war Toph. Toph bewegte sich ähnlich wie der Dachsmaulwurf. Sie besaß einen festen Schritt, der zeigte, dass ihr sich nichts entgegen stellen konnte. Serina hatte es so empfunden, dass Toph jedes Hindernis überwinden konnte.

Vielleicht musste Serina auch nur eine solche Entschlossenheit finden, um die Erde bändigen zu können. Beim Wasserbändigen hatte ihr immer Ruhe und Gelassenheit geholfen. Beim Erdbändigen musste sie einen anderen Ansatz finden. Sie musste standhaft sein, vielleicht sogar ein wenig stur. Wie sonst sollte sie gegen die Sturheit der Erde ankommen? Entschlossen begab sie sich in einem festen Stand, genau vor der Wand, die nur um ein paar Zentimeter verschoben worden war. Serina atmete einmal tief durch und konzentrierte sich. Nicht fließend, sondern fest und standhaft musste sie jetzt sein. Sie legte beide Hände auf die Wand, versuchte das Wesen der Erde zu erfühlen. Es war hart, wie immer, und Serina musste nun auch hart sein. So hart wie Stein.

Sie legte all ihre Energie in ihre Hände und wollte die Erde bändigen. Doch es rührte sich nichts. Dabei hatte sie doch gedacht, dass es diesmal klappen würde. Oder hatte sie die Erde immer noch nicht richtig verstanden? Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. „Das ist doch zum Verrückt werden. Da gibt man sich soviel Mühe und was ist?“ Voller Zorn schlug sie gegen die Wand. Immer und immer wieder. „Was denkst du dir eigentlich dabei, mir den Weg zu versperren? Ich bestimmte, wo es langgeht.“ Mit dem nächsten Schlag gegen die Wand fiel sie plötzlich vornüber. Ein Stück der Wand vor ihr, nämlich genau das Stück, wo sie gegen geschlagen hatte, hatte sich bewegt. Serina kniete zwar halb auf dem Boden, doch sie war überglücklich. Sie hatte es geschafft. Sie hatte gerade tatsächlich Erde gebändigt. Es war unglaublich. Sie spürte, wie der Dachsmaulwurf sie von hinten anstupste. Sie drehte sich um und umarmte seine Schnauze. „Vielen Dank. Ohne deine Hilfe hätte ich es nicht geschafft.“ Der Dachsmaulwurf gab zum ersten Mal einen Laut von sich, aber es hörte sich freudig an. Es sprach Serina aus der Seele.

„Kannst du mir den Weg nach draußen zeigen? Ich brauche mal wieder ein bisschen frische Luft.“ Zur Bestätigung fühlte Serina eine starke Erschütterung. Und als sie ein paar Schritte vorwärts ging, wusste sie, dass der Dachsmaulwurf einen ganzen Tunnel geschaffen hatte. Freudig hüpfte sie den Weg entlang. Es war unglaublich, wie gut Serina sich fühlte. Sie hatte es geschafft, Erde zu bändigen und jetzt war sie sogar noch auf den Weg nach draußen.

Sie spürte, wie der Dachsmaulwurf immer einen Schritt hinter ihr ging. Sie hatte ihm soviel zu verdanken. Nach gar nicht so langer Zeit, kam Serina jedoch wieder an einer Wand an. Sie war also doch noch nicht draußen. Der Dachsmaulwurf schob sie wieder sanft von hinten an. „Meinst du damit, dass ich das letzte Stück freimachen soll?“ Der Dachsmaulwurf schob sie noch ein Stück weiter vor. „Okay, ich mach ja schon.“

Sie stellte sich genauso hin, wie noch wenige Minuten zuvor. Die Füße fest auf den Boden. Mit einer noch größeren Entschlossenheit als vorher, weil sie wusste, dass hinter dieser Mauer Sonne und Luft sein würde, legte sie ihre Hände gegen die Wand. Einmal kräftig schlug sie dagegen und Serina spürte sofort die wärmende Sonne auf ihrer Haut. Sie trat einen Schritt vor und atmete die frische Luft ein. Serina hätte nie gedacht, dass sie sich jemals über etwas so Belangloses wie Sonne oder Luft freuen könnte. Sie legte sich ins Gras und zog diesen unglaublichen Duft in ihre Nase. Es war einfach nur herrlich.

Doch dann stand sie noch mal auf und ging zu dem Dachsmaulwurf zurück. Sie streichelte ihm über die Schnauze. „Vielen Dank für deine Hilfe. Und wenn ich dir irgendwann mal helfen kann, sag einfach bescheid.“ Serina spürte, wie der Dachsmaulwurf sich umdrehte und wieder zurück in die Höhle marschierte. Hinter ihm zog sich die Wand aus Erde wie von Geisterhand wieder hoch. Serina war zwar ein bisschen traurig, aber sie war froh endlich wieder draußen zu sein. Sie setzte sich ins Gras und ließ sich von der Sonne bestrahlen. Die Augenbinde beließ sie auf, denn die drei Tagen waren ja noch nicht vorbei. Serina würde jetzt einfach hier sitzen bleiben und auf Tophs Rückkehr warten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nochnoi
2009-08-12T17:55:23+00:00 12.08.2009 19:55
So, endlich hab ich’s geschafft ^^

Tja, so in völliger Dunkelheit zu verleben, ist sicher alles andere als einfach. Da kann ich Serinas Gefühle gut nachempfinden.
Aber dennoch ein guter Schachzug von Toph, wie ich mal bemerken muss ;) Wie sonst kann man auch eins mit der Umgebung werden und seine übrigen Sinne schärfen? Ja ja, auf eine verdrehte und verrückte Art weiß das Mädel schon, was sie tut ;p

Und ich steh auf die Dachsmaulwürfe! Sie sind echt putzig >.< (auch wenn sie nicht unbedingt als Haustiere geeignet sind) Und schön, dass sie Serina helfen konnten. Toph hat auf diese Weise ja schließlich auch das Erdbändigen erlernt, also konnte dieser Ansatz von Anfang an nicht allzu verkehrt sein ;)

Ach ja, ich hab noch ein süßes Fehlerchen gefunden:
„doch das ließ Serina lieber bleichen“
-> Ich musste bei diesem Tippfehler unwillkürlich grinsen. Hast du sehr schön gemacht!! XD

Dann freu ich mich sehr auf das nächste Kapitel! Ganz besonders auf Toph, wie du dir vielleicht denken kannst ;p

Hab dich lieb
Sarah

Von: abgemeldet
2009-08-12T16:00:06+00:00 12.08.2009 18:00
Ich mag die Dachsmaulwürfe. Die sind so niedlich!!!!!
Die Überschrift zum kapitel passte sehr gut.

Meine Lieblingsstellen:

"Wie sollte man mit soviel Sturheit klar kommen? Wenn sich die Erde weigerte, konnte Serina auch nichts tun."

"Was denkst du dir eigentlich dabei, mir den Weg zu versperren? Ich bestimmte, wo es langgeht."

Du hast es wieder sehr spannend gemacht. Ich konnte mir durchs lesen genau vorstellen, wie serina sich dort durch die dunkelheit kämpft. Schön das sie schon einen ersten erfolg beim erdbändigen hatte. Diese anstrengunen müssen ja schließlich auch belohnt werden^^

Also wieder sehr gelungen, ich freu mich aufs nächste kapitel, ciao deine okami



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