Reise in die Vergangenheit
Nach Wolfis Erpressungsversuchen geht es hier schon weiter. Viel Spaß.
Kapitel 7: Reise in die Vergangenheit
Langsam hörte der Regen auf und die dunklen Wolken lockerten sich. Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen hinab zu Boden und erwärmten ihn. Die Straße vor dem Hotel, wo ein Mord passiert sein wollte, war abgesperrt worden. Doch kannten alle nur die hälfte der Wahrheit. Es war Notwehr, die den Polizisten dazu veranlasst hatte zuschießen, auch wenn Brooklyn York nun deshalb ein Untersuchungsverfahren auf sich gezogen hatte. Viele Gutachter würden genau überprüfen, ob ein Tod gerechtfertig war, so lange würde er von Dienst suspendiert sein und dürfte sich in die Fälle, welche mit der Mordserie zu tun hatte nicht einmischen. So kam es, dass Yuriy den Augenzeuge des Angriffs durch die Straßen fuhr. Schweigend saßen sie nebeneinander, während jeder seinen Gedanken nachhing.
„Es tut mir Leid, dass du das mit ansehen musstest“, durchbrach Yuriy die Stille, welche im Wagen herrschte. Kurz wanderten seine blauen Augen zu seinem Beifahrer.
„Was meinen sie damit? Wie der Mann auf uns los gegangen war und dann erschossen wurde, oder aber als sie ihrem Kollegen ein blaues Auge verpasst haben?“, kam die Frage, während Kais Blick auf den vorbeirasenden Gebäuden gerichtet war.
„Beides“, gab Yuriy zähneknirschend zu. Auch wenn er die Sache mit Brooklyn überhaupt nicht bereute. Der Orangehaarige hatte selbst schuld gehabt, dass er ihn geschlagen hatte, immerhin hat er ihn provoziert. Leider konnte er das Foto nicht löschen, da Brooklyn sich zu schnell in Sicherheit gebracht hatte, verdammter Feigling.
„Schon Okay, zumindest das zweite. Ich habe ihre Reaktion verstanden. Er hätte das nicht tun dürfen“, stimmte der Jüngere zu, während er weiter hinaus sah.
Leicht nickte Yuriy nur. Brooklyn hätte das nicht tun dürfen, aber da war noch etwas, dass ihm schwer im Magen lag. Während er mit einer Hand den Wagen lenkte wanderte seine linke Hand in die Manteltasche. Fest schlangen sich die Finger um das kühle Silber des Kreuzes. Noch immer Verstand er nicht, wie der Tote dies in die Finger bekommen konnte. Es gehörte zur Familie Ivanov. Sein Vater hatte es seinem ältesten Sohn vererbt, bevor er verstorben war. Deutlich erinnerte er sich an den Tag, wo er dieses kreuz das erste Mal gesehen hatte.
~Rückblick~
Aus großen blauen Augen sah Yuriy fasziniert auf die schmale Kiste, welche auf dem Tisch stand. Auf der Oberfläche waren einige Gravuren, nach den Geschichten seines Vaters eine Legende, doch vermochte er es nicht sie zu entschlüsseln. Andächtig hob Yuriy seine Hand und strich über das kühle Holz. Aufreget prickelte seine Haut. Es war ein erwartungsvolles Gefühl. Etwas was dort drin war rief ihn förmlich. Langsam hob er den Deckel an und spähte hinein. Auf roter Seide lag ein Kreuz, in dessen Mitte ein blauer Saphir eingelassen war. Er liebte diesen Stein über alles, denn irgendwie erinnerte es ihn immer wieder an seine eigenen Augen.
Auf einmal trat sein Vater zu ihm und sah zu ihm herab. „Dies ist das Erbstück, dass von Vater zu Sohn weiter gereich wird seid unzähligen Generationen. Ich bekam es von meinem Vater, und dieser ebenfalls von seinem Vater. Es soll uns an etwas wichtiges erinnern. An unsere Aufgabe, welche wir in dieser Welt haben. Eines Tages wird dein Bruder Yalen es erhalten als Ältester von euch beiden“, erklärte er ihm.
