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Fake Freak's Kiss

von

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Das Problemchen mit der Liebe

Sodala, willkommen bei Fake Freak's Kiss. Ich hoffe ja, ihr findet Gefallen daran. Die Geschichte ist meine jüngste überhaupt, zarte zwei Monate alt und sie geht mir so leicht von der Hand wie keine andere. Aber was laber ich. Lest einfach selbst, viel Spaß dabei.
 

"Ich liebe dich!" Hörte so etwas nicht jeder gern? "Ich liebe dich", dieser Satz gab einem das Gefühl, dass man einer ganz bestimmten Person auf der Erde etwas wert war, dass man dieser Person etwas völlig anderes, viel mehr bedeutete, als man bisher angenommen hatte. "Ich liebe dich." Wenn das doch der ganze Satz gewesen wäre.

Aber nein, der Sprecher musste ja noch ein einziges Wort dran hängen. Ein Wort, das kein Außenstehender verstand. Ein Wort, genauer gesagt ein Spitzname, den niemand außer dem Sprecher verwendete, was leider auch absolut zweifelsfrei festlegte, wer dieses Geständnis gerade hervor gebracht hatte. Und auch der Adressat war klar, denn dieser Spitzname gehörte nur zu diesem einen Menschen.

Wie ein Roboter wandte sich eben jener Mensch zum Sprecher um. Eigentlich hatte er gerade nach Hause gehen wollen. Der Unterricht war vorbei, die Sportstunde überstanden und der Schulhof menschenleer. Der Sprecher schien entsetzt über seine eigenen Worte, legte eine Hand an seinen Mund.

"Wie bitte?" Der Adressat sprach mit zitternder Stimme, hätte am liebsten "Fick dich und erzähl keinen Scheiß!" geschrien, wurde aber für einen Moment seine sonst nie so ausgeprägten guten Manieren nicht los. Gut, vielleicht war er auch einfach nur sprachlos.

Der Sprecher seufzte schwer, schob die Hände in die löchrigen Hosentaschen und wiederholte sein Geständnis:

"Ich liebe dich, Koala."
 

Das war jetzt schon eine ganze Woche her. Seit jenem Nachmittag hatte Tobias kein Wort mehr zu seinem eigentlich besten Freund gesprochen. Benjamin – gut, eigentlich nannte ihn jeder Ben – beließ es auch dabei, Tobias enttäuscht anzusehen. Tobias bedauerte diesen Bruch, war Ben doch sein mit Abstand bester Freund. Mit keinem sonst teilte er so viele Eigenschaften und Vorlieben, obgleich sie auch viele Interessen nicht miteinander teilten. Mit keinem sonst konnte er stundenlang stumpf in der Gegend rumliegen und nichts tun. Und niemand sonst nannte ihn "Koala". Ben hatte den Spitznamen mit dem Satz "Du bist doch knuddlig, was willst du?" begründet. Jedem anderen hätte Tobias dafür die Fresse poliert. Aber Ben war immer die Ausnahme gewesen. Der Unantastbare. Der, der mit allem durchkam.

Tobias hätte nie erwartet, dass Ben schwul sein könnte – oder gar in ihn verliebt! Das war so eine bizarre Vorstellung. Und doch war sie wahr. In der vergangenen Woche hatte Tobias abstruse Thesen entwickelt, um diese Wahrheit doch noch zu zertrümmern. Schlussendlich hatte er sich eingestanden, dass es unmöglich war. Ben war in ihn verliebt und damit hatte sich die Sache. Tobias selbst war nicht schwul. Wie auch? Alle paar Nächte legte er ein anderes Mädchen flach, so was nannte sich nicht "schwul", sondern eher "Playboy". Und so hatte es gefälligst auch zu bleiben. Tobias und schwul, welch idiotische Idee!

Allerdings waren ihm "Ben" und "schwul" auch wie zwei unvereinbare Begriffe vorgekommen.

Tobias zerknüllte frustriert seinen Hausaufgabenzettel und warf ihn von sich, irgendwo Richtung Fernseher. Mit den Gedanken war er eh nicht bei Englisch und ganz davon abgesehen beherrschte er die Sprache nicht. Ben konnte Englisch. Und wie er Englisch konnte! Andauernd quasselte er Tobias auf Englisch dicht. Das konnte ziemlich nervig werden. Besonders, wenn er nicht mehr aufhörte.

Aber das hatte ja jetzt sein Ende gefunden. Ben würde nie wieder Englisch mit Tobias sprechen. Und da Ben im Leistungskurs war und Tobias den Grundkurs gewählt hatte, würden sie einander auch nicht im Unterricht hören. Überhaupt hatten sie kaum Fächer zusammen. Die einzigen Fächer waren die drei Profilfächer und Sport. Und Tobias fragte sich schon, wie er die Sportstunde in zwei Stunden überstehen sollte. Normalerweise machte er alle Übungen mit Ben, weil er sonst niemanden aus dem Kurs näher kannte. Sogar namentlich kannte er nur die wenigsten. Die sechs Freistunden zwischen Unterricht und Sportstunde nutzte er normalerweise, um mit Ben zusammen Hausaufgaben zu machen. Zusammen zu scheitern machte eben doch mehr Spaß als allein nichts auf die Reihe zu bekommen. Ohne Ben fehlte etwas.
 

Tobias fand keine wirkliche Beschäftigung, bis er los musste. Gelangweilt lag er mal auf dem Bett, warf die Flimmerkiste an, schaltete sie wieder aus, zog den PC in Erwägung, verwarf den Gedanken. Fast schon wollte er drei Kreuze schlagen, als er endlich los musste. Mit seinem schon lang gepackten Sportzeug begab er sich zu seinem Fahrrad im Hof und machte sich auf den Weg.

Fußball war nie wirklich Tobias' Sport gewesen. Er spielte nicht schlecht, aber den Kurs hatte er nur wegen Ben gewählt. Und aus kindischer Überzeugung heraus spielte er heute kein einziges Mal an Ben ab, obwohl der ein ausgezeichneter Torschütze war und auch andauernd frei stand, nachdem die gegnerische Mannschaft gecheckt hatte, dass zwischen Tobias und Ben etwas nicht stimmte und sie Ben ignorieren konnte. Im Endeffekt wurde Tobias andauernd der Ball abgenommen und da Daniel, der im Tor stand, Angst vor auf ihn zu fliegenden Bällen hatte und auch noch Brillenträger war, kassierte Tobias' Mannschaft ein Tor nach dem anderen. Normalerweise musste Daniel aufgrund der Zusammenarbeit von Ben und Tobias nichts tun, als im Tor eine gute Figur zu machen.

Nach dem Sportunterricht schwänzte Tobias die Dusche, zog sich um und fuhr nach Hause, bevor Ben ihn aufhalten konnte, obwohl dieser keinerlei Intentionen diesbezüglich zeigte. Ohne es sich einzugestehen, wünschte Tobias sich allerdings eben dies. Er wünschte sich, von Ben aufgehalten zu werden, um ihn von sich stoßen zu können. Er wollte Ben um seine Aufmerksamkeit betteln sehen, um ihm nach einer gefühlten Ewigkeit vergeben zu können.
 

Das Schweigen zwischen ihnen hielt sich die nächsten zwei Wochen. In dieser Zeit fanden die Medien grauenhafte Schlagzeilen. Der sogenannte "Schwulenblender" machte von sich reden. Tobias, der in diesen zwei Wochen aus lauter Langeweile angefangen hatte, Nachrichten zu gucken, war einer der ersten seiner Klasse, die es mitbekamen. Ein oder mehrere Täter griffen nachts junge, meistens auffällig gestylte Männer an, setzten sie unter Narkose und nähten ihnen mit chirurgischer Präzision die Augen zu.

Als Tobias das erste Mal davon gehört hatte, hatte sich ihm der Magen umgedreht. Die Opfer hatten wohl alle nur ihre offen ausgelebte Homosexualität gemeinsam. Allein in den zwei Wochen fielen fünf schwule Männer dem Schwulenblender zum Opfer. Sie alle hatten überlebt, allerdings natürlich ihr Augenlicht verloren.

Bald war der Schwulenblender in aller Munde. Jeder redete über ihn. Die Mädchen schienen besonders besorgt, obwohl bisher keine einzige Frau unter den Opfern gewesen war. Tobias' Freunde klopften sich auf die Schenkel, rissen einen Schwulenwitz und brachten Sprüche à la "Wie gut, dass wir alle saubere Heteros sind!" Tobias fand es scheußlich, wie seine Freunde mit dem Thema umgingen. Ein Mensch, der anderen die Augen zu nähte, war nichts, worüber man Witze reißen durfte! Dieser Schwulenblender beunruhigte ihn.

Er machte sich Sorgen um Ben, der ins Beuteschema des Schwulenblenders fiel. Er hatte einen auffälligen Stil mit seiner wilden Mähne, seinen zugepiercten Ohren, der gepiercten Unterlippe und den löchrigen Klamotten. Und er stand auf Männer. Oder zumindest auf einen Mann, wie Tobias leider wusste. Aber er lebte seine Neigungen nicht offen aus, was Tobias doch wieder die Hoffnung gab, Ben könne sicher sein. Nichtsdestotrotz überkam ihn bei dem Gedanken das Verlangen, wieder mit Ben zu reden. Er vermisste ihn tierisch.

In einer Freistunde am Donnerstag, die sie gleichzeitig hatten, und in der Ben immer auf dem Pausenhof war und in einer sonnigen Ecke Musik hörte, konnte Tobias nicht mehr warten. Er verließ das Schulgebäude und suchte nach Ben, den er schließlich am Eingang der Sporthalle fand. Er saß da in der Sonne, hatte seine Augen geschlossen und hörte Musik, wahrscheinlich den üblichen Rock.

Tobias setzte sich einfach neben ihn. Er fragte nicht, er sagte nichts. Ben schlug die Augen auf, nahm auf der Tobias zugewandten Seite den Kopfhörer aus dem Ohr und fragte: "Du erträgst die Anwesenheit eines Homos?" Seine Stimme triefte vor Sarkasmus, aber Tobias ließ sich davon nicht verunsichern. "Darum geht’s mir", erwiderte er ruhig. "Machst du dir keine Sorgen wegen diesem Schwulenblender?" "Wegen dieses Schwulenblenders", korrigierte Ben, nahm nun auch den anderen Kopfhörer aus dem Ohr und schüttelte den Kopf. Seine wasserstoffblond gebleichten, gestachelten Haare wackelten leicht hin und her. "Was interessiert dich das, Koala? Du hast mich abgewiesen, jetzt kannste mich auch in Ruhe lassen."

Tobias seufzte schwer. Hätte er sich auf Ben eingelassen, wäre der garantiert die Frau in der Beziehung geworden. So etwas dickköpfiges erlebte er selten. "Menschenskinners", seufzte er. "Du bist... warst... was weiß ich mein bester Freund. Und da draußen läuft einer rum, der homosexuellen Männern die Augen zunäht. Ich hab Angst, dass dir das passieren könnte, okay?" "Du hast die letzten drei Wochen keine Silbe zu mir gesprochen, nur weil ich auf Männer stehe", erwiderte Ben ungerührt. "Du erwartest ernsthaft, dass ich dir glaube, dass du dir Sorgen um mich machst?"

"Glaub doch was du willst", motzte Tobias. "Verdammt, du hast mich beunruhigt mit deinem Geständnis. Das hat nichts mit deinen Neigungen zu tun, sondern mit deinen Gefühlen speziell für mich, kapiert? Ich steh nicht auf Männer und ich habe in dir nie etwas anderes gesehen als den besten Freund, den ich mir vorstellen kann. Ich wusste... Ach was, ich weiß es immer noch nicht, wie ich damit umgehen soll, dass du in mich verliebt bist!"

Ben stand auf, klopfte sich über den Hintern, um etwaigen Staub zu entfernen, und hob seine Kopfhörer wieder an die Ohren. "Koala, ich find's nett von dir, dass du dir Sorgen machst", sagte er ernst. "Aber wenn du nicht mit mir umgehen kannst, sollten wir einander noch eine Weile in Ruhe lassen. So lange kannst du dir ja klar machen, dass ich deine Abfuhr respektiere. Ich würde nie über dich herfallen, also bleib locker."

Und damit ging er. Tobias blieb stumm auf den Treppenstufen vor der Turnhalle sitzen und sah ihm nach. Und dabei wurde er das Gefühl nicht los, dass Ben in Gefahr war, dass ihm in absehbarer Zeit etwas passieren würde. Und Tobias spürte, dass er es nicht verhindern würde können. Inständig hoffte er, dass diese Gefühle Schwachsinn waren, während er sich ganz langsam aufrappelte und auf den Weg zurück ins Schulgebäude machte, um den Rest der Freistunde irgendwie hinter sich zu bringen. Trotzdem ließen sie ihn nicht los, so dass er die nächste Unterrichtsstunde geistig abwesend verbrachte und sich damit in eine ziemliche peinliche Situation katapultierte, denn der Mathelehrer fragte ihn etwas, das seit Beginn der elften Klasse schon ungefähr 200 Mal gefragt worden war. Und Tobias konnte nicht antworten, woraufhin die ganze Klasse zu kichern anfing.

Aus Frust heraus schwänzte Tobias Geographie in der siebten und achten Stunde und fuhr gleich nach Hause. Er wusste, dass er seinem Lehrer die Fehlstunde nicht erklären konnte und dass er in dem Fach bald eine Klausur schreiben würde, doch er konnte sich ohnehin auf nichts konzentrieren. Er musste seine Spinnereien im Bezug auf Ben endlich loswerden.

Später am Nachmittag wurde Tobias angerufen. Sein Kumpel Danny war in der Leitung und lud ihn zu einer kleinen Party ein. Tobias konnte nicht wirklich leugnen, sich etwas Ablenkung zu wünschen, daher willigte er ein. Dannys Vorstellung einer "kleinen" Party kannte er und wusste daher, dass er durchaus Ablenkung erwarten konnte. Und zu Dannys Partys kamen immer die attraktivsten Mädchen, wovon Tobias sich noch mehr Ablenkung versprach. Gab es ein zuverlässigeres Ablenkungsmittel als Sex? Tobias fiel keines ein.
 

Die Party stellte sich als typisch Danny heraus. Die Musik war gut, der Alkohol war gut und die Gäste waren gut. Tobias schätzte sich glücklich, hergekommen zu sein. Nach nicht allzu langer Zeit hatte er sich eine hübsche Blondine angelacht, die trotz der noch recht jungen Nacht schon ziemlich angetrunken war. Tobias besorgte ihr noch ein Bier, bevor er sich mit ihr auf ein Sofa pflanzte.

Der Höflichkeit halber erkundigte er sich nach ihrem Namen. Sie hieß Nadine. Ein Allerweltsname, den man schnell wieder vergessen konnte. Tobias wollte sie nicht großartig kennen lernen, aber sie war eine nette Gesellschaft. Gut, sie redete ziemlich viel, aber Tobias war durchaus fähig, für zwei zu schweigen, während sie für zwei plapperte. Anpassung war halt manchmal alles.

Zwischendurch bekam er mit, dass Nadine ihn über ihren ach so beschissenen Englischlehrer zutextete, der ihr nur deshalb null Punkte in der letzten Klausur gegeben hatte, weil sie am Tag der Klausur in Jeans und Pullover und nicht in Mini und Top zur Schule gekommen war. Davon ging Nadine zumindest aus. Ein absolut uninteressantes Thema für Tobias, da er da schlecht mitreden konnte. Er konnte seine Englischlehrerin auch nicht leiden, aber das lag eher an der Sprache, die sie ihm beizubringen versuchte, und nicht daran, dass sie sich an ihm aufgegeilt hätte. Der Gedanke war ganz schön eklig, was Tobias' Laune nicht gerade gut tat.

Eben diese Laune kletterte in den Keller hinunter, als seine Gedanken über das Thema Englisch zu Ben hinüber hüpften, was ihm gar nicht passte. Er war doch hier, um eben nicht an Ben zu denken. Doch weder der Alkoholspiegel seines Blutes noch die Anwesenheit einer durchaus heißen Blondine brachten Tobias jetzt von den Gedanken an Ben ab. Vielleicht musste er Nadine einfach etwas näher kommen, wenn die Anwesenheit nicht ausreichte. Sie hatte ihm ohnehin schon genug geredet.

Als ihr wohl endlich keine Beschwerden mehr über ihren Lehrer einfielen, packte Tobias sie kurzerhand im Nacken, zog sie zu sich und küsste sie. Nadine sprang darauf an, was Tobias innerlich schmunzeln ließ. Mädchen nach ihrem Äußeren zu beurteilen war eben doch nicht immer eine schlechte Idee. Dass Nadine leicht zu haben war, hatte er sich schon gedacht. Ihr Rock war zu kurz, um andere Schlüsse zuzulassen.

"Wow, mir wird ja ganz duselig im Kopf", kicherte Nadine, als Tobias von ihr abließ. "Ich kenn den Weg ins Gästezimmer", machte er ihr ein in seinen eigenen Ohren unverschämt eindeutiges Angebot und Nadine lächelte auf eine Art und Weise, die ihm sagte, dass sie ihm nicht wieder von der Angel springen würde. So kompliziert waren Mädchen nicht, wenn man nichts längeres mit ihnen plante. "Dann zeig ihn mir doch mal", erwiderte Nadine schnurrend. In Augenblicken wie diesen war Tobias immer wieder froh, dass Danny ihm für jede Party das Gästezimmer praktisch reservierte. Danny kannte seine Art zu feiern eben.

Während also im Erdgeschoss die Party ihren Lauf nahm, der Alkohol in Strömen floss und die Gespräche mit immer schwererer Zunge geführt wurden, verführte Tobias Nadine auf dem Bett im Gästezimmer. Er hatte seinen Spaß mit ihr wie mit vielen Mädchen vor ihr und er hatte auch kein schlechtes Gewissen dabei, mit ihr zu schlafen, ohne sich mehr mit ihr vorstellen zu können. Solche Zukunftsplanungen waren etwas für Erwachsene, die ihr Leben komplett im Griff hatten und bis über beide Ohren in ihren festen Partner verliebt waren. Tobias wollte nur seine Jugend genießen. Und Sex mit Mädchen wie Nadine gehörte eben dazu.

Hinterher lag er noch eine Weile mit ihr im Arm da. Nadine schwieg. Offenbar hatte sie einen gewissen Sinn dafür, wann fröhliches Geplapper unangebracht war. Tobias sagte ebenfalls nichts, streichelte mit dem Daumen ihre Schulter und blickte die Decke an, ohne diese wirklich zu sehen. Sein Kopf war angenehm leer, ein Zustand, den er dankenswerterweise fast immer nach dem Sex genießen durfte.

"Wollen wir allmählich wieder runter?", brach Nadine nach einer Weile schließlich die Stille und machte Anstalten, sich aus Tobias' Armen zu lösen. Tobias nickte, zog Nadine allerdings noch einmal zu sich. Er mochte ihre Körperwärme. Und er mochte ihre Lippen. Nadine konnte nämlich ziemlich gut küssen, was Tobias ein letztes Mal genießen wollte. So küsste er sie zärtlich, zog sie dabei über sich, so dass ihre Brüste seinen Brustkorb berührten. Sie hatte angenehm volle Brüste, die perfekt in Tobias' Hand passten. Nadine spielte auch dieses Mal mit. Ihre lockigen Haare kitzelten Tobias an der Wange, bis sie sich ihm schließlich entzog.

"Das war 'n One-Night-Stand, das ist klar, oder?", fragte sie schmunzelnd, aber irgendwie argwöhnisch. "Natürlich", erwiderte Tobias lächelnd. "Aber ich bin halt verschmust, ist das schlimm?" Nadine kicherte leise. "Nein, nein", winkte sie ab. "Nur ungewohnt. Bei den meisten heißt es "drüber rutschen und gehen", also... Naja." Sie lachte. Tobias fühlte sich fast ein wenig geschmeichelt, obwohl das unnötig war. Er genoss die Zeit mit einem Mädchen eben gern. Schneller Sex lag ihm nicht, womit er sich als recht einsam unter seinen Geschlechtsgenossen einschätzte.

Schweigend zogen sie beide sich wieder an. Nadine war ein wenig schneller als Tobias. Sie wünschte ihm noch eine gute Nacht, weil sie rasch nach Hause wollte, und verließ dann das Gästezimmer. Tobias folgte ihr nach einer Weile, suchte im Wohnzimmer nach Danny und dankte ihm wie immer grinsend für das Zimmer. Danny lachte laut auf, bot Tobias noch ein Bier an und fragte, wie seine Eroberung denn gewesen sei. Tobias erwiderte nur "Ein Gentleman genießt und schweigt", erntete einen weiteren Lacher von Danny und setzte sich dann zu ein paar Freunden in eine verrauchte Ecke. Zigarettenqualm machte ihm nichts aus, obwohl er selbst nicht rauchte. Den Rest der Nacht verbrachte er mit ein paar Flaschen Bier und seinen Kumpels in der Ecke und irgendwann gegen Morgen ging er nach Hause, wobei er ein klein wenig wankte.

Zu Hause angekommen ging er sofort schlafen. Er würde die Schule schwänzen, um auszuschlafen und auszunüchtern. Freitags hatte er nur im Profil Unterricht, also konnte er leicht an die Informationen kommen, die ihm fehlten. Seine Profilkameradin Ella war das Paradebeispiel eines Strebers, auch wenn sie um Welten besser aussah als das Klischee. Bei ihr würde er problemlos an Material zu den verpassten Stunden kommen.

Alte Lichtblicke

Yo. Ich hoffe, die Favo-Einträge lesen das hier auch. Kommentieren tut ja keiner... *moser* Nya... Ich setz euch mal noch 'n Kapitel vor. Hoffe mal, Bens Englisch ist richtig so... Viel Spaß. ^^
 

Am Wochenende tauchten zwei weitere Opfer des Schwulenblenders auf, was Tobias wieder beunruhigte. Erneut musste er an Ben denken, sich um ihn sorgen. Es kotzte ihn an, dieses Gefühl, dass da etwas schlimmes auf Ben zukam. Am liebsten hätte er Ben jetzt irgendwo in seiner Nähe, damit er ihn gegebenenfalls beschützen konnte vor diesem Serientäter. Seit neuestem schrieb der seinen Opfern den Satz "Homosexualität ist Blindheit" mit Blut auf die Brust, womit klar war, dass es ihm tatsächlich um die sexuellen Neigungen seiner Opfer ging. Und das gefiel Tobias überhaupt nicht, weil es Ben endgültig ins Beuteschema dieses Irren warf. Leugnen war zwecklos.

Tobias saß gerade über seinen Hausaufgaben, die er sich telefonisch von Ella geholt hatte, als das Telefon klingelte. Es war Sonntag Nachmittag und Tobias fiel spontan niemand ein, der als Anrufer in Betracht kam. Seine Eltern waren nicht da, deshalb rappelte Tobias sich von seinem Platz am Sofatisch hoch und schleppte sich zum Telefon in der Küche. Die sommerlichen Temperaturen machten ihn immer ein wenig schlapp.

"Schenker?", brummte er ins Telefon. Normalerweise war er zu Anrufern scheißfreundlich, aber momentan war er einfach zu schlecht drauf. "Hallo, Ben Ende hier. Ist Tobias da?" Tobias zuckte zusammen, als er Bens Stimme hörte. Ben verwechselte ihn am Telefon ständig mit seinem Vater, so wie jeder andere auch. Das konnte zuweilen ziemlich nervig werden, da ihn jeder zweite Callcenterspacken mit Müll zubabbelte, bevor er sagen konnte, dass er Tobias und nicht Felix Schenker war.

"Hallo?" Ben klang ein wenig ungeduldig. "Entschuldige, Ben", meinte Tobias unsicher. "Ich bin's." "Ach, hab ich dich schon wieder verwechselt", lachte Ben. "Tut mir leid." "Drauf gepfiffen", erwiderte Tobias. "Was gibt’s?" Er überging die letzten drei Wochen kurzerhand. Dass Ben wieder mit ihm sprach, kam ihm wie ein Lichtblick vor. "Ich hab keinen Bock mehr, dich anzuschweigen, Koala", sagte Ben direkt. "Ich weiß, es ist nicht unbedingt die einfachste Situation der Welt, wenn der beste Freund in einen verliebt ist, aber können wir nicht trotzdem weiter machen wie vor meinem Geständnis? Du fehlst mir einfach." "Klar!", rief Tobias überschwänglich aus, stockte und lief scharlachrot an. "Äh, ich meine: Klaro", sagte er noch einmal leiser und war für einen Augenblick froh, dass Ben nur angerufen hatte und nicht vorbei gekommen war.

Ben lachte leise. "Danke, Koala", sagte er. Kommste klar mit deinen Hausis?" "Och, die sind so gut wie fertig", lachte Tobias. "Nur Englisch macht mir mal wieder Probleme. Kennst das ja." "Well, maybe you should learn sometimes", fing Ben wie immer auf Englisch an. "Trust me. It will be easy if you learn." "It gives no ground that to do", erwiderte Tobias im grässlichsten Denglisch, das ihm einfiel. "Ouch, you hurt my ears you big meany!", lachte Ben auch gleich wie erwartet. "That was the... Öhm... Zweck of the... Aktion." Tobias wurde sein fettes Grinsen nicht mehr los. Er vergötterte diese Situation: Er selbst laberte Scheißdreck und Ben kam mit schönster Sprache daher. "Woah, now I'm angry with you, Koala. Be careful with what you say!" "You sound like my English teacher", brummte Tobias und musste schon wieder grinsen. "Well that's no big deal", bemerkte Ben ironisch. "Every English teacher would tell you something like that."

"Nun hör schon auf, ich komm nicht mehr mit", lachte Tobias. Ben fiel in sein Lachen mit ein. "Ich sehe schon, du brauchst mal wieder Nachhilfe", bemerkte er. "War wohl Zeit, dass ich anrufe." "Kann man so sagen, ja", seufzte Tobias lächelnd und drückte den Telefonhörer unwillkürlich fester. "Hey, wo du schon mal anrufst, magst du mir nicht mit Englisch helfen?" "If you want me to", erwiderte Ben, klang dabei relativ gleichgültig. "But don't force me to speak German while I help you, okay?" "Geht klar", lachte Tobias. "So lang ich Deutsch sprechen darf." "Of course, Koala", meinte Ben. So lief es jedes Mal ab, wenn sie zusammen Englisch machten. Ben redete permanent Englisch, Tobias verstand nur die Hälfte, während er selbst Deutsch redete und irgendwie war am Ende doch alles richtig.

Auch als Tobias seine Hausaufgaben fertig hatte, telefonierten er und Ben noch lange, obwohl es eigentlich nichts konkretes zu besprechen gab. Ein Wort gab das andere. Im Winter wäre es bereits dunkel gewesen, als Tobias schließlich auflegte und mit seinem breitesten Grinsen in sein Zimmer hüpfte.

Nachdem er sich in einer Pseudo-Superman-Fliegerpose aufs Bett geschmissen hatte, fing er an zu lachen, laut und befreit. Er hatte Ben endlich zurück! Tobias konnte gar nicht ruhig liegen bleiben. Er sprang wieder auf, hüpfte wie ein durchgeknalltes Manga-Girly durch sein Zimmer und freute sich wie das sprichwörtliche Schnitzel. Seine Mutter unterbrach ihn schließlich, indem sie einfach die Tür öffnete.

Tobias tat einen entsetzten Satz nach hinten und schrie auf, als sie plötzlich in der Tür stand. "Mama!" "Mensch, Tobias, was ist denn los mit dir?", wollte sie wissen. "Du schreist hier rum wie ein Verrückter. Ich dachte schon, dir wäre was passiert, als ich durch die Tür kam." Tobias schnaubte. "Mann, Mama, mir ging's grad so gut, du hast mich voll raus gebracht", motzte er.

Sie lächelte, trat ins Zimmer und streichelte Tobias übers Haar. Er zog beschämt den Kopf zurück. "Mama, behandel mich nicht wie 'n kleines Kind, ich werd in sechs Wochen siebzehn!" "Dann fang doch nicht jeden Satz mit Mama an", lachte seine Mutter und zog ihn in ihre Arme. Er gehörte zu den bedauernswerten Söhnen, die ihren Müttern nicht über den Kopf gewachsen waren. Bens Mutter war einen ganzen Kopf kleiner als ihr Sohn. Und Tobias' Mutter konnte ihren Sohn problemlos in ihrer Brust ersticken.

Mit einiger Mühe machte er sich von ihr los und sah sie verstimmt an. "Mannomann, jetzt haste mir die Laune versaut", maulte er, obwohl seine Mutter seiner Laune im Moment herzlich wenig anhaben konnte. Er alberte ein wenig mit ihr herum, seine Mutter verstand so was. "Darf ich dir als Entschuldigung ein warmes Mahl kredenzen?", bot sie an und deutete einen ziemlich albernen Knicks an. Tobias fing unwillkürlich an zu grinsen. "Ein mit Liebe gemachter Becher Schokoladeneis würde mir mehr zusagen", erwiderte er mit seinem schönsten Unschuldsgehabe, inklusive Wimpernklimpern und hoher Stimme. "Sollst du kriegen", meinte seine Mutter schnaubend.

Gesagt, getan, und kurze Zeit später saßen Tobias und seine Mutter bei einem Schälchen Eis am Küchentisch. Während sie noch aßen, kam Tobias' Vater nach Hause. Er gesellte sich zu ihnen, machte sich allerdings lieber ein Käsebrot, da er keine süße Nahrung mochte. Tobias lächelte ununterbrochen. Es war selten, dass sie mal zu dritt am Esstisch saßen, da seine Eltern so gut wie nie gleichzeitig Feierabend hatten. Und am Wochenende war seine Mutter immer bei ihrem kranken Vater im Altersheim, während Tobias' Vater häufig mit Freunden weg ging. In den letzten drei Wochen war Tobias das ganz besonders aufgefallen, weil er nicht mit Ben unterwegs gewesen war.

"Wo wir jetzt grade zusammen sitzen", ergriff Tobias' Vater auf einmal das Wort und Tobias und seine Mutter sahen ihn fragend an. "Wie wäre es, wenn wir mal wieder was als Familie unternehmen?" "Eine großartige Idee, Felix", strahlte Tobias' Mutter und sah ihren Sohn an. "Was sagst du dazu, Tobias?" Tobias zuckte die Achseln. "Wenn ihr 'nen Termin findet", meinte er, "bin ich meinetwegen dabei. So lang ich Ben mitnehmen darf." "Dana, bist du sicher, dass du den Zwilling deines Sohnes ganz bis nach England geschickt hast? Ich glaube, er ist zurück gekommen", bemerkte Felix ironisch. "Tja, tja, das seelische Band", schmunzelte Dana. "Ihr klebt zusammen wie siamesische Zwillinge." "Schlimm?", fragte Tobias mit gehobenen Augenbrauen, schob sich einen Löffel Eis in den Mund und ließ sich das schokoladige Zeug auf der Zunge zergehen. Seine Eltern hatten wirklich wenig Aufmerksamkeit für ihn übrig. Sonst hätten sie gemerkt, dass er in den vergangenen drei Wochen ständig zu Hause herum gesessen und sich gelangweilt hatte.

Das Thema verlor sich, obwohl Tobias durchaus Lust hatte, wieder mal etwas mit seinen Eltern zu machen. Wohlgemerkt nicht ohne Ben, falls es langweilig wurde. Seine Eltern hatten nämlich das hochinteressante Talent, ausgerechnet dann die langweiligsten Themen zu diskutieren, wenn Tobias daneben stand und nicht in sein Zimmer fliehen konnte, weil eben dieses ein paar Kilometer entfernt war.

Genau aus dem Grund hatte er angefangen, Ben immer mitzunehmen, wenn er denn mal etwas mit seinen Eltern unternahm, was das letzte Mal in den vergangenen Sommerferien der Fall gewesen war. Dana und Felix hatten ihn in ein ziemlich überfülltes, aber durchaus cool ausgestattetes Spaßbad geschleppt und waren dann auf den Liegen ins Diskutieren geraten. Tobias und Ben waren derweil schwimmen gegangen.

Als Tobias sich daran erinnerte, fragte er sich mit einem Mal, ob Ben schon damals mehr für ihn empfunden hatte als Freundschaft. Der Gedanke, dass er nur in Schwimmshorts mit Ben durchs Wasser getobt war, wurde ihm plötzlich unangenehm und gleich darauf wollte er sich selbst schlagen. Ben war sein bester Freund und in ihn verliebt, woran keiner von ihnen die Schuld trug. Sie mussten beide damit klar kommen. Und dabei brachte es nichts, sich angenehme Erinnerungen zu versauen.

Murrend begab Tobias sich in sein Zimmer und ließ sich auf sein Bett fallen. Seine Laune war wieder im Keller. Und dass am nächsten Tag Schule war, machte die ganze Scheiße auch nicht besser. Er wollte nicht, dass Ben in ihn verliebt war. Das brachte nur Probleme. Nur etwas dagegen zu tun erwies sich als schwierig. Tobias brauchte Ruhe dafür. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er darauf lange warten konnte.

Tobias' Hand tastete nach den Fernbedienungen auf dem Nachttisch. Die schmalere von beiden war die für seine Anlage. Wenn er sich recht erinnerte, lagen immer noch drei seiner vier Alben von The Rasmus in den CD-Fächern. Um nachzuschauen war Tobias momentan zu faul, daher zielte er einfach auf die Anlage auf dem Regal über ihm und drückte die Play-Taste.

Er hatte sich nicht recht erinnert, aber Sum41 war auch nicht schlecht. Die anderen beiden CDs waren demnach von Negative und Lovex. Die drei Bands hörte Tobias meistens zusammen.

Die Musik war natürlich viel zu laut eingestellt für ein Mehrfamilienhaus, aber das scherte Tobias nicht. Bisher hatten sich die Nachbarn noch nicht beschwert. Das Paar, das unter ihm wohnte, war ohnehin ein Paar von Partymachern. Alle paar Nächte wackelten bei denen die Wände, da durfte Tobias ja wohl mal laute Musik hören.

Mit geschlossenen Augen ließ er sich tiefer in sein Kopfkissen sinken, wollte am liebsten von diesem verschluckt werden. Er freute sich darüber, dass er seinen Freund zurück hatte, er freute sich sogar tierisch darüber. Aber diese Sache mit der Liebe war ein ganz übler Nebeneffekt. Liebe war nie ein Thema für ihn gewesen. Wenn er sich verliebte, dann war es halt so. Bis dahin wollte er seinen Spaß haben. Aber dass Ben in ihn verliebt war, war ein Problem. Ein gigantisches Problem.

Tobias drehte sich frustriert auf den Bauch. Er hatte sich noch gar nicht zum Schlafen umgezogen, war aber irgendwie zu müde, um es noch zu tun. Zähne putzen musste er eigentlich auch noch.

"Tobi, rate mal, was mir eingefallen ist!" Tobias schrak so heftig zusammen, als hätte ihn jemand unvermittelt von hinten umgeworfen. Sein Vater stand urplötzlich in der Tür und strahlte ihn an. "Boah, Papa, geht's noch?", wollte Tobias wissen und warf sich wieder auf den Rücken, nachdem er mit seiner Fernbedienung die Musik ausgemacht hatte.

"Was gibt's?" Felix grinste breit. "Hast du Lust, in den Sommerferien mal wieder Segeln zu fahren?", fragte er. Tobias saß mit einem Mal kerzengrade im Bett. Seit zwei Jahren war er nicht mehr segeln gewesen. Felix hatte seinen Backdecker aus Kostengründen verkaufen müssen. Das Schiff war fast zehn Jahre lang in seinem Besitz gewesen und in allen warmen Ferien waren er und Tobias zu ihm gefahren um zu segeln. Tobias hatte die Fahrten in die Niederlande geliebt. Vier Stunden lang im stickigen Auto zu sitzen war unter allen anderen Umständen zum kotzen, doch diese speziellen vier Stunden von Bremen nach Warns waren seine Privatfahrt zum Himmel gewesen.

"Wie willste das denn machen?", fragte Tobias, hastig seine Begeisterung unterdrückend, falls sich die tolle Vorstellung in Luft auflöste. Felix lachte. "Als ich die First Try damals verkauft habe, habe ich das Geld fest angelegt", erwiderte er. "Der Vertrag läuft in diesem Monat aus, ich könnte mit dem Geld ein Schiff für eine oder zwei Wochen chartern." "Einen Backdecker? Wie die Try? In den Niederlanden", hakte Tobias hibbelig nach. Felix nickte. "Wir könnten sogar direkt in Warns eines chartern", sagte er. "Was hältst du davon, mein Sohn?" "Was ich davon halte?!" Tobias konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er sprang auf und seinem Vater um den Hals. "Mann, Papa, das wäre dermaßen geil!", rief er aus, konnte seiner Freude kaum Ausdruck verleihen, weil ihm die richtigen Worte fehlten. Seine Laune fuhr heute wirklich Achterbahn.

Felix lachte und klopfte Tobias kräftig auf den Rücken. "Nun ist gut, Junge", legte er fest. "Du weißt doch, dass mein Rücken mir Probleme macht." "Sorry", grinste Tobias, konnte aber unter all dem Glück keine Reue empfinden. Die Aussicht, wieder aufs Ijsselmeer fahren zu können, versetzte ihn in eine derartige Hochstimmung, dass er am liebsten wieder wie ein Flummi auf Ecstasy im Zimmer umher gesprungen wäre. "Du kannst natürlich auch Ben mitnehmen, wenn der das möchte", schlug Felix vor. Tobias nickte gut gelaunt. Wäre er in einer anderen Stimmung gewesen, hätte er sich gefragt, was Ben dazu gesagt hätte, doch in seiner momentanen Laune kam ihm nicht einmal der Funken eines Gedankens in diese Richtung. Warum auch? Es ging doch nur ums Segeln.
 

Kleine Anmerkung meinerseits: Ich hab für die meisten Schauplätze Vorbilder aus meiner Umgebung genommen, daher ist Tobias Bremer, damit ich mir seine Welt besser vorstellen kann. Und das Schiff in Warns (liegt in den Niederlanden, surprise, surprise) gab es wirklich... *trauer* Naya, egal. Ich hoffe, das Kapitel findet positive Resonanz.

LG,

Schnullerkai

Interessen

Nya, Kommi hin, Kommi her, ich hau's einfach mal weiter rein, hab ja noch fünf fertige Kapitel. xDD Viel Spaß dabei.
 

Ben schien aus irgendeinem Grund nicht wirklich begeistert von Tobias' Einladung zum Segeln zu sein. Als sie in der Pause vor der Turnhalle in der Sonne saßen und jeder seine eigene Musik hörte, erzählte Tobias Ben davon. Bens Reaktion bestand zunächst aus einem nachdenklichen Grummeln und dem Verschränken seiner Arme. Tobias verzog verwirrt das Gesicht.

"Willst du nicht? Ich meine, wenn dir das zu viel Zeit mit mir ist...", setzte er an, doch Ben unterbrach ihn mit einem verwirrenden Schmunzeln. "Das ist es nicht, Koala", versicherte er. "Es ist nur..." Ein tiefes Seufzen entwich ihm. Tobias wäre in einem Manga jetzt mit ziemlicher Garantie von einem völlig verwirrten, von Fragezeichen umringten Chibi dargestellt worden. In der realen Welt verschwanden lediglich seine Augenbrauen unter seinen rotbraun gefärbten Ponysträhnen. "Kommt da noch was?", fragte er.

Ben schüttelte leicht den Kopf, dann lachte er verlegen. "Ich bin ziemlich anfällig für Seekrankheit", gestand er endlich und kratzte sich im Nacken. "Meine Eltern haben mich mal auf ein Schiff mitgenommen. Das war in ihrer komischen Kreuzfahrtphase. Ich hing die meiste Zeit über dem Geländer, also... naja." "Reling", korrigierte Tobias hüstelnd. "Du hingst über der Reling." Ben fing erneut an zu lachen. "Dass du mich mal korrigieren würdest, hätte ich nie erwartet" schnaubte er belustigt.

"Naja, Sprachen sind dein Fachgebiet, das Segeln ist meines", lächelte Tobias. "Aber Seekrankheit ist ganz einfach zu bewältigen. Bleib einfach an Deck und atme tief durch. Und sollten wir mal dreißig Grad Krängung bekommen, darfst du dich in der Plicht verstecken." Tobias stockte, als Ben ihn ansah wie ein leibhaftiges Fragezeichen. "Okay, was hast du nicht verstanden?", brummte er. Ben grinste. "Die Fachbegriffe", erwiderte er. Tobias seufzte schwer. "Deck ist klar, oder?", hakte er nach. Ben nickte artig. "Okay, Krängung ist die Schieflage des Schiffes und in der Plicht befindet sich die Pinne. Sorry, noch ein Fachbegriff." Ben lachte leise auf und Tobias grinste verlegen. "Mir der Pinne steuert man", fuhr er fort. "Ist wie 'n Steuerrad, nur halt kein Rad, sondern 'ne Stange, die mit dem Ruder verbunden ist. Ich hoffe zumindest, dass wir 'n Schiff mit Pinne chartern. Ich hasse Steuerräder, das kommt so bonzenhaft."

"Und wie schief sind dreißig Grad Krängung?", fragte Ben unsicher nach. Tobias grinste und hielt seine Hand nicht viel weiter nach oben geneigt als waagerecht. "So fühlt es sich zumindest an, aber es geht auch noch heftiger", sagte er, als Ben sichtlich die Luft weg blieb. "Und da kann das Boot nicht umkippen?", fragte Ben weiter. Tobias schüttelte lachend den Kopf. "Das ist das geile an diesen Schiffen. Der Kiel fungiert als Gegengewicht zum Mast. Und je schiefer das Schiff – ein Boot ist übrigens was anderes als ein Schiff – im Wasser liegt, desto geringer wird der Winddruck auf die Segel. Bevor so ein Schiff kentert, muss so einiges passieren. Unsere First Try war wirklich 'n geiles Teil, wenn auch etwas gammelig. Das reinste Stehaufmännchen."

"Okay, was ist ein Kiel und was ist kentern?", brummte Ben. Tobias seufzte lächelnd. "Der Kiel befindet sich am Schiffsrumpf, also an der Unterseite." Ben nickte. "Okay. Der Kiel bildet wie bereits gesagt ein Gegengewicht zum Mast. Am Mast sind übrigens die Segel angebracht, falls dir das Wort auch nichts sagt. Und "kentern" bedeutet nichts anderes als umkippen. Es gibt auch noch das Durchkentern, wenn ein Schiff 'ne halbe Drehung macht und mit dem Kiel nach oben im Wasser liegt, aber ich bin bis jetzt noch niemandem begegnet, dem das passiert ist. Leute, deren Schiff gekentert ist, kenne ich mehrere."

"Und jetzt erwartest du tatsächlich, dass ich mitkomme?", fragte Ben entsetzt. Tobias grinste. "Wie gesagt: Schiffe wie die First Try kentern nicht so leicht. Außerdem biste 'n guter Schwimmer, stress dich doch nicht." Ben lächelte zaghaft. "Außerdem: Wenn du mitkommst, kann ich dir alles zeigen, was du an Fachbegriffen nicht kennst", fuhr Tobias fort, versuchte Ben den Trip in die Niederlande schmackhaft zu machen. Ben wirkte weiterhin alles andere als überzeugt. Tobias seufzte schwer. "Komm schon, Ben, du willst es doch auch!", motzte er, weil ihm beim besten Willen nichts mehr einfiel und Ben fing lauthals an zu lachen.

Tobias spürte, wie er rot wurde, als Ben ihm prustend gegen die Schulter boxte. "Volltrottel", schnaubte Ben. "Okay, ich werd mal gucken, ob ich mich nicht doch überwinden kann", versprach er. "Aber erst mal will ich 'ne Nacht drüber schlafen." Tobias nickte langsam. Ihm war etwas an Ben aufgefallen, das ihn verwirrte. Ben erstarrte für einen Augenblick, als Tobias nach der Halskette griff, die ihm aus dem Kragen gerutscht war.

"Wann haste dir die denn geholt?", wollte Tobias verwundert wissen. Zwischen seinen Fingern hielt er den kleinen, silbernen Koala, der an einer feingliedrigen Kette um Bens Hals hing. Ben zog ihm die Kette beschämt aus der Hand. "Vor zwei Monaten. Ich bin drüber gestolpert, als ich beim Juwelier nach 'nem Geschenk für meine Schwester gesucht hab. Erst wollte ich sie dir geben, aber dann kam mir das zu kitschig vor, also hab ich sie selbst getragen", meinte er und stopfte den kleinen Bären unter sein Shirt zurück.

Sekundenlang starrte Tobias Ben an, bis Ben murrte: "Das hat nichts mit meinen Gefühlen für dich zu tun, Koala. Ich nenn dich schon seit Ewigkeiten so, wenn du dich erinnerst." Tobias wandte verlegen den Blick ab. "Tut mir leid", murmelte er. Ben streckte die Hand aus und verwuschelte ihm kurzerhand die fein säuberlich zerzauste Haarmähne. Lachend entzog Tobias sich Ben und stand auf.

"Lass den Scheiß, ich steh jeden Morgen 'ne halbe Stunde im Bad wegen meinen Haaren." "Wegen meiner Haare", korrigierte Ben wie gewohnt und erhob sich ebenfalls. "Und 'ne halbe Stunde ist nichts gegen die Stunde, die ich mit meiner Frisur zubringe." "Selber Schuld", urteilte Tobias trocken und wandte sich zum gehen. "Die Pause ist gleich vorbei, kommst du?"

Auf dem Rückweg zum Schulgebäude fragte Tobias sich im Stillen, wie Ben sich entscheiden würde. Er wollte ihn wirklich auf dem Schiff dabei haben. Es würde sicher Spaß machen, ihn zum Deckschrubben zu zwingen. Tobias zog ein ironisches Lächeln bei dem Gedanken, als Ben ihn plötzlich anstupste.

"Hm?", machte Tobias verwirrt. "Ich hab dich gefragt, ob du nachher Zeit hast", grinste Ben. "Meine Schwester hat mir 'n neues Spiel mitgebracht. Weißt ja, sie arbeitet in 'nem Gameshop. Haste Lust?" Tobias zuckte die Achseln. "Klingt nicht übel. Gleich nach der Schule?" Ben nickte. "Und was ist das für 'n Spiel?", wollte Tobias wissen. "Ein ordinäres Prügelspiel, genau wie du es liebst", schnaubte Ben belustigt und hielt Tobias galant die Tür zum Gebäude auf. Tobias dankte ihm mit einem übertrieben dienstmädchenhaften Knicks und sie betraten lachend die Schule.

Der Vertretungsplan hatte wie gewohnt nicht zu sagen, dass der Rest des Unterrichts für einen von ihnen ausfiel. Tobias ging wirklich jeden Morgen und in jeder Pause zum Plan und flehte ihn in Gedanken an, ihm frei zu geben, nur um dann drauf zu sehen und zu merken, dass nichts ausfiel und ihn dann zu verfluchen.

"Na dann viel Spaß in deiner nächsten Stunde", grinste Ben. "Boah, leck mich", maulte Tobias. Er hatte nicht die geringste Lust auf seinen zweiten Leistungskurs Pädagogik. Warum er ausgerechnet das Fach gewählt hatte, war ihm schon seit der ersten Pädagogikstunde an dieser Schule ein Rätsel. "Niemand hat dich gezwungen, die Oberstufe zu besuchen", schmunzelte Ben überlegen. "Du hast gut reden, du hast doch den totalen Durchblick in deinen Leistungskursen", jammerte Tobias theatralisch. Ben lachte. "Du hättest das Deutschprofil wählen sollen. Darstellendes Spiel wäre dein Kurs", stellte er fest und wechselte damit erfolgreich das Thema.

Tobias lächelte resigniert. Ben hatte schon Recht, Schauspielerei lag ihm. Aber Tobias konnte nichts mit dem Deutschprofil anfangen. Deutsch fiel ihm nicht schwer, war aber alles andere als sein Lieblingsfach. Und in keinem anderen Profil gab es darstellendes Spiel als Kurs. Er bliebt lieber im Biologieprofil. Bio war einfach, nachvollziehbar und interessant. Außerdem machte es ihm Spaß, am Anfang jeder Stunde nach seinem Flaschenbiotop zu sehen. Seines war nämlich eines der besten, worauf Tobias ziemlich stolz war.

"Komm, Koala, es klingelt gleich", sagte Ben und ergriff Tobias' Arm. Tobias folgte ihm, als er los lief, da sie in den selben Trakt mussten. Es gab sieben Trakte. Sechs davon waren in Zehnerschritten von 10 bis 60 nummeriert, der siebte war der Wissenschaftstrakt, welcher derzeit Renovierungsmaßnahmen unterzogen wurde. Ben hatte jetzt Englisch im Raum 44, Tobias Pädagogik im Raum 40, folglich hatten sie sich beide am 40er-Trakt einzufinden. Lustlos vor sich hin murrend betrat Tobias hinter Ben den Trakt, welcher nur ein Treppenhaus mit jeweils zwei abgehenden Räumen auf den drei Etagen war, und bewegte sich zur in den Keller führenden Treppe, während Ben im Erdgeschoss blieb.
 

Der Rest des Schultages war wie gewohnt ein Warten auf den finalen Schulgong. Und wie jeden Wochentag hätte Tobias die Eingangstür knutschen können, als er sie aufdrückte und endlich in die Freiheit des Nachmittags trat. Ben hatte noch eine Stunde Unterricht und normalerweise wartete Tobias gegenüber der Schule auf ihn im Einkaufszentrum am McDonald's. Heute hatte Tobias allerdings kein Geld dabei, was ihn ziemlich frustrierte. Lust auf ein bisschen Fastfood hatte er nämlich.

Trotzdem lief Tobias zum Einkaufszentrum hinüber. Er hielt sich gern dort auf, obwohl es im Vergleich zu anderen Zentren ziemlich klein war. Aber es gab hier eine Filiale einer großen Buchhandelskette. Tobias las nicht allzu viele Bücher, sein Interesse galt eher der Mangaabteilung. Die fiel in dieser Filiale leider ziemlich klein aus. Die in der Innenstadt hatte mehr zu bieten. Tobias sah trotzdem immer mal wieder nach, ob er einen Manga fand, der ihn interessierte. Und wenn er keinen fand, begnügte er sich mit dem typischen Geruch von Büchern um ihn herum. Er mochte diesen Geruch, er hatte etwas beruhigendes an sich.

Er fand wie eigentlich schon erwartet nichts in dem kleinen Mangaregal in der hintersten Ecke des Ladens. Es waren zwar zwei neue Manga da, die er noch gar nicht kannte, aber sie weckten sein Interesse nicht. Dennoch völlig entspannt bewegte Tobias sich zwischen den Ausstellungstischen zur Schreibwarenecke hinüber. Er besaß kaum noch Patronen für seinen Füller. Nicht, dass er sie hätte bezahlen können, aber Tobias konnte ja schon einmal nachschauen, was sie kosteten. Das vergaß er nämlich immer wieder, weil er jedes Mal einen großen Vorrat anlegte und erst wieder welche besorgte, wenn er höchstens noch zwei hatte.

"1,79", murmelte er sich selbst zu, die Fünferpackung in den Händen haltend. Wenn man bedachte, dass er für den doppelten Preis vierzig mal so viele Patronen für einen billigeren Füller bekam, waren seine Patronen ziemlich teuer. Aber dafür schrieb es sich mit dem teuren Füller auch leichter. Nichts in der Welt hätte Tobias dazu bewegt, sich einen Kugelschreiber zuzulegen oder einen anderen Stift, dessen Schrift man nicht wieder löschen konnte. Dafür machte er einfach zu viele Flüchtigkeitsfehler. Am liebsten hätte er mit Bleistift geschrieben, aber da hatten seine Lehrer ja was gegen.
 

"Hier bist du!" Eine Hand schlug auf seine Schulter. Tobias schrak so heftig zusammen, dass ihm die Patronenpackung aus der Hand fiel. Ben fing an zu lachen. "Mensch, Koala, warst du immer schon so schreckhaft?", fragte er und ging in die Hocke, um die Packung aufzuheben. "Ich habe komplizierte Rechenvorgänge überdacht", behauptete Tobias beleidigt und nahm Ben die Packung aus der Hand, um sie wieder ins Regal zu legen.

"Was machst du überhaupt schon hier? Ich dachte, du hast noch Unterricht?" Ben grinste. "Mein Lehrer hat 'ne Konferenz und musste deshalb weg. Daher hab ich früher Schluss, ist das nicht toll?" Tobias zuckte die Achseln. Ben lächelte plötzlich zaghaft. "Ich hatte 'n bisschen Angst", gab er zu, "dass du nicht mehr auf mich wartest, wenn ich nach dir Schluss habe." Tobias hob die Augenbrauen, dann schmunzelte er und legte eine Hand auf Bens Schulter. "Weitermachen wie früher, oder nicht?", rief er Ben in Erinnerung. "Ich wär ja bei Mc's gewesen, aber meine Geldbörse ist heute etwas magersüchtig drauf." Ben grinste. "Na, dann ist meine ja vergleichsweise fettsüchtig", stellte er fest. "Willste was essen?" Tobias strahlte. "Na klar!", sagte er.

Während sie den kurzen Weg vom Buchladen zum McDonald's liefen, argwöhnte Tobias: "Eingeladen oder ausgelegt?" Ben klopfte ihm mit sanfter Gewalt auf den Rücken. "Du bist doch immer eingeladen, mein armer Koala", behauptete er und Tobias fing mal wieder an zu grinsen. "Das find ich aber nett von dir, Ben", erwiderte er, Bens Worte ernst nehmend, ohne zu wissen, wie ernst sie gemeint waren. Ben schnaubte leise. "Klar bist du eingeladen, du Pfeife." "Ey, Koala war aber netter", lachte Tobias.

Ohne Hektik setzten sie sich an einen der McDonald's-Tische und verspeisten gemütlich ihre Burger und Pommes. Sie beide fuhren mit dem Fahrrad zur Schule und nach Hause, daher mussten sie nicht in den nächsten fünf Minuten los hetzen, um den nächsten Bus zu bekommen.

"Na, schmeckt's?", wollte Ben belustigt wissen. Tobias aß mal wieder viel schneller als er. "Bestens", grinste Tobias unbekümmert und stopfte sich den Rest seines Chickenburgers in den Mund. Als er merkte, dass er die Aufnahmekapazität seiner Mundhöhle etwas überschätzt hatte, hielt er sich verlegen die Hand vor den Mund, um mit offenem Mund kauen zu können, ohne sein Umfeld anzuwidern. "Du bist so ekelhaft", schnaubte Ben grinsend. "Ich weiß", wollte Tobias eigentlich sagen, aber aufgrund seines vollen Mundes klang es eher nach "Üsch weisch". Er schluckte mit einiger Mühe und grinste.

Kopfschüttelnd schob Ben sich eine Fritte in den Mund und liebäugelte mit seiner Cola. Tobias seufzte in sich hinein. Ben hatte die eigenartige Angewohnheit, seine McDonald's-Cola erst einmal eine halbe Ewigkeit lang anzustarren, bevor er den ersten Schluck trank. Das war auch der Grund dafür, dass sie dann und wann bis zur siebten Stunde hier herum saßen. Tobias beobachtete Ben beim zaghaften Nippen und Schlürfen, drückte ihm den einen oder anderen Spruch à la "Vom langsamen Trinken wird die Pseudo-Coke auch nicht weniger Zero" rein, weil er so tierisch langsam war, und hätte sich wohl mit jedem anderen zu Tode gelangweilt. Aber Ben zu beobachten machte Spaß. Tobias konnte sich das auch nicht erklären, allerdings machte mit Ben sowieso der lahmste Bockmist Spaß.

Mit seinen anderen Freunden sah das anders aus. Mit den meisten konnte er nur saufen und Party machen. Das machte natürlich auch Spaß, aber es war etwas völlig anderes als mit Ben. Ben war allerdings auch kein allzu begeisterter Partygänger. Wenn er denn mal eine Party besuchte, verkroch er sich mit einem Bier in eine Ecke und beschäftigte sich mit sich selbst. Tobias wollte jedes Mal lachen, wenn er mitbekam, wie irgendeine süße Schnecke Ben anquatschte. Nicht, dass er beim letzten Mal schon gewusst hätte, wie Ben gepolt war, doch schon damals hatte er gewusst, dass Ben nicht viel mit Mädchen zu tun haben wollte. Mädchen waren ihm zu albern und zu besitzergreifend. Tobias hatte weder das eine noch das andere bei seinen One-Night-Stands wahrgenommen, allerdings blieb er ja gerade deshalb bei One-Night-Stands. In den Krallen eines albernen, besitzergreifenden Mädchens gefangen zu sein stellte er sich nicht sehr angenehm vor.

Das laute Geräusch eines Strohhalms, der über feuchten Boden saugte, ohne etwas aufzunehmen, riss Tobias aus seinen Gedanken. Ben war fertig, befüllte sein Tablett mit Verpackungsmüll und stand auf. "Ich bring das Zeug eben weg, pack du dich schon mal ein."

Tobias hob eine Augenbraue, während er Ben hinterher sah. Er hatte doch gar keine Jacke bei sich, was sollte er da einpacken? Kopfschüttelnd warf er sich seinen Rucksack über die Schulter und schaute eher zufällig hinüber zur Buchhandlung, als ihm ein Mädchen ins Auge fiel.

Das war zugegebenermaßen kein Kunststück, da jeder ihr nachsah. Das wiederum war kein Wunder. Sie hatte einen weißen Kapuzenpullover an, der knapp unter der Brust schon endete. Ihr tierisch kurzer Minirock von hellblauer Farbe bedeckte sie erst wieder ab den Hüftknochen. Dazu trug sie schwarze, kniehohe Schnallenstiefel mit Sohlen, die mindestens zwei Finger dick waren. Ihr braunes Haar fiel offen bis zu ihrer Taille hinab.

Tobias sah ihr wie erstarrt nach und spürte, dass es ihn freute, als er sie in die Buchhandlung und zum Mangaregal gehen sah. Am liebsten wäre er zu ihr gelaufen, hätte sie angesprochen, doch in diesem Augenblick tauchte Ben neben ihm auf und Tobias wollte gerade ihn nicht für ein Mädchen stehen lassen.

"Lass uns gehen", meinte Ben. Tobias nickte, warf noch einen Blick auf das eigenartig eingekleidete Mädchen und folgte dann Ben aus dem Einkaufszentrum. Er bereute es schon irgendwie, diese Chance nicht wahrgenommen zu haben. Das Mädchen war hübsch und offenbar an Manga interessiert. Eigentlich sah sie selbst fast aus wie eine Mangafigur, was Tobias' Neugier auf sie nur noch steigerte.

Doch er hatte es nun einmal unterlassen, sie anzusprechen, und so folgte er Ben zurück aufs Schulgelände, holte sein Fahrrad aus dem Schulkeller und machte sich zusammen mit Ben auf den Heimweg.

Konkurrenz in Sicht

Have fun, 5 Kapitel hab ich noch übrig, bevor es etwas länger dauern könnte. :p
 

Tobias liebte Prügelspiele. Besonders, wenn er Ben besiegte. Während die Anlage Good Charlotte abspielte, schlug Tobias Ben zum bestimmt zehnten Mal in Folge. Ben konnte trotzdem immer noch lächeln. Tobias wusste allerdings, dass Ben in Gedanken die Hände fest um seinen Hals legte und ihn ganz liebevoll erwürgte. So lang er das nur in Gedanken machte, störte sich Tobias allerdings nicht daran.

