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Touristentour durch Ba-Sing-Se

Tao-OS
von

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„Haltet den Dieb!“ Fünf bullige Männer versuchten sich durch die dichten Menschenmassen zu schieben, um den wendigen kleinen Räuber zu erwischen. Jedoch schauten sich die Leute nach diesem Ruf erst einmal verwirrt um und bevor sie begriffen hatten, was vor sich ging, war der Junge schon unter ihren Armen und Beinen hindurchgeschlüpft. Um den Verfolgern dann Platz zu machen, hatten sie dann kaum noch Zeit dafür.

Tao war häufiger in einer solchen Situation. Wenn man etwas zu essen wollte, musste man schließlich mit den Konsequenzen rechnen. Bisher hatte Tao jedoch immer entwischen können und diese stämmigen Wachen abgeschüttelt. Immerhin war er wendig, schmal und klein. Sie hingegen waren träge, unglaublich fett und noch viel dicker.

Tao kannte jede Ecke von Ba-Sing-Se wie seine Westentasche. Die kleinen engen Gassen waren für ihn ein zu Hause. Er könnte blind durch dieses Labyrinth laufen und immer noch zum Palast finden. Nicht, dass er jemals dorthin gelangen würde. Nicht, dass er es überhaupt wollte.

Immer noch schlängelte Tao sich durch die Menschenmassen. Mit Unbehagen stellte er fest, dass die Wachen wohl aufholten. Die Stimmen waren jetzt immer näher zu hören. Sie fluchten vor sich hin und schrieen ihn irgendetwas entgegen. Tao beachtete sie gar nicht weiter und versuchte ihnen irgendwie zu entkommen. So legte er noch einen Zahn zu. Dabei rempelte er aus Versehen, jemanden an. Normalerweise störte das Tao wenig, doch in diesem kleinen Moment sah er etwas, das er nicht ignorieren konnte. Abrupt blieb er stehen und wandte sich noch einmal um, die Verfolger, die ihm dicht auf den Fersen waren, völlig aus seinem Gedächtnis gestrichen. Er fasste die Hände desjenigen, den er kurz zuvor fast umgerannt hatte. Dieser hatte einen langen Mantel an und ein Kapuze auf, sodass man kaum etwas von seinem Gesicht sehen konnte. Doch Tao erkannte sofort, dass es sich um ein junges, hübsches Mädchen handelte und schaute ihr tief in die Augen. „Es tut mir leid, falls ich dich erschreckt haben sollte. Das war bestimmt nicht meine Absicht.“ Er lächelte ihr zu.

„Da vorne ist er. Los, Männer, gleich haben wir ihn“, brüllte der Anführer über die Menschenmassen hinweg.

Tao blickte sich schnell um, um die Lage zu analysieren. Sie waren wirklich gleich da. Er zwinkerte seinem Gegenüber zu. „Ich muss jetzt leider weg, Süße, aber vielleicht sieht man sich noch mal wieder.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und duckte sich unter den vielen Leuten hinweg. Er krabbelte beinahe schon auf den Boden, um nicht entdeckt zu werden.

Mittlerweile musste er wieder einen guten Vorsprung erzielt haben und bog deshalb gerade rechts in eine Seitengasse ein. Vorsichtig schaute er sich noch einmal um. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht stellte er fest, dass er seine Verfolger für heute wohl hinter sich gelassen hatte. Sie standen mitten zwischen den umher eilenden Menschen, schauten sich um und suchten ihn. Doch sie würden ihn nicht finden. Zufrieden drehte er sich um und ging in die dunkle Gasse. Von hier aus kam er zu einem sehr gemütlichen Plätzchen, wo er sein gerade erworbenes Frühstück zu sich nehmen konnte. Hungrig starrte er auf das Stück Brot und den Apfel, den er in der Hand hielt. Er hatte seit zwölf Stunden nichts mehr Richtiges zwischen die Zähne bekommen. Manchmal war das Leben auf der Straße doch nicht so einfach. Aber es war um länger besser als das Leben, was er zurück gelassen hatte. Kurz musste er an seine Mutter denken. Sie war die einzige Person gewesen, die sich je um ihn gekümmert hatte und trotzdem zweifelte er die Richtigkeit seiner Entscheidung nicht an. Sie hatte es selbst so gewollt.
 

Er ließ sich auf dem Gras nieder, in dem kleinen Park, wo er sich befand. Dies war ein Ort zum Spielen, sich Unterhalten und Wohlfühlen. Hier würden sie ihn nicht suchen. Dafür hatten sie nicht genügend Grips. Denn welcher Dieb würde sich schon an einem so öffentlichen Platz ausruhen?

