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Ein Leben ohne Vergangenheit?

Isamu - Die Suche nach dem Ich
von

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Bitteres Erwachen

Er schlug die Augen auf, doch ein sehr helles Licht blendete ihn und er schloss sie sogleich wieder. Der Geruch von Erde stieg ihm in die Nase. Erde, vermischt mit dem Geruch von Schweiß. Jetzt erst bemerkte er, dass er auf dem Boden lag. Hart und knöchern war er. Ein Gedanke, kurz und jäh, schoss ihm durch den Kopf: »Wo bin ich?«

Obwohl ihm die Zeit auf dem Boden mit geschlossenen Augen vorkam wie eine Ewigkeit, war es in Wirklichkeit doch nur eine kurze Weile, ein Augenblick, ein Herzschlag. Er spielte mit dem Gedanken, die Augen für immer geschlossen zu halten, dem gleißenden Licht zu entfliehen und noch eine Ewigkeit länger die innere Zufriedenheit zu spüren, die gerade durch seinen Körper strömte. Es drang gar ein leises Zwitschern der Vögel an sein Ohr, so lieblich und zart, als ob es eine Sinfonie der herrlichsten Töne wäre.

Doch kaum spürte er eine wohlige Wärme sich in seinem Körper ausbreiten, zerstörte ein kühler Windstoß seinen Frieden. Er musste die Augen öffnen und der Wahrheit ins Auge blicken. Nur einen Spalt breit, weiter wollte er seine Lider nicht entzweien. Und kaum drang der erste Lichtstrahl auf seine Netzhaut, schon war alles so hell, dass er seine Augen aus dem Reflex heraus allein schloss. Einen weiteren Augenblick, und damit einer weiteren halben Ewigkeit, konnte er seiner Seele Frieden schenken. Doch anstatt wieder in Träumereien zu versinken, stellte er sich nun ernsthaft die Frage nach seinem Aufenthaltsort. Draußen in der Natur musste er wohl aufgewacht sein. Denn wo sonst würde man Erde riechen, einen verwurzelten Boden spüren und die Vögel singen hören? Vielleicht war er sogar in einem Wald zu sich gekommen. Er wollte wissen, wo er war und auf einmal schien ihm die Idee, auf ewig die Augen geschlossen zu halten, recht albern. Was könnte ihm das schon bringen? Fest nahm er sich vor, die Augen zu öffnen, und der Wirklichkeit ins Angesicht zu blicken. Zunächst hielt er sich die Hände schützend vors Gesicht, doch schon bald konnte er die ersten Umrisse erkennen.

»Bäume«, murmelte er leise vor sich hin.

Er schien mit seiner Vermutung richtig zu liegen. In den Baumkronen bewegte sich etwas und bei näherer Betrachtung sah er die Vögel von Ast zu Ast hüpfen. Nachdem er dieses Schauspiel eine Weile beobachtet hatte, sah er sich weiter um. Ein Weg führte einen Hügel hinunter, ein anderer verlor sich im dichten Geäst der Bäume. Welchen sollte er nehmen, da ihm doch gar nicht bekannt war, wo er überhaupt herkam? Er besah seine Hände, sie waren schmutzig, ebenso seine Kleidung. Die Hose war an einer Stelle arg zerrissen und brachte eine tiefe Fleischwunde hervor. Notdürftig legte er einen Verband an, indem er von seiner Hose ein Stück abtrennte und über die Wunde legte. Doch wie sollte er dieses kleine Stück Stoff an seinem Bein befestigen? Die braune zerschlissene Weste, die er trug, war ungeeignet, doch ihm fiel das wohl einzig Kostbare an ihm auf. Ein Gürtel, aus robusten schwarzen Ledern mit einer reich verzierten Schnalle, welche ein Wappen zu tragen schien. Doch auch daran konnte er sich nicht erinnern. Diesen Gürtel konnte er sich um sein schmerzendes Bein schnallen und somit seine Wunde vorerst verschließen.

Als er eine Weile den Vögeln zusah, wie sie mit dem Nestbau begannen, versuchte er sich die Zeit vor seinem Erwachen ins Gedächtnis zu rufen. Wie war er hier hergekommen und was das für merkwürdige Kleidung an seinem Leib? Doch er erinnerte sich an nichts, seine gesamte Vergangenheit lag im Dunkeln. Wer waren seine Eltern und wo waren sie? Wie hieß er und wie alt war er eigentlich? Erdrückt von dem Gefühl, nicht zu existieren, begann er langsam dem kleinen Weg den Hügel hinunter zu folgen. Immer wieder tauchten Fragen auf, Fragen, auf die er einfach keine Antwort fand. So taumelte er eine ganze Weile durch den Wald, immer weiter den Weg entlang. Ein anschwellendes Geräusch von plätscherndem Wasser riss ihn schließlich aus diesem Loch der Gefühle. Das Nass war klar und kühl, welches er aus dem Bach mit beiden Händen schöpfte, um sich ein wenig zu erfrischen. Plötzlich erkannte er im Wasser sein eigenes Gesicht. Eine Schnittwunde, die er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte, verlief quer über seine Wange. Wo hatte er sich die Wunde zugezogen? Sie sah noch recht frisch aus, höchstens ein paar Stunden alt. Und was er ebenfalls feststellen konnte: sie tat noch weh bei Berührung. Als der Schmerz nachließ, versank er wieder in Gedanken.

»Was soll ich jetzt nur tun?«, fragte er sich, die leeren Augen auf den Bach gerichtet. »Wo soll ich hin?«

Ein Ast trieb im Wasser dahin und da fasste er den Entschluss, am Bach entlang zu wandern, bis er diesem Wald entkam. So gingen einige Stunden ins Land. Immer einen Fuß vor den anderen setzend, stolperte er, nur langsam vorwärts kommend. Die herunterhängenden Zweige der alten Bäume waren ihm ständig im Weg, und so musste er oft einen kleinen Umweg machen.

Die Sonne glühte in einem hellen Rot, als er endlich den Rand des Waldes erreichte. In wenigen Augenblicken würde sich die Nacht über ihn legen. Ein weicher Grashügel bot ihm einen bequemen Platz, um sich ein wenig nach dem langen Marsch hinzusetzen und den müden Füßen und seiner Wunde am Bein eine kurze Pause zu gönnen. Der Feuerball sank nun immer schneller gen Horizont, doch ehe er vollkommen verschwinden konnte, offenbarte sich ihm ein letztes Mal für diesen Tag die vor ihm liegende Landschaft. Er konnte eine weite flache Wiese erkennen, in dessen Mitte, nicht weiter als einen halben Tagesmarsch entfernt, ein kleines Dorf aus dem Boden ragte. Obwohl eben noch alles hell erleuchtet war, begann innerhalb eines Augenblickes alles schwarz zu werden und ihn übermannte ein tiefer Schlaf.

Er war allein und hörte aus der Ferne Schreie. Er rannte los und ein ungutes Gefühl erfüllte ihn, als er sich ihnen näherte. Ein paar Leute kamen ihm mit angstverzerrtem Gesicht und Tränen auf den Wangen entgegen, doch er beachtete sie nicht. Weiter, immer weiter rannte er zu einem brennenden Haus hin, vor dem einige Männer standen, die er nicht erkannte.

»Ich geh da nicht hinein. Ich bin doch nicht lebensmüde!«, protestierte einer.

Als er näher kam, sprach ihn einer an.

»Du kommst genau richtig, Faulpelz! Du willst also immer noch zu uns gehören, ja? Dann beweise uns deinen Mut und bringe uns die Waffen!«

Todesmutig rannte er durch die Flammenwände und erreichte einen Raum, in dem einige Truhen standen. Er öffnete eine nach der anderen und suchte die Schwerter. Als er bei der letzten Truhe angelangt war, hörte er aus der anderen Ecke des Raumes ein leises Stöhnen. Er hielt sofort inne und drehte sich um. Ein Mann lag dort, das Gesicht voller Ruß. Er hatte sich scheinbar bei der Flucht sein linkes Bein eingeklemmt und der offene Bruch hinterließ rote Spuren auf seiner Hose.

»Hilfe!«, schrie der Mann. »Bitte hilf mir!«

Ein Balken krachte gefährlich und der er half dem Mann aus dem brennenden Haus zu entkommen.

»Was soll das, du Nichtsnutz?«, fragte einer der Männer, die vor dem Haus standen und auf seine Rückkehr mit der Beute warteten. »Du willst diesen Mann doch nicht etwa retten? Die Bewohner dieses Dorfes haben sich geweigert sich uns anzuschließen und verdienen es nicht zu leben!«

Der Mann kam näher. Sein Gesicht war nun dicht vor ihm. Im Feuerschein war eine Narbe quer über seiner Wange zu erkennen.

»Siehst du die Narbe?«, und deutete mit seinem Finger darauf »Wenn du zu uns gehören willst, dann tu, was wir dir sagen! Da du sein Leben in dem Haus verschontest, wirst du diesen Fehler wieder gutmachen, indem du ihn jetzt seinem Schicksal überlässt.«

Der Mann am Boden schrie auf. Er ahnte, dass sich sein Leben dem Ende näherte.

»Nein! Nein, bitte tötet mich nicht! Bitte!«

»Jetzt mach schon, töte ihn!«, brüllte der Mann mit der Narbe im Gesicht und schubste den einstigen Retter zu dem wimmernden Mann am Boden. Er warf etwas auf den Boden und sagte: »Hier, nimm das Messer und beeile dich, wir haben keine Zeit!«

Noch benommen von der Hitze im Haus nahm er das Messer auf und beugte sich über den schluchzenden Mann. Er hob den Arm, bereit zum Zustechen, doch etwas hemmte ihn. Ein Strom von Gefühlen und Gedanken hinderte ihn an dieser schrecklichen Tat. Er konnte doch nicht einfach einen wehrlosen Mann umbringen! Was konnte der arme Mann dafür, dass er in diese Situation geraten war? Für ihn war er unschuldig, jemand, zu dem er keine Beziehung hatte. Er schloss die Augen und hörte in aller Deutlichkeit die Rufe der Umherstehenden. »Töte ihn!«, »Worauf wartest du?«, »Tu es!.« Er wusste nicht, was er tun sollte. Zum einen wollte er Mitglied in der Gruppe werden, zum anderen fand er es falsch, wehrlose Menschen umzubringen! Er hielt die Augen weiterhin fest verschlossen und geriet in eine Art Trance. Dann geschah es, sein Arm wurde schwer und sauste, mit dem Messer fest in der Hand, auf den am Boden liegenden, schreienden Mann nieder.

Schweißgebadet wachte er aus diesem schrecklichen Albtraum auf. Er konnte es nicht fassen. War das nur ein Traum, oder war er einst Realität? Nein, er konnte niemanden umbringen, er wollte niemanden umbringen! Doch was war passiert vor jenem Augenblick, als er im Wald zu sich kam? Was, wenn er wirklich einmal so oder so ähnlich gehandelt hatte? Eine starke Übelkeit überkam ihn, doch er riss sich zusammen. Ängstlich und voller Scham blickte er sich um. Es war niemand in seiner Nähe. Er war allein, allein in der Dämmerung. Das Grau der Bäume wich langsam einem zarten Grün. Er blickte in Richtung der weit entfernten Berge und sah, dass die Sonne bald ihre ersten Strahlen über das Land vor ihm werfen würde. Alles sah so friedlich aus. Er fühlte geradezu die Harmonie der Natur. Doch er konnte nicht hier bleiben, denn ein starkes Hungergefühl überkam ihn. In diesem Wald würde er wohl nicht finden, wonach er suchte. Er wollte Antworten! In der Hoffnung, in dem nicht mehr weit entfernten Dorf, endlich seine Fragen beantwortet zu bekommen, lief er los. Doch schon nachdem er nur einige hundert Schritt mit schmerzenden Beinen gegangen war, wurde ihm bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wie er denn in Erfahrung bringen konnte, wer er war. Er kannte schließlich niemanden und auch ihn würde niemand kennen. So lief er immer weiter, bis die Sonne ihren höchsten Stand erreichte. Sein Hunger wurde immer unerträglicher, doch das Schlimmste war sein Bein, welches nun langsam taub zu werden begann und umso heftiger schmerzte. Ein immer stärker werdendes Schwindelgefühl machte ihm zu schaffen, sodass er, nur noch wenige Schritte von der ersten schäbig aussehenden Holzhütte entfernt, das Bewusstsein verlor und zusammenbrach. Er glaubte Stimmen in seinem Kopf wahrzunehmen. Eine Stimme, die er schon einmal gehört hatte. Es war die des Mannes auf dem Boden aus seinem Traum. Er schrie und schluchzte. »Nein! Nein, bitte töte mich nicht! Bitte!.«

Um ihn herum war es dunkel, als er wieder die Augen öffnete. Nur eine einzelne Lampe erhellte ein wenig den Raum mit schwachem Licht. Noch immer war ihm schwindlig zumute, doch er konnte noch einen großen Schrank zu seiner Rechten erkennen, bevor jemand die papierbespannte Tür zur Seite schob.

»Du bist ja wach«, sagte eine freundlich lächelnde alte Frau.

Ihre langen, mittlerweile ergrauten Haare waren zu einem festen Knoten zusammengebunden und sie trug einen kleinen Eimer mit Wasser darin.

»Da du nun wach bist, kannst du dich ja selbst waschen, mein Junge. Heißt du?«

Bevor er aber auch nur ein Wort hätte sagen können, fuhr sie fort.

»Ich bin Kurosawa Megumi, die Frau von Kurosawa Masao. Uns gehört diese kleine Herberge hier. Mein Mann fand dich unweit unseres Dorfes. Er sagte, du warst bewusstlos. Er hat so ein reines Herz. Er konnte dich dort nicht liegen lassen. Und so brachte er dich hierher. Ich habe mich bereits um deine Wunden am Bein und im Gesicht gekümmert. Sie sah schrecklich aus und du kannst glücklich sein, dass mein Mann dich gefunden hat, denn nicht mehr lange und deine Wunden hätten sich furchtbar entzündet. Wenn es dir wieder besser geht, dann möchte mein Mann, dass du zu ihm kommst. Glaubst du, du kannst laufen?«

Er setzte sich auf und ein jäher Schmerz zuckte durch sein verletztes Bein. Doch er dauerte nicht lange an und verschwand so schnell wie er gekommen war.

»Danke, dass Sie mich aufgenommen haben, Frau Kurosawa. Ich glaube, ich kann dank Ihrer Pflege wieder laufen.«

»Dann komm bitte mit«, und sie wies mit einer einladenden Geste in Richtung Tür.

Durch diese gelangten sie auf einen kleinen Hof, vorbei an einem kleinen Brunnen und einem gepflegten Garten, in dessen Mitte eine steinerne Buddha-Statue saß. Aus einem Stall drang das Wiehern eines Pferdes und er sah, wie einige Leute ihrer Arbeit nachgingen. Wieder im Haus, sah er an den Wänden einige Landschaftsbilder und auch einen Ständer, auf dem Schwerter aufbewahrt werden konnten. Trotz einiger kunstvoll verzierten Bilderrahmen wirkte der Eingangsbereich schäbig. Eine junge Frau kam aus einer Tür und verneigte sich vor Frau Kurosawa.

»Führe unseren Gast doch zu Herrn Kurosawa.«

Mit einer weiteren Verbeugung sagte die junge Frau: »Wie Sie wünschen«, und deutete dem etwas im Hintergrund stehenden Fremden an, ihr zu folgen.

»Setz dich zu mir«, sagte eine tiefe, aber freundliche Stimme und er setzte sich zu dem auf dem Boden knienden, alten Mann. Dieser lächelte ihn an und er wirkte trotz der grauen Haare und der vielen Falten im Gesicht recht jung. Er war ein wenig untersetzt und trug einen schlichten Kimono. Dennoch zeugte seine gerade Haltung von Würde. »Ich bin Kurosawa Masao, der Herr dieser Herberge. Wie ich sehe, geht es dir soweit wieder gut, denn als ich dich fand, warst du bewusstlos. Deshalb hatte ich bisher noch keine Möglichkeit dich zu fragen, wie dein Name lautet.«

Etwas verlegen, antwortete der Gerettete: »Ich kenne meinen Namen nicht. Ich wachte im Wald auf und weiß nicht, wer ich bin und wo ich war.«

»Das ist merkwürdig. Sehr merkwürdig. Nun, wie könnte ich dir helfen?«, sagte Herr Kurosawa und musterte ihn. »Wo willst du jetzt hin? Wenn du es nicht weißt, würde ich mich freuen, wenn du noch hier bleibst. Du könntest im Stall aushelfen, dort gibt es immer etwas zu tun.«

»Sehr gern.«

»Gut, dann werde ich meiner Frau davon berichten lassen. Sie soll dir neue Kleider geben, und ich gebe dir einen Namen. Wenn es dir recht ist, würde Isamu gut passen. Dieser Name wird denjenigen gegeben, die mutig und tapfer sind. Und Mut und Tapferkeit wirst du brauchen, wenn du deine Vergangenheit in Erfahrung bringen willst.«

»Ich danke Ihnen«, sagte er zu Herrn Kurosawa in einer tiefen Verbeugung.

»Kumiko, die Frau, die dich zu mir hereinführte, wird dich zu deinem Zimmer begleiten. Dort kannst du dich umziehen und im Anschluss wird sie dich zu Gosho, unserem Stallmeister, bringen.

Wieder in dem Zimmer seines Erwachens, war er gerade dabei sich umzuziehen, als ihn ein erneuter Strom von Gedanken überkam. Jedoch war er im Gegensatz zum letzten viel zuversichtlicher, da er nun nicht mehr allein war. Sobald er bereit war, würde er sich aber auf die Suche nach seiner Vergangenheit machen. Das nahm er sich fest vor. Nachdem er seine neue Kleidung angezogen hatte, betrachtete er etwas genauer die Schnalle an seinem Gürtel mit dem Wappen darauf. Es zeigte einen Kreis aus drei Schwertern, in dessen Mitte ein Kranich stand. War das eine Art Familienwappen? Sein Familienwappen? Woher hatte er den Gürtel? Ob Herr Kurosawa mehr über dieses Wappen wusste? Im selben Moment drang Kumiko´s Stimme von der anderen Seite der Tür zu Isamu.

»Seid Ihr fertig?«

»Ja«, antwortete er, noch in Gedanken mit dem Gürtel beschäftigt. Schon einige Augenblicke später führte Kumiko ihn zu Gosho, dem Stallmeister. Mit einer Verbeugung verabschiedete sie sich und Gosho trat näher an Isamu heran. Er trug ein einfaches Gewand und hatte ein strenges Gesicht, welches durch leichte Falten um Mund und Augen und einem festen Knoten in den langen schwarzen Haaren noch etwas ernster wirkte. Mit rauer, tiefer Stimme sprach er: »Du bist also Isamu? Ich bin Gosho der Stallmeister. Jedoch bin ich mir sicher, dass du das bereits erfahren hast. Viele Jahre schon arbeite ich für Kurosawa Masao und sorge stets dafür, dass die Rösser der Reisenden gut behandelt werden. Allerdings würde ich das allein niemals schaffen, deshalb habe ich einige Gehilfen. Einer von ihnen heißt…« und Gosho pfiff laut durch die Zähne »…Manabu.«

Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, schon tauchte zu seiner Seite ein junger Mann auf. Auch er hatte wie Gosho sein schwarzes Haar zu einem Knoten gebunden, jedoch wirkte er viel freundlicher. Mit einem Lächeln verbeugte er sich und der Stallmeister fügte hinzu: »Er wird dich in deine Arbeiten einweisen. Wenn du eine Frage hast, dann wende dich zuerst an ihn. Er kennt sich hier gut aus und wird dir alles, was du wissen musst, zeigen. Und nun verliert keine Zeit, es gibt genug zu tun.«

Nachdem Gosho in einem der Ställe verschwunden war, sprach Manabu: »Tja, wo fangen wir am besten an? Ich hab eine Idee. Nun Isamu, unsere Aufgabe besteht darin, die Pferde der Gäste zu pflegen, denn sie sind von der langen Reise erschöpft. Sie müssen gefüttert und gestriegelt werden und wir müssen ihre Mähne neu flechten. Und dann wäre da noch das Auskratzen der Hufe. Eine Arbeit, die du lieben wirst, ist das Ausmisten der Ställe. Das wird auch unsere erste Aufgabe sein, denn nur wenn der Stall sauber ist, fühlen sich die Tiere wohl.«

Bevor die beiden mit dem Ausmisten begannen, zeigte Manabu ihm noch, wo all die Gerätschaften verstaut wurden.

»Hier in diesem kleinen Stallanbau findest du alles, was für die Pflege der Pferde benötigt wird. So, lass uns beginnen. Nimm dir schon einmal, was du brauchst und dann geht’s auch schon los«, sagte Manabu und konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. So verging der Tag und als die Sonne langsam gen Horizont sank, kam Gosho zu Isamu und Manabu, um zu sehen, wie sich der Neuling an seinem ersten Tag geschlagen hatte.

»Isamu hat mir wirklich viel geholfen, Meister Gosho. Noch ein paar Tage, und er wird mir noch besser zur Hand gehen können.«

Gosho nickte zustimmend. So verging die Zeit, in der Isamu das Handwerk eines Stallknechts kennenlernte.

Wie gewohnt stand er schon in aller Frühe auf, um den Pferden ihre Futtervorräte aufzufüllen. Er ging in die Gerätekammer um die Bürste zu holen, lud mit einer Heugabel neues Heu in die Futterkorb und begann den Stall auszumisten. Plötzlich tippte ihm jemand von hinten auf den Rücken.

Er drehte sich in der Erwartung um, Manabu hatte sich angeschlichen, um ihm einen Streich zu spielen. Doch vor ihm stand ein großer schwarzer Hengst und wieherte laut.

»Hast du mich erschreckt.« Wieder wurde Isamu angestupst. Das Tier hatte es auf die Karotten in seiner Tasche abgesehen.

»Du bist wohl ein ganz Schlauer, was? Hier hast du was Feines.«

Er streichelte über die lange dunkle Mähne und fühlte eine seltsame Vertrautheit, obwohl er sich nicht erinnern konnte dieses Pferd schon einmal gesehen zu haben. Der Hengst sah ihn an und Isamu versuchte sich an diese Augen zu erinnern, doch er konnte es nicht.

»Hier bist du ja, Isamu. Wie ich sehe hast du dich bereits mit dem Hengst angefreundet. Er gehört einem Reisenden, der gestern spät in der Nacht eine Unterkunft suchte.« Es war Manabu, welcher gerade in den Stall trat.

Kurz darauf kam Gosho mit einem finsteren Blick in den Stall geeilt.

»Shun´s Besitzer, Herr Matsuko, hat´s sehr eilig und verlangt nach ihm. Ein ungehobelter, unfreundlicher Mann dieser Matsuko.«

»Shun? Ist das der Name des Hengstes?«, fragte Isamu.

»Allerdings. Und der Name passt vorzüglich zu dem edlen Tier. Nun sollte ich mich aber beeilen, bevor Herr Matsuko sich noch bei Meister Kurosawa über mich beschwert.«

Dann verschwand er mit dem Pferd aus dem Stall.

»Ich wette, Herr Matsuko ist zu Shun nicht sonderlich gut. Hast du diese Wunden an seinem Hinterleib bemerkt? Die stammen von Peitschenhieben. Das arme Tier. So darf man doch seinen treuen Begleiter nicht behandeln«, schimpfte Manabu.

»Wieso sagte Meister Gosho vorhin, dass der Name vorzüglich zu dem Pferd passt? Was bedeutet er?«, fragte Isamu. Er hatte diesen Namen noch nie gehört.

»Nun, der Name Shun bedeutet soviel wie „gutes Pferd“. Und das ist es auch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grobian wie Herr Matsuko einem Pferd einen solchen Namen verleiht. Viel eher denke ich, dass ein wahrer Pferdefreund dies tat. Vielleicht musste der sein Pferd dann verkaufen. Tja, Shun hat´s nicht leicht.«

Isamu nickte zustimmend.

»Bist du fertig mit den Stallarbeiten?«, fragte ihn Manabu, als er gerade das Striegeln eines Pferdes beendete. »Lust auf einen Ausritt? - Du kannst doch reiten, oder?«, fügte er schnell hinzu, als er Isamu´s Gesichtsausdruck sah.

»Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern es je probiert zu haben«, antwortete er.

»Tja, dann wird es ja höchste Zeit. Ich habe heute das Pferd meines Onkels ausgeliehen bekommen. Ich dachte mir, wir können uns die Zeit mit einen Ausritt vertreiben. Jedoch, wenn du noch nie geritten bist, dann würde ich vorschlagen, wir fangen mit Reitstunden an.«

Kurz darauf saß Isamu zum ersten Mal – zumindest soweit er zurück denken konnte – auf einem Pferd. Es war ein wirklich merkwürdiges Gefühl, da sich die Stute mit einem starken Ruck plötzlich in Bewegung setzte.

»Verzeih ihr. Mein Onkel nutzt sie normalerweise, um die schweren Pflüge über seinen Acker zu ziehen. Ihr Name ist übrigens Kiriko.«

Indem Manabu etwas an den Zügeln zog, folgte sie ihm und sie drehten eine kleine Runde um die Herberge. Isamu wurde dabei ganz schön durchgeschüttelt, hielt sich dennoch tapfer im Sattel.

»Für den Anfang gar nicht mal so schlecht, versuche jedoch dich den Bewegungen des Pferdes anzupassen. Du darfst nicht zu fest und zu steif im Sattel sitzen.«

Wieder ein starker Ruck, der Isamu jedoch nicht so sehr überraschte wie beim ersten Mal und Manabu führte Ross und Reiter eine weitere Runde um die Herberge. Er versuchte Manabu´s Ratschläge so gut wie möglich umzusetzen und es wirkte. Nach einer Weile bekam er langsam ein Gefühl für das langsame Reiten auf Kiriko. So verging die Zeit und als es dämmerte, fasste Manabu Isamu´s ersten Reittag noch einmal zusammen.

