Es ist noch dunkel, als ich aufwache. Die dünnen Vorhänge flattern im kalten Wind, der die ersten Schneeflocken des Winters in mein Schlafzimmer trägt. Sie schmelzen langsam auf dem roten Teppich vor dem Kamin, in dem noch die letzte Glut des Abends glimmt. Seufzend stehe ich auf und laufe barfuss zum Fenster, dort draußen ist noch alles still. Über den Garten und die Wiesen vor dem Haus hat sich ein dünner, weißer Schleier gelegt.
Ich schließe das Fenster, wende meinem Blick zu ihm und lausche in die Stille. Sein Atem geht langsam und regelmäßig, seine Brust hebt und senkt sich unter den Laken, die von den letzten Stunden zerwühlt sind.
In meinem dünnen Nachthemd beginne ich zu zittern und so beeile ich mich wieder in das warme weiche Bett zu kommen. Ich schlüpfe unter die Decke und rücke näher an ihn heran. Lange sehe ich ihn einfach an und beobachte jedes Detail seines Gesichts, dass mir seit so vielen Jahren vertraut ist. Er ist einfach perfekt. Seine ebenmäßige Haut, sein seidiges blondes Haar, seine grauen Augen, in deren Tiefen ich schon so oft geblickt habe. Er ist der Mann meiner Träume. Der einzige Mann, den ich je geliebt habe und wahrscheinlich der einzige, den ich jemals lieben werde.
Aber er ist nicht mein Mann.
Morgen ist sein sechster Hochzeitstag und seine Frau ist schwanger mit ihrem ersten Kind.
Und doch ist er bei mir. Ich weiß, dass er sie nicht liebt, ihr keinerlei Gefühle entgegen bringt. Sie ist aus einer guten Familie, so wie er. Seine Familie wollte eine standesgemäße Schwiegertochter, die eine Zierde für das Haus ist. Hübsch, anmutig, wohlhabend, mit guten Manieren und einem erstklassigen Stammbaum. Eine Frau, die man in der hohen Gesellschaft vorzeigen kann und die angemessen ist, um die Erben der Familie zur Welt zu bringen.
Ich bin nichts von alledem. Ich weiß, ich bin wahrlich keine Schönheit und doch liebt er mich und nicht sie. Wir haben soviel miteinander durchgemacht. Sind durch so viele Krisen gegangen und das hat uns zusammengeschweißt. Was uns verbindet, kann niemand zerstören.
Niemand auf der Welt kennt ihn so gut wie ich und deswegen weiß ich, dass er bei seiner Frau bleiben wird. Er wird ihr sagen, er geht Freunde besuchen und kommt hierher zu mir. Er wird ihr von Überstunden erzählen und doch in meinem Bett liegen. Er wird sich über Dienstreisen beschweren und Wochenenden mit mir in Schottland verbringen. So geht das schon eine ganze Weile. Ich weiß, wie sich das anhört, doch für mich ist das in Ordnung. Ich habe mich längst daran gewöhnt, dass ich nur seine Geliebte bin und nie seine Ehefrau sein kann. Ich bin zufrieden. Wozu brauche ich seine Treue oder einen Ring an meinem Finger, wenn ich seine bedingungslose, tiefe Liebe habe?
Während ich ihn beobachte, schlägt er die Augen auf. Ein Lächeln umspielt seine schmalen Lippen. Ein Lächeln, dass nur für mich bestimmt ist und dass sonst niemand je wird sehen können. „Schon Zeit zum Aufstehen?“
Ich schüttele langsam den Kopf und rücke noch näher an ihn heran. „Wir haben noch Zeit.“
Er küsst meine Stirn und legt den Arm um mich. Ich nehme wieder den Platz an seiner Seite ein, höre den vertrauten Klang seines Herzens, atme seinen Duft ein und seufze tief. In ein paar Stunden, wenn die Sonne aufgeht, werden wir uns verabschieden und er wird zu seiner Frau zurückkehren. Aber er wird schon bald zurückkommen, denn unsere Tochter feiert bald ihren Geburtstag.
