Liebeskummer
Kapitel 1: Liebeskummer
Im Dunkeln des Zimmers lag eine jämmerliche Gestalt und war fast schon dabei sich in Selbstmitleid zu ertränken. Als die Tür sich plötzlich öffnete und Licht in den Raum rein ließ.
„Mensch, Andrew!“, seufzte der Neuankömmling. „Wie lang willst du das noch machen?“
Der Angesprochene stöhnte leidend auf, als die Lichtquelle seine Augen erreichte und drehte sich um.
„Was meinst du?“, fragte dieser zur Antwort. „Ich mach doch gar nichts…“
„Genau!“, schrie sein Gegenüber aus. „Es ist bereits mehr ein Monat vergangen; meine Schwester kommt nicht zurück. Sie hat dich abgehackt!“
Ein Kissen wurde geworfen und verfehlte nur knapp das Gesicht des brüllenden Jungen.
„Collin, halt`s Maul!“, zischte der Jüngere. „Ich bin nicht du, der meine kleine Schwester nur verarscht hat und jetzt irgendwelche Flittchen vögelt. Ich habe Chloe geliebt!“
Wütend schritt Collin auf den Jüngeren zu, packte ihn am Kragen und funkelte dessen ozean-blaue Augen finster an.
„Ich habe Alice geliebt, aber sie hat mich einfach fallen lassen und ist mit eurer Mutter und Chloe nach Amerika. Eine Modeszene gründen. Sie hat mir alles genommen! Ich bin ihr doch scheißegal. Genauso wie du Chloe egal bist! Und mir ist Alice egal. Sie ist schließlich nicht das einzige hübsche Mädchen in dem Internat gewesen!“
„Nimm das zurück, Collin! Sofort!!!“, brüllte Andrew. „Ich bin Chloe nicht egal. So ist sie nicht!!!“
Der Ältere ließ von ihm ab und murmelte leise: „Denk doch was du willst, du Träumer! Das sind nun mal die Fakten, sonst hätte sie sich gemeldet. Mach es mir gleich und triff dich mit anderen Mädels oder ertrink im Selbstmitleid…“
„Nein, so ist sie nicht… nicht Chloe!“, nuschelte der liebeskranke Junge wie in Trance.
„Oh doch! Die sind doch alle gleich, diese Weiber!!“ Mit diesem Satz verließ Collin den Raum und ließ seinen besten Freund alleine in der deprimierenden Dunkelheit.
Als Collin gegen Mitternacht ins Zimmer taumelte, hatte Andrew sich nicht gerührt. Der Größere hatte sogar die Vermutung gehabt, der Herzensleidende habe sich überhaupt nicht bewegt!
Mit Absicht ließ Collin die Tür zu knallen, doch die erhoffte Reaktion kam nicht. Er räusperte sich. Sehr lauf für seine Verhältnisse! Doch immer noch herrschte Stille.
„Andrew!“, hörte man ihn sagen, doch der andere zeigte auch weiterhin keine Reaktion; auch nicht als man ihn bei Namen nannte.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Angesprochener hörte die lallende Stimme seines besten Freundes, aber schien nicht antworten zu wollen. Was Collin rasend machte.
„Dämlicher Möchtegern Emo!“, brüllte Collin als er aufs Bett zuging, in dem der Andere noch lag, mit dem Rücken zum Älteren. Er packte den Jüngeren grob und fast schon gewalttätig an der Schulter und drehte seinen Zimmergenossen, dass dieser ihn anschauen musste.
„Was ist dein Problem?“, brüllte er die Gestalt auf dem Bett an. Dass Collin getrunken hatte, bemerkte der Jüngere sofort. Der Geruch von Alkohol wehte ihm um die Nase.
„Bist du immer noch so traumatisiert, dass du nichts anderes tun kannst als vor dir hin zu leiden? Das ist echt erbärmlich. Du bist erbärmlich!“ Collin ließ alles raus, was sich in ihm angestaut hatte. Er machte sich Sorgen um den Kleinen. Natürlich nur der Freundschaft wegen! Deshalb verstärkte er seinen Griff an der Schulter und sah Andrew jetzt ins Gesicht.