»Im Vergleich zu heute Mittag, hast du dich um Einiges verbessert. Nun da die Anfänge gemacht sind, heißt es: weiter üben. Wenn du Lust hast, gleich morgen wieder, wenn alle Arbeiten erledigt sind.«

Isamu nickte und freute sich schon auf seine nächste Reitstunde. Am Abend, dachte er noch einmal an den nun zur Neige gehenden Tag. Wie schön es doch war, auf dem Rücken von Kiriko um die Herberge zu reiten. Noch war es nur im Schritttempo, aber er würde eines Tages schnell wie der Wind übers Land reisen. Er spielte mit dem Gedanken, ein eigenes Pferd zu besitzen. Doch das war im Moment unmöglich, denn er besaß nichts von Wert, was er gegen ein Pferd hätte eintauschen können. Nicht einmal eine Vergangenheit hatte er vorzuweisen. Doch wenn er sich seinen Wunsch eines Tage erfüllen könnte, würde er sein Pferd gut behandeln. Wie einen Gefährten, wie einen Freund! Und auf einmal dachte er an Shun, den schwarzen Hengst und an die Art, wie Herr Matsuko ihn, nach Manabu´s Meinung, behandelte. Das arme Tier tat ihm schrecklich leid, doch er konnte nichts unternehmen, denn ihm gehörte das Pferd nicht. Mit diesen Gedanken wiegte er sich in den Schlaf, voller Vorfreude auf den kommenden Tag

Nach dem Mittagessen trafen sich Manabu und Isamu wieder am Stall und wenige Augenblicke später saß Isamu wieder auf Kiriko´s Rücken. Nach einer kurzen Einführungsrunde, welche Isamu zu Manabu´s Zufriedenheit ganz gut meisterte, gingen sie nun über in den Trab. Da ging es schon etwas schneller voran. Am Abend fragte ihn Manabu, ob sie sich nicht zusammen in der Gegend umsehen wollten. Schon nach einigen Schritten aus dem Gehöft der Kurosawas erkannte Isamu, warum Manabu ihn an genau diesem Tag gefragt hatte. Vor einem Wirtshaus in ihrer Nähe sah er eine Gruppe von Männern. Es wurde viel gelacht und um das Feuer herumgetanzt.

»Was hältst du davon, wenn wir uns auch etwas zu trinken gönnen?«, brüllte Manabu durch die Rufe vieler Kehlen Isamu zu.

»Gern, aber was wird denn hier überhaupt gefeiert?«, brüllte Isamu zurück.

»Dieses Fest ist Buddha gewidmet, denn er hält seine Hand schützend über unser Dorf. Siehst du diese Opferschalen dort drüben? Sie werden nachher in das große Feuer geworfen, sodass Buddha unsere Opfergaben über den göttlichen Wind empfangen möge. – Ich weiß, dass ich dir noch nicht gesagt habe, dass ich Buddhist bin, aber in unserem Dorf ist es üblich, religiös zu sein«, fügte Manabu schnell hinzu, als er Isamu´s fragende Augen sah

»Bist du nicht religiös, Isamu?«, fragte er.

»Nein, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, je an einen Gott geglaubt zu haben.«

Seit jenem Moment, in welchem er im Wald erwachte, waren nun schon mehr als fünf Mondphasen vergangen. Heute befand er sich nun zum ersten Mal im Dorf. Wo war er schon alles gewesen, vor jenem Moment des Augenaufschlags? War er viel herumgekommen? In Gedanken versunken bemerkte er nicht einmal, dass Manabu schon zur Schenke gegangen war, um etwas zu trinken zu bestellen. In der Menge suchend, fanden seine Augen letztendlich ihr Ziel.

»Wo warst du, du Tagträumer? Ich dachte schon, ich müsste dich suchen. Hier nimm erstmal diese Schale.«

Kurz darauf goss er Isamu ein klare Flüssigkeit ein mit den Worten: »Probier mal. Das ist Sake, auch Reiswein genannt.«

Als Isamu ansetzen wollte, um die Schale zu leeren, hörte er jemanden Manabu´s Namen rufen. Beide drehten sich um und entdeckten ein hübsches Mädchen, welches zu ihnen kam.

»Riu, ich wusste ja gar nicht, dass du auch hier bist«, antwortete Manabu verdutzt.

»Wenn ich euch kurz vorstellen darf. Riu, das ist Isamu. Er ist erst seit ein paar Mondphasen bei uns. Meister Kurosawa fand ihn in der Nähe unseres Dorfes. Seitdem wohnt er bei uns. Und das Isamu, ist Riu. Sie ist die Nichte eines guten Freundes von Meister Kurosawa. Früher wohnten sie noch in unserem Dorf und wir haben als Kinder oft miteinander gespielt, wenn ihr Onkel bei Meister Kurosawa zu Besuch war.«

Riu verbeugte sich kurz und Manabu sah sie an.

»Möchtest du dich vielleicht zu uns gesellen?“

»Gern, wenn euch meine Anwesenheit nicht stört«, antwortete sie lächelnd.

Der Abend näherte sich seinem Höhepunkt. Alle waren schon mit den letzten Vorbereitungen für die Verbrennung der Opfergaben beschäftigt. Immer wieder liefen ein paar Dorfbewohner zu einem kleinen Häuschen, welches ein Vorratslager zu sein schien, und brachten Feuerholz und weitere Gaben.

»Entschuldigt mich bitte, ich hab zu viel getrunken. Ich bin gleich wieder da«, sagte Manabu leicht lallend und stolperte davon.

Riu, welche ihre Haare hochgebunden hatte, lächelte Isamu an. Und er spürte auf einmal in sich eine wohlige Wärme aufsteigen. Etwas schüchtern schaute er sie an, doch konnte er seinen Blick auch nicht von ihr abwenden. Sie trug einen zartrosa Kimono, auf den kleine Kirschblüten aufgestickt waren. Ihre zarten Hände passten gut zu ihrem hübschen Gesicht mit den großen braunen Augen. Diese wunderschönen Augen richteten sich nun auf ihn.

»Bedrückt dich etwas Isamu?«

Um abzulenken, antwortete er schnell: »Mir geht’s gut. Ich habe mich nur gerade gefragt, warum du allein hier bist.«

»Oh…«

Riu schaute flüchtig nach, ob Manabu wieder zurück sei. Dann antwortete sie: »Nun, ich wollte mich einfach ein wenig amüsieren. Ich habe nicht oft die Gelegenheit.«

»Verbietet dir dein Ehemann, das Haus zu verlassen?«, fragte Isamu weiter.

»Ich bin nicht verheiratet«, antwortete sie leicht beschämt. »Aber wenn ich es wär, dann wäre es doch normal, dass die Frau sich nicht auf Festen vergnügen darf«, murmelte sie etwas traurig vor sich hin.

»Oh…das wusste ich nicht. Haben deine Eltern dich denn nicht schon in deiner Kindheit verlobt?«

»Doch, haben sie, aber mein Verlobter starb vor unserer Vermählung. Und meine Eltern schieden auch zu früh aus dieser Welt.« Sie schaute in Gedanken versunken auf ihre Finger, welche sie im Schoß zusammengefaltet hatte.

»Das tut mir wirklich leid, dass deine Eltern schon verstorben sind.«

Riu nickte geistesabwesend. Ihre Augen füllten sich etwas mit Wasser, doch bevor sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen konnte, kam Manabu eilig auf sie zugeeilt.

»Riu, ich muss mit dir sprechen«, und er zog sie beiseite. Nach wenigen Worten im Flüsterton kam sie noch einmal auf Isamu zu, um sich knapp zu verabschieden. Ihr Gesicht wirkte nun sehr ernst und nichts verriet den kurzen Moment der Schwäche. Dann eilte sie davon.

»Manabu, was ist geschehen und was hast du ihr gesagt?«, fragte Isamu völlig verdutzt.

Manabu, welcher sich finster umsah, packte ihn an der Schulter und zog ihn weg von dem Fest. Die anderen Feiernden hatten scheinbar noch nichts gemerkt und so plauderten und tranken und sangen sie fröhlich weiter.

»Jetzt sag mir doch bitte, was los ist«, drängte Isamu, nun etwas hartnäckiger.

»Ich, ähm, habe vergessen, dass Meister Gosho mich gebeten hatte, dass ich noch ein Pferd versorgen soll«, antwortete er hastig, doch Isamu erkannte sofort, dass das nur eine Ausrede war.

Bevor er jedoch erneut fragen konnte, was geschehen war, hörte er in der Ferne ein lautes Knacken.

»Was war das?«, fragte Isamu und schaute Manabu entsetzt an.

»Ich weiß es nicht. Aber dass ist egal jetzt, wir müssen weiter!«, und er zog ihn weiter zur Herberge. Schnell und unerkannt entfernten sie sich von der Quelle jenes Knackens und erreichten wenig später den Stall der Familie Kurosawa. Manabu ließ sich in eine Ecke sinken und holte tief Luft. Isamu hingegen ging es viel besser. Er hatte kaum das Gefühl sich verausgabt zu haben. Ruhig atmend fragte er: »Was hat dieses Geräusch verursacht?«

»Isamu…« keuchte Manabu, nach Atem ringend »jetzt sind wir – in Sicherheit. Dieses Knacken… . Dieses Knacken wurde – wurde durch einen Kampf ausgelöst. Einen Kampf zwischen Gut – und Böse. Als ich noch jung war, da wurde unser Dorf – da wurde unser Dorf von einer solchen bösen Macht zerstört. Ich hatte Glück, denn ich war – einer der wenigen – Überlebenden. Meister Kurosawa nahm mich auf und lehrte mir, dass ich, wann immer ich das Böse spüre, weglaufen muss, da ich dieser Macht nicht gewachsen bin. Und das solltest auch du, Isamu!«

Ein Kampf zwischen Gut und Böse? Eine Macht, die solch laute Geräusche hervorbrachte bei einem Kampf, dass die beiden sie noch deutlich in einiger Entfernung vernahmen?

»Isamu, versprich mir, dass du – versprich mir, dass du weglaufen wirst, wenn du so etwas spürst.« Manabu sah ihn, noch immer nach Atem ringend, eindringlich an. In Gedanken versunken nickte er, doch in seinem Inneren wehrte sich etwas gegen die Akzeptanz dieser Unterdrückung. »Geh jetzt am besten schlafen. Du bist in Sicherheit und brauchst dir keine Sorgen machen.«

Isamu merkte, dass es wohl keinen Sinn hätte, noch länger zu versuchen Manabu die Wahrheit zu entlocken. Er nahm sich vor, ihn am nächsten Tag zu fragen, was geschehen war.

Am nächsten Morgen jedoch kam Manabu zu seiner Überraschung zu ihm in sein Zimmer. Er hatte schlecht geschlafen und musste in seinen zahlreichen wachen Momenten an die vergangene Nacht denken. Noch bevor Isamu seinen Freund nach den Geschehnissen ausfragen konnte, sprach dieser: »Isamu, ich soll dir ausrichten, dass Meister Kurosawa dich sprechen will.«

Verwundert folge er dieser Bitte und saß wenige Augenblicke später bei dem alten Herrn der Herberge.

»Isamu, kannst du dir vorstellen, warum ich dich zu mir kommen ließ?«, fragte Masao Kurosawa.

»Nein, Meister«, antwortete er, obwohl er eine gewisse Vorahnung hatte.

»Versprich mir, wenn du je wieder solch eine finstere Macht spürst, das Gleiche zu tun wie gestern Nacht! Renn weg! Eine solche Macht kannst du nicht besiegen!«

»Aber Meister«, unterbrach ihn sein Schützling.

»Genug! Versprich es mir, zu deinem eigenen Schutz.«

»Ja, Meister« antwortete er etwas niedergeschlagen.

»Nun Isamu, kommen wir zu einem anderen Thema. Ich habe nachgedacht, bin aber zu keinem Ergebnis gelangt. An jenem Tage, als ich dich vor unserem Dorf fand, bemerkte ich das Symbol auf deinem Gürtel. Es handelt sich um ein Familienwappen, jedoch weiß ich nicht, welcher Familie es angehört. Isamu, wenn du wirklich erfahren willst welcher Familie du entstammst, dann gehe nach Furuta. Dort wohnt jemand, der dir helfen kann. Er kennt die Wappen der Landesfürsten, den so genannten Daimyo.« Er hielt inne und betrachtete ihn aufmerksam. Nachdem sich Meister Kurosawa sicher war, dass das eben gegebene Versprechen keinesfalls die Lösung des Problems war, fragte er einfühlsam: »Was bedrückt dich mein Junge?«

»Gestern Nacht war ich mit Manabu im Dorf feiern. Da bekam er auf einmal eine gewaltige Angst und er zerrte mich hierher. Auf dem Weg habe ich ein lautes Bersten gehört. Es klang, als ob ein Dutzend Bäume auf einmal umgeworfen würden. Es war grässlich laut und…«

»Isamu!«, Meister Kurosawas Stimme hallte durch den Raum. Er sah ihn sehr streng an. Dann erweichte sich sein Ausdruck. »Ich weiß, was in dir vor sich geht. Ich fühle es. Ich war früher genauso. Zum ersten Mal kam ich im Alter von 19 Wintern mit der Macht des Bösen in Berührung. Damals rettete mich Meister Shinaka. Er warf sich zwischen mich und einen Menschen. Doch dies war kein gewöhnlicher Mensch! Das lass dir gesagt sein. Er war umringt von mittleren bis großen Steinen. So schwer, dass ein starker Mann schon Mühe gehabt hätte auch nur einen zu heben. Sie schwebten um ihn herum als wären sie so leicht wie Federn. Er schleuderte einen, ohne sich auch nur zu rühren, auf mich. Einen so großen jedoch, dass es einen Ochsen hätte erlegen können. Und wie gesagt, warf sich Meister Shinaka zwischen uns. Ihn umgab ebenfalls etwas. Jedoch waren das keine Gesteinsbrocken, sondern eher eine Art silberne Aura. Beide begannen sich zu bekämpfen und vor Angst schloss ich die Augen und erhoffte ein baldiges Ende.« Meister Kurosawa starrte eine Weile ins Leere. Dann fasste er sich wieder und fuhr fort. »Zwei Tage später besuchte er mich, um in Erfahrung zu bringen, wie es mir erging. Ich lebte zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Tagen in Angst. Der Grund dafür war, dass ich das Geschehene nicht verstehen konnte. Ich flehte ihn an, es mir zu erklären, doch er riet mir das Gleiche wie ich dir«, sprach er mit einem leichten Lächeln. Dann fügte er hinzu »Das Wichtigste ist, dass du das verstehen lernst, was dich am meisten belastet. Meister Shinaka erklärte mir, dass es neben den Kräften des Guten auch die Kräfte des Bösen gibt. Jene, in welchem der Geist des Guten steckt, kämpfen gegen das Böse. – Dann prüfte er mich. Er prüfte mich, ob auch in mir solch eine Aura zu finden sei. Doch die Enttäuschung war groß, als er mir mitteilte, dass sich jener Geist nicht zeigte. Und somit verschloss sich mir ein Leben als Kura-Ki-Batsu, was übersetzt soviel wie Böser-Geist-Bestrafer bedeutet. Ich brauchte viele Jahre, das zu akzeptieren. Zumal ich dem Bösen begegnet bin und es nicht begreifen konnte.«

»Meister, ich sah es nicht, dennoch muss ich wissen, ob es Teil meiner Vergangenheit ist. Bitte nennt mir den Weg zu Meister Shinaka.«

»Wenn du wirklich wissen willst, woher du entstammst, dann suche Meister Chi-on auf.«

»Meister Chi-on? Sagtet ihr nicht, dass Meister Shinaka euch prüfte? Mein Wunsch ist es, ebenfalls geprüft zu werden.«

»Isamu«, sprach Meister Kurosawa, »Meister Shinaka war ein alter Mann, zu jener Zeit. Viele Sommer sind seitdem ins Land gegangen. Er ging von uns, lange vor deiner Geburt. Jedoch gab er sein Wissen weiter, an Meister Chi-on.« Er schwieg. Dann, einige Augenblicke später fragte er mit forschendem Blick »Bist du bereit, eine beschwerliche Reise anzutreten? Denn der Weg ist weit und durchwachsen von Hügeln und Flüssen, die dich oft behindern werden.«

»Ja, Meister Kurosawa. Ich muss wissen, wer ich bin oder besser gesagt, wer ich war«, antwortete der Jüngling ohne lange zu zögern.

»Nun gut. Wenn du dir das so sehr wünschst, werde ich mein Möglichstes tun, um dir zu helfen. Soweit ich weiß, lebt Meister Chi-on zurückgezogen im Süden von Furuta, am Meer. Dort musst du nach ihm suchen. Ich kann dir leider kein Pferd geben. Du wirst wohl dorthin laufen müssen und wenn du dich beeilst, dann bist du in wenigen Tagen dort. Jedoch überlasse ich dir ein wenig Verpflegung für die Reise. Dennoch wirst du wohl nicht lange davon zehren können, also sei sparsam mit dem, was du hast.«

»Vielen Dank, Meister«, sprach Isamu mit einer tiefen Verbeugung. Schon am nächsten Tag waren die wenigen Habseligkeiten gepackt und Isamu war bereit zur Abreise.

»Pass gut auf dich auf und vergiss uns nicht, so wie den Rest deiner Vergangenheit«, sagte Manabu grinsend zum Abschied.

»Sobald ich Klarheit über mein vergangenes Leben habe, werde ich euch besuchen kommen, versprochen«, gab Isamu mit einem ernsten Gesichtsausdruck zurück.

Er verabschiedete sich noch von den restlichen Bewohnern der Herberge und wenige Augenblicke später kniete er bei Masao Kurosawa und seiner Frau und trank Tee. Die Teezeremonie, welche der alte Mann für ihn abhielt, dauerte eine ganze Weile, faszinierte ihn jedoch so sehr, dass er es kaum wahrnahm. Als die Becher geleert waren, verabschiedete ihn der Meister mit den Worten: »Denke immer daran, mein Junge, es ist nicht wichtig, wer du warst, sondern nur, wer du bist. Denn was immer du in deiner Vergangenheit erlebt hast, ist bedeutungslos. Nach einem solchen Neuanfang hast du stets die Möglichkeit, vergangene Fehler wieder gut zumachen. Reise dorthin, wohin dein Herz dich führt!«

»Ich danke euch für alles, Meister«, bedankte Isamu und begann seine lange Reise in die ihm unbekannte Welt.
 


 

Chi-on

Na anne, bis hierhin hast dus also geschafft wie versprochen ^^

jetzt muss du nur noch 7317 wörter lesen und du hast auch das zweite kapitel geschafft ^^

naja...und wenn du dann noch lust und zeit hast, ohne dass du deine PFLICHTEN (papier und so XDD) vergisst, dann kannst du, sofern es bereits freigeschaltet ist auch noch das dritte Kapitel lesen (nochmal 5672 wörter XDD)^^

VIEL SPAß DABEI ^^

Martin
 

Er zitterte leicht durch die kühle Nachtluft, denn seine Kleidung war dünn. Obwohl es am Tag sommerlich warm war, kühlte sich die Luft mit dem Erlöschen der letzten Sonnenstrahlen schlagartig ab. Seit nun schon knapp drei Tagen war er unterwegs. Sein improvisierter Vorratsbeutel, bestehend aus einem langen Tuch, welches er sich um die Schulter band, leerte sich von Tag zu Tag. Viel war es nicht, was Meister Kurosawa ihm mit auf den Weg geben konnte: Zwei kleine Brote, ein Jagdmesser, ein kleines Trinkhorn, welches er sich an seinem Gürtel befestigen konnte, und ein paar Yen. Um seine Vorräte zu schonen, versuchte er bei jeder Rast, sich mit dem Messer einen kleinen Hasen zu fangen, jedoch ohne Erfolg. Die meisten Tiere liefen schon davon, ehe er auch nur auf Steinwurfweite herankam. Jenen, welche ihn erst sehr spät entdeckten, half immer der Umstand, dass er das Messer nicht werfen konnte. Somit war er gezwungen, sich weiterhin seiner Vorräte zu bedienen. Das Einzige was er des Öfteren auffüllen konnte, war sein Trinkhorn. Da einem Fluss folgte, war stets für sauberes Trinkwasser gesorgt. Am vierten Tag brach er den letzten Kanten seiner zwei kleinen Brote an, wohl in dem Wissen, dass er sich im nächsten Dorf etwas Essbares besorgen musste. Erschöpft und hungrig zugleich setzte er sich auf einen Stein, der aus dem Boden ragte. Ein lautes Knurren drang aus dem Inneren seines Bauches und nach einem Dorf suchend schaute er sich um. Die Landschaft hatte sich nicht viel verändert seit jenem Tag, am Rande des Waldes, als er als ein Niemand allein sich selbst suchte. Doch eine gravierende Veränderung gab es. Er wusste zwar immer noch nicht, wer er war, wo er herkam, doch hatte er nicht für kurze Zeit ein Zuhause gefunden?. Manchmal wollte er nicht mehr wissen, was er vielleicht getan hatte. Manchmal wollte er einfach nur glücklich bei Meister Kurosawa in der Herberge wohnen. Das Erlebnis mit Manabu drängte sich jedoch immer wieder in seine Gedanken. Er hatte sich so hilflos gefühlt, so unterdrückt von einer Macht, die er nicht verstand und somit auch nicht akzeptieren konnte. Dieses Ereignis reichte aus, um ihm das Gefühl zu geben, seine liebgewonnene Welt hinter sich lassen zu müssen und sich wieder auf Reisen zu begeben. Isamu musste sich seiner Angst stellen.

Meister Chi-on. Was würde er bei ihm erreichen? Lebte in ihm solch ein Geist, den er brauchte um ein Kura-Ki-Batsu zu werden? Denn nur so konnte er bekämpfen, was er am meisten fürchtete, dass es auch Teil seiner selbst sein könnte. Das Böse. Das Verlangen anderen Unrecht widerfahren zu lassen, anderen Schaden zuzufügen. Solch ein Leben wollte er auf keinen Fall. Doch was waren dann seine Beweggründe im Traum gewesen, dass er zu einer Schar von Bösewichtern gehören wollte? Hatte er vor seinem Erwachen noch mehr Böses getan? War sein Leben bei Meister Kurosawa ein Neuanfang?

Ein neuer Funke brachte seinen Willen, das Böse zu bekämpfen, zum Glühen. Er erhielt eine neue Chance Gutes zu tun, und die würde er auch nutzen! Voller Tatendrang stand er auf. Hungrig lief er immer weiter und kam nach einigen tausend Schritt zu einem kleinen Dorf. Einige Dorfbewohner arbeiteten auf den Reisfeldern, andere in den vielen kleinen Gehöften.

»Bin ich hier in Furuta?«, fragte Isamu einen der Feldarbeiter.

»Dieses kleine Dorf?«, antwortete er amüsiert und lachte schallend. »Nein, das hier ist nicht Furuta. Du bist hier in Shikoku. Furuta liegt noch einen Tagesmarsch südlich von hier.«

»Vielen Dank. Wissen Sie, wo ich eine Malzeit bekomme?«

»Mhhh….du musst wissen, dass unser Dorf recht arm ist. Wir ernten kaum mehr, als was wir essen müssen. Wenn du hungrig bist, dann schlage ich vor, dass du bei dem alten Matsuko nachfragst. Er wohnt gleich in diesem großen Gehöft auf dem Hügel dort. Ihm gehört das Ackerland, auf welchem wir gerade stehen und noch viel mehr. Du solltest aber vorher noch wissen, dass er nicht gerade freundlich zu uns und anderen ist. Besonders nicht zu seinem Gefolge. Er schikaniert die Leute, die für ihn arbeiten. Aber einige von uns haben keine andere Wahl, wenn sie überleben wollen. Sei also nicht enttäuscht, wenn du nichts bekommst.«

Dankend verabschiedete Isamu sich von dem Reisbauern und ging in Richtung des Hauses, in dem Herr Matsuko wohnte. Nach einigem Grübeln fiel ihm wieder ein, wo er den Namen Matsuko schon einmal gehört hatte. Der Hengst, den er in Meister Kurosawas Stall traf, Shun, er war Matsukos Hengst. Wut kochte in ihm hoch, doch er beherrschte sich. Sein Ziel war es seinen Bauch zu besänftigen, nicht Herrn Matsuko für seine Taten gegenüber dem Pferd zu richten. An dem Gehöft angekommen klopfte er an die schwere Tür und einige Augenblicke später kam eine alte Haushälterin hervor. Sie lächelte Isamu freundlich an und fragte ihn hierher führte.

»Mein Name lautet Isamu. Ich bin auf der Reise nach Furuta und mir ist unterwegs die Verpflegung ausgegangen. Kann mir Herr Matsuko helfen?«

Die alte Frau sah ihn traurig an. »Es tut mir sehr leid, aber Herr Matsuko wird dich nicht empfangen können, da er sich selbst auf Reisen befindet.«

Nun schaute auch Isamu traurig drein. Wie aus Protest, nichts zu Essen zu bekommen, ertönte ein besonders lautes Knurren seines Magens.

Der Gesichtsausdruck der Frau änderte sich und wieder lächelte sie.

»Nun, deinem Magen scheint diese Absage nicht sonderlich zu gefallen. Warte hier, ich werde versuchen dir etwas zu besorgen.«

»Vielen Dank«, bedankte er sich mit einer Verbeugung und setzte sich, nachdem die Frau das Tor wieder schloss, auf einen nahe gelegenen, kleinen Fels. Nach einer ganzen Weile öffnete sich die Tür erneut und die Alte reichte ihm eine kleine Schüssel mit Reis.

»Es tut mir schrecklich leid, aber mehr konnte ich nicht für dich auftreiben, ohne dass das Fehlen Meister Matsuko erzürnen würde. Er ist leicht gereizt und lässt seinen Aggressionen freien Lauf.«

»Ich weiß«, antwortete er, mit den Gedanken an Shun.

»Ihr kennt Meister Matsuko?«

»Ja. Leider habe ich nur eine schlechte Seite von ihm kennengelernt. Ich arbeitete im Stall von Meister Kurosawa, dem Herren einer Herberge. Dort stupste mich eines Morgens ein schwarzer Hengst an. Es war Shun und man sagte mir, dass er Matsuko gehöre. Ebenso erfuhr ich, dass er sein Pferd nicht gut behandelt.«

Die Frau nickte traurig. »So behandelt er uns ast er zu allen. Einige von uns haben schlimme Verletzungen auf dem Rücken. Aber sie haben keine andere Wahl. Wir alle, die wir bei Meister Matsuko arbeiten, tun dies nur bedingt freiwillig. Wir haben zu wenig, um auf diese Möglichkeit zu verzichten.«

»Bitte nehmt dies hier an«, sagte Isamu und reichte ihr ein paar Yen. »Zum Dank für Eure Hilfe.«

Nach einigem Zögern nahm die Frau die kleinen Münzen dankend an. »Ich danke Euch vielmals. Ich werde - «

Ein lauter Ruf durchdrang die friedliche Stille. »Aya! Aya, wo bist du? Komm sofort her!«

»Es tut mir leid, ich muss zu Meister Kunoko. Vielen Dank!«, und sie verschwand schnell hinter der Tür und Isamu konnte hören, wie sie sich bei Meister Kunoko für ihr Zuspätkommen entschuldigte.

Er lief weiter gen Süden, bis er auf einem hohen Graskamm stehen blieb. Dort, nicht weit entfernt, machte er eine große Stadt aus. Es sah so aus, als ob die vielen Erhebungen aus dem Erdreich im Wasser schwammen, denn nun sah er zum ersten Mal das Meer. Konnte das Furuta sein? Voller Vorfreude auf das Treffen mit Meister Chi-on lief er nun immer schneller der Stadt entgegen. Als er endlich die Stadtmauer erreichte, erblickte er eine Torwache.

»Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?«, fragte die Wache streng.

»Mein Name lautet Isamu. Ist dies das Dorf Furuta?«, antwortete er.

»Wenn Ihr nach Furuta wollt, dann seid ihr hier richtig. Zu wem wollt Ihr genau?«, fragte Wachposten etwas freundlicher.

