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Kitsch

Kurzgeschichtenarchiv zu Bela B.
von

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Vergissmalnicht

Müde legt er seine Stirn an das Fenster. Das Glas ist kalt. Hinter ihm wird irgend so eine Über-Party gefeiert. Schlechte Musik, billiger Fusel und noch billigere Mädels. Das Leben eben. Sein Leben. Es macht ihm eigentlich nichts mehr aus.
 

Eigentlich.
 

Er hat die Augen geschlossen, schon eine Weile. Versucht durch dumme Gespräche, aufgesetztes Lachen und gespieltes Stöhnen die Klänge der Nacht herauszuhören. Fast glaubt er, das Fauchen einer Katze zu vernehmen. Vielleicht ist es auch nur ein Kratzer in der Schallplatte. Irgendwo fällt ein Glas laut scheppernd zu Boden.
 

«Er fällt.

Unaufhaltsam.

Mit aller Macht.
 

Er will nicht aufgefangen werden.
 

Die Welt zieht an ihm vorbei.

Ein Strudel aus Farben und Formen.

Beinah schön.

Der Boden kommt immer näher.
 

Angst ist anders.
 

Dann der Aufprall.

Hart und weich.

Sein Körper zerspringt in tausend Teile.

Verteilt in einem Radius von zwei Metern.

Scherben glänzen im matten Licht.
 

Irgendjemandem ist er eine letzte Beleidigung wert.»
 

Ein spitzer Ellbogen reißt ihn aus seinen Gedanken. Wie Auftauchen aus Eiswasser und Luftschnappen. Nur andersrum. Er macht sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Es ist egal. Wie alles andere. Diese Party. Die Leute.
 

Was wirklich zählt, ist verloren gegangen. Schon vor langer, langer Zeit. Verschwunden, wie das Lächeln der Grinsekatze ins unbekannte Nichts. Er schüttelt den Kopf. Unsichtbar. Vielleicht sollte er wirklich mit dem Alkohol aufhören.
 

Vielleicht.
 

Hinter ihm hitzen sich die Gemüter auf. Ein Wort gibt das andere, bis Fäuste fehlende Rhetorikkünste ersetzen müssen. Sachen fliegen durch die Gegend. Etwas Weiches trifft seine Schulter, flattert zu Boden. Er hat keine Lust, die Augen zu öffnen. Allein, er hat nichts Besseres zu tun.
 

Eine Bravo. Ausgerechnet. Etwas einem Lächeln Verwandtes huscht über seine Lippen. Zitronen sind süßer. Obwohl sie ganz nett zurechtgemacht ist. Einigen Seiten sind rausgerissen, andere zerschnitten oder angekokelt. Jemand hat sich die Mühe gemacht, die „Coverstars“ etwas zu verschönern. Sein Blick bleibt an einem winzigen Kästchen in der rechten, unteren Ecke hängen. Es ist gänzlich verschont geblieben.
 

Ein bekannt fremdes Gesicht grinst ihm entgegen.
 

Bela geht in die Knie.
 

Es ist keine Trauer. Nur Erinnerung.
 

Er weiß nicht, ob das wirklich besser ist.
 

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„Ach, komm schon, Dirk, das wird toll!“
 

„Ich weiß nicht... denkst du wirklich... ich meine; wir reden hier immerhin von der Bravo! Die werden uns nie wieder ernst nehmen.“
 

Beide wussten, wer mit „Die“ gemeint war. Ihr Punkimage würden sie danach an den Nagel hängen können. Wer wäre auch schon doof genug gewesen, ihnen die Schnorrer abzukaufen, wenn sie Hochglanzposter in irgendwelchen Teenieszeitschriften hätten?
 

„Na und?! Dafür hängst du in hunderten... ach, tausenden Mädchenzimmern an der Wand und darfst dich anschmachten lassen. Ist das nichts?!“
 

Blind von der Nacht, sah Dirk zwar nichts, aber er konnte das riesige Grinsen seines Gegenübers geradezu hören. Für ihn war das Spaß. Schon klar. Verwirrung und Unruhe stiften. Geordnetes Chaos verbreiten. Witze, so intelligent, dass selbst Bela manchmal Probleme hatte, ihnen zu folgen. Nur dieses Nagen an der Seele hatte er allein. Ob das nun Zweifel waren oder Ängste. Egal.
 

„Jan, das ist wirklich ernst, okay?“
 

Seine Rolle war es nicht. Die der Vernunft. Er glaubte auch nicht, dass sie ihm außerhalb dieser vier Wände abgekauft werden würde. Selbst hier war es schwer sie an den sprichwörtlichen Mann zu bringen. Immerhin, einen Versuch war es wert. Und später würde man IHM keine Vorwürfe machen können.
 

„Oh, entschuldige, wie es scheint, habe ich die Lage völlig verkannt. Natürlich ist die Sache ernst. Todernst. Wie wäre es, wenn wir ein Meeting dafür ansetzen? Bandintern, versteht sich. Dann können wir auch eine pro- und contra-Liste aufstellen. Oder wir stimmen ab. So ganz demokratisch.“
 

Dirk konnte den Schalk im Nacken des Größeren förmlich kichern hören. Nicht nur, dass er entgegen seiner Natur handeln musste, jetzt wurden sogar schon Scherze auf seine Kosten gemacht!
 