"Das Spiel ist gut", grinste er, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden. "Klar, für den Prügelmeister", schnaubte Ben belustigt. "Auch Koalas können Talente haben", meinte Tobias selbstgefällig, blockte einen Schlag von Ben und verpasste ihm den letzten Hieb. Bens Muskelprotz fiel mit einem grollenden Todesschrei zu Boden und blieb liegen, während sich Tobias' Charakter im Posen übte.

"Reicht's dann bald?", fragte Ben mit einem doch etwas gequälten Lächeln und legte seinen Controller beiseite. "Schon genug?", entgegnete Tobias großspurig. "Kann ich verstehen, ich bin eben unschlagbar." Ben knuffte ihn grinsend in die Seite. Sie beide fingen an zu lachen. Um eben diese Nachmittage hatte Tobias gebangt, als Ben ihm so Knall auf Fall seine Liebe gestanden hatte. Die Freiheit, mit Ben herumzualbern, ihn zu ärgern und trotzdem zu wissen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war.

"Was war eigentlich mit dem Mädel, das dir fast die Augen aus dem Kopf gezogen hat?", riss Ben Tobias aus seinen Gedanken. Tobias sah ihn verwirrt an. "Du hast das mitbekommen?", murmelte er verlegen. "Das hätte jeder mitbekommen, Koala", schmunzelte Ben. "Also, was war mit ihr? Biste an ihr interessiert?" Tobias errötete. "Naja, sie nicht zu bemerken ist schwer bei den – ich nenn's mal Klamotten", fing er an. "Und sie ist offenbar an Manga interessiert. Ich kenn ja kaum Mangafreunde in meiner näheren Umgebung und da dachte ich, ich könnte sie vielleicht kennenlernen." "Und warum hast du's nicht einfach gemacht?", wollte Ben verwirrt wissen. "Weil du dabei warst", erklärte Tobias. Das war für ihn selbstverständlich. "Das wäre doch scheiße von mir gewesen, dich stehen zu lassen." Ben seufzte leise, lächelte dann aber sanft. "Danke, Koala", meinte er. "Aber ich hätte dich gehen lassen, wenn du was gesagt hättest."

Tobias seufzte schwer. "Wenn du so was sagst, fühl ich mich nur noch blöder dabei, dass ich sie nicht angesprochen hab", stellte er fest und betrachtete seinen noch immer herum posenden Charakter auf dem Bildschirm. Kopfschüttelnd drückte er auf seinem Controller herum und das Bild erlosch. Kurz darauf erschien der Startbildschirm.

Ben stand auf und schaltete die Konsole aus. Der Bildschirm präsentierte sich nun in einem penetranten Blau, doch auch das verschwand, als Ben den Powerschalter des Fernsehers drückte. "Ich denke, du solltest sie ansprechen, wenn du sie noch mal siehst", meinte er.

Tobias lag die Frage auf der Zunge, ob Ben das nicht störte – schließlich war dieser in ihn verliebt – doch er schluckte sie wieder hinunter. Je seltener das Thema auf den Tisch kam, desto besser. Vielleicht würde Ben seine Gefühle wieder loswerden und sie konnten wieder ganz normale Freunde sein, so wie sie es gerade vorgaben zu sein. Tobias hoffte wirklich darauf, dass er nur lang genug warten musste.

"Lass uns Hausaufgaben machen", schlug Ben vor. Tobias hob eine Augenbraue, nickte dann aber. Er hatte keine Lust auf Hausaufgaben, allerdings hatte er die nie. Darauf zu warten hatte also wenig Sinn. Er griff also nach seinem Rucksack neben dem Bett, kramte seine Schulsachen heraus und suchte nach seinen Notizen, was die Hausaufgaben anging. Ben setzte sich neben ihn und tat es ihm gleich.

"Na, was gibt’s in Englisch?", fragte Ben interessiert. Tobias schnaubte. "Ich soll so 'nen beknackten Text lesen und zusammenfassen. Du machst das nicht für mich, oder?", fügte er mit einem gekonnten Dackelblick hinzu. Ben schmunzelte. "I'm afraid I can't", sprang er wie gewohnt aus seiner Muttersprache und holte ein Buch aus seinem Rucksack. "Musste schon wieder ein Kapitel zusammenfassen?", brummte Tobias. "Yeah, I think so", nickte Ben. "And I won't write two different summaries. You know I'm lazy by nature."

Tobias schüttelte leicht den Kopf und schnappte sich seinen Block sowie seinen Text. Englisch war wirklich nicht sein Ding. Irgendwann fragte er Ben nach einer Formulierung. Ben legte sein Buch beiseite und beugte sich zu Tobias hinüber.

"Bloody hell, your English hurts", stieß er hervor und wandte theatralisch den Blick ab. Tobias boxte ihm in die Seite und Ben wandte sich ihm wieder zu. "Na gut, lass mal sehen. Wenn ich jetzt Englisch rede, kapierst du gar nix mehr." Ben verbrachte also die nächsten fünf Minuten damit, Tobias ein wenig Englisch einzuflößen. Er rückte dabei ziemlich nah an Tobias heran, was dieser billigend in Kauf nahm. Er störte sich nicht an Bens Nähe.

"Und das ist eigentlich alles, was du wissen musst, Koala. Deine Grammatik ist zum sterben, also mach was dran." "Was willst du? Der Förderkurs knutscht mit unseren Sportstunden", brummte Tobias, obwohl er ohnehin bezweifelte, dass er im Förderkurs etwas gelernt hätte. Sprachen waren Gefühlssache, die Aufnahmefähigkeit dafür war angeboren. Zumindest, wenn man Ben Glauben schenken durfte. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie für Englisch gelernt, keine Vokabeln aufgelistet. Er sprach Englisch einfach, spielte englische Spiele, genoss den Umgang mit der Sprache. Der schulische Aspekt der Sprache interessierte ihn nicht einmal und auf die vielen Einsen in seinen Arbeiten aus der Mittelstufe gab er nichts. Ben liebte Englisch und das war der einzige Grund für sein grandioses Verständnis dieser Sprache.

Tobias beneidete ihn nicht darum. Er fand es nur schade, dass er selbst kein Fachgebiet hatte, das er auf die Schule anwenden konnte. Seine Steckenpferde waren Manga und Segeln, damit gewann man im Unterricht keinen Blumentopf. Entsprechend durchschnittlich waren seine Leistungen, aber immerhin kam er zurecht. Und wenn er Probleme hatte, gab es immer noch Ben.
 

Tobias blieb noch zum Abendessen bei Ben. Bens Eltern waren ein tierisch nettes Paar, obwohl Ben sich manchmal für sie zu genieren schien. Als Ben Tobias das erste Mal zu sich nach Hause eingeladen hatte, hatte er ihn im Vertrauen vor seinen Eltern gewarnt: "Gäste sind bei uns so was wie Mastschweine in einer Quizshow. Meine Eltern füttern dich bis zum Platzen und fragen dich nebenher aus, also sei vorsichtig."

Tobias störten die neugierigen Fragen von Bens Mutter nicht. Sie fragte ihn nach seinen Schultagen, nach seinen Hausaufgaben, nach seinem Befinden und nach seiner Freizeit. Das waren Fragen, die Tobias gern von seiner eigenen Mutter gehört hätte. Da diese ihn allerdings nie fragte, freute Tobias sich sogar über Bens Mutter. Und weil Bens Vater bis vor zwei Jahren als Chefkoch in einem 3-Sterne-Restaurant gearbeitet hatte, war das Essen sowieso immer erste Sahne. Da spielte Tobias gern Mastschwein.

Heute war auch Bens Schwester Anna anwesend. Sie wohnte eigentlich praktisch bei ihrem Freund, mit dem sie schon seit vier Jahren zusammen war, deshalb fand man sie nur selten am familiären Esstisch vor. Tobias hatte aufgrund ihrer gemeinsamen Liebe zu Prügelspielen einen guten Draht zu Anna. Manchmal fühlte er sich in Bens Wohnung mehr zu Hause als in seiner eigenen. Er unterstellte seinen Eltern nicht, ihn nicht zu lieben, aber Bens Eltern ließen ihn ihre Zuneigung eher spüren.
 

"Und? Seid ihr fertig mit den Hausaufgaben?", kam die bekannte Frage schon nach den ersten Bissen der selbstgemachten Lasagne. Bei Ben gab es das eigentliche Mittagessen immer abends. Tobias nickte, da sein Mund zu voll war, um auf diesem Wege zu antworten. "Und was hattet ihr so auf?" Tobias musste erst einmal fertig kauen, aber da sprang auch schon Ben für ihn ein. "Zusammenfassungen in Englisch, ein paar Rechnungen in Mathematik und ein paar Definitionen von biologischen Fachbegriffen", leierte er elanlos hinunter.

Tobias nickte leicht und konnte endlich schlucken. "Ich kam mit Englisch mal wieder gar nicht klar, da musste Ben mir helfen", grinste er. Ben schnaubte. "Und wie ich der Null helfen musste", bemerkte er trocken und machte sich mit seinem Essen mundtot. Seine Mutter wirkte leicht verwirrt.

Anna wechselte das Thema, indem sie Tobias fragte, was er von dem Spiel hielt. Tobias grinste erneut. "Ziemlich cool. Danke, dass du's Ben angedreht hast." Anna lachte leise. "Gern geschehen", erwiderte sie. "Ich nehme nicht an, dass du auch nur einmal verloren hast?"

Ben stand plötzlich auf, verkündete, keinen Hunger mehr zu haben, und verzog sich in sein Zimmer. Tobias sah ihm verwirrt hinterher. "Was'n nun los?", fragte er besorgt. Anna winkte ab. "Der hat nur mal wieder seine Tage", grinste sie. Tobias' Sorgen regelte sie damit nicht herunter. Er stand ebenfalls auf, bat Bens Familie um Entschuldigung und folgte Ben.
 

Ben lag auf seinem Bett, die Beine angewinkelt und leise vor sich hin summend. Tobias kannte die Melodie. "Pieces" von Sum41. Es war einer von Bens Lieblingstiteln und es kam nicht allzu selten vor, dass er ihn vor sich hin summte, wenn ihn etwas beschäftigte.

"Was ist denn los, Ben?", wollte Tobias wissen und setzte sich neben Bens Füße. Ben verstummte und sah Tobias für einen Moment still an, dann sagte er: "Sorry, Koala, ich fühl mich grad 'n bisschen gallig. Hat nichts mit dir zu tun. Ich würd dich jetzt bitten, nach Hause zu gehen, okay?" Tobias nickte, stand auf und ging zur Tür. "Wenn du nicht klar kommst, kannste gern zu mir kommen, Ben", bot er noch an. Ben nickte mit einem matten Schmunzeln, dann verließ Tobias das Zimmer und ging sich noch von Bens Familie verabschieden, bevor er die Wohnung verließ.
 

Es nieselte. Tobias befreite seufzend sein Fahrrad aus dem Fahrradständer vor der Eingangstür des Hauses und wischte mit dem Saum seines T-Shirts über den Sattel. Einen nassen Hintern würde er wohl trotzdem bekommen. Kopfschüttelnd machte Tobias seinen Dynamo klar, obwohl es noch relativ hell war, schwang sich aufs Rad und fuhr los.

Zwei Straßen vor seiner eigenen musste er allerdings spontan in die Bremsen steigen. Ein großer Umzugswagen versperrte die Straße, aber das war gar nicht Tobias' Problem. Neben dem Wagen stand, mit einem großen Karton im Arm, das Mädchen aus der Buchhandlung. Sie lief jetzt in sehr viel normaleren Kleidern herum, nämlich Jeans und langem Pullover, aber es war definitiv dieses Mädchen.

Tobias sprang vom Rad, stellte es kurzerhand auf dem gegenüberliegenden Gehweg ab und lief zu dem Mädchen hinüber. Sie unterhielt sich gerade mit einem Kerl in Latzhosen und gammeligem Pullover, schien aber in dem Moment, in dem Tobias ankam, ihr Gespräch zu beenden und wandte sich ab, um zu einem Haus mit offener Tür zu gehen.

"Hey, warte mal!", rief Tobias gedämpft aus. Sie drehte sich mit fragendem Blick wieder um. "Was gibt’s? Haste was verloren?", fragte sie und klang dabei erstaunlich ernst. Tobias lachte und schüttelte den Kopf. "Nein, nein, ich hab dich heute im Buchladen gesehen, du standst grad in der Mangaabteilung." "Ach, da", schmunzelte sie. "Das nennste 'ne Abteilung? Das war grad mal 'ne Regalzeile. Dabei sind Manga doch die einzig waren Bücher." Sie schüttelte den Kopf. Ihr braunes Haar flog hin und her.

"Und wo warst du?", wollte sie wissen. "Ich hab dich nämlich nicht gesehen." "Ja, ich stand am McDonald's. Ich hätte dich ja gleich angesprochen, aber mein Kumpel hatte es eilig." Sie lächelte sachte, dann setzte sie ihren Karton ab und reichte ihm die Hand. "Monami", stellte sie sich vor. Tobias hob die Brauen, ergriff die Hand und erwiderte: "Tobias. Monami ist kein deutscher Name, oder?"

Monami lachte. "Entschuldige bitte, mein Name ist Lena, aber seid ich Manga lese, nenne ich mich Fremden gegenüber ganz automatisch Monami. Der Manga, aus dem ich den Namen hab, spielt in Korea, aber ich weiß nicht, ob der Name auch von da kommt." "Dann nenne ich dich auch Monami", beschloss Tobias achselzuckend. Monami lächelte.

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte Tobias: "Ziehst du hier grad ein?" Monami lächelte ironisch. "Nee, ich wollte hier nur meine Möbel abstellen, weißte?", erwiderte sie, dann lachte sie. "Natürlich ziehe ich hier ein, meine Eltern sind grad mit dem zweiten Möbelwagen auf dem Weg hierher."

Tobias mochte Monamis Lachen. Es war nicht so schrill wie das vieler Mädchen, die er kennen gelernt hatte. Aus einem plötzlich Anflug von Hilfsbereitschaft heraus bot er Monami an, ihr beim Schleppen zu helfen, doch sie lehnte zu seiner Enttäuschung ab.

"Hör mal, Tobias, ich find das echt nett von dir, aber meine Eltern killen mich, wenn ich jemanden in die Wohnung lasse. Sorry." "Ach, schon in Ordnung", meinte Tobias achselzuckend. "Krieg ich dafür deine Handynummer?" Monami schmunzelte. "Interessante Anmache, mein Lieber. One moment." Sie griff in ihre hintere Hosentasche und zog einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber heraus. Zwanzig Sekunden später hatte Tobias ihre Handynummer und schob sie sich grinsend in die Hosentasche. Monami war tatsächlich das erste Mädchen, dass er nach seiner Handynummer gefragt hatte.

"Hey, krieg ich deine nicht?", lächelte sie unvermittelt. Tobias schüttelte amüsiert den Kopf. "Ich möchte doch, dass du auf meinen Anruf wartest", meinte er im besten Pseudoflirttonfall, den er hinbekam. Monami verzog das Gesicht, als müsse sie ein Lachen unterdrücken. Tobias setzte noch einen drauf und legte ein total miserables Verführerlächeln auf, das Monami den Rest gab. Sie fing an zu prusten und boxte ihm kichernd gegen die Schulter. Tobias lachte. "Du bist total behämmert", stellte Monami atemlos fest. "Ich glaub, ich mag dich."

Tobias stockte für einen Moment, dann lächelte er sachte. "Dito", meinte er. "Hast du Lust auf 'n Treffen demnächst? Ich würd gern wissen, was du so für Manga liest." "Na klar!", zeigte Monami sich begeistert. "Wie wär's mit gleich morgen? Ich werd wohl bis halb eins Schule haben, wenn ich richtig zugehört hab." "Alles klar, ich hab um viertel nach eins Schluss", meinte Tobias. "Soll ich dann um zwei herkommen oder treffen wir uns wo anders?" Monami zuckte die Achseln. "Wenn du meine Manga sehen willst, solltest du vielleicht herkommen", überlegte sie und schob die Hände in die Hosentaschen. Die Art, wie sie dabei die Schultern zurück zog, betonte ihre ziemlich ausgeprägte Oberweite, die Tobias bisher noch gar nicht wirklich aufgefallen war, was ihn selbst verwunderte.

Rasch fixierte er mit seinem Blick wieder ihr Gesicht. "Okay, dann morgen um zwei hier. Wo muss ich klingeln?" Monami verzog das Gesicht. "Bierke", brummte sie, als wäre ihr Nachname etwas schlimmes. Tobias nickte. "Alles klar", sagte er, atmete einmal tief durch und hob Monamis Karton auf, um ihn ihr hinzuhalten. "Hast ja mächtig was zu schleppen, Monami", stellte er fest. Monami lächelte. "Ja, eine Leidenschaft wiegt schwer", sagte sie geheimnisvoll. "Ich muss das jetzt hochbringen", eröffnete sie dann. "Bis morgen, Tobias. Ich freu mich."

"Ich mich auch", erwiderte Tobias ehrlich. "Tschüss." Damit wandte er sich um, schnappte sich sein Fahrrad und fuhr den kurzen Restweg nach Hause.
 

"Geht’s dir heute besser?" Tobias blickte frustriert nach draußen. Es regnete in Strömen, weshalb er und Ben auf der Bank vor dem 50er-Trakt saßen. "Ja, es geht", meinte Ben, klang aber nicht sonderlich gut gelaunt. "Ganz sicher?", hakte Tobias sicherheitshalber noch mal nach. Ben seufzte schwer. "Koala, ich kämpfe derzeitig 'n bisschen mit meinem Herzen", meinte er. "Den Grund dafür kennst du ja. Ich will dich damit nicht belasten. Außerdem würde es mir nicht helfen, ausgerechnet dich damit zuzutexten."

Das war einleuchtend. Tobias nickte bedrückt und seufzte leise. Er wollte Ben von Monami erzählen, aber er hatte Angst, seinen besten Freund damit zu belasten. Es war durchaus denkbar, dass Ben in Monami eine potenzielle Konkurrentin sehen würde. Bei dem Gedanken ging es Tobias gar nicht um Liebe, sondern um Freundschaft. Monami war ein Mangafan, was Ben nicht von sich behaupten konnte. Und aufgrund von Bens Gefühlen für Tobias hatte sich eine kleine aber spürbare Distanz zwischen ihnen gebildet. Tobias befürchtete, Ben könne Angst bekommen, ihn an Monami zu verlieren.

"Hey, Koala", meinte Ben plötzlich leise und stupste Tobias an. "Du denkst doch über was nach, oder?" Tobias stockte. "So mehr oder minder", spielte er seine Gedanken herunter. Ben schnaubte belustigt. "Komm, erzähl. Ich war auch ehrlich." Tobias seufzte schwer. "Egal, was ich dir erzähle, du bleibst mein bester Freund, alles klar?", wollte er klarstellen und Ben nickte mit verwundertem Blick.

"Ich hab das Mädchen aus dem Einkaufszentrum getroffen", erzählte Tobias zögerlich. "Wir treffen uns heute Nachmittag und... Naja..." Ben hob eine Augenbraue. "Sie gefällt dir", vermutete er. "So in etwa", gab Tobias zu und kratzte sich im Nacken, während er seine Zungenspitze zwischen die beiden Piercings an seiner Unterlippe schob. Eine Nachdenkermarotte von ihm. Betreten blickte er zu Boden, erwartete fast schon, dass Ben aufstand und ging, als eben dessen Hand plötzlich auf seiner Schulter lag.

"Wäre ich 'n Mädchen, würd ich ja um dich kämpfen", meinte Ben vermeintlich amüsiert. "Aber da du nicht auf Männer stehst, solltest du sie dir nicht durch die Lappen gehen lassen." Tobias nahm Ben sein unbekümmertes Lächeln nicht ab. Er selbst war noch nie wissentlich verliebt gewesen, doch Bens Verhalten war unlogisch. Wer übergab denn seinen Schwarm freiwillig an eine andere Person? Das kam selbst einem liebestechnischen Außenseiter wie Tobias Spanisch vor.

Tobias verschwieg Ben seine Überlegungen. Es hätte wahrscheinlich eh nichts gebracht, ihn damit zu konfrontieren. Zumindest nichts, das keine Probleme bedeutet hätte. Tobias schwieg also, während seine Gedanken sich allmählich wieder um Monami zu drehen begannen. Es verwirrte ihn selbst ein wenig, dass er sich so viele Gedanken um sie machte. Plötzlich interessierten ihn Banalitäten, die sie betrafen. Und dann war da auf einmal diese seltsame Frage, was sie wohl von ihm halten mochte, obwohl die nach diesem kurzen Gespräch vom Vorabend ziemlich übereilt war. Nichtsdestotrotz hielt sie sich hartnäckig in seinem Kopf.
 

Als Tobias an diesem Nachmittag zu Monami radelte, nieselte es schon wieder. Mit entsprechend feuchten Haaren und Klamotten stand er schließlich vor ihrem Haus, vor dem sich sogar ein kleiner Fahrradständer fand. Tobias schloss sein Fahrrad ab und suchte zwischen den vielen Klingelschildern den Namen Bierke.

Monami begrüßte ihn in ihren übertrieben knappen Kleidern im vierten Stock. Ihre grünen Augen funkelten freudig, als sie ihn herein winkte. Wohlerzogen wie er war, zog Tobias seine Schuhe unaufgefordert aus, hängte seine Jacke in die Garderobe neben der Tür und folgte dann Monami in ihr Zimmer.

Sie hatte noch nicht allzu viel eingeräumt. An einer Wand standen noch ein paar volle Kisten herum. Monami grinste verlegen, als Tobias sich umsah. "Jaha, ich hab erst mal die wichtigsten Sachen ausgepackt", rechtfertigte sie sich unnötigerweise. "PC, Musik, PS2 und Manga. Naja, und mein Plüsch-Gatomon." Tobias schmunzelte unwillkürlich, als er besagtes Plüschtier auf dem Bett sitzen sah. "Magst du Digimon?", fragte er neugierig. Monami zuckte die Achseln. "Den Anime fand ich ganz lustig, jedenfalls die erste Staffel. Den Manga hab ich nirgends gefunden. Gato hab ich auf'm Freimarkt gewonnen, ich wollte kein Werder-Kissen."

Tobias hob das katzenartige Digimon hoch und betrachtete es schmunzelnd. Der Schwanz war offenbar schon einmal abgerissen und wieder angenäht worden, denn die Nähte zwischen Schwanz und Körper waren ziemlich schlampig und mit einem Garn der falschen Farbe gemacht. "Armes Gatomon", scherzte er. "Hast ihm glatt den Schwanz abgerissen." Monami lachte verlegen, nahm Tobias das Plüschmonster aus der Hand und setzte es zurück aufs Bett. "Ich hab dieses Vieh schon seit 'n paar Jährchen, so was passiert schon mal."

Monami besaß defenitiv mehr Manga als Tobias. Mindestens 200 Manga reihten sich in mehreren Regalreiehen aneinander, gewissenhaft sortiert nach Mangaka und Serie. Während Tobias einige Bände stichprobenartig aus dem Regal zog und flüchtig durchblätterte, fiel ihm auf, dass Monami typische Mädchenmanga las, obwohl auch die komplette Dragonball-Reihe im Regal stand.

"Wah, das sind ja Männer!", rief Tobias irgendwann irgendwo zwischen Entsetzen und einem Anflug von Ekel aus. Sein Blick haftete auf der homoerotischen Sexszene des Mangas, den er gerade in der Hand hielt. Bis auf die gerade einmal angedeuteten Genitalien war die ganze Szenerie sehr explizit dargestellt. Monami trat lachend neben Tobias. "Klar sind das Männer, sonst wäre das ja kein Yaoi, oder?" "Yao-was?", fragte Tobias, noch immer entsetzt. Monami nahm ihm gnädig den Manga ab und stellte ihn zurück ins Regal. Der Rücken sagte Tobias, dass dieser eigenartige Manga von einer Hinako Takanaga war.

"Yaoi", wiederholte Monami und es klang, als genieße sie dieses Wort. Tobias verstand weiterhin nur Bahnhof, daher zog er ein möglichst verwirrtes Gesicht. "Schwulenmanga, wenn du's profan haben willst", seufzte Monami kopfschüttelnd. "Mein Lieblingsgenre", fuhr sie dann grinsend fort. "Das Problem ist nur, dass man mit so 'nem Spleen ziemlich schwer an Männer rankommt, weil die mit so was nicht klarkommen. Seit ich Manga lese bin ich single, ist das ein schlechtes Omen?" Sie lachte.

Tobias konnte nur trocken lächeln. Er musste schon wieder an Ben denken. Immer, wenn er das Wort "schwul" hörte, musste er an Ben denken und das kotzte ihn allmählich an. "Lassen wir das Thema", bat er. "Ich bin nicht schwulenfeindlich oder so, aber das Thema deprimiert mich aufgrund von Privatsachen." Monami hob für einen Moment neugierig die Augenbrauen, doch sie fragte nicht nach. Tobias hätte ihr ohnehin nichts von Ben erzählt. So sympathisch sie ihm auch war, ging sie Bens Homosexualität überhaupt nichts an.

Nach einer kurzen Pause bot Monami Tobias etwas zu trinken an,was er dankend annahm. Mit einem Glas Cola bewaffnet erkundete Tobias wieder Monamis Mangaregal, während er Monami von seinen eigenen Manga erzählte. Sie zeigte sich interessiert, bat sogar darum, sich den ein oder anderen Manga ausleihen zu dürfen, was Tobias ein seltsames Gefühl von Bestätigung gab.

Tobias fühlte sich wohl, während er mit Monami sprach. Sie wusste offenbar um einiges mehr über Manga als er, aber sie gab nicht damit an. Nichtsdestotrotz erzählte sie ihm gern, was sie wusste. Sie kicherte nicht zu viel, doch sie war leicht zum lachen zu bringen und ihr Lachen war das, was Tobias am ehesten mit "süß" beschreiben konnte. Er konnte es schlecht leugnen: Sie gefiel ihm wirklich, trotz des seltsamen Schwulenspleens, wenngleich ihn selbiger ein wenig verstörte.

Im Laufe des Nachmittags untersuchte Tobias unbekümmert Monamis Zimmer, während sie es weiter einräumte. Ihre CD-Sammlung enthielt viele Gruppen, die Tobias überhaupt nicht kannte. Es fanden sich vorrangig weibliche Interpreten, allerdings keine Sängerinnen wie Rihanna oder Beyoncé. "Hat keinen Wiedererkennungswert", kommentierte Monami, als Tobias sie danach fragte. "Klingen alle gleich. Auch diese komischen Pussycat Dolls, total langweilig. Aber die besten CDs hab ich ja noch gar nicht ausgepackt."

Geheimnisvoll öffnete Monami den inzwischen letzten Karton und entnahm ihm gerade einmal zwei CDs. "Mehr hab ich nie gefunden. Und irgendwie ist mein Hirn zu korrekt, als dass ich mir was aus'm Netz ziehen könnte, obwohl ich weiß, wie ich an die entsprechenden Programme ran komme." Monami drückte Tobias die CDs in die Hand. Das Cover der einen war total düster und wirkte fast depressiv. Das andere war ein Albtraum aus Rosa und Pink.

"Und was ist das?", fragte Tobias verwirrt. "GazettE und AnCafe", erwiderte Monami und Tobias war genau so schlau wie vorher. "Häh?", machte er also. Monami grinste. "Das, mein Lieber, ist J-Rock", erklärte sie. "Japanischer Rock. Ich versteh kein Wort und die Übersetzungen im Netz sind irgendwie alle unterschiedlich, aber die Japaner verstehen was von Musik. Lust, mal reinzuhören?" Tobias zuckte die Achseln und nickte dann. Es gab ja nichts zu verlieren, weshalb hätte er also ablehnen sollen?

Einige Lieder später war Tobias klar, dass er bei Europäischer und Amerikanischer Musik bleiben würde. Ganz davon abgesehen, dass er kein Wort Japanisch sprach, gefiel ihm der fremdartige Stil der beiden Gruppen nicht sonderlich. Monami schien ein klein wenig enttäuscht, redete ihm aber nicht rein. Sie konnte ja schlecht seinen Musikgeschmack verändern.
 

Als Tobias sich allmählich mit dem Gedanken anfreundete nach Hause zu fahren, schlug Monami vor, in den nächsten Tagen zu ihm zu kommen. Tobias gab ihr gern seine Adresse, obwohl ihm der Gedanke, aufräumen zu müssen, so gar nicht behagte. Er freute sich darauf, ihr zu zeigen, was er so an Manga zu bieten hatte, obwohl seine 32 Manga starke Sammlung neben ihrer verblasste.

Monami stand still neben ihm, während er seine Jacke und Schuhe anzog. Danach bot sie ihm noch an, ihn nach unten zu begleiten, doch er lehnte dankend ab. Bevor er allerdings ging, fiel ihm noch eine Frage ein.

"Sag mal, Monami...", fing er an und strich seine Jacke unnötigerweise ein wenig glatt. Monami sah ihn fragend an. "Was gibt’s?" "Nimm mir die Frage nicht übel, aber wieso rennst du eigentlich in diesen tierisch knappen Sachen rum?" Monami stockte für einen Augenblick, dann lächelte sie. "Naja", meinte sie und klopfte imaginären Staub von ihrem Rock, "es gefällt mir einfach. Und ich schwitze sehr leicht, während ich kaum friere, deswegen kann ich keine allzu großflächigen Sachen anziehen. Aber sei ehrlich: Hässlich sehe ich darin nicht aus, oder?" Sie schmunzelte hinterlistig. "Nein, nein, keineswegs, steht dir gut", erwiderte Tobias rasch. "Ich war nur neugierig."

Monami lächelte, dann packte sie Tobias bei den Schultern und schob ihn zur Tür. "So, deine Neugier ist dann wohl befriedigt", meinte sie. "Ich muss noch 'n bisschen Sachen einräumen und meine Eltern kommen auch bald nach Hause. Wenn die von dir erfahren, wollen die dich gleich mit mir verheiraten und danach steht mir der Sinn nicht so wirklich vor dem Gesichtspunkt, dass ich dich gestern erst kennen gelernt hab, also insofern..." Tobias lächelte amüsiert. Sie sprach so schnell, als wolle sie ihn unbedingt loswerden, aber es hatte nichts verletzendes. "Schon in Ordnung, Monami. Bis demnächst." "Bis demnächst. Ruf mich an, wenn du Zeit hast", erwiderte Monami gut gelaunt und schob Tobias zur Tür hinaus.

Küsse zum Geburtstag

*mupf* Viel Spaß beim Lesen. ._.
 

In den nächsten Wochen traf Tobias sich sehr häufig mit Monami. Nachdem sie einander gründlich auf Manga- und Musikgeschmack untersucht hatten, gingen sie öfters zusammen in die Stadt, um die Mangaabteilungen der ansässigen Buchläden zu durchforsten. Und wenn die nichts hergaben, versuchte Monami, Tobias zum lesen anderer Bücher zu bringen. Sie kannte viele Bücher und auch viele Autoren, empfahl diesen und lehnte jenen ab, ohne allerdings zu vergessen, dass sie Tobias nur ihre eigene Meinung anbieten konnte.

Tobias war nicht der größte Leser. Für ihn gab es außer Manga kaum interessante Bücher. Neben seinen Manga fanden sich gerade einmal eine Hand voll Fantasybände und die Bibel. Dass er eine hatte, hatte Monami mit Belustigung quittiert. Tobias hatte sie nie weggeworfen, nachdem er sich aus Habsucht heraus hatte konfirmieren lassen. Eigentlich hatte er sie immer mal lesen wollen, weil ihn der Glaube interessierte, aber er war nie dazu gekommen. Monami war kein Mitglied der Kirche. Ihr kam es heuchlerisch vor, sich ohne Glauben taufen zu lassen, allerdings waren ihre Eltern wohl auch bekennende Atheisten.

Nichtsdestotrotz hörte Tobias Monami gern zu, wenn sie ihm diverse Bücher vorschlug, ihm erzählte, was ihr an diesem und jenem Autor besonders gut oder gar nicht gefiel. Tobias hatte nicht wirklich vor, auch nur eines der Bücher zu kaufen, von denen Monami sprach, aber das tat ja nichts zur Sache.

Wenn sie gerade nicht in der Stadt waren, brachte Monami Tobias bei, dass es nicht unbedingt langweilig sein musste, mit Mädchen Konsolenspiele zu spielen. Tobias selbst war genau so gehässig wie Monami, wenn er gewann, trotzdem war ihr Gehüpfe, wenn sie ihn besiegte, schon etwas nervig. Und das schlimmste daran war, dass sie durchaus fähig war, ihn zu besiegen.

Irgendwann hatte Tobias keine Lust mehr, sich virtuell mit Monami zu prügeln. Draußen war es inzwischen ohnehin zu heiß, um allzu lang drinnen zu bleiben. Besonders, wenn man wie Tobias schwarze Jalousien hatte und diese immer runter zug, damit der Fernseher keine nervigen Lichtspiegelungen aufwies. Die Jalousien gaben die aufgefangene Hitze an Tobias' Zimmer ab. Mehr als schlafen tat Tobias schon gar nicht mehr in seinem Zimmer.

Eigentlich waren er und Monami beide schon so oft zusammen unterwegs wie ein Pärchen, fand Tobias. Mal gingen sie schwimmen, dann wieder ins Eiscafé, nicht allzu selten in die Stadt und einmal waren sie auch im Kino gewesen. Monami hatten einen sehr offenen Filmgeschmack, daher hatten sie tatsächlich einen Streifen gefunden, der sie beide interessierte. Eine ziemlich sinnlose Komödie, die Tobias die Lachtränen in die Augen getrieben hatte.

Er hatte eigentlich schon befürchtet, sich die neueste Liebesschnulze antun zu müssen. Monami hatte zwar Interesse daran geäußert, aber auch gesagt, dass sie sich solche Filme schon aus Prinzip nur mit ihren Freundinnen ansehe. Mit Männern Liebesfilme zu gucken beschrieb sie als totale Zeitverschwendung und Tobias stimmte ihr da mit ganzem Herzen zu.

Was bei allem Zusammensein noch fehlte war eigentlich nur das Zusammensein im liebestechnischen Sinne. Tobias hätte sofort Ja gesagt, hätte Monami ihn gefragt, aber um sie selbst zu fragen, fehlte ihm definitiv der Mut, obwohl er sich selbst in einem Anflug von Selbstüberschätzung versprochen hatte, bis zu den Sommerferien mit Monami zusammen zu sein. Wenn er daran dachte, war es ihm fast schon wieder peinlich.

Sonst war er ja um keine Anmache verlegen und bekam so ziemlich jedes Mädchen rum, das ihm gefiel, aber bei Monami lag die Sache etwas anders. Da waren diese fiesen kleinen Gefühle im Spiel, die Tobias im Bezug auf Ben solche Probleme gemacht hatten. Er befürchtete, Monami genau so schnell wieder zu verlieren, wie er sie gefunden hatte, wenn er ihr sagte, was in ihm vorging. Deshalb schob er sein Vorhaben, sie als seine Freundin zu gewinnen, erst einmal nach ganz hinten auf seiner Prioritätenliste.
 

Die Sommerferien rückten immer näher, allerdings fand zwei Wochen vorher noch Tobias' siebzehnter Geburtstag statt. Tobias hatte nicht mehr viel Zeit, um sich zu überlegen, ob er an diesem Tag irgendetwas machen wollte.

Aus Solidarität heraus wollte er eigentlich mit Ben feiern, wenn überhaupt. Sie hatten einander kaum gesehen, seit Tobias sich so oft mit Monami traf. Ben kommentierte diese Tatsache nicht, wenn Tobias doch einmal Zeit für ihn hatte. Er hatte längst bemerkt, was Monami Tobias bedeutete, es allerdings nur kurz angemerkt und dann nie wieder erwähnt. Er schien froh zu sein, wenn Tobias ihn überhaupt noch beachtete. Tobias hätte unglaublich gern mit ihm über Monami gesprochen, Ben gefragt, was er tun sollte, doch das wäre Ben gegenüber nicht fair gewesen.
 

"Na, feierst du morgen auch mit Monami?", kam Ben allerdings unvermittelt am Tag vor Tobias' Geburtstag auf das Thema zurück. "Oder seid ihr immer noch nicht zusammen?" Tobias zuckte leicht zusammen und schnippte ein kleines Steinchen neben sich weg. Sie saßen wie so oft auf den Stufen zur Sporthalle. Die Sonne brannte auf sie herab und Tobias spürte, dass sein T-Shirt feucht an seinem Rücken klebte, aber das war ihm relativ egal. Im Sommer roch sowieso die ganze Schule nach Schweiß, da musste er sich nicht unbedingt dafür genieren.

"Nein, sind wir nicht. Ich weiß nicht, ob sie was von mir will", erwiderte er langsam und kratzte sich im feuchten Nacken. "Und ich hab keine Ahnung, ob ich morgen überhaupt feiere." "Aha", erwiderte Ben und klang dabei so uninteressiert, dass es Tobias schon fast weh tat.

"Warum fragst du sie nicht einfach, ob sie sich was mit dir vorstellen könnte?", wollte Ben wissen und sah Tobias fragend an. Plötzlich war da doch wieder Interesse zu erkennen. Tobias fragte sich ernsthaft, ob mit Ben alles in Ordnung war. Irgendetwas zwischen ihnen stimmte einfach nicht mehr. "Wenn du immer weiter überlegst und überlegst", unterbrach Ben seine Gedanken, "wird sie sich 'nen anderen suchen und dir mit einem Lächeln erzählen, wie verliebt sie ist. Und glaub mir: Das tut dann erst richtig weh."

"So wie bei dir?", fragte Tobias zaghaft. Er fühlte sich nicht wirklich wohl dabei, Ben darauf anzusprechen, doch er musste das klären. Bens distanziertes Verhalten fühlte sich auch nicht besser an als die Unsicherheit, was Monami anging.

Ben seufzte. "So ungefähr. Ich hab's dir ja gesagt, weil ich genau so eine Situation schon erwartet habe", erwiderte er. "Jetzt stecken wir mitten drin und ich hab ein Problem weniger als du. Du kannst darauf achten, was du sagst, Monami hat keine Ahnung und wird folglich keine Rücksicht auf dich nehmen."

"Hast du dir nie Hoffnungen auf mich gemacht, als du's mir gesagt hast?", rutschte es Tobias heraus und er stockte für einen Moment, da er das eigentlich gar nicht hatte fragen wollen. Ben hob die Augenbrauen, dann schüttelte er mit einem matten Grinsen den Kopf. "Koala, es wird dich hoffentlich nicht wundern, dass ich weiß, wie du deine Partys bei Danny verbringst", erwiderte er. "Wie sollte ich mir bei 'nem Frauenhelden wie dir Chancen ausrechnen, hm? Ich wollte nur, dass du es weißt. Seit ich's ausgesprochen hab, kann ich wieder atmen, wenn ich dich sehe."

Tobias spürte, wie er errötete. Bens Geständnis hatte ihn damals aus heiterem Himmel getroffen. Dass Ben davor irgendwelche Probleme in seiner Gegenwart gehabt hätte, war Tobias nie aufgefallen, was ihm aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen aufdrückte.

"Es tut mir leid", sagte er leise. Ben legte verwirrt den Kopf in eine Schräglage. "Was tut dir leid?", wollte er wissen und warf einen Blick auf seine Uhr. "Dass ich nichts gemerkt habe", ergänzte Tobias. Ben lächelte und boxte ihm gegen die Schulter. "Ich wollte nicht, dass du's selbst merkst, also stress dich nicht", sagte er fast nachsichtig. "Und jetzt komm, die Pause ist gleich schon wieder vorbei. In Bio kannste mir ja erzählen, was du wegen deines Geburtstages und deiner Gefühle für Monami unternehmen willst." Tobias seufzte, rappelte sich auf und wischte sich erst einmal den Schweiß von der Stirn, bevor er mit Ben zum Schulgebäude zurück ging.
 

Tobias hatte im Endeffekt für beide Probleme keine Lösung. Monami einfach zu fragen traute er sich schlicht und ergreifend nicht und die ganze Nachdenkerei über sie hielt ihn davon ab sich zu überlegen, wie er seinen siebzehnten Geburtstag feiern wollte. Entsprechend frustriert radelte er neben Ben nach Hause.

Bei Bens Wohnung angekommen, wollte Tobias eigentlich gleich weiter zu seiner eigenen Wohnung. Ben ergriff allerdings noch einmal das Wort, bevor Tobias einfach abhauen konnte: "Sag mal, Koala, was ist eigentlich dein Problem? Du hast so viele Mädchen rumgekriegt, warum nicht auch Monami?" Tobias seufzte. "Ist das nicht völlig offensichtlich? Das Problem ist diese kleine Pestkrabbe namens Liebe, die versaut mir mein ganzes Selbstbewusstsein." Ben sah ihn kurz verwirrt an, dann lachte er. "Mann, bist du blöd, ey", stellte er fest. "Ich mach dir mal 'nen Vorschlag: Du stellst mir deine Monami mal vor und ich horch sie ein bisschen aus, was hältst du davon?"

Tobias blinzelte ein paar Mal, weil ihm der Schweiß schon in die Augen lief. "Jetzt ernsthaft? Glaubste, das klappt?", fragte er skeptisch. "Klar klappt das", grinste Ben. "Ich kann dir nicht versprechen, dass sie dich auch mag, aber ich kann dir versprechen, dass du danach etwas sicherer mit ihr umgehen kannst." Tobias glaubte nicht wirklich daran, doch dann hielt er Ben die Hand hin.

"Folgender Vorschlag", sagte er, nachdem Ben eingeschlagen hatte. "Wir drei gehen morgen irgendwohin, ich verschwinde zwischendurch aufs Klo und ihr unterhaltet euch ein bisschen." "Lässt sich einrichten, Koala. Und an wo hast du da gedacht?" Tobias zuckte die Achseln. "Wie wär's mit bowlen?", schlug er vor. "Haben wir schon ewig nicht mehr gemacht." Ben zuckte ebenfalls die Achseln. "Klingt gut. Vielleicht solltest du sie gleich anrufen."

Tobias zog sein Handy aus seiner Tasche und schaltete es ein. Während der Schule ließ er es immer ausgeschaltet in seiner Tasche liegen, da es schon drei Mal von seinen Lehrern beschlagnahmt worden war, weil seine Freunde immer die selten dämliche Idee hatten, ihn mitten im Unterricht anzurufen.

Rasch suchte er im Telefonbuch nach Monami und rief sie an. Sie meldete sich nach Sekunden: "Yo, Tobias, was gibt’s?" Tobias sah Ben hilflos an. Ben schmunzelte nur herzlos. "Hey, Monami", meinte Tobias langsam. "Ich wollte fragen, ob du morgen Nachmittag Zeit hast." "Für dich doch immer", erwiderte Monami. "Haste was bestimmtes vor?" "Naja, ich wollte mit dir und Ben meinen Siebzehnten feiern...", fing Tobias an, als Monami ihn unterbrach: "Was? Warum weiß ich nichts von deinem Geburtstag, du Horst? Jetzt hab ich gar nix für dich." Tobias lachte. "Lass mal, muss nicht sein", wehrte er amüsiert ab. "Jedenfalls wollte ich morgen zum Bowling. Kommst du mit? Ben wollte dich eh mal kennen lernen." Ben zog ein schiefes Grinsen, das Tobias fast schon wieder zum lachen brachte.

"Naja, ich bin 'ne Niete beim Bowling", meinte Monami. "Aber wenn du damit leben kannst, komm ich natürlich gern." "Hey, je weniger du kannst, desto wahrscheinlicher ist mein Sieg", scherzte Tobias. "Wir bringen dir das schon bei", fügte er versöhnlich hinzu, als Monami beleidigt schnaubte. "Und wie sieht das zeitlich aus?", fragte sie. "Öhm...", machte Tobias und sah Ben fragend an.

"Ben, wann kannst du morgen?" "16:00 Uhr", schlug Ben achselzuckend vor. "Kannste um vier?", fragte Tobias ins Telefon. "Yo, geht klar", erwiderte Monami. "Treffpunkt bei dir?" "Yep. Ihr beide kommt einfach morgen um vier zu mir und dann fahren wir zusammen hin, würde ich sagen." "Okay, dann bis morgen", verabschiedete sich Monami und legte auf. So war sie. Nie ließ sie Tobias Zeit, sich von ihr zu verabschieden.

"Das war doch gar nicht mal so schwer, oder?", grinste Ben, während Tobias sein Handy wieder weg steckte. "Das war ja noch gar nicht die eigentliche Hürde", brummte Tobias unmotiviert. Ben lachte und klopfte ihm sachte auf die Schulter. "Ist doch egal. Was zählt ist, dass Operation "Wie-kriegt-Tobias-Monami-rum?" erfolgreich eingeleitet wurde, oder?" "Operation "Wie-kriegt-Tobias-Monami-rum?"?", wiederholte Tobias ungläubig. "Geht’s eigentlich noch?" Ben lachte erneut laut auf. "Ja, ich weiß, klingt nach Kuppelaktion à la Schulmädchen", gab er zu.

"Mir fiel grad nix besseres ein. Und jetzt hau ab, ich muss noch mein Outfit für morgen zurecht legen", fügte er übertrieben tuntig hinzu und tat so, als würde er seine Haare zurück werfen, was bei seiner Igelmatte schlecht zu bewerkstelligen war. Tobias lachte und schwang sich auf sein Fahrrad. "Bis morgen. Und wehe, du siehst nicht umwerfend aus", scherzte er, dann trat er in die Pedale und radelte mit Bens Gelächter im Ohr los.
 

Dass Ben am nächsten Tag nicht anders aussah als sonst, störte Tobias überhaupt nicht, als er sah, wie Monami angezogen war. In weißem T-Shirt und knielangen schwarzen Hosen sah sie vergleichsweise brav aus. Ihre Füße steckten in abgewetzten Chucks. Das braune Haar fiel ihr wie immer offen über die schmalen Schultern. "In 'nem Minirock bowlt's sich nicht allzu gut", merkte sie an, als Tobias bereits raus gerutscht war, wie hübsch sie aussah. Sie wirkte ziemlich verlegen.

"Da hat sie allerdings recht", stellte Ben fest. Er war gerade auf der Toilette gewesen, als Monami geklingelt hatte. Nun hielt er ihr lächelnd die rechte Hand entgegen. "Benjamin", stellte er sich vor, als sie seine Hand ergriff. "Aber so nennt mich nur meine Mutter. Für den Rest der Welt einfach Ben." "Lena-Katharina, aber für Normalsterbliche einfach Monami", erwiderte Monami mit dem selben Lächeln. "Freut mich, dich kennen zu lernen." "Gleichfalls."

Nachdem sie alle noch rasch etwas kaltes getrunken hatten, weil die Temperaturen für bremische Verhältnisse wirklich pervers hoch waren, machten sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle, nahmen den nächstbesten Bus in die richtige Richtung und fuhren zum Bowling-Center.

Tobias hatte am Vorabend eine Bahn reserviert und das war definitiv eine gute Idee gewesen, denn bis auf ihre reservierte waren alle Bahnen besetzt. Monami sah sich unbehaglich um, während Ben ihre Namen in den Computer an ihrer Bahn eintippte. Ihre Bahn war Bahn Vierzehn. Dreizehn und Fünfzehn waren mit ziemlich begabten Spielern besetzt. Zumindest fielen die Pins nicht allzu selten alle auf einmal, während Tobias, Ben und Monami sich noch vorbereiteten.

"Oh, Mann", stieß Monami hervor. "Ich kann das echt nicht. Und die Jungs hier links und rechts sind nicht grad die beste Motivation." Tobias lächelte sie aufmunternd an. "Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wenn du willst, ziehen wir dir die Bande hoch, okay?" Monami zog ein fragendes Gesicht und Tobias wunderte sich, ob sie überhaupt eine Ahnung vom Bowling hatte.

"Naja, fangen wir einfach mal an", schlug er vor. Ben hatte sich selbst an die Spitze gesetzt, Monami war die zweite Spielerin und Tobias war als letzter dran. "Vielen Dank auch", kommentierte er trocken. "You're welcome, Koala", grinste Ben, schnappte sich eine Bowlingkugel und trat an die Bahn.

Währenddessen setzten Tobias und Monami sich auf die Sitze vor der Bahn. Monami schien sich alles andere als wohl zu fühlen, was Tobias irgendwie verwirrte. Es war doch nichts dabei, eine Niete beim Bowling zu sein. "Stimmt was nicht?", erkundigte er sich sicherheitshalber. Monami zuckte die Achseln. "Ich fühl mich 'n bisschen beobachtet", seufzte sie unschlüssig. "Was erwartest du?", schmunzelte Tobias. "Du siehst umwerfend aus." "Ich fühl mich eher tierisch verschwitzt", murmelte Monami verlegen, doch ihre Mundwinkel zuckten wenigstens ein bisschen nach oben. Und wenn Tobias sich nicht irrte, wurde sie sogar rot, was ihn unwillkurlich strahlen ließ.

"Hey, da lächelt ja wer!", ertappte er sie und Monami fing an zu lachen. "Du bist doof!", kicherte sie und boxte ihm mehr liebevoll denn brutal in den Bauch. "Ach, wenn du dafür lachst, nehm ich das auf mich", gab Tobias sich genügsam und legte den Arm um ihre Schultern. Monami lächelte verlegen. Bevor Tobias noch etwas sagen konnte, küsste sie ihn rasch auf die Wange. Tobias hob die Augenbrauen und hätte am liebsten etwas dazu angemerkt, hätte Ben sich nicht plötzlich schwungvoll neben ihn geworfen.

"So, Koala, du musst dein Schatzilein jetzt mal kurz loslassen", grinste er und Tobias ließ Monami mit schlarlachroten Wangen los. "Monami ist jetzt nämlich dran." "Oh", machte Tobias. "Monami, soll ich dir die Bande hoch ziehen?" Monami zuckte die Achseln. "Was bringt das denn?", fragte sie. Tobias schmunzelte. Sie hatte offenbar tatsächlich keine Ahnung vom Bowling. "Die ziehste hoch, damit du keine Rinne werfen kannst, ganz einfach", erklärte er amüsiert.

Monami warf einen Blick auf die Bahn, dann straffte sie stolz die Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich bin lieber 'ne Niete als 'n Cheater", sagte sie kühl, auch wenn das eine in Tobias' Augen ziemlich übertriebene Ansicht war. Es ging schließlich nur ums Bowling.

Sekundenlang stand sie so da und sah Tobias an, dann seufzte sie schwer und ließ die Arme sinken. "Kannste mir helfen, die richtige Kugel zu finden?", fragte sie kleinlaut. Tobias konnte sich ein leises Prusten nicht verkneifen. "Du musst eigentlich nur gucken, wo deine Finger am besten rein passen. Bei deinen Händen würd ich am ehesten auf die leichteste Kugel tippen."

Monami hatte sehr schlanke Finger, so dass sie tatsächlich am besten mit der leichtesten Kugel klar kam. Nichtsdestotrotz landete ihr erster Wurf schon nach einem Meter in der Rinne. Dass sie beim zweiten Wurf immerhin einen Pin umwarf, sah dagegen fast wie eine gute Leistung aus. Tobias kam allerdings nicht umhin zu bemerken, dass Monami trotzdem eine ziemlich gute Figur machte.

Sichtlich frustriert setzte sie sich wieder neben ihn und nickte zur Bahn hin. "Du bist dran. Mach's besser als ich", murrte sie. Tobias schmunzelte. Bei jedem anderen hätte er einen Spruch Richtung "Das dürfte ja nicht allzu schwer werden" gebracht, aber Monami war schon geknickt genug. Also legte er eine Hand auf ihre Schulter und meinte: "War doch nur der erste Zug, Monami. Der nächste wird bestimmt besser." Sie lächelte eher halbherzig.

Tobias begab sich zur Bahn und schnappte sich eine Kugel, dann warf er einen kurzen Blick auf Ben, der nun näher an Monami heran rückte und sie ansprach. Bei der ziemlich lauten Musik hörte Tobias nicht, was Ben sagte, doch er hoffte, dass er angefangen hatte, Monami auszufragen. Bei dem Gedanken schlug sein Herz für einen Moment schneller.

Als er nach seinem Wurf zu Ben und Monami zurück ging, nickte Ben zu den Toiletten hinüber und stand auf. "Ich muss mal kurz für kleine Jungs", verkündete er. Tobias sah ihn verwirrt an. War das nicht anders herum geplant gewesen? "Könnt ihr eben warten?", fuhr Ben fort und packte Tobias mit sanfter Gewalt am Arm, zog ihn für einen Moment aus Monamis Blickwinkel. "Sieht gut aus, Koala", raunte er ihm ins Ohr, dann lief er zu den Toiletten hinüber.

Tobias stand erst einmal bedröppelt herum und sah Monami verlegen an. "Dein Freund ist ganz schon neugierig", bemerkte diese und klopfte neben sich auf den Sitz. "Inwiefern?", wollte Tobias wissen und setzte sich langsam neben sie. "Er hat sich neben mich gesetzt und grade raus gefragt, ob ich mir was mit dir vorstellen könnte", gab Monami amüsiert Auskunft. Tobias nahm sich im Stillen vor, Ben ganz liebevoll zu erwürgen. Unsensibler war es wohl nicht möglich gewesen.

"Und was hast du geantwortet?", fragte er stockend. Monami lächelte. "Frag mich noch mal, wenn wir allein sind", erwiderte sie, was Tobias nicht gerade weiterhalf. "Dann sagst du's mir aber, okay?", bat er verlegen, womit er praktisch schon preisgegeben hatte, dass er etwas von Monami wollte. Monami lachte leise. "Hast du mir was zu sagen, Tobias?", fragte sie hinterlistig und lächelte ihn verschmitzt an. "Frag mich noch mal, wenn wir allein sind", erwiderte Tobias sofort mit scharlachroten Wangen und einem hilflosen Lachen in der Stimme.

Als Ben zurückkam, waren Tobias und Monami noch nicht viel weiter. Ben hatte sich viel Zeit gelassen. Monami war müde geworden und hatte kurzentschlossen Tobias' Schulter als Kissen zweckentfremdet. Sie schlief nicht, aber sie schien bequem zu liegen und gähnte leise, als Ben an ihnen vorbei zur Bahn ging.
 

Sie blieben nicht sehr lange im Bowling-Center. Tobias hatte sich von seiner Geburtstagsfeier eh nicht allzu viel erhofft. Bis auf ein Bier pro Nase war nichts drin und die Atmosphäre war ohnehin nicht das Wahre. Tobias war eben nicht Danny. Der zog jeden seiner Geburtstage zu einer mordsmäßigen Party auf.

Nach zwei Spielen, in denen Monami fortwährend Frust schob und Tobias krampfhaft versuchte, sie aufzumuntern, fuhren sie also wieder nach Hause. Ben stieg als erster aus dem Bus aus. Er verabschiedete sich mit einem ziemlich zermürbten Lächeln von ihnen, murmelte Tobias noch ein "Na dann viel Glück noch, Koala" ins Ohr und verließ dann den Bus.

Tobias brachte Monami noch bis zu ihrer Haustür, obwohl er näher an der Haltestelle wohnte als sie. Die Stimmung war ziemlich verkrampft. Tobias vermutete, dass Monami genau so intensiv über ihr spaßig-ernstes Gespräch nachdachte wie er.

"So, jetzt sind wir allein. Du hattest da 'ne Frage an mich", fing Monami an, als sie vor der Tür standen. Sie spielte verlegen mit ihrem Schlüsselbund. "Dito", erwiderte Tobias und trat sich in Gedanken in den Hintern, weil er sein blödes Maul nicht auf bekam. Monami lachte. "Fein. Hast du mir denn was zu sagen, Tobias?" Tobias schluckte. "Naja", begann er, noch nach Worten ringend. Eigentlich war es einfach. Er wollte mit Monami zusammen sein. Sein Problem war nur, seine Gefühle zu formulieren, ohne albern zu klingen.

Sekundenlang stand Tobias da, wedelte mit den Händen herum und sagte kein Wort. Höchstens ein schwaches "Ähm" brachte er hin und wieder hervor. Monami ergriff plötzlich seine Hände und lächelte ihn sachte an. "Ich glaub, ich weiß, was du mir sagen willst", sagte sie. "Ach ja?", murmelte Tobias peinlich berührt. Sein Gesicht machte wahrscheinlich einer reifen Tomate Konkurrenz und dank der herrschenden Jahreszeit war es noch ziemlich hell, so dass Monami seine Gesichtsröte wahrscheinlich auch problemlos erkennen konnte.

"Was will ich denn sagen? Ich hab grad Formulierungsprobleme." "Ich merk das schon." Monami hatte inzwischen ein wissendes Dauergrinsen im Gesicht. "Wenn du weißt, was ich dich fragen will, warum antwortest du dann nicht einfach?", maulte Tobias. Er hatte noch nie jemandem ein Liebesgeständnis machen müssen und war entsprechend demotiviert.

Alles Murren war allerdings vergessen, als Monami ihn plötzlich küsste. Einfach so, auf den Mund. Es war kein langer Kuss, nichts, was Tobias hätte erwidern können, und als Monami den Kopf zurückzog, schlug Tobias' Herz irgendwo in seinem Hals herum.

"Weil ich hören möchte, wie du fragst", sagte Monami lächelnd. "Also?" Tobias atmete tief durch. Sie war noch immer so nah, dass er sie mit einem kleinen Ruck seines Kopfes nach vorn hätte küssen können.

"Ich mag dich, Monami", sagte er schließlich. "Sogar sehr. Und... naja..." Er kam sich tierisch blöd dabei vor, wie er diesen Schnulz hervor stotterte, aber es half ja nichts. Erneut atmete er tief durch. "Möchtest du meine Freundin sein?", fragte er kleinlaut und sah sie, obwohl er fast einen Kopf größer war als sie, fast von unten herauf an.

Als Monami ihn umarmte und erneut küsste, bekam Tobias schon wieder Herzklopfen. Wenn so etwas Liebe war, fühlte sie sich alles andere als gesund an. "Natürlich möchte ich", flüsterte Monami lächelnd. Die grünen Augen funkelten Tobias überwältigend süß an.

Tobias schloss Monami in seine Arme, zog sie so eng wie nur möglich an sich und küsste sie zärtlich. Es war er erste seit bestimmt mehreren hundert Küssen, bei dem er an seinem Können als Küsser zweifelte. Aber dass Liebe ein wenig am Selbstbewusstsein nagte, hatte er ja schon vorher bemerkt.

Freundschaftliche Ignoranz

*schweig*
 

"Jetzt hast du also endlich mal 'ne Freundin", stellte Ben mit einem Lächeln fest, das Tobias unangenehm war. Es war ein ganz normales Lächeln, weder boshaft noch traurig, doch irgendetwas stimmte damit nicht. "Ich dachte schon, du kriegst das nie auf die Reihe", fuhr Ben ungerührt fort und warf einen kurzen Blick auf die Tafel. Sie saßen im Biologieunterricht und unterhielten sich im Schutze des allgemeinen Lärms über den vergangenen Freitag.

"Danke für dein Vertrauen", brummte Tobias und kritzelte ein kleines Figürchen auf die augeschlagene Seite seines College-Blocks. Es sah ein klein bisschen so aus wie eine Mangafigur, war allerdings von Profiarbeiten noch weit entfernt. Monamis beste Freundin zeichnete im Mangastil und in Monamis Zimmer hingen inzwischen etliche Arbeiten von ihr. Tobias hatte eher zum Spaß angefangen zu zeichnen, aber Monami hatte absolut begeistert darauf reagiert.