»Ich bin auf dem Weg zu Meister Chi-on. Kennt Ihr ihn?«

»Oh ja, ich kenne ihn. So wie jeder hier in unserer Stadt. Aber ihr werdet ihm wohl nicht begegnen, denn er empfängt schon seit Jahren keine Besucher.«

Isamu stockte der Atem. Der ganze Weg umsonst? Nein! Er würde einen Weg zu Meister Chi-on finden. Nur wie?

»Sagt mir, wo steht sein Haus«, fragte Isamu hartnäckig.

»Ihr gebt nicht auf, wie? Nun gut. Es liegt ja weiterhin an Meister Chi-on, ob er euch Eintritt gewährt oder nicht. Es ist dieses große Haus dort drüben. Zumindest ist das alles, was wir Stadtbewohner von seiner Behausung wissen. Wir vermuten jedoch, dass er nicht dort, sondern woanders, seine Schüler ausbildet. So war es vor vielen Jahren jedenfalls. Damals führte er seine Schüler gelegentlich fort, keiner weiß wohin, und sie kamen erschöpft wieder zurück.«

»Dieses Haus sagtet Ihr also?«, fragte Isamu und deutete auf ein großes, aber bescheiden aussehendes Gebäude. Als er sich gerade auf den Weg machen wollte, fügte der Mann noch hinzu: »Aber nehmt Euch vor der Wache am Haus in acht. Wenn man Euch nicht durch das Haupttor passieren lässt, solltet Ihr mit Gegenwehr rechnen, wenn Ihr Euch auf anderem Wege Zutritt verschaffen wollt.«

Nachdem Isamu ein paar Schritte gegangen war, fragte er sich, ob es wohl so offensichtlich war, dass ihn ein Nein der Torwache nicht hindern würde, es wenigstens zu versuchen, auf einem anderen Wege zu Meister Chi-on zu gelangen. Als er nur noch einen Steinwurf von dem Tor zu Meister Chi-on´s Haus entfernt war, erreichte ein Reiter auf einem schneeweißen Pferd und in einem lila-schwarzen Ninja-Kostüm das Tor. Ihm wurde geöffnet und er ritt geschwind weiter. Danach wurde das Portal wieder fest verschlossen und Isamu schritt weiter darauf zu. Er klopfte, und eine Luke mit einem Eisengitter davor öffnete sich.

»Was wollt Ihr?«, fragte eine tiefe Stimme.

»Mein Name lautet Isamu und ich bitte Meister Chi-on, mich anzuhören.«

»Verschwindet! Meister Chi-on kümmert sich nicht mehr um weltliche Probleme. Er empfängt schon seit Jahren niemanden mehr. Also sucht Euer Glück woanders«, und die Luke wurde lautstark zugeschlagen.

»Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nichts anderes erwartet«, gestand sich Isamu vor sich hinmurmelnd. Obwohl er keine Ahnung hatte, was er Meister Chi-on sagen sollte, wenn er sich ohne seine Erlaubnis bei ihm vorstellte, so nahm er sich dennoch fest vor, nicht aufzugeben.

Unauffällig, so glaubte er jedenfalls, schlich er an der nicht sehr hohen Mauer entlang und suchte die beste Möglichkeit, um über sie drüber zu klettern. An einer Stelle fand er einen Zugang. Einige Bäume boten ein wenig Sichtschutz, sobald er auf der Mauer war. Flink kletterte er an dieser Wand aus Stein hinauf, schaute sich oben noch einmal kurz um, ob ihn auch niemand bemerkt hatte und sprang in einen großen Garten hinab. Er landete auf weichem Gras, inmitten einiger Kirschbäume. Schnell suchte er Schutz in einigen dichten Sträuchern und verharrte dort eine ganze Weile. In dem großen Garten konnte er niemanden entdecken und auch um Meister Chi-on´s Haus waren keine Wachen postiert. Langsam über den Boden kriechend, bewegte er sich stetig vorwärts, bis seine Bewegung abrupt stoppte. Sein Gesicht wurde ins Gras gedrückt und sein Körper fühlte sich an, als wäre er am Boden festgeklebt.

»Was wollt Ihr hier?«, fragte eine tiefe Stimme.

»Ich möchte Meister Chi-on sprechen«, antwortete Isamu vor Schmerz aufstöhnend.

Er spürte eine kräftige Hand an seinem Hinterkopf, die ihn nach unten drückte. Zudem war sein Arm hinter seinem Rücken auf sehr unangenehme Weise verdreht, sodass er sich nicht rühren konnte.

»Ihr habt nicht die Erlaubnis der Torwache, eintreten zu dürfen. Warum erdreistet Ihr Euch, es dennoch zu versuchen, indem Ihr über die Mauer klettert?«

»Ich muss etwas Wichtiges über meine Vergangenheit erfahren. Und Meister Kurosawa riet mir, Meister Chi-on aufzusuchen. Bitte, es ist mir sehr wichtig, Meister Chi-on zu sprechen.«

Der Griff lockerte sich ein wenig und sein unerkannter Angreifer sprach in befehlendem Ton: »Ich führe Euch zu Meister Chi-on. Solltet Ihr jedoch versuchen zu entkommen, dann seid gewarnt. Es gibt hier einige versteckte Wachen und die werden Euch nicht passieren lassen. Also, bleibt bei mir!«

Nachdem sich der Griff an seiner verdrehten Hand vollends gelockert hatte, richtete Isamu sich wieder auf. Die Person, die ihn nun zu dem alten Meister führen sollte, trug ebenfalls, wie der Reiter am Haupteingangstor, ein lila-schwarzes Ninja-Kostüm mit vermummtem Gesicht. Nur ein kleiner Schlitz für die Augen war nicht verhüllt. Um seinen Bauch trug er einen schwarzen Gürtel, an welchem einige Wurfsterne und andere kleinere Waffen befestigt waren.

»Ihr geht voran. Ich will Euch im Auge behalten. Nun lauft zum Haus.«

Langsamen Schrittes bewegte er sich auf das bescheidene Bauwerk zu. Etwas von der Eingangstür entfernt befahl der Mann: »Halt, bleibt stehen! Ich muss Euch ab hier die Augen verbinden.«

Eingeschüchtert von den strengen Methoden, bot Isamu keinerlei Gegenwehr. Bereitwillig ließ er sich die Augen verbinden und wurde ab diesem Moment weiter geführt. Einige Schritt geradeaus, dann scharf rechts abgebogen, dann wieder geradeaus, dann wieder rechts, geradeaus, dann links…

Nach einigen hundert Schritt hörte er auf, sich den Weg einprägen zu wollen. Als der Weg durch den Irrgarten im Haus nach einer ganzen Weile immer noch kein Ende finden wollte , fragte er sich, wie groß so ein Haus wohl sein konnte. Dann brachte ihn ein Ruck zum Stehen.

»Wartet hier und nehmt die Augenbinde nicht eher ab, als man es Euch befiehlt!«, sagte die Wache, die ihn herführte streng und drückte ihn auf ein Sitzkissen. Er hörte eine Schiebetür aufgehen, und kurz darauf sich entfernende Schritte. Dann war es still.

Er saß eine Weile allein in diesem Raum, welchen er wegen der Augenbinde nicht sehen konnte. Wann würde Meister Chi-on hereinkommen? Würde er ihn noch lange hier allein warten lassen? Auf einmal ertönte eine Stimme.

»Isamu, Ihr könnt die Augenbinde nun abnehmen.«

Dass plötzlich eine Stimme erklang, erschreckte ihn so sehr, dass er heftig zusammenzuckte. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, nahm er die Augenbinde hastig ab, um zu sehen, wer sich in diesem Raum so lange vor ihm verbergen konnte. Die Gestalt eines alten Mannes, mit langem weißen Bart und geschorenem Haupt, saß ihm auf dem Sitzkissen gegenüber.

»Wie konntet ihr Euch so lange verbergen? Ich habe Euch nicht kommen hören«, fragte Isamu verblüfft.

»Nun Isamu, nur weil Ihr mich nicht hören könnt, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht da bin«, antwortete dieser mit einem Lächeln. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr zu mir gereist seid, um etwas über Eure verschollene Vergangenheit zu erfahren?«

Isamu traute seinen Ohren nicht. Wie konnte der Alte nur wissen, wieso er diese Reise auf sich genommen hatte? Überwältigt fragte er: »Woher wissen Sie, dass meine verlorene Vergangenheit der Grund für meine Reise zu Ihnen ist?«

»Nun ich hab meine treuen Gefolgsleute, die mir alle wissenswerten Informationen zukommen lassen.«

»Meister Chi-on, ich komme zu Euch, um mich von Euch prüfen zu lassen. Ich möchte ein Kura-Ki-Batsu werden, um verstehen zu lernen, was mich vor fünf Nächten verfolgte. Ich erhoffe so, mehr über meine Vergangenheit zu erfahren. Denn ich habe sie verloren.«

»Dass deine Vergangenheit mit dem Geiste der Kura-Ki-Batsu und dem Geiste des Bösen Hand in Hand geht, spüre ich deutlich. Du hast etwas an dir. Etwas, was eigentlich nur unseren Mächten vorbehalten ist. Die Fähigkeit zu lieben und diese Liebe zu beschützen. Dies ist dem Bösen völlig versagt. Die finsteren Mächte können nicht lieben. Sie zerstören eher alles um sich herum, was solcherlei Gefühle hegt. Diese Art dunkle Aura ist mit menschlichem Hass zu vergleichen. Nur ist er um ein Vielfaches stärker. - Doch, und das ist sehr merkwürdig, kann ich diese Aura ebenfalls in dir spüren. Normalerweise tritt bei jenen, die eine solche Begabung besitzen, nur eine der beiden Eigenschaften auf. Gut oder Böse. In dir jedoch spüre ich beides. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit es klug wäre, dich zu unterrichten und dir eine gewisse Macht zu verleihen.« Er schwieg.

Dann überkam Isamu eine große Sorge. In ihm steckte auch eine dunkle Seite? Was, wenn sie sich seiner bemächtigen würde und ihn schreckliche Dinge geschehen lassen könnte?

»Meister Chi-on, bitte unterrichtet mich und lehrt mir, Gutes zu vollbringen. Ich will nicht zu einem Mörder werden. Ich will nicht Menschen quälen! ...« Er verstummte. Zu schrecklich kam ihn die Tat vor, welche er in seinem Traum begangen hatte. Dieser arme Mann aus dem brennenden Haus. Hatte er ihn umgebracht? War das ein Teil seiner Vergangenheit? Was, wenn ihn die dunkle Seite führte? Würde sie es wieder tun? Bestand die Gefahr , selbst böse zu werden?

»Nun Isamu, ich sehe, wie verzweifelt du bist. Du hast Angst vor dem Bösen. Aber es handelt sich nicht um Angst vor dem Kampf. Vielmehr treibt dich die Sorge ,selbst so zu werden. Das verstehe ich. Ebenfalls verstehe ich deine Beweggründe, welche dich zu mir führten. Hör mir zu Isamu«, Isamu schaute den Alten hoffnungsvoll an. »Ich nehme schon lange keine neuen Schüler bei mir auf. Überall im Land gibt es Kura-Ki-Batsu, welche ihrerseits Schüler auf den Kampf vorbereiten. Doch es werden immer weniger. Immer weniger haben den Mut, sich dem schweren Weg zu stellen. Deshalb würden sich diese, zumeist viel jüngeren Meister sehr freuen, dich als neuen Schüler aufnehmen zu dürfen.«

Isamu ahnte, worauf Meister Chi-on hinauswollte. Traurig senkte er den Kopf.

»Doch haben diese Meister noch recht wenig Erfahrung, was die Ausbildung der Kura-Ki-Batsu betrifft. Und da in dir ein enormes Potential zu spüren ist, würden sie es vielleicht nicht schaffen, dich vollends als Kämpfer des Guten auszubilden. Bei dir besteht durchaus die Gefahr, dass du die Seiten wechselst. Deshalb werde ich bei dir eine Ausnahme machen«, verkündete ihm Meister Chi-on sein Urteil und vollkommen überrascht bedankte sich Isamu bei dem Alten. »Ich habe in meinem Leben schon viele Meister ausgebildet, welche inzwischen ebenfalls soweit sind, ihre Schützlinge zu neuen Kriegern zu erziehen. Persönlich kümmere ich mich nur noch um einen Schüler.«

Er klatschte in die Hände und eine alte Haushälterin kam herbeigeeilt.

»Isamu, das ist Chiyoko. Sie wird dich in dein Zimmer bringen, wo du wohnen wirst.« Er wandte sich an die alte Frau. »Führe Isamu bitte in sein Zimmer.«

Sie verbeugte sich und Isamu folgte ihr. Er konnte es nicht fassen. Er hatte es geschafft! Er war nun ein Schüler von Meister Chi-on!

»Das haben schon viele Jünglinge vor Euch versucht. Doch Meister Chi-on verwies sie meist auf einen seiner eigenen Schüler. Er wendet sich nur noch ganz besonderen Talenten zu. Ihr habt allen Grund, Euch glücklich zu schätzen«, sprach die alte Frau. Als sie beide vor einer Schiebetür stehen blieben, sprach sie weiter: »So, da wären wir. Dies ist der Raum, in welchem neue Schüler untergebracht werden. Zumindest war das früher so. Er steht schon lange leer. Nur noch wenige bindet es so sehr an Meister Chi-on, dass sie diesen Ort nicht verlassen wollen. Nun leben sie hier und beschützen ihn.«

Sie öffnete die Tür und Isamu erblickte einen Raum, welcher ebenso schlicht eingerichtet war wie der Rest des Hauses. Nur eine Matte zum Schlafen und ein kleiner Tisch in der Mitte füllten den Platz zwischen den kahlen Wänden.

»Es tut mir leid, aber normalerweise ist dieser Raum ganz leer. Als wir gehört hatten, wie Meister Chi-on und Ihr euch unterhalten habt und deutlich wurde, dass Ihr bei uns bleibt, haben wir das Nötigste in dieses Zimmer gestellt. Wenn Ihr also etwas benötigt, dann sagt Bescheid« und sie verbeugte sich höflich, bevor sie sich zurückzog.

Isamu dachte in dieser Nacht noch lange an das Gespräch mit Meister Chi-on und konnte es kaum erwarten, dass es wieder Tag wurde.

Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch das Reispapierfenster in Isamu´s Zimmer schienen , erwachte er. Er hörte durch das dünne Papier die Vögel zwitschern und wenig später kam auch schon Chiyoko durch die Tür herein.

»Meister Chi-on hat mich gebeten, dir diese Kleidung hier zubringen. An deinem ersten Tag erwartet dich auch dein erstes Training. Dazu musst du aber zuerst Kraft sammeln, indem du ein ausreichendes Frühstück zu dir nimmst« und sie wies ihn an, ihr zu folgen.

Im Esszimmer erkannte er, dass der Wachmann vom Vortag nicht übertrieben hatte, als er sagte, dass sich viele weitere Wachmänner in und um das Haus von Meister Chi-on befanden. Auf den ersten Blick schätzte er, dass mindestens ein Dutzend Männer gerade ihr Frühstück einnahmen. Zudem vermutete er die andere Hälfte draußen um das Haus herum. Chiyoko wies ihm einen Platz zu und er ließ sich auf ein kleines Sitzkissen nieder. Während eine zweite Haushälterin sein Essen brachte, spürte er geradezu, wie er von aller Augen begutachtet wurde. Leises Getuschel drang in sein Ohr und er fragte sich, ob es sich dabei um ihn handelte. Im Anschluss ging er zu seinem neuen Zimmer um sich umzuziehen. Er trat ein und erblickte einen sehr säuberlich zusammengefalteten Anzug, wie ihn auch all die anderen trugen.

»Ich muss sagen, der Anzug steht Euch« bemerkte Chiyoko, welche eben eingetreten war.

»Danke«, bedankte sich Isamu etwas verlegen.

»Und nun kommt, Meister Chi-on erwartet Euch.«

Meister Chi-on stand mit einer weiteren Person auf einer weitläufigen Wiese und Isamu konnte hören, wie sich beide unterhielten.

»… weist, was du zu tun hast. Aber sei stets vorsichtig, damit du die Kontrolle behältst. Ich spüre sehr großes Potential in ihm. Sowohl zu unseren Gunsten, als auch zu unseren Ungunsten« Meister Chi-on wandte sich nun zu Isamu um. »Isamu, das wird dein vorläufiger Lehrer sein, Yuzo. Seine Aufgabe wird es sein, dir die ersten Schritte beizubringen. Er wird sich um dich kümmern, bis du soweit bist.«

»Aber Meister Chi-on, ich dachte Ihr würdet mich unterrichten«, sagte Isamu enttäuscht.

»Ich weiß, dass du es kaum erwarten kannst, dass ich dich unterrichte. Aber bei uns gibt es eine Redensart, welche lautet: „Erst wenn der Schüler bereit ist, kann der Meister kommen“. Und du bist noch neu hier. Dir fehlen die Grundlagen und Fertigkeiten. Wenn du genug gelernt hast, dann werde ich dich unterrichten. Es hängt nur von dir ab. Sei also fleißig.«

Mit diesen Worten verabschiedete sich Meister Chi-on.

»Nun Isamu. Ich sehe du hast es eilig, zu Meister Chi-on zu gelangen und von ihm unterrichtet zu werden. Doch auch ich habe dazu eine Weisheit, welche ich dir auf den Weg geben werde. „Wenn du es eilig hast, gehe einen Umweg“.« Isamu schaute ihn verdutzt an. Dann fügte er hinzu: »Du wirst es schon noch verstehen. Nun aber zu unseren Übungen. Das Wichtigste beim Kampf gegen böse Geister ist dein Chi. Deine eigene innere Kraft. Jene Kraft, welche durch jeden Körper fließt. Ja, selbst die Luft um dich herum besitzt ein gewisses Chi. Ebenso jeder Gegenstand. Wobei es sich bei Gegenständen so verhält: je schwerer sie sind, umso stärker muss dein Chi sein, um sie bewegen und beeinflussen zu können.«

Isamu wurde mit jeder weiteren Silbe aus Yuzo´s Mund immer verwirrter.

»Luft besitzt Chi? Gegenstände bewegen? …« Er konnte nicht glauben, dass so etwas möglich sein sollte.

»Isamu, das alles wirst du lernen müssen. Wenn du erst einmal weißt, worauf es ankommt, dann wird dir das gar nicht schwer fallen. Jeder Stein, jedes Blatt und auch jeder Wassertropfen besitzt eine Art Aura um sich herum. Wenn du diese Aura spürst und sie beeinflussen kannst, dann kannst du auch Gegenstände beeinflussen. Pass genau auf«

Er drehte sich nicht um, sondern zeigte nur auf einen Stein, welcher hinter ihm auf der Wiese lag. Yuzo schloss die Augen und der Stein auf welchen er zeigte, begann zu zittern. Im ersten Moment nur schwach, dann immer stärker werdend. Isamu konnte es nun deutlich erkennen. Dann hob sich der kleine Kiesel bis auf Augenhöhe und schwebte auf sie zu. Isamu traute seinen Augen nicht. Ein fliegender Stein! So etwas hatte er noch nie gesehen.

»Du kannst den Stein aber auch noch weiter beeinflussen. Mit der Kraft deines Chis kannst du ihn auch zu Staub zerbröseln.«

Gerade als Isamu die Hand ausstrecken wollte, zerbarst der Stein und der Staub rieselte zu Boden. Verblüfft riss er seine Augen auf.

»Das ist unsere erste Aufgabe. Du musst lernen, Dinge um dich herum nach deinem Willen zu beeinflussen.« Yuzo setzte sich auf den Boden und forderte Isamu auf, es ihm gleich zu tun. »Nun schließe die Augen. Konzentriere dich auf dich selbst und auf deine Umwelt.«

Gehorsam tat Isamu, wie ihm geheißen war. Doch er spürte nichts! Keinen einzigen Stein, keinen einzigen Ast. Nichts.

Nach einer Weile stand Yuzo auf und kam einige Augenblicke später wieder.

»Isamu, sieh dir diesen Kiesel mal genauer an. Zu Beginn ist es schwierig etwas zu spüren, was man noch nicht gesehen hat. Später kannst du alles beeinflussen, selbst wenn du es noch nie gesehen hast. Also, sieh dir den Kiesel genau an.«

Isamu starrte den Stein eine ganze Weile an, konnte jedoch immer noch nichts fühlen. Erneut schloss er seine Augen, konzentrierte sich und nachdem nichts geschah, starrte er erneut den Stein an. So verging die Zeit, bis Chiyoko einen schrillen Laut ausstieß, welcher einem Vogel glich.

»Das ist unser Zeichen für die nächste Mahlzeit. Einige der anderen hier warten auf das nächste Signal, welches aber anders klingt. So ist gewährleistet, dass das Haus nie unbewacht bleibt. Bis auf weiteres sollten wir auf den Kranichruf achten. Nun aber sollten wir uns beeilen.«

Isamu setzte sich mit seiner Schüssel Gemüsesuppe zu Yuzo und beide begannen zu essen. Als ihre Schüsseln geleert waren, sagte Yuzo: »Wir setzen unsere Übung morgen fort, denn am Nachmittag wartet noch eine Aufgabe auf dich.«

»Auf mich?«, fragte Isamu verdutzt.

»Ja, auf dich. Meister Chi-on hat gute Beziehungen zu einem Schmied hier in Furuta. All unsere Waffen werden von ihm angefertigt. Zudem besitzt er eine Schmiedekunst, welche unsere Wurfsterne und Wurfspieße besonders scharf werden lässt nach dem Schleifen. Deine Aufgabe wird es sein, den Schmied zu unterstützen. Er kann eine helfende Hand immer gut gebrauchen.« Yuzo streckte sich noch einmal und stand danach auf. »Komm mit, ich führe dich zu ihm. Er heißt übrigens Hideyoshi Riku.«

Auf dem Weg zur Schmiede unterhielten sich beide über das Chi und wie Isamu es schaffen könnte, Steine schweben zu lassen.

»… Für den Anfang musst du dich zuerst ein wenig auf dich selbst konzentrieren. Du sammelst somit dein Chi. Danach versuche an nichts zu denken. Denn deine Gedanken, dein Bewusstsein blockiert dein Fühlen, deinen Instinkt. Erst wenn dein Geist frei ist kannst du solch eine schwache Aura, welche einen Stein umgibt, spüren …«

Ein immer lauter werdendes Klopfen von Metall auf Metall drang in ihre Ohren.

»So Isamu, wir sind da. Das ist die Schmiede.«

Ein Haus aus massiven Steinblöcken ragte vor ihnen aus dem Boden. Isamu konnte im angrenzenden Hof einige Wagenräder, Fässer und Werkzeuge erkennen. Yuzo führte ihn ins Innere der Schmiede. Im Gebäude selbst stand an einer Wand ein großer Ofen, aus welchem rote Flammen schlugen. Ein wenig entfernt stand ein massiver Amboss, an welchem zwei Männer ein Stück glühendes Metall bearbeiteten. Der eine, ein alter Mann, hielt es an einer langen Stange, während der andere, ein noch junger Mann, es mit gezielten und kräftigen Hammerschlägen formte. Als das Metall soweit geformt war, wurde es in einem Bad kalten Wassers rasch abgekühlt und der Ältere der beiden kam zu Yuzo und Isamu herüber. Trotz dieser harten Arbeit war er ordentlich gekleidet. Er trug ein langes weißes Gewand und seine ergrauten Haare verbarg er unter einer dunklen Kappe.

»Ahh, Meister Yuzo, was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?«, fragte er in einem freundlichen Ton.

»Meister Hideyoshi. Ich bringe Euch einen neuen Schüler von Meister Chi-on. Er heißt Isamu und ist hier, um Euer Handwerk zu erlernen und Euch zu helfen, sofern ihr ihn benötigt.« Yuzo und Isamu verbeugten sich tief.

»Mein Handwerk also. Ich verstehe«, sagte Hideyoshi amüsiert. »Nun Isamu, dann folge mir einmal. Meister Yuzo, Ihr könnt ihn bei Sonnenuntergang wieder abholen.«

Yuzo verbeugte sich erneut und ging. Währendessen ging Isamu mit Meister Hideyoshi tiefer in die Schmiede hinein.

»Isamu, deine Aufgaben werden zunächst körperlicher Natur sein, denn selbst das Hämmern auf das glühende Metall will geübt sein. Da ich jedoch mit der Herstellung hochwertiger Schwerter derweilen beschäftigt bin, werde ich dich nicht selbst unterrichten, sondern überlasse diese Aufgabe Saburo. Er ist ein fähiger Schüler und wird dir deine künftigen Aufgaben zuweisen.«

Sie näherten sich einem kräftigen, jungen Mann, welcher seinen Kopf zur Verbeugung senkte und Isamu eindringlich begutachtete. Dann fuhr Meister Hideyoshi fort: »Saburo, das ist Isamu. Er ist ein Schüler von Meister Chi-on. Du weißt, was zu tun ist. Ich verlasse mich auf dich« und Saburo verbeugte sich erneut. Nun drehte sich der Alte um und wandte sich wieder dem Ofen zu.

»Mein Name ist Saburo. Und du bist wirklich ein Schüler von Meister Chi-on? Das ist seltsam…«

Verdutzt antwortete Isamu: »Ja, ich bin ein Schüler von Meister Chi-on. Aber warum ist das so seltsam?«

»Nun, soweit ich und die ganze Stadt weiß, nimmt Meister Chi-on keine Neulinge mehr bei sich auf. Er schickt sie immer zu einem seiner Schüler, welche weit, weit entfernt von hier leben. Meister Hideyoshi hat einmal verlauten lassen, dass Meister Chi-on selbst erstklassige und mutige Kämpfer nicht mehr bei sich aufnimmt. Deshalb wundert es mich so sehr, dass gerade du es geschafft hast.«

Isamu sah ihn ein wenig verdrossen an und Saburo fuhr fort: »Sei nicht böse, aber ich kann an dir nichts Auffälliges entdecken, was dich zu etwas Besonderem macht.«

»Meister Chi-on meinte, er spüre ein gewisses Potential. Aus diesem Grunde nahm er mich bei sich auf.«

Saburo grinste. »Ein gewisses Potential also. Ich verstehe. - Nun, wenn dem so ist, dann werde ich mein Bestes geben, um dich körperlich zu stärken. Denn früher, als ich selbst hier noch Lehrling war, da wurden Meister Chi-on´s Schüler nur aus einem Grund hierher geschickt. Um ihre körperliche Kraft zu steigern.«

Nun war Isamu völlig verwirrt. Nur wegen ihrer Kraft wurden sie hierher geschickt? Saburo konnte es wohl aus Isamu´s Gesicht ablesen.

»Nun gut, die körperliche Kraft ist die eine Sache. Die andere ist, dass Meister Chi-on somit ein paar Yen von Meister Hideyoshi erhielt, um seinen eigenen Haushalt zu unterstützen. Aber für die Schüler war es wichtig, gesund und kräftig zu sein. Und eines lass dir gesagt sein, wenn du einen Hammer richtig benutzen willst, dann benötigst du Standfestigkeit, Konzentration, einen starken Rücken und vor allem Kraft in den Armen. Du siehst also, Körperstärke ist sehr wichtig. Folge mir.«

Beide gelangten auf den Hinterhof, in welchem ein kleiner Brunnen und daneben einige Eimer aus Holz zu sehen waren.