Eine Welle von Enttäuschung überkam Yuriy, als er das hörte. Yalen! Immer bekam Yalen alles. Er war der Älteste und in den Augen seines Vaters viel mehr Wert. Es tat Yuriy weh, denn er fand sich mit seinem Bruder ebenbürtig, doch leider war es egal. Es zählten nur die zwei Jahre Altersunterschied.
Wütend wand der Rothaarige sich ab und rannte aus dem Raum. Unter seinen Füßen entstand ein trommelndes Geräusch, als er über den Holzboden lief. Mit einem Satz überwand er die Türschwelle und schaffte es hinaus an die frische Luft. Die Sonne brannte in seinen Augen, so dass er mehrmals blinzeln musste, doch nichts konnte ihn stoppen.
Der Boden war weich, während von einem nahen Wald das Singen der Vögel erklangen. Langsam sank die Sonne tiefer und färbte den Himmel rot. Vereinzelte Wolken versperrten die Sicht, doch hatte Yuriy dafür kein Blick. Wütend ließ er sich in das Gras plumpsen. Rücklings las er da, während ein Grashalm ihn auf der Haut kitzelte. Er verschränkte die Arme unter seinem Kopf, während sein Blick sich im Himmel verlor. Das Leben war so ungerecht. Er hasste es, dass sein Bruder alles bekam. Er durfte sogar mehr trainieren, weil er irgendwann ja die Arbeit ihres Vaters tun sollte. Bisher konnte er sich noch niemals ein Bild machen, woraus genau diese Arbeit bestand. Alles was sie lernten bestand aus Kampf, mit oder auch ohne Waffen. Sie sollten ihre Sinne schärfen können um immer bereit zu sein. Bereit wofür? Und dann die Geschichten, die ihr Vater ihnen so oft erzählte. Sie mussten sich jede Einzelheit einprägen. Meist handelten sie immer von Wesen, die sich vom Blut der Menschen ernährten. Vampire, welche das Sonnenlicht mieden. Eine weitere Anweisung ihres Vaters. Sie durften niemals draußen sein, wenn die Sonne untergegangen war. Es wäre zu gefährlich. Dabei war es doch lächerlich. Ihr Vater steigerte sich in Märchen hinein. Es gab keine Vampire... Oder?
Ein Schatten fiel über ihm, und als er die Augen öffnete sah er in das grinsende Gesicht eines rothaarigen Jungen, welcher einige Jahre älter war als er. „Hier steckt du also Yuriy. Papa sucht dich. Du sollst hineingehen, da es dunkel wird“, erklärte er ihm.
Leicht runzelte der Blauäugige die Stirn. „Warum soll nur ICH hinein gehen? Du durftest doch bisher auch nie nach Sonnenuntergang draußen sein.“
Das Grinsen wurde noch breiter. „Schon, aber das ändert sich ab heute. Papa findet, dass ich alt genug bin. Er will mir endlich alles zeigen und heute Nacht geht es los. Wenn ich diese Prüfung bestehe bekomme ich morgen das Kreuz, dann bin ich offiziell der Erbe der Familie. Ist das nicht cool? Wir gehen heute Abend zusammen in den Wald. Ich bin schon so gespannt, was er mir zeigen will.“
„Ja, echt cool“, murmelte Yuriy. Er stürzte sich mit den Händen ab, bevor er sich auf seine Beine schwang. Am liebsten hätte er seinen Bruder angeschrieen, doch hatte dieser keine Schuld. Er selbst würde wohl auch so glücklich reagieren, wenn ihr Vater ihn auserwählt hätte. Doch was für eine Prüfung sollte das im Wald sein? Er würde es herausfinden...