„Jan!“
 

Gerechte Empörung.
 

„Dirk!“
 

Ironische Parodie.
 

„Ach leck mich doch, du verdammter-"
 

Er schaffte es nicht, seinen Fluch zu Ende zu bringen. Schaffte es nie. Nicht bei Jan. Der zog ihn mit einer beängstigenden Leichtigkeit zu sich herüber. Vergrub das Gesicht in Dirks schwarzem Zottelhaar. Die Dunkelheit um sie herum begann zu glühen.
 

„Sei mir nicht böse, al meu conte.“
 

Als ob er das je gekonnt hätte! Allein, wie er seine Hand hielt. Kühles Feuer, das sich unter seine Haut brannte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es einen schöneren Tod gab. Das Requiem gleich dazu. Selbst wenn er es manchmal nicht verstand. Die sanfte, liebestrunkene Stimme reichte.
 

„Wenn du nicht willst, lassen wir es. Ist in Ordnung. Ich will dich zu nichts zwingen. Wir machen es, wie du es sagst. Ich mache es, wie du sagst. Ich tue alles für dich, al meu conte, mein Dirk, mein Herz...“
 

Lippen formten die Worte an seinem Hals, während geübte Finger sich daran machten, ihm den Verstand zu rauben. Und auch wenn er sich nur allzu schnell von diesem zu verabschieden hatte, schaffte Dirk es noch mit enormer Willenskraft, seinem größten Sehnen Ausdruck zu geben.
 

„Sag ihn... sag... sag meinen Namen.“
 

„Dirk... mein Dirk...“
 

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„Bela... hey Bela...“
 

Ein sanfter Hauch an seinem Ohr. Der falsche Atem. Der falsche Name. Das Schicksal hat einen seltsamen Sinn für Humor. Er stört sich nicht daran. Nicht wirklich. Nun ja... nur ein wenig.
 

Starke Arme ziehen ihn hoch, legen sich um seine Taille. Es hat nichts Leichtes. Der Körper hinter ihm scheint in Flammen. Bela wünscht sich Kälte. Er bleibt. Trotzdem. Womöglich zerfällt er ja zu Staub. Ein grotesk schöner Gedanke.
 

„Ich hab dich schon überall gesucht. Hatte schon Angst, du fährst wieder ohne mich.“
 

Es soll dahingesagt klingen. Tut es aber nicht. Bela ist es so gleich, dass es fast schon an Grausamkeit grenzt. Er kann kein Mitleid mit dem Anderen haben. Gleich, wenn er ihn nur benutzt, nie lieben und irgendwann stehen lassen wird. So wie alle anderen.
 

„Würde mir doch nie in den Sinn kommen, Roddie.“
 

„Nein, nie im Leben, Belchen.“
 

Er ist zu jung für diese Bitterkeit. Allein, der Drummer hat keine Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Den Schmerz hat man für sich allein. Je früher man das lernt, desto besser.
 

Möglich, dass es dann sogar weniger weh tut...
 

... was für ein guter Witz.
 

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„Was? Ich... du... das kann doch nicht... sag mir, dass du das nicht ernst meinst!“
 

Dirk war ruhig. Außer vielleicht seine Stimme. Die hatte etwas vom brodelnden Meer. Jans Blick dagegen war nach unten gerichtet. Versteckte Tränen im Augenwinkel. Ein riesiges Häufchen Elend. Verdrehte Welt.
 

„Dirk, bitte. Ich habe lange nachgedacht und...“
 

„Du hast lange nachgedacht?! DU hast lange nachgedacht?! Hast du dann auch nur einmal an mich gedacht? Was ICH darüber denke?! Was das für MICH bedeutet?! Gott, Jan! Du redest nicht nur davon, mir nichts, dir nichts einen wichtigen Pfeiler unserer Beziehung einzureißen, du vernichtest auch gerade mal so unsere Lebensgrundlage! Und die von vielen unserer Freunde!“
 

Die geliebten Augen hafteten immer noch am Boden. Als besäße dieser eine Lösung. Dirk alleine wusste, dass Jan nach Worten rang. Er wusste nicht, ob er sie hören wollte. Er wusste nicht, ob er sie nicht hören wollte. Am liebsten hätte er geschrien.
 

„Ich... also... du weißt, dass wir auch gut ohne... also die Tantiemen würden problemlos reichen... und... und... also, was das andere angeht...“
 

Eine Kralle um sein Herz. Noch hatte sie nicht zugeschnappt. Trotzdem war der Schmerz schon da. Wie ein Phantom. Vielleicht würde es ja auch als solches wieder verschwinden. Allein, die Hoffnung blieb zuletzt.
 

„Ich... Dirk... ich weiß nicht wie... also... ich...“
 

Jan sollte es nicht sagen. Nicht jetzt. Nicht nachher. Nicht morgen. Nie. Er sollte mit diesem Gestammel aufhören, das überhaupt nicht zu ihm passte. Er sollte die Tränen wegwischen, die ihm nicht standen.