»Siehst du diese Eimer dort? Diese wirst du nun zu Meister Hideyoshi in der Schmiede tragen. Wenn du damit fertig bist, dann suche mich wieder auf. Ich bin in dem Lagerraum dort drüben.«

Nachdem Saburo gegangen war, wandte sich Isamu den Holzeimern zu. Kaum war einer gefüllt, bemerkte er, dass eine ganze Menge Wasser hineinpasste und somit einer allein schon ein mächtiges Gewicht bekam. Doch er wollte Saburo beweisen, dass er auch kräftig war. So nahm er sich vor, zwei mit einem Mal zu nehmen. Er schaffte es und schwer beladen begab er sich auf den Weg zur Schmiede. Es war nicht weit, vielleicht 40 Schritt. Doch mit der Zeit wurden die Eimer immer schwerer und die Strecke immer länger. Langsam mühte er sich voran, vorbei an einer kleinen Steinstatue, welche ein Abbild Buddhas zeigte. Weiter durch einige Türen und schließlich kam er zu Meister Hideyoshi. Der Alte saß vor einem großen Amboss und beobachtete das Ende einer langen Stange, welches in dem großen Ofen steckte. Immer wieder schlugen heiße Flammen dem ergrauten Mann entgegen, doch er blieb ganz ruhig.

»Schütte das Wasser in die große Steinwanne neben mir« sagte er ohne aufzublicken, als Isamu sich näherte.

Der Junge tat wie ihm geheißen war und ließ das klare Wasser aus den Eimern in die Vertiefung des massiven Steinblocks neben ihm laufen.

»Isamu, sieh dir einmal das Metall im Feuer an. Was siehst du?«

»Ich sehe, dass es hell leuchtet.«

»Genau. Wenn du ein Gefühl dafür bekommst, wie das Eisen aussieht und wann du es aus dem Feuer nehmen musst, dann kannst du anhand der Farbe diesen Zeitpunkt genau bestimmen. Wenn du es dann wie hier noch rötlich leuchten siehst, dann dauert es noch eine Weile, bis es fertig ist. Sobald sich das Eisen aber wie der hell leuchtende Mond färbt, muss es sofort aus dem Feuer und schnell im Wasserbad abgeschreckt werden. Dazu muss das Schwert jedoch noch mit einem Lehmmantel überzogen und entsprechend vorbereitet werden, bevor es zum Härten ein weiteres Mal ins Feuer gehalten wird. Jetzt geh und hole noch ein paar Eimer Wasser, bis die Wanne voll ist.«

Isamu rannte zu dem Brunnen und füllte schnell zwei Eimer mit dem klaren Nass. Danach lief er so schnell es ging mit den beiden vollen Kübeln zu Meister Hideyoshi. Doch bevor er diesen erreichte, schlug einer der beiden Eimer so stark gegen einen nahe gelegenen Tisch, dass er fast alles verschüttete. Kurz starrte er entsetzt auf die große Pfütze, dann rannte er mit dem restlichen Wasser zu dem Alten und schüttete es hastig aus.

»Da wirst du wohl noch mal gehen müssen. Und diesmal sei vorsichtiger. Lass dir mehr Zeit, denn es wird noch ein wenig dauern, bis wir die Schmiede verdunkelt haben.«

»Ja Meister« und Isamu eilte nach einer kurzen Verbeugung wieder zum Brunnen.

Beim zweiten Versuch klappte alles, wie es sollte.

»Nun suche Saburo auf. Er wird dir zeigen, wo du etwas zum Aufwischen findest«, sagte der Meister.

»Saburo, ich benötige etwas zum Aufwischen«, sagte Isamu, als er den Schmiedelehrling gerade beim Abzählen einiger kleinerer Tonkrüge fand.

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, dass du nichts verschüttest?« Saburo lächelte. »Im Lagerraum nebenan findest du, wonach du suchst. Und wenn du fertig bist, dann vergiss nicht alles wieder so herzurichten, wie du es vorgefunden hast.«

»Mach ich«, antwortete Isamu und ging wieder aus dem Lagerraum hinaus. Er wandte sich nach rechts und erblickte einige Meter weiter eine große Tür. Dies musste wohl der Raum sein, den Saburo gemeint hatte. Er trat näher und betrachtete einige Zeit das hölzerne Portal. Dann öffnete er es und sah wie in ein schwarzes Loch hinein. Kein einziger Lichtstrahl erhellte diesen Raum. Er wollte gerade einen Fuß auf die kleine Treppe setzen, welche in diesen Kellerraum führte, als hinter ihm Saburo´s Stimme erklang.

»Isamu, wo willst du hin? Du hast dort nichts verloren!«

Dieser zuckte heftig zusammen und drehte sich dann langsam um.

»Ich suche doch etwas zum Aufwischen des verschütteten Wassers. Du sagtest doch ich solle im Nebenraum suchen.«

»Ja, das sagte ich. Jedoch befindet sich der Raum, welchen ich meinte, auf der linken Seite. Du jedoch bist nach rechts abgebogen. Dieser Raum soll dich nichts angehen.«

»Was befindet sich denn in diesem Raum hier«, fragte er Saburo mit Unschuldsmiene.

Saburo überlegte einen kurzen Moment, dann antwortete er: »In diesem Raum bewahren wir unseren Schnaps auf. Es ist nur ein kleiner Keller, in welchem wir unseren Alkohol lagern« und mit jedem Wort wirkte er überzeugter von seiner Aussage.

Isamu dachte ungläubig, ob das wohl nur eine Ausrede war? Er erkannte jedoch, dass weitere Fragen keinen Sinn hatten. Dann unterbrach Saburo die Stille.

»Nun komm. Ich zeige dir, wo es lang geht.«

Isamu schaute noch einmal in die undurchdringliche Finsternis und schloss dann die schwere Tür. Den Rest des Tages verbrachte Isamu zusammen mit Saburo. Beide waren damit beschäftigt, Tonkrüge zu zählen, ihre Unversehrtheit zu überprüfen und manche von ihnen von einer Stelle zur anderen zu tragen.

Erst als sich die Sonne rasch dem scharfkantigen Horizont näherte, tauchte Yuzo auf. Er unterhielt sich eine Weile mit Meister Hideyoshi und kam dann auf Isamu zu.

»Dein heutiges Tageswerk ist vollbracht. Nun lass uns zurück zu Meister Chi-on kehren. Morgen werde ich dich dann wieder hierher bringen. Meister Hideyoshi meint, dass er deine Hilfe sicherlich erneut gebrauchen kann. Wenn du dich eingearbeitet hast, dann wirst du ihm noch besser zur Hand gehen können.« Yuzo schaute sich eine Weile in der Schmiede um, dann sagte er: »Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich bei Meister Hideyoshi gearbeitet hatte. Mir ging es damals genau wie dir jetzt. Aber das kann ich dir alles auf dem Weg zu Meister Chi-on erzählen.«

Nachdem sich die beiden von Meister Hideyoshi verabschiedet hatten, liefen sie den gleichen Weg zurück, den sie am frühen Nachmittag gekommen waren. Die letzten Sonnenstrahlen leuchteten noch an den Bergen vorbei, doch um sie herum war es bereits dämmrig geworden. Bevor jedoch die Nacht hereinbrach, erreichten sie Meister Chi-on´s Gehöft.

»Ruh dich aus, denn morgen wollen wir früh aufstehen, um weiter zu üben«, sagte Yuzo, nachdem beide noch etwas gegessen hatten. Dann verabschiedete er sich und Isamu ging in sein Zimmer und schlief rasch ein.

Er hatte das Gefühl, sich gerade erst hingelegt zu haben, da weckte ihn die Stimme von Chiyoko, der Haushälterin.

»Steht auf, junger Krieger. Yuzo sagte, ich solle Euch noch vor dem Morgengrauen wecken. Wascht Euch schnell und dann geht rasch etwas essen. Yuzo wird dort auf Euch warten.«

Schlaftrunken stand Isamu auf und tat wie ihm geheißen ward. In seinem lila-schwarzen Kampfanzug betrat er den Speiseraum und sah dort nur einen Mann sitzen. Vor ihm, auf einem niedrigen Tisch, stand für zwei Personen ein Frühstück bereit.

»Warum beginnen wir heute schon so früh mit den Übungen?«, fragte ihn Isamu, als er sich neben ihn setzte.

»Ich möchte dir etwas zeigen«, antwortete dieser mit einem Lächeln. »Und nun iss, wir wollen bald aufbrechen.«

Nachdem beide gefrühstückt hatten, begaben sie sich nach draußen und liefen durch die kleine Stadt. Vorbei an alten Häusern, welche schon ziemlich schlecht aussahen, an Werkstätten, an kleineren Gärten und dann standen sie plötzlich am Meer. Isamu erkannte die Gegend nicht wieder.

»Yuzo, warum führst du mich hierher? Ich dachte, du wolltest mir Unterricht geben.«, fragte er.

»Sieh dir die Schönheit der Natur an« ,und er deutete auf das Meer.

Dort spiegelte sich jede Welle im roten Glanz der Sonne und ein leises Rauschen war zu hören. So unendlich weit erschien ihm die Welt ohne Land. Vereinzelte Dschunken trieben schon auf der Oberfläche des Wassers und sahen in der Ferne wie kleine Inseln aus. Vögel segelten über ihren Köpfen umher und krähten in den Morgen hinein. Isamu sah am Horizont den riesigen Feuerball glühen, als wäre er mit dem Meer verbunden. Und dann richtete sich sein Blick nach oben. Dichte Wolkenstreifen, welche rot von der Sonne angestrahlt wurden, wirkten wie ein Abbild des Wassers unter ihnen. Zarte Schatten ließen ihn einige Wolken erkennen, welche wie Felsen aussahen, umgeben von Wasser.

»Gerade noch rechtzeitig«, lächelte Yuzo. »Ich wollte, dass du das hier siehst. Der Sonnenaufgang ist wunderschön.« Dann schwieg er eine Weile. »Isamu«, fuhr er fort, »Kannst du dir vorstellen, warum ich dich herführte?«

»Nein. Sollte ich?«

»Meister Chi-on führte mich einst mit Tanaka Kouhei, Yamato Shinichi und Shotoku Yokinobu auch hierher. Wir waren damals alle seine Schüler, eine Gruppe von Anfängern. Die letzte, die es so gab.« Er senkte traurig den Blick.

»Warum wart ihr die letzte Gruppe?«, fragte Isamu neugierig.

»Wir waren begabt. Alle vier. Doch einer war der Beste unter uns. Yamato Shinichi. Er konnte bereits mit Steinen auf weit entfernte Ziele schießen, als wir anderen gerade lernten, einen Stein schweben zu lassen. Er war der Erste, der von uns eine sichtbare Aura erzeugen konnte. Er war immer der Erste.« Wieder schwieg Yuzo. »Zu Beginn unserer Ausbildung, da dachten wir alle – selbst Meister Chi-on – dass es sich um seine besondere Fähigkeit handelt. Jedem, dem der heilige Geist der Kura-Ki-Batsu – oder der Ma – innewohnt, besitzt eine besondere Fähigkeit. Nur die sehr Mächtigen können mehrere besondere Fähigkeiten erlernen. Doch bei ihm war dieses Können nichts Besonderes. Für ihn war das alles noch einfache Grundschule. Seine besondere Fähigkeit offenbarte sich uns in ungünstigster Stunde.« Er blickte in Gedanken versunken auf den Ozean.

»Wer sind die Ma? Und sagtest du Yamato Shinichi habe mehrere besondere Fähigkeiten? Und was geschah in jener Stunde, als sie sich euch offenbarten?«, sprudelte es voller Neugier aus Isamu heraus.

»Die Ma sind jene, welche wir zu bekämpfen versuchen. Jene, welche für den Tod unzähliger Unschuldiger verantwortlich sind. Sie sind das Böse. Und wenn es uns Kura-Ki-Batsu nicht gäbe, dann hätte schon längst Dunkelheit über dieses Land regiert. Unsere Aufgabe ist es, dieser Macht Einhalt zu gebieten. Doch ihr Anführer ist sehr mächtig, und nicht einmal Meister Chi-on wäre mächtig genug, sich ihm entgegen zu stellen. Und du hast richtig gehört, Yamato Shinichi hat mehrere besondere Fähigkeiten. Einst trainierte er mit uns drei anderen. Doch bald schon fühlte er sich unterfordert. Aber Meister Chi-on bestand darauf, dass wir vier ungefähr gleich stark bleiben sollten. Er wollte Shinichi keinen Sonderunterricht geben, da er fürchtete, dass Shinichi dann zu schnell an Stärke gewinnen könnte. Denn es ist sehr wichtig, mit seinen Kräften zu wachsen. Wenn jemand zu schnell an Kräften gewinnt, dann wird er nur übermütig und könnte sich und anderen durch unkontrollierten Einsatz dieser Kräfte schaden. Meister Chi-on hoffte bis zuletzt, Shinichi unter Kontrolle halten zu können. Doch das Blatt wendete sich zu unseren Ungunsten. Shinichi verschwand eines Nachts. Jeder, der Meister Chi-on die Treue geschworen hatte, wurde entsandt, den talentierten Schüler zu finden. Doch selbst nach Tagen der Suche war ein jeder von uns erfolglos zurückgekehrt. Wir standen vor dem Haus und berieten das weitere Vorgehen, um ihn zu finden. Wäre Shinichi nicht eines Nachts zu uns zurückgekommen, wir hätten ihn wohl nie gefunden. Meister Chi-on wollte ihn zuerst tadeln, was ihm einfiele, so lange fort zu bleiben. Dann blieb er jedoch wie versteinert stehen. »Nein Shinichi, das darf nicht sein«, murmelte er leise, dann rief er mit verzerrter Stimme uns anderen, die wir in der Nähe standen, zu, wir sollten verschwinden. Doch es war zu spät. Von Shinichi ging bereits eine dunkle, schattenartige Aura aus, die uns umhüllte. Somit war eine Flucht unmöglich. Um uns herum wurde es kalt und die Schatten kamen immer näher. „Hast du Angst alter Mann?“, fragte unser einstiger Freund mit einer furchtbaren Grabesstimme. Dann lachte er. Mir jagte er damit eine schreckliche Angst ein. Meister Chi-on leuchtete im goldenen Licht und befahl uns dann, dass wir alle schnell zu ihm kommen sollten. Kaum war der letzte von uns bei ihm, schon breitete sich dieser Goldschimmer aus und umhüllte einen jeden von uns. Hätte Meister Chi-on nicht schnell gehandelt, wären wir wohl von diesen Schatten verschluckt worden. Einige Augenblicke standen wir in völliger Dunkelheit. Dann lichteten sich die Schatten und die ersten Lichtstrahlen der umstehenden Fackeln drangen zu uns durch. Alles war wie zuvor, doch Shinichi war verschwunden. Das war das letzte Mal, dass wir ihn sahen, jedoch nicht das letzte Mal, dass wir etwas von ihm hörten.« Verbittert ballte Yuzo seine Faust.

»Was habt ihr über ihn seitdem gehört?«, fragte Isamu drängend.

»Nachdem Shinichi die Seiten gewechselt hatte, dauerte es nicht lange, bis eine Welle des Schreckens über die nördlichste Insel fegte. Als sich diese dann in Richtung Süden ausbreitete, schlossen sich alle Freiheitskämpfer zu einem Bund zusammen. Dieser Bund existiert immer noch, und du kennst ihn«, Yuzo schaute ihn lächelnd an. Isamu jedoch hatte keine Ahnung, welchen Bund er meinte. Lachend fuhr Yuzo fort. »Der Bund heißt Kura-Ki-Batsu, du kleiner Dummkopf.«

»So jung ist diese Bezeichnung? Ich dachte es gibt sie schon seit vielen Jahren.«

»Nein. Wir schlossen uns erst vor etwa einem Herbst zusammen. Aber wir haben inzwischen viel bewirkt. Auch wenn wir die Ma nicht besiegen konnten, haben wir es bisher dennoch geschafft, unsere Kämpfe mit ihnen vor der Bevölkerung geheim zu halten.«

»Könnte dann das laute Knacken der Bäume, was ich eines abends gehört habe auch solch ein Kampf gewesen sein?«, fragte Isamu voller Neugier.

»Das kann gut möglich sein. Nachdem wir Kura-Ki-Batsu erfolgreich die Ma zurückdrängten, verschwand Shinichi. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Es gab danach keine weiteren Kämpfe und wir hofften, dass die verstreuten kleinen Gruppen der Ma nicht weiter Ärger machen würden. Doch dann, nach einigen Mondphasen tauchte ein neues Oberhaupt der Ma auf. Er einte alle Anhänger wieder und stellt so erneut eine Bedrohung dar. Sein Name klingt merkwürdig fremd und wir haben Grund zur Annahme, dass es sich dabei nicht um seinen richtigen Namen handelt. Des Weiteren nehmen wir an, dass dieses neue Oberhaupt in Wahrheit Shinichi ist und er diesen Namen wählte, um seine Vergangenheit zu verbergen«

»Wie nennt er sich?«, fragte Isamu.

»Sein Name lautet Darc.«
 

Stein des Anstoßes

Isamu sah auf den inzwischen blau gefärbten Ozean. Die Son-ne, welche das Wasser vor einiger Zeit noch rot färbte, schickte bereits ihre wärmenden Strahlen auf Isamu´s Gesicht.

»Darc. So lautet also der Name des Feindes«, murmelte Isa-mu vor sich hin.

»Ja. Und wenn es sich dabei wirklich um Shinichi handelt, dann haben wir allen Grund uns zu fürchten. Ich kenne nieman-den außer Meister Chi-on, der so stark wäre wie er.«

»Wie war Shinichi eigentlich während der Zeit hier, bei Meister Chi-on?«

»Shinichi konnte seinen Namen nie leiden. Deshalb nannten wir ihn nach einiger Zeit Shu, was so viel bedeutet wie: speziell oder außergewöhnlich. Denn wie ich dir bereits sagte, offenbar-ten sich seine Fähigkeiten recht früh. Shinichi – oder besser gesagt Shu – war, als er zu Meister Chi-on kam, noch etwas jünger als du. Wir alle waren noch etwas jünger als du jetzt bist. Shu war bis zu jenem Tage, an dem er verschwand, ein freund-licher und lustiger Mensch. Während wir anderen damals noch übten unsere Steine schweben zu lassen, ließ er bereits seine um unsere Köpfe schwirren. Das lenkte uns zwar nicht ab, ärgerte uns jedoch.« Yuzo´s Gesicht zeigte seit einiger Zeit mal wieder ein Lächeln. »Wir alle wollten so gut sein wie er, doch niemand holte ihn je ein. Der Erste, der es von uns weiteren drei Schü-lern schaffte, seinen Stein zu beeinflussen, war Tanaka Kouhei. Kurze Zeit später dann auch Shotoku Yokinobu und ich. Als wir dann alle wussten, wie es geht, ließen wir unsere Steine ge-geneinander kämpfen. Doch wir drei hatten gegen Shu keinen Erfolg. Erst als wir uns zusammenschlossen und zu dritt unsere kleinen Felsen gegen ihn aufhetzten, gewannen wir. Je besser man zusammen arbeitet, desto stärker ist man gemeinsam. Wenn du also irgendwann einmal gegen einen Ma kämpfen musst und er zu stark ist, dann renn entweder weg oder kämpfe gegen ihn mit einem oder mehreren Kura-Ki-Batsu. Doch sei gewarnt. Es ist nicht immer so, dass die größte Gruppe auch gewinnt. Das hängt immer vom Gegner, euren eigenen Stärken und vor allem von eurer Fähigkeit ab, wie gut ihr euch aufein-ander verlassen könnt. Bevor du jedoch gegen irgendeinen Ma eine Chance hast, musst du selbst geübt sein im Umgang mit deinem eigenen Chi. Isamu, wir haben gestern mit unseren Übungen begonnen. Lass sie uns nun fortsetzen. Siehst du die-sen Stein dort?«, und er deutete auf einen nahe gelegenen klei-nen Kiesel.

»Ja.«

»Schließe deine Augen, atme ruhig und konzentriere dich auf den Stein.«

Isamu setzte sich ins Gras und schloss seine Augen. Einige Augenblicke vergingen, doch nichts passierte. Er spürte nichts. Wie an dem Tag zuvor. Enttäuscht sah er zuerst Yuzo, dann den unwilligen Stein an.

Yuzo lachte herzhaft. »Kannst du dir jetzt vorstellen, wie de-primierend es für uns damals gewesen war, als Shu mit seinen fliegenden Steinen prahlte? Ein jeder von uns hatte nur einen Gedanken: Als Erster Shu´s Beispiel zu folgen. Aber wir haben drei Tage gebraucht, um unsere ersten Erfolge zu erzielen. Ver-suche es einfach noch einmal.

Wieder schloss Isamu seine Augen, wieder konzentrierte er sich und wieder geschah nichts. So verging die Zeit und lang-sam näherte sich die Sonne ihrem höchsten Stand. Die Vögel zwitscherten und das Rauschen der Wellen drang zu ihnen her-auf. Alles war friedlich und dann passierte etwas. Isamu spürte es! Während er die Augen geschlossen hielt, konnte er auf ein-mal eine hellblaue Aura um etwas herum sehen. Dieses Etwas lag genau an der Stelle, an der der Stein auf dem Grasboden sich befand. Er konnte es genau sehen! Diese blau leuchtende Flamme schien zum Greifen nahe!

»Komm Isamu, es ist Zeit zurückzukehren. Das Essen wartet auf uns«, sagte Yuzo, welcher im Gras ein kurzes Nickerchen gemacht hatte.

»Yuzo, ich habe es gesehen! Ich habe eine blaue Flamme um den Stein gesehen! Lass es mich noch einmal versuchen, bevor wir aufbrechen. Bitte, ich möchte es noch einmal versuchen«

»Na gut. Versuche es. Dann müssen wir uns aber beeilen«
 

Wieder saß Isamu mit geschlossenen Augen auf dem Grasbo-den. Wieder konzentrierte er sich und wieder passierte - nichts.

»Na nun komm, wir müssen nun wirklich gehen. Unser Koch sieht es gar nicht gern, wenn jemand zu spät kommt. Du kannst ja morgen weiter üben.«

»Aber ich habe eben wirklich etwas gespürt. Alles um mich war dunkel. Nur diese blaue Flamme war zu sehen. Ich konnte den Stein spüren!«, erklärte Isamu aufgeregt.

Während beide in Richtung der Küche rannten, sprachen sie kein Wort. Erst als sie ihren kleinen Tisch erreichten, an wel-chem bereits eine Schüssel voll Reis mit rohem Fisch stand, keuchte Yuzo stoßweise etwas hervor.

»Ich merke gerade, – dass ich öfter – laufen üben – sollte.«

Dann langte er zu seiner Schüssel und nahm zwei Stäbchen in die Hand. Gerade als er ansetzten wollte zu essen, hielt er kurz inne und musterte Isamu.

»Wie kommt es eigentlich, – dass du noch – so ruhig bist?«, fragte er immer noch nach Luft ringend.

»Ich weiß es nicht. Aber als Manabu und ich in der Nacht vor diesem lauten Geräusch flohen, war ich danach auch nicht er-schöpft.«

»Das ist sehr merkwürdig«, antwortete Yuzo nun wieder lang-samer atmend. Dann wendete er sich wieder seiner Mahlzeit zu. Die Zeit verging. Und während Isamu schon längst seine Schüs-sel geleert hatte, saß Yuzo noch eine ganze Weile, mit starrem Blick, vor dem letzten Rest seines Mittagmahles. Dann schien er aus seiner Trance zu erwachen und stand auf.

»Ich werde dich jetzt zu Meister Hideyoshi bringen. Wenn es dann wieder dunkel wird, hole ich dich ab. Genau wie ges-tern«, sagte er zu Isamu und beide begaben sich zu dem alten Herrn der Schmiede. Unterwegs schwiegen sie sich beide an und Isamu versuchte, die ganze Zeit über, den Grund für Yu-zo´s merkwürdiges Verhalten herauszufinden. Hatte er etwas Bestimmtes getan? Nach einiger Überlegung kam er zu dem Schluss, dass es etwas mit seiner hohen Ausdauer zu tun haben musste. War es etwas so Besonderes, die Strecke von der Wie-se, wo sie vormittags trainierten, bis zur Küche zu rennen? Für ihn war es normal. Er kannte es nicht anders. Doch Yuzo be-nahm sich erst seit jenem Moment so merkwürdig, da er er-kannte, dass Isamu solch eine Strecke nichts ausmachte. So lie-fen beide gedankenversunken auf dem steinigen Weg entlang. Gerade als der junge Schüler seinen Lehrer fragen wollte, was seine Überlegungen auf sich haben, erreichten sie die Schmie-de.

»Ich hohle dich dann heute Abend wieder ab. Bis dann Isamu. Und lass das Training vorerst ruhen. Versuche es nicht ohne Aufsicht, hast du mich verstanden? Und erzähl niemanden, dass du so etwas lernst. Unsere Kunst muss geheim bleiben«, sprach Yuzo, drehte sich um und verschwand, noch ehe Isamu ihm seine Fragen hätte stellen können. Verwundert ging dieser dann in die Schmiede.

»Da bist du ja. Wir dachten schon, du hättest keine Lust zu kommen«, platzte es aus Saburo heraus, als er ihn erblickte.

»Nein, daran liegt es nicht«, antwortete Isamu verlegen. Ob-wohl er doch viel lieber weiter, mit geschlossenen Augen auf der Wiese sitzend, in seine Übung vertieft wäre. Er würde es wieder schaffen, da war er sich sicher. Aber er wollte nicht erst bis morgen warten. Er wollte jetzt etwas schweben lassen. Wenn er nur Ruhe hätte. Doch es gab zu viel zu tun. Ihm wurde aufgetragen, dass er mit Saburo zusammen einige Kisten in ei-nen der Kellerräume bringen sollte. Den Hof entlang, die kurze Treppe herunter, ungefähr dreißig Schritt geradeaus, dann noch eine Biegung entlang und dann kam auch schon die Tür, welche einen kleinen Raum abgrenzte. Es war nicht zu weit, dennoch kein leichter Weg. Denn der Durchgang bis zur Tür war niedrig und sehr schmal. Ein aufrechtes Gehen war unmöglich und die Kiste machte das Vorankommen nicht gerade einfacher. So quälten sich die beiden den Gang entlang. Nachdem sie etwa ein Dutzend geschafft hatten, wartete Saburo in dem ebenfalls niedrigen Kellerraum.

»Isamu, ich muss zu Meister Hideyoshi. Kannst du in der Zwischenzeit noch ein paar der Kisten hierher bringen? Ich be-eile mich«, versprach Saburo und ging.