"Da nicht für", schmunzelte Ben, schnippte ein Papierkügelchen gegen Tobias' Stirn und lachte leise, als dieser ihm gegen die Schulter boxte. "Und? Schon irgendwas passiert?", fragte er amüsiert. "Wir sind erst 'n Wochenende lang zusammen", brummte Tobias. "Na und?", grinste Ben. "Sonst gehst du doch auch gleich in die Vollen." "Sonst will ich ja auch nix als Sex", murrte Tobias. "Es ist ja wohl definitiv meine Sache, ob, wann und wo ich mit meiner ersten festen Freundin schlafe." "Naja, so lang sie mitmacht", grinste Ben.

"Mann, Ben, du bist echt doof", stellte Tobias fest. Eine Weile lang spielte er mit seinem Bleistift, dann murmelte er: "Sie ist noch Jungfrau. Ich möchte nichts überstürzen." Ben lächelte sachte und setzte zum Sprechen an, als es plötzlich klingelte. Sofort wurde das Geraune und Gemurmel zu munterem Geschwätz, Taschen wurden eingepackt, Stühle quietschten und die Lehrerin verkündete lautstark die Hausaufgaben.

"Was wolltest du sagen?", fragte Tobias. Sie hatten den Rest des Kurses vorgehen lassen, um in Ruhe reden zu können. Ben kratzte sich nachdenklich an der Wange. "Warte, was war das gleich...", murmelte er dabei scheinheilig, als sei es ihm entfallen. "Ach ja, ich wollte dir sagen, dass Monami sich wohl 'nen tollen Kerl geangelt hat. Vom Frauenhelden zum Perfect Lover, so was gibt’s nicht oft." Tobias spürte, wie er errötete, und schlug Ben mit der flachen Hand auf die Schulter. "Nun laber nicht so 'nen gequirlten Schnulz", jammerte er und ließ den Kopf sinken. Ben lachte laut auf, als sie vom Trakt in den Schulflur traten. "Lass mich doch", meinte er unbekümmert. "Kommste mit raus?" "Nee, weißte?", brummte Tobias trocken. "Natürlich komm ich mit, du Nuss."
 

"Ein bisschen beneide ich Monami ja", gab Ben zu, als sie wie gewohnt an der Sporthalle saßen. Tobias seufzte schwer. "Lass das Thema, Ben", bat er leise. "Es bringt doch keinem was, wenn du immer wieder davon anfängst." Ben schüttelte bedrückt den Kopf. "Ich kann doch auch nichts dafür, Koala. Wenn ich in deiner Nähe bin, wird mir klar, dass ich dich nicht mehr loswerde, wenn wir Freunde bleiben. Und wenn du nicht da bist, fehlt mir was. Wie sagt man so schön? Ich kann weder mit dir noch ohne dich."

Tobias seufzte erneut. "Es tut mir leid, dass ich dir nur Freundschaft anbieten kann." Ben lachte mit einem Mal wieder und knuffte ihn in die Seite. "Hey, Schuldbekenntnisse bringen auch keinem was. Du kannst auch nix dafür, also stress dich nicht." Tobias lächelte unsicher und zog seinen MP3-Player aus seiner Hosentasche, schaltete ihn ein und schob sich den einen Stöpsel ins Ohr.

"Kommst du in drei Wochen trotzdem mit zum Schiff?", fragte er nach einer Weile. Ben schwieg für Sekunden, dann nickte er lächelnd. "Ich würde mir doch nie entgehen lassen, dich 'ne Woche lang für mich zu haben", scherzte er. Tobias konnte nicht leugnen, dass Bens kleine Anmachen befremdlich auf ihn wirkten, doch er grinste. "Monami wollte ich eh nicht mitnehmen", sagte er. "Du kannst also machen was du willst, so lang ich nicht mitmachen muss." "Ouha!", rief Ben gedämpft aus. "Du hast keine Ahnung, was du mir da anbietest, Koala!"

Eine Weile lang starrten sie einander an, dann fing Ben an zu prusten, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach. "Mann, Koala, wie du gucken kannst!", rief er aus und schubste Tobias leicht zur Seite. Tobias hätte ihn am liebsten beleidigt angefaucht, doch Bens Lachen war ansteckend. Tobias fiel also mit ein, bekam nach einer Weile sogar Bauchschmerzen vom Lachen und lehnte sich schließlich erstickt kichernd gegen Ben. Bens Arm zuckte kurz merkwürdig, dann beruhigten sie sich beide wieder.

"Du kannst dann so langsam wieder von meiner Schulter runter, Koala", murmelte Ben nach einigen Augenblicken der Stille. Tobias zuckte zusammen und setzte sich wieder gerade hin. "Sorry", meinte er leise. "Ach was", grinste Ben. "Du hast dich nur auf den Arm gelehnt, den ich mir am Samstag beim Fußballtraining mit meinem Bruder verletzt hab." Tobias nickte leicht, dann bemerkte er den vermeintlichen Fehler in Bens Satz. "Seit wann zur Hölle hast du 'nen Bruder?", fragte er verwirrt.

"Oh", machte Ben unschuldig, dann lachte er. "Er stand am Samstag einfach vor unserer Tür", sagte er. "Ich hab das völlig vergessen dir zu erzählen, verzeih mir bitte." "Vergeben und vergessen, wenn du mir jetzt endlich sagst, wieso das dein Bruder ist, nur weil der vor eurer Tür stand", erwiderte Tobias verwirrt.

Ben knabberte für einen Moment an seinem Unterlippenpiercing, dann begann er zu erzählen: "Meine Eltern haben mir und Anna nie erzählt, dass mein Vater vor so übern Daumen zwanzig Jahren 'ne kurze Affäre hatte. Das war so eine kurze Polygamie-Phase unserer Eltern, um das eigene Eheleben aufzupeppen, nehme ich an. Und der schlaue Mann hat sich natürlich 'nen Scheiß um Verhütung gekümmert, wie wir Männer halt so sein können, und schon war mein Halbbruder gezeugt. Er ist jetzt fast neunzehn, also zwei Jahre älter als ich. Seine Mutter hat ihm erst vor zwei Wochen erzählt, wer sein leiblicher Vater ist, da hat er ihn gesucht."

Ben seufzte mit einem Lächeln auf den Lippen. "Ich hab mich gefragt, ob er vielleicht mein ganzer Bruder ist, als ich am Samstag Abend mit ihm Fußball gespielt habe", fuhr er dann fort und kratzte sich im Nacken. "Er spielt Fußball, er hat die selben CDs wie ich im Regal stehen und..." Ben stockte, sah Tobias kurz direkt in die Augen und blickte dann zum Schulgebäude hinüber.

"Lass uns wieder rein gehen", schlug er unbehaglich vor. Tobias legte den Kopf in Schieflage und schnaubte leise. "Was hat er noch mit dir gemeinsam, Ben?", fragte er, ohne auf Bens letzten Satz zu achten.

Die Art, wie Ben sich an sein rechtes Ohrläppchen griff und mit dem daran hängernden Ohrring spielte, ließ Tobias aus irgendeinem Grund vermuten, dass Bens Halbbruder genau so schwul war wie er selbst. Als Tobias seinen Verdacht zögerlich aussprach, seufzte Ben schwer, fuhr sich mit der Hand durchs stachelige Haar und ließ dann den Kopf hängen.

"Was willst du, Koala? Hundert Punkte oder 'ne Zuckerstange?", seufzte er leise. "Ich nehm die Punkte", meinte Tobias verwirrt und rückte ein wenig näher an Ben heran. "Was ist so schlimm daran? Das müsste doch gerade dich nicht stören?" Ben stöhnte entnervt auf und warf die Arme in die Luft, nur um sie sich daraufhin wieder in den Schoß fallen zu lassen. "Am Samstag war's noch witzig, sich mal mit 'nen Schwulen unterhalten zu können", fing er er. "Mit dir kann ich ja schlecht darüber reden, was ich nachts so mit Jungs anstelle."

Für die Dauer eines Wimpernschlages huschte ein lüsternes Grinsen über Bens Gesicht, dann sah er wieder verärgert aus. Bei seinen Worten fragte Tobias sich, warum er nie in Erwägung gezogen hatte, dass Ben ein durchaus funktionierendes Sexleben haben könnte. Er ging nicht davon aus, dass Ben noch Jungfrau war, aber dass er tatsächlich regelmäßig Sex hatte, glaubte Tobias auch nicht. Und dass er sich ernsthaft Gedanken darüber machte, glaubte er noch viel weniger.

"Am Sonntag hat er sich 'ne Weile lang mit Paps unterhalten", fuhr Ben fort und zerriss Tobias' sinnfreie Gedanken, "dann hat er mich zu noch 'ner Runde Fußball überredet und als wir 'ne Pause gemacht haben, packt der Sack mich plötzlich und küsst mich einfach!" Ben stieß ein angewidertes Geräusch aus. "Küsst er denn so schlecht?", wagte Tobias einen Witz zu reißen. Ben funkelte ihn zornig an. "Nein. Wenn du's wissen willst, ist er 'n sagenhafter Küsser", entgegnete er und klang dabei so sarkastisch, dass Tobias sich kein Urteil über den Ernst dieser Aussage zu bilden wagte.

"Aber ich kann's trotzdem nicht ab, einfach so geküsst zu werden", schob Ben missgelaunt hinterher. "Küsse ohne Gefühle schmecken nicht." Das konnte Tobias keinesfalls bestätigen, doch er sagte nichts dazu. "Als ich ihm das gesagt hab, meinte er, er hätte sich in mich verliebt, als ich ihm am Samstag die Tür aufgemacht hab", murrte Ben. "Schwachmat." "Nett bist du", merkte Tobias an. Ben seufzte. "Was soll ich machen?", fragte er eher rhetorisch. "An Liebe auf den ersten Blick hab ich noch nie geglaubt. Und was soll ich auch mit 'nem anderen Typen, der obendrein noch blutsverwandt mit mir ist, wenn ich meine Gefühle für dich nicht loswerde?" Er sah Tobias an und wirkte mit einem Mal irgendwie verloren.

Tobias kam derweil ein ziemlich selbstsüchtiger Gedanke. "Vielleicht solltest du dir das mit ihm noch mal überlegen", sponn er seinen Gedanken allmählich zusammen. Ben sah ihn ungläubig an. "Ich hoffe, das meinst du nicht ernst", bemerkte er mit schiefen Blick. "Doch, ich mein das ernst", beteuerte Tobias. "Stell dir doch mal vor, du verliebst dich in diesen... Du hast mir seinen Namen noch gar nicht gesagt."

Ben schüttelte resigniert den Kopf. "Das wird nie passieren. Und er heißt Kai. Red weiter." Tobias sammelte seinen gedanklichen Faden wieder auf. "Stell dir vor, du verliebst dich in Kai. Dann wärst du deine Gefühle für mich los. Ich meine, ich werd eh niemals schwul, für uns beide gibt es nichts in Richtung Liebesbeziehung. Wäre doch cool, wenn du jemanden hättest, mit dem du dich über mich hinweg trösten kannst!"

Tobias zuckte zusammen, als Ben ihn ohrfeigte. "Ey, wofür war die denn?", fauchte er. "Dafür, dass du denkst, ich würde jemanden als Trostpflaster ausnutzen!", fauchte Ben zurück. "Nur, weil dich meine Gefühle für dich anwidern, musst du mich nicht beleidigen, ja?" Tobias zog betroffen den Kopf ein. Er leugnete nicht, dass er nicht mit Ben umzugehen wusste. Er hätte es nicht unbedingt mit "anwidern" umschrieben, aber es traf den Kern der Sache.

Als Ben eine leise Entschuldigung murmelte, legte Tobias den Kopf in Schieflage. "Nein, du hast schon Recht", gab er zu. "Ich hab Scheiße gelabert, kommt nicht wieder vor, versprochen." Ben seufzte erneut und lehnte sich leicht zurück, legte die Hände an sein angewinkeltes Knie und blickte in den klaren Himmel. Er war nicht weniger verschwitzt als Tobias, allerdings schienen ihn die Temperaturen nicht so schlapp zu machen. Tobias fühlte sich schon wieder müde. Im Sommer waren Streitereien einfach nichts für ihn.

"Noch zwei Wochen bis zu den Ferien", wechselte Ben unvermittelt das Thema und atmete tief durch. "Schule stinkt mir eh langsam", fügte er mit dem Anflug eines Lächelns hinzu. Tobias grinste. "Dito", meinte er, froh über den Wechsel. Die Stimmung war wieder angenehm. "Auf'm Meer riecht es besser, versprochen." "So lang du deine Schuhe anbehältst, wohlgemerkt", scherzte Ben. "Ey, als würden deine Füße nach Rosen duften!", lachte Tobias und boxte ihm gegen die gesunde Schulter. "Selbstverständlich!", erwiderte Ben, als sei das völlig selbstverständlich. Er klang beinah empört, was Tobias einen nur noch schlimmeren Lachanfall bescherte.

"Ey, ist gut jetzt", schnaubte Ben nach einer Weile und stand auf. "Komm schon, es klingelt in einer Minute. Und das mit den Schuhen war 'n Witz, falls du's noch nicht mitbekommen hast." Tobias hüstelnd den Rest seines Lachkrampfes weg. "Klar hab ich das mitbekommen", grinste er. "Aber dein "Selbstverständlich!" war einfach zu schön." Ben grinste selbstgefällig, dann nickte er zum Schulgebäude hin. "Komm jetzt, Koala." "Jaaaaaa, Papaaaa!", entgegnete Tobias lachend, sprang auf und folgte Ben zurück in die Schule.
 

Nach Schulschluss nahm Ben Tobias mit zu sich nach Hause, da Tobias neugierig war auf Kai, der für einige Tage bei Ben eingezogen war. Ben schien diese Neugierde nicht unbedingt zu gefallen, doch er widersprach nicht. Außerdem hatten sie schon lange nicht mehr zusammen Hausaufgaben gemacht.

"Und warum ist Kai bei euch eingezogen?", fragte Tobias, während sie ihre Fahrräder abschlossen. "Weil seine Mum im Krankenhaus liegt", erklärte Ben und klang irgendwie unbeteiligt. "Sie macht's wohl nicht mehr lange. Und Kai hat unseren Vater darum gebeten, seine Vaterrolle einzunehmen. Er will kein Geld, Arbeit hat er selbst schon, aber er möchte eine Bezugsperson haben. Paps hat ihm sofort das Gästezimmer hergerichtet." Er murrte wortlos vor sich hin, als wäre ihm das Gesprächsthema zuwider.
 

Kai war rothaarig. Das war das erste, was Tobias von ihm sah. Rothaarig mit schwarz eingefärbten Haarspitzen. Und als er sich vom Spülstein in der Küche weg und zu Ben und Tobias drehte, sah Tobias auch seinen Kreuzohrring und das Piercing in seiner linken Augenbraue. Auf seinem T-Shirt prangte die Formel für Titan, was auch immer einen Menschen dazu brachte, sich chemische Elemente auf die Klamotten zu schreiben.

"Ay, Benny", begrüßte Kai seinen Halbbruder und hob eine seiner nassen Hände. An ihnen klebte Schaum, offenbar war er mit dem Abwasch beschäftigt. "Wen haste denn da mitgebracht?" "Das ist Tobias", stellte Ben vor. "Ko... Tobias, darf ich vorstellen? Mein Halbbruder Kai." Tobias hob eine Augenbraue, als Ben es unterließ, seinen Spitznamen zu verwenden, kommentierte aber nicht. Kai griff derweil nach dem Geschirrtuch, das an seinem Gürtel hing, und trocknete sich die Hände ab, bevor er Tobias die Hand reichte. Tobias griff zu, lächelte kurz und zog dann die Hand zurück.

"Ay, 'n schwacher Händedruck, Tobias", stellte Kai fest. "Ich hab hier noch zu tun, aber ich nehme an, ihr beschäftigt einander ohnehin selbst zu Genüge." Er grinste anzüglich und Tobias spürte, wie Ben neben ihm heftig zusammen zuckte. "Tobias ist nicht... Wir sind nur sehr gute Freunde", murmelte Ben. Kai lachte leise. "Sag das doch gleich, Benny. Du hast so begeistert von ihm erzählt, da dachte ich..."

Ben fuhr abrupt herum und verließ fluchtartig die Küche. Tobias warf noch einen kurzen Blick auf Kai, dann folgte er Ben in dessen Zimmer. Ben hatte sich auf seinem Bett zusammen gerollt und wirkte, als wolle er verschwinden. Tobias ließ sich neben ihn aufs Bett fallen. "Was ist kaputt, Ben?", fragte er, legte eine Hand auf Bens Schulter und drückte sie leicht.

"Der tut einfach so, als wäre gestern nix gewesen", zischte Ben. "Und warum zum Himmel ist es ihm scheißegal, was zwischen uns ist, wenn er angeblich was von mir will? Der Kerl verwirrt mich." Tobias schmunzelte leise, zog die Beine an den Körper und legte seinen freien Arm drum herum. "Ganz sicher, dass er dich nicht interessiert?", fragte er und Ben zuckte leicht zusammen. "Schwachsinn, Koala", murmelte er, klang allerdings nicht sonderlich überzeugend. "Hey, ich sterbe nicht, wenn du nicht mehr in mich verliebt bist, Ben", versprach Tobias mit einem Anflug von Amüsement.

Ben drehte sich auf den Rücken und sah Tobias seufzend an. "Du redest grade mit 'nem Schwulen über Liebesprobleme, ist dir das eigentlich klar?", fragte er ironisch. Tobias legte in gespieltem Entsetzen eine Hand auf seine Brust. "Was? Oh, heiliger Vater, das ist mir nicht bewusst gewesen!", rief er theatralisch aus. Ben gluckste und schlug ihm schwach auf den Arm. "Du bist bescheuert, Koala", stellte er fest. "Komm, Ben, solche Beleidigungen sind Frauensache", erwiderte Tobias, obwohl er Ben selbst des öfteren als doof, bescheuert oder blöd bezeichnete. "Ich bin schwul, ich darf das", brummte Ben allerdings, musste aber auch sofort grinsen, nachdem er ausgesprochen hatte.

"Das Gesicht will ich sehen!", meinte Tobias gut gelaunt. "Aber jetzt mal ernsthaft, was denkst du über Kai?" Und schon war das Grinsen wieder futsch. Tobias hätte sich in den Hintern treten können. "Ja, was denk ich über den Schwachmaten?", fragte Ben sich selbst und verschränkte die Hände unter seinem Kopf. "Er ist aufdringlich, hat keinen Anstand, dafür kann er küssen wie ein Gott und er spielt mich im Fußball problemlos an die Wand. Was interpretierst du daraus?"

Tobias hob nicht zum ersten Mal in der letzten Stunde die Augenbrauen. "War das letzte positiv oder negativ?", fragte er unsicher nach. Ben lachte. "What do you think?", fragte er. Tobias zuckte die Achseln. Ben spielte eigentlich am liebsten gegen ebenbürtige Spieler, mit besseren oder schlechteren hatte er so seine Differenzen, soweit Tobias wusste. "Negativ?", vermutete er also zaghaft. Ben grinste. "I think it's nice to have a big brother who's better than myself", sagte er allerdings.

"Du siehst ihn also als Bruder", vermutete Tobias. "Wie kommst du denn darauf?", brummte Ben. "Ich kenn den Kerl seit zwei Tagen. Familiäre Gefühle sind da nicht so schnell machbar." "Und andere Gefühle?", fragte Tobias. Ben presste sich die Hände aufs Gesicht und seufzte schwer. "Ernsthaft? Keine Ahnung", antwortete er, ließ die Hände wieder sinken und schüttelte leicht den Kopf. "Er verwirrt mich, mehr kann ich dazu nicht wirklich sagen."
 

Tobias ließ das Thema schließlich fallen, da Ben nicht mehr darüber reden wollte. Er schien mit seiner inneren Situation derzeit überhaupt nicht klar zu kommen, daher bot Tobias ihm an, einfach mit den Hausaufgaben anzufangen, um ihn abzulenken, was tatsächlich wirkte. Ben gehörte zu den eigenartigen Menschen, die sich mit Schule ablenken konnten. Er arbeitete still vor sich hin, anders als sonst. Sonst arbeiteten sie zusammen, lachten über Aufgaben und Fragestellungen, die ihnen zu schwer waren und ärgerten einander, wenn sie Fehler machten. Heute war Ben einfach nur still und das war langweilig.

Tobias musste sich also allein mit Englisch herum plagen. Seine Aufgabe war eine Zusammenfassung eines Textes, den er im Unterricht gelesen, aber dann irgendwie verbaselt hatte, daher musste er sich aus den Fingern saugen, was er zu schreiben hatte. Zu seinem Glück hatte er den Inhalt noch in etwa im Kopf, allerdings fehlte ihm das Formulierungstalent. Dazu hätte er Ben gebraucht, doch der war im Moment zu nichts zu gebrauchen. Er schrieb seine Deutschhausaufgaben in sein Heft und summte dabei wieder "Pieces" von Sum41 vor sich hin, also dachte er angestrengt nach und dabei störte man ihn besser nicht. Tobias war dankbar für diesen "Nachdenkerklingelton". So wusste er immer, wann er die Klappe halten musste.

Wer das nicht wusste, war offenbar Kai, der, anstandslos wie Ben ihn beschrieben hatte, ins Zimmer platzte, als Ben gerade zwischen Deutsch- und Englischhausaufgaben wechselte. Er warf Kai einen Blick der Marke "Ein Wort und du bist tot!" zu, der allerdings unbeachtet blieb, und fragte kühl: "Was wäre jetzt gewesen, wenn Tobias und ich grad voll bei der Sache gewesen wären?" Tobias spürte, wie er errötete. Kai grinste unbekümmert. Offenbar wusste er nicht, dass gerade ein ruhiger Ben ein ungutes Zeichen war. "Dann hätte ich gefragt, ob ich mitmachen kann, weißte?", erwiderte er locker und ging neben Ben in die Hocke. Ben hatte einen sehr niedrigen Schreibtisch, an dem er auf Knien seine Hausaufgaben machte.

"Ich wollte fragen, ob du nachher 'n bisschen Zeit für mich hast", antwortete Kai auf die ungestellte Frage, was er eigentlich wollte. "Es gibt da was, das ich mit dir bereden muss." Ben schien nachzudenken. Die Art, wie er mit den Zähnen nach seinem Piercing fischte, war zwar kein Wink mit dem Zaunpfahl wie sein Summen, aber es war ein deutliches Zeichen, ihn mal kurz in Ruhe zu lassen.

"So lang du auch wirklich redest und nicht wieder mein Redewerkzeug anknabberst, meinetwegen", erwiderte er schließlich. Kai lachte verlegen und kratzte sich im Nacken. "Ay, ja, ich weiß, das war 'n bisschen übereilt, sorry", sagte er, klang aber nicht, als würde er es bereuen. Ben wandte sich wieder seinen Hausaufgaben zu. "War's das?", fragte er und ergriff seinen Füller. "Yo, das wär's", nickte Kai. "Kommste dann einfach zu mir, wenn du deinen Gast hier rausgeschmissen hast?" "Mein Gast heißt Tobias und ich schmeiße ihn nicht raus. Ich warte, bis er nach Hause will", korrigierte Ben ruhig, ohne Kai eines Blickes zu würdigen. "Aber ansonsten: Ja. Also geh jetzt bitte, dann geht’s auch schneller." Kai nickte, obwohl Ben es nicht sah, wandte sich ab und verließ den Raum. Etwas trauriges hatte in seinem Blick gelegen.

"Ich glaub, du hast ihm ganz schön vor den Kopf gestoßen", bemerkte Tobias zaghaft. Ben seufzte. "Er ist so tierisch unhöflich, das geht mir gewaltig auf den Sack", erklärte er. "Und du weißt ja, wie ich auf Leute reagiere, die mich nerven." "Es war trotzdem nicht nett", beharrte Tobias. Ben sah ihn schweigend an, dann schlug er sein Englischbuch zu. "Ist gut, ich werd gleich mit ihm reden", sagte er resigniert. "Kriegste deine Hausaufgaben allein hin? Ich geh mich bei meinem Bruder entschuldigen." "Schon klar, ich gehe", entgegnete Tobias verständnisvoll, packte seine Sachen zusammen und erhob sich.
 

Als Tobias wenige Minuten später an seinem Fahrradschloss herum nestelte, weil es aus irgendeinem Grund klemmte, bekam er sein dämliches Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Wenn er richtig Glück hatte, kam Ben mit Kai zusammen und dann musste er endlich nicht mehr darüber nachdenken, was er sagte. Besonders, wenn es um seine eigenen Gefühle ging.

Bei dem Gedanken fiel ihm Monami ein und er griff wie automatisch nach dem Handy in seiner Hosentasche. Sein Daumen tippte die PIN ein, als täte er nichts anderes den lieben langen Tag und kurz darauf hatte Tobias auch Monamis Nummer aus seinem Telefonbuch heraus gesucht.

"Hey, Freak, du knabberst mir die Lippen ab und meldest dich ewig nicht, was geht?", meldete sich Monami lachend. "Hast du dir das gerade ausgedacht?", fragte Tobias ungläubig. "Ey, yo, ich bin schlagfertig, mein Bester", erwiderte Monami. "Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?" "Ähm...", machte Tobias, sah auf sein noch immer angekettetes Fahrrad, ohne es wirklich anzusehen und dachte über eine Antwort nach. "Vielleicht, dass wir gestern erst telefoniert haben und vorgestern bei mir waren?", gab er schließlich zaghaft zurück.

Monami lachte leise. "Na gut, bist frei gesprochen, Tobias. Warum rufst du an?" Tobias lächelte und seufzte kaum hörbar. Solche Einleitungsgespräche kannte er schon jetzt von Monami. Schon vor ihrer Beziehung hatte sie ihn gern ein wenig aufgezogen, bevor sie zum eigentlichen Thema gekommen waren. Wenn sie einander irgendwo getroffen hatten, war sie oft mit einem total überraschten "Dich kenn ich!" auf ihn zugekommen. Das und sein begeistertes "Ich dich auch, ist das nicht der Wahnsinn?!" hatten sie oft zu beknackten Unterhaltungen inspiriert.

"Ich musste gerade ohne wirklichen Grund an dich denken", antwortete Tobias nach ein paar Sekunden, dann stockte er kurz. "Warte mal, seit wann bin ich ein Freak?", fragte er verwirrt. Monami prustete ins Telefon. "Mann, merkst du das früh!", bemerkte sie kichernd. "Wolltest du dich als normal bezeichnen mit deinen Nietengürteln und den Piercings?" "Vergiss bloß nicht die Chucks und die komischen Haare", schnaubte Tobias. "So lang du mich nicht als Emo bezeichnest..." "Gut, dass du mich vorwarnst, ich hatte es mir grad auf die Zunge gelegt", meinte Monami mit schlecht überrascht gestellter Stimme.

"Spaß", lachte sie, als Tobias voll grimmiger Belustigung schwieg. "Wenn du'n Emo bist, werd ich lesbisch." Tobias' Gesichtszüge entgleisten. "Bitte nicht!", rief er ungläubig aus, obwohl er wusste, dass Monami einen Scherz gemacht hatte. Monami fing schon wieder an zu lachen. "Magst du herkommen?", fragte sie. "Klar", erwiderte Tobias strahlend, obwohl sie es nicht sehen konnte. "Bin gleich da, leg nicht auf. Was machst du eigentlich gerade?" Er klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Ohr und fing wieder an, an seinem Fahrradschloss herum zu fingern.

"Ich lieg auf meinem Bett, starr die Decke an und freu mich tierisch darüber, dass dein Anruf den akuten Tod meiner Person verhindert hat." Tobias hielt inne. "Wot?", machte er und nestelte weiter an dem nervigen Fahrradschloss herum. "Ich hab mich gelangweilt, das ist alles", meinte Monami, während Tobias endlich sein Schloss auf bekam, es um die Sattelstange und den Gepäckträger legte und das Rad aus dem Ständer zog. Dabei fiel ihm das Handy herunter.

"Fuck", murmelte er, bückte sich mit einer Hand am Sattel seines Fahrrads und griff nach seinem Handy. "Ey, Tobias, bist du noch da? Was war denn das?", hörte er Monamis gedämpfte Stimme, kurz bevor er sich das Handy wieder ans Ohr hielt. "Ja, sorry, das Handy hat Schwerkrafttests durchgeführt", sagte er. "Häh?", machte Monami. "Es ist runter gefallen", erklärte Tobias schmunzelnd. "Ahso, sag das doch."

Tobias nahm das Handy in die linke Hand, schwang sich aufs Fahrrad und fuhr los, das Handy noch am Ohr. Der Weg war nicht weit und er konnte problemlos mit einer Hand lenken. Schwieriger wurde es beim Bremsen, aber das würde er auf der Fahrt zu Monami kaum müssen.

"Ey, Tobias, du fährst jetzt nicht mit Handy anner Backe, oder?", fragte Monami entsetzt. Tobias lachte. "Hey, ich bin ein Freak, schon vergessen?" "Und was für einer", brummte Monami. "Ein lebensmüder, durchgedrehter, schlecht angezogener und hinreißend süßer Freak!" "Wenn du das sagst, klingt es fast wie ein Kompliment", merkte Tobias an und hielt einen üblen Lachkrampf zurück, während er in einer beunruhigenden Schieflage um eine Kurve fuhr. Sein Fahrstil brachte seine Mitmenschen öfters zu besorgten Kommentaren. Aber was sollte man machen? Tobias liebte den Adrenalinschub, den er durch seine übertriebenen Kurven verspürte.

"Das ist Ansichtssache", stellte Monami seufzend fest. "Beeil dich mal", sagte sie dann. "Und klingel nicht, meine Eltern sind zu Hause." "Was ist so schlimm daran, wenn sie mich kennen lernen?", fragte Tobias verständnislos. "Lass uns das gleich besprechen, okay?", bat Monami. "Ey, bin ich dir peinlich?" Tobias verzog das Gesicht. "Nein, um Himmels Willen!", rief Monami aus. "Aber meine Eltern haben ein totales Problem mit Jungs. Ich bin ihre einzige Tochter und mein Vater will mich entweder verlobt oder single sehen. Daran ist auch meine erste Beziehung zerbrochen, ich hab Angst davor. Und wieso zwingst du mich, so was am Telefon zu besprechen?"

Tobias schwieg, bremste sein Fahrrad und sah zu Monamis Zimmerfenster hinauf. Monami klang so unglaublich traurig. "Entschuldige bitte, Monami", sagte er schließlich. "Magst du mal aus'm Fenster schauen?" "Wie...?"

Am Fenster erschien Monami und Tobias winkte ihr lächelnd. "Lässt du mich rein?", fragte er, als sie eher zaghaft zurück winkte. Er sah sie nicken.
 

Monami öffnete Tobias die Tür, zog ihn mit einem Finger an den Lippen in die Wohnung und in ihr Zimmer. Erst, als sie mit einem schweren Atemzug die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah sie Tobias richtig an. Und erst jetzt drückte sie die rote Taste auf ihrem Handy. Tobias tat es ihr schmunzelnd gleich, als Monami ihn auch schon umarmte. Wenn sie ihre dick besohlten Stiefel nicht trug, wirkte sie so winzig auf ihn. So war sie nämlich wirklich einen Kopf kleiner als er.

"Kannst du mir mal erklären, warum ich dich rund um die Uhr vermisse, obwohl ich dich jederzeit anrufen und sogar sehen kann?", seufzte Monami mit dem Kopf an seiner Schulter. Tobias lächelte, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie zärtlich. Als Monami fast sofort die Augen schloss, tat er es ihr gleich. Das war er nicht wirklich gewohnt, aber es hatte etwas.

"Vielleicht magst du mich ja einfach?", schlug er leise vor, als er sich von ihr löste. "Das wird’s sein", schmunzelte Monami. "Und was machen wir nun?" Tobias zuckte die Achseln, ging an Monami vorbei und setzte sich aufs Bett, wo es sich erst einmal seiner Schuhe entledigte. Monami ließ sich neben ihn fallen. Sie trug nur kurze Schwimmshorts und ein dünnes Trägertop, so dass Tobias sich neben ihr furchtbar dick eingepackt fühlte. Es war einfach viel zu warm in diesem Raum.

"Du riechst nach Schweiß, Tobias", murmelte Monami und schmiegte sich an ihn. "Ich weiß", erwiderte Tobias schlicht und legte eine Hand auf Monamis Schulter. "Schlimm?" Monami machte ein verneinendes Geräusch. Tobias seufzte leise und lächelte auf sie hinunter. Monami wirkte müde. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete leise vor sich hin. Tobias streichelte mit den Fingerspitzen über ihren Hals nahe der Schlagader. Er hatte schon herausgefunden, dass Monami das als angenehm empfand, allerdings hatte ihn das auch nicht überrascht. Viele Mädchen, die er kennen gelernt hatte, mochten es, am Hals gestreichelt zu werden.

Monami seufzte leise, lächelte leicht und rückte noch ein wenig näher an ihn heran. Die wachsende Nähe verursachte nur noch mehr Wärme. Tobias spürte, wie ihm Schweißtropfen den Rücken hinab krochen. "Monami?", murmelte er. "Hm?", machte sie unwillig. "Würd's dich stören, wenn ich mein Shirt ausziehe?, fragte Tobias. "Mir ist tierisch heiß." Monami setzte sich auf. "Mach ruhig", seufzte sie.

Tobias zog sich sein Shirt über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen, bevor er Monami wieder in seine Arme winkte. Er mochte es, wie sie sich an ihn kuschelte und wie sie wohlig seufzte, wenn er ihren Hals streichelte. Monami legte eine Hand auf sein Bein und rieb ihre Nase an seinem Hals. Tobias ergriff ihre Hand sanft und verschränkte seine Finger mit ihren.

"Du bist so schön warm", murmelte Monami. "Als lägst du gerade am Strand." "Wollen wir mal wieder schwimmen gehen?", fragte Tobias lächelnd. "Hmmm, gern", erwiderte Monami und schubste Tobias sanft in eine liegende Position. "Aber bis dahin können wir ja noch ein bisschen rückenschonender kuscheln", fügte sie hinzu, legte sich neben Tobias und schmiegte sich wieder in seine Arme. Tobias lächelte sanft. Mit Monami im Arm wäre er am liebsten einfach eingeschlafen, allerdings war es dafür zu warm und außerdem durfte er Monamis Eltern nicht vergessen. Ihr Vater versaute im Endeffekt die Stimmung, indem er an die Tür klopfte und Monami zum Essen rief. Monami lotste Tobias also wieder aus der Wohnung, hauchte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Lippen und schloss die Tür hinter ihm.

Ein eigenartiges Doppeldate

Viel Spaß beim Lesen. ^^
 

"Wir könnten ja zu viert schwimmen gehen", schlug Ben vor. Schon seit der ersten Stunde wirkte er total ausgelaugt. Er und Tobias saßen im schattigen Innenhof der Schule und Tobias hatte ihm soeben erzählt, dass er mit Monami wieder schwimmen gehen wollte.

"Wieso zu viert?", fragte Tobias verwirrt. Ben lächelte leicht. "Ich bin seit gestern nicht mehr single, mein Lieber", erklärte er. "Machen wir doch 'n Doppeldate draus." Tobias stockte, dann hob er die Brauen. "Du bist jetzt echt mit Kai zusammen?", hakte er nach. Ben nickte leicht. Er wirkte irgendwie nicht sonderlich begeistert, aber das kommentierte Tobias nicht.

"Yo, dann gehen wir doch zu viert", nickte er unbekümmert. Ben lachte leise. "Aber ich muss dich warnen, Kai nimmt auf die Öffentlichkeit nicht viel Rücksicht", sagte er amüsiert. "Ich hab andauernd seine Zunge im Hals." "Okay, zu viele Informationen", stellte Tobias resigniert fest. "Themawechsel: Warum siehst du aus wie aus der Mülltonne gefischt?" Ben hob die Augenbrauen. "Geiles Kompliment, das muss ich mir merken", bemerkte er trocken. "Kai und ich haben gestern Abend noch ziemlich lange unsere Beziehung eingeweiht", erklärte er sich dann und gähnte. "Ich würd dir ja noch mehr erzählen, aber das ist ja nicht so ganz dein Thema."

"Danke, ich kann's mir ganz gut vorstellen", hüstelte Tobias. Ben schmunzelte, lehnte sich in seinem Plastikstuhl zurück und spielte mit seiner Colaflasche, die er sich in der ersten Pause im Einkaufszentrum gekauft hatte. Hätte er die Cola nicht längst ausgetrunken gehabt, wäre sie wohl bereits pisswarm gewesen. "Ich hoffe, dass das mal 'ne längere Beziehung wird", seufzte er. "Ich hatte seit zwei Jahren keine richtige Beziehung mehr." Tobias horchte auf. Seit er wusste, dass Ben schwul war, stellte er sich immer wieder Fragen nach dessen Liebesleben.

"Du hattest schon mal 'nen festen Freund?", fragte er neugierig nach. "Yup", nickte Ben und klang überrascht. Offenbar hatte er nicht mit Tobias' Interesse gerechnet. "Hat 'n halbes Jahr gehalten, dann ging ich ihm damit auf die Nerven, dass ich unsere Beziehung nicht mehr verstecken wollte. Himmel, ich hab mir damals seinetwegen die Augen aus dem Kopf geheult." Ben schüttelte lächelnd den Kopf

"Oh, Mann", murmelte Tobias. Ben lachte. "Hey, auch Männer dürfen weinen, Koala", sagte er amüsiert. Tobias lächelte ironisch. "Eigentlich schäme ich mich grad dafür, dass ich damals nix gemerkt hab." Er zuckte zurück, als Ben ihm eine Hand auf die Schulter legte. "Wenn man jahrelang etwas versteckt, wird man erfinderisch, Koala", sagte Ben nachsichtig. "Ich wollte nicht, dass du es merkst."

Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. Er biss sich auf die Lippe, dann fragte er: "Stört sich Monami eigentlich an Schwulen?" Tobias guckte Ben überrascht an, dann schnaubte er belustigt. Er hatte Ben überhaupt nichts von Monamis Schwulenspleen erzählt. "Oh, sie wird euch auffressen vor Glück", erwiderte er grinsend. "Sie steht auf Yaoi." "Auf was?" Ben sah Tobias an wie das leibhaftige Fragezeichen. Tobias schmunzelte. "Schwulenmanga", erklärte er. "Ich hab genau so geguckt wie du grade, als sie's mir erklärt hat."

Ben ließ sich schwer in seinen Stuhl sinken und glotzte Tobias blöd an. "Frauen sind komische Wesen", stellte er fest. Tobias lachte. "Hey, es gibt Männer, die Lesben heiß finden, wo ist das Problem?", fragte er. Das Argument hatte er von Monami. "Das ist trotzdem eigenartig", beharrte Ben. "Toleranz ist ja 'ne tolle Sache, aber man kann's auch übertreiben." Tobias konnte nichts anderes tun als lächeln. "Ja, ich bin auch froh, dass sie nicht pausenlos davon redet", gab er zu. "Aber in der Buchhandlung geht’s los, das ist unheimlich."

Ben lächelte sarkastisch, dann stopfte er seine Colaflasche in seine Tasche und stand auf. "Wie wär's mit Samstag?", schlug er vor und nickte zur Schultür hinüber, um Tobias zu bedeuten, ihm zu folgen. Tobias folgte dem Wink. "Samstag klingt gut, aber ich muss das noch mit Monami abklären." "Ich mit Kai auch noch, Koala. Was denkst du denn?", lachte Ben und zog an der Tür. Sie rührte sich nicht. Ben sah die Tür verwirrt an.

"Äh, Ben? Du musst drücken", bemerkte Tobias. Ben grummelte leise und drückte die Tür auf. "Fuck off, warum haben die hier keine Schwingtüren?", beschwerte er sich. "Vielleicht wollten die, dass ich was zu lachen hab?", vermutete Tobias ohne jeglichen Ernst und lachte, als Ben ihm gegen die Schulter boxte.
 

Das Doppeldate fand statt. Und Monami war, wie Tobias es bereits erwartet hatte, hin und weg von Kai und Ben. Ben war entsprechend zurückhaltend, wenn es darum ging, mit Monami zu sprechen. Das begeisterte Funkeln in ihren Augen schien ihn ziemlich zu beunruhigen. Schon auf dem Weg zum Schwimmbad hatte er sich wie ein schüchternes Kleinkind hinter Kai versteckt.

"Mann, Koala, sag deiner Freundin mal, dass ich mich wie'n Tier im Zoo fühle, wenn sie mich so anglotzt!", machte Ben seinem Ärger Luft, als sie in der Umkleide standen. Es war eine Umkleide ohne Einzelkabinen, weshalb sie problemlos miteinander reden konnten.

"Ich werd mit ihr reden", versprach Tobias und schlüpfte in seine Schwimmshorts. "Danke, Koala." Ben richtete seine Kette mit einem Seufzen. Tobias hob die Augenbrauen. "Du trägst die Kette immer noch?", fragte er erstaunt. Ben sah ihn verwundert an. "Selbstverständlich", nickte er. "Warum auch nicht?" "Naja, wo du doch jetzt...", setzte Tobias an, doch Ben lachte. "Hast du's nicht gehört? Ich hab den Koala nicht deinetwegen gekauft. Ich mag den Anhänger, weil ich Koalabären so oder so mag, also muck nicht."

"Ay, was turtelt ihr hier herum, häh?", lachte Kai plötzlich und umarmte Ben von hinten. Tobias kam es für einen Moment so vor, als sähe Ben plötzlich angewidert aus, doch er tat es als Einbildung ab, als Ben lächelte und sich von Kai küssen ließ. "Ich dachte, ich darf mal 'nen Hetero anschmachten", grinste er. Kai verzog das Gesicht, lachte dann aber. "Ay, Tobias, das ist mein Benny. Schon klar, nicht?", grinste er Tobias an. "Ay, Kai, schon klar", äffte Tobias Kai ein wenig nach, aber Kai merkte es offensichtlich nicht. Kais seltsames "Ay" klang fast wie das "Aye" von Seemännern, das A hatte nur etwas mehr von einem E.

"Lasst uns raus gehen, eure Eifersüchteleien sind ja so armselig", lachte Ben, schnappte sich seine Sachen und ging vor. Als Tobias ihm nachlaufen wollte, packte Kai ihn grob am Arm. Sie waren allein in der Umkleide. "Was willst du, hm?", wollte Tobias verstört wissen. Kai sah ihn verärgert an. "Ay, ich meinte das ernst, Benny gehört mir. Wenn du auch nur einen Finger an ihn legst, bist du dran, klar?" "Mach mal halblang!", schnaubte Tobias und riss sich los. "Erstens will ich überhaupt nichts anderes als Freundschaft von Ben und zweitens ist er keine Sache, die jemandem gehört. Ben ist ein Mensch wie du und ich auch, alles klar?" Kai knurrte unwillig. "Wie dem auch sei, Benny ist mein Freund, dass das klar ist." "Du wiederholst dich", brummte Tobias unbeeindruckt und folgte Ben nach draußen.
 

Kai musste sich wirklich keine Sorgen machen. Tobias fielen eher beim Anblick von Monami fast die Augen aus dem Kopf, als dass er Ben hinterher geguckt hätte. Monamis Bikini war zwar ein völlig normaler schwarzer Bikini mit Rosendruck auf der rechten Brust, aber der darin steckende Körper war verdammt scharf in der Verpackung.

"Himmel, Monami, willst du mich umbringen?", lachte Tobias und zog sie spontan in seine Arme. "Was geht?", fragte Monami verwirrt. Tobias sog den frischen Duft ihrer warmen Haare ein. Sie benutzte irgendein fruchtiges Shampoo, so viel stand fest. "Du siehst ein bisschen arg gut aus", murmelte Tobias. Monami kicherte leise. "Tut mir fast leid." Tobias schmunzelte.

"Ben fühlt sich unwohl, wenn du ihn so anstarrst", sagte er dann und sah sich nebenher schon einmal nach einem Liegeplatz um. "Kein Wort gegen deine Vorlieben, aber es wäre nett, wenn du Ben nicht wie ein Schauobjekt behandeln könntest, okay?" "Sorry, Tobias", murmelte Monami schuldbewusst gegen seine Schulter. "Ich war nur so begeistert, ein echter Schwuler, verstehst? Für jemanden wie mich grenzt das an 'ne Unmöglichkeit. Aber ich werd mich jetzt zurücknehmen, fest versprochen." Tobias küsste sie sanft. "Danke, Monami", lächelte er.

Es war Kai, der schließlich einen halbwegs schattigen Liegeplatz fand. Sie legten ihre Sachen ab und wollten sofort ins Wasser. Kai meldete sich freiwillig, erst einmal auf die Sachen aufzupassen, da er sich ohnehin erst einmal ein wenig sonnen wollte. Ben küsste ihn sanft, wobei Monami ihn verstohlen beobachtete, dann liefen sie zu dritt zum Schwimmbecken.

Tobias wurde erst einmal von Monami und Ben von Beckenrand geschubst, als kein Bademeister hinsah. Voller Rachsucht zog Tobias Ben mit sich, Monami konnte seinem raschen Griff ausweichen. Lachend und Wasser spuckend tauchten er und Ben wieder auf. Ben bespritzte Tobias ausgiebig mit Wasser, bevor er Monami ins Becken winkte. Sie sprang per Arschbombe ins Wasser und ließ einen erneuten Schwall Wasser über die Jungen niedergehen. Es war erstaunlich, wie viel Wasser ein schmales Mädchen wie Monami in Bewegung setzte.

"Habt ihr's bald?!", rief Tobias aus und wollte eigentlich wütend klingen, konnte aber nicht aufhören zu lachen. "Ertrink mir nicht!", rief Monami lachend aus. "Geb mir Mühe!", erwiderte Tobias, ging allerdings fast unter vor Lachen.

Sie sammelten sich am Beckenrand und planschten herum, bespritzten einander mit Wasser, gluckerten sich gegenseitig unter und Ben entwickelte das seltsame Hobby, unter Tobias durchzutauchen und ihn an den Füßen auf den Grund zu ziehen.

Kai gesellte sich später zu ihnen, indem er Ben an den Füßen unter Wasser zog. Tobias war einerseits froh, dass auch Ben dieses zweifelhafte Vergnügen mal zuteil kam, andererseits fühlte er sich unwohl in Kais Gegenwart. Sein seltsamer Unterton in der Umkleide hatte Tobias tief beunruhigt, auch wenn er es sich nicht hatte anmerken lassen. "Ich geh zum Platz und pass auf die Sachen auf", verabschiedete er sich also. Er langweilte sich lieber als beunruhigt zu sein. Ben sah ein wenig enttäuscht aus, hielt Tobias aber nicht zurück, als der zur nächsten Leiter schwamm.

Tobias kehrte zu ihrem Liegeplatz zurück, breitete sein Handtuch aus und legte sich auf den Rücken. Die Sonne wärmte ihn sanfter als in den vergangenen Tagen auf, so dass er in einen angenehmen, warmen Dämmerschlaf glitt, ohne sich über Sonnenbrand und ähnliches Gedanken zu machen.

Was ihn aufweckte, war sein blöd vor sich hin dudelndes Handy. Tobias grummelte verschlafen, nahm sich zum bestimmt tausendsten Mal vor, den Klingelton endlich zu ändern, grabschte zielsicher in seine Tasche und zog nach einer Weile des Kramens sein Handy heraus.

"Wer stört?", meldete er sich und gähnte. "Äh, Tobias? Alles Flocke?", fragte Dannys Stimme verwirrt vom anderen Ende. "Du klingst, als hätte ich dich geweckt." "Ach, drauf gepfiffen, ich bin im Schwimmbad weggepennt", erklärte Tobias locker. "Was gibt’s? Party?" Ein wenig entrückt rieb Tobias sich mit der freien Hand die Augen und setzte sich auf.

"Yap", bestätigte Danny. "Also, hast du Lust? Heute Abend um 9:00? Ich hab auch wieder 'n Zimmer für dich." Tobias zuckte zusammen. Dass Danny ihm immer das Gästezimmer reservierte, hatte er schon fast vergessen. Und Danny wusste noch gar nicht, dass Tobias seit einer Woche vergeben war. "Äh...", machte er erst einmal. "Also, auf Party hätte ich schon Lust, aber das Zimmer kannste ungemacht lassen, ich bin inzwischen glücklich vergeben." "WAS?!"

Tobias hielt das Telefon von seinem Ohr weg und stöhnte leise. Dass Dannys Stimme so schrill werden konnte, hatte er nicht gewusst. "Was "Was"?", murrte er, nachdem er das Telefon wieder näher am Ohr hatte. Danny fing an zu lachen, was durch das Telefon ziemlich seltsam klang. "Echt, Tobias Schenker, Frauenheld und überzeugter One-Night-Standler, ist glücklich vergeben! Lass dir das mal auf der Zunge zergehen, das klingt so... irreal." "Fick dich", schnaubte Tobias, grinste dabei allerdings und klang auch nicht wirklich verärgert.

"Also kommst du nachher?", ging Danny von Tobias' Zustimmung aus. "Bring deine Flamme mal mit. Die Frau, die ausgerechnet dich monogam gemacht hat, will ich sehen!" "Ey! Fick dich!", wiederholte Tobias, bekam das fette Grinsen aber nicht mehr aus seinem Gesicht. Ein Mädchen im knallbunten Bikini kam an ihm vorbei und starrte ihn ungläubig an. "Bitte was?", fragte sie verärgert. Offenbar hatte sie Tobias' Ausruf auf sich bezogen. Tobias sah sie verwirrt an. "Häh?", machte er. "Warte mal, Danny, ich werd grad angemacht." "Geht klar", lachte Danny und Tobias ließ das Handy sinken.

"Darf ich fragen, was dich jetzt angefasst hat?", fragte er, irgendwo zwischen Neugierde und Verwirrung. "Jetzt spiel nicht den Unwissenden", fuhr das Mädchen ihn an. Ihr Oberteil war ihr viel zu klein, ihre üppigen Brüste quollen fröhlich daraus hervor. Außerdem waren ihre Nippel hart. Tobias grinste in sich hinein. Mädchen bezeichneten sich selbst immer als dick und kauften sich nebenbei zu kleine Klamotten, das hatte schon etwas paradoxes an sich. "Du hast doch grad gesagt "Ich fick dich", oder nicht?", fragte sie gereizt.

Tobias hob die Augenbrauen, dann lachte er laut auf. "Hey, nix gegen dich, du bist alles andere als hässlich, aber das war jetzt echt nicht auf dich bezogen", klärte er das Missverständnis auf. "Ich hab meinem Kumpel am Telefon nur gesagt, er solle sich ficken, weil er mal wieder Scheiße gelabert hat." "Ach so." Die Gesichtszüge des Mädchens entspannten sich und sie strich sich eine rabenschwarze Haarsträhne hinters Ohr.

"Sorry, ich krieg nur ständig stumpfe Anmachen zu hören", erklärte sie sich verlegen lächelnd. Wäre Tobias nicht voll und ganz in Monami verliebt gewesen, wäre dieses Mädchen glatt eine Kandidatin für ihn gewesen. "Das wäre jetzt echt die stumpfeste gewesen, die ich je gehört hab", fügte sie hinzu. "Keine Sorge, ich pflege Mädchen etwas stilvoller rumzukriegen", beruhigte Tobias sie zwinkernd, als sich plötzlich jemand neben ihn warf. "Ey, yo, machst du meinen Freund an?!"

Tobias seufzte leise. Monami wurde ja schnell eifersüchtig. "Bleib cool, Monami. Sie hat nur was falsch verstanden, das ich am Telefon zu 'nem Kumpel gesagt hab." Beschwichtigend küsste er Monami, dann sah er das schwarzhaarige Mädchen an. "Sorry", sagte sie lächelnd. "Ich werd nicht weiter stören." Tobias winkte schmunzelnd ab. "Schon okay, kann ja mal vorkommen." Sie lächelte ihn noch einmal zaghaft an, dann ging sie davon.

Tobias fiel sein Handy wieder ein und er hielt es sich rasch ans Ohr. "Ey, Danny, bist du noch dran?" "Claro que sí", erwiderte Danny locker. "Das verschwiegene Geld zahlst du mir zurück." "Ich trink 'n Bier weniger, versprochen", schnaubte Tobias grinsend. "Und ich werd allein kommen. Bis nachher." "Schaaade", maulte Danny. "Na gut, see ya." Und schon hatte er aufgelegt.

"Gehst du nachher noch weg?", fragte Monami neugierig. "Hm?", machte Tobias und schob sein Handy zurück in seine Tasche. "Ja. Danny, 'n Kumpel von mir, veranstaltet mal wieder 'ne Party", nickte er dann und lehnte sich zurück. "Und du ziehst nicht mal in Erwägung, mich mitzunehmen?", schmunzelte Monami. "Hättest du gewollt?", entgegnete Tobias. "Nicht wirklich. Hab heute Abend eh schon was vor." "Was denn?"

Monami schwieg sekundenlang, dann zog sie leicht am Träger ihres Bikini-Oberteils. "Natalie hat mich zu sich eingeladen. Wir wollen mal wieder 'nen Mädchenabend machen, so mit Titanic, Schminktipps, Klatsch und Tratsch, Stargeschwärme und all dem Blödsinn, wie Mädchen halt so sind", sagte sie und lachte. Von Natalie hatte sie Tobias bereits erzählt. Sie war Monamis beste Freundin und völlig anders als diese, aber das machte angeblich ihre Freundschaft aus.

"Wenn ich das nächste Mal total wellige Haare habe, ist Jenny dran Schuld, sie flechtet mir bei so was immer die Haare", fuhr Monami leise fort, drückte Tobias auf den Boden und legte ihren Kopf auf seinen Bauch. Nun lagen sie wie ein T auf ihren Handtüchern und ließen sich von der Sonne wärmen.

"Warum wolltest du mich denn nicht mitnehmen?", fragte Monami nach einer Weile. Ihr nasses Haar kitzelte Tobias an der Seite, als sie sich auf die Seite drehte. "Weil ich auf Dannys Partys als Mädchenaufreißer bekannt bin", antwortete Tobias. "Ich dachte, das könnte dich vielleicht verärgern." "Du? Ein Mädchenaufreißer?", hakte Monami ungläubig grinsend nach. "Hätte ich dir jetzt nicht zugertraut." "Tja, auch Freaks können normalen Mädchen gefallen, meine liebe, kleine Monami", schmunzelte Tobias, hob die Hand und streichelte Monami zärtlich am Hals. Sie seufzte wohlig auf und zog die Beine an den Körper. Dabei erinnerte sie Tobias ein bisschen an eine zusammengerollte Katze, die sich Streicheleinheiten gefallen ließ, was an der Realität ja nur knapp vorbei schrammte.

"Du bist gar kein Freak", murmelte Monami. "Jedenfalls kein richtiger." "Was denn dann? Ein falscher Freak vielleicht?", witzelte Tobias. "Muss wohl so sein", grinste Monami und piekste ihm frech in die Seite, so dass er zusammenzuckte, weil seine Seiten empfindlich waren. "Du bist mein großer falscher Freak." "Damit kann ich leben", schmunzelte Tobias und setzte sich auf. Monamis Kopf fiel in seinen Schoß und sie sah ihn schmollend an.

"Das war jetzt nicht sehr nett", stellte sie fest. "Soll ich netter werden?", erwiderte Tobias mit einem frechen Lächeln auf den Lippen und beugte sich zu ihr hinunter. Er hätte sie auch mit Freuden geküsst, wenn nicht plötzlich ein ihm nur zu bekanntes Lachen erklungen wäre.

Schon ein bisschen verärgert richtete Tobias sich auf und erblickte Ben und Kai, die händchenhaltend zum Platz kamen. "Ay, nicht aufhören, ihr seht so süß aus", scherzte Kai. Ben lachte, setzte sich und zog Kai dabei mit sich. "Ay, nicht loslassen, ihr seid so ein süßen Paar!", keifte Tobias Kai an, als der Bens Hand losließ. Ben sah Tobias verständnislos an. Tobias schob Monami von sich herunter, stand auf und lief zum Schwimmbecken, als könne er Ben so entkommen, was natürlich völliger Blödsinn war.

Ben holte Tobias bei den Duschen ein, die rund um die beiden Becken verteilt waren. Grob packte er Tobias am Handgelenk und zog ihn zurück. "Was ist los, Koala?", wollte er wissen. "Gar nichts ist los", murrte Tobias. "Dein Bruder ist 'n Kotzbrocken." "Nur, weil du sein "Ay" nicht abkannst?", brummte Ben mit einem überlegenen Lächeln. "Komm, Koala, das ist echt schwach." "Daran liegt's nicht", behauptete Tobias.

In Wahrheit hatte er keine Ahnung, was ihn an Kai so aufregte. Als er ihn kennen gelernt hatte, hatte er in ihm nur ein Mittel gesehen, um Bens Gefühle für ihn zu löschen wie eine Datei von einer Festplatte. Jetzt, wo Tobias dieses Mittel erfolgreich eingesetzt sah, fand er Kai abstoßend, aber der Grund dafür ging ihm einfach nicht auf.

Tobias quiekte auf wie ein kleines Mädchen, als Ben plötzlich die Arme um seinen Hals legte und seine Finger hinter seinem Nacken verflocht. "Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?", säuselte Ben, sah Tobias dabei aus halb geschlossenen Augenlidern an und zitterte aus irgendeinem Grund. Er machte Witze. Er musste Witze machen! Tobias hätte ihn am liebsten ausgelacht, doch er bekam keinen Laut heraus. War ihm die kleine Narbe direkt neben Bens Unterlippenpiercing schon einmal aufgefallen? Er war sich gerade nicht sicher...

"Alter, Koala!", rief Ben prustend aus und schubste ihn von sich. "Du hast das grad nicht ernst genommen, oder?" Deswegen hatte er also gezittert. Er hatte einen Lachanfall unterdrückt. Also hatte er doch nur gescherzt. Tobias spürte verwirrenderweise Enttäuschung in sich aufkommen, anstatt dass er erleichtert gewesen wäre.

Ben hörte auf zu lachen und sah Tobias forschend an. "Alles in Ordnung, Koala?, fragte er fast besorgt. "Du guckst so komisch. Das eben war doch nur ein Witz." "Sorry, ich bin grad nicht in Witzstimmung", murmelte Tobias kopfschüttelnd. "Ich geh noch mal ins Wasser , kommst du mit?" Während er noch sprach, drehte er sich bereits um, ohne darauf zu achten, ob Ben ihm jetzt folgte oder nicht.

Ben folgte ihm tatsächlich. Tobias warf sich vom Startblock ins Wasser, nur um kurz darauf von Ben angesprungen zu werden. "Mann, du Idiot!", rief Tobias aus, musste aber wieder einmal lachen. "Ich steh dazu", grinste Ben. "Hey, wie wär's? Wettschwimmen, zehn Bahnen, der Sieger darf den Verlierer vom Dreier schubsen!" Tobias lachte laut auf, schlug aber ein. Er wusste schon jetzt, dass seine Chancen auf den Sieg in etwa so hoch waren wie ein eingestürztes Hochhaus, doch so lange er etwas allein mit Ben machen konnte, war ihm das völlig recht. Und vom Dreier geschubst zu werden war auch kein Drama.

"Zehn Mal hin und her oder gilt jeder Anschlag als Bahn?", fragte Tobias sicherheitshalber nach. Ben grinste diabolisch. "Na, hin und her, Koala, was denkst du denn?", erwiderte er. Tobias hatte es befürchtet. Dazu war seine Kondition nicht stark genug ausgeprägt, er konnte sich also eigentlich schon auf dem Drei-Meter-Brett postieren und da auf Ben warten, allerdings hätte das keinen Spaß gemacht.