Genüsslich biss er in den Apfel und lies den leicht säuerlichen Geschmack auf seiner Zunge zergehen. Er ließ sich Zeit beim Essen und schaute den Kindern beim Spielen zu. Tao hatte so etwas nie getan. Nie mit seinen Freunden gespielt. Nie irgendwelche Freunde überhaupt besessen. Dafür hatte er keine Zeit gehabt und es war außerdem viel zu gefährlich. Wer wollte schon mit einem Dieb befreundet sein?

„Hey, du Träumer!“ Ein herzlich lächelndes Gesicht tauchte plötzlich vor seinen Augen auf. „Hast du noch etwas übrig für mich?“ Sie zeigte auf das Brot, was noch nicht einmal angerührt war.

Tao schaute verwirrt von seinem Brot zu dem jungen Mädchen. Das war ihm noch nie passiert. Wenn er ein hübsches Mädchen sah, war er sofort bei der Sache. Aber sie hatte ihn in einem ungünstigen Moment erwischt. „Natürlich“, meinte er etwas konfus. Daraufhin brach er das Brot in zwei Hälften und gab die eine Hälfte dem Mädchen. Eigentlich hatte er selbst genügend Hunger, doch einem Mädchen hatte er bisher keinen Wunsch abschlagen können.

Ohne etwas Weiteres zu sagen, setzte sie sich einfach neben Tao. Sie biss vom Brot ab. „Den Wachen eben auf dem Markt hast du es aber gezeigt. Sie sind stinkwütend fortgestampft. Es war sehr amüsant.“

„Du bist das Mädchen von vorhin?“ Schon als er die Frage ausgesprochen hatte, kannte Tao die Antwort. Die Augen waren unverkennbar. Sie waren von einem strahlenden blau, das er vorher noch nie gesehen hatte.

Das Mädchen nickte. „Ja, mein Name ist Lira.“ Sie hielt im die Hand hin.

Tao ergriff sie und gab Lira einen Kuss auf die Hand, wie es sich für einen Gentleman gehört. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Liebes. Und es freut mich auch, dass ich dich mit meiner Aktion von eben zum Lachen bringen konnte.“ Er grinste breit. „Ein Lächeln von einem hübschen Mädchen ist mehr wert als alles andere.“

Lira fing lautstark an zu lachen. „Du hast es ja faustdick hinter den Ohren, du kleiner Charmeur.“ Sie gab ihm einen kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter.

„Ich meine das alles todernst, meine Liebe.“ Er zeigte sein nettestes Lächeln, doch selbst das konnte Lira nicht täuschen.

„Ich kenne Burschen, wie dich. Ein Kompliment nach dem Anderen und doch steckt nichts dahinter. Sobald sie das nächste Mädchen sehen, sind sie fort.“

Tao zog die Schultern hoch. „Das kann sein. Aber nur wenn es hübscher ist als du. Und das ist doch auf jeden Fall ein Ding der Unmöglichkeit.“

Lira lächelte leicht, wollte jedoch nicht mehr länger darauf eingehen, sonst würde Tao nie aufhören. „Was hast du eben eigentlich angestellt, dass dich die Wachen so hartnäckig verfolgt haben? Hast du vielleicht etwas gestohlen?“ Sie schaute auf das angebissene Brot in ihrer Hand.

„Ganz genau!“ Tao sprang auf. „Ich bin übrigens Tao. Ausgebildeter Dieb und Landstreicher.“ Mit einer überschwänglichen Bewegung verbeugte er sich.

„Das hört sich höchst interessant an. Dann ist dein Leben bestimmt sehr aufregend, oder nicht?“ Sie schaute Tao mit einem funkelnden Blick an, das es kaum zu übersehen war, wie sehr sie ihn beneidete.

Tao zuckte wieder mit den Schultern. „Kann schon sein. Manchmal vielleicht. Aber es ist auch das Beste, was ich mir vorstellen kann.“

„Wirklich?“ Nun klang Lira ein wenig ungläubig. „Viele Menschen können sich nämlich viel Schönere Dinge vorstellen. Vielleicht sogar in einem Palast zu wohnen.“ Sie schaute zum Palast von Ba-Sing-Se. „Darin zu wohnen, wäre doch bestimmt viel besser, oder nicht?“

Tao schüttelte vehement mit dem Kopf. „Auf keinen Fall. Wahrscheinlich sagt dir da jeder, was du zu tun hast. Da bleibe ich lieber hier auf der Straße und kann tun und lassen, was ich will.“

Lira wusste darauf nichts mehr zu sagen und schwieg einfach. Tao jedoch konnte nicht einfach neben einem Mädchen sitzen und es ignorieren. Das war nicht seine Art. Er stupste sie leicht an. „Ich habe dich noch nie hier in Ba-Sing-Se gesehen und dabei kenne ich eigentlich jeden. Bist du neu in der Stadt?“

„Nein, ich bin nur zu Besuch bei meinem Onkel. Ich bleibe nicht lange“, antwortete Lira.