Gewillt, seine Arbeit zur Zufriedenheit von Saburo auszufüh-ren, nahm er sich eine weitere Kiste. Wieder in dem engen Gang stieß er sich, beim Versuch die Last ein wenig angeneh-mer tragen zu können, den Kopf an der Decke. Wütend vor sich hinmurmelnd stolperte er mit gesenktem Haupt weiter.

»Wenn die Kisten doch nur von allein die niedrigen Gänge entlang schweben könnten«, dachte sich Isamu und da kam ihm plötzlich eine Idee. Im Lagerraum angelangt, setzte er sich auf seine mühsam hierher geschleppte Last und schloss die Augen. Wieder umfing ihn Dunkelheit. Die Zeit verging, während er weiterhin regungslos verharrte. Den gesamten Geist auf sein Ziel gerichtet, sah er plötzlich sein Ziel. Trotz geschlossener Lider konnte er die Kiste deutlich erkennen, eingehüllt in blau-en Flammen. Genauso wie zuvor den Stein! Doch was nun? Wie konnte er nun sein Ziel bewegen? Er versuchte, in Gedan-ken zu sprechen.

»Schwebe! Bewege dich hin zur Tür«, formte er im Kopf sei-ne Worte.

Doch auch das brachte ihm nichts. Bevor er dazu kam etwas anderes zu versuchen, verschwanden die blauen Flammen und er war wieder in Finsternis gehüllt. Langsam öffnete er die Au-gen. Obwohl der unterirdische Raum nicht stark beleuchtet war, blendete ihn nun das Licht.

»Du Faulpelz!«, wetterte ihn auf einmal ein Schatten an.

Er konnte ihn im ersten Moment nicht erkennen, doch nach und nach nahm er die Gestalt Saburos an.

»Eine Kiste hast du nur vorzuweisen? Ich hätte wenigstens vier erwartet! Zur Strafe wirst du nun alle hier herunter tragen müssen!«

Isamu versuchte es zu erklären. Doch er wusste nicht, wie er es anstellen sollte, ohne Saburo zu verraten, dass er die Kisten schweben lassen wollte. Und ihm die Wahrheit zu erzählen kam für ihn nicht in Frage, denn er hatte Yuzo versprochen, nichts zu verraten. Schwermütig formten seine Lippen die Worte: »Ja, das werde ich.«
 

Die Sonne färbte sich nun langsam zu einem kräftigen Orange und stand nicht weit vom Horizont entfernt. Sehnsüchtig warte-te Isamu darauf, dass ihn Yuzo holen würde. Doch sein Lehrer tauchte nicht auf. Nach getaner Arbeit war die Schmiede bereits sauber gemacht. Isamu stand vor der Werkstatt und schaute nun schon eine zeitlang den Weg hinunter. In der Hoffnung, endlich Yuzo zu erblicken, wartete er jedoch bisher vergebens. Nach-dem sich nun die Nacht übers Land legte und Isamu immer noch an der gleichen Stelle stand, kam Meister Hideyoshi zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter.

»Er wird noch kommen. Yuzo sagte mir bereits heute Nach-mittag, dass er aufgehalten werden könne. Er wird noch kom-men. Aber hier zu warten wäre doch unnütz. Komm in meinen Hof, du kannst mit mir und meinen Schülern zusammen etwas essen. Du musst doch hungrig sein.«

Der Junge nahm diese Einladung gerne an und beide begaben sich auf das Gehöft des alten Meisters. Es war nicht weit ent-fernt und wenig später saß er an einem niedrigen Esstisch und hielt eine Schüssel Reis in den Händen. Vor ihm stand eine wei-tere Schüssel mit einer klaren Flüssigkeit, welche, obwohl es nicht den Anschein erweckte, außerordentlich gut schmeckte.

»Schmeckt es Euch?«, erkundigte sich die Haushälterin von Meister Hideyoshi.

»Ja, sehr gut. Was ist das für eine Suppe?«, gab Isamu dan-kend zurück.

»Das ist unser Familienrezept für Suimono. Wie es für solche Suppen üblich ist, besteht sie hauptsächlich aus getrocknetem Thunfisch, Kombu – also Seetang – und aus Shiitake-Pilzen. Zudem verwenden wir noch etwas Sake und einige Frühlings-zwiebeln.«, erklärte sie mit einem Lächeln.

»Isamu«, sprach ihn Meister Hideyoshi an. »wo kamst du denn her, bevor dich Meister Chi-on aufnahm?«

Der alte Mann beugte sich über den flachen Tisch zu ihm her-über. Auch Saburo hielt inne und blickte auf. Ein forschender Blick lag in seinen Augen.

»Ich kann mich nicht an mein Leben vor meinem Erwachen im Wald erinnern. Ich schlug die Augen auf und wusste weder wer ich war, noch wo ich war.«

»Du hast wirklich überhaupt keine Ahnung?«, fragte Saburo verwundert.

»Nein, überhaupt keine. Ich habe auch keine Anzeichen, was vor jenem Moment geschah«, antwortete Isamu.

Doch eine Sache gab es, die ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Jener Traum, welchen er in der Nacht nach sei-nem Erwachen im Wald erlebte, ließ ihm keine Ruhe. Wieder fragte er sich, ob es sich nicht doch so begeben haben könnte, dass er einst solch einer Bande von Ehrlosen angehörte. War es gut, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte? Und wenn es so wäre, wäre es dann nicht das Beste, wenn er auch in Zukunft keine Erinnerungen mehr hätte? Doch er konnte es nicht so ein-fach akzeptieren. Er wollte wissen, was er getan hatte. Ob er eines Verbrechens schuldig war oder nicht? Es war ein innerer Drang, welcher ihn lenkte. Er dachte gerade an jene schöne Zeit bei Meister Kurosawa, an Manabu und auch an Riu. Würde er sie jemals wiedersehen? Er hatte sich geschworen, nicht eher zu ruhen, bis dass er seine Vergangenheit gefunden und seine Er-innerungen wiedererlangt hatte. Doch konnte er denn dann noch zurück? Wäre er schuldig, so wollte er seinen alten Freunden nicht unter die Augen treten. Zu groß wäre die Schmach solch einer Tat. Und auf einmal wünschte er sich, er wäre niemals gegangen. Vor seinem geistigen Auge tauchte auf einmal Riu auf. Ihre hübschen und großen braunen Augen sahen ihn an und ihr Lächeln wirkte so wärmend, dass sein Herz schneller schlug. Doch die Vorstellung trübte sich schnell durch den Ge-danken, sie nie wieder zu sehen.
 

»… hörst du uns noch zu?«, drang Saburo´s Stimme an sein Ohr.

Isamu erwachte aus seinen Gedanken, fast so, als wäre er ge-rade aus einem tiefen Schlaf erwacht. Er sah zuerst in das fra-gende Gesicht von Saburo, welcher neben ihm saß. Dann wan-derte sein Blick weiter zu Meister Hideyoshi und letztendlich zur Haushälterin.

»Wünscht Ihr noch etwas zu trinken? Oder noch etwas Sup-pe?«, fragte die Alte.

»Nein, vielen Dank, ich bin satt«, antwortete er schnell und murmelte noch hinterher, dass es ihm sehr gut geschmeckt hat-te.

Mit einem zufriedenen Lächeln verschwand sie wieder in der Küche.

»Wenn du fertig bist, Isamu, dann möchte ich dir gern etwas zeigen«, ließ Meister Hideyoshi verlauten. Er stand langsam aber geschickt auf und lief in Richtung der Schiebetür, welche die einzige war, welche ins Innere des Hauses führte. Saburo und er selbst folgten ihm. Der alte Mann führte sie in einen Raum, welcher mit schlichten Bodendielen ausgelegt war und dessen Wände mit hellbraunen Brettern verkleidet waren. Sabu-ro sah ihn an und grinste breit.

»Meister Hideyoshi liebt es, jedem, der es sehen will, seine Sammlung an selbst geschmiedeten Schwertern zu zeigen.«

»Isamu, ich bin der Sohn eines großen Schmiedes und führe jene Tradition fort. Viele Jahre Erfahrung sind nötig, um ein Schwert zu fertigen. Und eines lass dir gesagt sein: Ich arbeite schon sehr viele Jahre in dieser Schmiede!«, und er lächelte den beiden entgegen. »Mein Vater lehrte mir alles, was man über diese hohe Kunst wissen muss. Und seit seinem Ableben führe ich diese Schmiede hier«, sagte er und großer Stolz lag in sei-nem Blick. »Dieses Schwert hier habe ich einst vor vielen Jah-ren gefertigt. Es war mein erstes.«

Er nahm eines seiner Schmuckstücke aus dem vor ihnen ste-henden Schwerthalter in die linke Hand. Dann drehte er es, so-dass die Krümmung weg vom Boden zeigte, und zog ein wenig am Griff. Er schob die Scheide des Katana – die so genannte Saya – nach hinten, achtete jedoch darauf, dass die Klingenspit-ze – Kissaki genannt – noch in der Hülle blieb. Die scharfe Klinge zeigte nun nach oben. Und der alte Meister legte seinen Kopf an die Tsuba - welche die Schneide von dem Griff trennte und als Handschutz fungierte - um die Klinge genau zu betrach-ten. Zuerst von der einen Seite, dann kippte er es ein wenig und betrachtete sie von der anderen Seite.

»Dieses Schwert bedeutet mir sehr viel. Denn mein Vater war erst bereit mir mehr Verantwortung im Schmieden solcher Kunstwerke zu übertragen, nachdem er dieses Schwert betrach-tet hatte. Ich arbeitete lange Zeit als sein Gehilfe. Ich hämmerte sein Eisen, ich säuberte die Werkstatt und ich war für fast alle Botengänge zuständig. Als er dann der Meinung war, ich habe genügend Zeit mit solcherlei Aufgaben zugebracht, trug er mir auf, ein Katana zu schmieden und dann erneut zu ihm zu kom-men. Ich übte lang, ehe ich der Meinung war, es wird seinen Anforderungen gerecht. Einige schöne Sommer und einige har-te Winter gingen ins Land, doch ich war besessen von dem Ge-danken, es endlich zu schaffen. Ich habe viel von meinem Meis-ter gelernt und konnte dieses Wissen in jener Zeit anwenden und vervollkommnen. Hier«, und er deutete auf ein weiteres Schwert »habe ich mein allererstes Katana. Wenn du die Klin-gen vergleichst, dann wirst du feststellen, dass mein erstes Ex-emplar nur viermal gefaltet wurde im Gegensatz zu diesem hier«, und er schob das Schwert langsam und vorsichtig wieder in die Hülle zurück.

Meister Hideyoshi erklärte Isamu und Saburo, worauf sie beim Schmieden zu achten hatten und welche Fehler es gab. Isamu, welchem ein wenig der Kopf schmerzte nach solch einer Fülle an Neuigkeiten, hörte dem Schmied dennoch interessiert zu.

Gerade als der Meister auf den Härtungsprozess zu sprechen kommen wollte, hörten sie hinter sich ein leises Knacken. Meis-ter Hideyoshi hielt inne und alle drei schauten in Richtung der mit Reispapier bespannten Tür. Es hörte sich an wie Schritte. Doch wer sollte wissen, dass sie hier waren? Die Haushälterin konnte es nicht sein, da sie in der Küche aushalf. Die Geräusche kamen näher. Dann war durch das dünne Papier ein Schatten zu erkennen. Langsam wurde sie geöffnet.

»Hier seid ihr also!«, sagte die Person auf der anderen Seite. Es war Yuzo. »Ich habe euch schon gesucht. Die Haushälterin konnte mir keine Auskunft geben, da sie ebenfalls nicht wusste, wo ihr seid.« Er lächelte in die Runde. »Ah, Meister Hideyoshi. Wie ich sehe, habt Ihr drei neue Stücke in Eurer Sammlung. Als ich in Isamu´s Alter war, waren diese erlesenen Stücke noch nicht dort«, und er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Ganz recht mein ehemaliger Schüler« lächelte Meister Hi-deyoshi ihm entgegen.

»Doch wenn Ihr verzeiht, dann würde ich jetzt mit Isamu gern zurück zu Meister Chi-on kehren. Bitte entschuldigt die Unan-nehmlichkeiten.«

»Ach was«, sagte der Alte und winkte ab. »Nicht der Rede wert. Aber hast du nicht Lust mit uns noch ein klein wenig zu trinken?«

»Ein anderes Mal gern, doch wir sind schon spät dran und müssen uns nun beeilen!«, erwiderte Yuzo. »Ich danke Euch, dass Ihr Euch noch bis zu meinem Eintreffen um Isamu ge-kümmert habt.« Dann wandte er sich Isamu zu. »Nun verab-schiede dich noch und dann sollten wir keine Zeit verlieren.«

Isamu tat, wie ihm geheißen war und wenig später liefen er und Yuzo in Richtung Meister Chi-on´s Gehöft. Sobald sie die Straße erreichten, welche zu dem alten Schmied führte, platzte es aus ihm heraus: »Wo warst du Yuzo? Ich habe mir schon Sorgen gemacht! Es ist doch sonst nicht deine Art dich zu ver-späten.«

»Isamu, ich will dir sagen, warum ich dich erst jetzt hole. Ich hatte ein langes Gespräch mit Meister Chi-on. Und nun rate einmal, worum es sich bei unserem Gespräch handelte.«

Verdutzt sah Isamu seinen Lehrer an. Was konnte wohl der Grund dafür sein? Yuzo benahm sich erst seit jenem Moment merkwürdig, da sie beide zum Mittagessen rannten.

»Yuzo, hat es etwas mit unserem Rückweg zum Mittagessen zu tun?«, fragte er ihn.

»Genau, das war der Grund. Du wirst dich nun vielleicht fra-gen, warum deine Ausdauer so ungewöhnlich ist. Auch das soll dir nicht länger verborgen bleiben. Doch lass uns zuerst Meister Chi-on aufsuchen.«

Ohne, dass es Isamu wirklich bewusst war, trugen ihn seine Füße bereits bis an das große Tor, an welchem er einst fragte, ob er bei dem alten Meister lernen könnte. Doch im Gegensatz zu damals wurde der schwere Holzverschlag nun bereitwillig geöffnet. Die kleinen Steine auf dem Weg knirschten, als er mit seinem Lehrer über sie zu dem bescheidenen Haus schritt. Yuzo kniete sich vor die Tür und wartete, bis eine Stimme von drin-nen antwortete: »Kommt herein.« Drinnen erblickte er den alten Meister, den er, obwohl er nun schon einige Zeit in diesem Hause wohnte, eine Weile nicht mehr gesehen hatte. Er schien müde, doch richtete er seine ganze Konzentration auf seine bei-den Schüler.

»Isamu, Yuzo berichtete mir von deiner Gabe. Und ich bin der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, ein wenig Klarheit zu schaffen«, sagte der Alte mit ernstem Gesicht.

»Meister Chi-on, bitte verweist mich nicht Eures Hofes. Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat, aber ich konnte schon im-mer, seit meinem Erwachen….« Er verstummte, als der Alte seine Hand hob.

»Isamu, bist du dir überhaupt im Klaren, was diese hohe Aus-dauer bedeutet?«

»Nein Meister«

»Ich will es dir erklären. Yuzo und ich haben lange Zeit dar-über nachgedacht. Ob es klug wäre dich weiter zu unterrichten oder nicht. Und ich habe einen Entschluss gefasst. Doch bevor ich dir meine Entscheidung begründen kann, will ich dir zu-nächst einmal einen – nicht unerheblichen – Teil der Geschichte zwischen dem Kampf der Kura-Ki-Batsu gegen die Ma erzäh-len. Wie du weißt, unterscheiden sich unsere Konfrontationen von denen der gewöhnlichen Menschen. Der große Unterschied liegt darin, dass wir mit Magie kämpfen, welche die normalen Menschen nicht besitzen. Wie du selbst schon erlebt hast, be-sitzt jeder Gegenstand ein gewisses Chi, welches wir zu nutzen versuchen. Doch die große Frage lautet nun: Wo kommt unsere Macht her, solch eine Energie zu spüren? Ist es uns angeboren? Die Antwort ist simpel. Jeder Mensch ist in der Lage es zu spü-ren, doch nicht jedem gelingt es. Wenn du die Blätter der Bäu-me im Wind rascheln hörst und dann deine Augen schließt, hast du dann nicht auch manchmal das Gefühl, dass sie eine gewisse lebendige Energie umgibt? Wie ich bereits sagte: So etwas kann jeder spüren, aber nicht jedem gelingt es. Doch vor sehr vielen Jahren gab es einen Mann, welcher ein solch feines Gespür be-saß, dass er in nahezu jedem Gegenstand dieses Chi entdeckte. Sein Name lautete Inagawa Minoru. Er war der Erste, welcher es schaffte einen Stein schweben zu lassen. Aus diesem Grunde ist dies auch die erste Übung, welche ein Schüler bei uns bewäl-tigen muss, ehe wir ihn weiter ausbilden. Denn ein Stein ist auch am leichtesten zu bewegen, da in ihm ein sehr hohes Maß an Chi auftritt. Wenn du dann einmal soweit bist, dann wirst du feststellen, dass es weitaus schwerer ist, Gegenstände zu beein-flussen, welche sich bewegen können, oder welche vom Men-schen bereits verändert wurden«, fügte er lächelnd hinzu. »Ein Schwert zum Beispiel ist bereits so oft geformt und beeinflusst worden, dass es recht schwierig ist es zu bewegen. Denn bei jedem erneuten Ausschmieden und Falten verliert es ein wenig Chi. Doch um wieder zu jenem Manne, namens Inagawa, zu-rück zu kommen. Seine Frau gebar ihm zwei hübsche Töchter. Diese Kunst, welche den Vater nahezu einzigartig machte, wur-de weitergegeben. Denn beide Töchter, welche Shizuka und Harumi genannt wurden, entdeckten ihre Fähigkeiten im Ver-laufe ihrer Jugend. Da es jedoch nun einmal Tradition ist, dass der Mann seinen Namen bei der Hochzeit weitergibt, ging der Name Inagawa mit der Vermählung der beiden Töchter verlo-ren. Doch ihre Kunst blieb in ihrer Blutslinie weiter erhalten. Von Generation zu Generation wurden die magischen Techni-ken immer weiterentwickelt. Doch mit großer Macht kommt auch große Verantwortung. Vergiss das nie, hast du mich ver-standen, Isamu?« und der junge Schüler nickte. Würde auch ihm einmal solch eine Verantwortung zukommen? Wie würde er sich dann verhalten?

Der Alte fuhr leise fort: »Der weise Inagawa erzog seine Kin-der wie jeder andere auch, doch wendete er sich jede Nacht sei-nen Töchtern zu und übte sie in dem Umgang dieser seltenen Gabe. Er lehrte ihnen stets, dass sie diese weder zeigen noch öffentlich anwenden durften. Denn ihre Mitmenschen um sie herum waren sehr abergläubisch und somit hätten sie sich leicht in Gefahr begeben können. Trotz der Geheimhaltung dieser Kraft, erlangten Shizuka und Harumi im Verlaufe der Jahre eine große Macht. Und obwohl es den Anschein hatte, dass ihre Ehegatten die Familien regierten, begab es sich in Wahrheit so, dass die beiden jungen Frauen einen nicht unerheblichen Ein-fluss ausübten. So konnten sie auch dafür sorgen, dass sie beide mit ihren Ehemännern und dem gesamten Gefolge, in eine nur wenig besiedelte Gegend zogen. Nach wenigen Jahren gebaren beide ihrerseits Kinder, welchen ebenfalls magische Spuren anhafteten. Und so kam es, dass ein eigenes Volk entstand, welches sich selbst als mahō teki bezeichnete, was soviel wie die Magischen bedeutet. Untereinander konnten sie sein, wer sie waren. Doch nach außen mussten sie immer ihre wahre Ges-talt verdecken. Viele Jahre gingen ins Land, ohne dass auch nur irgendein Landsmann um ihre Kraft wusste. Die Nachkömm-linge der mittlerweile zahlreichen Familien wurden bereits im Kindesalter dahingehend erzogen, ihre Kraft nutzen zu können. Jedoch wurde ihnen auch immer geboten, sie unter keinen Um-ständen nach Außen hin zu zeigen. Eines Tages wurde ein Kna-be namens Chojiro Tosa geboren. Und wie du dir zweifellos denken kannst, besaß auch er ein gewaltiges Potential an magi-scher Kraft. Er wurde unterrichtet wie viele andere vor ihm. Er war klug und kräftig, außerordentlich flink und erlangte so im jungen Mannesalter einen guten Posten an der Seite des Anfüh-rers der mahō teki.

Während einer großen Dürre, welche über das gesamte Land zog, litten die mahō teki unter schrecklichem Hunger. Chojiro forderte eine Ausweitung ihrer Ländereien, um nicht zu ver-hungern, doch die Ältesten sahen die Gefahr entdeckt zu wer-den«. Meister Chi-on hielt eine Weile inne und blickte zu Isa-mu.

»Meister, was bedrückt Euch?«, fragte Isamu, als dieser den Schweremut in den Augen des Meisters sah.

»Du musst wissen«, fuhr dieser fort, »dass Chojiro bis zu je-ner muss sich an einem Ort zurückgezogen haben um seinen Schmerz zu verdrängen. Doch scheinbar fraß ihn seine Wut auf die Ältesten und seine Sehnsucht nach seinen Eltern auf und er schürte den Hass in sich. Dann – eines Nachts – gerieten einige Häuser der mahō teki in Brand. Die Ursache für diese Verwüs-tung war Chojiro. Doch er war nicht wieder zu erkennen. Er tobte vor Wut und zerstörte alles, was ihm im Wege war. Dann trat er auf den Marktplatz und offenbarte seine schreckliche Botschaft. Er würde, so kündigte er an, seine Macht nicht län-ger verstecken und jeden vernichten, der sich ihm in den Weg stellt. Dann verschwand er wieder und hinterließ ein kleines Volk in Angst.« Meister Chi-on hielt abermals inne. »Kommt dir das bekannt vor, dass jemand verschwindet und dann völlig verändert wieder zu seiner Heimat zurückkehrt, dort eine Bot-schaft verkündet, und dann erneut verschwindet?«

Isamu´s Augen weiteten sich. »Ihr meint Shinichi! Er handel-te genauso.«

»Richtig. Sowohl Chojiro als auch Shinichi verkündeten den Beginn eines Krieges. Bei beiden gab es Anhänger, welche ihre Macht nicht wie die mahō teki verstecken wollten. Bei beiden waren die Eltern verstorben – auch wenn wir nicht genau wis-sen, welche Umstände Shinichi umgaben. Doch was die schlimmste Gemeinsamkeit ist: Bei beiden haben sich ihre Dro-hungen bewahrheitet.«

»Doch nicht nur Gemeinsamkeiten sind zu finden. Es gibt auch einige Unterschiede«, warf Yuzo mit eindringlicher Stim-me ein. »Meister, bitte erlaubt mir, sie Isamu zu erklären«. Der Alte nickte und Yuzo fuhr fort. »Chojiro war in jedem Kampf anwesend, auch wenn er sich nicht aufs Schlachtfeld stellte. Der Krieg dauerte viele Jahre an. Immer wieder versuchten die Ku-ra-Ki-Batsu an Chojiro heranzukommen, ihn in einen Kampf zu verwickeln, doch er ließ sich nie darauf ein. Er war stets von seinen besten Männern bewacht. Er war es, welcher den Feind einte. Ein Sieg konnte nur durch seinen Sturz errungen werden. Doch wie konnte man nur seiner habhaft werden? Es schien unmöglich. Doch ein einziges Mal konnte er sich nicht zurück-halten, denn die Ältesten, welche damals seinen Wunsch, die Ländereien zu erweitern, ablehnten, boten sich aus Schuldge-fühlen als Köder an. Sie selbst waren mächtig, doch kämpfen war keine ihrer Stärken. Sie begaben sich auf das Schlachtfeld, umringt von ihren besten Leibwächtern und anderen starken Kriegern. Chojiro zeigte jedoch kein Interesse an ihnen. Ein weiterer Versuch, den Anführer der Ma in die Knie zu zwingen schien vergebens. Doch dann kam einem der Ältesten eine Idee. Sie sprachen einige merkwürdige Worte, um Chojiro glauben zu machen, es sei ein mächtiger, alter Zauber. Zunächst be-merkte dieser nichts, aber dann befahl er seinen Männern, sich den Alten zuzuwenden und anzugreifen. Doch das war nicht so leicht, da diese durch weitere Kura-Ki-Batsu geschützt wurden. Chojiro fürchtete um den Sieg und riskierte alles. Er schnellte wie ein Blitz durch das Schlachtgetümmel und erreichte die Mitte des Schutzkreises. Dort saß er dann in der Falle, denn aus dem Wald, welcher das Schlachtfeld umschloss, kamen weitere unserer Krieger, die im Hinterhalt auf ihn lauerten. Es war fort-an ein ungleicher Kampf. Chojiro und seine Mannen waren zahlenmäßig weit unterlegen. Es endete, wie wir es uns nur wünschen konnten. Jeder verfügbare Krieger stürzte sich auf den Feind und Chojiro war bald besiegt. Die restlichen seiner Gefolgsleute zerstreuten sich und fanden im umliegenden Wald Unterschlupf. Wir konnten sie nicht mehr ausmachen. Siegreich kehrten die stolzen Männer heim. Das ist das Ende dieser Ge-schichte. - Seither gab es vereinzelte Versuche der Ma sich wieder zu einen, doch wurden sie alle niedergeschlagen. Jahre später jedoch begann für den Feind eine neue Ära. Uns fehlt zwar ein unwiderlegbarer Beweis, dass Shinichi der neue An-führer ist, doch richtet sich unser Verdacht auf ihn. Er scharte zunächst die stärksten Krieger um sich, die er finden konnte. Er hat ein sehr feines Gespür, was die magische Kraft und die Ein-stellung ihr gegenüber in einem Menschen anbelangt. So war ihm ohne weiteres möglich, seine zukünftigen Gefolgsleute zu finden. Da die Ma sich im Verborgenen aufhielten und ge-schickt darin sind nicht entdeckt zu werden, konnten auch sie ihre Stärke an ihre Söhne weitergeben, ohne unsere Aufmerk-samkeit auf sich zu lenken.«

»Söhne? Hatten die Ma keine Töchter?«, fragte Isamu ver-wundert.

»Doch«, fuhr Yuzo schweren Herzens fort. »Die Ma sind da-von überzeugt, dass nur Männer stark genug seien den Krieg wieder zu entfachen. Sie halten Frauen für zu weich und haben Angst, dass sie sich uns, den Kura-Ki-Batsu, anschließen und sie verraten könnten. Ich habe noch nie eine Frau gesehen, wel-che den Ma angehörte. Wir nehmen an, dass die jungen Mäd-chen nach ihrer Geburt getötet werden.« Dann schwieg er, zu-tiefst berührt von dieser Grausamkeit.
 