Tobias brachte sich also wie Ben in Startposition. Sie zählten gemeinsam von drei bis null, dann zischten sie los. Ben schwamm um einiges schneller als Tobias, aber das war nichts neues. Auch Bens Sieg war abzusehen gewesen. Und als Ben Tobias vom Sprungbrett schubste, packte Tobias ihn am Handgelenk und zog ihn einfach mit sich. Mit einem Aufschrei landete Ben direkt auf Tobias im Wasser und versenkte ihn damit. Hustend und spuckend kamen beide wieder hoch und schwammen so schnell wie möglich wieder in den Schwimmbereich.

"Bist du noch ganz klar?", rief Ben aus, lachte aber dabei. "Sorry, Spontanverbrechen", grinste Tobias verlegen. "Verzeihst du mir?" "Natürlich, du Nuss", schnaubte Ben lächelnd und bespritzte Tobias mit Wasser. Tobias wehrte sich lachend, begrub Ben unter Wasserladungen und verlor ihn dabei völlig aus den Augen. Und als er aufhörte zu spritzen, war Ben weg. Tobias glotzte blöd auf die Wasseroberfläche und beging den Fehler, nicht nach unten zu gucken. Folglich bekam er auch nicht mit, wie Ben unter ihm durchtauchte. Und schon war er von Ben wieder unter Wasser gezogen worden.
 

Als Tobias und Ben später zum Platz zurück kamen, saßen Monami und Kai mit jeweils einer Portion Pommes auf ihren Handtüchern. Sie waren offenbar beim Kiosk gewesen.

"Ich dachte, ihr braucht mal eben 'n bisschen Zeit zum reden", erklärte Monami. "Da hab ich Kai angeboten, uns was zu spachteln zu holen." Tobias küsste sie zärtlich und klaute ihr währenddessen eine Fritte von ihrem Pappteller. "Dieb", schmunzelte sie und lehnte sich an ihn, nachdem er sich gesetzt hatte. Ihre warme, trockene Haut fühlte sich angenehm auf seiner nasskalten Schulter an.

Ben ließ sich neben Kai aufs Handtuch fallen und schnappte sich ein paar Fritten von seinem Teller. "Will noch jemand ins Wasser?", fragte er kauend und griff schon wieder nach Kais Teller. Kai sah ihn grummelig an. "Sonst würd ich nämlich gern wieder nach Hause." "Schon?", grinste Monami. "Wirst du wasserscheu?" Ben lächelte sie sarkastisch an. "Nein, eigentlich werd ich monamischeu", behauptete er ironisch. "Aber eigentlich wird mir lediglich der Wasserspiegel in meinen Ohren zu hoch."

Nachdem die Pommes Frites vernichtet waren, packten sie also ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Weg zu den Umkleiden. Kai war als Erster mit dem Umziehen fertig. "Ay, Benny, kommste zu Hause mit in mein Zimmer?", fragte er mit einem Blick, der seine nicht jugendfreien Absichten deutlicher verriet als ein Neonschild es vermocht hätte. Ben sah ihn an, zog sich sein T-Shirt über den Kopf und schüttelte dann den Kopf. "Ich bin müde, Kai. Hetz mich nicht." Kai verzog mürrisch die Lippen. Sie waren erstaunlicherweise schon wieder allein in der Umkleide, obwohl das Schwimmbad wirklich gut besucht war.

Tobias konzentrierte sich auf seine Klamotten, während Kai und Ben weiter diskutierten. "Wieso hetze ich dich?", wollte Kai verärgert wissen. "Weil Sex nach nicht einmal einer Woche keine Pflicht ist", erwiderte Ben und klang nicht besser gelaunt. Tobias hielt kurz inne und warf einen verstohlenen Blick auf die beiden. Als Ben am Montag von "Beziehungseinweihung" gesprochen hatte, war Tobias davon ausgegangen, dass die beiden die ganze Nacht durch gevögelt hatten. Offenbar hatte er da falsch gelegen.

"Du willst doch nur nicht, weil du unten liegen müsstest", brummte Kai. "Das hat doch damit nichts zu tun!", fauchte Ben und Tobias spürte, wie er scharlachrot anlief. Das war nun wirklich kein Thema, das man mit Zuhörern besprechen sollte. "Klar bin ich nicht dran gewöhnt, unten zu liegen, ich hatte bisher immer das Sagen beim Sex", fuhr Ben allerdings unbeirrt fort. "Aber ich finde einfach nicht, dass Liebe schnellen Sex braucht, also lass mir einfach noch Zeit!"

Kai verschränkte die Arme vor der Brust. "Fein", murrte er. "Ich finde schon, dass Sex zur Beziehung gehört, aber offenbar sind wir da unterschiedlicher Ansicht. Wir reden da später drüber." Und schon hatte er die Umkleide verlassen. Ben sah ihm sekundenlang hinterher, dass ließ er sich mit einem abgrundtiefen Seufzen auf eine der Sitzbänke fallen. "Und ich dachte, das wäre endlich mal wieder was ernstes", murmelte er mehr zu sich selbst als zu Tobias.

Tobias setzte sich neben ihn und Ben zuckte heftig zusammen. "Ah, Koala, du bist ja auch noch da", murmelte er und lief dunkelrot an. Tobias musste lächeln. "Tja, so schnell kann man mich vergessen. Aber ist es für Beziehungsprobleme nicht ein bisschen früh?"

Ben lächelte ihn traurig an. "Ist wohl so", gestand er sich ein. "Aber Kai versucht schon seit drei Tagen, mich ins Bett zu kriegen. Und ich hab da halt noch keine Lust drauf." "Wieso denn? Ich dachte, du hättest Gefühle für ihn?", wunderte sich Tobias. Ben zuckte die Achseln. "Gefühle sind nun definitiv nicht alles, was man beim Sex braucht, das weißt du", brummte er. "Aber denkst du nicht auch, dass man in 'ner festen Beziehung durchaus mal langsam machen kann?"

Tobias zuckte leicht zusammen, als Ben ihn direkt ansah. Für einen Moment hatte er ein komisches Gefühl im Bauch, dann war es wieder weg. Tobias blinzelte verwirrt. "Doch, da hast du Recht", nickte er rasch, um seine Unsicherheit zu überspielen. Ben lächelte schwach. "Danke, Koala", sagte er. "Wofür denn?", lachte Tobias und stand auf. "Lass uns raus gehen, Monami und Kai warten bestimmt auf uns Lahmärsche." Ben ließ sich schmunzelnd von Tobias mitziehen und entzog ihm seine Hand erst, als sie die schattige Umkleide verlassen hatten und in den warmen Sonnenschein getreten waren.
 

Monami fuhr vom Schwimmbad aus mit dem nächsten Bus zu Natalie. Kai war schon längst abgedampft, als Ben und Tobias die Umkleide verlassen hatten. Tobias hatte Ben also auf dem Heimweg für sich, was Ben erst einmal ausnutzte, um pausenlos vor sich hin zu seufzen.

"Mann, Ben, jetzt mal hoch mit dem Kopf und lass das Kleinmädchengetue", wollte Tobias ihn auf halber Strecke aufheitern und packte ihn bei der Schulter. Ben sah ihn mürrisch an. "Ich bin schwul, ich darf das", brummte er. "Die Entschuldigung zieht nicht!", erwiderte Tobias beharrlich. "Du ziehst jetzt auf der Stelle 'n netteres Gesicht oder ich schlepp dich mit zu Danny. Und zwar ungestylt!"

Ben glotzte Tobias an, als wäre er in diesem Moment davon überzeugt worden, dass dieser in Wirklichkeit eine Frau war. "Du willst mich ungestylt auf 'ne Party schleppen?", wiederholte er entsetzt. "Willst du mich umbringen?!" Tobias lachte laut auf. "Ich hatte mich schon gefragt, was dich mehr entsetzt", gab er zu. "Du kommst jetzt erst mal mit zu mir und gönnst dir 'ne Dusche und dann sehen wir weiter, du Jammerlappen, okay?" Ben lächelte schwach. "Na gut", murmelte er.

Brüche

Tadaaa, Nummer 8 ist da! Momentan schreib ich erst an Kapitel 10, die Updates könnten ab jetzt also etwas langsamer kommen. Ich bitte um Nachsicht. ^^ Viel Spaß beim Lesen, ich hoffe es gefällt. :)
 

Ben hatte schon immer lustig im Bademantel ausgesehen. Als er nach der Dusche in besagtem Kleidungsstück in die Küche kam, musste Tobias grinsen. "Du siehst dadrin so verflucht weiblich aus!", sagte er und Ben streckte ihm die Zunge heraus. "Dafür hast du als Kleinkind Badeanzüge getragen", konterte er und setzte sich. "Boah, jetzt geht’s aber los!", lachte Tobias. "Da war meine Mutter dran schuld, sie wollte unbedingt 'ne Tochter haben!" "Eine Tochter mit zu viel in der Hose", bemerkte Ben mit einem liebevoll gehässigen Grinsen. "Obwohl... Nein, es dürfte nicht allzu sehr aufgefallen sein", fügte er boshaft hinzu.

Tobias verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte beleidigt. "Ich hab doch allemal mehr als du", brummte er. "Hast du nicht und das wissen wir auch schon seit der ersten Dusche nach dem Sport", entgegnete Ben gelassen. Tobias hob die Augenbrauen. "Wo guckst du denn während der Dusche hin?", fragte er ungläubig nach. "Sag mir nicht, du hättest dich beim Duschen nie verglichen!", staunte Ben. "Ääh... Nee?", machte Tobias, noch immer einigermaßen fassungslos.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Ben drehte verlegen Däumchen und Tobias suchte etwas interessanteres zum Angucken als die blöde Fliege, die immer hinter Ben entlang flog. Nach einer Weile brach Tobias doch das Schweigen. "Also... hast du tatsächlich mehr als ich?", fragte er mit sich rasch erhitzenden Wangen und sah Ben verlegen an. Ben nickte zaghaft. "Nicht viel mehr, aber mehr, vielleicht ein oder zwei Zentimeter", erwiderte er. "Ist das nicht ein total beschissenes Thema?", fragte er dann und stand auf, ging zur Küchenzeile hinüber und holte sich aus einem der Hängeschränke ein Trinkglas.

"Willst du auch 'n Glas Wasser?", fragte er. "Nein, danke", lehnte Tobias ab. "Ich wollte jetzt eh duschen gehen. Muss bald mit Stylen anfangen, sonst werd ich nicht fertig bis 9:00." Ben schaute verwundert auf die Uhr über der Küchentür. "Es ist jetzt gerade einmal sechs Uhr. Seit wann zum Henker brauchst du drei Stunden zum Stylen, du Mädchen?"

"Viertelstunde Weg", fing Tobias an aufzuzählen. "Für etwaige Hindernisse fünf Minuten Zuschuss, also zwanzig Minuten. Duschen brauch ich 'ne halbe Stunde, sind schon mal fünfzig Minuten, schon fast 'ne Stunde weg. Die verbliebenen zehn Minuten brauch ich, um zu entscheiden, was ich anziehe. Dann brauch ich noch mal bis zu zehn Minuten fürs Anziehen, dann hab ich noch eine Stunde und fünfzig Minuten. Für meine Haare brauch ich inzwischen auch schon 'ne Stunde. Kein Plan, ob ich alt oder einfach nur langsam werde. Auf jeden Fall hab ich dann noch fünfzig Minuten, in denen ich zwischendurch was trinken kann, meine Klamotten zwei Mal wechseln kann, weil was nicht zusammen passt, Musik anmachen, umschalten, ausmachen kann und all den Kram halt."

Ben glotzte Tobias schon wieder mit diesem "Also bist du doch 'ne Frau!"-Blick an. "Das war jetzt nicht dein Ernst, oder?", hoffte er. "Du kennst mich seit fast dreizehn Jahren und weißt immer noch nicht, dass ich unlogisch bin?", grinste Tobias. "Also echt, Ben, du enttäuschst mich." "Du hast ja in den vergangenen vier Jahren auch nicht bemerkt, dass ich auf Männer stehe", versetzte Ben ihm einen kleinen Dämpfer und nahm einen Schluck aus seinem inzwischen gefüllten Wasserglas. "Das zählt nicht", motzte Tobias und stand auf, dann stockte er.

"Du stehst schon seit vier Jahren auf Männer?", hakte er ungläubig nach. "Surprise, surprise", grinste Ben. "Naja, auf jeden Fall wurden Männer allmählich interessant, als ich dreizehn wurde. Bis dahin dachte ich ja, es wäre normal, sich in meinem Alter noch nicht für Mädchen zu interessieren, aber als ich plötzlich merkte, dass mir die Jungs um mich herum plötzlich gefielen, wurde mir so langsam klar, dass ich nicht so ganz der anerkannten Norm entsprach."

"Wissen deine Eltern eigentlich davon, dass du schwul bist?", wollte Tobias neugierig wissen. So wenig er sich auch damit identifizieren konnte, das Thema interessierte ihn aus irgendeinem Grund brennend. Ben lachte leise und schwenkte sein Glas sanft in der Hand. "Nein, ich hielt es nicht für nötig, ihnen zu beichten, dass ich ihnen niemals eine Freundin vorstellen werde", antwortete er. "Es gibt so Augenblicke, da würde ich mich gern bei ihnen ausheulen, weil ich selbst nicht immer damit klar komme, aber dann hab ich wieder Angst, sie könnten mich dafür hassen."

"Ist das auch einer der Gründe, warum du Kai ablehnst?", wagte Tobias zu vermuten. "Weil du befürchtest, deine Eltern könnten was mitkriegen?" Ben kam kopfschüttelnd zum Tisch zurück. "Nein, das mit Kai ist ein ganz anderes Problem", behauptete er. "Klar ist das mit meinen Eltern auch so 'ne Sache, aber die würden eh nix mitbekommen, glaub ich. Die haben 'nen tiefen Schlaf."

Tobias nickte leicht. Er hatte noch eine ganz andere Frage im Sinn, aber er traute sich nicht, sie zu stellen. Ben saß auf seinem Stuhl, spielte mit seinem Wasserglas und beachtete Tobias höchstens peripher. Es war also die perfekte Gelegenheit, endlich duschen zu gehen.

Tobias ließ Ben also in der Küche sitzen und ging ausgiebig duschen. Das Chlorwasser im Schwimmbad hinterließ immer so einen unangenehmen Geruch auf seiner Haut. Nach Chlor eben. Während er sich also ordentlich mit Duschgel einseifte, um den Geruch loszuwerden, kam Tobias wieder seine unausgesprochene Frage in den Sinn. Wann hatte Ben Gefühle für ihn entwickelt? Und warum hatte Tobias es nie mitbekommen?

Jetzt, wo er darüber nachdachte, kam es Tobias schon seltsam vor. Wann immer Gespräche, an denen Ben beteiligt war, sich dem Thema Mädchen zugewandt hatten, hätte er sich entweder ausgeklinkt oder das Thema geschickt gewechselt. Und er hatte tatsächlich nie eine Freundin gehabt. Tobias hatte öfters mit seinen Eroberungen auf Partys angegeben, Ben hatte nicht einmal gern mit Mädchen gesprochen. Das Thema Sex war auch nie etwas gewesen, über das man mit ihm hatte reden können. Erst seit Tobias wusste, dass Ben schwul war, redeten sie ziemlich offen miteinander.

"Hey, haste dich ertränkt, Koala? Du bist schon fast vierzig Minuten da drin!", durchbrach Bens Stimme seine Gedanken. Sie klang erschreckend nahe. "Du hast übrigens vergessen, die Tür abzuschließen", fügte Ben hinzu, was den seltsam klaren Klang seiner Stimme erklärte. "Musst du deshalb rein kommen?!", fauchte Tobias und spürte, wie er heftig errötete. Ben lachte. "Ich guck dir schon nix ab durch die Duschkabinenwand", versprach er. "Ich krieg ja nicht mal 'nen anständigen Blick auf deinen kleinen Knackarsch."

"Das ist auch gut so!", erwiderte Tobias. "Und jetzt mach, dass du raus kommst, ich komm gleich raus." "Schade. Ich dachte, jetzt krieg ich was zu sehen", murrte Ben ironisch, verließ aber den Geräuschen nach zu schließen das Badezimmer. Tobias schüttelte den Kopf. Dieses ständige Pseudoflirten nagte schon ein wenig an seinen Nerven, aber Ben schien es Spaß zu machen, deshalb ertrug er es. Irgendetwas sagte ihm, dass Ben das schon immer hatte machen wollen und sich nur zurück gehalten hatte, weil Tobias nichts von seiner Homosexualität hatte wissen sollen.

Mit einem Handtuch um den Hüften begab Tobias sich in sein Zimmer und schrak erst einmal zusammen, weil Ben auf dem Bett saß und seelenruhig Fernsehen guckte. Derzeit liefen Nachrichten. "Der Schwulenblender hat mal wieder zugeschlagen", stellte Ben fest und nickte neben sich. "Guck doch eben mit", bot er an. Tobias setzte sich, zupfte an seinem Handtuch herum, bis er dessen Zensurtalent traute und blickte dann auf den Fernseher.

Die Moderatorin stand vor dem Bild eines jungen Mannes mit zu genähten Augen. Kein ungewöhnliches Bild in letzter Zeit. Ben seufzte jedoch leise. "Das ist Jonas aus meinem Deutschkurs", sagte er bedrückt. "Der geht auf unsere Schule?", fragte Tobias entsetzt nach. "Wie man's nimmt", erwiderte Ben nun erschreckend sachlich. "Er ist'n chronischer Schwänzer, lässt sich lieber während der Schulzeit das Hirn rausvögeln. Außerdem sind körperlich Behinderte, also auch Blinde, auf unserer Schule nicht zulässig. Er wird wohl die Schule wechseln müssen."

Tobias schüttelte fassungslos den Kopf. Der Schwulenblender hatte ihm Angst eingejagt, weil er sich Sorgen um Ben machte. Trotzdem war dieser offenbar chronisch homophobe Serientäter immer in weiter Ferne gewesen, doch einen Fall mitzubekommen, dem Tobias so nah war, hatte etwas entsetzlich reales. "Das ist wirklich furchtbar", murmelte er. "Stell dir mal vor, wie das für mich ist", seufzte Ben. "Er ist mein Ex." "Was?!"

Der "Also bist du doch 'ne Frau!"-Blick wechselte das Gesicht. Ben lächelte schwermütig, hob die Fernbedienung und würgte das Geplapper der Nachrichtensprecherin zu einem neuen Thema gnadenlos ab. "Er ist mein Ex, du Pappnase", wiederholte er. "Ja, er ist der Typ, wegen dem ich mir die Augen ausgeheult hab. Meine erste große Liebe. Boah, hab ich's versaut beim ersten Mal..." Er lachte in sich hinein. Tobias schüttelte wieder den Kopf. "Zu viel Info", stellte er fest. "Gehst du eben raus? Ich wollt mich anziehen." Ben lächelte und verließ das Zimmer. Er sah in dem Bademantel wirklich aus wie eine Frau. Nur oben rum fehlte ein wenig Volumen. Tobias grinste bei dem Gedanken.
 

"Du bist echt ein fürchterlicher Lahmarsch", bemerkte Ben. Er hatte sich nun doch entschlossen, mit zu Dannys Party zu kommen und er war definitiv schneller gewesen als Tobias. Tobias fehlten noch diverse Accessoires wie Armbänder und Gürtel und seine Haare saßen noch nicht richtig. Ben stand seit zehn Minuten in voller Montur neben ihm. Sein weißblondes Haar war perfekt aufgestachelt und der Pony hing ihm wie immer emomäßig ins Gesicht, nur irgendwie hatte das nichts emomäßiges bei ihm.

Vielleicht, weil er farblich einfach die falsche Kombination darstellte. Seine Haut hatte ein südländisches Braun, das er von seinem Großvater väterlicher Seite geerbt hatte, während er sein eigentlich tiefbraunes Haar regelmäßig blond bleichte. Die meisten Emos, die Tobias kannte, waren blass und hatten schwarzes Haar, häufig mit beknackten bunten Strähnchen drin. Das entsprach wohl eher Monamis Definition eines "Freaks".

"Es kann doch nicht so lange dauern, deine Haare nach hinten zu stylen, Koala", stichelte Ben gelassen weiter. "Leck mich doch", brummte Tobias und verfluchte sein uraltes Glätteisen. Irgendwie funktionierte das Teil nicht mehr richtig. "Oh, liebend gerne, aber ich glaube, dann kommen wir nicht allzu schnell los. Gib mal her, ich mach dir die Haare." "EY!" Und schon hatte Ben Tobias seine Styleutensilien entwendet und machte an seinen Haaren herum.

Zehn Minuten später sah Tobias genau so aus, wie er hatte aussehen wollen. Ungläubig betastete er seine Haare, doch Ben schlug ihm auf die Finger. "Aus!", befahl er. "Finger weg." "Zieh hier ein, ich brauch morgens 'nen Privatstylisten", scherzte Tobias und konnte den Blick einfach nicht von seinem Spiegelbild wenden. Ben lächelte sachte. "Jetzt ab in dein Zimmer, pack dich fertig ein, ich warte an der Tür", ging er nicht auf Tobias' Scherz ein und zog ihn vom Spiegel weg. "Lahmarsch", fügte er wenig schmeichelhaft hinzu, bevor er sich auf die Eingangstür der Wohnung zu bewegte. Tobias streckte Ben in kindlichem Trotz die Zunge heraus, ohne dass Ben es sah.

"Jedes Mal das gleiche Dilemma", murrte Tobias verzweifelt, hielt einen Gürtel hoch und dann den anderen. Er konnte sich partout nicht zwischen Killernieten und Pyramidennieten entscheiden. Und mehr als einen Gürtel wollte er nicht tragen. Fast schon erwartete er Bens ungeduldiges Klopfen an der Tür und sein liebevoll genervtes "Beeil dich, Lahmarsch", doch es kam nicht. Stattdessen wechselte die Stereoanlage zur nächsten CD und Tobias stöhnte ungläubig auf. Was hatte ihn bloß dazu gebracht, eine Trance-CD zu kaufen und auch noch einzulegen? Er hasste Trance!

Kurzentschlossen ließ er den Pyramidennietengürtel zu Boden fallen, legte in süßer Mordlust die Killernieten an und schaltete die Anlage aus. Die Trance-CD landete kurzerhand im Müll. So eine Geldverschwendung unterlief Tobias selten und er erinnerte sich tatsächlich nicht daran, diesen Beschallungsterrorismus gekauft zu haben. Wo kam diese verdammte CD her?

"Mystery, mystery", brummte Tobias sich selbst zu, legte zwei Exemplare seiner nicht allzu kleinen Nietenarmbandsammlung an und verließ dann sein Zimmer. Seine Chucks standen unter der Garderobe. "Hast du 'ne sterbende Katze in deinem Zimmer?", wollte Ben wissen, als Tobias sich die Schuhe anzog. "Oder war das einfach nur Trance?" "Trance", erwiderte Tobias angewidert. "Frag mich bloß nicht, wo die Scheibe herkommt", warnte er, als Ben schon dazu ansetzte. "Ich glaube ja echt nicht an Magie, aber was besseres fällt mir als Erklärung auch nicht ein."

"Vielleicht hast du ja zum Ufer der Trance-Opfer gewechselt", sinnierte Ben und Tobias sprang auf. "Sag das noch mal und ich lade Schlagermusik auf deinen MP3-Player!", fauchte er. Da war er schon wieder, der "Also bist du doch 'ne Frau!"-Blick. "Das würdest du nicht!", rief Ben entsetzt aus. Tobias grinste boshaft. "Wer weiß, wer weiß", ließ er die Drohung im Raum, setzte sich wieder und schnürte seinen zweiten Chuck fertig.
 

"Hey, yo, Benny-Boy, auch mal wieder im Lande!", rief Danny begeistert aus, als Ben und Tobias fünf Minuten nach neun das Haus betraten. Sie hatten sich den ganzen Weg über wegen Musikrichtungen gekabbelt, worunter ihr Tempo ziemlich gelitten hatte.

Aus dem Hausinneren lockte Musik. Kein Trance oder Techno, richtige Musik. Tobias war davon überzeugt, diesen Abend nicht zu bereuen. "Yo, kann man so sagen", nickte Ben und schlug ein, als Danny ihm die Hand hinhielt. Tobias verstand einfach nicht, warum ihm nur dann auffiel, wie klein Danny war, wenn der neben Ben stand. Ben war schließlich nur um popelige fünf Millimeter größer als Tobias.

"Na, Tobias, wirklich glücklich?", wandte Danny sich nun verschwörerisch an ihn. "Das Zimmer ist gemacht, falls du..." "Jetzt hör aber auf", schnaufte Tobias und schob die Hände in die aufgeschlitzten Arschtaschen seiner Jeans. Seine zerfetzten Hosen trug er konsequent nur auf Partys, im Gegensatz zu Ben, den er sich ohne Löcher an Hosentaschen und -knien gar nicht mehr vorstellen konnte.

"Ja, ich bin glücklich. Sie hat heut Abend was vor, das nächste Mal bring ich sie mit, versprochen." "Soll ich dir dann ein Zimmer fertig machen?", grinste Danny anzüglich. "Geilst du dich am Geruch der Bettlaken auf, wenn du sie abziehst?", brummte Tobias, während Danny ihn und Ben ins Wohnzimmer führte. "Aber sicher doch", lachte Danny. "Besonders, weil unsere Haushälterin das macht."

Tobias bekam ein Bier in die Hand gedrückt, während Danny unablässig grinste. "Nein, eigentlich bist du meine Live-Unterhaltung im Pornokeller", erzählte er freimütig und ließ sich vom Barkeeper einen seiner seltsamen Cocktails mixen. Tobias hasste das süße Zeug, er blieb bei seinem Bier. "Kleine Taschengeldaufbesserung meinerseits, nichts für ungut." Danny zwinkerte Tobias zu und Tobias grinste süffisant. "Mit mir verdienste dir doch dein doppeltes Taschengeld", vermutete er selbstsicher. "Aber wo bleibt mein Anteil?" "Du kriegst Freibier von mir", brummte Danny. "Tse...", machte Tobias. "Snob."

Danny gab sein reichlich vorhandenes Geld, beziehungsweise das reichlich vorhandene Geld seiner Eltern gern mit vollen Händen aus. Zum Beispiel für seine Partys oder für seinen geliebten Motorroller. Tobias hätte sich eher ein richtiges Motorrad zugelegt, aber das war wohl Geschmackssache. Wenn es allerdings darum ging, mit Bekannten Geld zu teilen, war Danny der allerletzte, den man fragen konnte. In Naturalien wie Freibier zu bezahlen war kein Problem für ihn, doch Bargeld war ein Tabuthema, dafür liebte Danny die knisternden Scheinchen viel zu sehr. Tobias hatte einmal versucht, ihn anzupumpen, weil er pleite gewesen war. Danny hatte ihn zwei Wochen lang nicht einmal mehr mit dem Arsch angesehen, wie man so schön sagte.

Ben hatte sich wie üblich mit seinem Bier auf einen zerschlissenen Sessel gepflanzt und sah nicht aus, als wolle er an diesem Abend noch aufstehen. Tobias seufzte in sich hinein, während Danny sich selbstbewusst an eine Gruppe Mädchen heran wagte. Sie waren allesamt größer und genau so groß wie er, doch Danny hatte damit noch nie Probleme gehabt. Zumindest nie in der Zeit, in der Tobias ihn jetzt kannte. Und das waren immerhin fast sechs Jahre.

"Hey, keinen Bock zu tanzen?" Tobias ließ sich neben Ben auf eine Mischung aus Hocker und Sitzkissen fallen, zu der ihm gerade kein Name einfiel, und nahm einen Schluck von seinem Bier. Ben schmunzelte kühl. "Als hätte ich jemals Bock zu tanzen, Koala", erwiderte er amüsiert. "Was machst du dann hier?", schnaubte Tobias mit liebevoller Ironie in der Stimme. Ben hob mit unschuldigem Blick seine Bierflasche. "Freibier für alle, der Letzte zahlt", erklärte er. "Der Spruch ist scheiße", stellte Tobias lachend fest. "Ich weiß auch nicht mehr, woher ich den hab", grinste Ben. "Hoffen wir einfach mal, dass wir nicht die letzten sind, oder?" Tobias grinste und stieß mit Ben auf "die lustigen Seiten des Lebens" an.
 

Tobias hatte die ganze Party nicht getanzt, nicht gevögelt und nur gesoffen. Das Ergebnis war ein ziemlich biestiger Brummschädel am nächsten Morgen. Ungeniert vor sich hin ächzend setzte Tobias sich auf und fragte sich mit schmerzendem Kopf, wo zur Hölle er war, wie er hier her gekommen war und warum neben ihm jemand lag. Besonders letzteres interessierte ihn brennend.

Noch etwas duselig im Kopf schälte Tobias sich aus der Bettdecke und stand mit wackeligen Beinen auf, bevor er die Person betrachtete, die da neben ihm geschlafen hatte. Es war Ben, der wohl aufgewacht war, als Tobias das Bett verlassen hatte. "Manno", brummte er und setzte sich mit vom Schlaf noch kleinen Augen auf. "Ey, Ben, erklär mir das mal", murmelte Tobias. Sie beide waren noch komplett angezogen. Fast belustigt stellte Tobias fest, dass Ben Abdrücke seiner Nietenarmbänder am Hals hatte.

"Erst mal duschen und 'ne Tablette", blockte Ben ab und stand auf. Stöhnend taumelte er aus dem Zimmer. Tobias schüttelte leicht den Kopf, was gleich wieder weh tat. Sich die Frage stellend, wie man von harmlosem Bier einen Kater bekommen konnte, schleppte er sich in die Küche und beschloss, sich Ben anzuschließen, aber die Reihenfolge umzukehren und erst die Tablette zu schlucken. In Bens Küche kannte er sich genau so gut aus wie in seiner eigenen, daher fand er schnell, wonach er suchte.

Ben war schnell fertig mit seiner Dusche. In bequemen Jogginghosen und einem dünnen Shirt ohne Ärmel kam er in die Küche getapst, nahm sich ebenfalls eine Schmerztablette und klaute Tobias kurzerhand sein Wasserglas. "Gepriesen sei der Schöpfer der Dusche", seufzte er hingerissen und ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Willst du auch duschen?", fragte er dann an Tobias gewandt. "Joa...", machte der gedehnt und bewegte sich Richtung Tür. "Leihst du mir ein paar Klamotten?", fragte er. "Bedien dich", nickte Ben. "Du weißt ja, wo die Sachen liegen."

Tobias ließ sich Zeit mit der Dusche. Die Dusche hatte eine kleine Sitzbank an einer Seite. Tobias' Beine wackelten noch immer, daher saß er die meiste Zeit. Immer wieder wechselte er die Temperatur des Wassers. Von warm zu kalt, von kalt zu heiß, von heiß zu kalt... Tobias' Mutter machte das wegen ihrer hin und wieder auftretenden Kreislaufprobleme. Und es wirkte tatsächlich: Tobias fühlte sich erfrischt und einigermaßen wach, als er sich endlich aus der Dusche bequemte. Er hatte Ben Schwimmshorts und ein T-Shirt abgenommen, in denen er jetzt in die Küche zurückkehrte und sich gähnend auf einen Stuhl fallen ließ.

"Also, Ben, ich bitte um Erklärung", griff er das Thema wieder auf, das Ben so hartnäckig aufgeschoben hatte. "Warum bin ich hier und warum haben wir beide in einem Bett geschlafen?" Ben hatte sich inzwischen einen Strohhalm besorgt. Irgendwo in dieser Küche waren immer welche zu finden. Offenbar war er zu faul, um das Glas noch anzuheben.

"Du warst gestern komplett dicht", begann er zu erklären. "Wie du das mit Bier geschafft hast, ohne einmal aufs Klo zu müssen, ist mir wahrlich ein Rätsel, aber genug davon." Er nahm einen Schluck Wasser zu sich und schüttelte den Kopf. "Wie dir jedenfalls bekannt sein dürfte, wohne ich praktisch bei Danny um die Ecke, also hab ich dich armes Suffopfer zu mir geschleppt. Ich wollte dich eigentlich aufs Sofa im Wohnzimmer verfrachten, aber du hingst an meinem Hals wie'n Mädchen und warst die ganze Zeit am lallen, dass dir menschliche Wärme fehle, also hab ich dich mit in mein Bett schlüpfen lassen."

Tobias spürte nur allzu deutlich, dass er sich gerade den Preis für die am schönsten gefärbte Tomate verdiente. Er konnte sich an rein gar nichts erinnern, was ihm überaus peinlich war. Das war erst sein zweiter alkoholisch bedingter Filmriss. Auch beim ersten Mal war ihm erzählt worden, dass er ziemlich kuschelbedürftig geworden wäre. Damals hatte Tobias es als Scherz abgetan, jetzt schien es ihm doch wahr, da er zwei Mal eine ähnliche Geschichte aufgetischt bekommen hatte.

"Jetzt ernsthaft?", murmelte er peinlich berührt. Ben nickte unbeeindruckt. "Keine Sorge, ich hab nichts versucht", versicherte er. "Dachte ich auch nicht", winkte Tobias vage lächelnd ab. "Ich weiß doch, dass du jetzt mit Kai zusammen bist, dein Interesse an mir dürfte also vergangen sein." Ben grinste schelmisch. "Würd ich so nicht sagen, Koala", gestand er. "Aber du stimmst sicher mit mir überein, wenn ich einfach mal behaupte, dass du alles andere als unsexy bist, hm?"

Gab es eigentlich einen Sonderpreis für nicht nur tiefrote, sondern auch noch leuchtende Tomaten? Wenn, dann hatte Tobias ihn hier und jetzt eingesackt. Nicht, dass er derartige Komplimente nicht gern hörte, doch vom besten Freund war das schon etwas spezielles. Und Tobias konnte sich einfach nicht entscheiden, ob das jetzt gut oder schlecht war. Es war schon ein Dilemma.

"Oh, ihr seid schon auf?" Bens Mutter kam in die Küche. Sie sah ein wenig zerzaust aus, ihr langes Haar fiel ungeordnet über ihre Schultern. Als frisch gebackener Teenager hatte Tobias von ihr phantasiert, jetzt fragte er sich, wieso er das getan hatte. Sie hatte Lachfalten, Krähenfüßchen in den Augenwinkeln und manchmal dunkle Ringe unter den Augen, wenn sie gerade erst aufgestanden war. Sonst war sie zugegeben eine verdammt gut gebaute Frau, aber Tobias hatte ja ohnehin schon andere Dinge, über die er phantasieren konnte. Monami zum Beispiel. Gut, bei der musste er nicht phantasieren.

"Morgen, Mum", gähnte Ben. "Machst du mir 'nen Cappuccino?" Seine Mutter lächelte sachte. "Benjamin, du wirst nächstes Jahr volljährig, allmählich solltest du die Herstellung eines simplen Cappuccinos beherrschen." "Nächstes Jahr", wiederholte Ben altklug. "Komm schon, Mama, ich hab zu viel getrunken gestern, meine Füße tun weh." "Erklär mir mal bitte den Zusammenhang", gluckste seine Mutter. "Gibt’s nicht, ist aber trotzdem beides Tatsache", maulte Ben. "Bitte, Mama!", quengelte er dann. Sie gab sich im Endeffekt geschlagen und rührte ihrem faulen Sohn einen Cappuccino an. Tobias blieb bei Wasser. Koffeinhaltige Heißgetränke waren irgendwie nicht sein Ding. Und Cola am Morgen brachte nur Kummer und Sorgen auf der Waage und im Magen.

"Wie geht’s euch beiden denn?", fragte Bens Mutter und setzte sich mit einem eigenen Cappuccino an den Tisch. Kaffee war in dieser Familie verpönt, Cappuccino dagegen war hier der Hit. Fast völlig synchron hoben Tobias und Ben eine Hand und ließen den ausgestreckten Daumen in der Waagerechten ein wenig auf und ab zappeln. Bens Mutter lachte fröhlich. "Das sind meine Jungs", meinte sie vergnügt. "Ich frag mich immer, ob ich nicht Bens Zwillingsbruder bei der Geburt übersehen habe."

Tobias musste ob dieses Witzes lachen. "Meine Mum fragt sich auch immer, ob sie meinen Zwilling weit genug weg geschickt hat und ob er nicht zurück gekommen ist", berichtete er. Bens Mutter lächelte und rührte in ihrer Tasse. "Ich wünschte, ich hätte in eurem Alter auch so eine Zwillingsfreundin gehabt", begann sie zu schwelgen, als die Küchentür wieder aufging. Diesmal war es Kai.

"Ay, morgen", murmelte er verpennt. Gerademal mit Boxershorts bekleidet tappte er zum Kühlschrank und fischte ein Tetrapack Orangensaft heraus. "Wer hat 'n da gestern geschnarcht wie'n Sägewerk?", fragte er, während er sich ein Glas aus dem entsprechenden Schrank nahm. "Wart ihr das?", adressierte er die Frage an Ben und Tobias. Beide zuckten die Achseln. "Ich hör mir prinzipiell nicht beim Schlafen zu", erwiderte Ben gähnend. Tobias schwieg. Ihm fielen selten so sorgsam ausformulierte Antworten auf die Schnelle ein. Das war ein Talent, um das er Ben tierisch beneidete.

"Ich hab auch nichts gehört", gab Bens Mutter zu bedenken. "Vielleicht hat Kai ja von Sägewerken geträumt", stichelte Tobias ohne jeglichen Ernst, doch Kai schoss einen richtig bösen Blick auf ihn ab. "Vielleicht hast du auch einfach nur 'ne verstopfte Nase", knurrte er gereizt. Tobias streckte ihm gelassen die Zunge heraus.

Ben schüttelte leicht den Kopf. "Ihr beide seid wie kleine Kinder", stellte er ermüdet fest. "Liegt zwischen euch 'n tolles Spielzeug?" Tobias schüttelte grimmig den Kopf, Kai dagegen schien Ben zuzustimmen. "Ja, rein metaphorisch kann man das sagen", fing er an zu grinsen und plötzlich sah er Tobias direkt in die Augen. Tobias hob die Brauen. Nur weil Ben tatsächlich zwischen ihnen saß, war er doch noch lange nichts, worum er sich mit Kai streiten würde. Er konnte Kai nicht leiden und damit hatte sich die Sache. Der Grund war mit voller Garantie nicht Ben!

Ben erhob sich. "Ich geh mal eben Luft schnappen auf'm Balkon", verkündete er. "Und wer mir nachläuft, dem tu ich weh." Damit verschwand er aus der Küche. Der Balkon grenzte ans Wohnzimmer, wie Tobias wusste. Kai verabschiedete sich nur Sekunden später auf die Toilette, Tobias gab vor, sich in Bens Zimmer anziehen zu wollen. Eigentlich wollten sie beide Ben hinterher, wie sich herausstellte. Tobias gestand es sich nicht gern ein, aber vielleicht war Ben ja doch einer der Gründe, weshalb er Kai nicht ausstehen konnte. Aber nur einer der Gründe, mehr nicht, so viel stand fest.

Es dauerte nicht lang, bis Tobias klar wurde, warum Ben allein sein wollte. Ganz abgesehen davon, dass er krampfhaft schluchzte und sich andauernd die Tränen aus den Augen wischte, hielt er auch noch eine brennende Zigarette in der Hand, an der er in fast regelmäßigen Abständen mit zitternden Lippen zog. Tobias hatte keine Ahnung gehabt, dass Ben rauchte. Er roch auch nie nach Rauch. Es war ein wirklich mieses Gefühl, dass Ben ihm das vorenthalten hatte. Er hatte wohl doch mehr Geheimnisse vor seinem Koala, als dieser gedacht hatte.

Kai reagierte als erster, indem er die gläserne Balkontür aufriss, Ben kurzerhand die Zigarette entwand und sie über das Balkongeländer auf die Straße warf. "Geht’s noch, Benny?", brüllte er seinen Halbbruder an und packte ihn bei den Schultern. "Was ist los mit dir?" Ben schluckte schwer und wehrte sich eher halbherzig gegen Kai. "Lass mich los", murmelte er. "Erklär mir erst, was los ist!", forderte Kai unnachgiebig. Tobias schloss sicherheitshalber die Wohnzimmertür. Bens Mutter musste das hier nicht mitbekommen.

"Lass mich los!", fauchte Ben mit einem Mal wütend und entwand sich Kai. "Hör auf, dich hier aufzuspielen, du Arschloch!" "Ay, Benny, ich dachte, wir wären zusammen", bemerkte Kai verwirrt und offenbar auch verletzt. "Ach, fick dich", knurrte Ben. "Du gehst mir auf den Sack, also tu mir den Gefallen und lass mich einfach in Ruhe!" "Aber warum hast du dann gesagt, dass du's mit mir versuchen willst?", wollte Kai zornig wissen. "Ich wollte halt ausprobieren, ob's klappt", erwiderte Ben kaltherzig. "Und es klappt nicht, also breche ich den Versuch ab. Verzieh dich einfach."

Kai ballte die Hände zu Fäusten, sagte aber nichts mehr. Ohne ein weiteres Wort verließ er hoch erhobenen Hauptes das Wohnzimmer, nicht allerdings ohne Tobias einen rachsüchtigen Blick zuzuwerfen, obwohl Tobias sich keiner Schuld bewusst war. Sicher, er hatte ein wenig gegen Kai gewettert, aber das war es auch schon. Mit keiner Silbe hatte er Ben zu verstehen gegeben, dass der sich von Kai trennen sollte. Zumindest hatte er es nicht beabsichtigt. Er hatte sich doch gewünscht, dass die beiden zusammen kamen.

"Das war ja keine nette Abfuhr", wagte Tobias zu sagen. Ben schnaubte und ging wieder auf den Balkon. Aus den Taschen seiner Jogginghose zauberte er ein Feuerzeug und eine Packung Zigaretten hervor. Binnen Sekunden hatte er wieder eine brennende Zigarette im Mund. Tobias trat unschlüssig neben ihn. "Schmeißt du mich auch raus, wenn ich dich frage, ob mit dir was nicht stimmt?", fragte er zaghaft. Ben seufzte schwer und blies dabei den Rauch aus. Er sah traurig aus und auf seinen Wangen sah man noch Spuren seiner Tränen.

"Mit mir stimmt was nicht, das mag sein", gab er zu und zog an seiner Zigarette. Sie schien ihn tatsächlich zu beruhigen. "Aber das ist nun mal so, wenn man sich hartnäckig selbst anlügt, um anderen einen Gefallen zu tun", fuhr er mit viel zu lässiger Stimme fort. "Was meinst du damit?", wollte Tobias unruhig wissen. Er hatte einen Verdacht, der ihm schier das Herz zerriss. Und Ben hatte nichts besseres zu tun, als wieder an seiner Zigarette zu ziehen und dann Tobias' Verdacht zu bestätigen.

"Ich weiß, dass du nicht damit klar kommst, dass ich dich liebe", seufzte er. Und er klang nicht einmal vorwurfsvoll dabei, was Tobias ein nur noch mieseres Gefühl einimpfte, weil er ganz genau wusste, dass er Vorwürfe verdient hatte. "Also hab ich dir den Gefallen getan und mich zum Schein auf Kai eingelassen, weil er Interesse an mir hatte", fuhr Ben fort. "Vielleicht wollte ich auch nur eine Bestätigung dafür haben, dass ich liebenswert bin." Kopfschüttelnd betrachtete er seine Zigarette. In seinem Blick lag etwas, das Tobias erschreckte. Wie konnte man eine Zigarette wie eine liebe Freundin ansehen? Das war doch krank.

"Aber es war halt alles eine Lüge", sprach Ben weiter, bevor Tobias seine Gedanken aussprechen konnte. "Eine Woche lang nur zu lügen ist keine schöne Sache, Tobias. Ich bin froh, dass ich damit jetzt aufhören kann. Ich will mich nicht für dich aufopfern." Ben spuckte über das Balkongeländer. "'Wenn du damit anfängst, dich denjenigen aufzuopfern, die du liebst, wirst du damit enden, die zu hassen, denen du dich aufgeopfert hast', wie man so schön sagt." Erneut spuckte er über das Geländer, als ekle er sich vor seinen eigenen Worten. Dann sah er Tobias an. "Ich will aber nicht damit enden, dich zu hassen, Tobias."

Tobias stand hilflos da und wusste zum Verrecken nicht, was er sagen oder tun sollte. Er sah Ben traurig an, Ben sah traurig zurück. "Es tut mir leid", flüsterte er schließlich, schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. "Ich hätte was merken müssen. Ich merke nie irgendwas, wenn es um dich geht, Ben. Es tut mir so leid..." Tobias riss die Augen wieder auf, als Ben ihn plötzlich umarmte. Es war keine freundschaftliche Umarmung. Ben vergrub sein Gesicht in Tobias' Halsbeuge und atmete ihm stockend gegen die Schlagader. Er weinte wieder.

"Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns 'ne Weile nicht sehen", flüsterte Ben mit erstickter Stimme. "Aber...", setzte Tobias an, schwieg dann aber, weil ihm nichts einfiel. Ben ließ ihn los und sah ihn direkt an. "Ich geh kaputt an dir", sagte er ernst. "Du trägst keine Schuld daran, du bist nur der Grund, Tobias." Tobias fuchste es gewaltig, dass Ben ihn gerade so hartnäckig bei seinem bürgerlichen Namen ansprach, doch er widersprach nicht. Ben tat den letzten Zug seiner Zigarette und warf sie dann achtlos auf die Straße.

"Gut, dann werd ich wohl mal gehen", murmelte Tobias und hoffte, dass Ben aus seinem Tonfall heraus hörte, dass er eigentlich nicht gehen wollte. "Heißt das, du kommst in zwei Wochen nicht mit?" Ben hob seufzend die Schultern. "Frag mich nächste Woche noch mal", erwiderte er. Dieses trostlose Gespräch tat weh, doch die eine Sache hatte Tobias noch abklären müssen. "Bis dann", murmelte er und verließ den Balkon, um sich in Bens Zimmer umzuziehen und dann zu gehen. Er wusste nicht so recht, warum es ihm so unglaublich wichtig war, Ben mitzunehmen. Auch ohne Ben machte Segeln Spaß, oder? Tobias war sich mit einem Mal nicht mehr so sicher. Sein wild klopfendes Herz fiel ihm erst auf, als er schon draußen in der Sonne stand.

Ein weiterer Anlauf

Flupp, Nummer 9.
 

Ben hielt sich am Montag konsequent von Tobias fern. Er tauschte nach Absprache mit diversen Mitschülern auch seinen Sitzplatz in den drei Profilfächern, so dass er nicht mehr neben Tobias saß. Ab und zu sah Tobias im Unterricht zu ihm herüber, doch Ben ignorierte ihn völlig und schrieb brav mit. Während der Biostunde kritzelte Tobias also kleine Mangafigürchen in seinen Block. Viel mehr als Chibis brachte er noch nicht auf die Reihe, aber er fand sie niedlich mit den runden Köpfen und den komischen Augen. Symmetrie war bei seinen Werken auch noch nicht zu erkennen.

Ben schien schnell anderswo Anschluss zu finden. Tobias sah ihn schon in der zweiten Pause mit ein paar Jungs abziehen, um ins Einkaufszentrum gegenüber der Schule zu gehen. Es fiel Tobias schwer zu leugnen, dass ihn Bens Verhalten verletzte. Er lachte mit seinen neuen Kameraden, er riss Witze mit ihnen und machte Faxen, wie er es eigentlich mit Tobias zu tun pflegte.

Tobias hatte sich nie für einsam an dieser Schule gehalten, aber faktisch war er es. Seine Profilkameraden hatten ihre eigenen Freunde und Tobias war zu schlecht gelaunt, um sich jetzt irgendwo einzuschleimen, um sich nicht zu langweilen. Sei einziger wirklicher Freund war Ben. Diese Erkenntnis tat erst richtig weh.

Tobias zog sein Handy aus seinem Rucksack und schaltete es ein, um sich mit sinnlosen Handyspielen abzulenken. Kurz darauf fing es an zu vibrieren. Er hatte eine Nachricht bekommen, aber sie war offenbar noch ganz frisch. Höchstens ein oder zwei Stunden alt. Tobias öffnete sie, nachdem er gesehen hatte, dass sie von Monami war.

"hey tobias weiß du hast schule aber magst du dich trotzdem treffen ich brauch dich ild monami", lautete der Text. Monami schrieb ihre Kurznachrichten konsequent klein und ohne Satzzeichen. Tobias lächelte leise. Monamis Nachricht war genau das Geschenk des Himmels, auf das er gewartet hatte. Rasch tippte er seine positive Antwort ins Handy und schlug ihr vor, sich in einer halben Stunde bei ihm zu treffen. Während er sich auf den Weg zu seinem Fahrrad machte, bejahte Monami bereits. Tobias schaltete sein Handy wieder aus und fuhr nach Hause.
 

Monami weinte, als sie Tobias an seiner Wohnungstür in die Arme fiel. Tobias zog sie sanft in die Wohnung und streichelte ihr übers Haar, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Hey, Monami, was ist denn passiert?", wollte er wissen, zog sie in eine tröstende Umarmung und lotste sie erst einmal in sein Zimmer. Monami schwieg, bis sie auf Tobias' Bett saß, dann erzählte sie endlich, was sie beschäftigte.

"Meine Eltern haben von dir erfahren", heulte sie und wischte sich vergeblich die Tränen aus dem Gesicht. "Ich hab ein Foto von dir unter mein Kissen gelegt, damit ich morgens drunter greifen und dich ansehen kann, so richtig schön kitschig. Und heute morgen hat mich mein Vater dabei erwischt und mich dazu gezwungen, ihm alles zu erzählen. Er hat mir Hausarrest erteilt und mir verboten, dich je wieder zu sehen." Geräuschvoll zog Monami die Nase hoch. Tobias stand auf und ging zum Schreibtisch, wo er noch eine Packung Taschentücher fand. Mit einem ziemlich hilflosen Lächeln hielt er Monami die Packung hin, als er sich wieder setzte.

"Er hat mir sogar meine Schlüssel weggenommen, alle Wohnungsschlüssel beschlagnahmt und die Wohnungstür abgeschlossen, als er und Mama gegangen sind. Ich war eingesperrt und hab dann den Hausmeister angerufen, damit er seinen Ersatzschlüssel benutzt, um mich raus zu lassen. Ich bin so schnell wie möglich zu dir." Tobias nahm Monami in den Arm, während er sich im Stillen fragte, wie sie es bei so einem Vater ausgehalten hatte. Monami schmiegte sich mit einem Taschentuch an der laufenden Nase an ihn und weinte sich zuckend aus.

Nachdem Monami sich ansatzweise beruhigt hatte, legten sie sich bequem nebeneinander hin. Tobias schwieg, während Monami sich ihre Enttäuschung und Wut über ihren Vater von der Seele redete. "So was hat er sich noch nie geleistet", erzählte sie. "Was der alles wissen wollte! Wo ich dich kennen gelernt hab, was ich mir mit dir vorgestellt hab, wieso ich mir 'nen "Punker" angelacht hätte... Verdammt, es heißt Punk und du bist kein Punk!" Tobias schmunzelte unwillkürlich. Nein, er sah sich auch nicht als Punk. "Falscher Freak" war schon eine ganz angenehme Stilbezeichnung. Außerdem hatte es etwas einzigartiges.

"Stell dir vor, der fragt mich ernsthaft, ob ich schon Sex mit dir gehabt hätte! Boah!", berichtete Monami verärgert. Tobias hob die Brauen. "Findest du das so abwegig?", fragte er kleinlaut. Monami sah ihn erstaunt an, dann errötete sie. Tobias machte sich für einen Augenblick ernsthaft Sorgen um seinen Preis für die am schönsten gefärbte Tomate.

"Du würdest mit mir schlafen wollen?", fragte Monami verlegen. "Warum sollte ich nicht wollen?", stellte Tobias eine Gegenfrage. "Ich liebe dich und ich find dich tierisch sexy, wie kommst du also auf die Idee, ich würde nicht wollen?" Monami wandte den Blick verlegen von Tobias ab und der Zimmerdecke zu. "Du hast nie was versucht, daher dachte ich einfach, du würdest nicht wollen", gab sie zu. "Nicht denken", schmunzelte Tobias. "Fragen. Verhütet Missverständnisse."

Monami zuckte zusammen, als Tobias sich verspielt über sie wälzte und sie flüchtig küsste. "Äh, Tobias, was wird das?", fragte sie. "Nichts", lachte Tobias und küsste sie erneut, diesmal intensiver. Er hatte wirklich nichts vor. Eigentlich probierte und spielte er nur herum.

"Tobias?", flüsterte Monami und legte die Hände auf seine Schultern. Tobias zog ein fragendes Lächeln. "Warum hast du eigentlich nie was versucht, wenn du's doch eigentlich willst?", wollte Monami peinlich berührt wissen. "Weil du mir gesagt hast, du seist noch Jungfrau", erwiderte Tobias. Monami hob die Augenbrauen. "Und was erklärt das?", fragte sie verwirrt. "Sein erstes Mal sollte man nicht mit einer beliebigen Person erleben", seufzte Tobias und kuschelte sich wieder neben Monami. Eigentlich war es viel zu warm zum kuscheln, aber mit Monami war ihm das egal.

"Du bist ja auch keine beliebige Person", widersprach Monami. "Ich wollte, dass sich unsere Beziehung erst mal festigt", gab Tobias zu bedenken. "Schließlich sind wir erst 'ne Woche lang zusammen." "Wir könnten schon länger zusammen sein, wenn ich mal das Maul aufbekommen hätte", lachte Monami. Tobias stockte. "Wie jetzt?", machte er ungläubig. Monami grinste ihn verschmitzt an. "Erst hab ich dich einfach nur für so 'nen Freak gehalten, der 'ne Gleichgesinnte gesucht hat", gab sie zu und ihr Grinsen wurde zu einem schüchternen Lächeln. "Aber ab dem ungefähr vierten Treffen hatte ich Herzklopfen, wann immer ich an dich gedacht oder dich gesehen hab."

"Jetzt ernsthaft?", hakte Tobias fassungslos nach. "Jetzt ernsthaft", nickte Monami. Tobias atmete tief durch, dann lächelte er Momani einfach nur verliebt an. "Du bist so süß, Monami", murmelte er und zog sie sehnsüchtig in seine Arme. Sie schmiegte sich wieder an ihn und seufzte leise.

Eine Weile lang lagen sie so da, dann sagte Monami: "Mein Vater wird mich umbringen und zum Frauenarzt schleppen, wenn ich nach Hause komme." "In der Reihenfolge?", versuchte Tobias einen halbherzigen Witz. Monamis Mundwinkel zuckten sogar ein wenig. "Wieso zum Frauenarzt?", fragte Tobias dann verwundert. "Na, um meine Unschuld zu überprüfen", schnaubte Monami. "Zu meinem Glück gibt’s 'ne ärztliche Schweigepflicht, ich könnt ihren Erfinder knutschen." "Knutsch lieber mich", brummte Tobias in gespielter Eifersucht. Monami lachte und küsste ihn zärtlich.

Tobias mochte es, Monami zu küssen, keine Frage, doch wo sie schon einmal bei dem Thema waren, fehlte ihm ein Funken Leidenschaft. Und genau diese Leidenschaft versuchte er jetzt in diesem Kuss zu finden. Ohne sich von Monamis Lippen zu trennen wälzte er er sich wieder über sie und ließ den Kuss ein wenig fordernder werden. Als er jedoch ganz vorsichtig den Mund öffnete und ihre Lippen mit seiner Zunge anstupste, wich Monami verlegen zurück.

"Das hat sich komisch angefühlt", gab sie zu. Tobias lächelte. "Kein Kunststück, ging mir ähnlich beim ersten Mal, als mir jemand die Zunge in den Hals schieben wollte", beichtete er. Monami errötete. "Ich vergess immer wieder, dass erfahrene Leute auch mal 'n erstes Mal hatten", grinste sie verlegen. Tobias drückte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze, dann legte er sich wieder neben sie. Vielleicht war Monami einfach noch nicht so weit.

"Erzähl doch mal", bat Monami. "Wie war's für dich beim ersten Mal?" Tobias lächelte schräg. Das war alles andere als sein Lieblingsthema. "Meinst du jetzt meinen ersten Zungenkuss oder meinen ersten Sex?", schindete er amüsiert Zeit und stützte seinen Kopf in eine Hand. Monami biss sich mit roten Wangen auf die Unterlippe. "Deinen ersten Sex", murmelte sie verlegen. Tobias seufzte lächelnd. Wenigstens war Monami selbst verlegen.

"Beschissen", fasste er erst einmal zusammen. "Und das zweite Mal war auch nicht besser, danach wurde es dann recht schnell besser." "Seit wann so kurz angebunden?", stichelte Monami. "Ich war ja auch noch nicht fertig, meine liebe, ungeduldige Monami", schmunzelte Tobias. "Naja, sie war die Jahrgangsmatratze, irgendwie hatte sie mit fast jedem was gehabt, also hab ich auch mein Glück versucht. Ich war grad vierzehn geworden und ziemlich draufgängerisch für jemanden, der 'ne Scheißangst vor Mädchen hatte." "Du hattest Angst vor Mädchen?", wiederholte Monami skeptisch. "Warum das denn?"

Tobias schnappte sich eine ihrer Haarsträhnen und spielte sinnierend mit ihr. "Ich hab sie nicht verstanden, so was schreckt echt ab", erklärte er. "Gut, ich versteh euch Frauen bis heute nicht wirklich, aber besser als damals allemal." Monami lächelte ihn gedankenverloren an. "Red weiter", bat sie. "Wenn's denn sein muss", kicherte Tobias. "Okay, jedenfalls hab ich sie halt angemacht. Es war nach dem Sportunterricht. Wir hatten den gleichen Sportkurs. Sie hat mich erst mal mit zu sich geschleppt und mir was zu trinken gegeben, ohne mir zu sagen, dass es Alkohol war. Das war tatsächlich das erste Mal, dass ich Schnaps getrunken hab. Und glaub mir, ich tu's nie wieder."

Tobias unterbrach sich, als Monami sich enger an ihn schmiegte. "Hey, alles klar?", fragte er überrascht. Die wachsende Nähe verschaffte ihm eine Gänsehaut. Ihr Körper fühlte sich so angenehm an. "Ja, alles klar, sorry", lächelte Monami zu ihm hoch. "Red weiter, ich bin nur ein bisschen erschöpft." "Na gut. Aber nicht wegpennen, noch mal erzähl ich dir das nicht", schmunzelte Tobias. Monami schüttelte kichernd den Kopf.

"Okay, wo war ich...?" Zerstreut schob Tobias seine Zunge zwischen seine Lippenpiercings und schloss kurz die Augen. "Ah, ja", machte er, als es ihm einfiel. "Jedenfalls hat sie dann irgendwann angefangen, mich auszuziehen. Mir ist das Herz in die Hose gerutscht, weil ich keinen Dunst hatte, was ich machen sollte. Als sie das gemerkt hat, hat sie kurzerhand die Führung übernommen. Naja, typisch Anfänger hab ichs halt total versaut." Tobias beeilte sich mit dem letzten Satz, da ihm gerade der an der ganzen Geschichte nicht gefiel.

Zwischen ihn und Monami hätte nun wohl kein Blatt mehr gepasst, so eng lag sie bei ihm. Tobias hatte nicht wirklich das Gefühl, dass Monami ihm zugehört hatte. Sie sah ihn unsicher an und knabberte auf ihrer Unterlippe herum. "Hey, irgendwas beschäftigt dich doch, oder?", fragte Tobias und küsste sie auf die Stirn. Monami schluckte, ihre Wangen waren wieder mit einem roten Schimmer überzogen. "Würde...", fing sie an, brach ab und schluckte erneut. Tobias schwieg und lächelte sie nur fragend an. "Würde... würde es dir was ausmachen..." Erneut biss Monami sich auf die Unterlippe.