Die Sonne war verschwunden, so dass nun die Welt von Dunkelheit beherrscht war. Dichte Wolken ließen kein Licht hinab auf die Erde. Zielsicher bewegten sich zwei Personen durch die Finsternis. Ihre Kleidung war Dunkel und verschmolz förmlich mit den Schatten. Schnell bewegten sie sich auf den Wald zu, bevor sie in diesem verschwanden. Unbemerkt folgte ihnen eine kleine Gestalt. Tief bückte Yuriy sich, während er seinem Bruder und seinem Vater verfolgte. Fieberhaft konzentrierte er sich auf seine Umgebung um ja kein Laut zu verursachen. Er durfte nicht in einer unbedachten Sekunde auf einen Ast treten. Sollten sie ihn bemerken, würde es verdammt viel Ärger geben und dann würde er nie herausfinden was sie vorhatten.
Ruckartig blieb Yuriy stehen, als sich ein lautes Fauchen zum Himmel erhob. Es war tiefer als das einer Raubkatze. Ein Schauer rann über den Rücken. Er konnte die Gefahr förmlich spüren. Niemals zu vor hatte er etwas vergleichbares gehört, aber warnten ihn uralte Instinkte.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und folgte seiner Familie. Er sah wie sein Vater eine Waffe zückte. Etwas silbernes blitze auf, welches eine längliche Form hatte und an der Spitze zulief. Über diese Entfernung war es Yuriy nicht möglich genaueres zu sagen, vor allem da es so dunkel war. Er konnte nur zu sehen, wie es an Yalen weiter gereicht wurde. Sie schienen sich zu unterhalten, denn nickte der Rothaarige, bevor er sich umwand.
Angestrengt folgte Yuriy dem Blick seines Bruders. Sollte er sich etwa mit dieser Waffe der Bestie stellen, welche so komische Geräusche von sich gab? Aber... Das war doch gefährlich! Wie konnte sein Vater nur so was zu lassen? Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Yalen gepackt um ihn aufzuhalten. Unruhig zuckten Yuriys Finger, während er mit sich selbst kämpfte. Was sollte er nur tun?
Auf einmal schoss eine Gestalt aus dem Dickicht. Erneut ertönte ein Fauchen, während der Kopf hin und her ruckte. Es schien als würde es wittern, denn deutlich vernahm Yuriy ein schnüffelndes Geräusch.
Erschrocken taumelte der Jüngere zurück. Kalte Schauer rannen über seinen Rücken, als das Gesicht der Gestalt sich in seine Richtung bewegte. Die Augen glühten auf einmal auf. Wie Scheinwerfer richteten sie sich auf ihn. Es entstand nicht einmal ein Geräusch, als sich die langen Beine in Bewegung setzten. Er schien förmlich über den Boden zu fliegen, als er sich ihm näherte.
Laut hörte er seinen Vater fluchen, als die Beute entkam, doch dann folgte ein hilfloses Keuchen. Vater hatte ihn gesehen, dessen war Yuriy sich sicher! Er wusste nicht vor was er sich mehr fürchten sollte. Vor seinem Vater, oder der Person, die sich ihm näherte.
Auf einmal war die gestalt über ihm. Panisch wich Yuriy zurück, als sich der Mund öffnete und er die langen Fänge sah. Ein Schrei entwich ihm, während lange Krallen ihn an den Schultern packten. „Lass mich los!“, schrie er, während er zappelte. Es schien fast, als würde er in einem Schraubstock geraten sein, so fest war der Griff. Er konnte ihm einfach nicht entkommen.
„Yuriy!“, laut hallte die Stimme seines Bruders zu ihm hinüber.
Auf einmal war er frei, da sich der Griff gelöst hatte. Er fiel rücklings zu Boden, während es ihm vorkam, als würde sich alles in Zeitlupe abspielen. Sein Bruder hatte die Gestalt zu Boden gerissen und saß nun auf dessen Becken, während er in der Hand einen silbernen Pflock hielt... Dann wurde alles schwarz.
~Rückblick Ende~
Nur noch schemenhaft erinnerte sich Yuriy an den Aufprall, als sein Kopf mit einem Stein kollidierte, doch danach war alles schwarz. Er hatte versucht mit seiner Familie darüber zu sprechen, aber niemand hatte ihm Antwort gegeben. Yalen tat als wäre nichts gewesen und sein Vater behandelte ihn wie Luft.