Nach einer Weile sprach Meister Chi-on zu Isamu: »Ich will ehrlich zu dir sein, mein Schüler. Wir zogen dich ins Vertrauen, da wir in dich unsere Hoffnung setzen«, dann hielt er inne. »Isamu, ich habe im ersten Augenblick, da du mit verbundenen Augen in diesem Raume saßest, gespürt, was ich nur bei einem einzigen Menschen zuvor bemerkte. Sowohl das Gute als auch das Böse. Ich sagte, dass ich bei dir eine Ausnahme mache, um zu verhindern, dass du dich der dunklen Macht hingibst. Soweit war ich auch ehrlich zu dir. Doch habe ich dir nicht meine Ent-scheidung begründet. Zu wenig wusste ich über dich. Doch wusste ich auch zu viel über die Geschehnisse in unserem Land um dich einfach ziehen zu lassen. Isamu, die Wahrheit ist, dass mein Ziel war und immer noch ist, dich zu einem Kura-Ki-Batsu auszubilden. Doch nicht um dich für den Kampf gegen die Ma auszubilden, sondern gegen ihren Anführer Shinichi – oder sagen wir besser Darc, falls wir uns irren sollten und Shi-nichi nicht dem Bösen angehört. Isamu, ich glaube, dass du ge-nau wie Shinichi ein gewaltiges Potential besitzt. Du bist ihm so ähnlich, was deine Aura betrifft. Doch werde ich bei dir nicht denselben Fehler wie bei meinem einstigen Schüler bege-hen. Ich hätte lieber noch gewartet und dich weiter beobachtet, doch ich habe keine andere Wahl«, betrübt sah Meister Chi-on zu Boden.

»Meister, was meint Ihr damit, dass Ihr keine andere Wahl habt?«, fragte Isamu.

»Yuzo hat mir berichtet, du hättest eine erstaunliche Ausdau-er«.

»Ja, das stimmt. Wieso ist die nur so wichtig? Yuzo hat sich auch schon so merkwürdig verhalten. Er wollte mir aber nicht sagen weshalb«, antwortete Isamu voller Wissbegier.

»Yuzo handelte klug, mich zuerst aufzusuchen. Wir haben lange überlegt und sind zu dem eben genannten Entschluss ge-kommen. Wir oder besser gesagt ich werde dich fortan für den Kampf gegen Darc ausbilden«.

»Ihr werdet mich fortan ausbilden?«, fragte Isamu begeistert.

»Ja, du hast richtig verstanden. Gleich morgen beginnen wir damit.

Yuzo, darf ich dich bitten uns zu unterstützen, wenn ich deine Hilfe benötige?«, fragte er zu seinem älteren Schüler gewandt.

»Jederzeit, Meister«, antwortete dieser ergeben.

»Gut. So ist nun alles Wichtige besprochen. – Aber Isamu, dir sehe ich an, dass du noch eine Frage hast«.

»Ja, Meister. Warum ist denn nun meine hohe Ausdauer so bedeutend?«, fragte er voller Ungeduld.

»Bitte verzeih, ich vergaß, dass wir diese wichtige Eigen-schaft vergessen haben. Isamu, lass mich dir zuvor noch eine Frage stellen: Weißt du, wer noch solch hohe Ausdauer be-sitzt?«

Verdutzt sah Isamu seinen Meister an. »Nein, Meister. Wer könnte das sein?«.

»Die Antwort ist einfach. Die Lösung kompliziert. Ich weiß, dass Shinichi neben seinen vielen außergewöhnlichen Fähigkei-ten – welche Kraft, Schnelligkeit und sehr schnelle Lernfähig-keit beinhalten –ebenso, wie du, eine erhöhte Ausdauer besaß. Wenn du nun, wie Yuzo und ich hoffen, ebenfalls solche Fä-higkeiten in dir trägst, dann können wir den Kampf für uns ent-scheiden. Wir setzen all unsere Hoffnung in dich, Isamu. Denn der größte Unterschied zu Chojiro und Shinichi ist, dass Shini-chi noch schneller ist als sein Vorgänger. Wir können auch nicht auf dieselbe List der Ältesten hoffen, da wir davon ausge-hen, dass Shinichi die Geschichte analysiert hat und somit wohl nicht den gleichen Fehler begehen wird. Zudem ist uns niemand bekannt, den er so sehr hasst, dass er sein Leben riskieren wür-de um ihn zu schlagen. Aus diesem Grunde brauchen wir je-manden, der Darc ebenbürtig ist. Jemanden, wenn wir recht behalten, wie dich, Isamu«, spornte der Alte an und Isamu fühl-te sich noch unsicherer als vorher.

Konnte er, der Junge ohne Vergangenheit, sich mit dem dun-kelsten Anführer seiner Zeit messen? Sollte er scheitern, so wartete der Tod auf ihn, das war gewiss. Dann kam ihm ein Gedanke, der sein Herz nur schwermütig weiter schlagen lassen wollte: Shinichi konnte viel schneller als er einen Stein schwe-ben lassen.

»Nun aber geh schlafen. Morgen wird ein anstrengender Tag«, riss Meister Chi-on ihn aus seinen Gedanken. »Ab dem morgigen Tage werde ich dich ausbilden.«
 

Der Schattendieb

Es war noch dunkel, als er erwachte. Lautlos zog er sich an und schlich durch die vertrauten Winkel von Meister Chi-on´s Gehöft. Alles war still und doch wusste er, wo jeder einzelne der Wachen stand. Ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen, näherte er sich Yuzo, welcher sich auf dem Dach nach Feinden umsah.

»Bald wird die Sonne aufgehen, leg dich noch etwas schlafen«, flüsterte er seinem Freund zu, welcher zusammenzuckte.

»Isamu! Hast du mich erschreckt. Ich habe dich nicht einmal kommen hören. – Ich muss sagen, du hast dich in den letzten Monaten stark verbessert«, grinste Yuzo seinem ehemaligen Schützling entgegen. »Ich werde noch ein wenig ruhen, bevor wir wieder zu Meister Chi-on gehen«, verkündete dieser und unterdrückte ein herzhaftes Gähnen.

Dann verschwand er und Isamu beobachtete die weite, noch im Dunkeln liegende Landschaft.

Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, die er nun schon bei dem alten Meister lebte. Seit jener Nacht, in der er erfuhr, dass er gegen Darc kämpfen müsse, wurde er jeden Tag aufs Neue für diese entscheidende Schlacht ausgebildet. Er erinnerte sich an den darauf folgenden Tag, an dem ihm das Schweben-lassen eines Steines gelang. Danach lernte er, ihn als Waffe auf den Feind zu schleudern oder als Schild um sich selbst kreisen zu lassen. Doch was ihn am meisten verwunderte, war der Entschluss Meister Chi-on´s, ihm zunächst keine weiteren magischen Techniken lehren zu wollen. Dieser richtete sein Augenmerk auf die herkömmliche Kriegsführung. So wurde er im Umgang mit dem Katana sowie in den Künsten der Ninja unterrichtet. Er lernte, sich so leise wie ein Schatten zu bewegen, ohne auch nur ein einziges Mal seine magische Kraft nutzen zu müssen.

»Isamu, der Feind kann unsere magische Kraft spüren. Wenn du sie einsetzt, während du unerkannt bleiben willst, dann wirst du entdeckt. Du musst lernen, wie du die Aura, die dich umgibt, verbergen kannst. Und du solltest sie nur in Zeiten der Not freisetzen«, lautete die Begründung des Alten.
 

Als die Tage dann immer kürzer und auch kälter wurden, gelang es ihm, sich an Yuzo heranzuschleichen, ohne, dass dieser ihn spüren konnte.

»Isamu, deine Magie vermag ich nun nicht mehr zu spüren, aber du bist immer noch so laut wie ein Ochse. – Hier fang«, sagte sein junger Lehrer ruhig und warf ihm ein Holzschwert zu. Isamu´s Hand zuckte blitzschnell zur Seite und hielt dann den hölzernen Griff fest umklammert. Mit einem kräftigen Hieb eröffnete Yuzo den Kampf. Nachdem Isamu geschickt parierte, lächelte er. »Gut. Gegen die Menschen zu kämpfen wird dir keine Probleme bereiten. Doch was ist, wenn ein Ma dich mit hoher Geschwindigkeit angreift?« Isamu sah nur noch einen Schatten an sich vorbei rauschen und plötzlich stand der Angreifer hinter ihm. Dieser hob sein Schwert und schlug schnell auf ihn nieder. Isamu konnte gerade noch ausweichen und duckte sich zur Seite ab. Doch kaum hatte er den einen Angriff überstanden, folgte schon der nächste. Er parierte. Einen Augenblick später jedoch spürte er etwas Raues an seinem Hals.

»Nun, da musst du noch etwas schneller werden«, sagte Yuzo erfreut über seinen Sieg. Dann wurde er wieder ernst. »Noch mal.«

Isamu schloss seien Augen. Er spürte wie das Blut durch seine Adern schoss. Immer lauter drang das nun schneller werdende Rauschen in sein Ohr. Dann entzweite er seine Lieder und sah nur noch einen dunklen Schatten, wie er sich ihm schnell näherte. Isamu hob sein Schwert, doch Yuzo wich zur Seite aus und griff ihn nun von hinten an. Er spürte kaum noch was er tat. Sein Körper schien sich von allein zu bewegen. Wieder wich er geschickt aus und hob nun sein Schwert zum Angriff. Der Schlagabtausch dauerte kaum mehr als einige wenige Augenblicke, doch für die beiden Kämpfer geschah alles sehr langsam.
 

Beide stoben auseinander und waren nun ein paar Schritte voneinander entfernt. Yuzo sah ihn an.

»Das war gut. Du wirst immer besser. Doch konzentriere dich, denn es folgt gleich der nächste Schlag. Bleibe ruhig und sammle deine innere Energie. – Fertig?«

Isamu stand da, wieder mit geschlossenen Augen und befolgte den Rat. Doch wie konnte er nur gegen Yuzo bestehen? Dieser war schneller als er und beherrschte das Katana besser als jeder andere, den Isamu je gesehen hatte. Yuzo war nicht zu spüren, doch Isamu konnte dessen Schwert spüren. Da kam ihm eine Idee. Doch bevor er weiter überlegen konnte, bemerkte er, dass sich die Waffe rasch näherte. Diese Aura konnte er viel deutlicher spüren, als er es mit seinen Augen hätte wahrnehmen können. Seine Arme bewegten sich zur Parade. Weiterhin hielt er seine Augen geschlossen, um sich auf die Waffe des Gegners konzentrieren zu können. Doch plötzlich fiel sein eigenes Schwert zu Boden. Als er die Lieder entzweite sah er, dass Yuzo es ihm aus der Hand gerissen hatte. Schnell wich er einem weiteren Angriff aus und rollte zur Seite. Dann griff er an seinen Gürtel und zog einen kleinen Dolch. Mit erhobener Waffe tauchte Yuzo erneut vor ihm auf.

Einen Herzschlag später standen sich beide reglos gegenüber. Yuzo noch immer mit erhobenem Schwert. Isamu jedoch hielt ihm seinen Dolch an den Hals. Langsam lösten sie sich und zufrieden schlug Yuzo ihm auf die Schulter.

»Das war wirklich gut. Mit magischer Kraft mein Schwert zur Seite zu bewegen war eine gute Idee von dir.« Er lächelte. »Doch du solltest bei einem Kampf stets die Augen geöffnet halten. Du hast nicht einmal bemerkt, wie ich mich schneller bewegt habe als meine Waffe und so deine eigene entwenden konnte. Du musst lernen, sowohl mit deinem inneren geistigen Auge zu sehen,« und dabei tippte er sich mit dem Zeigefinger leicht an die Schläfe, »als auch mit deinen beiden in deinem Kopf. Du kannst dich nicht nur auf eines der beiden verlassen.«
 

So vergingen die Jahreszeiten. Es wurde kühler und dann wieder wärmer. Tag um Tag übte Isamu verbittert, mit seinem Freund und Lehrer, die verschiedensten Kampftechniken. Unter Meister Chi-on´s Aufsicht wendete er sich nicht nur dem Kämpfen zu. Viele Gespräche wurden bei einer Tasse Tee geführt. So lernte er viel über die Prinzipien des Geistes und dem eigenen Chi kennen. Einige Abende verbrachte er zusammen mit Yuzo und einigen anderen aus Meister Chi-on´s Gefolge in der örtlichen Taverne, bei einem Schälchen Sake.
 

Wieder in der Gegenwart wurde er bald von einer weiteren Wache abgelöst. Auf dem Weg zu Meister Chi-on hörte er schon von fern her zwei Stimmen, welche eindringlich aufeinander einredeten.

»Ich halte das für zu gefährlich Meister. Wenn er Kontakt zu ihr aufnimmt, dann gefährdet er ihre Tarnung.«

»Yuzo, die Gefahr ist mir durchaus bewusst. Jedoch müssen wir wissen, ob sich unsere Befürchtungen bewahrheiten. Dies Dokument ist von äußerster Wichtigkeit. Wir müssen es bekommen! Er kann es schaffen. Und wenn er mit unserem Spion nicht gesehen wird, dann wird auch niemand - .«

Die Stimme von Meister Chi-on verstummte. Nichts war nun mehr zu hören. Isamu stand vor der Tür hinter welcher Meister Chi-on und Yuzo sich befanden. Dann ertönte die Stimme des Alten erneut. »Komm herein Isamu.«

»Du hast dich geschickt verborgen Isamu. Jedoch musst du künftig darauf bedacht sein, deine Magische Kraft dauerhaft zu unterdrücken.«, sprach Yuzo in ernstem Ton.

»Verzeiht. Ich war verwirrt von dem, was ich hörte. Da habe ich alles andere um mich herum vergessen.«

»Nun, Isamu.«, ergriff Meister Chi-on das Wort, »wir wissen von einer kleinen Truhe. Diese ist von großer Wichtigkeit. Sie befindet sich am Hofe des Landesfürsten Mino. Es scheint, als gehe er ein Bündnis ein. Wir müssen wissen, ob dem so ist.«

»Meister Chi-on, was befindet sich in der Truhe?«, fragte Isamu neugierig.

»Erinnerst du dich noch an Shinichi´s Nachnamen?«, fragte Yuzo. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr dieser fort. »Er gehört der Familie Yamato an. Wir wissen nicht viel über die genauen Umstände. Seinem Vater gehörten weite Landstriche. Er war ein weiser und umsichtiger Landsherr, welcher Krieg verabscheute und den Frieden suchte. Doch eines Tages verstarb sein Vater sowie seine Mutter. Jedoch soll er einen jüngeren Bruder gehabt haben. Da beide noch nicht das Mannesalter erreicht hatten, regierte vorerst ein Vertreter der Yamatos. Zunächst war er auf das Wohlbefinden der beiden Knaben bedacht. Doch mit der Zeit wurde er selbstsüchtig. Er wollte nicht die ihm geliehene Macht weitergeben. Mit allen Mitteln versuchte er Shinichi davon abzuhalten, eines Tages selbst Oberhaupt der Familie zu werden. Er nahm auch nicht die Verfolgung auf, als die zwei Jungen flohen, da er sich sicher war, dass sie als Flüchtlinge keine Gefahr darstellten. – Um nun wieder zu der ursprünglichen Frage zurück zu kommen, was in der Truhe sein könnte. Die Ma verhandeln mit dem Landefürsten Mino. Wenn nun ihr Anführer Darc in Wahrheit Shinichi ist, dann fürchten wir, dass er sich sein Erbe zurückholen wird. Er wird den Vertreter verbannen oder ihm schlimmeres antun. Dann, wenn niemand ihm mehr im Wege steht, wird er das Land für sich beanspruchen. Da der Hauptsitz der Familie Yamato nicht sehr weit entfernt von unserem, werden uns die Ma hier aufspüren. Wenn erst das Land mit unseren Feinden gespickt ist, dann können wir gegen sie nicht bestehen. Es sind zu viele. Deshalb müssen wir wissen, ob die Ma beabsichtigen das Land der Yamatos zu besetzen. Sollten sich unsere Vermutungen bewahrheiten, so schließt Darc mit dem Landesfürsten Mino einen Friedenspakt. So wäre es ihm möglich seine Vorräte in Mino´s Reich aufzufüllen und im Gegenzug wird er diesen nicht angegriffen. Mino weiß um Darc´s Macht bescheid, auch wenn er sie unterschätzt. In dieser Truhe, welche wir benötigen, ist vermutlich dieser Pakt besiegelt. - Bisher konnten wir die Ma immer in den Norden Japans zurückdrängen. Doch dieser Pakt entscheidet nun, ob wir uns auf eine baldige Schlacht im eigenen Lande einstellen müssen oder nicht.«

Ein kurzes Schweigen lag bleiern in der Luft, dann sagte Meister Chi-on eindringlich: »Dies ist nun also der Grund, warum die Truhe gestohlen werden muss. Isamu, du wirst dies gemeinsam mit Yuzo erledigen. Ihr werdet euch als Reisende ausgeben und Landesfürst Mino um ein Nachtlager bitten. In der Dunkelheit sucht ihr dann die Kammer mit der Truhe auf und bringt diese zu mir.«

»Ich soll mit Yuzo die Truhe stehlen?«

Isamu war völlig verdutzt, als er diesen Auftrag erhielt. Reichten seine Fähigkeiten aus, um den Feind zu täuschen? Und was konnte er unternehmen im Falle eines Kampfes? Er hatte bei Meister Chi-on doch bisher nur gelernt sich mit irdenen Waffen zu wehren. Doch seine magische Kraft konnte er nicht zur Verteidigung einsetzen. Gewillt jedoch seinen Meister nicht zu enttäuschen antwortete er: »Ich werde Eurem Wunsch entsprechen und die Truhe für Euch stehlen.«
 

Am nächsten Tag brachen Yuzo und er gemeinsam auf. Beide mussten sich ein Pferd teilen, da Isamu kein eigenes besaß. Immer weiter ritten sie durch fruchtbare Täler, kleine Flüsse und als es langsam dunkel wurde, ritten sie durch einen dichten Wald. Nur noch wenige Sonnenstrahlen gelangten durch das dichte Blätterdach welches in beträchtlicher Höhe über ihnen schwebte.

»Hier werden wir bis morgen rasten«, sagte Yuzo, als das Pferd zum Stillstand kam. »Zunächst benötigen wir ein Feuer, damit wir uns etwas wärmen können.«

Dann schwärmten beide aus und begannen in der nun einbrechenden Dunkelheit Holz zu sammeln. Auf seiner Suche sah Isamu riesige Bäume, die in den Himmel ragten. Gelegentlich sah er einen kleinen Ast, welchen er zu dem anwachsenden Bündel in seinen Armen legte. Als er nicht mehr aufnehmen konnte, kehrte er zu dem Rastplatz zurück. Yuzo rieb dort bereits zwei Hölzer schnell aneinander.

»Ohne magische Kraft ein Feuer zu entfachen ist ein Graus!«, sagte Yuzo wütend zu sich selbst. Nach einiger Zeit begann endlich ein leichter Rauch aufzusteigen und Yuzo rief fröhlich aus: »Ha! Wird auch Zeit.«

Einige Augenblicke später brannten die Hölzer mit heller Flamme.

»So. Nun lass uns noch ein wenig ruhen, bevor wir morgen wieder weiter reiten müssen.« gähnte sein Lehrer Isamu entgegen. Beide suchten sich noch ein wenig Laub zusammen und legten sich dann hin zum Schlafen.

Isamu übermannte ein traumloser Schlaf.

Als er erwachte war es bereits hell. Das kleine Feuer brannte noch, doch die Nacht lag noch immer eisig über ihm. Er setzte sich zu seinem Gefährten, welcher im hellen Schein der Flammen saß und durch die dichten Bäume spähte.

»Yuzo, was sind das für hohe Bäume rings um uns?«

»Das sind Sicheltannen. Die sind weit verbreitet in unseren Wäldern und können etwa 12 Jō hoch werden. Lass uns auf sie klettern, um uns ein wenig umzuschauen.«

Es war kein leichtes Unterfangen bis ganz nach oben zu gelangen. Doch als beide die Spitze einer hoch gewachsenen Sicheltanne erreichten, blickten sie auf eine weitläufige Landschaft.

»Kannst du die Burg dort erkennen? Dorthin führt unser Weg«, und Yuzo deutete mit dem Finger drauf.

Isamu sah hinter dem lang gestreckten Wald ein weites Tal, durch welches sich drei große Flüsse schlängelten. Um eine Stadt herum, welche die Burg umschloss, wurden riesige Flächen für den Ackerbau genutzt. Einige Obstplantagen stachen mit ihren bunten Farben aus der sonst so eintönigen Landschaft heraus.

»Es wird Zeit, dass wir aufbrechen«, sagte Yuzo plötzlich.

»Warum? Ich dachte wir wollen uns als Reisende ausgeben. Wäre es dann nicht klüger, wir würden erst ein paar Stunden vor Einbruch der Dunkelheit in der Burg eintreffen?«, fragte Isamu.

»Das stimmt auch. Wir werden auch erst ein paar Stunden vor Einbruch der Dunkelheit in der Burg eintreffen. Doch bevor es soweit ist, werden wir uns in der Gegend noch ein wenig umschauen«, antwortete Yuzo mit einem Blitzen in den Augen und beide liefen los.
 

»Isamu, es ist soweit. Überlass´ das Reden mir. Und achte darauf, dass deine Aura stets unterdrückt bleibt. Hörst du, das ist sehr wichtig!«

Isamu nickte und beide zogen sich einfache Reisegewänder an. Yuzo überprüfte noch einmal ihre gemeinsame Verkleidung und dann begaben sie sich an das große Tor der Burg.

»Wir ersuchen den Herrn dieser Festung. Wir sind reisende Gesandte und benötigen eine Bleibe für die Nacht. Erlaubt uns einzutreten«, rief Yuzo der Wache auf der anderen Seite des eisenbeschlagenen Tors zu.

»Welchem Herrn dient Ihr? Wer schickt Euch durch unsere Lande?«, schallte es zurück.

»Wir handeln nach den Befehlen von Fürst Musashi. Lasst uns ein!«

Wenige Augenblicke später öffnete sich das Tor mit einem ohrenbetäubenden Quietschen. Ein grimmig aussehender Mann trat aus dem Schatten hervor.

»Tretet ein. Fürst Musashi´s Gesandte werden bei uns stets empfangen.«

Zufrieden begaben sich die beiden selbsternannten Gesandten zu Fürst Mino. Flankiert von einem Trupp Soldaten gelangten sie ohne Weiteres in eine große Eingangshalle, in welcher viele Kostbarkeiten die Macht des Fürsten verdeutlichten.

»Sprecht, wieso seid ihr hier?« fragte der Fürst mit tiefer Stimme.

»Wir sind Gesandte des Fürsten Musashi. Wir erbitten von Euch, Fürst Mino, Fürst über weite Landstriche und Freund des Fürsten Musashi, eine Bleibe für die Nacht.«

»Von Fürst Musashi also?«, fragte Fürst Mino misstrauisch. »Ihr seid recht wenig Mann. Ich kenne den Fürsten gut. Er schickt nie seine Gesandte ohne Schutz. Wie kommt es, dass ihr allein hier seid?«

Isamu stockte der Atem. War ihre Tarnung bereits durchschaut worden? Wenn ja, dann würden sicher gleich die Wachen sich ihnen entgegenstellen. Doch Yuzo antwortete, als entspräche es der Wahrheit: »Wir zogen los mit drei Samurai uns zu schützen. Doch im Lande der Yamato´s gerieten wir in eine Auseinandersetzung. Wir beide flohen vor der Gefahr. Denn wir haben den Umgang mit dem Schwert nie gelernt. Nichts vermochte uns zur Verteidigung dienen. Nur die dichten Büsche gaben uns noch Schutz. Als der nächste Morgen dämmerte und das Aufeinandertreffen der Schwerter schon längst verhallt war, krochen wir aus unserem Versteck. Unsere Drei Begleiter gaben ihr Leben im Dienste unseres Fürsten. Seit nunmehr drei Tagen irren wir umher, auf dem Weg zurück zu unserem Herren.«

»Seid unbesorgt. Hier seid Ihr in Sicherheit. Ihr werdet gleich morgen Früh mit ein paar meiner Männer Euren Weg fortsetzen. So könnt Ihr Eurem Herrn schnell diese Nachricht übermitteln.« Er klatschte zweimal in die Hände und ein Mann betrat die Halle mit gesenktem Blick. »Führe sie in ihr Gemach. Du weißt welches.«

Mit einer tiefen Verbeugung bedankten sich die beiden Gesandten bei Fürst Mino und dann folgten sie dem Mann, welcher sie zu ihrem Nachtquartier bringen sollte. Beim Verlassen des Raumes sah Isamu im Augenwinkel noch, wie ein Vertrauter des Fürsten ihn mit unverhohlenem Blick anstarrte. Er war nicht sonderlich stämmig, doch in seinen Augen funkelte die blanke Boshaft. Mit einem hinterlistigen Grinsen wandte er seinen Blick ab und redete nun auf den Fürsten ein.
 

»Wir müssen uns in Acht nehmen. Mino misstraut uns. Sonst hätte er uns nicht in dieses Loch gesteckt!«, fluchte Yuzo leise vor sich hin.

Beide befanden sich in einem kleinen und schäbigen Raum. Die Wände bedrückten allein durch ihr heruntergekommenes Äußeres. Die Liegen waren mottenzerfressen und nur ein winziges Fenster ließ Licht in die enge Kammer.

»Die besten Gemächer sind den Gesandten vorbehalten. Wir jedoch werden hier drin untergebracht.«

Dann setzte sich Yuzo auf den Boden und dachte eine gefühlte Ewigkeit nach. Isamu betrachtete die Kammer. Die Wände schienen mit massiven Steinen gemauert zu sein. Decke und Boden vermutlich ebenso. Sogar die Tür war aus dickem Holz gezimmert. Er schritt zu dem Fenster, in der Hoffnung wenigstens den weiten Himmel sehen zu können. So schaute er durch das einzige Loch in dem dünnen Reispapier. Es war lediglich ein Finger breit, sodass Isamu nur wenig erkennen konnte. Doch vermutlich hätte ihn auch kein größeres Loch erfreuen können, denn er sah, dass sich unweit des Fensters eine Wand erstreckte, die jedweden Himmel verdeckte. Dann hörte er von irgendwo her eine Stimme.

» … dass die beiden Gesandte des Fürsten Musashi seien. Was meinst du, wo die gerade herkommen?«

»Woher soll ich das denn wissen?«, schnauzte eine andere Stimme zurück. Dann war eine Weile nichts mehr zu hören. Leise trat Yuzo ans Fenster. »Wachleute«, flüsterte er Isamu zu.

Dann ertönte wieder die zweite Stimme. »Die werden wohl von irgendwo im Westen des Landes her kommen. Wir sollten jedoch nicht zu lange hier bleiben. Oder willst du, dass uns der Hauptmann erwischt?« Dann hallten leise Schritte von den Wänden wieder, welche nach und nach verebbten.

»Isamu«, flüsterte Yuzo leise. »Wir werden das Dokument heute Nacht stehlen. Zunächst müssen wir jedoch in Erfahrung bringen, wo es sich befindet.«

»Und wie bringen wir das in Erfahrung?«, fragte Isamu skeptisch.