Tobias legte eine Hand auf ihre Wange und küsste sie liebevoll. So ein Kuss hatte manchmal erstaunliche Beruhigungsmittelqualitäten, wie Tobias wusste. Dass allerdings Monami sich plötzlich an einem Zungenkuss versuchen würde, hatte er nicht erwartet, aber er ging mit Freuden darauf ein, spielte mit ihrer Zunge, lockte sie in seinen Mund oder drängte sie zurück in ihren. Völlig atemlos drückte Monami ihn schließlich von sich. "Du küsst mich schwindlig", behauptete sie mit scharlachroten Wangen.

Tobias grinste nicht ganz ohne Stolz. "Wolltest du mich danach fragen?", wollte er amüsiert wissen. Monami schüttelte sofort den Kopf. "Nein, das war es nicht", seufzte sie. "Ich trau mich nicht, dich zu fragen." Tobias setzte sich gemächlich auf. "Wir können das auch später besprechen", fand er. "Oder ist es dringend?" "Nicht direkt", murmelte Monami beschämt. "Gut", grinste Tobias ahnungslos. "Ich hab nämlich Durst. Willst du auch was trinken?" Monami nickte ein wenig abwesend. Tobias streichelte ihr besorgt übers Haar. "Scheint ja wirklich was mächtiges zu sein, wenn's dich so beschäftigt", stellte er fest. Monami lächelte ihm hilflos zu, dann stand sie auf, zupfte ihren Rock zurecht und folgte ihm in die Küche.

Während sie mit jeweils einem Glas eiskalter Cola in der Küche saßen, kam Tobias' Mutter nach Hause. Sie hatte wohl Mittagspause und schien überrascht, Tobias zu sehen. "Wieso hast du denn schon... Wen haben wir denn da?" Ihr Blick war auf Monami gefallen. "Ich dachte erst, du hättest Ben wieder angeschleppt, aber..." Sie schüttelte lächelnd den Kopf. "Sag mal, Mama, willst du heute noch wieder damit anfangen, deine Sätze zu beenden?", scherzte Tobias. Dana schnaubte amüsiert. "Sicher doch, mein Söhnchen", erwiderte sie.

Monami lächelte ob der Unterhaltung von Mutter und Sohn. "Hey, du lächelst ja wieder!", bemerkte Tobias sofort begeistert. "Ey, ich hab die ganze Zeit gelächelt", erwiderte Monami amüsiert und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. "Darf ich jetzt endlich erfahren, wo mein Sohn so eine hübsche junge Dame her hat und wie sie heißt?", mischte sich Dana wieder ein. "Mein Name ist Lena-Katharina Bierke, ich bin Tobias' Freundin", antwortete Monami. "Aber ich werde von allen nur Monami genannt, wenn es Sie nicht stört." "Ach, eine Freundin und ich weiß nichts davon, typisch Tobi", schmunzelte Dana. "Na gut, Monami, ich bin Tobias' große Schwester, wie du sicher schon bemerkt hast" – Tobias prustete in seine Cola – "mein Name ist Dana und du darfst mich gern duzen. Tobias, hör auf zu lachen!" "Ey, komm, Mama, für 'ne große Schwester bist du echt zu alt", lachte Tobias und hatte das Gefühl, an seinem eigenen Gelächter zu ersticken. "Du bist zwanzig Jahre älter als ich!" "Man redet nicht mit einer Frau über ihr Alter, Tobias", erinnerte Monami ihn dezent.

"Ach, bist du süß!", rief Dana entzückt aus und drückte die freudig quietschende Monami an ihre Brust. Tobias hörte schlagartig auf zu lachen, als er feststellte, dass die beiden in etwa die selbe Körbchengröße hatten. Das hatte schon etwas befremdliches.

"Da haben sich wohl zwei gefunden", merkte er an, um sich selbst von seinen beknackten Gedanken abzulenken. Die beiden ignorierten ihn einfach und knuddelten glücklich weiter. Tobias erhob sich. "Ich bin mal eben auf'm Klo", verkündete er ein wenig beleidigt. "Du kennst ja den Weg", grinste Dana und ließ Monami los. "So, du musst mir jetzt alles..." Tobias schloss die Küchentür hinter sich und ging ins Badezimmer. Er wusste, dass seine Mutter Monami jetzt ausquetschen würde. Eltern – besonders Mütter – konnten schon peinlich sein.

Als Tobias wieder in die Küche kam, erzählte Monami Dana gerade von Tobias' Geburtstag. Tobias zog die Tür geräuschvoll zu. Monami unterbrach sich. "Du Schuft", grinste Dana sofort an Tobias gewandt. "Du hast mir 'ne Woche lang dieses quietschsüße Energiebündel verschwiegen, das dir den Kopf verdreht hat? Frechheit!" "Pfff...", machte Tobias. "Ihr Frauen könnt euch echt gut miteinander beschäftigten", seufzte er, ohne die Worte seiner Mutter zu beachten. "Ich geh in mein Zimmer. Monami, du kannst ja nachkommen, wenn Mama dich fertig ausgequetscht hat."

Und damit hatte er die Küche auch schon wieder verlassen. In seinem Zimmer erwartete ihn eine unangenehme Hitze. Er warf sich beleidigt aufs Bett und schaltete per Fernbedienung seine Anlage an, um sich mit The Rasmus beschallen zu lassen. Kurz darauf klopfte es an seiner Tür. "Ja?", rief er desinteressiert und Monami öffnete zaghaft die Tür. Tobias machte die Musik leiser und sah Monami fragend an. Sie trat ein, schloss die Tür hinter sich und setzte sich aufs Bett. "Entschuldige bitte, Tobias", murmelte sie. "Ich werd nur selten von meinen Eltern was gefragt. Dass deine Mutter mich eben so ausgefragt hat, war... keine Ahnung, endlich hat sich mal 'ne Mutter für mich interessiert. Auch wenn's nicht meine eigene Mutter war,verstehst du?"

Tobias richtete sich auf und lächelte unwillkürlich. "Oh, das versteh ich gut", nickte er. "Das ist ja mein Problem. Mich fragt Mama nie irgendwas und plötzlich sitzt du da und sie wird zum Fragebogen, da war ich glatt eifersüchtig." Monami legte den Kopf in Schieflage. "Das musst du doch nicht sein. Ich nehm sie dir schon nicht weg." Ihr Grinsen war so schräg wie ihr Kopf. "Ich weiß", seufzte Tobias lächelnd. "Entschuldige, das war Kurzschluss."

Monami fiel Tobias um den Hals. "Ich dachte schon, du wärst sauer auf mich", lachte sie. Tobias war durch ihr plötzliches Gewicht wieder in die Kissen gefallen. Nun legte er versonnen lächelnd die Arme um sie. "Wie könnte ich?", seufzte er glücklich und vergrub das Gesicht in ihrer Halsbeuge. "Kann ja mal passieren", gluckste Monami und kuschelte sich in seine Arme.

"Sagst du mir jetzt, was dich vorhin so beschäftigt hat?", fragte Tobias nach einer Weile. Monami zuckte spürbar zusammen und drückte sich enger an ihn. "Weiß nicht", murmelte sie. Tobias schmunzelte unwillkürlich. "Muss ich's aus dir raus kitzeln?", fragte er und rieb seine Nase an ihrem Hals. Nachdem das Thema Sex schon einmal angesprochen worden war, hatte er Lust, Monami zu berühren. Ungeniert legte er die Hände auf ihre Seiten und streichelte sie sanft mit den Fingerspitzen. Monami erzitterte.

"Wie fühlt sich das an?", fragte Tobias mit sanfter Stimme, ohne dass seine Finger innehielten. "Es kitzelt ein wenig", flüsterte Monami. "Aber es ist schön..." Tobias lächelte und streifte mit den Fingerspitzen den Saum ihres wie immer tierisch knappen Oberteils. Monami zuckte sachte zusammen, sagte aber nichts. Sie war so sensibel. "Hat dein Ex dich nie angefasst?", wollte Tobias amüsiert wissen und schob frech seine Finger unter ihr enges Oberteil. "Wir waren beide zwölf, da ist so was noch kein wirkliches Thema", erwiderte Monami und fuhr heftig zusammen, als Tobias seine Hände zärtlich über ihre Brüste wandern ließ.

"Soll ich aufhören?", fragte er sofort und wollte sich schon zurückziehen, als Monami mit einem beschämten Lächeln den Kopf schüttelte. "Es ist nur ungewohnt", widersprach sie. "Ich sag schon, wenn ich was nicht will." Tobias atmete beruhigt durch und küsste sie flüchtig. "Aber wirklich, okay?", hakte er nach. Monami nickte.

Tobias zupfte leicht an ihrem Oberteil. "Darf ich's dir ausziehen?", fragte er. Monami setzte sich auf und hob die Arme, um es ihm leichter zu machen. Tobias zog ihr das blaue Kleidungsstück über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Unter dem Teil trug Monami einen schlichten schwarzen BH. Tobias lächelte, als sie schüchtern den Blick abwandte. "Hey, du musst dich für nichts schämen, okay?" Monami verzog leicht das Gesicht. "Folgender Vorschlag", sagte sie und Tobias hob überrascht die Augenbrauen. "Für jedes Kleidungsstück, dass ich lasse, musst du auch was ausziehen, okay?" Erst glotzte Tobias Monami verblüfft an, dann nickte er. "Meine kleine Emanze", schmunzelte er, doch bevor er dazu kam, sich sein Shirt auszuziehen, klopfte es an der Tür.

"Tobias? Ich geh dann mal wieder zur Arbeit", rief Dana durch die Tür. "Lasst die Wohnung heile, okay? Tschüss!" "Tschüss, Mama!", erwiderte Tobias halbherzig, dann wandte er sich wieder Monami zu. "Hilfst du mir?", fragte er, als hätte seine Mutter sie nie unterbrochen Monami lächelte verschmitzt, bevor sie den Saum seines T-Shirts ergriff und es ihm auszog.

So verfuhren sie weiter. Tobias genoss das kleine Spiel. Er entledigte Monami ihres Rocks, sie zog ihm die Jeans von den Beinen. Und zwischendurch streichelte er sie weiter, erkundete mit den Händen ihren schlanken Körper und verliebte sich in Monamis unerfahrenes Zittern. Ihr Körper reagierte auf wirklich jede Berührung.

Als Tobias sich schlussendlich dem Verschluss ihres BH zuwandte, hielt Monami ihn mit zitternden Fingern auf. "Tobias...", fing sie unschlüssig an und fing seinen Blick mit ihren Augen ein. Sie blickte wie ein verschrecktes Reh. "Hey, es passiert nichts, was wir nicht beide wollen", versprach Tobias ihr lächelnd und ließ seine Hände vorerst auf ihrem Rücken liegen, falls sie ihm ihr Einverständnis gab. Wenn Monami es wollte, würde er gleich jetzt mit ihr schlafen, aber das machte er von ihr abhängig. Schließlich wäre es ihr erstes Mal, nicht seines.

"Das heißt, du würdest...?", fragte Monami. Wieder glühten ihre Wangen rot. Tobias nickte und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. "Liebend gern", erwiderte er. "Ich möchte nur, dass du es auch ganz sicher willst. Aber selbst wenn du willst, können wir jederzeit abbrechen, wenn du Angst bekommst, kein Problem."

Monami schmiegte sich an ihn und barg ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. "Ich würde gern ausprobieren, wie weit ich gehen kann", murmelte sie. Tobias hauchte zarte Küsse auf ihren Hals, was sie wieder erzittern ließ. "Dann probieren wir es doch aus", schmunzelte er und legte die Finger an ihren BH-Verschluss. "Darf ich?", fragte er sicherheitshalber noch einmal nach. Monami nickte zaghaft und Tobias nahm ihr den BH mit geübten Fingern ab.

Die Frage nach Monamis Einverständnis stellte Tobias an diesem Nachmittag noch oft, bis er das Gefühl hatte, dass sie keinen Rückzieher mehr machen würde. Die meiste Zeit über dachte er nur daran, dass es Monami gefallen sollte. Entsprechend überrascht war er, als sie ihn zögerlich anfasste. Ihre Hand fühlte sich kühl an, doch ihre schüchternen Finger, die ihn fast versehentlich zu reizen schienen, machten ihn unwahrscheinlich heiß.

Tobias war beim Sex noch nie so vorsichtig gewesen. Es zog das Ganze noch mehr in die Länge, aber das störte ihn nicht. Viel mehr störte es ihn, dass Monami anfangs Schmerzen hatte, die sich allerdings mit der Zeit verzogen.

Als Monami sich hinterher schwer atmend in seine Arme schmiegte, hatte Tobias brutales Herzklopfen. Ein bescheuertes Dauergrinsen setzte sich in seinem Gesicht fest, obwohl ihm irgendwie sein gedankenleerer Kopf fehlte, den er sonst nach dem Sex hatte. Das war sein erstes Mal gewesen, bei dem Gefühle im Spiel gewesen waren und das bescherte ihm ein nahezu perverses Glücksgefühl.

"Eigentlich sollten wir uns jetzt waschen, oder?", murmelte Monami. Sie wirkte ein wenig schläfrig. "Eigentlich ja", bestätigte Tobias mit einem Mal unwillig. Das war ein brutaler Stimmungswechsel gewesen. Da benutzte man schon Kondome und konnte hinterher trotzdem nicht ruhig liegen bleiben. Tobias' größter Wunsch in diesem Zusammenhang war es, einfach mal nach dem Sex in aller Ruhe einschlafen zu können, mit dem Mädchen im Arm, das er liebte. "Dann lass uns noch mal aufstehen", bat Monami. "Ich möcht nicht, dass hier noch irgendwelches Sperma rumkrebst." Tobias schmunzelte über ihre Formulierung, dann kämpfte er sich schwerfällig hoch. "Na gut, dir zuliebe", seufzte er. Monami stand langsam auf. Sie war etwas wackelig auf den Beinen. Tobias stützte sie auf dem Weg ins Badezimmer. Erst dort fiel ihm auf, dass Monami ein dünnes Blutrinnsal den rechten Schenkel hinab lief.

"Sag mal, Monami, deine Tage hast du nicht, oder?", fragte er unsicher. Monami blickte an sich herunter, dann schüttelte sie belustigt den Kopf. "Beim ersten Mal kann's schon mal blutig werden, wusstest du das nicht?", erwiderte sie, während Tobias sie in die Dusche bugsierte. Sie zog ihn hinterher, als er zögerte. "Nö", bestätigte Tobias. "Wieso denn?" "Weil das Jungfernhäutchen zerreißt, du Nuss", grinste Monami. "Dass du so was nicht weißt... Tz, tz, tz, ich bin enttäuscht." "Jetzt weiß ich's ja", schnaubte Tobias und drehte das Wasser auf.
 

Zehn Minuten später lagen sie beide wieder entspannt nebeneinander im Bett. Es war noch hell draußen und die Uhr sprach auch noch nicht von Schlafenszeit, aber Tobias war müde und Monami war schon auf dem Rückweg aus dem Badezimmer fast eingeschlafen. Nun lag sie leise atmend und schlafend in seinen Armen. Tobias hatte unter seinem Kissen eine dünne Kuscheldecke hervor gezogen, weil es für seine eigentliche Decke noch viel zu heiß war. Allerdings lag Tobias auch nicht gern nackt in der Gegend herum. Er brauchte einfach eine Decke.

So richtig einschlafen konnte er dann allerdings doch nicht. Es war einfach zu warm. Still lag er also da und blickte im Zimmer umher. Sein Blick fiel auf seine Schultasche. Er hatte heute morgen immerhin seinen zweiten Leistungskurs geschwänzt, was so gar nicht sein Stil war. Überhaupt schwänzte er irgendwie immer dann, wenn er Probleme mit Ben hatte.

Tobias seufzte schwer. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er sich sein Gehirn aus dem Kopf gezogen und wütend hinein gebissen, um es zu bestrafen, weil es ihm schon wieder eine Überleitung zu Ben beschert hatte. Gut, Gehirnmasse schmeckte wahrscheinlich auch nicht allzu gut. Und seine Probleme mit Ben schmeckten auch nicht. Er hatte keine Lust, Ben nicht mehr sehen zu können. Faktisch konnte er ihn sehen, aber er konnte nicht mit ihm reden, nicht mit ihm herum albern, keinen Scheiß mit ihm bauen. Ben fehlte ihm. Das tat er schon, seit Tobias am Sonntag Bens Wohnung verlassen hatte. Es fehlte ihm, dass ihn keiner mehr "Koala" nannte. Ohne Ben fehlten ihm knapp dreizehn Jahre seines Lebens. Und das war ein großer Teil seines Lebens, immerhin war er erst siebzehn.

Tobias schüttelte leicht den Kopf. Er wurde melodramatisch, das sah ihm nicht ähnlich. Bedrückt stupste er Monami an, um sie zu wecken. Er wollte nicht liegen bleiben, er brauchte ein bisschen frische Luft. Monami wachte nicht auf. Tobias zog vorsichtig seinen Arm unter ihr hervor und kletterte über sie drüber aus dem Bett. Monami schlief ungerührt weiter. Beruhigt öffnete Tobias seinen Kleiderschrank und zog sich an. Danach schrieb er Monami eine kleine Notiz und klebte sie per Klebestreifen an die Tür. Erst dann verließ er das Zimmer, zog sich im Flur seine Schuhe an und betrat den Hausflur.
 

Die Nachmittagssonne brannte Tobias brutal ins Gesicht. Er hatte keine Lust, irgendwo hin zu gehen. Normalerweise wäre er jetzt zu Ben gegangen, aber das kam ja nicht in Frage. Also latschte er einfach los, mal um diese Kurve, mal um jene Kurve, mal geradeaus. Er hatte seinen MP3-Player vergessen und konnte nicht einmal Musik hören. Geld hatte er auch keines mit. Und ungestylt war er auch noch. Er befand sich so ziemlich in der miesesten Verfassung, die er sich derzeit vorstellen konnte. Und Ben war dran schuld.

Tobias seufzte schwer und lehnte sich an die nächstbeste Hauswand. Ben trug keinerlei Schuld an seiner Gefühlssituation, aber er hatte verdammt noch mal nicht das Recht, Tobias so abzuservieren, oder? Tobias schüttelte den Kopf. Natürlich hatte Ben das Recht. Es war nicht nett, aber wenn er wirklich an Tobias "kaputt ging", wie er sich so schön ausgedrückt hatte, dann war es wohl besser so.

Nichtsdestotrotz tat es weh. Besonders, weil Ben so schnell neue Freunde gefunden hatte. Tobias war, so ungern er es sich auch eingestand, eifersüchtig auf diese neuen Freunde. Er hatte nur Stefan aus seinem Profil erkannt, die anderen beiden kannte er höchstens vom Sehen.

Tobias unterdrückte den Impuls, einfach los zu schreien und zu weinen. Er wollte Ben wieder haben, mehr Probleme hatte er nicht. Nur hatte Ben Probleme mit ihm. Tobias tat es unsagbar leid, dass er Bens Gefühle nicht erwidern konnte. Es wäre so viel einfacher gewesen, doch Tobias war nun einmal nicht schwul.

Noch lange stand Tobias an seinem schattigen Plätzchen. Erst, als sich die Schatten in die Länge zu ziehen begannen, machte Tobias sich auf den Rückweg. Monami reagierte ein wenig beleidigt, weil er sie allein gelassen hatte, doch als er sich wieder zu ihr kuschelte, sagte sie nichts mehr. Jetzt konnte er auch endlich einschlafen.
 

Bis Donnerstag blieb es still zwischen Ben und Tobias. So lange verbrachte Tobias seine Pausen in stiller Frustration beim McDonald`s im Einkaufszentrum gegenüber der Schule und kritzelte seinen neuen Zeichenblock voll.

Monami sagte er nichts von Ben. Sie hatte genug eigene Probleme mit ihrem Vater, der ihr derzeit die Hölle heiß machte. Als Monami über Nacht bei Tobias geblieben war, war er komplett ausgerastet und hätte laut Monami beinah die Küche zerlegt. Zwar hatte er ihren Arrest aufgehoben, weil er gemerkt hatte, dass es eh nichts brachte, allerdings hatte er auch ihr Handy und ihren Laptop konfisziert. Das einzige Telefon in der Wohnung stand im Arbeitszimmer des Vaters, welches ohnehin immer abgeschlossen war.

Folglich tauchte Monami häufig unangemeldet bei Tobias auf, aber das störte ihn nicht. Er mochte ihre Gesellschaft, auch wenn sie seinen besten Freund auf Dauer natürlich nicht ersetzen konnte.

Das musste sie aber auch nicht, denn Ben ließ sich am Donnerstag wieder blicken. Tobias saß wie so oft in letzter Zeit beim McDonald's im Einkaufszentrum und zeichnete kleine Mangafiguren in seinen Block, während er sich langsam seine Pommes in den Mund schob, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Tobias hätte sich beinah an seinen Fritten verschluckt. Hustend wandte er sich halb auf seinem Stuhl um und sah Ben direkt ins Gesicht.

"Du machst dich ja ziemlich bei deinem Gekritzel", begrüßte Ben ihn mit einem zaghaften Grinsen. Tobias wurde endlich seinen Hustenanfall los. "Geile Begrüßung nach vier Tagen", stellte er fest, gab sich ablehnend. Sofort verschwand Bens Grinsen und wurde zu einem bedrückten Verziehen der Mundwinkel. "Ich weiß", seufzte er schuldbewusst. "Aber ich musste halt wieder runter kommen, verstehste?"

Tobias schwieg sekundenlang, zeichnete ungerührt weiter und ignorierte Ben erst einmal. "Hey, Tobias...", setzte Ben in fast bettelndem Tonfall an. "Falscher Name", brummte Tobias sofort und blickte verärgert zu ihm hoch. "Wie bitte?", fragte Ben verwundert. "Früher hast du mich Koala genannt, was ist inzwischen so schlimm daran?", erklärte Tobias wütend. Ben ging um ihn herum und ließ sich auf den Stuhl links von ihm fallen. "Es fühlt sich seltsam an, dich so zu nennen, frag mich nicht, wieso", seufzte er kopfschüttelnd.

Tobias blickte auf seine Zeichnung, weil er Ben nicht mehr ansehen wollte, und schob sich eine neue Fritte in den Mund. "Na gut, dann lass es halt", murmelte er enttäuscht. "Aber ich mochte es, wenn du mich so genannt hast."

Sie verfielen in Schweigen, ignorierten die Tatsache, dass der Unterricht in diesem Augenblick begann. Sie schwiegen einander an und keiner wagte es, die Stille zu durchbrechen, die zwischen ihnen lag. Um sie herum war es laut und hektisch, doch zwischen ihnen war es vollkommen still. Sie sahen einander nicht einmal an.

"Ey, Ben, wir kommen zu spät!", rief plötzlich eine Jungenstimme und einer aus Bens neuer Clique schlug ihm sachte auf die Schulter. Wie aus dem Nichts stand er plötzlich da. Tobias kannte seinen Namen gar nicht, aber er wusste, dass sie zusammen Sport hatten. "Ich komm nach, Micha",versprach Ben unbeeindruckt und sah Tobias an. "Ich hab hier nur noch was zu klären." "Yo, geht klar", schnaubte Micha und klang beleidigt. "Quatsch dich nur nicht zu sehr fest. Du kennst Ehlers ja." Und damit war er an ihnen vorbei gerauscht.

"Ehlers? Ach ja, du hast ja jetzt Deutsch." Tobias kam sich selbst dumm vor, dass ihm das so spät einfiel. "Willst du da nicht lieber hin?" "Nicht, bevor wir wieder miteinander reden können", erwiderte Ben ungerührt. "Wozu brauchst du mich noch?", erging Tobias sich in Selbstmitleid. "Du hast doch neue Freunde, diesen Micha da zum Beispiel." Ben seufzte lächelnd. "Das sind Kumpels, Kameraden, Kollegen, wie du's nennen willst", winkte er ab. "Aber du bist halt mein Koala, mein bester Freund. Ich weiß, irgendwie klingt das mädchenhaft, aber... keine Ahnung, das ist halt mein Weltbild." "Das ist mädchenhaft und kitschig", setzte Tobias noch einen drauf und verstand sich selbst nicht. Er hatte sich Ben so sehr zurück gewünscht und jetzt stieß er ihn selbst von sich.

"Mensch, Tobias, es tut mir leid, dass ich dich seit Montag ignoriert hab", brauste Ben jetzt auf. "Ich brauchte Zeit, um mir darüber klar zu werden, wie die Dinge stehen, okay?" Er sprang auf die Füße und wandte sich zum Gehen. "Ich möchte einfach nur meinen besten Freund wieder haben, aber dass du nicht willst, krieg ich ja grad nach allen Regeln der Kunst rein gewürgt. Entschuldige mich." Und schon war er los gelaufen. Tobias saß da und starrte auf seine Zeichnung. Er wollte Ben hinterher, doch er konnte seine Sachen schlecht hier liegen lassen. Außerdem hatte er das komische Gefühl, dass Ben ihn gar nicht sehen wollte. Aber so konnte Tobias die Dinge auch nicht stehen lassen.

"Scheiße", murmelte er sich selbst zu und packte sein Zeug ein, warf sich den Rucksack über die Schulter und rannte los. Wenn er Glück hatte, hatte die Verkehrsampel Ben aufgehalten. Tobias passierte den Ausgang und stand mit einem Mal im strömenden Regen.

"Scheiße!", rief er zornig aus und rannte unter das Vordach des nächsten Eingangs. "Tja, jetzt sind die Zeichnungen nass", bemerkte jemand hinter ihm. Es war Ben, was Tobias doch ein wenig verwunderte. Ben war eigentlich nicht der Typ für mutwillige Verspätungen. "Was machst du denn noch hier?", fragte Tobias ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. Ben schnaubte leise und zog genüsslich an der Zigarette in seiner Hand. Das Bild hatte noch immer etwas äußerst bizarres. "Oh, entschuldige bitte, wenn ich nicht mitbekommen habe, dass dieser Bereich plötzlich schwulenfreie Zone ist", fasste Ben Tobias' Worte völlig falsch auf.

Tobias stampfte verzweifelt mit dem Fuß auf. "Jetzt bezieh doch nicht alles, aber auch wirklich alles, was ich sage, darauf, dass du auf Männer stehst!", schrie er und schubste Ben grob gegen die Wand des Einkaufszentrums. "Wenn das deine Art von Selbstmitleid ist, meinetwegen, aber tu nicht so, als wäre ich schwulenfeindlich, ja?" Tobias hörte, wie Bens T-Shirt zerriss, als er ihn ziemlich brutal bei den Schultern packte, aber er nahm es nicht wirklich wahr. "Verdammt, Ben, ich hab dich vermisst wie Sau, als du plötzlich weg warst. Ich hab dich mit den anderen gesehen, du sahst total unbekümmert aus! Aber mir hast du erzählt, dir ginge es so scheiße wegen mir. Entscheid dich doch mal!"

Es reichte. Tobias konnte nicht mehr. Ihm rollten die Tränen über die Wangen, als er sich wimmernd gegen Ben lehnte und kraftlos mit einer Faust gegen seine Brust schlug. "Ich will meinen besten Freund wieder haben", murmelte er mit erstickter Stimme.

Ben legte zaghaft eine Hand auf Tobias' Rücken. "Mann, Koala, du Idiot", seufzte er. Jetzt fiel Tobias auf, dass Ben eben doch Rauchgeruch anhaftete. "Selber", murmelte er stockend, als Ben plötzlich in die Hocke ging und ihn mit sich zog. "Setz dich hin, Koala", ordnete Ben mit sanfter Stimme an. Tobias tat, wie ihm geheißen, setzte sich neben Ben und legte aus einem inneren Impuls heraus den Kopf auf seine Schulter. Sein Herz schlug noch von der Aufregung und seine Augen tränten weiter vor sich hin.

"Brauchst du 'n Taschentuch?", fragte Ben leise. "Wäre in Erwägung zu ziehen", murmelte Tobias schniefend. Ben kramte eine Weile lang in seiner Tasche herum, dann zog er ein Päckchen Taschentücher hervor und reichte es Tobias. Er zog dankend ein Taschentuch heraus und putzte sich geräuschvoll die Nase. "Alles raus, was keine Miete zahlt", kommentierte Ben in liebevoller Ironie. Tobias konnte sich ein schwaches Auflachen nicht verkneifen und knüllte das Taschentuch zusammen. Ben reichte ihm ein weiteres, mit dem er sich die Tränen aus dem Gesicht wischen und das er noch einmal voll schnauben konnte.

Freilich nützten die Taschentücher nicht viel, da Tobias immer noch am Heulen war. Ben versorgte ihn großzügig weiter mit Taschentüchern. Auf die Frage hin, weshalb er so viele dabei hatte, erwiderte er nur: "Die vermehren sich in meiner Tasche. Phänomenal, oder?" Das entlockte Tobias erneut ein halbherziges Lachen.

"Es tut mir leid, Ben", seufzte Tobias irgendwann mit dem Gefühl, dass er das viel zu oft sagte, um noch glaubwürdig zu klingen. "Vielleicht sollte ich das auch mal sagen", seufzte Ben allerdings. "Wir benehmen uns beide wie idiotische, pubertäre Teenager." "Wir sind ja auch pubertäre Teenager", brummte Tobias. "Und das "idiotisch" möcht ich auch nicht unbedingt streichen." "Eher unterstreichen, was?" Ben grinste müde und zog an einer neuen Zigarette.

"Warum rauchst du eigentlich?", wollte Tobias wissen und wedelte den Qualm mit einer übertrieben tuntigen Handbewegung von sich weg. Ben sah Tobias verwirrt an, dann betrachtete er seine Zigarette. "Keine Ahnung", gab er zu. "Ich hab gehört, es wirke beruhigend. Jetzt bin ich abhängig und nervös bis zum Anschlag, wenn ich nicht rauchen kann. So 'ne Scheiße aber auch, was?" "Wann hast du angefangen?", überging Tobias Bens wahrscheinlich ohnehin rhetorische Frage mit einer Gegenfrage. Ben hob die Augenbrauen und blies in aller Seelenruhe den Rauch aus, bevor er antwortete: "Als ich mich in dich verliebt hab, glaub ich. Vor knapp anderthalb Jahren also." Tobias rutschte instinktiv ein paar Zentimeter von Ben weg. "Bitte was?!"

Ben lachte. "Kleiner Spaß", behauptete er. Tobias wollte ihm nicht so recht glauben. "Ich hab mit dem Rauchen angefangen, als Jonas mit mir Schluss gemacht hat", erzählte Ben. "Und das ist zwei Jahre her." "Jetzt erzähl mir nicht, du bist wirklich schon seit anderthalb Jahren in mich..." Tobias konnte seinen Satz nicht beenden. Wieder lachte Ben. "Schwachsinn, Koala", versicherte er. "Nein, das ist noch nicht so lange her." "Und wie lange?", fragte Tobias, wo sie schon einmal bei dem Thema waren. Ben schmunzelte leise und legte einen Finger an die Lippen. "Das verrate ich dir vielleicht, wenn ich mich neu verliebt hab", gab er sich geheimnisvoll und führte seine stinkende Zigarette wieder an den Mund.

Eine Weile lang saßen sie erneut in Schweigen gehüllt da, bis Tobias leise fragte: "Also kommst du in den Ferien mit nach Warns?" "Wenn du mich dabei haben möchtest, gerne", erwiderte Ben. "Willst du denn dabei sein?", wollte Tobias ernst wissen. Ben rauchte die letzten zwei Züge seiner Zigarette und drückte sie dann sorgfältig auf dem Boden aus. "Ich wäre gern dabei. Wenn du mir versprichst, Kotztüten für mich mitzunehmen." Tobias lachte. "Du kannst dich über die Reling hängen, da hast du doch schon Erfahrung mit", meinte er amüsiert. Ben streckte ihm die Zunge heraus, dann blickte er nachsinnend zur Schule hinüber.

"Meine Mum bezahlt mir übrigens 'n neues Piercing", wechselte er nachdenklich das Thema. "Hast du denn noch Platz für eines?", gluckste Tobias. Bens Ohren waren voller Piercings, er hatte eines in der Lippe und an der Augenbraue hing auch noch eines. Wenn er sich noch viel machen ließ, würde er bald nicht mehr gut aussehen.

"Zungenpiercing", seufzte Ben. "Das wollte ich schon haben, als ich pissige zwölf Jahre alt war, aber meine Mutter hatte immer Angst um meine Geschmacksnerven. Jetzt bin ich angeblich alt genug, um mich nicht mehr bei ihr ausheulen zu dürfen." "Und sie reich genug, um dir das zu bezahlen", schob Tobias grinsend hinterher. "Wann lässt du's machen?"

Ben sah Tobias an, dann antwortete er: "Heute Abend. Ich weiß, dass das nicht mehr bis zum Urlaub verheilt, aber ich wollt's nicht machen lassen, bevor ich mich mit dir versöhnt hab." "Schon kapiert", grinste Tobias. "Du brauchst 'nen Freund zum Händchenhalten." "So in etwa", seufzte Ben lächelnd.

Tobias war bei jedem Piercing dabei gewesen, das Ben sich hatte stechen lassen. Es war unsagbar amüsant dabei zuzusehen, wie Ben zitternd und schwitzend darauf wartete, dass der Piercer endlich anfing. Und noch lustiger war es, wenn er anfing zu beten, es möge bald vorbei sein. Bei einem Zungenpiercing würde das mit dem Beten schwer werden, aber Tobias freute sich trotzdem mit nicht geringer Schadenfreude auf den Termin.

"Also heute Abend? Wann genau?", fragte er nach. "Ich fahr von der Schule aus gleich zum Studio", erwiderte Ben mit einem wissenden Lächeln. "Vergiss es, ich werde nicht wieder jammern." "Das hast du die letzten vier Male auch gesagt", schmunzelte Tobias. "Also gleich nach der Schule. Treffen wir uns bei den Fahrradständern?" Ben nickte. "Apropos Schule", fügte er hinzu. "Der Regen lässt nach und wir haben beide noch zwei Schulstunden. Also, kommst du?" "Yo." Tobias rappelte sich auf und hielt Ben eine helfende Hand hin, die dieser dankend annahm. Während sie mit schnellen Schritten zur Schule liefen, um nicht allzu nass zu werden, fragte Tobias sich bedrückt, wie lang ihre Freundschaft dieses Mal halten würde.

Koala und Hasi

Ich schenk euch mal Kapitel 10. Das ist nun wirklich das letzte fertige Kapitel. Hab leider grad ein KreaTief aufgrund meines momentanen Gefühlschaos'. Das ist voll der Inspirationskiller... @_@

Naya, viel Spaß beim Lesen. ^^
 

"Alter, ey, dein Gesicht war ja übelst geil!" Ben errötete unter Tobias' Gelächter. Sie kamen vom Piercer und Ben sah noch immer aus, als hätte er Schmerzen. "Ach, halt doch einfach die Klappe", murmelte er. "Aber sieh's positiv, jetzt kannste dir das Rauchen abgewöhnen", grinste Tobias schadenfroh. Ben seufzte schwer und ließ den Kopf hängen. "Ich brauch meine Zigaretten, Mann, ich bin süchtig." "Ah-ah!", machte Tobias tadelnd. "Während der Heilungsphase sollte man weder Nikotin noch Alk genießen, mein Lieber." "Fick dich", brummte Ben.
 

Er blieb auf dem Heimweg schlecht gelaunt. Seine Mutter sah ihn mit dem typisch mütterlichen "Ich hab dich ja gewarnt"-Blick an, als er und Tobias in die Küche kamen. Das hob Bens Laune natürlich auch nicht. Er ging zum Eisfach unter dem Kühlschrank, kramte einen Eiswürfel heraus und schob ihn sich verdrossen in den Mund, um die Schwellung seiner Zunge abzumindern.

"Bah", machte er undeutlich. Tobias konnte nicht aufhören zu grinsen. Er sah Ben schon vor sich, wie er sich die nächsten Wochen nur von Eiswürfeln und Wasser ernährte. Das würde es auf dem Schiff etwas schwierig machen, ihn an den Mahlzeiten zu beteiligen, aber das würden sie schon irgendwie hingebogen bekommen.

Ben beteiligte sich nicht am Abendessen. Seine Mutter störte sich daran nicht, sie quatschte einfach Tobias zu, während Ben sich auf sein Zimmer verzog. Laut eigener, schriftlich kundgetaner Aussage hatte er sich selbst Sprechverbot erteilt, um seine Zunge zu schonen. Tobias plante, nach dem Essen nach Hause zu gehen, während er an einem Bissen seines Brotes herumkaute. Die Salami war irgendwie zäh.

"Glaubst du, er hält das durch mit diesem Piercing, Tobias?", schmunzelte Bens Mutter. "Wie meinst du das denn?", erwiderte Tobias verwirrt und versehentlich mit vollem Mund, aber derartige Tischmanieren wurden hier nicht unbedingt groß geschrieben. So lang er nicht seinen Mundinhalt in Brocken auf dem Tisch verteilte, war alles in Ordnung.

Bens Mutter machte eine nichtssagende Geste mit der rechten Hand. "Die Schmerzen, die Vorsicht beim Essen in den nächsten Wochen...", zählte sie beiläufig auf. Tobias zuckte die Achseln und schluckte, was er im Mund hatte, hinunter. "Ben hat, was das betrifft, starke Nerven", versicherte er. "Könnte sein, dass er in nächster Zeit ziemlich brummig wird, aber das werdet ihr schon überleben." Er grinste Bens Mutter an und sie grinste zurück.

"Sag mal, Tobias", ergriff nun Bens Vater das Wort, "was ist das eigentlich mit diesem Segelturn, von dem Ben da andauernd redet?" Tobias hob die Augenbrauen. Dass Ben den Ausflug in die Niederlande mit seinen Eltern besprechen würde, konnte er sich gar nicht vorstellen.

"Nichts großes", erwiderte er langsam. "Mein Vater hat mir angeboten, diesen Sommer ein Schiff zu chartern. Und ich hab Ben eingeladen, mitzukommen." "Und wie sieht das finanziell aus? Müssen wir uns an den Kosten beteiligen?", fragte Bens Vater weiter. "Ich hindere euch nicht daran", grinste Tobias verschmitzt, wurde aber gleich wieder ernst. "Nein, müsst ihr nicht. Ich bin froh, dass er mitkommt. Er hat mir von eurer Kreuzfahrt erzählt, bei der er die ganze Zeit über der Reling hing." "Davon wusstest du gar nichts?", grinste Bens Mutter. "Interessant, schließlich ist das erst vier Jahre her." "Vielleicht wollte er sich diese Peinlichkeit ersparen", spekulierte Tobias amüsiert. "Ach ja, Seekrankheit ist ja bestimmt unmännlich", lachte Bens Mutter.

Tobias beließ es bei diesem Kommentar bei einem Grinsen. Dieser Art von Klischee war er nie zugetan gewesen, daher gestand er diesem Witz keinerlei Bedeutung zu. Er kannte allerdings Bens Einstellung dazu nicht, deshalb hielt er sich dezent zurück, obwohl es Blödsinn war. Ben war doch ohnehin nicht da.

Plötzlich fühlte Tobias sich schlecht. Was er hier machte war lästern und das gehörte sich schlicht und ergreifend nicht. Über seinen besten Freund lästerte man nicht.

"Ich denke, ich seh mal nach Ben und forsch nach, wie's ihm geht", sagte Tobias und erhob sich. "Willst du nicht aufessen?", fragte Bens Vater verwirrt. "Nein, ich hab 'n bisschen Magenschmerzen", log Tobias. "Soll ich dir 'ne Tablette geben?", bot Bens Mutter an. Tobias winkte ab. "Chemie nur bei 'nem Kater. Alles andere wird ausgehalten." Dass er es tatsächlich so hielt, kam ihm bei seiner Ausrede zugute. "Uh, männlich", kommentierte Bens Mutter ironisch und grinste. Tobias schenkte ihr noch ein halbherziges Lächeln, dann wandte er sich ab und begab sich zu Bens Zimmer.

Ben antwortete nicht auf sein Klopfen. Tobias wartete kurz, dann wollte er die Tür selbst öffnen, doch seine Hand griff ins Leere, als er nach der Klinke langte. Ben hatte die Tür in dem Augenblick aufgezogen, in dem Tobias die Hand ausgestreckt hatte. Ein fragender Ausdruck lag in seinen Augen.

"Ich dachte, ich schnei noch mal vorbei, bevor ich mich verkrümle", sagte Tobias. Ben zog ein verstehendes Gesicht. Er hatte etwas eigenartig attraktives an sich, wenn man sich an seiner Mimik orientieren musste, weil er nicht sprechen konnte oder wollte. Tobias hatte selten nichts besseres zu tun als Bens Gesicht derart intensiv zu betrachten. Und während er es tat, kamen ihm seltsame Gedanken. Zum einen wurde er eifersüchtig auf Bens verflucht gut aussehende Züge, andererseits dachte er, dass Ben als Mädchen mit einem ähnlichen Attraktivitätsgrad der Männermagnet schlechthin gewesen und dass auch Tobias ihm erlegen wäre.

Als seine eigenen Gedanken ihn zu verstören begannen, wandte Tobias den Blick ab. "Was'n los?", nuschelte Ben. Seine Zunge behinderte ihn hörbar beim Sprechen. "Ach, nix", behauptete Tobias sofort mit dem fettesten Grinsen, zu dem seine Gesichtsmuskulatur ihn befähigte. Ben hob die Augenbrauen, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte ironisch. "Hm", machte er, alles andere als überzeugt, und trat einen Schritt zurück, wobei sein Kopf zur Seite ruckte. Tobias verstand den Wink und schüttelte den Kopf. "Ich wollt jetzt nach Hause", sagte er. "Oder wolltest du noch was bestimmtes?" Ben lächelte schwach. "Wollte mich 'n bisschen hinlegen und fragen, ob du mitmachst", antwortete er. Mit der geschwollenen Zunge klang er ziemlich lustig.

Tobias überlegte einen Moment, dann stimmte er zu. In seiner Wohnung erwartete ihn ohnehin keiner und Ben würde schon nicht versuchen, über ihn herzufallen, wenn er wie meistens ein wenig wegdöste.

Ben ließ sich aufs Bett fallen und rückte an die Wand, um Tobias Platz zu machen. Tobias schloss die Tür und legte sich mit dem Kopf am Fußende neben Ben. Seine Füße schob er unter das Kopfkissen, während Ben sich einen Zipfel der Decke über die eigenen Füße stülpte. Man wollte seinen Nebenmann ja nicht anstinken.

Bequem lagen sie nun da und taten eigentlich nichts. Bevor Ben sich vor Tobias als schwul geoutet hatte, hatten sie öfters so beieinander gelegen. Es war ein Überbleibsel aus Kindertagen und Tobias hatte nie einen Grund dafür gesehen, dieses Überbleibsel nicht beizubehalten.

"Ey, Koala", nuschelte Ben irgendwann und Tobias öffnete die Augen. Er hielt sie meistens geschlossen, wenn er sinnlos herum lag, damit er gegebenenfalls einschlafen konnte. "Hm?", machte er und ahnte, was kommen würde. "Erzähl mal was", forderte Ben ihn auf und bestätigte Tobias' Ahnung damit. "Was denn?", wollte Tobias wissen. "Irgendeine Geschichte", sagte Ben. "Denk dir was aus." "Na gut", schmunzelte Tobias und überlegte kurz.

"Es war einmal ein Plüschkoala, der zog aus seinem Elternhaus, um die Welt zu entdecken." "Das klingt bescheuert", stellte Ben nuschelnd fest. "Gefällt mir, mach weiter." Tobias lachte leise. Vor acht Jahren hätte Ben noch nach dem Namen des Plüschbären gefragt. Teenager hatten eben andere Prioritäten als Kinder.

"Auf seiner Reise sah er viele Dinge", erzählte Tobias weiter und spürte, dass sich wieder ein dummes Grinsen in sein Gesicht schlich. Diese Geschichte würde ziemlich behämmert werden, wie immer. "Er sah große Seen, Berge, Flüsse, weite Ebenen, sogar das Meer. Und dann entdeckte er... Na, was entdeckte er?" Tobias war gespannt auf Bens Antwort. Seine alten Ideen hatten meistens aus großen Städten oder schönen Schlössern mit hübschen Bewohnern bestanden. "Einen sexy Plüschhasen mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen natürlich", antwortete Ben dieses Mal. Seine Stimme troff vor Ironie.

"Und dann entdeckte er einen sexy Plüschhasen mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen", übernahm Tobias Bens Vorschlag ohne Murren, obgleich er ihm etwas befremdlich vorkam. "Dieser sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen erzählte dem Plüschkoalabären von einem Schloss, in dem eine wunderschöne Prinzessin lebte..." "Wieso Prinzessin? Hallo?", brummte Ben. "Wieso erzählst du 'nem Schwulen 'ne Heterostory?"

Tobias schnaubte sarkastisch. "Du bist total inkonsequent, Ben", stellte er fest. "Du hast dir doch Sprechverbot erteilt! Außerdem sagt ja keiner, dass der Plüschkoala die Prinzessin vögelt, oder?" Ben sagte nichts. Er schnaubte nur leise. Tobias sammelte seinen roten Faden wieder auf und sponn die Geschichte weiter.

"...von einem Schloss, in dem eine wunderschöne Prinzessin lebte, deren Name Plüschilla lautete." Ben kicherte in sich hinein. Tobias spürte das passende Zittern seines Körpers an allen Stellen, an denen sie einander berührten. "Jedoch ward die Prinzessin eingesperrt vom bösen Drachen Plüschinamor. "Du musst sie befreien", sagte der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen zum Plüschkoalabären. "Sie ist meine Tochter. Rettest du sie, so ist sie dein." Der Plüschkoala freute sich auf die PR, die der Sieg über einen Drachen mit sich brachte, und machte sich auf den Weg zum Schloss, in dem die Prinzessin lebte."

"Der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen ist ein König?", bemerkte Ben trocken. "Klappe, Piercingopfer", erwiderte Tobias ungerührt und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Weiter an seiner Geschichte arbeitend schloss er die Augen und winkelte sein rechtes Bein an.

"Der Plüschkoala fand das besagte Schloss und auch den Drachen Plüschinamor. Gewaltig, bösartig und Feuer speiend wachte Plüschinamor über das Schloss. Der Plüschkoala allerdings wusste den Drachen zu besänftigen. Er gab ihm eine Packung American Cookies – nur echt mit Schokostückchen – und Plüschinamor wurde zahm wie ein Lamm." Ben unterdrückte spürbar das Gelächter, das auf seiner Zunge lag. Tobias lächelte. Genau so sollte Ben auch auf seine sinnlose Geschichte reagieren.

"Der Plüschkoala befreite Prinzessin Plüschilla aus dem Schloss, bevor der Drache die Packung Cookies aufgebraucht hatte, und brachte sie zum sexy Plüschhasen mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen, der sie überglücklich in die Arme nahm. "Oh, Plüschkoala, vielen Dank!", rief der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen und fiel dem Plüschkoalabären um den Hals. "Meine Tochter sei die deine." "HÄH?!", rief da Plüschilla aus. "Aber, Vater, ich liebe doch den Baron von Plüscheberg zu Plüschetal, wie kannst du mir dies antun?!" Und sie lief davon zum Baron von Plüscheberg zu Plüschetal, um ihn zu ehelichen."

Tobias überlegte kurz und unterdrückte ein Lachen, bevor er die Geschichte zu Ende führte: "Der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen war verzweifelt. "Oh, Plüschkoala, wie soll ich dich nun entlohnen?", fragte er ratlos. Der Plüschkoala packte ihn am Schürzchen und zog ihn zu sich. "Ich hätte da eine Idee, mein sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen. Entlohn mich doch mit dir." "Oh, Plüschkoala, liebend gerne!", rief der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen aus und sie zogen sich an ein mauscheliges Plätzchen zurück, an dem der sexy Plüschhase mit Schürzchen und heißem Bommelschwänzchen den Plüschkoalabären ungestört entlohnen konnte. Ende."

Ben hob die Hände und klatschte fast schon enthusiastisch. "Ich dachte, ich krieg jetzt noch 'ne heiße Liebesszene der beiden", beschwerte er sich ironisch. "Bitte was?", rief Tobias irgendwo zwischen Ekel und Belustigung. "Sex zwischen 'nem Hasen und 'nem Koalabären? Und dann auch noch Plüschviecher? Wie eklig bist du denn?" "Oh, du hast ja keine Ahnung", wollte Ben Tobias wahrscheinlich Angst machen, doch sein derzeitiges Sprachproblem machte das ganze noch komischer, als es wohl ohnehin gemeint war.

"Wie nennst du die Geschichte?", fragte Ben nach einer kurzen Pause, die sie zum Lachen genutzt hatten, und setzte sich auf. Tobias sah ihn müde grinsend an. "'Cookies – Und alles ist Plüsch'", antwortete er, ohne lange nachdenken zu müssen. Ben schnaubte amüsiert und ließ sich wieder ins Kissen fallen. "Toll, jetzt hab ich Lust auf Cookies, du Arsch", murrte er. "Is' nich'", sagte Tobias ohne auch nur einen Funken Schuld zu verspüren. "Du bist frisch gepierct." "Jaaa, Mamaaaa", knurrte Ben. "Werd bloß nicht überfürsorglich." Tobias grinste. "Aber nie und nimmer!" Erneut verfielen sie in Gelächter.

Als sie wieder zur Ruhe kamen, hatte Tobias' Gehirn wieder Zeit, an Leute zu denken, an die Tobias nicht denken wollte. Sein Gehirn wollte sich jetzt Fragen stellen, die Kai betrafen. Und Tobias' blödes Maul zog einfach mit. "Wohnt Kai eigentlich nicht mehr hier?", hörte er sich fragen und wollte sich auf die Zunge beißen.

"Hm?", machte Ben verwirrt. "Nein, er ist im Nachbarhaus eingezogen", antwortete er dann. "Hat meinen Eltern gesagt, er wolle ihnen nicht weiter zur Last fallen. Wenigstens war er so nett und hat mich da raus gelassen." "Mehr positive Sachen über ihn fallen mir jetzt auch nicht ein", bemerkte Tobias schnippisch.

Ben setzte sich mit einem ironischen Lächeln auf. "Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich denken, du wärst eifersüchtig", sagte er. "So ein Schwachsinn", wehrte Tobias sofort ab und lachte krampfhaft. Ben grinste.

Tobias erschrak, als Bens Gesicht plötzlich direkt über seinem schwebte. "Ben, was soll das?", fragte Tobias unsicher. "Tse...", machte Ben amüsiert und schloss die Augen halb. "What if I kissed you now?", fragte er leise. Seine dunklen Wimpern zitternden sachte. "Are you sure you wouldn't react?" Tobias verschlug es für Sekunden den Atem. Mit offenem Mund starrte er Ben an, fühlte sich von diesen grasgrünen Augen ertappt.

"What the...", setzte er dann verärgert an, nicht wirklich merkend, dass auch er Englisch gesprochen hatte. "Lass den Scheiß, Ben!", rief er aus und wollte Ben von sich weg schieben, doch der stemmte sich gegen ihn. "Hey, keep cool, Koala", schmunzelte er, plötzlich wieder normal. "Ich tu dir nix, das weißt du doch. Ich ärger dich doch nur ein bisschen."

"Das merk ich", knurrte Tobias, während Ben endlich zurück wich und sich wieder setzte. "Mach das nie wieder, ich wollte noch keine weißen Haare bekommen." "Versprochen, Koala", schmunzelte Ben und ließ sich zurück in sein Kissen sinken. "Boah, ey...", murmelte Tobias kopfschüttelnd und setzte sich nun seinerseits auf. "Ich glaub, ich geh dann mal nach Hause. Nicht, dass du doch noch auf die Idee kommst, mich noch mehr zu ärgern."

Ben quittierte seine Worte mit einem Achselzucken. "Es steht dir frei zu gehen, wann du möchtest", sagte er. "Halt dich endlich mal an dein Sprechverbot", grinste Tobias und legte eine Hand auf Bens Schulter. Der lächelte nur nichtssagend. "Ich mach mich dann mal vom Acker, Hasi", sagte Tobias und erhob sich. Ben hob die Augenbrauen. "Naja, wenn ich der Koala bin, musst du wohl der Hase sein, oder?", erklärte Tobias lachend. Ben verzog die Lippen zu einem halbherzigen Lächeln, hob die Hand und machte eine Geste zur Tür hin. Tobias folgte dem Wink, ging zur Tür und zog sie auf.

"Hey, Ben", wandte er sich noch einmal an seinen besten Freund. Der sah mit fragendem Blick zurück. Tobias grinste. "Ich freu mich, dass du in den Ferien mitkommst", sagte er ehrlich. Ben hob die Brauen, dann lächelte er und nickte, bevor er lässig mit einer Hand winkte. Tobias schmunzelte und verließ das Zimmer und daraufhin die Wohnung.
 

Als Tobias nach Hause kam, waren seine Eltern bereits da. Sein Vater verabschiedete sich gerade auf Niederländisch am Telefon, als Tobias die Tür hinter sich zuschob. "War das die Firma in Warns?", wollte Tobias wissen. Sein Vater nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich hab dem Mann gesagt, was für ein Schiff wir haben wollen. Ich weiß, wir wollten eigentlich in der zweiten Ferienwoche rüber, aber das Schiff, das ich mir im Internet ausgesucht habe, wird wohl erst ein oder zwei Tage später frei werden."

Tobias verspürte einen Anflug von Enttäuschung. "Und was heißt das jetzt?", fragte er und ließ seine Schultasche unter die Garderobe sinken. "Das heißt, wir können zwei Tage später los fahren oder die ersten beiden Tage zu dritt im Zelt pennen", antwortete Felix achselzuckend. "Und was ist mit den sieben Tagen Segeln?", fragte Tobias weiter. Felix lächelte. "Ich hab kurzerhand vierzehn draus gemacht, wenn's dich nicht stört", sagte er.

Sekundenlang starrte Tobias seinen Vater an, dann erst sickerte die Information bei ihm durch. "Wie geil ist das denn?!", rief er aus und wäre Felix fast wieder um den Hals gefallen. "Mann, Papa, das ist..." Er rang nach Worten, doch die Freude ließ selbst seinen Atem stocken. "Geil?", schlug Felix amüsiert vor. Tobias nickte hilflos. Ihm fiel nichts besseres mehr ein. Die Aussicht auf vierzehn Tage auf dem Meer war zu schön um wirklich wahr sein zu können. Fast wollte er es nicht glauben.

"Ach, das Leben ist schön", grinste Tobias und ging ins Wohnzimmer, wo seine Mutter vor dem Fernseher saß. Als sie ihn sah, lächelte sie. "Tobias, du siehst so frisch aus, was ist los?", fragte sie erfreut und richtete sich auf dem Sofa auf. Tobias lachte und drückte ihr übermütig einen Kuss auf die Wange. "Zwei Wochen Segeln", sagte er nur überglücklich und ließ sich neben sie fallen. Felix betrat den Raum und setzte sich auf Danas andere Seite.

"Ihr lasst mich also wieder allein hier? Zwei Wochen lang?", seufzte Dana, legte den Kopf auf die Schulter ihres Mannes und den Arm um ihren Sohn. "Niemand hindert dich daran, uns zu begleiten", merkte Felix an. "Himmel!", rief Dana aus. "Ich bekomm doch schon beim Anblick von einem Schiff Muffensausen." "Und denk doch nur mal daran, wie schön sauber es hier sein wird, so lang wir weg sind", grinste Tobias. "Pff...", machte Dana kopfschüttelnd und Tobias zuckte lachend zusammen, als sie seine Frisur mit einer Hand verunstaltete. "Mann, Mama, die Frisur ist harte Arbeit!", rief er aus und schob ihre Hand weg. Dana schnaubte. "Erstens gehst du heute doch eh nicht mehr raus", stellte sie fest und legte liebevoll einen Arm um ihn, "und zweitens frag ich mich grade, ob ich wirklich 'nen Sohn hab." Tobias lachte leise und schmiegte sich an ihre Schulter. "Du kannst stolz auf dich sein, was für einen super aussehenden Sohn du hast", sagte er gut gelaunt.

Dana lachte fröhlich auf, während Felix sich die Fernbedienung schnappte. "So, jetzt mal Ruhe", befahl er. "Jemand Lust auf den Film da?" Tobias blickte zum Fernseher hinüber. Er kannte den Streifen, dessen Titel der EPG anzeigte. "Der ist nicht schlecht", urteilte er. "Keine Ahnung, ob der auch was für Erwachsene ist." "Gucken wir den doch einfach", schlug Dana vor. Tobias und Felix hatten nichts dagegen, daher machten sie es sich zu dritt auf dem Sofa bequem und verbrachten den Abend vor der Flimmerkiste.

Ein problematischer Ferienanfang

Hallihallo, Kapitel 11 ist do. Äh, da, aber das hätte sich nicht gereimt. ;) Die Wartezeit tut mir Leid. Wie bereits erwähnt: KreaTief. Und darüber hinaus war es das erste Kapitel, dass ich noch nicht fertig hatte, als das vorherige schon hochgeladen war. Unter dem Gesichtspunkt bitte ich um Entschuldigung, wenn Kapitel 12 auch so lang braucht, das ist nämlich noch nicht einmal angefangen. ^^'

Und was diverse Kommentare zur derzeitigen Inaktivität des Schwulenblenders angeht: Der kommt wieder, keine Sorge. Nur... Ob ihr euch dann noch darüber freut...?

Viel Spaß beim Lesen. ^^
 

Der letzte Schultag war vorbei. Tobias hatte ein wie immer weder übermäßig schlechtes noch übermäßig gutes Zeugnis, daher dachte er nicht großartig darüber nach. Ihn beschäftigte etwas völlig anderes.

"Nur noch eine verfickte Woche bis Warns!", jubelte er und hüpfte mehr als dass er lief neben Ben her zu ihren Fahrrädern. "Ist das geil oder was?", strahlte er. Ben schmunzelte. "Megageil", nickte er, wohl eher um Tobias eine Freude zu bereiten, als um seine eigene Meinung kundzutun, doch Tobias war schon viel zu gut gelaunt, um sich über die kleine Unehrlichkeit aufzuregen. Er hatte die elfte Klasse geschafft, er war mit Monami verabredet und in einer Woche würde er endlich wieder in seine geliebten Niederlande fahren. Das konnte doch gar nicht mehr besser werden.

"Was machst du heute Abend?", wollte Ben wissen, als Tobias sich zu seinem Fahrradschloss hinunter bückte. "Ich treff mich gleich mit Monami. Wir wollen ins Kino", erwiderte Tobias. "Wieso fragst du?" "Reines Interesse", meinte Ben achselzuckend. "Was machst du denn?", fragte Tobias und zog sein Fahrrad aus dem Ständer. Ben schwieg und umfasste die Lenkstange seines Fahrrads. Fast schien es, als schämte er sich für das, was er vorhatte.

"Nun erzähl schon", drängte Tobias ihn grinsend und boxte Ben gegen die Schulter. Ben seufzte leise. "Ich erzähl's dir später, okay?", bot er an, ohne Tobias anzusehen, schwang sich auf sein Rad und fuhr los. Tobias glotzte ihm blöd hinterher, dann beeilte er sich, ihm nachzufahren.

"Hey, was ist los, Ben?", wollte Tobias beleidigt wissen, nachdem er Ben eingeholt hatte. "Willst du 'ne Bank ausrauben oder was?" Ben schenkte ihm ein sarkastisches Lächeln. "Natürlich, Koala. Und damit du mich nicht auslachst, erzähle ich dir erst hinterher davon, weißte?" Tobias hatte das dumpfe Gefühl, dass Ben ziemlich nah bei der Wahrheit blieb, was ihm jegliche Lust zu Lachen verdarb.