Noch heute wusste Yuriy nicht was er glauben sollte. Er hatte dieser Familie den Rücken zugewandt, da er diese Lügen nicht länger aushielt. So hatte er sich ein neues Leben als Polizist aufgebaut. Niemals zuvor hatte er wieder daran gedacht, doch nun kamen immer mehr Erinnerungen in ihm hoch. Dieser Pflock... Er ähnelte dem, der in den Herzen der Opfer steckte. Konnte es sein, dass Yalen...? Leicht schüttelte Yuriy seinen Kopf und sah dann wieder konzentriert auf die Straße vor sich. Yalen war kein Mörder, niemals würde sein Bruder so was tun. Doch wie sollte er nun vorgehen? Eigentlich müsste er eine offizielle Ermittlung gegen Yalen führen und ihn als mutmaßlichen Mörder festnehmen, aber konnte er das nicht. Immerhin war er sein Bruder... Trotzdem brauchte er Antworten und diese würde er nur bekommen wenn er Yalen wiedersehen würde.
Kurz wanderten seine blauen Augen zu Kai, welcher schweigend neben ihn saß. Vorher würde er ihn noch wegbringen. Danach würde er sich um die Familienangelegenheiten kümmern. Er wollte endlich Antworten. Nach all den Jahren schuldeten sie es ihm. Er wollte einfach nur die Wahrheit.
„Ich werde sie bei ihrer Wohnung absetzen. Ich habe leider gerade keine Zeit für ein ausführliches Gespräch mit ihnen, auch wenn es wohl nötig wäre, sollten sie Hinweise haben. Doch erst mal muss ich mich um den neuen Toten kümmern. Es hat Vorrang mehr über ihn zu erfahren. Für einen Notfall gebe ich ihnen meine Nummer. Rufen sie einfach an, wenn was sein sollte. Okay?“, erkundigte sich Yuriy. Er hatte kein schlechtes Gewissen, dass er den Rotäugigen anlog. Er hatte nicht vor sich um das neue Opfer zu kümmern, das würde Brooklyn übernehmen. Aber könnte er ihm kaum die Wahrheit sagen. Er musste Yalen schützen, bis er Antworten hatte. Danach könnte er noch immer entscheiden wie es weiter gehen wollte.
Leise seufzte Kai auf und nickte. „Also gut, ich habe wohl keine Wahl. Doch später will ich eine Kopie der Akte von Kurais Mordfall haben. Es ist mein Recht als Familienangehöriger. Ich will wissen was in jener Nacht passiert ist, und nicht einmal sie werden mich daran hindern“, antwortete er, während sein Blick vor Entschlossenheit glühte.
„Also gut, ich werde es ihnen Kopieren. Wir könnten uns morgen Nachmittag treffen und genaueres bereden. Am Besten wäre es, wenn sie gegen 16 Uhr im Revier erscheinen. Ich müsste dann eigentlich kurz Zeit für sie haben. Sagen sie einfach, dass sie zu Yuriy Ivanov wollen, dann wird man sie einlassen“, mit diesen Worten lenkte er den Wagen vor das Hotel, in dem Kai untergekommen war.
„Ich werde da sein“, versicherte der Graublauhaarige, bevor er aus dem Wagen ausstieg. Er hatte irgendwie ein komisches Gefühl, während er die Tür schloss und dem davon fahrenden Wagen des Polizisten nach sah. Es schien ihm fast, als würde dieser Polizist Informationen ihm vorenthalten, welche mit Kurais Mordfall zu tun hatten. Nun würde er erst recht Nachforschen. Wenn sie ihm nichts mitteilen wollten, würde er es halt aus eigener Faust herausfinden und Anfangen würde er erneut in Kurais Wohnung. Entschlossen straften sich seine Schultern, bevor er ein vorbeifahrendes Taxi heranwinkte. Kurz wanderten seine roten Augen über die Straße, doch war Yuriys Wagen schon längst verschwunden. Wo fuhr er nur hin?
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