»Bei Anbruch der Nacht werden wir hier ausbrechen und dann ein paar Wachen fragen wo es ist.«

»Wachen?«, platzte es Isamu heraus.

»Ja, Wachen. In gefesseltem Zustand sind die Kerle recht redselig. Doch wir werden bald entdeckt werden, deshalb müssen wir schnell finden, wonach wir suchen und dann noch schneller wieder von hier verschwinden.« Yuzo sah kurz zweifelnd zu Boden. Doch mit neuer Zuversicht in dem Blick sagte er: »Wir schaffen das. Wir haben beide so lange das Schattenschleichen geübt, da werden wir doch nicht weiter auffallen. - Ach und Isamu. Was immer du tust, nutze nicht deine magische Kraft. Hast du mich verstanden. Du hast doch sicher den Kerl neben dem Fürsten Mino bemerkt. Der mit dem fiesen Blick.«

Isamu nickte.

»Das war ein Ma. Ein ziemlich schlimmer Kerl. Ich habe bereits von ihm gehört. Er tötet aus reinem Vergnügen. Egal ob Frauen oder Kinder. Doch er ist nicht dumm. Darc wird gewusst haben, warum er gerade ihn zu Mino schickt. Denn Mino hat Angst vor ihm. Wir dürfen auf keinen Fall seine Aufmerksamkeit erregen.«

Isamu stellte sich gerade recht lebhaft vor, wie sich diese boshaften Augen noch einmal auf richteten. Diesmal in dem Wissen, dass er ein Ma ist. Würde er ihn ohne Vorbehalt angreifen? Oder Würde er auf einen günstigen Augenblick warten?

»Kann er uns denn nicht bereits spüren?«, fragte er.

»Doch, das kann er. Jedoch spüre ich bei dir keinen Unterschied zu normalen Menschen. Das scheint eine deiner Gaben zu sein.«, grinste Yuzo. »Und ich habe gelernt meine Aura denen der Menschen anzupassen. Wenn wir also keine magische Kraft nutzen, fallen wir nicht weiter auf.«

»Hat denn jeder Mensch eine Aura?«, fragte Isamu neugierig.

»Ja. Ich kenne nur eine Person, die ihre Aura bereits verstecken konnte, bevor sie von Meister Chi-on unterrichtet wurde. Alle anderen, die ich kenne haben es erst bei ihm oder einem anderen Meister der Kura-Ki-Batsu gelernt.«

»Kenne ich ihn? Wie lautet sein Name«

»Wie kommst du darauf, dass es ein Mann ist? Denn du irrst dich. Es ist eine Frau, welche ich meine. Aber um deine Frage zu beantworten, ob du sie kennst. Nein, ich glaube nicht, dass ihr euch schon einmal begegnet seid. Momentan ist sie hier, bei Fürst Mino. Meister Chi-on wollte wissen, was hier vor sich geht, und da sie bereits Kontakt zu Mino hatte, bot sie ihre Hilfe an. Sie hat bereits wichtige Informationen gesammelt. Ohne ihr Zutun hätten wir keine Ahnung, was hier, so nah an unseren Landen, vor sich geht. Die Ma festigen ihre Stellungen. Soweit war uns bekannt, doch wussten wir nicht, wie sie das anstellen. Doch nun können wir davon ausgehen, dass sie die Händlerwege von hier bis nach China beaufsichtigen. Ihre Hochburg befindet sich bei Kanazawa. Doch ob dies nur eine Ablenkung ist, wissen wir nicht. Ich bezweifle, dass sich dort auch der befindet, den wir zu bekämpfen versuchen. Shinichi wird wohl kaum so dumm sein und sich dort aufhalten, wo wir es vermuten. Wir müssen unsere Stellungen ebenso ausbauen, wie die Ma. Dennoch haben wir einen großen Nachteil.«

»Und welchen Nachteil haben wir?«, wollte Isamu wissen.

»Die Ma überwachen die Handelswege. Sie haben großen Einfluss auf den Norden des Landes. Ihre Schar ist groß, und unserer zahlenmäßig weit überlegen. Einen offenen Krieg können wir nicht riskieren. Wir müssen im Verborgenen handeln.«, antwortete Yuzo. »Wir sind auch nicht in der Lage wichtige Fürsten zu bestechen, wie unsere Feinde es vermögen. Diese Bestechungen bieten den Ma zusätzliche Handlungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die offene Suche nach neuen Anhängern. Doch wir haben die Möglichkeit zu siegen. Wir müssen nur abwarten. Wie die Spinne auf ihre Beute. Wir spinnen unser Netz. So unscheinbar wie möglich. Und dann schlagen wir zu. Wir haben gute Beziehungen zu einigen Meistern im Westen des Landes. Wenn wir die Ma im Verborgenen schwächen, können wir anschließend einen Angriff wagen. Doch das verlangt gute Vorarbeit. So ist auch unser Auftrag ein Teil des Ganzen. Wenn wir das Dokument haben, können wir weitere Schritte der Ma abschätzen.« Yuzo schaute in Richtung des kleinen Fensters.

»Gut, es ist soweit. Also wie abgemacht. Wir überfallen ein paar Wachen, stehlen das Dokument und verschwinden dann schleunigst. Unser Pferd wird wohl noch im Wald sein. Bis dorthin werden wir rennen. Aber wie ich dich kenne wird das kein Problem sein.« Yuzo grinste ihn an.
 

Es wurde dunkel, als der runde Mond sich hinter einer dichten Wolke verbarg. Mühelos zerriss Yuzo das dünne Reispapier. Die nun freie Sicht offenbarte eine schräge Mauer, an dessen Fuß ein kleiner Rundweg für die Wachen angelegt war. Lautlos rutschten die beiden vermummten Krieger in die Tiefe. Katzengleich landeten sie auf dem Boden und verschmolzen mit der Dunkelheit. Kurze Zeit später entdeckten sie den Hauptmann, als er gerade die Wache am Tor zehn Runden um die Burg laufen ließ.

»Und wenn ich euch das nächste Mal beim Schlafen erwische, dann lauft ihr die ganze Nacht!«, brüllte dieser durch die Dunkelheit. Nach einiger Zeit setzte er seinen Rundgang fort.

Mit einer kurzen Handbewegung signalisierte Yuzo, dem Hauptmann zu folgen. Er saß am Lagerfeuer, als sie ihn einholten stocherte lustlos in der Glut herum.

»Ihr seid also bereits fertig mit eurem Rundgang.« ertönte eine tiefe Stimme.

Isamu erblickte den Vertrauten des Fürsten. Mit einem grimmigen Lächeln näherte er sich dem Hauptmann.

»Noch nicht. Doch seid unbesorgt. Ich werde mich sogleich vergewissern, ob Euer wichtiges Dokument noch an seinem Platz ist.«

»Dummkopf! Erwähnt nicht, dass es sich hier befindet, in dieser Burg. Niemand darf es finden, habt Ihr mich verstanden?!«

»Seid unbesorgt«, wiederholte der Hauptmann. »Niemand weiß, wo es sich befindet. Jeder würde es in der Schatzkammer vermuten, doch das ist eine Falle. Nur ich und der Fürst wissen, wo es ist. Ich werde sogleich nach dem Rechten sehen.«

»Das will ich Euch auch geraten haben. Erinnert Ihr Euch an die Gesandten, welche heute um ein Nachtlager baten. – Ich traue ihnen nicht. Sie könnten Spione von dem alten Narren sein, welcher nun im Namen der ehrenwerten Familie Yamato regiert. Der Alte wittert sein Ende. Doch wenn mein Meister erst die Grenzen mit seiner Armee überschreitet, dann wird der Alte keinen Platz des Friedens mehr finden können.«

Ein tiefes und grauenerweckendes Lachen donnerte durch die Luft. »Und nun verschwindet und seht nach dem Dokument.«

»Wie Ihr befehlt«, antwortete der Hauptmann. Er war kreidebleich und erschüttert von diesem teuflischen Lachen. Zügig verließ er das wärmende Feuer und eilte schnellen Schrittes davon. Nur mit Mühe konnten Yuzo und Isamu ihm folgen ohne gesehen zu werden. Als der Verfolgte endlich vor einer schweren Eisentür zum stehen kam, ertönte das klimpernde Geräusch eines Schlüsselbundes. Er stocherte mit einem dieser Metallstifte im Schloss herum und im Anschluss war ein leises Klicken zu hören. Leise schwang die Tür zur Seite und der Hauptmann trat ein.

Yuzo wartete einige Augenblicke, dann sagte er: »Welch Glück, dass man von innen nicht zuschließen kann. Hast du gesehen, der Gang führte in die Tiefe. Es scheint eine Art Keller zu sein. Nun sollte er weit genug weg sein, dass wir ihm folgen können.«

Im Keller ertönten nicht weit entfernte Schritte, welche augenblicklich später verstummten. Ein weiteres mal klimperte der Schlüsselbund und eine Tür am Ende des Ganges öffnete sich.

»Na also. Alles ist noch an seinem rechtmäßigen Platz«, sagte der Hauptmann zufrieden zu sich selbst.

»Aber nicht mehr lange«, antwortete Yuzo, welcher hinter dem Verfolgten stand und ihn mit einem gezielten Hieb bewusstlos schlug. »Wir haben keine Zeit, um die Truhe hier aufzubrechen. Isamu, wir nehmen sie mit und werden sie später öffnen.«

»Nicht nötig. Sieh nur. Der Schlüssel vom Hauptmann passt in das Schloss.«, antwortete Isamu erfreut, als er den letzten Schlüssel probierte.

»Ausgezeichnet. Wir haben das Dokument. Jetzt müssen wir es nur noch zu Meister Chi-on bringen.«
 

Die kühle Nachtluft peitschte um Isamu´s Gesicht als beide durch die Dunkelheit flohen. Plötzlich ertönte eine laute Glocke und ein leiser Ruf war zu hören. Irgendwo in der Ferne rannten einige Wachen hin und her.

»Wir wurden entdeckt.« Yuzo blieb stehen und sah sich um. »Isamu, du nimmst das Dokument und ich lenke die Wachen auf eine falsche Fährte. Wir treffen uns im Wald, an der Stelle, wo wir mein Pferd angebunden haben. Weißt du noch, wie du dorthin gelangst?«

Isamu nickte.

»Gut, dann viel Glück.«, und Yuzo verschwand.

Gut verborgen wartete Isamu noch eine Weile, ehe er die Flucht fortsetzte.

»Hier ist er!«, hallte es durch die Gassen. Kurz darauf rannten einige Wachen mit ihren klappernden Rüstungen und mit Lanzen bewaffnet an seinem Versteck vorbei, in die Richtung, in welche Yuzo verschwunden war. Dann war es wieder Still.

Noch ein letzter Blick, ob sich auch niemand in der Nähe befand, und schon rannte Isamu an den verschlossenen Fenstern der Kaufmannshäuser vorbei. Er war noch nicht weit gekommen, da hörte er, wie etwas durch die Luft schnellte. Kurz darauf wickelte sich etwas Schweres um sein Bein und er fiel zu Boden. Als er wieder wusste, wo er war, folgte sein Blick einer langen, eisernen Kette, welche der Grund für seinen Sturz war. Mit festem Griff zog ein Schatten die Eisenglieder straff.

»Gebt mir das Dokument!«

Alte Freunde

Ich sah Flammen! Überall Flammen. Ich spürte die Hitze auf meiner Haut. Voller Angst schob ich mich zur Wand hinter mir. Weg von den roten, sich windenden Teufeln, welche in dem Haus meiner Eltern wüteten. Ich sah, wie sie sich an allem labten, was ihnen im Weg war. Außer Stande klar zu denken ergriff ich die wohl einzige Möglichkeit zur Flucht. Meine Beine fühlten sich an wie betäubt. Und doch waren sie es, welche mich in Richtung der brennenden Wände aus Reispapier trugen. Schützend hielt ich beide Arme vor mein Gesicht und durchbrach die Wand aus Flammen. Ich spürte gerade noch, wie ich auf dem harten Boden unseres Gartens aufschlug, ehe ich die Besinnung verlor.
 

»Riu! Wach auf mein Kind!« rief eine Stimme.

Als ich die Augen zitternd aufschlug, erblickte ich die Frau, welche in dem Haus neben unserem wohnte. Mit Tränen in den Augen kniete sie neben mir und schüttelte mich.

»Mir geht es gut, Frau Kanjiro«, antwortete ich benommen.

»Als ich den Rauch erblickte eilte ich so schnell ich konnte her«, hauchte sie erleichtert, als sie sah, dass mir nichts fehlte.

Ich war am Leben. Doch was war mit den anderen Bewohnern des Hauses? Wie erging es meinen Eltern? Unserem Koch? Unseren Pferden? Alle die mir nahe standen und die ich liebte, befanden sich in diesem brennenden Haus.

»Wo sind meine Eltern?«, fragte ich aufgeregt und fürchtete bereits die Antwort.

»Riu, es tut mir so leid.«, antwortete sie traurig.

All meine Hoffnung schwand. Ich stand vor dem Nichts! Meine Eltern füllten seit meiner Geburt die kleine Welt, in der ich lebte. Doch nun verschmolz sie in Finsternis und lies mich zurück. Als mir dies bewusst wurde brachen meine Tränen hervor, wie bei einem berstenden Damm. Alles um mich herum verschwamm und die Belange der Welt versanken in Bedeutungslosigkeit.
 

Drei Jahre lebte ich glücklich bei der Frau, welche sich damals meiner annahm. Jedoch konnte ich nie ganz den Schmerz vergessen, welchen ich empfand, wenn ich an meine verstorbenen Eltern dachte. Die Zeit verging und mit jedem Tag schloss ich Frau Kanjiro mehr in mein Herz. Doch auch sie unterlag eines Tages ihrem Alter und ließ mich wieder allein in dieser Welt zurück. Nach einigen Tagen, in welchen ich meist weinend in einer Ecke saß, entschloss ich mich, diesen Ort zu verlassen. Ich musste fort von all diesen traurigen Erinnerungen, welche mich von Tag zu Tag mehr quälten. Ohne genau zu wissen wohin, lief ich gen Osten. Hunger und Durst waren zwei Tagen lang mein ständiger Begleiter. Doch ich hatte Glück, dass meine Mutter Tänzerin war. Sie war es auch, welche mich in meiner Kindheit unterrichtet hatte. So versuchte ich als tanzende Geisha mir ein wenig Nahrung und einen Platz zum Schlafen zu verdienen.

Eines Tages dann, kreuzte Fürst Mino meinen Weg. Er war höflich zu mir und bat mich um eine Darbietung meines Könnens. Seit etlichen Monden übte ich jeden Tag und dieser Fleiß sollte sich nun auszahlen. Der Fürst bot mir an, mit ihm zu kommen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft willigte ich ein. Er gab mir Essen, er gab mir Trinken, er gab mir Kleidung. Doch auch seine Güte vermochte meine Trauer über meine Eltern nicht zu überdecken. Als er mich fragte, aus welchem Grunde ich so bedrückt sei, erzählte ich ihm mein Schicksal bis zum damaligen Tage. Mitfühlend stellte er mir frei zu gehen, und auf der Suche nach einem Ort des Glückes, reiste ich weiter.
 

Am darauf folgenden Tage geschah dann etwas, was mein Leben und auch mein Umgang mit dem Schicksal meiner Eltern entscheidend veränderte. Ich saß, mit dem Gesicht in den Knien verborgen, an einen Baum gelehnt und dachte an die Wand aus Feuer, welche mich von unserem Garten trennte. Ich spürte die Hitze auf meiner Haut. Und auf einmal konnte ich nicht nur dieses bekümmernde Gefühl der Hilflosigkeit spüren, sondern auch noch etwas anderes. Dieses Gefühl war mir neu, ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Und obwohl ich nicht zu sagen vermochte, wie es sich genau anfühlte, konnte ich dennoch eine Richtung ausmachen. Ängstlich, aber dennoch neugierig, lief ich vorsichtig durch den Wald, in welchem ich mich befand. Ich war schon eine Weile gegangen, da konnte ich zwei Männer erblicken. Sie standen auf einer Lichtung, umgeben von dichtem Geäst. Meine Augen weiteten sich, denn ich konnte nicht glauben, was ich vor mir sah! Konnte das wahrhaftig sein? Oder war ich vor lauter Sorge um meine Eltern verrückt geworden? Ich sah nicht nur die zwei Männer allein. Was mir zunächst nicht bewusst wurde, war die Gegebenheit, dass sie nicht auf einer natürlich gewachsenen Lichtung standen. Vielmehr waren die Bäume um sie herum umgeknickt oder wurden gar aus ihrer Verankerung im Boden herausgerissen. Was mein Augenmerk wie magisch auf sich zog, waren die farbig leuchtenden Auren um sie herum. Einer von ihnen wandte mir den Rücken zu und leuchtete in blauem Licht. Ich erkannte nicht viel. Konnte jedoch sehen, dass er schwarzes, kurzes Haar hatte und in seiner rechten Hand ein langes und scharfes Schwert hielt. Rot leuchtete die metallene Spitze im Licht und vereinzelte Tropfen fielen zu Boden. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, was genau dort von dem Schwert ab perlte und sich der Schwerkraft hingab. Doch dann traf es mich wie ein Schlag. Es war Blut! Doch wo kam es her? Mein Blick wanderte weiter zu dem Mann ihm gegenüber. Sein Gesicht konnte ich sehen. Es war Wutverzerrt und wies eine zarte, rote Linie auf der linken Wange auf.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit seit meinem Eintreffen vergangen war. Wie viele Augenblicke sich die beiden nun schon gegenüberstanden. Sie standen nur da und starrten sich an. Unfähig mich zu rühren, blieb ich wie angewurzelt stehen. Nichts deutete darauf hin, dass sich plötzlich etwas ändern könnte. Nicht einmal ein Wimpernschlag verging und der Zornige war verschwunden.

»Du glaubst also, du könntest mich besiegen?«, donnerte eine schrecklich laute Stimme direkt neben meinem Ohr. Und noch ehe ich hätte zusammen zucken können, spürte ich eine kalte Klinge an meinem Hals.

»Verschwinde von dem Mädchen! Das ist ein Kampf zwischen uns beiden Kaito!«, rief der Schwarzhaarige.

»Hahahaha.....« Schallendes Gelächter drang nicht nur durch den Wald, sondern auch durch Mark und Bein.

»Du glaubst, mir bedeutet dieses schwache Mädchen etwas? Du glaubst, ich lasse sie laufen, um mit dir ehrenhaft zu kämpfen? Du glaubst, ich lasse mir diesen Vorteil entgehen?«

Die letzten Worte schrie er, so hasserfüllt er nur konnte. Die Klinge verließ meinen Hals und augenblicklich loderte ein heftiger Schmerz durch mein Bein. Unwillkürlich schrie ich laut auf. Als sich einen Herzschlag später der grobe Griff löste, sank ich, immer noch schreiend, zu Boden. Schnell breitete sich die Flamme der Ohnmacht in meinem Körper aus. Und ich sah gerade noch wie mein Peiniger mit gezogenem Dolch hinter dem Schwarzhaarigen auftauchte. Dann verdunkelte sich alles um mich herum.
 

Ich sah sie! Meine Mutter! Sie schritt durch unseren Garten. Um sie herum tänzelte ein kleines Kind und lachte fröhlich. Lächelnd schritten beide zu der Mitte eines großzügigen Platzes, bedeckt mit Gras. Das kleine Mädchen hüpfte fröhlich weiter um meine Mutter herum.

»Wenn du erwachsen bist, wirst du sicher eine bedeutende Tänzerin Riu.«

Mir stockte der Atem! Und dann wurde mir alles mit einem Schlag bewusst. Das Kind war ich! Sie waren mir beide so nah, doch ich war unfähig mich zu bewegen. Ich wollte nach ihnen rufen, doch kein Laut verließ meine Lippen. Alles war so friedlich. Leise hörte ich die Vögel zwitschern und den kleinen Bach plätschern. Warmes Sonnenlicht schien auf den Boden. Und dann verblasste die Welt um mich herum. Ich war allein. In einem riesigen weißen Raum, dessen Wände ich nicht sehen konnte. Alles war so hell dass ich meine schmerzenden Augen schloss. Ich stand im weißen Nebel, welcher langsam wieder feste Umrisse annahm. Farben, zunächst ganz blass, dann schillernd leuchtend gestalteten die umliegende Welt. Satte Grüntöne und hie und da ein Tupfer braun. Ich war in einem Wald.

Ein unterdrücktes Heulen durchdrang den Gesang der Vögel. Alles kam mir so bekannt vor. Und da fiel es mir wieder ein. Als ich noch klein war, verlief ich mich in dem Wald nahe unseres Hauses. Ich erinnerte mich, dass meine beiden Eltern lange nach mir gesucht hatten, ehe sie mich fanden. Ich hielt die Augen offen. Jeden Augenblick würden meine Eltern mich finden, da war ich mir sicher.

Doch niemand kam. Sollte ich mich irren? Fand ich alleine zurück? Nein! Ich wusste, dass sie mich finden würden. Es konnte nicht mehr lange dauern.

Mitleidig betrachtete ich das kleine Mädchen. Ich betrachtete mich.

Schutzlos. Hilflos. Voller Angst.

Ich wollte sie trösten, wollte sie in meine Arme nehmen und ihr sagen, dass sie bald wieder in Sicherheit sei. Doch wieder konnte ich mich nicht bewegen, konnte ihr nichts sagen, was sie hätte trösten können.

Ich verblieb stumm und reglos zwischen all den Bäumen.

Dann hörte ich leise Rufe.

»Riu, wo bist du?«

»Ich bin hier!«, schrie das Mädchen zurück.

Laut nach ihrer Tochter rufend, kam die Mutter angerannt. Und kurz darauf waren die Eltern glücklich mit ihrem Kind vereint. Ich sah, wie der Mutter die Tränen über die Wangen liefen.

»Ich befürchtete schon wir hätten dich für immer verloren. Komm her mein Kind, lass dich umarmen.«, sagte sie und unterdrückte ein erleichtertes Schluchzen.

Ich spürte, wie eine wohlige Wärme in mir aufstieg. All die Jahre, in denen ich mit meinen Eltern zusammen war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich an dieser Idylle etwas ändern konnte. Und doch geschah es.

An jenem Tage, an welchem unser Haus brannte, wurde mir meine unbeschwerte Kindheit genommen. Seit jenem Tage war ich auf mich allein gestellt.

Den Tränen nahe, starrte ich die glücklich vereinte Familie an. Doch dann wurden meine Gedanken bildlich. Ein heiße, rote Wand aus Feuer züngelte sich kreisförmig um meine Eltern und verschlang sie. Zurück ließ sie nur das kleine weinende Mädchen, welches schon zu lange in diesem Wald war. Ich wusste, das dies nicht so geschah. Ich wusste, dass meine Eltern mich fanden und wir alle drei unbeschadet den Wald verließen. Und doch konnte ich die Tränen nun nicht mehr zurückhalten.
 

»Wach auf!«, drang eine Stimme durch die Dunkelheit.

Als ich die Augen langsam öffnete, sah ich den Schwarzhaarigen. Er beugte sich über mich und versuchte gerade mir etwas Wasser einzuflößen.

»Ah, du bist wach. Wie fühlst du dich? Ich kam gerade zufällig hier vorbei und fand dich bewusstlos auf dem Boden liegend.«

»Nein...nein....ich sah dich, wie du gekämpft hattest.«, stammelte ich, noch immer benommen.

»Das kann nicht sein, ich kann nicht kämpfen! Ich habe dich hier gefunden, wie du auf dem Boden lagst.«

»Ich weiß, was ich sah!« antwortete ich selbstsicher. »Ich sah dich.« Ich zögerte. »Dich und einen Anderen. Ihr wart beide von einer Art Aura umgeben. Und dann war der Andere plötzlich hinter mir und - «

»Du hast dir sicher den Kopf gestoßen und wurdest deshalb ohnmächtig!«, warf der Schwarzhaarige schnell ein. Dann hielt er inne. »Am Besten bringe ich dich in das nächstgelegen Dorf und reise dann weiter.

In Gedanken versunken ließ ich mir aufhelfen und ließ mich führen. Ich bemerkte nicht einmal, dass wir bereits wieder auf einem gut ausgelaufenen Weg liefen. Erst als wir anhielten, erwachte ich endgültig. Erstaunt stellte ich fest, dass wir wirklich schon ein Dorf erreicht hatten. Ich schaute mich um. Einige Bauern arbeiteten draußen auf den Feldern, oder versorgten das Vieh auf den Weiden. Andere liefen an uns vorbei, um Wasser zu tragen. Doch niemand schien uns zu bemerken.

»Hier wirst du sicher eine Unterkunft für die Nacht finden. Ich gebe dir noch ein wenig Geld, damit kannst du deine Unterkunft auch bezahlen.«

»Halt, bitte warte«, warf ich schnell ein. »Ich konnte mich noch gar nicht bei dir bedanken.« Ich musste ihn zur Rede stellen. Er durfte noch nicht gehen. Zu viele Fragen brannten mir auf der Seele. Ich war mir sicher, dass er log. Ich sah meine Mutter, mit mir in unserem Garten! Ich sah mich als Kind im Wald! Ich sah, wie meine Eltern mich fanden. Und ich sah, wie sie in einer Flammenwand verschwanden. Ich spürte, wie bei diesen Gedanken die Tränen in den Augen zwickten. Schnell konzentrierte ich mich, um an etwas Anderes zu denken. Da fiel mir ein, wie ich auf die kleine Lichtung trat, welche von dichtem Geäst umringt war. Dort sah ich sie. Er, der Schwarzhaarige, und der Andere. Beide waren von einer Aura umhüllt. Und beide waren mitten in einem Kampf. Und dann, als ich zwischen die Fronten geriet, war ich Teil dieses Kampfes. Der Andere konnte sich so schnell bewegen, dass ich nicht ausweichen konnte. Und dann nutzte er mich, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Er hielt mir seine Klinge an die Kehle und dann stach er - .

Ich hielt inne. Er stieß mir sein Messer ins Bein. Ich sah an mir herunter. Und da war der Beweis, dass ich mir den Kampf nicht nur eingebildet hatte. Dort an der Stelle, an der die Klinge in mein Fleisch stieß, war jetzt ein rot getränkter Verband.

»Kannst du mir dann erklären, wie dieser Verband an mein Bein kommt?«, fragte ich siegessicher. Nun musste er mir die Wahrheit sagen. Ich wollte um jeden Preis wissen, was in Wirklichkeit geschah. Und auch was passierte, nachdem ich Ohnmacht gefallen war. Doch es erwies sich als schwerer als angenommen ihm die Wahrheit zu entlocken.

»Ich habe dich mit einer offenen Wunde am Bein entdeckt und habe sie dann verbunden.«, antwortete er leicht hin.

»Aber ich weiß noch, wie mich der Andere gefangen nahm. Er wollte mich nutzen, um gegen dich zu siegen. Und ehe er von mir wich, stieß er seine Klinge in mein Bein. Daran kann ich mich noch genau erinnern!«

»Ich sagte dir doch bereits, dass ich nicht kämpfen kann. Du hast dies sicher gesehen, als du ohnmächtig warst.« Er blieb eisern.