"Also willst du's mir nicht sagen?", vermutete er geknickt. Ben nickte. "Genau so ist es", fügte er dem hinzu. "Aber du wirst es noch erfahren, versprochen. Ich bin nur noch nicht so sicher, ob es so klappt, wie ich mir das vorstelle." "Und damit ich dich nicht auslache, erzählst du's mir erst hinterher, alles klar", schnaubte Tobias mit einem ironischen Grinsen auf den Lippen. Ben verwirrte ihn gerade ein wenig.

Tobias akzeptierte Bens Entscheidung vorerst und verabschiedete sich schließlich mit einer Erinnerung an Bens Versprechen von ihm. Ben nickte mit einem unsicheren Lächeln, bevor er davon fuhr.

Tobias ließ sein Fahrrad vor der Eingangstür stehen und beeilte sich, in seine Wohnung zu kommen, damit er schnell wieder unten sein konnte. Monami wartete bestimmt schon auf ihn.

So schnell wie möglich brachte Tobias seine Tasche in sein Zimmer, schob sich seinen Schlüsselbund und sein Portmonee in die Hosentaschen, warf sein Zeugnis auf den Küchentisch und rannte wieder aus der Wohnung, durchs Treppenhaus und zu seinem Fahrrad zurück.
 

Monami wartete tatsächlich schon. Sie hatten sich am Straßenschild der Straße verabredet, die genau zwischen ihren Wohnungen lag. Tobias sprang waghalsig vom Fahrrad, stellte es rasch ab und zog Monami in seine Arme, bevor er ihr einen liebevollen Kuss auf die Lippen drückte. Monami mochte kein Geknutsche in der Öffentlichkeit, aber diese pseudoflüchtigen Küsse hatten auch etwas.

"Du bist genau fünf Minuten und zehn Sekunden zu spät", stellte Monami fest. Ihre Arme lagen noch auf Tobias' Schultern, ihre Finger spielten mit seinen Haarspitzen. Tobias grinste ironisch. "Seit wann hast du 'ne Uhr?", wollte er wissen. "Ich hab mein Handy wieder", erwiderte Monami lässig. Tobias hob beeindruckt die Augenbrauen. "Wie haste das denn geschafft?", wollte er wissen. Monami schwieg einen Moment und seufzte, dann blickte sie schuldbewusst zu Tobias auf. "Ich musste dich vor meinem Vater verleugnen", murmelte sie.

Das saß. Tobias verzog gekränkt die Lippen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Monami auf ihr Handy verzichtet hätte, um zu ihm stehen zu können. "Es tut mir leid, Tobias", sagte Monami, was Tobias ihr schon glaubte. Allerdings half es seiner Enttäuschung gerade wenig. Er schob Monami von sich und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Was hast du deinem Vater erzählt?", fragte er ernst. Monami biss sich auf die Unterlippe und ihre Finger spielten mit dem Saum ihres T-Shirts. "Nur, dass ich Schluss gemacht hätte. Ich hab nichts gegen dich gesagt, ehrlich. Paps meinte nur, ich sei wohl zur Vernunft gekommen und hat mit mein Handy zurück gegeben."

Tobias schwieg. Diese Sache mit Monamis Vater regte ihn schon irgendwie auf. Er hielt nichts davon, wenn Eltern sich zu sehr ins Leben ihrer Kinder einmischten. Es war nun wirklich Monamis Sache, mit wem sie zusammen war. Tobias sagte nichts gegen elterliche Sorge, doch man konnte auch zu weit gehen. Das grenzte ja an Kontrollsucht. Nein, das grenzte nicht an Kontrollsucht, das war Kontrollsucht.

"Was genau hat dein Vater überhaupt gegen mich?", fragte Tobias und schnappte sich sein Fahrrad. "Lass uns schon mal los fahren, sonst verpassen wir den Filmanfang." Monami nickte und schwang sich auf ihr Fahrrad. Wenn sie auf dem Rad unterwegs waren, zog Monami immer kurze Hosen an, was Tobias nur begrüßen konnte. Er hatte nichts dagegen, wenn andere Typen Monami ansahen. Monami sah super aus, warum hätte sie sich verstecken sollen? Aber sie musste ja nicht gleich allen ihre Unterwäsche präsentieren, das war immer noch Tobias' Privileg.

"Mein Vater hat was gegen Jungs, das ist nicht mal speziell gegen dich", antwortete Monami. Sie sprach langsam, so als wolle sie noch über ihre Worte nachdenken, während sie diese schon aussprach. "Aber da du nun mal stiltechnisch kein ganz normaler Typ ist, hält er dich für einen dieser... Warte, wie nannte er das...?" Monami schüttelte leicht den Kopf und zog sich ein paar störrische Haarsträhnen aus dem Mund. "Ah, ja, "Angehender Sozialschmarotzer" nennt er dich", fiel es ihr wieder ein.

Tobias hätte gelacht, hätte dieser Ausdruck nicht ihn selbst beleidigt. So verärgerte es ihn zutiefst. "Was ist dein Vater eigentlich für ein...", fing er zornig an, biss sich dann allerdings auf die Zunge. Er hatte nicht vor, sich auf dieses Niveau herabzulassen. "Geht’s noch 'n bisschen oberflächlicher?", formulierte er den Ausdruck, der ihm eigentlich auf der Zunge gelegen hatte, um einiges blumiger. Monami lachte halbherzig. "Glaub nicht, nein", seufzte sie. "Ich will mein Abi machen und arbeiten gehen", brummte Tobias beleidigt. "Ich weiß noch nicht, was ich machen will, aber ich hatte nicht vor, Sozialhilfe zu beziehen und mir 'nen riesigen Fernseher zu kaufen, den ich dann in irgendeiner Reality-Sendung in die Kamera halte." Tobias zog ein nachdenkliches Gesicht. "Obwohl das mit dem riesigen Fernseher noch mal zu überdenken wäre..." Monami fing an zu lachen. "Du Spinner!", rief sie fröhlich aus. "Bin stolz drauf!", erwiderte Tobias gut gelaunt, was Monami nur noch mehr zum Lachen brachte.

Tobias lächelte zu ihr hinüber. Er war glücklich mit ihr, was machte er sich da Sorgen um Ben? Machte er sich Sorgen um Ben? Tobias' Lächeln verblasste. Was zur Hölle machte Ben jetzt in seinem Kopf? Ben war ein Kerl, den hatte er nicht mit Monami zu vergleichen! Und über ihn nachzudenken, während Tobias feststellte, dass er glücklich war, ging gleich zwei mal nicht! Tobias schüttelte grimmig den Kopf

"Ey, yo, Tobias, alles flocke?", fragte Monami verwirrt. "Was?", schreckte Tobias aus seinem Gedankensalat auf. Eigentlich hatte er gerade wieder in sein Gehirn beißen wollen. "Doch, alles klar", sagte er rasch. Monami sah ihn misstrauisch an, kommentierte aber nicht und sagte stattdessen: "Leg mal 'nen Zahn zu, wir sind spät dran." Tobias folgte ihrem Beispiel und erhöhte sein Tempo, ließ die verstörenden Gedanken an Ben zurück und konzentrierte sich darauf, noch rechtzeitig zum Film zu kommen.
 

Das Klingeln seines Handyweckers riss Tobias am ersten Ferientag mit aller Gewalt aus seinen Träumen. Tobias stöhnte entnervt in sein Kissen, dann streckte er sich, griff nach dem Handy auf dem Nachttisch und beendete den Klingelterror. Er hatte vergessen, den Wecker zu deaktivieren, was er jetzt rasch nachholte.

Jetzt war es halb sieben und Tobias war wach und frustriert. Monami lag tief schlafend neben ihm. Sie war laut eigener Aussage "weckerresistent", worum Tobias sie in diesem Augenblick beneidete. Resigniert schüttelte er den Kopf und stand auf. Monami lag auf der Wandseite des Bettes, was Tobias anstrengende Kletterei ersparte.

Müde und trotzdem schlafunfähig quälte er sich in frische Boxershorts und begab sich in die Küche, trank dort ein paar Schlucke Leitungswasser direkt aus dem Wasserhahn und überlegte dann, was er tun sollte. Er konnte versuchen, Monami zu wecken, doch was sollten sie dann machen?

Gähnend ließ Tobias sich auf einen Küchenstuhl fallen und stützte seinen Kopf in seine Hände, sah aus dem Fenster und stellte fest, dass es erst vor Kurzem geregnet haben musste; auf der Fensterscheibe hafteten noch einzelne Tropfen. Das Licht der Morgensonne brach sich in ihnen und blendete Tobias, so dass er wegsehen musste.

Ein Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen, als er an den vergangenen Abend dachte. Der Film, den er sich mit Monami angesehen hatte, hatte auch eine Szene mit schrecklich hellem Licht enthalten. Monami und er hatten theatralisch die Gesichter von der Leinwand abgewandt und eher versehentlich hatten sie einander dabei geküsst. Auf den Zweiersitzen im Kino konnte man sehr nah beieinander sitzen und wenn Tobias es sich an Monamis Schulter bequem machte, waren ihre Gesichter ungefähr auf der selben Höhe. Und als Tobias im selben Augenblick wie Monami den Kopf gedreht und die Augen geschlossen hatte, hatte er plötzlich ihre Lippen an seinen gespürt und sie einfach geküsst.

Leise seufzend lächelte Tobias zum Fenster hinüber. Es war eine schöne Erinnerung, obgleich es nur ein Kuss gewesen war. Auf dem Heimweg hatte er Monami spontan zu sich eingeladen und sie hatte eingewilligt, obwohl sie den Zorn ihres Vaters zu befürchten hatte. Tobias hatte sie und auch sich selbst allerdings ziemlich erfolgreich von solchen Gedanken abgelenkt. Ihr sensibler Körper war einfach zum Vernaschen sexy. Tobias spürte das lüsterne Grinsen auf seinem Gesicht und tat nichts dagegen. Es sah ja ohnehin niemand.

"Hey, das Bett wird kalt", stellte plötzlich jemand hinter ihm fest. Tobias wandte sich mit einem verliebten Schmunzeln Monami zu. Sie hatte ihm sein einziges Riesenshirt geklaut, um nicht nackt herumzulaufen. Tobias hatte sich anderthalb Jahre zuvor spaßeshalber einen kurzen Ausrutscher in den Hiphop-Style erlaubt und dieses riesige T-Shirt war das letzte Überbleibsel davon. In kühleren Nächten schlief man ganz gut darin.

"Tut mir leid", sagte Tobias leise und winkte sie zu sich. "Mein Handy hat mich aufgeweckt, da bin ich halt aufgestanden." Monami schüttelte grinsend den Kopf, kam zu ihm herüber und ließ sich auf seinem Schoß nieder, bevor sie ihm einen Kuss auf die Lippen drückte. "Guten Morgen übrigens, du falscher Freak", flüsterte sie. Tobias lächelte und legte die Arme um Monamis Hüften. "Guten Morgen", erwiderte er sanft. "Gut geschlafen?" "Bestens", erwiderte Monami. "Auch wenn ich die bequemere Matratze hab." Tobias schnaubte amüsiert. "Dann war ich wohl der entscheidendere Faktor?", vermutete er. Monami lachte. "So in etwa, ja", erwiderte sie. Tobias lächelte. "Darauf bild ich mir einfach mal was ein", sagte er. Wieder lachte Monami, dann kuschelte sie sich in seine Arme und fragte leise: "Was machen wir heute?"
 

Die ersten Ferientage schienen für Tobias Langeweile pur zu werden. Monami fuhr am zweiten Ferientag in den Urlaub mit der Familie ihrer besten Freundin. Danny fuhr ebenfalls weg, also gab es erst einmal keine Partys bei ihm. Und Ben hatte keine Zeit, weil er aus irgendeinem Grund täglich weg war. Tobias rief jeden Tag bei ihm an, doch es ging nur Bens Mutter ans Telefon und sagte ihm jedes Mal das gleiche: "Ben ist heute Morgen ganz früh weg und hat nur einen Zettel hinterlassen, dass wir ohne ihn essen sollen."

Tobias hatte also wieder eine Woche Zeit, um sich mit sich selbst zu langweilen. Seine Partyfreunde und sympathischen Schulkameraden waren ihm außerhalb von Schule und Partys nicht allzu sympathisch. Mit den einen trank er Bier, mit den anderen unterhielt er sich über bescheuerte Lehrer und nervige Hausaufgaben, das gab privat nicht viel her.

Die Situation war noch schlimmer als die Stille zwischen Ben und Tobias nach Bens Liebesgeständnis. Damals hatte Tobias Ben gemieden und nicht umgekehrt. Ganz davon abgesehen waren sie dieses Mal nicht im Streit voneinander getrennt, sondern weil Ben anderweitig zu tun hatte. Wenn er Tobias wenigstens eingeweiht hätte! Tobias hatte keine Zweifel daran, dass es irgendetwas mit dieser Aktion vom letzten Schultag zu tun hatte, über die Ben nicht hatte sprechen wollen. Hatte Ben sich vielleicht neu verliebt und war bei seinem Neuen? Hätte er Tobias davon nicht etwas erzählt?
 

Tobias musste sich selbst belächeln, als er feststellte, wie eifersüchtig seine Gedanken klangen. Es war Freitag Abend und er saß vor dem Fernseher und zog sich wie an den vergangenen Abenden Nachrichten rein. Gut, eigentlich ließ er sie lediglich laufen, während er auf eine SMS von Monami wartete und sich darüber ärgerte, dass Ben schon wieder weg gewesen war. Dabei hatte er ihn schon um neun Uhr angerufen, um ihn noch zu erwischen. Bens Handy war permanent ausgeschaltet.

Tobias' Handy fing an zu dudeln. Es war die SMS von Monami, auf die er gewartet hatte. Tobias hatte sie angeschrieben und gefragt, wie es ihr ging und was sie so machte. Er hatte aus reiner Langeweile gefragt. Was Monami auf dem Reiterhof machte, zu dem sie gefahren war, konnte er sie eigentlich immer noch fragen, wenn er sie nach dem Urlaub wieder sah.

Laut der SMS ging es Monami gut und sie hatte ihren Spaß daran, auf dem Hof mitzuarbeiten. Die Vorstellung von Monami in ihren knappen Klamotten und den dick besohlten Stiefeln beim Ausmisten von Pferdeboxen war äußerst amüsant.

Tobias schaltete sein Handy mit einem schwachen Lächeln aus. Monami hatte ihn zwar gefragt, was er so machte, aber er hatte keine Lust zu schreiben. Außerdem war sein Guthaben fast aufgebraucht.

"...sind nun erste Zusammenhänge zwischen den Opfern des Schwulenblenders bekannt geworden." Tobias horchte auf. Der Nachrichtensprecher legte eine seiner Notizzettel von seinem Stapel, wandte sich wieder der Kamera zu und fuhr fort: "Alle bisherigen Opfer besuchten des öfteren den Schwulenclub "Flashlight". Möglicherweise trafen sie also dort auf den Schwulenblender. Die Polizei ermittelt nun verstärkt in diesem Etablissement."

Und schon wurde das Thema gewechselt. Tobias schüttelte leicht den Kopf, stemmte sich hoch und schaltete den Fernseher aus. Der Schwulenblender verhielt sich momentan sehr still. Fast so, als hätte er seine Suche nach Schwulen aufgegeben, weil es zu viele davon gab. Oder er hatte ein völlig anderes Motiv, das nicht wirklich etwas mit der Homosexualität seiner Opfer zu tun hatte und zu dem keine Leute mehr passten. Was war, wenn ein völlig anderes, unbekanntes Bindungsglied bestand?

Erneut musste Tobias den Kopf schütteln, dieses Mal über sich selbst. Wie kam er auf die Idee, dass ausgerechnet er hinter die kranken Gedanken eines Serientäters blicken konnte?

Tobias ließ sich zurück auf sein Bett sinken und betrachtete die Decke. Wenn dieser Club "Flashlight" tatsächlich eine Verbindung zwischen den Opfern war, bestand keine Gefahr für Ben. Ben besuchte solche Einrichtungen nicht, oder? Tobias wusste es eigentlich gar nicht. Dass er sich Ben in so einem Club ziemlich gut vorstellen konnte, fuchste ihn dafür gewaltig. Ben, der angeregt mit einem anderen Kerl plauderte oder flirtete, Ben mit seinem Drink in der Hand, den er mit einer eleganten Bewegung an die Lippen führte, um nur daran zu nippen...

Kopfschütteln wurde allmählich zu Tobias' neuem Hobby. So eine idiotische Vorstellung kam ihm selten. Ben ging nicht in Schwulenclubs und damit hatte sich die Sache.

War er nicht mit der gleichen Überzeugung zu dem Schluss gekommen, dass Ben nicht schwul sein konnte?

"Argh!", machte Tobias, warf sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht im Kissen.

Die Türklingel hielt ihn davon ab, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Er hatte ohnehin schon wieder mit dem Gedanken geliebäugelt, sein Gehirn zu beißen. Diese verdammten Gedanken machten ihn noch völlig fertig.

Da seine Eltern nicht da waren, kletterte Tobias aus seinem Bett und begab sich zur Wohnungstür.

"Wer da?", fragte er in die Gegensprechanlage. "Hey, Koala, haste eben Zeit?" Tobias ignorierte die schlagartige Beschleunigung seines Herzens und fragte beleidigt: "Wieso kommt die Frage erst jetzt?" Er hörte Ben lachen. "Entschuldige bitte, Koala. Ich hatte etwas sehr wichtiges mit jemandem abzuklären. Wenn du mich rein lässt, erfährst du mehr. Wie wär's?"

Tobias zog für einen Augenblick in Erwägung, sich an Ben zu rächen, indem er ihn einfach nicht ins Haus ließ. Dann stellte er wieder fest, wie entsetzlich eifersüchtig er sich aufführte, und betätigte den Türöffner. "Wehe, ich krieg nix zu hören", knurrte er Ben noch an, bevor er den Hörer auflegte und die Wohnungstür öffnete.

Kurz darauf stürmte auch schon Ben die Treppe hoch und begrüßte Tobias mit einer untypischen Umarmung. "Ey, was geht ab?!", rief Tobias erschrocken aus und schob Ben von sich weg. Ben sah für eine Sekunde enttäuscht aus, dann lachte er wieder. "I'm sorry", behauptete er. "Ich erliege gerade meiner ungesund guten Laune."

Tobias hob die Brauen und drückte die Tür hinter Ben zu. "Ich merk das schon", brummte er, konnte allerdings nicht leugnen, dass Bens Laune allmählich ansteckte. "Komm rein, leg ab, ich such derzeit mal was zu trinken für dich." "Cool, danke", strahlte Ben und fing an, auf einem Fuß balancierend an seinem Chuck herum zu fummeln.

Ohne ein Lächeln unterdrücken zu können begab Tobias sich in die Küche und schnappte sich erst einmal ein Glas aus der Spülmaschine. Eigentlich musste er die noch ausräumen, aber das hatte ja Zeit. Im Kühlschrank fand Tobias Kirsch- und Orangensaft. "Hey, Ben!", rief er über die Schulter. "Orange oder Kirsche?"

"Kirsche", erwiderte Ben direkt hinter ihn und Tobias zuckte so heftig zusammen, dass er fast Bens Glas von der Arbeitsplatte gefegt hätte. "Alter!", stieß er hervor und griff sich an die Brust. "Schleich dich nicht noch mal so an mich ran, okay?" Ben lachte leise, griff an Tobias vorbei nach dem Kirschsaft in der Kühlschranktür und schenkte sich selbst ein.

"Keep cool, Koala", schmunzelte er. "There's nothing to be scared of." Tobias grinste sarkastisch, als Ben ihm zuzwinkerte. "Du hast mich erschreckt, ich hab keine Angst vor dir", stellte Tobias richtig, nahm sich selbst ein Glas aus der Spülmaschine und schenkte sich Kirschsaft ein. Ben lächelte still, bevor er sein Glas an die Lippen führte und sich einen Schluck genehmigte. Tobias erwischte sich dabei, wie er ihn dabei beobachtete, wandte den Blick ab und redete sich ein, dass er lediglich für einen Moment zu faul gewesen war, weg zu sehen. Er hatte doch keinen Grund, Ben anzustarren wie ein heimlicher Verehrer!

"So, jetzt lass mal hören", sagte er neugierig und stemmte eine Hand in seine Hüfte. Ben seufzte schwer, fing dann jedoch wieder an zu grinsen. "Ich war bei einem alten Freund", begann er. "Genau gesagt bei meinem Ex."

Was Tobias gerade an Kirschsaft im Mund hatte, landete im Bruchteil einer Sekunde wieder im Glas. "Wieso das denn?!", brachte er hustend hervor. Er hatte keine Ahnung, warum ihn Bens Worte so entsetzten. Es gab viele Leute, die Kontakt zu ihrem Expartner hielten, was war also so schlimm daran?

Ben lachte. "Mann, Koala, alles in Ordnung?", wollte er wissen und klopfte Tobias mit liebevoller Ironie in den Augen auf die Schulter. "Ich war bei ihm, weil ich mir Sorgen um ihn gemacht habe. Du weißt doch; er ist eines der Opfer des Schwulenblenders. Ich wollte wissen, wie er so zurecht kommt." "Und dafür hast du 'ne Woche gebraucht?", fragte Tobias trocken. Ben grinste. "Naja, wir haben viele Gemeinsamkeiten, da kommt man leicht ins Plaudern", erklärte er mit einem fast verlegenen Unterton. "Wir haben beschlossen, in Kontakt zu bleiben."

Tobias seufzte leise. "Das hättest du mir doch erzählen können", meinte er und wollte eigentlich vorwurfsvoll klingen. Tatsächlich klang er einfach nur bedrückt. "Ich hab dich die ganze Woche versucht zu erreichen." Tobias blieb fast das Herz stehen, als Ben die Arme auf seinen Schultern ablegte und ihn anlächelte. Was war denn heute mit seinem Herzen los? Und was war mit Ben los? Hatte er sich wieder in seinen Ex verliebt und sah das mit dem Körperkontakt jetzt nicht mehr so eng?

"Mein armer Koala", schmunzelte Ben. "Bist du einsam gewesen so ganz ohne mich?" Tobias hob ungläubig die Augenbrauen, während in seiner Brust plötzlich die Hölle los war.

"Quatsch!", wehrte er ab und schob Ben von sich. "Ich war nur angepisst, weil nichts los war. Monami ist weg, Danny ist weg. Und du warst auch weg, das ist ganz schön langweilig." Ben trank sein Glas leer. "Pff, ich als dein bester Freund bin nur dritte Wahl? Wie gemein von dir", sagte er dann und stellte sein Glas in die Spüle. Tobias seufzte und griff sich an die Brust. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Sein Herzmuskel sponn herum. Musste er zum Arzt?
 

Nach einer Weile des Schweigens hatte Ben Tobias in dessen Zimmer geschoben und aufs Bett verfrachtet. Nun lagen sie nebeneinander. Es war das allererste Mal, dass ihre Köpfe nebeneinander lagen. Sonst lagen sie ja immer mit dem Kopf neben den Füßen des jeweils anderen. Tobias wusste nicht, warum es jetzt plötzlich anders war, aber es störte ihn auch nicht sonderlich. Gut, Schulter an Schulter zu liegen machte die Liegefläche um einiges schmaler, aber ansonsten war es völlig in Ordnung.

"Sag mal, Koala...", fing Ben irgendwann an und drehte sich auf die Seite. Offenbar fühlte er sich doch etwas eingeengt zwischen der Wand und Tobias' Schulter. Tobias sah Ben fragend an. "Was gibt’s?", wollte er wissen. Ben zögerte, knabberte an seinem Unterlippenpiercing, kratzte sich an der rechten Augenbraue und atmete tief durch. Erst dann fragte er: "Könnte ich heute über Nacht hier bleiben?" Tobias hob verblüfft die Augenbrauen. Ben hatte schon lange nicht mehr bei ihm übernachtet.

"Spricht so an und für sich nix gegen", nickte Tobias nach kurzem Schweigen. "Gibt’s 'nen Grund dafür?" Ben fing schon wieder an, an seinem Piercing zu knabbern. Tobias legte eine Hand auf Bens Schulter und spürte ihn sachte zusammen zucken. Bens grüne Augen ließen sich nur sekundenlang von Tobias' Blick einfangen. "Nun sag schon", drängte Tobias Ben mit sanfter Stimme. Ben zuckte die Achseln und seufzte. "Keinen bestimmten", behauptete er. Tobias mochte ihm nicht wirklich glauben, doch Ben wollte offensichtlich nicht reden.

"Na, dann lass uns mal ein Nachtlager für dich herrichten", wechselte Tobias also das Thema und setzte sich auf. Ben gab einen zustimmenden Laut von sich und folgte Tobias aus dem Zimmer. Die Matratzen für Gäste lagen auf dem Schrank von Tobias' Eltern. Ben bekam beide Matratzen, weil jede allein viel zu dünn für ein einigermaßen bequemes Nachtlager war.

Gemeinsam stapelten sie die Matratzen in Tobias' Zimmer direkt neben dem Bett. Dann ging Tobias wieder ins Schlafzimmer seiner Eltern. Bettbezüge und auch Bettzeug fanden sich ebenfalls im Schrank. Ben bezog das Kissen, während Tobias sich mit dem Deckenbezug herumärgerte. "In diesen Dingern findet man die Ecken nie!", beschwerte er sich und errötete unter Bens Gelächter. "Lach nicht!", fauchte er. Ben lachte nur noch lauter und ließ sich aufs Bett fallen.

"Ach, Koala, du Spinner", kicherte er. Wie er sich da auf dem Bett von Tobias' Eltern räkelte, sah er auf eine eigenartige Art und Weise aufreizend aus. Tobias verscheuchte den Gedanken rasch wieder. Hatte er heute irgendwelche Drogen geschluckt? Oder war er auf chronischem Sexentzug, dass er anfing, Ben attraktiv zu finden? Wieder so ein verdammter Gedanke. Tobias schüttelte energisch den Kopf und schaffte es endlich, die Decke einzutüten.
 

Bens Schlafstätte war fertig, Tobias hatte eine DVD in den DVD-Player geworfen und sie saßen gemeinsam auf dem Bett und sahen sich den Film an. Es war ein Horrorfilm von der Art, über die man eigentlich fast lachen konnte, obgleich einem von dem vielen Blut ein wenig übel wurde.

"Tobias?", murmelte Ben, als der Mörder gerade sein Messer zückte und hinter seinem nächsten Opfer um eine Ecke schlich. "Hm?", machte Tobias. Sein Kopf lag auf Bens Schulter, weil allmählich die Müdigkeit an ihm nagte. Es war schon dunkel draußen. Ben hatte den Arm um Tobias' Schultern gelegt und Tobias fühlte sich wohl, so wie sie jetzt saßen.

"Hast du vielleicht was zu trinken da?", wollte Ben wissen. "Kirsche oder Orange?", erwiderte Tobias und wollte schon aufstehen, doch Ben hielt ihn fest. "Ich meinte was Richtung Bier", präzisierte er seine Frage leise. Tobias hob die Brauen, ignorierte den eigentlich markerschütternden Schrei des Opfers und sah Ben verwirrt an. "Ich dachte, du trinkst Alkohol nur auf Partys?", hakte er unsicher nach. Ben lächelte schwach. "Ich mach doch grad nichts anderes als auf Partys. Ich genieß die Zeit mit dir, also fehlt mir nur noch was zu trinken."

Bens Logik überzeugte Tobias nicht wirklich, trotzdem stand er auf und verließ das Zimmer, um in der Vorratskammer nach Alkohol zu suchen. Er fand tatsächlich noch zwei Kisten Bier. Der einen entnahm er zwei Flaschen, mit denen er in die Küche lief, um den Flaschenöffner zu holen.

Ben nahm ihm seine Flasche dankend ab und nahm erst einmal einen großzügigen Schluck. Tobias ließ sich wieder aufs Bett fallen und lehnte sich wieder gegen Ben. Eigentlich hatte er keine große Lust zu trinken, aber ohne Alkohol neben jemandem zu sitzen, der Alkohol trank, war ein ziemlich blödes Gefühl.
 

Die Zeit verging, der Film wurde gewechselt und neue Flaschen aus der Vorratskammer geholt. Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht legten sie sich nieder. Tobias war nicht einmal angeheitert vom Bier. Es war relativ selten, dass er sich nicht betrank, wenn er Alkohol zu sich nahm.

Ben war genau so nüchtern wie Tobias. Er lag still auf seiner Matratze und betrachtete offenbar die Decke. Tobias sah von ihm nicht viel mehr als Umrisse und kleine Lichtpunkte in seinen Augen. "Ben?", flüsterte Tobias. Er konnte noch nicht wirklich schlafen. "Hm?", kam es müde zurück. "Kennst du 'nen Club namens "Flashlight"?", fragte Tobias. Der Gedanke beschäftigte sein eigensinniges Gehirn plötzlich wieder.

"Ja, wieso fragst du? Und woher kennst du den? Das ist 'n Schwulenclub", erwiderte Ben. Tobias stöhnte enttäuscht auf. "Der wird derzeit als Verbindung zwischen den Opfern des Schwulenblenders angesehen", erklärte er. "Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest solche Schuppen nicht besuchen." "Ach, ich hab die Hälfte meiner Bettbekanntschaften in solchen Schuppen kennen gelernt", lachte Ben. "Zu viel Info!", stieß Tobias hervor.

Ben lachte leise vor sich hin, während Tobias sich bedrückt in sein Kissen kuschelte. Ben kannte das Flashlight also doch. Und er war sogar schon dort gewesen.

"Hey, Koala", sagte Ben leise und Tobias schrak zusammen. Ben hatte sich aufgesetzt und mit den Ellenbogen auf Tobias' Bett abgestützt. "Mir wird schon nichts passieren, Koala", flüsterte er und beugte sich zu Tobias hinunter. "Fest versprochen, ich werd dich immer sehen können." Tobias spürte, wie sein Herz wieder zu spinnen begann. Ein warmes Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus. Was zum Teufel war hier los?

"Ich mach mir trotzdem Sorgen um dich", nuschelte er. Im Dunkeln konnte er nur schemenhaft erkennen, dass Ben ihn anlächelte. "Das ehrt mich, Koala", sagte Ben leise und Tobias spürte seine Hand auf der Schulter. "Und jetzt schläfst du, okay?" Tobias nickte schwach und kuschelte sich wieder ins Kissen. Ben ließ sich zurück auf seine Matratze sinken. Bald darauf war es ruhig im Zimmer.
 

Als Tobias aufwachte, war irgendetwas nicht in Ordnung. Die Sonne schien, doch irgendwie schien es trotzdem dunkel. Tobias kletterte aus dem Bett und starrte entsetzt auf den Boden. Ben war weg, genau wie die Matratzen. Auf dem Boden befand sich lediglich ein riesiger Blutfleck, von dem aus eine Tropfenspur zur Tür führte.

Tobias stürmte aus seinem Zimmer und folgte der Blutspur in die Küche, wo Ben mit dem Rücken zu ihm an der Spüle stand und sich immer mehr Wasser ins Gesicht warf. Doch über seine Finger lief Blut, kein Wasser. Tobias eilte voller Angst auf ihn zu, packte ihn an der Schulter und riss ihn herum. Ben griff blind nach Tobias' Schultern. Seine Augen waren von Nähten verschlossen, Blut floss aus den Wunden. Tobias stieß ihn von sich, schrie auf in einer Mischung aus Ekel und Angst. Ben stürzte sich auf ihn, packte ihn und schüttelte ihn. Tobias schrie noch lauter.

Was ihn aufweckte, war eine gepfefferte Ohrfeige.

"Hey, Koala!", rief Ben panisch aus. "Koala, wach auf!" Tobias schlug die Augen auf, sah Bens Gesicht im Licht der Nachttischlampe. Seine grasgrünen Augen wiesen keine Nähte auf. Tobias warf die Arme um ihn und schluchzte erleichtert auf. "Scheiße, Mann!", stieß er hervor. "Ich hab geträumt, der Schwulenblender hätte dich erwischt..." "Hey, ist doch alles gut", redete Ben beruhigend auf ihn ein und kraulte ihn liebevoll im Nacken. Tobias spürte, dass ihn das beruhigte. Er vergrub schwer atmend das Gesicht in Bens Halsbeuge und umklammerte ihn fester. Ben war noch da und alles war gut.

"Mach mal Platz, Koala", befahl Ben plötzlich mit sanfter Stimme. Tobias rückte Richtung Wand übers Bett. Ben legte sich neben ihn und zog ihn in seine Arme. Tobias erschauerte.

"Dein schwuler Hase ist hier, er kann dich sehen und alles ist in Ordnung", flüsterte Ben. "Ben, du musst nicht...", fing Tobias an, biss sich jedoch sofort auf die Zunge. Es war schön so, wie es jetzt war. "Natürlich muss ich", wehrte Ben seine Worte ohnehin ab. "Wenn du Albträume bekommst, weil du Angst hast, ich könne angegriffen werden, muss ich dir doch klar machen, dass ich in Sicherheit bin." Tobias schwieg und schmiegte seine Stirn an Bens Hals.

"Gute Nacht, Koala", sagte Ben leise und machte das Licht aus. Tobias nickte nur und schloss die Augen. Ihm war angenehm warm in Bens Armen. Diese Rolle des Beschützten passte eigentlich nicht zu seinem Selbstbild, doch jetzt, in diesem Augenblick, war es ein schönes Gefühl, das Tobias bald einschlafen ließ. Den Rest der Nacht verbrachte er ohne Albträume.
 

In Kapitel 12 geht's dann zum Segeln! ^^

Zu Hause mit dem... besten Freund?

Finally I've made it! In dieses Kapitel sind einige persönliche Erlebnisse mit eingeflossen, hoffentlich fällt das nicht i-wie negativ auf.

Ich bin übrigens tierisch neidisch auf Tobias. Das Schiff, in dem er die nächsten Kapitel verbringt, war nämlich mal meines. T__T

Viel Spaß beim Lesen. =)
 

Am Montag Morgen ging ein zwei Jahre alter Traum von Tobias in Erfüllung. Gut, vielleicht war es schon Vormittag, das änderte aber nichts an Tobias Laune.

Im Auto war es entsetzlich stickig, obwohl die Fenster allesamt geöffnet waren. Von draußen zog der Gestank der anderen Autos herein. Mit offenen Fenstern im Stau zu stehen war eben keine gute Idee. Tobias lief der Schweiß den Rücken hinunter, Ben schien es ähnlich zu gehen und Felix fluchte alle paar Sekunden vor sich hin.

Nichtsdestotrotz fühlte Tobias sich glücklich wie schon lang nicht mehr. Er war auf dem Weg in sein persönliches Lieblingsland, auch wenn er dessen Sprache gerade einmal in Fetzen verstand und überhaupt nicht sprechen konnte, er würde zwei Wochen lang segeln können und noch dazu war Ben dabei.

"Und das liebst du?", fragte Ben erschöpft und sah Tobias ungläubig an. Er atmete schwer vor Anstrengung. Die Tatsache, dass er auf der Sonnenseite des Autos saß, tat ihm nicht gerade gut. Tobias nickte begeistert. "Zugegeben, der Weg nach Warns ist scheiße, aber wenn man erst mal da ist, ist man im Himmel." "Wehe, dieser Himmel hat kein Bier für mich kalt gestellt", stöhnte Ben und fächelte sich mit einer Hand Luft zu. "Ich könnte dir kaltes Wasser anbieten", grinste Tobias. "Nämlich das aus den Duschen. Warmes Wasser kostet."

Ben ließ sich in seinem Sitz zurück sinken und stöhnte ungläubig auf. "Hey, Felix, können wir noch umkehren?", fragte er hoffnungsvoll. Felix lachte leise. "Vergiss es", sagte er und schaltete das Radio ein. Das Geplapper niederländischer Radiomoderatoren kam aus den Lautsprechern. "Wir sind schon lang über die Grenze, Ben", fügte Felix hinzu. Ben heulte auf wie ein Schlosshund und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

Tobias lachte und tätschelte Bens Schulter. "Wir kaufen dir 'n Sixpack, wenn wir angekommen sind", versprach er. "Bezahlst du?", fragte Felix überrascht. Tobias verzog die Lippen. "Ich versuche ihn gerade aufzuheitern, Papa", schnaubte er. "Ach so", schnaubte Ben, aber wenigstens lächelte er wieder. "Ich hatte mich gerade auf ein Bier gefreut." "Tut mir echt leid, Hasi", erwiderte Tobias und wusste selbst nicht so recht, wie ernst er das meinte. Ben jedenfalls nahm es nicht ernst, lachte leise und bastelte sich aus Tobias' Segeljacke einen Sonnenschutz, indem er sie über der Fensterscheibe befestigte. Warum über dem Fenster Haken angebracht waren, wusste nicht einmal Felix.

"Siehste wohl, wie nützlich so 'ne Jacke sein kann", grinste Tobias. Ben zeigte ihm galant und mit ironischem Lächeln seinen Mittelfinger und schob sich dann die Stöpsel seines MP3-Players in die Ohren. Er hatte sich darüber lustig gemacht, dass Tobias eine wasserfeste Segeljacke im Gepäck hatte. Immerhin war das Wetter ideal für Sonnenanbeter und Solariumjunkies ohne Geld. Tobias hingegen wusste um die mitunter heftigen Wetterschwankungen auf dem Meer. Wie oft waren er und sein Vater schon bei strahlendem Sonnenschein aufs Meer gefahren und urplötzlich in einen Sturm geraten? Zumindest oft genug, um vorsichtshalber eine gute Jacke dabei zu haben.

"What the fuck?!", rief Ben plötzlich aus und starrte seinen MP3-Player empört an. ""Low battery"?! Ich geb dir gleich "low battery"! Du hast gestern erst 'ne neue Batterie gekriegt!" Tobias fing lauthals an zu lachen. Nicht nur, dass Ben mit seinem MP3-Player redete, er redete mit ihm wie mit einem bockigen Kind! "Verdammt, jetzt hab ich nicht mal Batterien dabei!", jammerte Ben und wollte seinen MP3-Player schon wieder weg stecken.

In einem Anflug von Mitleid nahm Tobias eine Ersatzbatterie aus seinem Rucksack und reichte sie Ben. Ben strahlte ihn dafür an wie ein kleines Kind, dass nach ewigem Gequängel doch noch Zuckerwatte bekam. Tobias schmunzelte, was ihm allerdings verging, als er merkte, was diese Ersatzbatterie mit sich brachte. Ben kapselte sich nämlich mit seinem MP3-Player ab und schickte sich an, den Rest der Fahrt schlafend zu verbringen. Felix konzentrierte sich auf den sich auflösenden Stau. Tobias hatte also niemanden zum Reden und tat es schlussendlich Ben gleich, schob sich die Ohrstöpsel seines MP3-Players in die Ohren und machte es auf seinem Sitz so bequem wie möglich.

So wirklich schlafen konnte er dann doch nicht, dafür war es viel zu heiß. Stattdessen schnappte er sich seinen uralten GameBoy, den er auf Segeltour immer dabei hatte, und spielte Tetris. Abgesehen von Ben war also wirklich alles wie immer.

Äußerlich hatte es zumindest den Anschein. Innerlich hatte sich etwas gravierendes verändert. Seit der Nacht von Freitag auf Samstag hatte Tobias ein Problem. Und dieses Problem schlief seelenruhig auf der anderen Seite des Autos, nur einen Zweipunktgurt von ihm entfernt. Ben war eben nicht annähernd so hitzeempfindlich wie Tobias. Er konnte unter den perversesten Bedingungen schlafen.

Diese Nacht, die Tobias in Bens Armen verbracht hatte, hatte etwas mit ihm angestellt, dass er nicht in Worte fassen konnte. Nein, "konnte" war das falsche Wort. Er wollte es nicht in Worte fassen. Zumindest nicht in klare Worte. Was er sich eingestehen musste, war das eigenartige Kribbeln, dass sich in ihm ausbreitete, wenn Ben sich ihm auf deutlich weniger als fünfzig Zentimeter näherte. Ebenfalls schwer zu leugnen war sein Herzschlag, der sich unter ähnlichen Bedingungen gern in seiner Geschwindigkeit steigerte.

Aber das hatte doch nicht viel zu bedeuten, oder? Tobias wusste es nicht so recht. Er versuchte, an Monami zu denken, sich die Gedanken zu machen, die er sich am letzten Schultag gemacht hatte. Er wusste, dass er sich damals positive Gedanken über sie gemacht hatte. Doch ihm fiel nur noch ein, dass er plötzlich an Ben hatte denken müssen. Was er über Monami gedacht hatte, wusste Tobias nicht mehr. Überhaupt schien sie ganz weit weg zu sein.

In Level 8 angekommen versuchte Tobias immer noch, sich an seine Gedanken zu erinnern. Es wollte und wollte ihm nicht gelingen. Er gab es auf, als ihn das angestrengte Erinnern so sehr vom Spiel ablenkte, dass er es total in den Sand setzte. Seufzend schaltete Tobias seinen GameBoy aus und sah zu Ben hinüber. Ihn zu wecken, hielt Tobias für unentschuldbar.

Ben sah nämlich viel zu gut aus, wenn er schlief. Er sah auch gut aus, wenn er wach war, aber im Schlaf hatte er eine besondere Attraktivität. Tobias beschloss, seinen Gedanken nachzugeben. Sie würden ihn ohnehin nicht in Ruhe lassen und so lang es bei Gedanken blieb, war es doch in Ordnung. Und Ben hatte wirklich ein sehr attraktives Profil, auch wenn Tobias von seinem Platz aus Bens Augen und Stirn nicht sehen konnte. Ben hatte sein Styling etwas versaut und zu viel Pony auf seine linke Seite gekämmt.

Aber es reichte Tobias ohnehin, die elegant anmutende Rundung der Nase, die leicht geöffneten und vom vielen Lippen-Knabbern rissigen Lippen und das noch jugendlich runde Kinn zu sehen. Tobias fiel ein kleiner, eigentlich winziger roter Streifen an Bens Kinn auf und er fragte sich, warum zum Teufel ihm dieser offensichtliche Patzer mit dem Rasierer auffiel. Jeder Mensch schnitt sich mal beim Rasieren. Es war bestimmt auch nicht das erste Mal, dass Ben das passiert war, da war Tobias sich sicher.

Ben regte sich im Schlaf, sein Kopf fiel auf die Seite, so dass Tobias nun einen besseren Blick auf sein Gesicht bekam. Bens leises Murren quittierte Tobias mit einem Lächeln. Eine schlecht fixierte Haarsträhne war aus dem weißblonden Pony gerutscht und hüpfte nun mit Bens Atemzügen auf und ab. Er hatte heute wirklich mit dem Styling geschlurt. Normalerweise saßen seine Haare absolut akkurat und kein Haar tanzte aus der Reihe. Dass es ausnahmsweise mal anders war, fand Tobias irgendwie niedlich.

Kaum hatte er den Gedanken vollendet, spürte Tobias, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ben war nicht niedlich. Ben war männlich. Männer waren nicht niedlich! Tobias strich das Wort "niedlich" und änderte es in "lustig", aber irgendwie war er nicht glücklich damit. Fast ein wenig frustriert brach er den Gedankengang ab und wandte den Blick von Ben ab.
 

Tobias tat der Hintern weh und sein Nacken war verspannt, trotzdem sprang er aus dem Auto wie ein Flummiball, als Felix endlich geparkt hatte. Sofort nahm Tobias den so lang vermissten Geruch des nicht allzu sauberen Hafenwassers wahr und streckte sich genüsslich. Er fühlte sich so gut wie schon lang nicht mehr.

"Da blüht mein Koala ja richtig auf", stellte Ben hinter ihm fest. Er kletterte gähnend aus dem Auto und rieb sich stöhnend den Hintern, als er neben Tobias stand. Tobias lachte. "Wie könnte ich nicht aufblühen?", strahlte er. "Ich fühl mich endlich wieder zu Hause." Ben schmunzelte, sah aber plötzlich wehleidig aus, was Tobias schlagartig ausbremste. "Stimmt was nicht?", fragte er und legte den Kopf in Schieflage. Ben seufzte, dann lachte er. "Ich frag mich grad, ob sich mein Ex morgens so gefühlt hat", grinste er. "Mein Arsch tut weh wie nichts gutes."

Normalerweise hätte Tobias in diesem Augenblick "Zu viel Info" gesagt. Jetzt allerdings lachte er. "Das geht vorbei, versprochen", sagte er.

"Wollt ihr Faulpelze nicht mal beim Auspacken anpacken?", rief Felix ihnen zu. "Nicht wirklich, nein", erwiderte Tobias locker. Ben fing wieder an zu lachen, bevor er Tobias freundschaftlich auf die Schulter klopfte und sich umwandte. "Nun komm schon, Koala. Lass deinen Vater nicht alles allein machen." "Pah!", stieß Tobias theatralisch hervor. "Der bringt's fertig und nimmt seine Sachen aus'm Auto und segelt allein los." "Siehste?", grinste Ben. "Genau das wollen wir ja nicht." "Hmmm... da hast du auch wieder Recht", gab Tobias sich geschlagen.

Während Tobias und Ben das Gepäck in drei der großen Schubkarren luden, die innerhalb des Hafenbereichs zur freien Verfügung standen, machte Felix sich auf den Weg zum Büro des Hafenmeisters. Der kümmerte sich wohl auch um den Verleih der Schiffe.

Etwa eine Viertelstunde später kam Felix zurück, übernahm eine der Schubkarren und führte Ben und Tobias zum Schiff.
 

Tobias spürte, wie sich sein Herzschlag erheblich beschleunigte, als er den Backdecker in der Box sah. Das Schiff sah nahezu genau so aus wie seine geliebte First Try. Es war zwar um einiges sauberer und ganz offensichtlich auch besser in Stand, doch sonst stellte Tobias keine Unterschiede an Deck fest. Als er den Namen, der in blauen Lettern am Schiffsrumpf stand, las, überlegte sein Herz es sich anders. Anstatt schneller zu schlagen, blieb es einfach für ein oder zwei Takte stehen.

"'Second Try'?", las Tobias aufgeregt vor. Felix lächelte. "Es gibt auch noch eine Third Try in diesem Hafen", sagte er. "Es sind drei identische Schiffe. Du sagtest, du wolltest einen Backdecker wie die First Try. Und im Verzeichnis der Firma fand ich einen Backdecker wie die First Try: dieses Schiff hier. Bist du zufrieden?"

Tobias hätte fast gelacht. Was war "zufrieden" für ein Ausdruck? Er war glücklich bis zum Anschlag, was er seinem Vater erst einmal mit einer festen Umarmung klar machte. Felix lachte. Wie ein irrer hüpfte Tobias über den Steg und wusste selbst, dass er auf Unbeteiligte einen ziemlich verstörenden Eindruck machte. Aber er fühlte sich einfach zu gut, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie er beispielsweise auf das dumm guckende Pärchen wirkte, dass gerade vorbei lief und von Felix flüchtig gegrüßt wurde.

Nein, Tobias achtete nicht mehr auf seine Umgebung und sprang jauchzend aufs Trittbrett am Bug des Schiffes, um über die Reling aufs Schiff zu klettern. "Ich werf alles in die Plicht und Paps nimmt Ben das Zeug hier vorne ab", verteilte er Anweisungen und positionierte sich auf der Höhe des Mastes. Von dort konnte er das Gepäck problemlos in die Plicht werfen.

Felix kam ebenfalls aufs Schiff und Ben gab ihm alles aus den Schubkarren an. Es dauerte nicht lang, bis alles auf dem Schiff war.

"Ich würde sagen, ihr beide bringt die Karren weg und ich bring hier schon mal Ordnung rein", schlug Felix vor und zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. Am Bund waren Korken befestigt, was Tobias nicht wunderte. Die Korken sollten den Schlüsselbund vor dem Absinken bewahren, falls er mal ins Wasser fiel. Die Schlüssel der First Try hatten ebenfalls Korken gehabt.

"Okay, gehen wir, Ben!", rief Tobias und sprang vom Schiff. Jetzt erst fiel ihm auf, dass Ben ein wenig unglücklich aussah, was seine eigene Laune rapide absinken ließ. "Stimmt was nicht?", fragte er besorgt. Ben seufzte und betrachtete die Second Try unsicher. "Und die kann wirklich nicht sinken?", hakte er leise nach. Tobias schmunzelte unwillkürlich und legte eine Hand auf Bens Schulter. "Du bist völlig sicher, Hasi. Um so ein Schiff zu versenken müssen schon echte Vollidioten am Werk sein." Ben lächelte verschmitzt. "Ganz sicher, dass mir das keine Sorgen machen soll?"

Tobias verstand und boxte Ben lachend gegen den Oberarm. "Du kannst echt ein Arsch sein", stellte er fest. "Und jetzt komm. Je eher wir wieder hier sind, desto eher besteht die Möglichkeit, dass wir heute noch raus fahren." Er schnappte sich eine Schubkarre, sah, wie Ben die beiden anderen nahm, und marschierte los.
 

Im Endeffekt beschlossen sie doch, bis zum nächsten Morgen im Hafen zu bleiben. Felix schlug vor, Ben erst einmal die Umgebung zu zeigen, was Ben ganz offensichtlich besser gefiel als die Vorstellung, heute schon zu segeln. Sie stiegen also wieder ins Auto und fuhren zum nächsten Ort. Felix musste ohnehin noch Vorräte für die ersten paar Tage kaufen.

Ben fand schnell Gefallen an den Niederlanden. So lang ihn niemand fragte, ob er ein Schiff betreten wollte, mochte er auch den Anblick des Meeres. Und als sie den Supermarkt betraten, strahlte Ben eine unheimliche Neugierde aus. Tobias belächelte ihn dabei, wie er sich die ausliegenden Waren ansah. Felix machte sich auf die Suche nach Brot und Belag, Ben und Tobias sollten nach Getränken und dem Mittagessen für heute gucken.

"Ist das jetzt was zu trinken oder was zu essen?", wollte Ben wissen und nahm eine Packung aus dem Kühlregal der Milchprodukte. Sie sah aus wie eine Milchtüte, hatte aber das Bild von etwas eher puddingartigem vorne drauf. Tobias lachte. "Das ist Vla", erklärte er amüsiert. "Im Prinzip ist das 'n zu flüssig geratener Pudding. Die meisten Sorten schmecken gut, aber von einigen wird mir total schlecht. Schokolade geht aber immer." Ben betrachtete die Vlatüte nachdenklich, dann fragte er: "Können wir so 'ne Packung mitnehmen? Ich würd's gern mal ausprobieren." "Das wird kein Problem sein", meinte Tobias. "Schokolade?" Ben nickte. Tobias hielt ihm den Einkaufskorb hin und Ben legte eine Packung Schoko-Vla hinein.

Für das Mittagessen legten sie Rührei mit Speck fest. Tobias wusste schon jetzt, dass es das öfter geben würde. Es war das Standartmittagessen auf seinen Segeltouren. Manchmal gab es auch Hühnerschnitzel, aber das war dann eher die Ausnahme.

Nach dem Einkaufen wollten sie eigentlich gleich zurück zum Hafen, doch Tobias hatte eine Fischbude erspäht und bettelte Felix um eine Portion Backfisch an. Eigentlich aß Tobias keinen Fisch, aber in den Niederlanden gab es die so genannten Kibbelings. Und Tobias war süchtig danach. Felix wusste das, deshalb gab er wohl auch nach. Die Einkäufe wurden im Auto verstaut und Tobias bekam seine Portion Kibbeling. Als Ben fragte, ob er auch mal probieren dürfe, hätte Tobias ihn fast feindselig angeknurrt.

Dann aber spießte er einen der kleinen panierten und frittierten Fischstückchen auf und hielt ihn Ben vors Gesicht. Ben biss vorsichtig ab und kaute eine Weile. Als er schluckte, sah Tobias schon, dass Felix noch ein wenig Geld würde springen lassen müssen. Also bekam auch Ben eine Portion, von der Tobias sofort den Bissen einforderte, den er Ben gelassen hatte. Ben lachte daraufhin, ließ Tobias seinen Willen aber. Tobias hätte auch nichts anderes zugelassen.

"Ich würd für das Zeug sterben", gestand er kauend und lehnte sich genießend in seinem Plastikstuhl vor der Imbissbude zurück. "Es reicht doch, wenn du vor deinem Vater auf dem Boden kriechst", erwiderte Ben ironisch. Er aß um einiges langsamer als Tobias. Tobias streckte Ben die Zunge heraus. Ben erwiderte die Geste, dann fingen sie beide an zu lachen.

"Ich geh schon mal zum Auto", verkündete Felix. "Ihr kommt dann nach, ja?" "Nein, wir laufen zurück", scherzte Tobias. Felix zuckte die Achseln. "Das ist natürlich auch 'ne Möglichkeit." Tobias hob die Brauen. "Bau keinen Scheiß, Paps", warnte er. Felix grinste hinterhältig und machte sich dann auf den Weg zurück zum Supermarkt, auf dessen Parkplatz das Auto stand.

"Folgen wir ihm", ordnete Tobias an und stand auf. "Gegessen wird dann im Auto. Paps bringt das und lässt uns laufen!" Ben schien das nicht zu glauben, folgte Tobias aber ohne Widerworte.

Felix fuhr ihnen nicht davon, ärgerte sie aber damit, dass er im verschlossenen Auto auf sie wartete und erst nach einigen unschönen Flüchen seitens Tobias die Verriegelung aufhob. Tobias setzte sich missmutig auf die Rückbank. Ben folgte ihm amüsiert. "Sei froh, dass du mein Vater bist", knurrte Tobias und schob sich einen Kibbeling in den Mund. Felix lachte daraufhin lediglich in sich hinein, startete dann den Motor und brachte sie zurück zum Hafen, wo Tobias Ben die sanitären Einrichtungen zeigte, bevor sie zum Schiff zurück gingen.
 

"Morgen fahren wir dann gleich nach dem Frühstück los, denk ich", sagte Tobias beim Mittagessen, das eigentlich ein Abendessen war. Es war schon 17:00 Uhr. Felix schluckte seinen Bissen Rührei und erwiderte: "Das lässt sich machen. Wollt ihr morgen früh beide duschen?" "Ich auf jeden Fall" Auf diesen Satz folgte Gelächter, da er zweistimmig und völlig synchron gekommen war.

"Okay", hüstelte Felix sein Lachen weg. "Macht also 'nen Euro für zwei Personen. Oder braucht einer von euch mehr als fünf Minuten zum Duschen?" Ben zog ein fragendes Gesicht. "Fünf Minuten Warmwasser kosten fünfzig Cent", erklärte Tobias rasch. Ben zuckte die Achseln. "Ich krieg das schon irgendwie hin", gab er sich zuversichtlich. Felix nickte.

"Heute Abend noch 'ne Partie Skat?", wechselte er das Thema. "Wir sind endlich mal zu dritt." "Ich kann kein Skat", murmelte Ben, als wäre es ihm peinlich. Tobias legte lachend einen Arm um seine Schultern. "Kein Problem, wir bringen dir das schon bei. Und sonst spielen wir halt Schwimmen." Ben schenkte ihm ein halbherziges Lachen und Tobias spürte schon wieder das warme Kribbeln in seinem Bauch. Rasch ließ er Ben los und widmete sich wieder seinem Essen. Das Kribbeln verschwand und Tobias entspannte sich wieder. Er war froh, dass in den Achterkabinen ein halbmeterbreiter Fußraum zwischen den beiden Schlafplätzen lag, sonst würde er in der Nacht wohl durchdrehen. Und vorn bei Felix schlafen wollte er nicht.

Nach dem Essen, das sie in der Plicht zu sich genommen hatten, versammelten sie sich unter Deck, wo es auch einen richtigen Tisch gab. Zum Essen hatten sie einfach eine Holzplatte auf den Sitzbänken zu beiden Seiten der Plicht abgelegt.

Ben zeigte sich völlig unmotiviert, was das Lernen von Skat betraf, deshalb spielten sie Schwimmen. Tobias erfreute sich an einer Glückssträhne. Ständig fielen ihm Asse in die Hände und Ben und Felix legten ihm die dazugehörigen zehnzähligen Karten hin. Tobias bekam also ein Knack nach dem anderen und putzte seine Spielkameraden gnadenlos runter. Und das, bis es draußen dunkel wurde und sich allmählich die Müdigkeit ausbreitete.

Als Ben anfing zu gähnen, legte Tobias seine Karten hin. "Ich würd sagen, Ben und ich verschwinden dann mal achtern", sagte er müde. "Achtern?", fragte Ben im Ausläufer eines Gähnens. Tobias schmunzelte. "Achtern ist hinten im Schiff", erklärte er. Ben nickte und erhob sich vorsichtig. Unter Deck war es ziemlich eng.

"Gute Nacht, ihr beiden", verabschiedete Felix sie und schloss die Tür hinter ihnen. Tobias entfernte die schwarze Holzplatte, die den Zugang zur Achterkabine versperrte, und blickte hinab auf das Chaos ihres Gepäcks.

"Scheiße", kommentierte er. "Wir müssen erst aufräumen." "Kann ich mit leben", meinte Ben achselzuckend und kletterte hinunter.

Tobias zögerte, folgte ihm dann aber. Gemeinsam stopften sie Schwimmwesten und Reisetaschen in den Fußraum zwischen den beiden Schlafplätzen. Ben ließ die Frage fallen, was sie mit Schwimmwesten wollten. Tobias grinste daraufhin böse. "Dreißig Grad Krängung, wenn du dich erinnerst", sagte er und hielt seine Hand so wie damals auf dem Schulhof: Nicht viel schräger als waagerecht, auch wenn es eine ziemliche Übertreibung war. Ben wurde schlagartig blass. "Das war kein Witz?", fragte er entsetzt. Tobias schüttelte den Kopf. "Wie gesagt, es geht noch schlimmer, wenn der Wind günstig kommt", sagte er unbekümmert. "Und da fällt man schnell mal aus dem Schiff. Sollte man nicht ohne Schwimmweste machen. Dann kannste dich nämlich aufs Warmpaddeln konzentrieren, weil die Weste dich oben hält und du nicht schwimmen musst."

Ben schnappte sich seinen Schlafsack und breitete ihn in seiner Schlafnische aus. "Mach so weiter und ich verlasse das Schiff und warte die zwei Wochen auf euch", murrte er. Tobias lachte. "Bleib cool, Hasi. Wenn dich das so fertig macht, werden wir das natürlich nach Möglichkeit vermeiden." Ben schwieg und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Danach entledigte er sich seiner Schuhe, der Socken und seiner Jeans. Tobias beobachtete ihn dabei eher unbeabsichtigt, das änderte aber nichts daran, dass Ben es merkte.

"Sag mal, Koala, solltest du nicht eher dich selbst als mich ausziehen?", fragte er schmunzelnd. Tobias hob die Brauen. "Ich zieh dich doch gar nicht aus", wehrte er sich eher halbherzig gegen diese Anschuldigung. "Mit den Augen schon", lachte Ben. "Schwule sehen nackt nicht anders aus als Heteros, also kannst du mir nix und ich dir nix abgucken." Und mit diesen Worten kroch er in seinen Schlafsack und ließ den Kopf in sein kleines Kissen sinken.

Tobias seufzte leise, packte seinen Schlafsack und sein Kissen aus und zog sich bis auf T-Shirt und Boxershorts aus. Dann schob er die schwarze Holzplatte wieder an ihren Platz am Kabineneinstieg und legte sich ebenfalls hin. Ben langte derweil nach dem Schalter der kleinen Lampe an der Rückwand der Kabine.
 