Er sollte ihn in den Arm nehmen und versprechen, dass alles wieder gut werden würde.
 

„Dirk... es... wir...“
 

„Hör auf.“
 

Der Sturm brach los. Die Gefühle tobten in Dirk wie riesige Wellen. Tsunamigleich. Er schwankte leicht. Innerlich. Äußerlich war er eingefroren. Eine Statue kurz vor dem Zerbrechen.
 

„Dirk.“
 

„Hör auf.“
 

Einzig seine Lippen bewegten sich. Die Augen waren blind ins Leere gerichtet. Er wusste nun, was kommen würde. Was kommen musste. Wie hatte er je denken können, dass es ein anderes Ende nähme? Dass es wirklich besser, ECHTER war als andere zuvor.
 

„Dirk.“
 

„HÖR AUF!“
 

Er hörte sich selbst nicht schreien.
 

„Dir- “
 

„HÖR AU- “
 

„Es ist vorbei, Dirk.“
 

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Rod ist verschwunden. Die Schlacht ist verloren. Der Jüngere weiß noch nicht, dass es sich mit dem Krieg genauso handhabt. Welch schnödes Schicksal.

Bela ist wieder allein. Mit sich. Mit der Bravo. Ein zweites Mal geht er in die Knie.
 

Seine Finger blättern sinnlos durch die Zeitung, finden von selbst etwas, von dem er nicht wusste, dass er es suchte. Der Artikel ist eine Farce. Vier, wenn es hochkommt sechs Sätze. Sofort springen ihm zwei Rechtschreibfehler und die Wörter „die Ärzte“ entgegen.
 

Die Informationen sind so spärlich wie das Niveau. Er nennt sich nicht mehr Farin, sondern Jan. Gut, das wusste er schon. Ein neues Album steht an. Genauso wie die zweite Tour. Auch nichts Neues. Alles in allem also ein Reinfall.
 

Nur das Bild.
 

Das hat was.
 

Lässt ihn nicht los.
 

Vorsichtig gleitet er mit den Fingerspitzen über das stumpfe Papier. Die Haare hat er etwas länger. Wilder. Bela gefällt es. Die Klamotten scheinen auch ganz nett. Wobei; hier ist von Jan die Rede. Das Grinsen allein ist dasselbe geblieben. Bela haut es immer noch um.
 

Seufzend streift er noch mal darüber. Er merkt nicht, dass er zittert. Mit einem plötzlichen Ruck entreißt er dem Heft die Seite, versteckt es gut gefaltet in seiner Jeanstasche.
 

Es ist keine Sehnsucht. Nur Erinnerung.
 

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Info:
 

al meu conte= soll angeblich „mein Graf“ heißen, wobei ich mir da nicht so sicher bin... mein Rumänisch ist doch schon arg eingerostet ;)



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  YouKnowNothing
2009-07-31T15:05:36+00:00 31.07.2009 17:05
ich wollte sie nicht lesen...
ich wusste, dass sie mich traurig macht - wie so oft bei dir.

Ich hab sie trotzdem gelesen.
Und ich war gefesselt, begeistert, ehrfürchtig, verwirrt, verliebt, habe mitgefühlt, mitgelächelt, mitgeweint.
alles, wie immer.
mensch, ich bin beeindruckt (ich sollte dringend ein synonym dafür suchen XD)

LG S-M
Von: abgemeldet
2009-04-17T10:25:20+00:00 17.04.2009 12:25
Danke für diese, mal wieder großartige, FanFic... Ich habe dich ja schon mal mit Komplimenten bezogen auf deinen Schreibstil überschüttet.. =P

Liebe Grüße,
Die Gräfin...
Von:  Science
2009-02-05T20:51:41+00:00 05.02.2009 21:51
Deine Geschichte ist wirklich fesselnd.
Auch wenn es nicht so ist, wie man sich Bela vorstellt, es ist wahnsinnig gut geschrieben. Man kann richtig fühlen, wie es in ihm aussieht, wie Vanitas schon geschrieben hat.
Einige Deiner Formulierungen sind so schön, dass ich sie mir am liebsten übers Bett hängen würde - zum Beispiel: "Wie Auftauchen aus Eiswasser und Luftschnappen. Nur andersrum."
Eigentlich kann man sich die ganze Geschichte übers Bett hängen; dieser Schreibstil mit den kurzen Sätzen, die Atmosphäre, die Eindrücke - einfach wundervoll.
Du hast leider teilweise "das und dass"-Fehler drin und die Fälle falsch eingesetzt, das stört den Lesefluss etwas.
Ich würde mich über eine Fortsetzung freuen!
Gruß,
Science
Von: abgemeldet
2009-02-04T17:18:25+00:00 04.02.2009 18:18
Das ist schön^^
Cih mag es wie du flashbacks einbaust..ich kann richtig nachvollziehen, wie es in Bela aussieht, bzw kann ich es sogar FÜHLEN!!
Das ist richtig gut geworden und zum Weinen *schnief*
Und Belas Seelenleben wirkt echt authentisch und so^^
Richti gut!!!!
Lg


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