Traurig wendete ich mich ab. Ich wusste, dass meine Mutter, sowie mein Vater und ich als Kind nicht mehr existierten. War das alles ein Traum? Oder besser gesagt ein Albtraum? Wieder sah ich die Wand aus Feuer, wie sie meine Eltern verschlang.

»Nachdem ich den Schmerz in meinem Bein spürte, sah ich meine Mutter. Sie ging mit mir durch unseren Garten. Ich war damals noch sehr jung. Ich tänzelte um sie herum, und wir beide lachten.« Ich hielt kurz inne. »Dann war ich plötzlich von weißem Nebel umhüllt, welcher sich anschließend in einen Wald verwandelte. Dort hatte ich mich als Kind einmal verlaufen. Ich schrie vor Verzweiflung nach meinen Eltern und irgendwann fanden sie mich.« ich hielt wieder inne. Ich wusste bereits, was nun geschehen würde. Doch ich wollte dem Schwarzhaarigen die ganze Geschichte erzählen. Ich musste die Kraft aufbringen und weiter reden. »Wir waren wieder glücklich vereint. Doch dann gingen meine geliebten Eltern in Flammen auf. Und ließen mich allein zurück.« Die letzten Worte kamen immer leiser und gequälter aus meinem Munde. Ich drehte mich schnell von ihm weg. Er sollte meine Tränen nicht sehen.

Erneut fasste ich mir ein Herz und schluckte meine Trauer runter. Eine Weile darauf war ich bereit weiter zu erzählen. Der Schwarzhaarige stand derweil geduldig neben mir und wartete still. Dann fuhr ich fort.

»Ich weiß, dass das Ende im Wald nicht wirklich ist. Wir gingen damals zusammen Heim. Doch eines Tages, brannte dann unser Haus. Danach habe ich meine Eltern nie wieder gesehen.« Ich machte eine kurze Pause. »Das was ich sah, war ein Traum. Dessen bin ich mir bewusst. Doch was zuvor geschah, das geschah nicht nur in meinem Kopf, sondern in Wirklichkeit. Und ich möchte von dir wissen, was das alles zu bedeuten hat.«

Ich weiß nicht, was ihn umstimmte. Ob es meine traurige Geschichte war, oder mein weinender Blick. Vielleicht hatte er auch Mitleid, da er nun wusste, dass es niemanden mehr auf der Welt gab, der sich meiner annahm. Jedenfalls begann er dann – nachdem er mich aus dem Blickfeld eines vorbeikommenden Bauers zog - zu erzählen.

»Nun ja, ich geb´ es zu. Das was du gesehen hast, stimmt. Ich habe mit Kaito gekämpft, als du kamst. Du erinnerst dich vielleicht noch, dass wir auf einer Lichtung standen. Nun, das war nicht immer eine Stelle ohne Bäume. Oder besser gesagt: Vor unserem Eintreffen standen da wirklich noch Bäume.« Er grinste. »Wir, die Gruppe, denen ich angehöre, nennen uns Kura-Ki-Batsu. Und dieser Kaito gehörte zu den Ma. Dir die genauen Umstände unseres Krieges zu erläutern würde zu weit führen. Nun, wie erkläre ich dir das jetzt am Besten? Wir haben besondere Kräfte, mit denen wir kämpfen. Sowohl die Kura-Ki-Batsu als auch die Ma. Daher auch die Macht Bäume zu Fall zu bringen.« Wieder grinste er. Es schien ihn irgendwie zu erheitern, all diese Bäume gefällt zu haben. »Nun, wir haben gekämpft. Und dann kamst du. Ich gebe zu, ich habe dich nicht spüren können. Sonst hätte ich dich vielleicht besser schützen können. Kaito hat dich jedenfalls zuerst gesehen und nutzte dich, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Nachdem er dir ins Bein stach, sankst du zu Boden und er tauchte hinter mir auf. Ich konnte ihm ausweichen. Um Haaresbreite hätte er mich getötet, möchte ich hinzufügen. Doch seine Wut verzerrte seine Gedanken und er konnte nicht seine ganze Kraft nutzen. Letztendlich floh er und ließ uns allein. Anschließend kümmerte ich mich um deine Wunde und dann bist du aufgewacht.« Als er geendet hatte, spürte ich seinen Blick auf mir. Er sagte kein Wort mehr. Versuchte nicht mich zu einer Antwort zu führen. Und doch bemerkte ich eine gewisse Unruhe in seinem Verhalten. Er war neugierig, ob ich ihm diese Geschichte glauben würde. Dann öffnete ich meinen Mund um ihm die ersehnte Antwort zu geben.

»Du hast all diese Bäume gefällt?«, fragte ich ungläubig. »Selbst ein kräftiger Holzfäller hätte dafür viele Tage benötigt.«

In lang gezogenen Worten antwortete er: »Nun ja – diese Bäume waren ein wenig ungünstig platziert.«

»Und du sagtest, du konntest mich nicht spüren? Was hat das zu bedeuten? Wie kannst du jemand anderen denn spüren?«, fragte ich ratlos.

»Das weiß ich leider auch nicht.«

»Was weißt du nicht?«, drängte ich ihn.

»Warum ich dich nicht spüren konnte. In der Regel bemerke ich es, wenn sich mir jemand nähert. Jeder Mensch hat seine eigene Aura. So wie jene, die mich umhüllte, als du auf die Lichtung kamst. Nur um ein Vielfaches schwächer. - Das ist ungewöhnlich.«, fügte er in Gedanken versunken hinzu.

»Was ist ungewöhnlich?«. Ich platzte fast vor Neugierde. Doch er antwortete nicht. Ich wiederholte meine Frage. »Was ist so ungewöhnlich, wenn alle Menschen solch eine Aura besitzen?«

»Ja, alle Menschen besitzen solch eine Aura, doch kann man diese nicht sehen. Und auch nur sehr schwer spüren. Und du fragst, was daran ungewöhnlich ist?«

»JA«, schrie ich so laut, dass ein Bauer vor Schreck sein Heu, welches er auf dem Rücken trug, fallen ließ.

»Ich antworte dir, doch zuerst müssen wir hier weg. Zu viele neugierige Ohren.«

Eine Weile später befanden wir uns auf einem kleinen Hügel, welcher abseits des Dorfes eine herrliche Aussicht bot. Weit und breit war niemand zu sehen und eine kühle Brise wehte mir durchs Haar. Ich wollte nicht länger warten. Ich wollte wissen, was hier vor sich ging.

»Du wolltest mir erzählen, was so ungewöhnlich daran ist, dass alle Menschen eine Aura haben.«, erinnerte ich ihn drängend.

»Nichts.«, antwortete er schlicht.

Ich schaute ihn enttäuscht an. Ich hatte eine etwas erklärendere Antwort erwartet.

»Nun, wie gesagt. An der Tatsache, dass jeder Mensch eine Aura besitzt ist nichts ungewöhnliches. Jedoch können wir – also wir, die Kura-Ki-Batsu, und leider auch die Ma – unsere Auren verstecken. Es kostet viele Jahre an Übung, um dies zu schaffen. Doch es lohnt sich, denn dann ist es fast unmöglich einen von uns aufzuspüren. Ich habe zwei Jahre benötigt, ehe ich meinen Meister verborgen blieb. Du hingegen hast vermutlich noch keinen einzigen Tag mit solchen Übungen zugebracht. Und dennoch besitzt du die Gabe des Verhüllens. Ich kann im Moment deine Aura nicht wahrnehmen. Und das ist ungewöhnlich.«

»Vielleicht habe ich keine Aura«, sagte ich leicht an mir selbst zweifelnd.

»Doch, doch. Du besitzt eine Aura, dessen bin ich mir sicher.«, tröstete er mich. »Ich selbst habe sie bereits gespürt. Es geschah vorhin, als du über deine Eltern gesprochen hattest. Deine Trauer schien dich vergessen zu lassen, deine Gabe der Verhüllung zu nutzen. Du bist in der Tat ungewöhnlich.«

»Dann nimm mich mit zu deinem Meister.«, bat ich ihn. »Ich habe niemanden mehr auf dieser Welt, dem ich noch etwas bedeute. Bitte nimm mich mit. Ich möchte lernen so zu kämpfen, wie du es vermagst. Ich möchte verstehen, warum ich meine Aura verstecken kann, ohne zu wissen, wie es geht. Bitte nimm mich mit.«

»Nun gut. Wenn du wirklich mitkommen willst, dann werde ich dich Meister Chi-on vorstellen. Er wird entscheiden, was geschehen soll.«, schlug Yuzo vor.

Ich konnte es kaum fassen, dass ich die Möglichkeit erhielt, mein Leben zu ändern. Seit dem Tode meiner Eltern wandelte ich auf dieser Welt ohne Ziel und ohne Ruh´. Doch nun sprühte in mir die Hoffnung des Neuanfangs. Ich konnte meine Eltern nicht vergessen. Doch ebenso wenig konnte ich ihr Scheiden rückgängig machen. Es war ein Funke am dunklen Horizont. Nicht mehr. Denn ebenso gut konnte mir jedwede Hoffnung wieder genommen werden. Doch ich wollte es versuchen. Ich wollte diesem kleinen Funken die Möglichkeit geben, ein großes Feuer zu entfachen. Und so reiste ich mit Yuzo und reiner Hoffnung im Herzen zu Meister Chi-on.

Nach einigen Tagen erreichten wir ein kleines Dorf. Es war kaum zu glauben, dass hier ein großer Meister leben sollte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich hier leben würde, ohne zu wissen, was sich im Geheimen abspielte. Ich sah einige kleine Fischerboote, einen Mann, der sich vor der Schmiede streckte und einige alte Frauen, die sich zum Unterhalten trafen. Dann fiel mein Blick auf eine kleine Gruppe von Kindern, die lachend Richtung Meer rannten. Würde ich auch jemals wieder so von Herzen lachen können? So unbeschwert, so sorglos? Doch was auch immer mein Schicksal für mich bereit hielt, ich würde mich dem stellen.
 

»Yuzo, du bist spät. Was hat dich aufgehalten?«, fragte der alte Mann, als mein Retter und ich einen kleinen, abgedunkelten Raum betraten.

»Meister, ich traf Kaito. Ihr könnt Euch denken, wie es ausging.«, antwortete Yuzo mit verbitterter Stimme.

»Er ist wieder entkommen? Ärgerlich. Aber irgendwann wird die Zeit gekommen sein. Dann kannst du deine Schwester rächen. Kaito wird dir nicht immer entkommen.«

Nachdem sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte ich, dass die Augen des Meisters geschlossen waren.

»Doch Meister, das ist noch nicht alles. Ich traf dieses Mädchen hier. Sie hatte das Pech in das Gefecht verwickelt zu werden. Oder war es Schicksal?«

»Ein Mädchen? Hier?«, schlagartig öffnete der Alte die Augen. »Ich sehe dich. Doch kann ich dich nicht spüren. Hast du bereits bei einem Meister der Kura-Ki-Batsu gelernt?«

»Nein, Meister. Ich stamme aus einem Dorf im Westen des Landes. Viele Tagesreisen entfernt. Meine Eltern starben bei einem großen Feuer, welches unser Haus verwüstete. Ich lebte dann drei Jahre bei unserer Nachbarin. Doch als auch sie ging, brach ich voller Trauer in die grausame Welt auf. Einige Zeit später begegnete ich Fürst Mino, welcher sich meiner annahm. Doch auch er konnte meine Wunden nicht schließen. Und so setzte ich voller Unruhe meinen Weg fort. Dann traf ich Yuzo. Er kämpfte mit einem Ma und ich wurde Zeuge dieser verborgenen Welt. Ich bitte Euch, Meister Chi-on, unterrichtet mich. Ich habe keinen Ort, den ich aufsuchen könnte. Keinen Menschen, dem ich mich anvertrauen könnte. Bitte unterrichtet mich.«

»Und du schwörst, dass du noch nie bei einem Kura-Ki-Batsu oder einem Ma gelernt hast?«, fragte der Meister mit prüfendem Blick. Sein blick bohrte sich in meine Augen. Ich spürte, dass tief in meine Seele zu blicken versuchte.

»Ja, das schwöre ich.«

»Gut. Ich glaube dir mein Kind. Doch eine Sache verwundert mich. Und du hast Glück, dass du diese Gabe besitzt. Denn sie ist ausschlaggebend für meine Entscheidung. Deine Gabe der Verborgenheit. Ich werde dich unterrichten.« Dann wendete er sich Yuzo zu und dieser nickte. Obwohl keiner ein Wort sagte, verstanden sie einander. Dann pfiff Meister Chi-on durch die Zähne und eine alte Frau betrat den Raum. Mit einer freundlichen Geste gebot sie mir ihr zu folgen. Durch die dünnen Wände hörte ich noch schwach die Stimme des Meisters. Alles was ich verstand war: »Was hältst du von dieser Gegebenheit?«. Dann waren wir zu weit entfernt und betraten kurz darauf ein Zimmer, in dem ein Bett und eine kleine Truhe standen.
 

Es folgten Wochen und Monate, in denen ich jeden Tag bis zur Erschöpfung lernte. Nicht nur den Umgang mit allerlei Waffen, sondern auch Lesen und Schreiben. Doch was ich am liebsten übte, war das Einzige was mir von meiner Mutter blieb. Das Tanzen. Diese feinen, sanften Bewegungen ließen meinen Geist zur Ruhe kommen. Erstaunlicher Weise halfen mir eben jene weichen Bewegungen auch meine Kampftechnik zu verbessern. Es dauerte nicht lange, da entdeckte ich viele Gemeinsamkeiten. Die Monate vergingen. Ebenso die Jahreszeiten. Dann, nach zwei Jahren, trat Meister Chi-on zu mir um mich zu sprechen.

»Riu, mein Kind. Ich habe eine große Bitte an dich. Es ist ein Auftrag, der von größter Wichtigkeit im Kampf gegen die Ma ist. Ich wüsste niemanden, der so geeignet wäre, wie du. Deine Bekanntschaft mit Fürst Mino ist von Vorteil. Denn ich habe gehört, dass er gemeinsame Geschäfte mit den Ma macht. Ich fürchte, dass uns dieser Umstand sehr Schaden könnte. Wenn die Ma ihre Stellungen weiter ausbauen, könnte uns das den Sieg kosten. Ich brauche jemandem, dem ich vertrauen kann und der den Fürsten für mich im Auge behalten könnte. Du bist begabt im Tanz. Das wird deine Tarnung sein. Bleib unentdeckt, und bringe so viel du kannst über ihn und die Ma in Erfahrung. Würdest du mir diesen Gefallen erweisen?«

»Es ist mir eine Ehre Euch zu dienen Meister.«, antwortete ich mit einer Verbeugung.

»Sehr gut. Ich bin dankbar für deine Hilfe. Wie ich bereits sagte, wirst du als Geisha zu ihm zurück kehren. Ihm sagen, dass du in der Welt keinen Frieden finden konntest, und ob er dich wieder bei sich aufnimmt. Biete Mino eine Kostprobe deiner Kunst. Selbst ich schaue dir sehr gern beim Tanzen zu. Da ich überzeugt bin, dass der Fürst nicht widerstehen kann, wird er dir diesen Wunsch sicherlich erweisen und dich bei sich aufnehmen. Sobald du bei ihm bist, verhalte dich ruhig. Lerne seine Festung kennen und agiere im Verborgenen. Du besitzt alle Fähigkeiten, die du benötigst. Nutze deine Gabe der Verschleierung. Und vermeide unter allen Umständen Aufsehen.«

»Ja Meister. Ich werde nicht versagen.«

»Dessen bin ich mir sicher. Du wirst gleich morgen früh aufbrechen. Ich werde dir ein Pferd geben. Sag Mino, dass du die Jahre bei einem reichen Bauern lebtest, und dass er dir das Pferd schenkte. Als Abschiedsgeschenk. Du findest einen passenden Kimono in deinem Zimmer. So, nun ruh´ dich aber noch ein wenig aus. Morgen wirst du bei Kräften sein müssen.«
 

Und so verschlug es mich letztendlich nach Westen. Alles geschah so, wie Meister Chi-on es prophezeite. Und ein paar Tage später gehörte ich zum Hofe des Fürsten Mino. Nach einigen Monaten, in denen ich meine Rolle vervollkommnte, begann ich in der Burg umher zu schleichen. Ich belauschte wichtige Gespräche und las mehr oder weniger wichtige Dokumente, wenn diese unbewacht waren. Während dieser Zeit verbesserte ich meine Fähigkeiten im Schleichen und im Spüren von Auren. So konnte ich die Wachen mit Leichtigkeit umgehen und blieb so stets unentdeckt. In jeder Neumondnacht verließ ich heimlich die Burg und schilderte Yuzo, welcher am Waldrand auf mich wartete, was um mich herum geschah. Zumeist waren es alltägliche Ereignisse, die meinen Bericht füllten. Hin und wieder reisten einige Ma durch Fürst Mino´s Ländereien oder unterhielten sich mit den Wachen am Hofe. Doch eines Tages wurde plötzlich ein Dokument unterzeichnet, von dem niemand sagen konnte, was darin geschrieben stand. Nur ein Ma, der seit jenem Zeitpunkt den Hof und die Seite des Fürsten nicht mehr verließ, und der Fürst selbst wussten, was dieses Stück Papier beinhaltete. Ich sagte Yuzo alles, was ich über das Dokument wusste. Auch, dass die Truhe, welche das wohl behütete Schriftstück schützte, in einem Keller gebracht wurde. Nachdem ich endete mit meinem Bericht, ritt Yuzo so schnell er konnte zurück zu Meister Chi-on.

Einige Tage später kamen zwei Fremde und baten Fürst Mino um eine Audienz. Ich konnte sie nicht sehen, da ich mit einigen anderen Geishas die freihabenden Wachen unterhalten sollte. Ihre Auren wirkten normal, nicht weiter sonderbar. Und doch hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Jedoch konnte ich nicht genau sagen, was es war. Ich entschied mich, meine Rolle als Geisha weiter zu spielen und die beiden Fremden im Auge zu behalten. Nach einiger Zeit wurden sie in ein Zimmer gebracht, welches seit meiner Ankunft noch nie für Gäste genutzt wurde. Dort blieben sie eine ganze Weile. Als es jedoch dunkel wurde, entfernten sie sich rasch. Sie mussten wohl geflohen sein. Was könnten sie hier nur wollen, fragte ich mich. Dann fiel es mir ein. Es gab nur eine Begebenheit, die in den letzten Tagen stattfand, und die es sich lohnen würde sie zu stehlen. Das Dokument! Ich musste hinterher. Ich durfte sie nicht mit dem Dokument entkommen lassen. Meister Chi-on würde wissen wollen, was darin geschrieben stand. So schnell ich unentdeckt fliehen konnte verließ ich mein Zimmer und verfolgte die zwei Fremden. Ich wartete in einer Seitengasse auf sie. Meine Gespür sagte mir, dass sie gleich an mir vorbeikommen würden. Leise wie Schatten rannten sie die Straße entlang. Beide waren schwarz gekleidet und vermummt. Ich folgte ihnen ebenso unauffällig zu dem Keller, in dem sich das Dokument befand. Ich hatte also Recht. Sie wollten es stehlen. Das musste ich verhindern. Doch ich durfte nicht gesehen werden. Denn sonst wäre meine Tarnung dahin. Ich lief in eine nahe gelegene Seitengasse und wartete, bis die Vermummten wieder auftauchten. Als ich mich umsah, entdeckte ich eine lange Eisenkette. Gerade als ich sie aufhob, rannten beide aus dem Keller. Einer rannte weiter, um die Wachen abzulenken und ließ den anderen mit dem Schriftstück zurück. Er wartete ab, bis einige Männer mit klappernden Rüstungen und Lanzen an uns vorbei gerannt waren setzte die Flucht fort. Ich musste ihn aufhalten. Denn wenn ich ihn nun entkommen ließ, wäre auch das Dokument verloren. Kreisend schwang ich die Eisenkette welche sich um seine Beine schlang.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2009-09-24T17:51:43+00:00 24.09.2009 19:51
noch mal hiiiiiiii^^
ich weiß ich weiß ich weiß ich hat versprochen dir schon längst zu schreiben nur entweder ich habs vergessen oder ich hat keine zeit sry =*(
*dich um verzeihung bittend anguck*
aber JETZT hab ich den weg hier her gefunden und bin auch fleißig dabei meine meinung zum laufenden kapitel abzugeben^^

ich hab echt nicht erwartet was in diesem kapitel passiert
es ist so spannend geschrieben und ich hab mir echt gewünscht das du neben mir sitzt und mir erklärst was danach noch so passieren wird ich hät am liebsten weiter gelesen^^
ich hab zwar erst spät damit angefangen es zu lesen aber dafür hab ich auch alles 2-3 mal komplett und wort für wort durchgelesen damit ich auch ja alle fehler, auch wenn sie noch so klein waren, gefunden hab^^
ich will ja das am ende alles super wird^^
der inhalt ist echt super
und was an der form noch net so ganz stimmt oder ausdruckstechnisch komisch klingt das bekommen wir auch noch hin^^ aber wie gesagt das erklär ich dir persönlich die tage^^

aber mal ehrlich ich hät nie gedacht das isamu ähnlichkeit mit dem bösen hat.. iwie cool^^ jetzt fragt man sich die ganze zeit ob er die seiten wechselt und wenn ja warum und wenn nicht wieso nicht die verführung ist bestimmt da^^
und ich frag mich auch ob er seine angebetete *grins* (kann mir denken wen du damit im sinn hattest :D) wiedersieht^^
jaja die zukunft wird es zeigen^^
ach ja die sache mit den steinen find ich ja mal toll^^
wer wünscht sich bitte nicht dinge fliegen zu lassen
ist iwie voll cool da muss man sich nicht mehr selber anstrengen sondern schnippt nur mit den fingern und schon erledigt sich alles von selbst iwo ne tolle sache^^
aber mal ehrlich als ob die menschen net verweichlicht genug sind... :D
ich finds aber auch gut das isamu nicht sofort vom meister unterrichtet wird..
die sprichwörter sind voll toll^^ als du mich gefragt hast ob ich mir denken kann was du damit meinst war ich echt erst mal sprachlos wer soll schon wissen das du auf so was komplexes hinauswillst aber ich finds gut^^

soooo na dann hör ich doch erst mal auf nicht das ich am ende die ganze geschichte nacherzähle^^
übrigens hört sich der anfang von kapitel 4 auch nicht schlecht an schreib schnell weiter ja^^
wir sehn uns^^
bb :D
*knuddel*
Von: abgemeldet
2009-09-24T17:39:24+00:00 24.09.2009 19:39
hi martin^^
na wie gehts wie stehts^^
ssssoooorrrryyyy das ich dir erst jetzt nen kommi schreibe dabei ist dein kapitel doch schon nen ganzes weilchen draußen
aber man die liebe zeit....
ich hab einfach nicht genug davon^^
aber als ich dann im urlaub (*kotz*) dann doch endlich dazu gekommen bin dein neustes kapitel zu lesen konnt ich gar nicht wieder aufhören :D
ich hab zwar nen paar klitzekleine fehlerchen gefunden, die sich scheinbar doch eingeschlichen haben, aber es ist an sich super geschrieben^^
die fehler zeig ich dir bei gelegenheit mal persönlich oki^^

zu dumm das auch dieses kapitel iwann zu ende war^^
es war iwo abzusehen das isamu sich auf die reise begibt
aber mit dieser bösen aura.. das hat mich echt total überrascht und ich würd doch zu gerne mal wissen ob er dort erfährt was es mit seinem wappen auf sich hat^^
iwie cool das er ausgerechnet in dem dorf rast macht wo das pferd herkommt^^ wer weiß vlt sieht er es ja mal wieder^^ die hoffnung stirbt zuletzt!
ich finds ja toll das er doch noch als schüler aufgenommen wird auch wenns ehrlich gesagt nur zufall war
aber wär ja auch komicsh wenns net passiert wär denn dann wär die geschichte ja schon vorbei bevor sie richtig angefangen hat^^
ich bin schon gespannt drauf wie sich das alles entwickeln wird^^
schreib schnell weiter ja^^
und mehr details zum inhalt werd ich jetzt net verraten ansonsten macht sich keiner mehr die mühe es zu lesen^^ :D

bis denne^^
*knuddel*
Von: abgemeldet
2009-07-10T19:14:49+00:00 10.07.2009 21:14
hiiiii :D
ich hab das kapitel auch endlich mal geschafft zu lesen^^ *auf sich selber stolz ist*
ist ja net so das ich deine ff net klasse finde es mangelt nur an der lieben Zeit =*(
ich find ja es ist ne super idee von dir so was zu schreiben da würd ich ja nie drauf kommen also respekt^^
iwie fällt mir gar nichts ein was ich an deiner ff kritisieren könnte...
wahrscheinlich weil ich die überarbeitete variante gesehen hab^^
und ich durft ja schon mal nen blick auf kapitel 2 werfen^^ *freu*
die geschichte ist echt spannend geschrieben und ich würd zu gern erfahren wie es weiter geht...
es ist nicht nur so das das thema total interessant und für mich außergewöhnlich ist ich find auch deinen schreibstil toll^^
deine ff lässt sooo viel platz für spekulationen^^
hoffentlich schreibst du gaaanz schnell weiter
ich will immerhin noch erfahren wie es mit isamu´s reise weitergeht^^

ganz ganz liebe grüße^^
Von:  Jillard
2009-06-29T19:03:57+00:00 29.06.2009 21:03
So hab das Kappi durch, wie ich dir schon gesagt habe, lässt dein Schreibstil nix zu wünschen übrig.
Ich finde deine Geschichte ist Top geschrieben.

Isamu hat in dem Dorf und speziell in der Herberge eine schöne Zeit gehabt, aber es stimmt schon um sich selbst zu finden muss er in die Ferne ziehen.
Die Fernen Geräusche des Kampfes heizen die Spannung an, ich frage mich wer sich da eine Konfrontation geliefert hat.
Aber ich habe eine Vermutung und sage nur:
"Welcome home Big Bro." XD

Nun noch zu ein paar 'Fehlern' dich ich ausgemacht habe:
Gegen Ende der ersten Seite wo Taku „Bäume“ sagt hast du noch Anführungsstriche, musst also dort ein paar Pfeildinger setzen damit es mit dem Rest deiner wörtlichen Reden übereinstimmt.

Auf Seite 12 sagt Manabu: "dass ich ein Pferd noch versorgen soll..."
Meiner Meinung nach müsste das 'noch' nach dem 'ich' kommen.

Und zu Letzt, am Anfang von Seite 14 da sagt Gosho:
"Damals rette mich Meister Shinaka."
ich sag mal da muss 'rettete' hin.

So das wär dann alles.
Ich bin gespannt wie Taku's/Isamu's Reise weitergeht, also schreib fleißig weiter. (was du ja eh machst ^^)

Mit Kameradschaftlichem Gruß
Hauptm... ne OG Hizu ;)


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