Gerade als Collin ihn weiter anbrüllen wollte, blieb ihm die Luft weg.
„Lass mich doch in Ruhe!“, rief Andrew.
Er schluchzte auf und wischte sich die Tränen aus den Augen, die sich dort sofort wieder ansammelten.
Collin lockerte seinen Griff etwas. Nur ein kleines Bisschen, sonst würde der andere die Chance nutzen und weglaufen. Doch das konnte Collin nicht zulassen; in seiner Verfassung hätte dieser kleine Trottel noch irgendwas Blödes angestellt!
„Warum weinst du jetzt?“, fragte Collin mit einer so ruhigen Stimme, dass Andrew zusammenzuckte. „Hab ich dich zu grob gepackt?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Hast du etwa irgendwelche Schmerzen?“ Erneut ein Kopfschütteln des Gegenübers. „Warum weinst du?“
Collin konnte nicht locker lassen. Aus einem – ihm natürlich völlig unbekannten – Grund wollte er es wissen. Was seinem Zimmergenossen Tränen in die Augen trieb, ohne dass sie enden wollten.
Plötzlich strich eine Hand Andrews Wange und streichelte diese sanft. Dieser wich zurück als ihm bewusst wurde, diese Hand konnte nur Collin gehören. Collin, der jetzt eine gewaltige Fahne hatte. Der es mal wieder mit dem Alkohol übertrieb. Das war in den letzten Wochen öfters passiert und begann an dem Tag als Alice und Chloe wegfuhren.
Collin zog seine Hand nicht zurück und setzte sich jetzt auf die Bettkante. Verwundert blickte Andrew in die glasigen Augen, die wie Smaragde aussahen.
„Collin, es ist nichts…“, warf Andrew schnell in die Stille ein. Seine Tränen hatten aufgehört, doch dafür schlug sein Herz ihm gegen den Brustkorb. So als wolle es ausbrechen! Schützend legte Andrew eine Hand drauf, um dies zu verhindern.
Collin kam mit seinem Körper dem von Andrew näher. Aber dies konnte nicht sein! Das musste er sich eingebildet haben, redete Andrew sich ein.
Doch im nächsten Moment war er sich sicher, er war noch ganz bei Sinnen. Und Collin? War dieser sich im Klaren, dass er seinen besten Freund küsste? In genau diesem Moment?!
Andrew riss seine angeschwollenen Augen auf und starrte gebannt auf seinen Zimmerpartner, seinen besten Freund. Er wusste Collin hat schon viele Dummheiten gemacht. Wenn er richtig betrunken war, passierten eben solche blöden Dinge wie Andrew aus dem Zimmer werfen, obwohl dieser in Boxershorts war; Andrew ins Gebüsch schmeißen, um sich dann auf ihm auszuruhen, und so weiter.
Aber so was war noch nie passiert! Noch nie!
Collin versuchte in Andrews Mundhöhle einzudringen. Leckte ihm sanft über die Lippen. Doch wie eingefroren bewegte sich absolut nichts an ihm. Der Kleine war eindeutig erstarrt.
Der Ältere gab schließlich auf. Ihm war schon etwas schwindelig geworden. Zu lange hatte er die Luft anhalten müssen und hatte doch nicht bekommen, was er wollte. Müde ließ sich der Ältere in das Kissen sinken, murmelte noch „Nacht!“ und schlief ein. Das konnte Andrew an seinem leichten Schnarchen hören. Er seufzte erleichtert, endlich lässt er ihn in Ruhe. Gerade wollte Andrew aufstehen, als ein leichtes Ziehen ihn aufs Bett neben den Betrunkenen warf. Sofort spürte er eine Umarmung, die vom Älteren ausging. Erneut erstarrte Andrew und hörte sein Herz wieder gegen die Brust schlagen. Sogar fast noch stärker als beim Kuss, so kam es ihm vor!
Innerlich hoffte er, Collin würde sich morgen einfach nicht daran erinnern. Das würde alles einfacher machen!
Aber sein Gesicht glühte, sein Herz raste und da regte sich was in seiner Hose!
„Verdammt, was passiert hier mit mir?“, war sein letzter Gedanke als seine Augenlider sich erschöpft schlossen und er ins Land der Träume einwanderte.