Tobias fand keine wirklich bequeme Schlafposition. Immer wieder warf er sich herum und murrte vor sich hin. Sein Nacken schmerzte noch immer von der Autofahrt, was ihn ziemlich verwirrte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals Nackenschmerzen von der Fahrt in die Niederlande bekommen zu haben.

"Seit wann ist mein Koala eigentlich so 'ne Wühlmaus?", hörte er plötzlich Bens müde Stimme und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Zum Glück war es dunkel. "Mein Nacken ist verspannt", murmelte er verlegen. "Soll ich dich massieren?" "Häh?!"

Das Licht ging an. Tobias starrte Ben ungläubig an. Ben grinste. "War doch 'ne einfache Frage. Soll ich dich massieren oder nicht?" Tobias zögerte. Das Angebot war verlockend angesichts seiner Schlafschwierigkeiten, allerdings waren seine bisherigen Erfahrungen mit Massagen sehr erotischer Natur gewesen. Dann wiederum war es bei Ben eine völlig andere Sache als zum Beispiel mit Monami.

"Wenn's dich nicht stört", murmelte er schließlich. "Dann zieh mal dein Shirt aus und leg dich auf den Bauch", wies Ben ihn an. Tobias zog sich folgsam sein T-Shirt über den Kopf und legte sich hin. Ben schob Tobias' Hüfte ein wenig zur Seite, um sich neben ihn zu setzen. Sein Oberschenkel und sein Knie schmiegten sich wohl eher unbeabsichtigt gegen Tobias' Seite, das änderte allerdings nichts daran, dass Tobias ein heftiges Kribbeln befiel. Er schluckte schwer und legte seinen Kopf auf seinen Armen ab, während er sich befahl, nicht auf das Kribbeln zu achten.

Das stellte sich als schwer heraus, als Ben anfing, seinen Nacken zu massieren. Tobias biss sich auf die Lippen und versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Sein verdammter Hals war viel zu empfindlich. Ben achtete nicht auf sein sachtes Zucken zwischendurch, wenn er es überhaupt bemerkte.

"Wird’s schon besser?", fragte er. Tobias nickte. "So ganz allmählich", murmelte er. Er wollte nicht laut reden, weil er seiner Stimme im Moment keinen Nanometer über den Weg traute. Ben lachte leise. "Angenehm, hm?", vermutete er. Tobias erlaubte sich keine Antwort, die über ein Nicken hinausging. Erneut lachte Ben. Tobias war entsetzt darüber, wie sehr er die intensiven Berührungen von Bens Fingern genoss. So konnte das nicht weiter gehen, er wurde noch ganz verrückt dabei.

"Ben?", stieß er leise hervor. Ben hab ein fragendes Geräusch von sich, ohne die Massage abzubrechen. "Du solltest aufhören", flüsterte Tobias. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren fürchterlich brüchig. Ben schwieg, seine Hände verschwanden von Tobias' Rücken. Tobias blickte verlegen zu Ben hoch und sah ihn lächeln. "Schon wieder entspannt?"

Tobias stemmte sich auf die Ellbogen hoch und rieb sich mit der Hand über den Nacken. "Doch, ja, das fühlt sich gut an", stellte er fest. Ben nickte zufrieden. "Dann kannste ja jetzt aufhören zu wühlen, Koala. Gute Nacht." "Schlaf gut."

Ben schaltete das Licht wieder aus, nachdem er zurück in seinen Schlafsack geschlüpft war. Tobias verspürte nicht die geringste Müdigkeit. Er lag in seiner Schlafnische, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und starrte an die niedrige Decke, obwohl er sie im Dunkeln kaum sah. Morgen würde er sich sicher wie in den vergangenen Jahren auch den Kopf stoßen, wenn er sich aufsetzte und noch nicht richtig realisiert hatte, dass er nicht in seinem eigenen Bett lag, das zwei Meter unter der Zimmerdecke stand. Und danach würde er sich wahrscheinlich wieder über seine eigene Dummheit ärgern, weil ihm das an jedem ersten Morgen auf dem Schiff passierte.

"Ben? Schläfst du schon?", fragte Tobias leise. Er war einfach zu wach, um schon zu schlafen. Von Ben kam ein müdes Grummeln. "Noch nicht wirklich", erwiderte er. Tobias lächelte unwillkürlich. "Wie gefällt es dir bisher hier?", wollte er wissen. Ben schwieg eine Weile, dann sagte er: "Es ist nicht übel, auch wenn ich ohne dieses Schwanken glücklicher wäre." "Schwanken?", wiederholte Tobias verwirrt. "Dieses Boot-" "Schiff!" "Erbsenzähler", schnaubte Ben. "Dieses Schiff schwankt hin und her, merkst du das gar nicht?" "Ach, das meinst du", lachte Tobias. "Ich finde, es ist eher ein sanftes Wiegen." "Naja...", machte Ben nur abschätzend und Tobias hörte ein Rascheln. Wahrscheinlich drehte Ben sich gerade auf die Seite oder so.

"Ich werd irgendwann mal hierher ziehen", sagte Tobias leise. "Wenn ich Niederländisch gelernt habe." Ben lachte leise. "Bei deinem Sprachtalent kann das ja lange dauern", stichelte er. "Mag sein", erwiderte Tobias völlig unbeeindruckt. "Aber trotzdem. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem ich glücklicher sein könnte. Ich liebe dieses Land." "Nur wegen Kibbelings und deines Schiffes?", wollte Ben wissen. "Nein", meinte Tobias kopfschüttelnd. "Es ist einfach... Ich fühl mich hier zu Hause. Dass ich die letzten beiden Jahre nicht hier gewesen bin, hat mich total fertig gemacht."

Ben schwieg für eine Weile, dann spürte Tobias plötzlich seine Hand auf seinem Arm. "Wenn du hierher ziehst, dann schreibst du mir doch regelmäßig, oder, Koala?", bat Ben leise. Tobias wandte ihm den Kopf zu, obgleich es zu dunkel war, um mehr als eine schwache Silhouette zu sehen, und lächelte. "Ich ruf dich an, bombadier dich mit SMSen und hau dir Briefe um die Ohren, bis du dir wünscht, ich würde doch endlich Ruhe geben!", wollte er Ben aufheitern. Der hatte nämlich ziemlich traurig geklungen. Seine Belohnung war ein herzliches Lachen. "Da musst du mir aber mehrere Briefe täglich schicken, um das zu erreichen", sagte Ben voraus. "So schnell wirst du meine Freundschaft nicht los."

Tobias spürte, wie sich ihm das Herz zusammenzog, und fragte sich, warum es das tat. Während Ben ihm lachend erneut eine gute Nacht wünschte und es sich wieder auf seinem Platz bequem machte, wunderte Tobias sich, ob es das Wort "Freundschaft" gewesen war. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Ben in ihn verliebt gewesen war. Ihn jetzt nur noch von Freundschaft reden zu hören, fühlte sich seltsam an.

Tobias seufzte schwer, kuschelte sich in sein Kissen und schloss die Augen, versteckte sich vor seiner wachsenden Angst und seinen seltsamen Gefühlen in der Wiege, die ihm das Schiff bot. Vielleicht wurde es so ganz langsam Zeit, sich einzugestehen, dass Ben doch etwas anderes für ihn war als ein bester Freund.

Sinneswandel

So, Kapitel 13 ist endlich fertig. XD Ich bin mir mit dem Kapitel nicht so ganz sicher. Tobias hat hier phasenweise so was... unmännliches...? » Naya, lest selbst, viel Spaß dabei. ^_^
 

Irgendetwas veranlasste Tobias dazu, sein Handy ganz tief in seiner Reisetasche verschwinden zu lassen, nachdem er zwei Nachrichten von Monami einfach ignoriert hatte. Gut, es war nicht wirklich "irgendetwas". Tobias machte sich im Moment sehr ungern Gedanken über Monami, weil sein seltsames Gehirn derzeit alles, was mit ihr zu tun hatte, verdrehte. Und er wollte die verwirrenden, negativen Sichtweisen ihrer Art nicht haben, schließlich war sie seine Freundin und er liebte sie.

Das Handy wurde also ausgeschaltet und verbannt. Für einen Moment spielte Tobias sogar mit dem Gedanken, es über Bord zu werfen, aber dafür war es ihm dann doch zu teuer gewesen. Außerdem hatte er das dumpfe Gefühl, dass Felix ihn kurzerhand hinterher geworfen hätte und die Vorstellung gefiel ihm überhaupt nicht.
 

An Deck war es windig. Tobias saß in der Plicht in steuerte das Schiff, während ihm der Wind um die Ohren pfiff. Neben ihm saß Ben und rieb sich unablässig über die Arme. Ihm war ganz offensichtlich kalt, was Tobias nicht nachvollziehen konnte. Sicher, es war ziemlich frisch wegen des Windes, aber kalt war etwas anderes. Die Empfindung konnte allerdings auch daran liegen, dass Tobias diesen Wind liebte. Er hatte das Leben auf dem Schiff vermisst wie nichts anderes.

Sie waren jetzt seit vier Tagen in den Niederlanden. Wenn sie von Bord gingen, um Einkäufe zu erledigen, die Gegend zu erkunden oder die sanitären Anlagen aufzusuchen, zeigte Ben sich neugierig, weil er sich gern in fremden Ländern umsah. Er stellte Felix und Tobias viele Fragen und zwang sie hin und wieder, Umwege zu gehen, damit er die Seitengassen betrachten konnte. Auf dem Schiff jedoch war er sehr still und auch ein wenig nervös, was wohl mit seiner Anfälligkeit für Seekrankheit zu tun hatte. Allerdings hatte er bisher noch keine Anzeichen von Übelkeit gezeigt.

Tobias betrachtete Ben mit einem Anflug von Besorgnis, denn dass Ben wirklich eiskalt war, wurde allmählich unübersehbar. "Sag mal, willst du dich nicht dicker anziehen?", fragte Tobias, während Felix sich ihm gegenüber setzte. Er hatte die Segel eingeholt, weil der Wind gedreht hatte und nun für ihre geplante Fahrtrichtung ungünstig wehte. Der Motor lief bereits.

Ben schüttelte den Kopf. "Ich hab nicht mal 'nen Pullover mitgenommen", gestand er. Tobias sah Ben ungläubig an. "Das war ein Witz, hoffe ich?", sagte er mit warnendem Unterton, doch Ben schüttelte erneut den Kopf. "Ich hab echt nur Sommerklamotten mit." Tobias stöhnte auf und bat Felix, die Pinne zu übernehmen.

Zwei Minuten später hatte er Ben seine Segeljacke über die Schultern gelegt. "Zieh sie an", sagte er. "Die hält tierisch warm, kein Witz." Ben schob seine Arme in die Ärmel und sah dann an sich herunter. Die Jacke war außen weiß, innen dunkelblau und der Reißverschluss war mit einem türkisfarbenen Streifen eingefasst. "Voll der Stilbruch", stellte Ben fest. "Wir sind im Urlaub, da darf man das", grinste Tobias. "Hauptsache, du erfrierst mir hier nicht." Ben schenkte ihm ein Lächeln, das irgendwie verlegen wirkte. "Thank you", murmelte er. Tobias spürte, dass ihm die Röte in die Wangen stieg, und winkte rasch ab. "Da nicht für", grinste er dümmlich, dann übernahm er die Pinne wieder.

Die permanente Nähe zu Ben hatte Tobias' Probleme keineswegs abgemildert. Viel eher wurde die Spannung in ihm immer schlimmer. Tobias mochte die seltsamen Gefühle, die er in Bens Nähe empfand, nicht klar benennen. Der Gedanke, dass er sich in Ben verliebt haben könnte, erschien ihm unerträglich, deshalb boykottierte er ihn, wann immer er ihm in den Kopf schlich. Tobias liebte Monami und damit hatte sich die Sache. Zumindest wollte Tobias das so. Er war immer hetero gewesen, daran konnte sich doch jetzt nicht einfach etwas ändern!
 

In den nächsten beiden Tagen verschlimmerte sich Tobias' Gefühlslage nur noch mehr. Er konnte schon gar nicht mehr schlafen, wenn Ben neben ihm lag. Der breite Fußraum zwischen ihnen stellte keine Schutzschicht mehr dar. Bens ruhiger Atem machte Tobias wahnsinnig, genau wie das unverständliche Gemurmel, dass er hin und wieder im Schlaf von sich gab.

Die Nacht von Samstag auf Sonntag wurde allmählich zum Sonntag Morgen, als Tobias sich aus seinem Schlafsack schälte und an Deck krabbelte. Er brauchte eine Pause von diesem ständigen Kribbeln in seinem Bauch und die nächstliegende Lösung dafür war Abstand.

Tobias begab sich also zum Bug des Schiffes und setzte sich dort im Schneidersitz aufs Deck. Der Wind war wie gewohnt kalt und blies nicht allzu sanft, doch er fühlte sich angenehm an. Tobias geriet in einen Dämmerzustand zwischen wach und müde. Zum Einen weckte die Kälte die Geister, zum Anderen war es noch viel zu früh, um wirklich wach zu sein. Darüber hinaus hatte Tobias kaum geschlafen. Es war ein vertrauter Zustand, den er in vollen Zügen genoss.

Am Horizont, der sich Tobias als eine lange Linie aus schwarzblauem Wasser präsentierte, breitete sich allmählich ein silberner Streifen aus, der die Sonne ankündigte. Der Himmel wechselte schon von Rosa zu Hellblau und dunkel war es auch nicht mehr.

"Wenn du mich nicht aufwecken wolltest, bist du grandios gescheitert." Tobias zuckte zusammen und drehte sich um. Der schöne Dämmerzustand war verschwunden. Ben kam unsicher und auf allen Vieren zu ihm gekrochen und lächelte ihn schlaftrunken an. "Konntest nicht mehr schlafen?", vermutete er. Tobias nickte einfach.

Ben hatte eine Wolldecke bei sich, die er jetzt um Tobias' Schultern legte. "Ich wollt mir schon immer mal mit dir 'nen Sonnenaufgang ansehen", gab er amüsiert zu. Tobias lächelte unwillkürlich, während Ben sich direkt neben ihn setzte und sich ebenfalls mit der Decke bedeckte. Wieder spürte Tobias das seltsame Kribbeln in seinem Bauch, doch es hätte einen ziemlich seltsamen Eindruck auf Ben gemacht, hätte er sich ihm jetzt entzogen. So blieb er einfach sitzen und betrachtete den Horizont. Inzwischen sah man bereits die Rundung der Sonne über dem Meeresspiegel auftauchen.

"Früher hab ich immer gedacht, die Sonne würde aus dem Wasser kommen", murmelte Tobias. "Ich wusste schon, dass die Sonne ein Feuerball ist, deshalb hab ich sie mir als riesige Kerze vorgestellt, die Nachts einfach gelöscht wird, indem man sie ins Wasser taucht. Und morgens wird sie wieder angezündet."

Ben lachte leise. "Niedliche Vorstellung", stellte er fest. Tobias lächelte verlegen. Aus einem inneren Puls heraus ließ er seinen Kopf auf Bens Schulter sinken. Ben tat nichts dagegen. Er legte sogar den Arm um Tobias' Schultern und lehnte seinen eigenen Kopf gegen Tobias'. So saßen sie da und betrachteten die aufgehende Sonne.

Tobias genoss den Wind, der mit seinen Haaren spielte. Im Urlaub war er im Gegensatz zu Ben zum Stylen viel zu faul. Ben verlor dafür allmählich die Lust am Rasieren. Das war etwas, das Tobias nicht lassen konnte. Er hasste es, wenn seine Gesichtsbehaarung allzu spürbar wurde. Und sichtbarer Bartwuchs war ein absolutes Sakrileg. Monami hatte ihn mit Schleifpapier verglichen, nachdem sie ihn an ihrem letzten gemeinsamen Morgen geküsst hatte, das hatte brutal an seinem Ego gekratzt. Seitdem war Tobias noch gründlicher mit dem morgendlichen Rasieren.

"Wär's nicht schöner, so jetzt mit Monami zusammen zu sitzen?", fragte Ben leise. Tobias sah das amüsierte Zucken seiner Mundwinkel und verzog das Gesicht. Er hatte keine Lust, sich jetzt über Monami zu unterhalten, deshalb schwieg er einfach. Die Sonne brach den Kontakt zum Horizont ab. Tobias schmiegte seinen Kopf enger an Bens Hals und blickte zu seinem stoppeligen Kinn hoch. Bens Hand streichelte sanft über seine Schulter, aber Ben selbst schien es gar nicht wahrzunehmen.

"Hey, Koala, antworte doch mal", sagte er leise und neigte seinen Kopf, um Tobias ansehen zu können. "Ich bin zufrieden", murmelte Tobias. Sein Blick war auf Bens Lippen geheftet, die sich nun zu einem Lächeln verzogen. Warum sahen die plötzlich so verlockend aus? Tobias biss sich auf die eigenen Lippen und wandte den Blick ab. Das ging doch nicht. Er war hetero und damit hatte sich die Sache. Woher kam dieser Gedanke, Ben küssen zu wollen? In Gedanken schüttelte Tobias den Kopf und ignorierte die Frage seiner inneren Stimme, wie lang er sich noch etwas vorzumachen gedenke.

"Du gibst dich mit mir zufrieden in einer Situation, die man am liebsten mit der Liebsten verbringen würde?", nervte Ben weiter. Er machte es bestimmt nicht mit Absicht, trotzdem machte er Tobias wütend. "Sei doch einfach mal still, Ben!", fauchte der und hob ruckartig den Kopf. "Sonnenaufgänge muss man genießen und das macht man schweigend!"

Eine äußerst peinliche Stille entstand und Tobias brauchte ein paar Sekunden, um zu merken, in was für eine Position er sich da gebracht hatte. Erst, als Bens Atem seine Lippen berührte, kam Tobias wieder zur Besinnung und wollte sich wieder an Bens Schulter zurückziehen, doch Ben war schneller. Rasch hatte er Tobias noch näher an sich herangezogen und ihn geküsst. Es war ein flüchtiger Kuss, der Tobias allerdings eine neue Auszeichnung für die am schönsten gefärbte Tomate einbrachte.

Reflexartig stieß er Ben von sich und rutschte von ihm weg, bis er das Netz der Reling im Rücken spürte. Ben blickte ihn schweigend und völlig ausdruckslos an. "Was...", setzte Tobias an, biss sich auf die Zunge. "Warum...", fing er neu an und merkte, dass er gerade nichts gescheites zustande bringen würde, deshalb schwieg er und starrte Ben einfach nur an.

Über dessen Lippen zuckte ein Lächeln. "Sorry, Koala", sagte er, ohne wirklich reuevoll zu klingen. "Aber du hast dich mir so angeboten, da konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich weiß, dass du mir das jetzt übel nimmst." Tobias schwieg. Nahm er ihm das übel? Es ärgerte ihn schon ein bisschen, dass Ben die Situation einfach ausgenutzt hatte, aber der Kuss an sich hatte ihn kein bisschen gestört. Und genau das verwirrte ihn jetzt zutiefst, obwohl es nach der Entwicklung seiner Gefühlssituation in den letzten Tagen alles andere als verwirrend hätte sein dürfen.

"Ich nehm's dir übel, wenn der nächste genau so kurz wird." Tobias stockte und biss sich wieder auf die Zunge. Er hatte gesprochen, ohne zu denken. Jetzt breitete sich Unglauben auf Bens Gesicht aus. "Hast du das gerade gesagt?", fragte er. "Hab ich?", entgegnete Tobias unsicher. Wieder schwiegen sie, dann fing Ben an zu zittern, bevor er schließlich in Gelächter ausbrach.

Tobias zuckte heftig zusammen, als Ben lachend zu ihm herüber krabbelte. Und plötzlich war er wieder ganz nah. Tobias' Atem stockte. "Ben, was machst du...?", wagte er zu fragen. Auf einmal lag Bens Hand auf seiner Wange und dann waren sie wieder da, Bens Lippen. Tobias unterließ es, sich zu wehren. Dennoch erwiderte er den Kuss nur zaghaft, obgleich es ihm gefiel. Einen Mann zu küssen war schon eine eigenartige Sache und "Schleifpapier" war gar keine so schlechte Beschreibung für ein unrasiertes Gesicht, doch in Tobias' Kopf machte sich noch ein ganz anderer Gedanke breit, den er am liebsten gar nicht denken wollte.

Seine Hände verweigerten ihm fast den Dienst, als er Ben widerwillig von sich schob und betreten den Kopf sinken ließ. "Koala, was...", fing Ben an, doch Tobias unterbrach ihn sofort. "Ben, ich bin mit Monami zusammen", flüsterte er. Ben wich ein wenig von ihm zurück. "Verstehe", sagte er verletzt. "Und du lässt dich trotzdem von mir küssen, findest du das lustig?" Tobias schüttelte den Kopf und fühlte sich mit einem Mal völlig hilflos. "Ben, du verstehst nicht", sagte er, rang verzweifelt nach Worten, um Ben davon abzuhalten, ihn jetzt zu verachten. "Ich... Das gerade... Ben, ich hab Gefühle für dich, aber Monami... Ich kann nicht auf zwei Partys gleichzeitig tanzen."

Erneutes Schweigen. Tobias wagte kaum, Ben anzusehen. Als er sich endlich dazu durchringen konnte, blickte Ben ihn wieder ungläubig an. Es war der Blick eines Menschen, der etwas einfach nicht wahrhaben wollte und fieberhaft darüber nachdachte. "Hast du das gerade gesagt?", fragte er erneut. "Was denn?", murmelte Tobias leise. "Dass du Gefühle für mich hast", flüsterte Ben. Tobias stockte, wiederholte in seinem Kopf noch einmal, was er gesagt hatte, und stellte fest, dass er das tatsächlich gesagt hatte. "Hab ich", nickte er verlegen.

Ben fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und atmete tief durch. Für einen Augenblick knabberte er an seinem Piercing, dann fragte er ernst: "Seit wann?" Tobias überlegte, was er auf die Frage sagen sollte. So genau wusste er das gar nicht. Schließlich entschied er sich für den Augenblick, an dem sein Gefühlschaos angefangen hatte. "Hat sich seit dem Freitag Abend bei mir entwickelt", antwortete er langsam. "Als ich diesen Albtraum hatte. Du weißt schon..." Ben nickte still. Er schien wirklich ernsthaft über etwas nachzudenken. Die Haut um sein Piercing herum sah schon ziemlich mitgenommen aus.

"Warum hast du dich nicht gleich von Monami getrennt, als du gemerkt hast, dass du dich in jemand anderen verliebst?", wollte Ben wissen. Seine Stimme klang so erdrückend ernst, dass Tobias sich kaum traute zu antworten. "Ich hab's ja nicht wirklich gemerkt. Außerdem wollte ich mir auch nichts eingestehen. Du weißt schon, hetero, Mädchenaufreißer und so", seufzte er und kratzte sich im Nacken. Die ersten Menschen liefen an der Second Try vorbei. Felix würde wohl bald aufwachen. Warm wurde es auch schon, jetzt, wo die Sonne am Himmel stand.

"Ich hab nur gemerkt, dass ich mich seltsam fühle, wenn du in der Nähe bist", fuhr Tobias leise fort. "Und als du mich gerade geküsst hast... Naja, es hat sich so... schön angefühlt." Tobias zuckte die Achseln. Ben lächelte müde und setzte sich neben ihn, schlang den Arm wieder um seine Schultern und küsste ihn auf die Schläfe. Tobias versteifte sich sofort, weil er an Monami denken musste. Er konnte sie so nicht behandeln, das war einfach falsch.

"Was ist?", wollte Ben wissen. "Monami", erwiderte Tobias kopfschüttelnd. "Ich kann das nicht, bevor ich das nicht mir ihr geklärt hab. Und am Telefon geht das gar nicht, das macht man nicht." Ben seufzte. "Also noch 'ne ganze Woche warten?", fragte er mit einem Hauch von ironischer Frustration in der Stimme. Tobias lächelte wehmütig. "Immerhin kommt sie schon morgen nach Hause. Das heißt, wenn wir nach Hause kommen, kann ich gleich mit ihr reden." Ben grummelte leise, dann seufzte er schwer. "Na gut, ich hatte mich ja eigentlich schon damit abgefunden, dass das nie was wird, also kann ich auch noch 'n bisschen warten", gab er nach. "Aber das hier darf ich, oder?" Er wackelte ein wenig mit dem Arm, der auf Tobias' Schultern lag. Tobias nickte schmunzelnd. "Klaro."

Ben griff nach der Decke, die vor ihnen auf das Bootsdeck gerutscht war, und legte sie um sie beide. Tobias lehnte den Kopf wieder gegen Bens Schulter, spürte das kratzige Kinn an seiner Stirn und konnte sich einfach nicht daran stören. Bis Felix aufwachte und an Deck kletterte, blieben Tobias und Ben so sitzen. Um sie herum wurde der Hafen immer lebhafter. Menschen kletterten aus ihren Schiffen auf die Stege und begaben sich Richtung Sanitäranlagen, ein paar Kinder spielten neben den Schiffsboxen Ball.

Als Felix schließlich aus seiner Kabine kam, war Tobias fast wieder eingeschlafen. Ben hatte ihm einfach zu oft den Schlaf geraubt. Ben war es auch, der ihn jetzt aus seinem Halbschlaf rüttelte. Felix wünschte ihnen verschlafen einen guten Morgen und wollte dann wissen, ob sie zuerst duschen oder frühstücken wollten.

"Duschen", antwortete Tobias müde. "Muss erst mal wach werden, bevor ich 'nen Löffel halten kann." Felix lachte und kletterte wieder unter Deck, um das Duschgeld zu holen.

"Zwei Duschgulden für jeden", sagte er, als er Tobias und Ben je zwei Fünfzig-Cent-Stücke in die Hand drückte. "Gulden?", wiederholte Ben verwirrt. "Vor dem Euro gab's in den Niederlanden Gulden", erklärte Tobias, der sich in der Position des Wissenden unheimlich wohl fühlte. "Und einmal Duschen kostete einen Gulden." "Achso", grinste Ben. "Duschcent klingt ja auch scheiße." "Guter Schüler", nickte Tobias. Ben lachte.

Nach dem Duschen gab es Frühstück. Ben hatte eine ausgesprochene Liebe für Vla entwickelt und schaufelte den zu flüssig geratenen Pudding fleißig in sich hinein. Felix, der Vla nicht mochte, aß lieber Brote. Tobias hielt sich wie Ben an Vla, war dabei allerdings nicht halb so gierig. Ben hatte bei seiner ganzen Fresserei etwas von einem Kleinkind. Besonders, als er sich total voll kleckerte. Tobias ließ es sich nicht nehmen, Ben auszulachen, was Felix unweigerlich ansteckte. Ben schabte sich mit dem Löffel den Pudding vom T-Shirt und ignorierte Tobias und Felix konsequent, was diese zum Anlass nahmen, ungestört weiter zu lachen.
 

Nach dem Frühstück verließen sie den Hafen wie gewohnt. Ben, der wohl inzwischen das Gefühl hatte, während des Auslaufens permanent im Weg zu sein, hatte sich in die Achterkabinen verzogen.

Erst, als sie auf See waren und Tobias und Felix gemütlich in der Plicht saßen, kam Ben wieder an Deck und setzte sich neben Tobias.

"Bleiben wir wirklich noch 'ne ganze Woche?", fragte er. Tobias fragte sich, ob es bei der Frage um die Aussprache mit Monami oder um die Abneigung gegen Schiffe ging, wagte aber nicht, diese Frage in Felix' Gegenwart auszusprechen. "Keine Lust mehr auf Segeln?", fragte dieser schmunzelnd. Ben schüttelte den Kopf. "Ich gewöhne mich langsam dran. Nur hat Tobias von dieser Sache erzählt... Wie nennt man das? Krängung?" "Ach, ja!", lachte Felix. "Keine Sorge, Tobi spuckt gern große Töne, seit er einmal über Bord gegangen ist. Er hat selbst eine Heidenangst vor schief liegenden Schiffen. Ihr könnt euch also zusammen unter Deck verkriechen, wenn es dazu kommt, was übrigens unwahrscheinlich ist."

Ben sah Tobias zum wiederholten Male an diesem Morgen ungläubig an. Tobias, der sich enttarnt und von seinem Vater hintergangen fühlte, wandte sein scharlachrotes Gesicht von Ben ab und dem Meer zu. Mit seinen großspurigen Witzen über krängende Schiffe wollte er tatsächlich von seiner eigenen Angst ablenken. Dass er mit neun Jahren von der fast schon kenternden First Try gefallen war, war alles andere als eine schöne Erinnerung. Tobias war damals noch kein allzu guter Schwimmer gewesen und hatte sich auch noch geweigert, eine Schwimmweste zu tragen. Und so hatte es ihn über die Reling ins Meer geschleudert und ein zufällig vorbei kommendes Motorboot hatte ihn vor dem Ertrinken gerettet, weil Felix zu lange gebraucht hatte, um die First Try wieder in Tobias' Nähe zu bringen. Wenn man sich darauf befand, glaubte man kaum, wie schnell so ein Schiff war.

Bens Blick wurde unerträglich, genau so wie Felix' Grinsen. "Ich leg mich hin", knurrte Tobias und kletterte unter Deck, ohne auf eine Reaktion zu warten.

Dass Ben jetzt von seiner Angst vor schief liegenden Schiffen wusste, gefiel Tobias nicht. Es war ihm unheimlich peinlich. Besonders, nachdem er sich so sehr an Bens Angst geweidet hatte. Jetzt stand er da wie der letzte Depp.

Murrend ließ Tobias sich auf die rechte Sitzbank fallen und zog sich ein Sitzkissen als Kopfkissen heran. Ein elendes Gefühl machte sich in ihm breit.

Eine gefühlte Ewigkeit lag er so da, hörte Ben und Felix an Deck lachen und war sich sicher, der Grund dafür zu sein. Er verstand nicht, was sie sagten. Als das Gelächter abklang, ging die Tür auf. Bens Kopf lugte herein. "Hey, Koala, gestattest du, dass ich reinkomme?", fragte er. Tobias sah ihn grimmig an, nickte aber. Irgendwie fühlte er sich hier unten ziemlich einsam.

"Was genau ist los, Koala?", wollte Ben wissen und setzte sich zu ihm. Tobias blieb liegen, sah Ben nicht an. "Ist egal", behauptete er. Ben schnaubte amüsiert und kraulte Tobias sanft im Nacken. Tobias reckte sich seiner Hand ganz instinktiv entgegen. "Nanu?", machte Ben belustigt. "Hat mein Koala sich in ein Kätzchen verwandelt?" Tobias murrte leise ob dieser Frage. "Koala bleibt Koala", murmelte er, auch wenn er sich dabei dumm vorkam. Ben kicherte und kraulte einfach weiter. Tobias schloss genüsslich die Augen.

"Also, Koala, was ist so schlimm daran, dass du genau so eine Angst vor krängenden Schiffen hast wie ich?", erriet Ben scheinbar mühelos Tobias' Problem. Tobias errötete, schmiegte den Kopf enger ins Kissen und schwieg. Ben kitzelte ihn hinterm Ohr und lachte, als Tobias quiekend zusammenzuckte. Tobias schämte sich tierisch für die eigenartigen Geräusche, die er von sich geben konnte. Sein Gesicht war bestimmt schon wieder von einem satten Tomatenrot.

"Nun komm schon, Koala, red mit mir", flüsterte Ben, die Lippen ganz nah an Tobias' Ohr. "Es ist doch nicht schlimm. Denkst du etwa, du wüsstest von allen meinen Ängsten?" "Aber du machst mir keine Angst damit", murmelte Tobias peinlich berührt. Ben lachte, während seine Hand Tobias wieder zu kraulen begann. "Mach dir doch nicht so einen Kopf, Koala. Ich hab dich auch lieb, wenn du genau so ängstlich bist wie dein Hase."

Sie wurden von Felix unterbrochen, der nach Tobias rief. Tobias verabschiedete sich also wehleidig von Bens Hand und stand auf, streckte sich gähnend und kletterte dann an Deck.

"Yo?", machte er. Das bisschen Liegen hatte ihn schon wieder müde gemacht. Felix hielt ihm sein Handy hin. "Mama schickt 'ne SMS, aber ich muss auf den Verkehr achten", erklärte er. Tobias nahm unwillkürlich schmunzelnd das Handy und betrachtete das Display. Es war tatsächlich eine SMS von Dana.

"Sie will wissen, wie es uns so geht und ob schon jemand ertrunken ist", fasste Tobias den mit unzähligen Liebesgrüßen und panischen Fragen versehenen Text zusammen. "Schreibst du zurück?", fragte Felix. "Oder nimmst du eben die Pinne?" "Ich nehm die Pinne", entschied Tobias. Felix konnte besser mit der Angst seiner Frau um "ihre Jungs" umgehen.

Tobias setzte sich also, ergriff die Pinne und richtete seinen Blick auf das Wasser vor ihm. Felix schrieb seine SMS und wollte sie abschicken, doch sein Handy weigerte sich offenbar. "Kein Guthaben", stellte er ungläubig fest. "Und ich dachte, ich hätte noch genug..." Nachdenklich betrachtete er das kleine Telefon, dann sah er Tobias an. "Hey, Tobi, hast du noch Geld auf deinem Handy?" Tobias nickte. "Ich hab's seit Tagen nicht mehr angerührt, müsste noch genug drauf sein. Nimm eben die Pinne, ich hol's raus."

Ein ziemlicher Schock erwartete Tobias, als er das Handy einschaltete. Nach und nach trudelten immerhin zehn Kurznachrichten ein, die Monami in den letzten drei Tagen geschickt haben musste. Ältere Nachrichten wurden von seinem Handy gnadenlos gelöscht, aus welchem Grund auch immer.

"Oh, Scheiße", murmelte er und öffnete eine SMS.

"hey, schatz, lebst du noch? schon geld nachgefüllt wegen dir, meld dich doch mal bitte. :( ild, monami"

Tobias schluckte. Das war die älteste SMS, was hatte er also von den nächsten zu erwarten? Unsicher öffnete er die aktuellste SMS. Sie war vor ungefähr zwei Stunden abgeschickt worden.

"du tust mir echt weh, tobias. wenn du dich nicht bald meldest, hat das mit uns keinen sinn mehr. monami

"Kann die SMS an Mama kurz warten, Papa?", fragte Tobias und stellte fest, dass seine Stimme zitterte. "Ich muss dringend telefonieren." Felix nickte.

Tobias wählte Monamis Nummer und hielt sich das Handy ans Ohr. Zum Glück hatte er hier Netz. Es dauerte lange, bis sie abnahm. Tobias wollte schon fast aufgeben, als er das erlösende Knacken in der Leitung hörte.

"Du lebst also doch noch?", wurde er erst einmal angeknurrt. "Was war los?" "Es tut mir leid, Monami", fing Tobias an. Das meinte er sogar ernst. Es war ja nicht so, dass er sie nicht mehr leiden konnte, nur weil er Gefühle für seinen besten Freund entwickelt hatte. Aber was sollte er ihr jetzt erzählen? Die Wahrheit war gerade eine schlechte Idee, zumal Felix vor ihm saß.

"Ich mach mein Handy meistens aus, wenn ich auf See bin", sagte er schließlich. Das war eine glatte Lüge, schließlich musste er für Dana erreichbar sein, genau wie Felix. Tobias konnte froh sein, dass Felix sich nicht dafür interessierte, was er gerade sagte. "Ich mag's nicht, vom Segeln abgelenkt zu werden, verstehst du?", fuhr er fort. Es fühlte sich gelinde gesagt beschissen an, Monami anzulügen, aber es blieb ihm im Moment nichts anderes übrig.

"Und das hättest du mir nicht einfach schreiben können?", fragte Monami verletzt. "Tobias, wenn ich dich störe, dann sag mir das, aber erzähl mir nichts, okay?" Tobias gefiel die Richtung des Gesprächs nicht. Er wollte doch in Ruhe und persönlich mit ihr reden. Von Angesicht zu Angesicht.

"Monami...", sagte er, weil ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können. "Nein, Tobias", erwiderte sie kalt. "Ich mag dich. Ach, drauf geschissen, ich liebe dich, das weißt du. Aber wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, dann will ich nicht mit dir zusammen sein." "Aber...", fing Tobias an, stockte dann aber. Er konnte jetzt nicht beteuern, dass er sie liebte. Und er wollte sich von ihr trennen, aber doch nicht am Telefon.

"Tobias, ich mach dir folgenden Vorschlag", sagte Monami, als er schwieg. "Ich weiß, dass du ernste Sachen lieber persönlich besprichst. Ich weiß auch jetzt schon, was du mir sagen wirst, aber ich tu dir den Gefallen. Ich lass dich in Ruhe, bis du nach Hause kommst. Dann reden wir. Was hältst du davon?" Tobias glaubte kaum, wie einfach sie es ihm machte. "Ja... Ja, das ist gut!", stieß er hervor. "Danke, Monami." "Lass stecken", entgegnete sie. "Versprich mir nur, dass du mich nicht anlügst, wenn wir reden. Das hab ich verdient, meinst du nicht?" "Ja, das hast du", seufzte Tobias. "Bis dann." "Bis dann." Sie legte als erstes auf. Tobias ließ bedrückt das Handy sinken. Eigentlich war er jetzt schon wieder single. Monami hatte ihm lediglich ein klärendes Gespräch angeboten, keine Chance, persönlich mit ihr Schluss zu machen. Eigentlich hatte sie gerade Schluss gemacht. Und das fühlte sich ziemlich miserabel an, auch wenn es nicht unbedingt daran lag, dass ihm das Herz gebrochen worden wäre.

Felix kommentierte nichts, als Tobias ihm sein Handy reichte und die Pinne übernahm. Tobias war dankbar dafür.Er fühlte sich nicht imstande zu reden. Und sich jetzt dumme Kommentare anhören zu müssen, hätte ihm alles andere als gut getan.

Ben, der sich wohl inzwischen einsam fühlte, kam an Deck und setzte sich zu Tobias. "Alles klar?", fragte er leise. Tobias schüttelte nur den Kopf. "Ich erzähl's dir nachher, okay?", flüsterte er. Ben nickte. Als Felix nicht hinsah, küsste er Tobias sanft im Nacken. Tobias erschauerte. Keine Frau hatte ihn jemals dazu gebracht, nur indem sie seinen Hals berührt oder geküsst hatte. Er selbst hatte schon viele sensible Frauenhälse geküsst und liebkost. Vielleicht lag es einfach daran, dass er sich gerade in die Rolle der Frau drängen ließ, was ihn allerdings nicht allzu sehr störte. Besonders, weil Ben ihn wieder kraulte, was er jetzt schon liebte. Felix war damit beschäftigt, Dana zu schreiben, momentan bestand also keine Gefahr, dass er etwas merkte.

Tobias zuckte zusammen, als sich Bens Berührungen veränderten. Er schien auf Tobias' Nacken zu schreiben. Ein "I", ein Herzchen und ein "U", wenn Tobias sich da nicht total verrannte. So klein diese Geste auch war, sie brachte ihn zum lächeln. Ein weiterer Kuss berührte seinen Nacken, dann schickte Felix die SMS ab und Ben zog sich zurück. Tobias hätte fast gemurrt, unterdrückte es aber. Das war bestimmt nicht der letzte Kuss für heute. Der Gedanke gefiel Tobias, obwohl er ihn heute Morgen noch unheimlich gefunden hätte. Die Sache mit Monami war noch nicht geklärt, aber das Ende ihrer Beziehung war ihnen nun beiden klar, was Tobias ungemein erleichterte. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass sie Freunde bleiben konnten. Tobias mochte Monami sehr. Vor allem, weil sie seine Mangaliebe teilte. So einen Menschen wollte er nicht verlieren. Hoffentlich sah sie das ähnlich.

Rückkehr und andere Probleme

Finally I've made it! *sterb* Geht das denn an, dass ich geschlagene zwei Monate mit dem letzten Absatz hadere??? T__T Ich bin mir damit auch noch nicht 100%ig sicher, also wär so'n bisserl Kritik ganz cool. ^^

Ich krieche hiermit vor denjenigen dankbar im Staub herum, welche FFK trotz der widerlichen Wartezeit noch kennen, mögen und lesen. Ich weiß, ich bin langsam. Und ich kann nicht mal versprechen, dass es besser wird. *schäm*

Well, have fun.
 

Ben reagierte mitfühlend und verständnisvoll auf Tobias' Schilderung des Telefonats, ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass er die Entwicklung der Dinge begrüßte. Als Tobias seine Sorge um seine Freundschaft zu Monami äußerte, lächelte Ben mitleidig. "Sie liebt dich, Koala", sagte er. "Du hast sie komplett ignoriert, um ihr dann noch nicht einmal in klaren Worten zu sagen, dass es aus ist. Erwarte lieber nicht zu viel. Zumindest nicht direkt." Tobias murrte leise. "Ich wollte sie nicht verletzen", wollte er sich verteidigen. Ben beugte sich zu ihm hinüber und kraulte ihn sanft im Nacken. Tobias schloss die Augen, genoss die Berührung und seufzte wohlig auf.

Als die Hand wieder verschwand, öffnete Tobias seine Augen wieder und sah Ben enttäuscht an. Ben lachte gedämpft und schüttelte den Kopf. "Meistens verletzt man gerade die Menschen, bei denen man es vermeiden will, am allermeisten, Koala", sagte er. "Häh?", machte Tobias. Über das Kraulen hatte er ihr Gespräch schon fast wieder vergessen. "Ach so", schob er hinterher, als es ihm wieder einfiel. "Ja, da hast du wohl Recht..."

Unsicher kratzte er sich am Hinterkopf. "Mit dir bin ich auch nicht gerade feinfühlig umgegangen, oder?", fragte er mit abgewandtem Blick. Ben griff ihm unters Kinn und zwang ihn zum Blickkontakt. "That doesn't matter at all", schmunzelte er. "It's all in the past, my lovely koala." Tobias ließ sich liebend gern von Ben küssen. Zwar stellte er sich ständig mit einem mulmigen Gefühl im Magen vor, wie sich ihre Piercings ineinander verhakten, doch während des Kusses schaltete sein sonst so trotziges Gehirn sich einfach aus, was ihn von diesen blöden Gedanken befreite. So konnte er den Kuss voll auskosten, neugierig Bens noch nicht ganz vom Zungenpiercing abgeheilte Zunge abtasten und feststellen, dass es einfach schön war, jemanden zu küssen, den er liebte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er irgendeinen anderen Mann als Ben so begeistert geküsst hätte.

Als Ben sich von Tobias löste, blieb sein Gesicht ganz nah. Tobias fühlte Bens warmen Atem noch in seinem Mund. "I love you", flüsterte Ben und Tobias spürte jede Silbe direkt an seinen Lippen. Ein warmer Schauer rieselte seinen Rücken herab. "Ich dich auch", hauchte er, bevor er Ben genau so zärtlich wie leidenschaftlich küsste. Bens Hand wanderte in seinen Nacken und kraulte ihn wieder. In der Verbindung hatten der Kuss und das Kraulen eine durchschlagende Wirkung. Tobias' Herz begann fast augenblicklich zu rasen, seine Arme überzog eine Gänsehaut. Sein Bauch war erfüllt von einem Kribbeln, das ihn völlig in den Wahnsinn zu stürzen schien.

"Marvelous", grinste Ben mit einem faszinierten Glanz in den Augen, als ihre Lippen sich voneinander trennten. Tobias sah ihn irgendwo zwischen Erregung und Verwirrung an. Er kannte diese Vokabel nicht. "Fabelhaft, ausgezeichnet", übersetzte Ben gnädig und hauchte Tobias einen vergleichsweise unschuldigen Kuss auf die Lippen. "Willst du jetzt immer Englisch reden, wenn du mich küsst?", grinste Tobias und meinte es eher als Scherz, doch Ben schien die Idee ziemlich interessant zu finden. "So lang dich das nicht abturned", meinte er langsam, doch ohne sein Grinsen abzulegen. Tobias verzog das Gesicht. "Dann aber bitte einfaches Mittelstufenenglisch", bat er murrend. "Sonst versteh ich ja keins von deinen Komplimenten." "Ich übersetze liebend gern", lächelte Ben, küsste ihn auf die Stirn und kroch dann in seinen Schlafsack. Tobias tat es ihm gleich.

"Du hast dich noch kein einziges Mal über die Reling gehängt", stellte er fest, als sie im Dunkeln lagen. "Ja, ich bin auch begeistert von mir", erwiderte Ben belustigt. "Ich dachte eigentlich, ich würde hier täglich mein Frühstück wieder los. Naja, das Gemecker meiner Waage schert mich eh nicht." Tobias lachte. Als wäre Ben auch nur im Geringsten gefährdet, übergewichtig zu werden. Er war begeisterter Fußballer und gern in Bewegung. An seiner Figur konnte auch seine Vorliebe für ungesundes Essen nichts ändern. Tobias versuchte, sich einen dicken Ben vorzustellen, es gelang ihm nicht und er musste wieder lachen.

"Gute Nacht, Koala", sagte Ben leise. "Gute Nacht, Hase", erwiderte Tobias müde. Ben kicherte leise, verstummte aber schnell wieder. Sein Schlafsack raschelte und kurz darauf spürte Tobias Bens Hand an seiner. Er lächelte unwillkürlich und ließ Ben gewähren. Es sprach ja nichts dagegen, händchenhaltend einzuschlafen. Tobias ließ es sich allerdings nicht nehmen, Bens Hand zu sich heran zu ziehen und den Handrücken mit den Lippen zu berühren. Ben entkam ein amüsierter Laut. Schweigend ließ Tobias seine und Bens Hand in den Fußraum zwischen den Schlafnischen sinken und schloss die Augen. So verbunden schliefen sie beide bald ein.
 

Die restliche Segelzeit verging wie im Flug, sehr zu Tobias Leidwesen. Er hätte ewig in den Niederlanden bleiben können. Als das Gepäck ins Auto gestopft worden war, fühlte er sich wie ein Kind, das ohne Vorwarnung eines Morgens aus seinem Zuhause verschleppt wurde. Er war weder ein Kind noch war der Abfahrtstag unangekündigt gewesen, doch die Hilflosigkeit eines solchen Kindes war ihm nun ziemlich vertraut. Er wollte hier bleiben.

"Nun komm schon, Koala. Es ist bestimmt nicht dein letztes Mal hier", versuchte Ben ihn aufzuheitern. Sie standen an der Box der Second Try und Tobias sah betrübt auf dieses Schiff, das seiner geliebten First Try so verdammt ähnlich war. "Aber wahrscheinlich das letzte Mal mit einer Try", murmelte er und lehnte sich gegen Ben. Vor ihm lag das Schiff und Tobias fiel dieser kitschig-dramatische Ausdruck "so nah und doch so fern" ein. Wehmütig wandte er sich vom Schiff ab und legte die Arme um Ben, welcher die Umarmung sanft erwiderte.

"Du riechst nach Rauch", stellte Tobias fest, um sich selbst abzulenken. "Ja, das werd ich auch nicht so schnell los", murmelte Ben. "Aber ich hab seit Beginn der Ferien keine mehr gequalmt." "Du hast aufgehört? Warum das denn?", wollte Tobias wissen. Jetzt, wo Ben es sagte, fiel es ihm auch auf. Er hatte Ben schon seit langem nicht mehr rauchen sehen.

"Erstmal, weil's dir nicht gefällt", erwiderte Ben. Er kraulte Tobias schon wieder. Das schien ihm richtig Spaß zu machen. Tobias ließ es sich gefallen. "Dann ist es arschenteuer", fuhr Ben fort. "Abgesehen davon hat mir Jonas verbal in den Arsch getreten, als er erfahren hat, dass ich seinetwegen angefangen hab." Tobias störte sich nur am Rande über die Erwähnung des Exfreundes. "Gehen wir zum Auto", schlug er leise vor.

Der Abschied von der Second Try war ein Abschied, dessen Gewicht wohl kein Außenstehender so recht würde nachvollziehen können. Tobias hatte sich in den vergangenen zwei Wochen so geborgen gefühlt, wie er sich in Deutschland nie geborgen fühlen würde. Die Niederlande waren einfach seine Welt, besonders wegen der vielen Kanäle, Seen, Inseln und natürlich wegen der Schiffe. Mit nicht ganz sechs Jahren hatte er sein Herz an dieses Land verloren und er sah keine Chance, es jemals zurück zu bekommen. Entsprechend schwermütig stimmte ihn die Tatsache, dass er jetzt nach Deutschland zurück fahren würde.

Bevor sie den Steg verließen, zog Ben Tobias noch einmal fest in seine Arme und küsste ihn zärtlich. Der Kuss hatte etwas tröstliches, auch wenn er nichts für Tobias' Laune tun konnte. "Gehen wir", sagte Ben, nahm Tobias bei der Hand und zog ihn mit sich, ohne zuzulassen, dass Tobias noch einen Blick auf das Schiff warf. Vom Schiff zum Auto brauchten sie gut fünf Minuten, weil sie ganz um das Hafenbecken herum laufen mussten. In der ganzen Zeit ließ Ben Tobias' Hand nicht los. Erst, als er Felix erblickte, der neben dem Auto wartete, verschwanden seine Hände in seinen Hosentaschen und Tobias tat es ihm verlegen gleich.

"Können wir dann?", rief Felix ihnen zu und öffnete die Fahrertür. Tobias und Ben setzten sich auf die Rückbank und kurz darau fuhren sie auch schon los. Tobias sah bedrückt aus dem Fenster, sah die Schiffe vorbeiziehen, bis sie sich von den Wasserwegen entfernt hatten und in die Stadt gelangten. Natürlich gab es auch hier Wasser und Schiffe, allerdings war das normale Straßennetz sehr viel ausgeprägter und es sah mehr nach Großstadt aus. Es war kein Hafen mehr in der Nähe. Tobias schmiegte sich also in seinen Sitz und sah zu Ben hinüber, der bereits eingeschlafen war. Es war wie immer. Je weiter Tobias sich von Warns entfernte, desto verlorener fühlte er sich. Irgendwann würde er sich ein Schiff kaufen und in die Niederlande ziehen, am besten in die Nähe von Warns. Wie er das finanziell regeln wollte, wusste er noch nicht, doch ihm würde etwas einfallen, da war er sich ganz sicher.

Der Gedanke tröstete Tobias ein wenig, so dass er es sich auf seinem Platz einigermaßen bequem machen und nach einer Weile sogar einschlafen konnte, was ihm auf der Hinfahrt ja nicht gelungen war. Im Traum lag er mit Ben an Deck der Second Try, genoss die Sonne und war glücklich, denn das Schiff gehörte ihm. Es war ein schöner Traum, der erst endete, als Tobias in Bremen wieder aufwachte und ihn das entsetzliche Gefühl, niemals weg gewesen zu sein, empfing.
 

Gleich am Tag nach ihrer Ankunft rief Tobias Monami an und fragte, ob sie Zeit hatte. Sie sagte zu und sie trafen einander auf neutralem Boden in einem Eiscafé.

Monami verhielt sich sehr distanziert, was Tobias ihr nicht verübeln konnte. Mit geradem Rücken und ernstem Blick saß sie da und führte sich hin und wieder einen Löffel Schokoladeneis an den Mund.

"Also, Tobias, wir wissen beide, dass wir kein Paar mehr sind, oder?", fing sie schließlich an. Tobias konnte nur nicken. Es war aus. Eigentlich war das einfach und kurz, allerdings wollte Monami höchstwahrscheinlich mehr wissen.

"Gibt es einen Grund dafür?", bestätigte sie Tobias' Vermutung. "Haben deine Gefühle sich einfach verflüchtigt oder gibt es eine andere?" "Was heißt "verflüchtigt"?", stahl sich Tobias in die unverfänglichere Antwort. "Es war irgendwie keine Liebe mehr. Das heißt nicht, dass ich dich als Freundin, also rein freundschaftlich, aufgeben möchte." Monami schenkte ihm ein halbherziges Lächeln. "Schön, dass du mich nicht einfach aus deinem Leben schmeißen willst", sagte sie, ohne dass ihrem Tonfall zu entnehmen war, wie ernst sie das meinte. "Allerdings hab ich danach nicht gefragt. Gibt es eine andere?"

Tobias schwieg erst einmal und versteckte sich hinter seinem Eisbecher. Das Nusseis war wirklich lecker, doch Monamis ungeduldig werdender Blick brachte Tobias wieder zum Gespräch zurück. "Keine andere", antwortete und beschloss, Monamis Forderung zu entsprechen und ehrlich zu sein. "Ein anderer", fügte er also mit gesenkter Stimme hinzu und suchte in ihrem Blick eine Reaktion, doch da war nichts.

"Du bist also schwul?", vermutete Monami in diskreter Lautstärke und völlig tonlos. "Gute Frage", meinte Tobias achselzuckend. "Wenn man bedenkt, wie ich bisher war." "Oh, Mann, da vergeht mir glatt die Lust auf Yaoi", seufzte Monami kopfschüttelnd und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie war offenbar beim Friseur gewesen, ihr Haar war kürzer als Tobias es in Erinnerung hatte.

"Ist es Ben?", wollte Monami wissen. Tobias zögerte, dann nickte er einfach und nahm noch einen Löffel Nusseis. Monami seufte wieder. "Ich dachte mir schon, dass ich keine Chance gegen ihn haben würde, wärst du bisexuell", meinte sie, womit sie Tobias ziemlich überraschte. Er hatte nicht erwartet, dass Monami sich derartige Gedanken gemacht hätte. "Und jetzt ist es passiert, ich hab gegen ihn verloren." Monami schob sich ihren Löffel in den Mund und nuckelte daran herum.

"Monami...", fing Tobias nach langem Schweigen an und suchte ihren Blick. Sie gab einen fragenden Laut von sich. "Können wir Freunde bleiben?", bat Tobias zaghaft. Monami stockte, dann lächelte sie schwach und antwortete: "Ich werd dich jetzt erst einmal kräftig verfluchen, dir die Pest an den Hals wünschen, mich bei meinen Freundinnen über dich beklagen, mich ausgiebig ausheulen und dich als Arschloch bezeichnen, aber danach kann ich dich vielleicht sogar zu deiner Beziehung mit Ben beglückwünschen." Tobias lächelte unwillkürlich ob dieser schamlos ehrlich klingenden Antwort, als Monami plötzlich seine Hand ergriff. "Natürlich bleiben wir Freunde, du falscher Freak!", lachte sie und ihre Augen funkelten ihn an. "Wie soll ich denn ohne dich in dieser mangafeindlichen Stadt überleben, verrat mir das mal!"

Tobias glotzte Monami erst einmal ungläubig an, verwirrt über ihr über alle Maßen amüsiertes Grinsen. "Wie jetzt?", fragte er schließlich und Monami brach in haltloses Kichern aus. "Du bist ja echt schwer von Begriff", giggelte sie. "Wir bleiben Freunde, Tobias. Ich brauch nur 'n bisschen Zeit, um mich damit abzufinden. Vielleicht kann ich zeitlich ja nicht mit Ben mithalten, aber wenn er jetzt dein fester Freund ist, kann ich dein bester Freund sein?" Der letzte Satz kam ziemlich verlegen über ihre zu einem schüchternen Lächeln verzogenen Lippen.

Tobias saß sekundenlang nur da und starrte sie an. Er hätte sich in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft, dass Monami das Ganze so gelassen hinnehmen würde. Das überraschte ihn so sehr, dass er völlig vergaß sich zu freuen. Monami stupste seinen Arm mit dem Zeigefinger an und schenkte ihm einen unsicheren Blick. "Tobias?" Er schüttelte leicht den Kopf, um sich selbst aufzuwecken. "Na klar", strahlte er sie dann an. "Nichts lieber als das! Ich hatte Angst, du würdest mich ab sofort nicht mal mehr mit dem Arsch angucken." Monami schmunzelte und wandte sich wieder ihrem Eis zu. "Das könnte ich doch gar nicht, Tobias", seufzte sie. "Ich hab doch in meiner näheren Umgebung nur dich."

Gerade hatte Tobias sich wieder seinem herrlichen Nusseis gewidmet, jetzt starrte er Monami schon wieder an. "Erzähl mir nicht, du hast in der ganzen Zeit nach deinem Umzug keine Freunde gefunden", bat er mit großen Augen. Monami schüttelte resigniert den Kopf. "Ich hab so 'nen flüchtigen Kontakt zu ein paar Mädchen aus meinen Profilkursen, aber die haben schlicht und ergreifend nichts mit mir gemeinsam. Und der Rest lässt mich spüren, dass ich in ihren Augen wie 'ne billige Schlampe aussehe." "Geht's noch?!", stieß Tobias hervor. Ihm war Monami nie billig vorgekommen, trotz der knappen Klamotten. "Was hast du für Flachwichser an der Schule?! Die sind doch bloß neidisch, weil du mit deiner Bombenfigur in solchen Sachen nicht wie 'ne kümmerliche Presswurst aussiehst, sondern wie die Sexgöttin vom Strand!"

Tobias war aufgesprungen, ohne es zu merken. Auch, dass er die Stimme erhoben hatte, hatte sich seiner Aufmerksamkeit ganz dezent entzogen. Jetzt glotzten ihn alle übrigen Gäste des Eiscafés an und Tobias hatte wieder einmal den Preis für die schönste Tomate weit und breit eingesackt. Monami kicherte leise, auch wenn sie ziemlich verlegen wirkte, was wohl auch an dem lag, was Tobias gesagt hatte.
 

"Hihi... Dass du selbst jetzt so eine Meinung von mir hast", kicherte Monami. Tobias hatte angeboten, sie nach Hause zu bringen, nachdem sie schnellstmöglich aufgegessen, bezahlt und das Eiscafé verlassen hatten. Seine Wangen fühlten sich immer noch entsetzlich heiß an.

"Nur, weil ich mich neu verliebt habe, finde ich dich doch noch lange nicht unattraktiv", murmelte er langsam und schob sich die Hände in die Hosentaschen. Monami lächelte. "Ich frag mich, ob das jetzt positiv oder negativ für mich ist", sagte sie amüsiert, obgleich sich eine unterschwellige Melancholie in ihre Stimme mischte. Tobias antwortete nur mit einem schwachen Lächeln und schwieg. Er tat sich ziemlich schwer mit der Frage, wie frei er reden konnte. Monami jetzt noch als schön oder sexy zu bezeichnen hatte etwas höhnisches, obwohl er einfach nur ehrlich sein wollte. Er wollte sie auf keinen Fall kränken oder verletzen, allerdings fürchtete er, genau das zu tun, indem er sich so verhielt wie Minuten zuvor im Eiscafé.

Vor Monamis Wohnblock angekommen breitete sich eine peinliche Stille um sie herum aus. Monami spielte nervös mit ihren Schlüsseln und blickte auf ihre Schnallenstiefel, während Tobias an seinen Piercings knabberte und wartete. Er wusste nicht, worauf er wartete. Vielleicht irgendeine Ansage ihrerseits.

"Also, Tobias", fing Monami tatsächlich an und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, "danke für's Bringen. Ich meld mich dann bei dir, wenn ich die ganze Situation einigermaßen geschluckt hab." Sie sah ihn immer noch nicht an, was Tobias einfach hinnahm.

"Dann... bis dann", erwiderte er, bevor er sich umdrehte und gehen wollte. Wie gesagt wollte er gehen, denn Monami packte ihn kurzerhand am Arm, zog ihn herum und umarmte ihn fest. Sie zitterte und kurz darauf hörte Tobias sie unterdrückt schluchzen. Es entzog sich seiner Logik, dass man sich beim Grund für seine Gefühlssituation ausheulte, doch er sagte nichts dagegen. Stattdessen legte er nun seinerseits die Arme um Monami und streichelte ihr flüchtig über den Rücken.

"Tobias?", schluchzte Monami am Kragen seines T-Shirts. Tobias sah fragend auf sie hinunter. "Wenn... Wenn das mit Ben... nur 'ne vorübergehende Phase ist, dann komm hinterher nicht wieder bei mir an, okay?" Bei jeder anderen hätte Tobias jetzt laut losgelacht, weil es einfach absurd war, doch er spürte, dass Monami diese Bitte absolut ernst war. Und sie war ihm immer noch sehr wichtig. So versprach er es ihr lediglich mit einem ehrlichen Lächeln und einem Nicken und machte sich dann mit sanfter Gewalt von ihr los.

Monamis Gesicht war völlig verheult. Tobias schmunzelte mitfühlend ob des Anblicks und kramte eine Packung Papiertaschentücher aus seiner Umhängetasche. Monami nahm sie dankend an und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. "Alles raus, was keine Miete zahlt!", konnte Tobias sich einfach nicht verkneifen zu sagen und sie lachte fast verzweifelt auf und boxte ihm sanft in die Seite. Tobias keuchte wehleidig auf. Seine Seite war eine der empfindlichsten Stellen seines Körpers. Ein Tritt zwischen seine Beine schmerzte erfahrungsgemäß nur geringfügig mehr als ein richtiger Schlag in seine Seite. Und jetzt hatte Monami ihn erwischt.

"Das tut tierisch weh", jammerte er, als sie zu kichern anfing. Gut, Tobias übertrieb ein wenig, aber ganz schmerzfrei war er auch nicht davon gekommen. "Ich dachte, du wärst da nur kitzelig", prustete Monami in ihr Taschentuch. "Das auch", maulte Tobias. Der Schmerz ließ langsam nach.

Als er noch jünger gewesen war, hatte Ben seine kitzligen Seiten ständig ausgenutzt, um ihn zu erpressen. Meistens war es um das letzte Stück aus einer Packung Süßigkeiten gegangen. Tobias hatte nach der Tüte gegriffen, Ben hatte ihn gekitzelt und angeboten, wieder aufzuhören, falls Tobias auf den letzten Gummibären oder das letzte Stück Schokolade verzichtete. Tobias hatte immer nachgegeben. Inzwischen glaubte er sogar, dass Ben immer gewartet hatte, bis Tobias nach dem letzten Bonbon griff, um ihn kitzeln zu können.

"Ich denke, du solltest langsam gehen", nuschelte Monami in ihr Taschentuch hinein. Tobias nickte. "Darf ich dich noch um etwas bitten?", fragte Monami. Mit verwirrtem Blick sah Tobias sie an. "Versteck dich nicht", bat Monami, was Tobias zunächst noch mehr verwirrte. "Was meinst du?", fragte er. "Steh dazu, dass du mit Ben zusammen bist", erklärte Monami seufzend. "Es gibt nur eines, das sich schlimmer anfühlt, als seinen Freund zu leugnen. Nämlich, von seinem Freund verleugnet zu werden. Tu euch beiden das nicht an." Tobias grinste unwillkürlich. "Ach, Monami..." Er legte eine Hand auf ihre Schulter. "Wir führen hier gerade voll die Soapdialoge, weißt du das eigentlich? Ich werd Ben nicht verleugnen. Wie offen wir damit umgehen, werden wir noch sehen, aber wir kommen klar. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber und ordne dich erst mal, was hältst du davon?"

Monami lächelte zaghaft, dann umarmte sie Tobias noch einmal. "Ich meld mich bei dir", verabschiedete sie sich, ohne direkt auf seine Worte einzugehen, und schloss dann die Haustür auf. "Bis später." Tobias nickte nur, dann wandte er sich um und ging nach Hause, ohne noch einmal von Monami aufgehalten zu werden.
 

"Sie wird schon wieder runter kommen." Ben klang überzeugt. Seine Finger spielten gelangweilt mit seinem Feuerzeug, klappten es auf und wieder zu, entzündeten es und ließen die Flamme wieder erlöschen. Tobias sah ihn betrübt an. Die Sache mit Monami nagte schwer an ihm, was Ben verständlicherweise wenig berührte. Wer hörte schon gern Geschichten über die Exfreunde des Partners? Tobias hielt auch nicht viel davon, dass Ben hin und wieder über seine Zeit mit Jonas sprach. Allerdings hatte Tobias auch niemanden, dem er sonst von seinen Problemen hätte erzählen können. Ben war nun mal auch sein engster Vertrauter und nicht nur der Mensch, mit dem er zusammen war.

"Ich hab trotzdem 'n schlechtes Gewissen", seufzte Tobias und ließ den Kopf hängen. Ben hatte ihn gefragt, ob er mal wieder Lust auf Fußball hätte, deshalb saßen sie jetzt am Rande des Bolzplatzes im Park, der von ihren jeweiligen Wohnungen etwa gleich weit entfernt war. Außer ihnen war kaum jemand im Park. Nicht einmal die drei Jungen, mit denen Ben laut eigener Aussage häufig hier spielte. Tobias hatte sie nie kennen gelernt.

Ben stopfte sein Feuerzeug in seine Hosentasche und griff unter Tobias' Kinn, zog es sanft hoch, so dass Tobias ihn ansehen musste. Ben lächelte. "Nun zerbrich dir nicht den Kopf, Koala", befahl er mit liebevollem Unterton. Tobias' Mundwinkel zuckten kurzweilig nach oben. Hatte er Monami nicht vor zwei Tagen exakt den selben Rat gegeben? Er seufzte leise. "Ich versuch es ja", murmelte er. "Aber mach du mal mit jemandem Schluss, der dir sehr wichtig ist." Ben seufzte mit einem resignierten Lächeln, griff Tobias vorsichtig an die Seiten und zog ihn zu sich. Tobias ließ sich ziehen. Niemand konnte sie in diesem Augenblick sehen, also war es in Ordnung, dass Ben ihn zärtlich küsste.

"Ist das okay hier draußen?", fragte Ben fast ein wenig verlegen. "Tut mir Leid, ich hab gar nicht daran gedacht, dass du vielleicht nicht so offen..." "Schon gut", unterbrach Tobias ihn schmunzelnd. "Ich möcht's nicht an die große Glocke hängen, aber ich find auch nicht, dass wir uns übertrieben verstecken müssen." Ben verzog das Gesicht zu einem glücklichen Lächeln und küsste Tobias wieder, zog ihn eng an sich und kraulte ihn sanft im Nacken.

Nun schob Tobias Ben mit voller Absicht von sich. Keuchend lehnte er die Stirn gegen Bens Schulter. "Das solltest du allerdings draußen lassen", murmelte er. "Wie?" Tobias lachte schwächlich. "Küssen und Kraulen gleichzeitig", erklärte er amüsiert. "Das haut mir komplett die Birne weg." "Hmmm...", machte Ben nachdenklich. "Das merk ich mir für zu Hause. Lust auf noch 'n bisschen Bolzen?" Tobias zuckte die Achseln. "Meinetwegen", nickte er und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu beruhigen. Lag es einfach an Ben oder aus welchem Grund war er plötzlich so entsetzlich sensibel?

"Koala, kommst du?!", rief Ben ihm lachend zu. Tobias grinste schwach. Jetzt würde er sich von Ben wieder an die Wand spielen lassen. Aber das war er ja schon seit ein paar Jahren gewohnt, daher war es in Ordnung. Tobias erhob sich also und begab sich zu Ben aufs Spielfeld.
 

"Ich bring dich noch nach Hause", meinte Ben, als es schon dunkel wurde. Tobias schüttelte den Kopf. "Lass mal lieber. Was meine Eltern angeht... Die müssen das nicht wirklich wissen." Ben zuckte die Achseln. "Kann ich mit leben, meine Eltern sind ja auch nicht eingeweiht. Aber sie müssen ja nichts merken, wenn ich dich nach Hause bringe. Ich wollte dich nicht im Eingang zu Boden knutschen." Tobias lächelte matt. "Danke, Ben, aber ich möchte allein gehen. Nächstes Mal gehen wir zusammen, ja?" Ben seufzte leise.

"Na gut", gab er sich geschlagen. "Aber nächstes Mal wirklich, Koala. Wehe, du sagst dann auch nein." Ein Lachen entwich Tobias. "Versprochen." Er brauchte ein wenig Ruhe, weil er noch ein bisschen über die Sache mit Monami nachdenken wollte. Und Ben konnte er dabei nicht gebrauchen.

"Dann krieg ich aber noch 'nen richtigen Abschiedskuss, Koala", forderte Ben brummig. Der Forderung kam Tobias gern nach, legte die Arme um Ben und küsste ihn. Er fand es angenehm, jemanden zu küssen, der ungefähr so groß war wie er selbst. Da musste er sich nicht erst den Hals verrenken, bevor er die Lippen seines Partners gefunden hatte. Ben legte die Hände auf Tobias' Rücken, zog ihn sanft an sich. Tobias störte sich nicht daran, als Bens Hände an seinem Rücken hinab wanderten und schließlich auf seinem Hintern liegen blieben.

"Willst du wirklich allein gehen, Koala?", murmelte Ben an Tobias' Lippen. Trotz der offensichtlichen Besorgnis in seiner Stimme schüttelte Tobias entschlossen den Kopf. "Du klingst, als hättest du Angst, jemand könnte mich überfallen", schmunzelte er und löste sich noch nicht aus Bens Griff. Es war schön, so nah bei ihm zu stehen.

"Ich hab 'ne Scheißangst um dich", gab Ben betreten zu. "Dieser Irre ist immer noch nicht gefasst, das weißt du." "Ben, dein Koala wird dich immer sehen können", erinnerte sich Tobias an Bens beruhigende Worte damals in seinem Zimmer. Er hauchte Ben einen Kuss auf die Lippen. "Mach dir keine Sorgen um mich."

Ben wollte wohl lächeln, allerdings sah er eher gequält aus. "I'll try", sagte er und zog Tobias fest in seine Arme. "But promise to be careful." "Versprochen", seufzte Tobias lächelnd. "Aber jetzt muss ich ganz langsam los, sonst komm ich erst im Dunklen nach Hause." Es war ja nicht so, als hätte er plötzlich ein Stirnband mit der Aufschrift "Schwul" getragen. Davon abgesehen hatte er sich noch nie in einem Schwulenclub aufgehalten. Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf ihn war also verschwindend gering.

"See you tomorrow?", fragte Ben mit einem Blick, der Tobias an einen Hundewelpen erinnerte, was ihn wiederum schmunzeln ließ. "Ich ruf dich an", versprach er, küsste Ben ein letztes Mal und schob ihn dann von sich.

Nach zwei Straßen trennten sich ihre Wege und Ben verschwand rasch in der wachsenden Dunkelheit. Tobias sah ihm nur für einen Augenblick nach. Seit sie zusammen waren, fühlten sich die Abschiede anders an. Es war ein Gefühl, als würde ein Teil seiner selbst von Tobias abgespalten. Kaum eine Sekunde lang bereute er es, Ben weg geschickt zu haben. Dann machte er sich auf den Heimweg.
 

Der Weg erwies sich als sehr stille Angelegenheit. Es war schon fast dunkel, allerdings war meistens irgendetwas los auf den Straßen, wie spät und dunkel es auch immer war. Vielleicht lag es an den Ferien. Die meisten Jugendlichen, die hier sonst Randale oder Party machten, waren vielleicht im Urlaub. Tobias war es eigentlich auch herzlich egal.

Er fragte sich, wie es Monami jetzt ging. Ob sie sich wohl wirklich seinetwegen die Augen aus dem Kopf heulte? Das war eine äußerst unangenehme Vorstellung, die Tobias ein ziemlich schlechtes Gewissen bescherte. Er wollte Monami lieber lachen sehen. Ihr Gesicht war ihm viel sympathischer, wenn sie lachte, wenn sie glücklich war. Wenn sie über ihn hinweg gekommen war, würden sie vielleicht wieder zusammen die Buchläden unsicher machen. Ja, das war eine schöne Vorstellung. Tobias lächelte beruhigt und kramte seinen Schlüssel aus seiner Hosentasche.

Er hatte den Schlüssel gerade ins Schloss der Haustür geschoben, als ihn jemand von hinten packte und ihm einen seltsam süßlich riechenden, schmierigen Lappen über Mund und Nase stülpte. Von plötzlicher Panik erfüllt wollte Tobias nach Luft schnappen, so dass er erst recht den eigenartigen Dunst einatmete. Ihm wurde schwummrig zumute. Hilflos griff er nach den Armen seines Angreifers. Ihn verließ bereits die Kraft. Bevor es schließlich dunkel um ihn wurde, schalt er sich selbst in Gedanken dafür, Ben nach Hause geschickt zu haben und eine fast sanfte Stimme murmelte: "Ay, gibst du endlich Ruhe, Tobias?"

Eine Art Happy Ending

Oh, Mann... Nahezu vier Monate. Kennt mich noch wer...?

Ich hab das Kapitel insgesamt drei Mal geschrieben auf Grund von Wissenslücken, Logikproblematik und dergleichen. Mit dieser Version bin ich doch ganz glücklich, nachdem mich Fräulein Muse endlich mal wieder küssen mochte... Und natürlich hat's wieder mit dem letzten Absatz gehapert, aber dazu sag ich nach dem Kapitel noch was. Jetzt erst mal viel Spaß beim Lesen. ^^
 

Die Welt um ihn herum war dunkel, jedes Geräusch klang dumpf. Tobias spürte seinen eigenen Körper kaum. Es wäre wie in einem Traum gewesen, wäre da nur der entsetzliche Schmerz in seinem Gesicht nicht gewesen, auf Höhe des rechten Auges. Nein, es war tatsächlich sein rechtes Auge, das schmerzte. Tobias wollte, dass es aufhörte. Das war sein einziger Gedanke in diesem Augenblick.

Irgendjemand stellte etwas mit seinem Auge an. Er schien wieder und wieder hinein zu stechen, mit irgendetwas spitzem. "Aufhören!", wollte Tobias schreien, doch er brachte keinen Laut über seine ohnehin bewegungsunfähigen Lippen. Seine Kehle schien wie zugeschnürt. Der Schmerz würde ihm den Verstand rauben, wenn es nicht aufhörte, das wusste Tobias ganz instinktiv.

Irgendetwas fiel zu Boden. Zumindest glaubte Tobias das zu hören. Irgendjemand sprach, offensichtlich verärgert, aber Tobias verstand ihn nicht, seine Stimme war zu gedämpft. So, als würde man versuchen, durch eine Wand zu hören, was im Nebenzimmer gesprochen wurde.

Das kontinuierliche Stechen setzte wieder ein, endete aber bald mit einem groben Ziehen. Ein dumpfes Pochen im Auge blieb. Tobias hatte Angst, dass nun das andere Auge dran war. Irgendwie erschien ihm das logisch, doch er wusste nicht, aus welchem Grund.

Doch statt eines neuerlichen Stechens berührte nun irgendetwas seine Brust. Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem dicken Stift auf seinem Oberkörper malen. Das leichte Kitzeln war allerdings nicht annähernd so angenehm, wie Tobias es vielleicht empfunden hätte, wenn Ben ihn berührt hätte. Nein, es war einfach nur auf eine unschöne Art und Weise seltsam.

Wieder hörte er eine Stimme. Wieder konnte er nicht verstehen, was sie sagte, doch irgendjemand streichelte ihm über die Wange, während die Stimme sprach. Dann bohrte sich etwas brutal in die eben noch liebkoste Wange und die Stimme wurde lauter, aggressiver, blieb allerdings unverständlich.

Was immer sich in seine Wange gegraben hatte, verschwand, die Stimme verstummte. Sekunden später stach ihn wieder etwas, dieses Mal in die linke Armbeuge. Bald darauf überfiel ihn wieder endlose Stille, doch Tobias hatte nichts dagegen, denn der Schmerz verschwand und er verlor sich in der tröstlichen Dunkelheit.
 

Als Tobias zu sich kam, war es noch immer dunkel. Um ihn herum piepte es rhythmisch. Sein Gehör schien wieder einwandfrei zu arbeiten, denn der Ton war kein bisschen gedämpft.

Sein Untergrund war bequem, wahrscheinlich war es ein Bett. Tobias wollte die Augen öffnen und sehen, wo er sich befand, doch als er seine Lider bewegen wollte, spürte er nichts als ein schmerzhaftes Ziehen und die Welt blieb finster. Er versuchte es ein zweites Mal, doch er konnte nichts sehen. Ein dritter Versuch. Wieder nichts.

Von plötzlicher Panik ergriffen setzte Tobias sich auf, riss die Arme hoch und betastete seine Augen. Was er unter seinen Fingerkuppen fühlte, ließ ihn erstarren. Nähte. Mit chirurgischer Präzision angefertigte Nähte.

Tobias schrie. Er schrie aus Entsetzen, aus Wut, aus Furcht. Er schrie sich aus seinem Albtraum heraus in ein Krankenhausbett, das allein in einem Zimmer für mindestens sechs Patienten stand, und starrte schwer atmend auf eine schneeweiße Bettdecke,auf deren linker Seite Bens Oberkörper lag.

Leise vor sich hin murmelnd lag er da und schlief seelenruhig, während Tobias' Atem ganz langsam seine normale Geschwindigkeit wieder einnahm. Erst nach einer Weile registrierte er, dass er noch sehen konnte. Allerdings nur halb so viel wie normalerweise. Zitternd hob er die rechte Hand und tastete sich über seine Wange zu seinem Auge vor. Es war verbunden worden. Wie es wohl unter dem Verband aussah? Tobias konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob er das wissen wollte oder nicht. Was passiert war, konnte er sich vage aus seinen Erinnerungen zusammen schustern, wenngleich er teilweise schwer zwischen Traum und Realität unterscheiden konnte. Er wusste, dass sein Auge zu genäht worden war, doch er bezweifelte, dass es der Schwulenblender gewesen war, immerhin hatte er noch ein gesundes Auge.

Tobias' Blick fiel auf seinen Freund, der im Schlaf den Ärmel seines blauen Überziehers voll sabberte und dabei entsetzlich niedlich aussah. Der Gedanke gefiel Tobias, obwohl er Ben nur ungern als niedlich bezeichnete. Die Bezeichnung passte einfach nicht zu einem Mann.

Was Ben wohl davon hielt, einen entstellten Freund zu haben? Tobias schüttelte rasch den Kopf. Ben würde ihn nicht wegen etwas verstoßen, für das er überhaupt nichts konnte, oder? Doch was war, wenn Ben ihn zwar weiterhin lieben wollte, aber mit seinem hässlichen Gesicht nicht klar kam?

Es war Ben, der Tobias' Gedanken unterbrach, indem er verschlafen die Augen aufschlug. Als er Tobias sah, lächelte er noch ziemlich müde und flüsterte: "Schön, dass du wieder wach bist, Koala." Seine Hand griff nach Tobias', umfasste sie zärtlich und drückte sie spürbar erschöpft. Dann richtete er sich auf, wischte sich mit seinem trockenen Ärmel über den Mund, beugte sich zu Tobias hinüber und küsste ihn hauchzart auf die Lippen. "Du hast mir gefehlt", fuhr er leise fort. "Und das, obwohl ich die ganze Zeit hier bei dir war. Seltsam, was?"

Tobias konnte sich nicht rühren. Würde Ben ihn noch so anlächeln, wenn der Verband entfernt worden war?

"Hey, Koala", kicherte Ben und stupste Tobias' Nase mit seiner an. "Du bist doch wieder wach, oder?"

Als Tobias wieder nicht reagierte und ihn nur anstarrte, packte Ben ihn kurzentschlossen bei den Seiten und fing an ihn zu kitzeln. Und da musste Tobias reagieren. In schallendes Gelächter ausbrechend krümmte er sich in alle erdenklichen Richtungen, um Bens Händen zu entgehen, was sich allerdings als schwierig erwies, da Ben beide Seiten gleichzeitig angriff.

Es verlief wie immer: Irgendwann lag Tobias unter einem triumphal grinsenden Ben und winselte kichernd um Gnade. Ben lachte, küsste Tobias und hörte dann auf, ihn zu kitzeln. Danach krabbelte er von Tobias herunter und setzte sich auf. Tobias tat es ihm gleich. "Dass du in Krankenhausbetten auch immer zur Statue wirst", meinte Ben kopfschüttelnd und streichelte Tobias liebevoll übers Haar. "Stimmt doch gar nicht", brummte Tobias, lächelte dabei aber. "Und was heißt hier eigentlich "immer"? Das ist erst mein zweites Mal im Krankenhaus."

Ben seufzte lächelnd. "Genau deswegen. Letztes Mal hast du auch da gesessen und auf gar nichts reagiert", erwiderte er. "Doch nur, weil ich so frustriert war, dass ich alles um mich herum vergessen habe." "Mein Gott, du durftest drei Monate lang kein Fußball spielen, weil du dir das Bein gebrochen hast", lachte Ben. "Du hast mir bis heute nicht gesagt, was daran so schlimm war."

Tobias zog die Beine an den Körper und seufzte leise. "Wir waren damals noch nicht so dicke miteinander. Ich hatte Angst, dass du mich langweilig finden könntest, wenn ich nicht mehr mit dir Fußball spielen konnte", entschloss er sich einfach zur Ehrlichkeit. Während er seine Angst von damals aussprach, merkte er, wie erschreckend ähnlich sie seiner jetzigen Befürchtung war. Allerdings war ein zerstörtes Auge immer noch etwas anderes als ein gebrochenes Bein. Ein gebrochenes Bein verheilte wieder. Mit dem Auge war er sich da nicht so sicher.

Bens Hand, die ihm, begleitet von einem Lachen, das Haar zerzauste, lenkte Tobias von seinen Gedanken ab. "Koala, du bist ein kleiner Dummkopf gewesen", stellte Ben fest. "Ich hab die drei Monate damit verbracht, mich auf den Tag zu freuen, an dem du von der Krankengymnastik kommst und mir sagt, dass du so richtig Lust auf 'n bisschen Bolzen im Park hast. Warst doch damals schon mein bester Freund, du Doofnuss." Tobias lächelte unwillkürlich, dann packte er Ben, zog ihn an sich und drückte ihn fest. Ben erwiderte die Umarmung ohne zu fragen.

"Und wenn du auch nur auf den Gedanken kommst, Angst zu bekommen, ich könnte dich wegen deines Auges hässlich finden, dann vergiss den Gedanken mal ganz schnell wieder", raunte er Tobias ins Ohr. Tobias löste sich von ihm und glotzte ihn ungläubig an. "Wie bitte?", sagte er. "Du hast mich schon verstanden", grinste Ben. "Ich hab dich schon ohne den Verband gesehen, der Augapfel wurde wegen der Schäden entfernt. Und glaub mir, das macht dich kein Stück hässlicher. Zumindest aus meiner Sicht." Sein ehrliches Lächeln ließ Tobias einfach glauben, was er sagte. Dann aber hob er verwundert die Augenbrauen.

"Woher wusstest du eigentlich, dass es darum ging?", wollte er wissen. Ben schmunzelte. "Angesichts des Grundes, weshalb du letztes Mal die Salzsäule gespielt hast, war das 'ne relativ schlüssige Idee", antwortete er. "Möchtest du eigentlich gar nicht wissen, was passiert ist, während du geschlafen hast? Hast immerhin zwei Tage lang hier gelegen." "Zwei Tage?", echote Tobias ungläubig. "Dann erzähl mal."

Was Ben zu erzählen hatte, ließ in Tobias ein mulmiges Gefühl aufkommen. Offensichtlich war er von einem Nachahmer des Blenders überfallen und mit einem zugenähten Auge vor Bens Haustür abgeliefert worden. Ben hatte sofort den Notruf gewählt und Tobias war im nächsten Krankenhaus operiert und untersucht worden. Sein rechtes Auge war entfernt worden. Wegen zweier falsch dosierter Narkosespritzen war es zwischendurch sogar zum Herzstillstand gekommen. Das war der Teil, der Tobias wirklich schlucken ließ. Hätte Ben nicht sofort den Notarzt verständigt, wäre er vielleicht an Herzversagen gestorben.

"Gibt es irgendwelche Hinweise, wer das gewesen sein könnte?", fragte er leise, während er die Informationen noch verdaute. Ben nickte, was Tobias verwundert den Kopf heben ließ. "Ernsthaft?", fragte er. "Ja", seufzte Ben und sah mit einem Mal ziemlich bedrückt aus. "Sie verdächtigen Kai dahinter." "Häh?!", machte Tobias verwirrt. "Wieso ausgerechnet deinen Bruder?" "Wegen des Spruchs auf deiner Brust", antwortete Ben. "'Lass die Finger von Ben, sonst bist du bald völlig blind', stand auf deiner Brust, mit deinem eigenen Blut geschrieben. Ich hab der Polizei gesagt, dass er der einzige sei, der meinetwegen eifersüchtig auf dich sein könnte. Seitdem gilt er als Hauptverdächtiger und wurde auch schon festgenommen, weil man Chirurgenbesteck und Narkotika in seiner Wohnung gefunden hat. Und um ehrlich zu sein, hat er auch schon alles gestanden." Ben schüttelte leicht den Kopf. "Als hätte er gewollt, dass man ihn dafür dran kriegt. Ich verstehe nicht, warum er zu solch einem Mittel greifen musste."

Tobias nahm Bens Hand und drückte sie sanft. Bens trauriger Blick tat ihm weh. "Ach, Hase...", murmelte er. Ben schüttelte den Kopf. "Dachte wahrscheinlich auch noch, er könnte mich so zurück gewinnen", murmelte er, dann stand er auf, fasste Tobias am Kinn und küsste ihn flüchtig. "Ich werd mal die frohe Kunde deiner Auferstehung verbreiten", sagte er mit einem ziemlich schlampig aufgesetzten Lächeln. Bevor er jedoch den Kopf zurück ziehen konnte, griff Tobias ihm in den Nacken und stahl ihm noch einen zärtlichen Kuss. "Es wird schon alles gut werden", brachte er das einzige hervor, das ihm einfiel. Eine billige, abgedroschene Phrase. Doch Ben lächelte dieses Mal ein wenig ehrlicher, bevor er sich Tobias' Griff entzog und das Zimmer verließ.

Nach vielleicht zwanzig Minuten, in denen Tobias sich aus Langeweile damit beschäftigte, die bunten Blüten auf den Fenstergardinen zu zählen, klopfte es an der Tür. Bevor Tobias antworten konnte, traten eine Krankenschwester, Ben und Tobias' Eltern ein. Zusätzlich schoben sich noch Bens Eltern und sogar seine Schwester herein. Tobias unterdrückte ein Schmunzeln, als er sah, dass Anna den obligatorischen Krankenbesuchsblumenstrauß bei sich hatte.

"Na, wie geht’s dir?", fragte sie lächelnd, während sie ihm den Strauß in die Hand drückte. Die Krankenschwester hüstelte leise, doch Anna ignorierte sie. "Den Umständen entsprechend, aber es geht", erwiderte Tobias und schnupperte an den Blumen, obgleich er das für eine ziemlich mädchenhafte Geste hielt. Sie rochen angenehm, irgendwie nach Frühling.

"Ich hab 'ne Vase dabei", meinte Dana plötzlich. Tatsächlich hielt sie den besagten Gegenstand in der Hand. Tobias musste lachen. "Ihr habt euch abgesprochen!", vermutete er, während Anna die Blumen in die Vase verfrachtete und die Vase auf Tobias' kleinen Nachttisch stellte. "Was denkst du denn?", grinste Felix, kam zum Bett und klopfte ihm auf den Rücken.

Tobias sah an Felix vorbei auf die Krankenschwester, die gerade von Bens Mutter hinaus komplimentiert wurde. Als sich die Tür geschlossen hatte, richteten sich alle Augen auf Tobias. "Wir müssen mit dir reden, Tobi", sagte Dana ernst. Tobias hob die Brauen. "Worüber?", wollte er wissen und sah Ben an, welcher leise schluckte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. "Hab ich was verpasst?", fragte Tobias irritiert. Felix seufzte. "Du hast verpasst, uns zu erzählen, dass du dich von Monami getrennt hast und stattdessen jetzt mit Ben zusammen bist", sagte er und klang dabei nicht allzu glücklich.

"Woher wisst ihr davon?", rutschte es Tobias heraus. Eigentlich hatte er schweigen wollen. Felix schnaubte voll grimmiger Belustigung. "Du wurdest von einem Nachahmer des Schwulenblenders überfallen, dieser Nachahmer hat dir eine eindeutige Botschaft mitgegeben, die Polizei hat Ben in unser aller Beisein ausgefragt... Reicht dir das?"

Betretenes Schweigen trat ein. Tobias biss sich auf die Lippe, wobei er merkte, dass seine Piercings weg waren. Allerdings war dies wohl ein miserabler Zeitpunkt, um danach zu fragen oder zu suchen.

"Wir hätten es gern von dir erfahren", sagte Felix nach einer Weile und setzte sich auf die Bettkante. Dana kam ebenfalls zum Bett und legte einen Arm um Tobias' Schultern, drückte ihren Sohn liebevoll an ihre Brust. Und so sehr Tobias es eigentlich hasste, von seiner Mutter in ihrer Brust halb erstickt zu werden, hatte es jetzt in diesem Augenblick etwas beruhigendes, sich gegen sie lehnen zu können.

"Ihr habt also nicht vor, mich auszustoßen oder so?", murmelte er unsicher. Felix lächelte matt. "Tobias, du bist unser Sohn. Wir lieben dich von Natur aus, das ist 'ne Elternkrankheit. Nur, weil du dich halt in einen Mann verliebt hast, verweigern wir dir keine Zuneigung." Liebevoll streichelte er Tobias übers Haar. Tobias streckte die Hand nach ihm aus und Felix rückte ein wenig näher. "Na, kommt, familiäres Gruppenknuddeln!", lachte Dana und legte ihren freien Arm um Felix. Tobias zog gern mit. Er war erleichtert, dass seine Eltern so locker damit umgingen. Danas ernster Blick, mit dem sie das Thema angesprochen hatte, hatte ihn doch sehr beunruhigt.

"Hätte nicht gedacht, dass das so einfach ist", sagte Ben plötzlich. "Eigentlich hab ich mit 'nem Donnerwetter gerechnet." Tobias sah ihn lächelnd an. "Wer hätte das nicht?", fragte er einfach nur und winkte seinen Freund zu sich ans Bett. Er hatte mit einem Mal eine unbändige Lust, Ben einfach nur ganz fest zu umarmen. Und genau das tat er auch. Ben erwiderte die Umarmung leise lachend., küsste Tobias auf die Wange und streichelte ihm über den Rücken. Tobias fühlte sich unsagbar gut dabei, vor seinen Eltern nicht die normalen Freunde heucheln zu müssen.

Ein Hüsteln von der Tür her ließ alle aufschrecken. Die Krankenschwester lugte herein. "Wir müssten den Patienten jetzt untersuchen", sagte sie fast ein wenig schüchtern und trat ganz ins Zimmer. "Ich würde Sie jetzt bitten zu gehen." Ben seufzte schwer, während die Eltern und Anna sich bereits zur Tür bewegten. "Ich komm danach wieder", versprach er und küsste Tobias, als wolle er ihn aufmuntern. Tobias lächelte ihn glücklich an. "Bis dann", sagte er, dann ging auch Ben.
 

Tobias sollte noch bis zum nächsten Abend zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. Die Ärzte erzählten ihm so ziemlich genau das selbe wie Ben, wenn auch im eigenwilligen Fachchinesisch. Sein Auge war auf jeden Fall entfernt worden und konnte nicht ersetzt werden. Immerhin wusste Tobias jetzt, dass es die Möglichkeit einer Augenprothese, beziehungsweise eines Glasauges gab, was ihm allerdings nicht besonders zusagte. Er würde wohl auf eine Augenklappe zurückgreifen. In einem Anflug von Selbstironie versuchte er sich selbst damit aufzuheitern, dass er sich als Kind zum Fasching doch ohnehin immer als Pirat verkleidet hatte. Der Versuch hatte nicht mehr als ein schwaches, zynisches Lächeln zum Erfolg.

Zwei Polizisten statteten ihm nach einer ruhig durchschlafenen Nacht einen kleinen Besuch ab. Tobias erzählte ihnen, was er noch wusste, ließ aber nicht unerwähnt, dass er nicht mit Gewissheit sagen konnte, was Traum und was Wirklichkeit war. Die Beamten nahmen es mit Gleichmut zur Kenntnis. Tobias' Aussage konnte ohnehin nicht mehr viel zum Fall beitragen. Kai war gefasst, nahezu überführt und überdies auch noch geständig, was brauchte man da noch das Opfer? Es dauerte nicht lang, bis eben dieses wieder allein im Zimmer war.
 

Gegen Mittag, nur Stunden vor seiner Entlassung, klopfte es leise an seiner Tür. Tobias, der sich gerade mit seinem Zeichenblock beschäftigte, blickte irritiert auf. "Herein?", sagte er neugierig und ließ den Block sinken. Die Tür ging auf und eine schüchtern guckende Monami schob sich ins Zimmer. Tobias musste ganz automatisch lächeln. "Monami", sagte er. "Schön, dich zu sehen." Sie erwiderte sein Lächeln eher zurückhaltend und trat näher zu seinem Bett. In ihrem Arm lag ein Strauß bunter Rosen, den sie nach kurzem Zögern einfach neben Annas Blumen auf den Nachttisch legte. "Hätte 'ne Vase mitbringen sollen", murmelte sie, dann sah sie Tobias an.

"Na, Freak, wie geht’s dir?", fragte sie irgendwo zwischen Besorgnis und Belustigung und setzte sich auf den Hocker, auf dem Ben gesessen hatte, während er Tobias bewacht hatte. Tobias klopfte auf den Verband, der sein Auge verdeckte, und erwiderte: "Den Umständen entsprechend bestens. Immerhin keine Schmerzen." Monami lächelte ehrlich. "Ich dachte, ich sollte dich mal besuchen. Jetzt, wo ich mit Ben Rollen getauscht hab", sagte sie zaghaft und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. "Das ist lieb von dir", schmunzelte Tobias.

Für eine Weile schwiegen sie peinlich berührt, dann bemerkte Monami Tobias' Zeichenblock. Sie griff danach, dann zuckten ihre Hände zurück. "Darf ich?", fragte sie verlegen. Tobias reichte ihr den Block und Monami blätterte ihn neugierig durch. "Das sieht gut aus", behauptete sie und plötzlich schien alle Unbehaglichkeit von ihr abgefallen. Tobias lachte kopfschüttelnd. "Ach, komm, das sind nur Kritzeleien", winkte er ab. "Nein, nein, das sieht wirklich gut aus", beharrte Monami. "Ich find deine Chibis voll süß, kann ich einen davon haben?" Tobias hob die Brauen. "Du willst eins von diesen Krüppelviechern haben?", lachte er ungläubig. Monami nickte mit großen Augen, die Tobias für einen Moment an eine Puppe erinnerten. "Komm schon", bettelte sie. "Dann zeig ich dir auch, was Kritzeleien wirklich sind."

Tobias schmunzelte wieder. Das Angebot fand er lächerlich, aber wenn Monami einen seiner Chibis haben wollte, sollte ihm das Recht sein. "Such dir einen aus", forderte er sie auf und Monami fing an zu strahlen, durchsuchte den Block begeistert nach dem schönsten Bild. Ein Chibi mit Katzenöhrchen und einem total beknackten Grinsen war die Zeichnung ihrer Wahl. "Schreibst du mir 'ne Widmung?", bat Monami. Tobias tat ihr den Gefallen, dann drückte sie ihm einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und bedankte sich offensichtlich glücklich.

"Also, was sind Kritzeleien?", fragte Tobias nun interessiert. Monami schnaubte, nahm ihm schweigend seinen Bleistift ab und fing an zu zeichnen. Sie brauchte nicht lang, dann hielt sie ihm den Block wieder hin. Tobias betrachtete Monamis Werk, dann fing er an zu lachen. Monami hatte ein schiefes Haus mit krummen Fenstern und Türen gezeichnet, oder eher gekritzelt. Vor dem Haus stand eine Gestalt aus geometrischen, wenn auch schiefen Formen, die offenbar eine Prinzessin oder etwas ähnliches darstellen sollte. Zumindest trug das Ding auf dem kreisförmigen, haarlosen Kopf ein kleines Krönchen.

"Okay, du hast mich überzeugt", kicherte Tobias. "Aber besonders ausgereift sind meine Zeichnungen trotzdem nicht." "Das hat ja auch keiner behauptet", meine Monami zwinkernd. "Üben muss jeder Zeichner. Wehe, ich bin nicht die erste, die deinen ersten Manga bekommt."

Tobias war erst verwirrt über den Themensprung, dann grinste er. "Wer, wenn nicht du?", fragte er, obschon er nicht vorhatte, jemals einen Manga zu zeichnen. "Eben." Monami lachte und Tobias fiel mit ein. Monami und Ben hatten wohl vollständig die Rollen getauscht, wie es aussah. Tobias war überaus glücklich darüber. Monami als Freundin zu verlieren, weil ihre Beziehung vorbei war, hätte er sich nicht verziehen. Dafür waren sie viel zu sehr auf einer Wellenlänge.

"Hast du mal wieder Lust auf Manga-Shopping?", fragte Monami plötzlich. "Ich hab von 'nem Manga erfahren, den ich unbedingt haben will." "Klar. Sagst du mir auch, wie der heißt?", erwiderte Tobias. Monami grinste. "Interessiert dich der Titel noch, wenn ich dir sage, dass der Manga Yaoi enthält?", fragte sie. Tobias hüstelte leise. "Vielleicht schau ich auch erst im Laden, wie der heißt", winkte er ab. Nicht, dass er sich wirklich wegen des Titels eines Schwulenmangas geniert hätte, doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass Monami genau das hören wollte. Und offenbar lag er damit nicht allzu falsch, denn Monami fing wieder an zu lachen.
 

Bis Monami schließlich gehen musste, unterhielten sie sich über die verschiedensten Dinge. Während einer Diskussion über die Menschlichkeit von Lehrern – Tobias erinnerte sich nicht mehr daran, wie sie darauf gekommen waren – sah Monami auf ihre Uhr und stellte fest, dass sie schon spät dran war. Sie war wohl mit Natalie verabredet. "Die wird mich umbringen, wenn sie hört, dass ich ausgerechnet deinetwegen zu spät bin", lachte sie, dann umarmte sie Tobias zum Abschied und verließ eiligen Schrittes das Krankenzimmer.

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, ließ Tobias sich mit einem zufriedenen Lächeln in sein Kissen sinken. In ein paar Stunden würde er nach Hause können, seine Eltern akzeptierten seine Beziehung zu Ben und Monami schien wieder in Ordnung zu sein. Er hatte schon eine gewisse Angst davor, wie zum Beispiel seine Mitschüler damit umgehen würden, dass er jetzt ein Auge weniger hatte, doch dass Ben ihn trotzdem noch liebte, beruhigte ihn ungemein. Und wenn Kai wirklich rechtskräftig verurteilt wurde, musste er sich auch keine Sorgen mehr um sein zweites Auge machen. An und für sich hatte es ihn jedenfalls nicht so schlimm erwischt wie beispielsweise Jonas. Tobias konnte noch sehen, sein linkes Auge war vollkommen unversehrt. Und darüber konnte er sich eigentlich freuen.

"Krankhafter Optimismus", murmelte er in die Stille des Zimmers hinein, welche kurz darauf wieder von einem Klopfen an der Tür unterbrochen wurde. "Herein?", sagte Tobias und die Tür wurde schwungvoll aufgerissen.

"Hey, Koala, kommst du mit nach Hause?", rief Ben strahlend und kam mit federnden Schritten zu Tobias' Bett, um ihn zur Begrüßung liebevoll zu küssen. Tobias hob die Brauen, als Ben von ihm abließ. "Ich werd erst in zwei, drei Stunden entlassen", gab er zu Bedenken. "Ach, Quatsch", meinte Ben abwinkend. "Du wirst gleich noch mal durchgecheckt, dann kann ich dich einpacken und mitnehmen. Hab die Schwester bequatscht." Er war offensichtlich mächtig stolz auf sich.

Nach dem ersten Moment des Unglaubens lächelte Tobias erfreut. "Danke, Hase", sagte er ehrlich, legte Ben eine Hand in den Nacken und zog ihn für einen ausgiebigen Kuss zu sich herunter. "Ich langweile mich hier zu Tode." Ben grinste breit. "Wir Hasen sind eben die Retter in der Not", behauptete er. "Dafür retten wir Koalabären Prinzessinnen vor cookiesüchtigen Drachen", erwiderte Tobias gelassen. "Die dafür noch nicht einmal zur Hochzeit bereit sind", konterte Ben. "Schöne Helden seid ihr mir." Tobias fing lauthals an zu lachen, boxte Ben kräftig gegen die Schulter. Ben schmunzelte lediglich triumphierend vor sich hin. In die heitere Stimmung platzte eine Krankenschwester, die Tobias ein letztes Mal untersuchen wollte.
 

In Bens Wohnung hatten Bens Familie und Tobias' Eltern eine kleine Willkommensfeier für Tobias organisiert. Gut, "Feier" traf es nicht wirklich. Im Prinzip wurde lediglich auf so viele Ereignisse wie möglich angestoßen, obwohl es gerade erst Nachmittag war. Zu allererst war Tobias' Gesundheit dran, dann Tobias' und Bens Beziehung. Dana fiel noch die schnelle Verhaftung des Täters ein, wobei geflissentlich übergangen wurde, wer besagter Täter war, und so weiter und so fort. Tobias ließ sich von Anfang an nur Wasser oder Saft einschenken. Alkohol um die Zeit ging einfach gar nicht.

Am späten Abend gingen Dana und Felix nach Hause. Sie hatten nicht gerade wenig getrunken und waren entsprechend gut gelaunt. Anna verabschiedete sich ebenfalls, wenn auch um einiges nüchterner. Tobias schämte sich beinah für seine Eltern, doch als er merkte, dass Bens Eltern auch nicht gerade zaghaft mit dem Sekt gewesen waren, nahm ihm das einiges von seiner Scham.

Erst gegen Mitternacht wurde es wirklich ruhig in der Wohnung. Tobias wollte bei Ben übernachten und nach einer ausgiebigen Dusche nach dem Krankenhausaufenthalt lag er neben Ben auf dessen Bett und starrte im Dunkel Richtung Zimmerdecke. Bens Eltern waren endlich schlafen gegangen.

"Koala?", murmelte Ben in die Stille hinein. Tobias gab ein fragendes Geräusch von sich. "Ich bin froh, dass du wieder bei mir bist." "Ich war doch nur über'n Daumen drei Tage weg", nuschelte Tobias, während er spürte, wie Ben sich an ihn schmiegte. "Nur?", wurde er leise angeschnaubt. "Eher ganze drei Tage. Ich hab dich vermisst, du Pfosten." Bens Hand streichelte sanft über Tobias' Seite. Tobias schloss die Augen und genoss das leichte Kitzeln. Was Ben da machte, war kein Angriffskitzeln, eher ein liebkosendes Kitzeln. Ganz anders als das Kitzeln, mit dem er früher immer Süßigkeiten von Tobias erpresst hatte.

Bei der Erinnerung musste Tobias lachen. Mehr, als dass er sah, spürte er, wie Ben sich leicht aufrichtete. "Hat das zu sehr gekitzelt?", fragte er. Tobias winkte ab, obwohl Ben das wohl kaum sehen konnte. "Nein, es war angenehm. Ich hab nur an die Süßigkeiten von früher gedacht." Nun musste auch Ben lachen, wenn auch nur kurz. "Ach so. Dann ist ja gut", meinte er beruhigt und kuschelte sich wieder an Tobias' Seite.

"I missed you", murmelte er nach einer schweigsamen Weile. "Like crazy", fügte er leise hinzu. Tobias musste lächeln. "Jetzt bin ich wieder da", erwiderte er und tastete im Dunkeln nach Bens Wange, streichelte mit den Fingerspitzen darüber. "Und ich werd mich nie wieder überfallen lassen, Hase." "How can you be sure?", fragte Ben und plötzlich klang er, als sei er den Tränen nahe. Seine Hände krallten sich in Tobias' T-Shirt. "What if there's another one to attack you?" Jetzt war Tobias sich sicher, dass Ben gleich weinen würde. Seufzend richtete er sich auf und langte nach der Nachttischlampe. In ihrem Licht sah er den feuchten Schimmer in Bens Augen.

"Ach, Ben...", sagte Tobias kopfschüttelnd und setzte sich nun ganz auf. "Ich kann dir nichts versprechen. Rein theoretisch können wir beide morgen tot sein, also warum sich Sorgen um später machen?" Mit sanfter Gewalt zog er Ben zu sich hoch und küsste ihn zärtlich. Ben erwiderte erst nach einem Augenblick der Starre, brach den Kuss aber auch kurz darauf ab. Verstimmt blickte er Tobias an. "Ich finde das nicht lustig, Koala", sagte er ernst. "Wenn jetzt der echte Blender nach dir sucht..." Tobias legte einen Finger an Bens Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Der Schwulenblender sucht sich Besucher von Schwulenclubs als Opfer", erinnerte er Ben. "Und ich werde so 'ne Einrichtung niemals auch nur mit meinem kleinen Zeh betreten, verstanden?"

Für Sekunden blickten sie einander schweigend in die Augen, dann wandte Ben den Blick ab. "Ich mache mir einfach nur Sorgen um dich", nuschelte er, als wolle er gar nicht, dass Tobias es hörte. Tobias lächelte mit einem Anflug von Rührung. "Ich find's ja schön, dass ich dir so viel bedeute, Ben, aber deine Sorgen machen keinen von uns glücklicher. Ich bin am Leben, kann dich sehen und bin nicht mehr in Kais Reichweite. Also durchatmen und die Erleichterung zulassen, okay?" Ben zuckte die Achseln, ohne Tobias wieder anzusehen.

Tobias seufzte laut auf. "Mensch, Ben, warum bist eigentlich du derjenige, der hier Trübsal bläst?", wollte er missmutig wissen. "Ich bin hier das Opfer und mir geht’s prima, also lach mal wieder." Ben schwieg, den Blick weiter abgewandt. "Bitte, Hase!", rief Tobias in flehendem Tonfall aus, griff Ben in die Mundwinkel und zog sie mehr oder minder grob nach oben. So saßen sie einander nun gegenüber, ein verbissen dreinschauender Koala und ein Hase mit einem fratzenartigen Grinsen und Daumen in den Mundwinkeln. Sekunden später fingen sie beide an zu lachen. Ben schob Tobias' Hände beiseite und stürzte sich übermütig auf ihn, drückte ihn in die Kissen und küsste ihn stürmisch.

Während des Kusses kamen ihre Körper zur Ruhe, das Stürmische ließ nach. Tobias schlang die Arme um Ben, seine Hände kamen auf Bens Schulten zu liegen. Der Kuss weilte lang, so dass Ben sich die Zeit nehmen konnte, Tobias wieder über die Seiten zu streicheln, seine Hände unter Tobias' T-Shirt schlüpfen zu lassen. Tobias ließ ihn gewähren, sich die Liebkosungen gefallen. Auch, als Ben sich schließlich von seinen Lippen löste und stattdessen seinen Hals zu küssen begann, quittierte Tobias dies nicht mit Unwillen. Alles, was er von sich gab, war ein hingebungsvoller Laut zwischen Seufzen und Keuchen, der Ben zu animieren schien. Die Intensität seiner Berührungen nahm zu und Tobias nahm es mit Freude zur Kenntnis.

Erst, als Ben Anstalten machte, ihm aus seinem T-Shirt zu helfen, hielt Tobias ihn zaghaft auf. "Ben, wie..." Tobias schluckte, um den Kloß der Aufregung in seinem Hals loszuwerden. Es half nicht allzu viel. "Wie weit geht das hier?" Er musste diese Frage einfach stellen. Natürlich liebte er Ben und dass er auch Sex liebte, stand völlig außer Frage. Allerdings war Sex mit einem Mann etwas, mit dem er sich lieber noch etwas Zeit lassen wollte. Immerhin war er in dieser Hinsicht noch so etwas wie eine Jungfrau.

Ben antwortete auf Tobias' Frage zunächst nur mit einem Schmunzeln und einem Kuss auf den Mundwinkel. "So weit, wie du es zulässt", sagte er dann schlicht und das Gespräch war beendet. Während der kleinen Pause hatten Bens Hände unablässig kleine Kreise auf Tobias' Bauch gezogen, jetzt glitten sie wieder über seine Seiten nach oben und zogen ihm das T-Shirt über den Kopf, ließen es zu Boden fallen. Tobias spürte, dass er Ben vertrauen konnte. Es gab keinen Zwang in diesem Spiel, er war lediglich zum Austausch von Zärtlichkeiten eingeladen. Und er ließ sich darauf ein, die Nacht zu genießen und Ben einfach nah zu sein. Kai hatte seinen Willen nicht bekommen.
 

~ENDE~
 

Nun, ja, Ende. Das Kapitel ist recht kitschig, zugegeben, aber FFK ist für mich abgeschlossen. Ich hoffe, es hat euch Lesern gefallen.

Grußviech,

Schnullerkai



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Kommentare zu dieser Fanfic (27)
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Von:  Iruma
2010-08-04T16:25:29+00:00 04.08.2010 18:25
So, nachdem ich jetzt die Story an einem Stück durchgelesen habe (ich wurde zwischenzeitlich ausgeloggt und hab es nicht gemerkt ôo xD) muss ich natürlich einen Kommentar dalassen....

Wow, ich bin wirklich total begeistert! Ich finde, dass du einen wunderbaren Schreibstil hast, es ist nicht zu viel beschrieben und nicht zu wenig. Die Handlungen der Charaktere sind nachvollziehbar und die beiden Jungs sind einfach nur süß zusammen *ieks*

Was mich bloss von Anfang an "gestört" hat, war der Name des Angreifers... Blenden tut man schließlich mit Licht... aber das war jetzt auch nicht übermäßig störend ^^ und naja, mir war auch von Anfang an klar, dass es einen der beiden treffen würde... auch, wenn ich mehr mit Ben gerechnet hatte :P

Jetzt muss ich mich aber doch nochmal beschweren: Ich musste mir natürlich Sum41 - Pieces anhören und jetzt hab ich einen Ohrwurm .___. Schande über dich! :D

Auch wenn es schade ist, dass es keine Sexszene zum Schluss gab, bin ich doch überaus begeistert von deiner Story und bin schockiert, dass es erst so wenige Kommentare gibt!

Jetzt muss ich als Erstes mal die Kommentare durchsuchen, ob ich hier nicht doch schonmal geschrieben habe, denn die Szene im Schwimmbad, als Kai Koala anblafft, hat bei mir ein enormes Dejá-vù ausgelöst ôo (keine Ahnung ob die Striche so richtig sind, hatte nie französisch :P)

*die FF schon längst auf ihre Favoliste gepackt hat*
Ich kann wirklich nur sagen, wie toll ich FFK fand und dass ich stark hoffe, von dir nochmal so einen Geniestreich zu lesen C: Da ertrage ich auch die Wartezeiten zwischendurch (jetzt hatte ich ja Glück, dass es alles schon fertig war *höhö*).

Liebe Grüße und mach weiter so!
Iruma
Von:  MaiRaike
2009-12-29T01:49:27+00:00 29.12.2009 02:49
Ok. Also Ich liebe deine Fanfic. Wirklich. Sie ist absolut megagenial toll geschrieben.

Bis auf das letzte Kapitel, leider...
Es wirkt ein bisschen so als hättest du keine Lust mehr gehabt.
Es ist alles zu einfach.
Der Albtraum den Koala in einem früherem Kapitel hat ist gruseliger als die Tat selber.
Es fehlt das schauerliche Element.
Die Angst und der Schmerz fehlen ebenfalls weitgehend.

'Das kontinuierliche Stechen setzte wieder ein, endete aber bald mit einem groben Ziehen. Ein dumpfes Pochen im Auge blieb.'
Das kann ich mir vorstellen- nach ungefähr einer Woche Heilungsprozess...

Und nachdem er wieder wach ist müsste er auch Schmerzen haben. Auch Schmerzmittel wirken nicht ewig...
Und ein fehlendes Auge wird ja wohl jedem normalen Menschen mehr Probleme bereiten...

Koala dürfte physisch wie psychisch komplett am Ende sein.

Naja. Ich möchte dich mit meinem Kommentar wirklich nicht restlos deprimieren. Es ist halt einfach so, das die vorigen Kapitel alle wahnsinnig toll geschrieben wahren und die Geschichte bis zum letzten Kapitel einen echt guten Spannungsbogen verfolgt hat.
Daher hatte ich hohe Erwartungen...

Liebe Grüße und sag bitte Bescheid, wenn du etwas Neues anfängst!
Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünsche ich dir!

Ps.: Ist wirklich nicht böse gemeint dieser Kommi, sieh es bitte als konstruktive Kritik, ja?


Von:  Shady
2009-12-12T15:18:41+00:00 12.12.2009 16:18
Sicher kenn ich dich noch ;D .. ich hab eh schon lange drauf gewartet, dass hier weiter geht :)
Also ich hab's toll gefundn, dass du das ned zu übertrieben dramatisch beschrieben hast, wie Kai Tobias verletzt hat. So war's genau richtig :]
Und Ben is ja so süß zu Tobias <3 sowas liest man gerne :)
Aber eigentlich.. war's für uns Leser eh keine Überraschung, dass Kai dann derjenige war, der Tobias "halbblind" gemacht hat. Weil im letzten Kapitel hast du in die wörtliche Rede "Ay" geschrieben :DD
Allerdings hab ich gedacht, dass er der Schwulenblender is haha ^^
Und der letzte Absatz unten hat auch so gepasst. Sicher wäre eine ganze Liebesszene nicht schlecht gewesen (=P), aber so störts auch nicht!

Also mir hat's wieder sehr gut gefallen =)
Natürlich würds mich freuen, wenn da nochwas kommt.. aber es wäre andererseits auch so ein schöner Schluss für die Geschichte :)

Shady <3
Von:  Fine
2009-12-11T15:04:12+00:00 11.12.2009 16:04
Natürlich kenne ich dich noch. ^^
Ich versteh auch, dass du nicht weiterschreibst, wenn dich nicht´die Muse küsst`.
Und das Kapi war süß!
Das Kai aber derjenige war, der Tobias angegriffen hat, ist für Ben bestimmt hart.
Aber zum Glück geht es Tobias ja soweit gut und er und Ben können jetzt ihre gemeinsamen Zeit genießen.
Ich finde auch, dass dieses Kapi bereits ein Epilog war, es also für mich keiner weiteren Pitels bedarf.

Wünsch dir noch nen schönes WE.
LG
Fine
Von:  Die_Debby
2009-10-19T17:49:43+00:00 19.10.2009 19:49
Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa~

NEEEEIIIN..
Sag nicht Kai war das alles.
Am Anfang war er mir ja noch sympathisch,
aber als er das mit dem ay anfing *grusel*

Aber echt gute FF

Schreib schnell weiter.

Liebe Grüße


Von:  shot_coloured
2009-08-29T07:50:23+00:00 29.08.2009 09:50
Ahhhhh! *Es hat Klick gemacht* Der Halbbruder war´s. XD Naja, wenigstens nur der, ich denke nicht, dass er ihm gleich die Augen ausstechen wird, höchstens im Übertragenen Sinne. @____@ Trotzdem, ich mochte den mal... :( *seufz* Jetzt ist er nur noch... creepy. >.<
Ich hatte gleich so ein schlechtes Gefühl, wie in einer Soap. XD Was aber nichts schlechtes ist, es ist in Ordnung, wenn mal was passiert. ;) Und so vorhersehbar war´s gar nicht, immerhin dachten alle: der Blender! :-o
Ich ja auch. ^^
Ich mochte das Kapitel sehr gerne es machte den Eindruck als sei jeder Satz gut durchdacht. ;) Und trotz dessen, dass eigentlich ganz alltägliche, "langweilige" Dinge passierten (außer dem Schluss) hat mir das Lesen Spaß gemacht und ich hab mich unterhalten gefühlt. ;) Wenn es immer zwei Monate dauern muss, damit du so ein tolles Kapitel hinlegen kannst, dann werde ich damit leben können. ;)
Übrigens: die Szene mit Ben und Tobias auf der second try war toll! *Bauchkribbeln*
Ach und noch was: den Abschiedsschmerz von Tobias als er aus den Niederlanden und von seinem geliebten Schiff weg "gerissen" wurde konnte ich gut nachvollziehen, obwohl ich noch nie segeln war und davon keine Ahnung habe. Schön beschrieben, auch wenn man sich dabei schlecht fühlte - aber das gehört ja dazu. ;) Ich fühl mich gerne schlecht. Lol
(Bei Geschichten, weil sie einen traurig stimmen)
Okay, bleib der Geschichte treu, ja? Auch wenn´s etwas länger dauert. Wann driften wir eigentlich auf´s Finale zu? ;) *Gespannt und wehleidig zugleich* Wieviele Kapitel noch? Oo
Liebe Grüße von sho_co
Von:  snowwhitedoll
2009-08-28T10:10:35+00:00 28.08.2009 12:10
Oh mein gott!
Ich fang gleich an zu heulen!
Bitte sag nicht, dass es der Blender ist T^T
Bitte nicht!

War doch alles so gut! Monami ist tapfer gewesen! Und nun...Ben rette deinen Schatz! Das ist ein Befehl!

Danke für die Ens, ich hab die Story nicht vegessen ;)

hugs
Von:  Shady
2009-08-27T23:46:50+00:00 28.08.2009 01:46
Oha, wehe dem kleinen lieben Tobias passiert jetzt was! - Das is doch Kai, der ihn da 'überfallen' hat, oder? Das "Ay" hat mich zumindest an ihn erinnert. xD
- Naja egal ob Ben ihn retten kommt, oder sonst wer.. Hauptsache, das Tobilein wird überhaupt gerettet XD zu viel Dramatik tut der Seele dann auch nicht gut.. ;)

Jaah Monami is auch ganz süß mit allem umgegangen. Eigentlich ist es ja eh nicht so schlimm. Schließlich is sie noch das erste _Mädchen_ seiner Wahl :)

Den letzten Absatz find ich gut, wirklich! Macht Lust drauf, was da noch kommen wird. :D
Freu mich schon auf's nächste Kapitel :)
Von:  Fine
2009-08-27T22:48:14+00:00 28.08.2009 00:48
Nein, ich hab deine FF nicht vergessen.
Die kann man einfach nicht vergessen!

Das Kapi war jedenfalls richtig super.
Monami weiß jetzt auch endlich Bescheid und ist auch wirklich super lieb, dass sie trotz Herz-Schmerz immer noch Tobias Freundschaft annimmt.
Und Ben ist ja sowas von schmusebedürftig... XD

Der letzte Absatz war gut, da kannst du dir nichts vorwerfen, okay? ;-)
Es ist ein richtiger Cliffhänger geworden und macht einfach neugierig.
Ben hat ihn zwar gewarnt, doch nun wurde Tobias tatsächlich überfallen.

Ich bin schon total gespannt, wie es weiter geht.
Schreib also so schnell wie du kannst weiter, ja?
Gib wieder Bescheid.

LG
Fine
Von:  MaiRaike
2009-08-27T22:33:28+00:00 28.08.2009 00:33
AAaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah

Scheiße.

Ich hatte schon bei der Albtraumszene super Angst.
Und jetzt erst.

HILFE!!

Wenn du nicht Schuld an Albträumen und Schlafproblemen meinerseits sein möchtest lässt du Ben noch einmal umdrehen, ja?

*grusel*

Schickst du mir eine ENS, wenn das nächste Kapitel da ist?
Mit eventuell einer Gruselwarnung wenn es nötig ist?
Klein Mai kriegt doch so leicht Angst....


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