„Das ist aber schade.“ Tao stand auf. „Aber wenn du nur kurz hier bist, muss doch jemand dafür sorgen, dass du Ba-Sing-Se wenigstens besichtigt hast. Immerhin bist du in der Hauptstadt des Erdkönigreichs. Und wer könnte dich besser führen als ich?“ Er streckte ihr seine Hand hin.

Lira lächelte leicht. „Du bist auch gar nicht arrogant“, sagte sie und ergriff seine Hand.
 

„Das ist der Marktplatz von Ba-Sing-Se. Hier holt sich jeder das, was er zum Leben braucht.“ Tao zwinkerte ihr zu. „Man kann sich mit Essen versorgen, mit Kleidung und natürlich auch mit einer ganzen Menge anderem sinnlosen Zeug.“ Tao stand mitten in der Menschenmenge und obwohl alle drückten, schoben und rempelten, stand Tao gerade wie ein Fels, als ob ihn das alles nicht stören würde. Dabei war er mit seinen fünfzehn Jahren um einiges kleiner als die meisten Leute dort.

Lira war den Trubel dort nicht gewohnt und fand es schwer, dort einfach so gemütlich zu stehen. „Hier war ich doch schon, Tao. Lass uns woandershin gehen“, maulte sie.

Tao nahm ihre Hand und zog sie hinter sich durch die Menschenmasse. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, meine Schöne.“

Schon nach etwa zehn Minuten hatten sie den Markt hinter sich gelassen und Lira konnte aufatmen. Sie mochte große Ansammlungen nicht. Das war sie einfach nicht gewöhnt. „Aber Tao, ist das nicht viel zu gefährlich für dich, einfach hier so rumzulaufen? Dich könnte doch jemand erkennen.“

Tao legte einen Arm um ihre Schulter. „Wirklich süß von dir, dass du dir solche Sorgen um mich machst.“

Lira sprang sofort einen Schritt von ihm weg. Sie fuchtelte wild mit den Armen herum. „So meinte ich das doch gar nicht.“ Leider konnte sie nicht verhindern, dass sie ein wenig rot anlief. „Ich wollte doch nur wissen-“ Doch sie gab es auf, denn sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ohne dass er es falsch verstehen würde.

„Die meisten Menschen sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihre Umgebung wahrnehmen. Ich könnte mich sogar als Dieb vorstellen und sie würden nichts unternehmen.“ Er zeigte sein schelmisches Grinsen.

„Ich … ich hab dich nicht verraten, weil … weil-“, stotterte sie.

„Ist doch gut, Prinzessin. Ich weiß, warum du mich nicht verraten hast“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Liras Augen weiteten sich vor Schreck. Sie schaute ihn ungläubig an. Nein, das konnte nicht sein .Tao konnte das unmöglich wissen.

„Komm, Kätzchen. Wir sind mit unserer Tour noch nicht fertig.“ Er zog sie mit Bestimmtheit hinter sich her. „Als erstes fahren wir mit der Bahn. Da kann man die ganze Stadt überblicken.“
 

Die Stadt war riesig. Sie bestand aus mehreren Teilen, sogenannten Ringen. Die einzelnen Ringe waren durch Mauern getrennt, so wie es schon seit hunderten von Jahren war. Je höher man sah, desto vornehmer und sauberer wurde ist. Ganz oben in der Mitte thronte der Palast.

„Wir fahren erst einmal zum mittleren Ring. Da möchte ich dir unbedingt etwas zeigen. Und dann sehen wir weiter.“

Lira überblickte stumm diese riesige Stadt. Es war unglaublich, dass das alles hier schon seit hunderten von Jahren stand und sogar den großen Krieg überlebt hatte. Sie kannte die Geschichten gut. Vom Fall der großen Erdstadt und schließlich die Befreiung durch Iroh, den Drachen des Westens. Was für eine Ironie, dass genau dieser Ba-Sing-Se zum ersten Mal angegriffen hatte.

Lira fand diese Stadt einfach atemberaubend. Doch hier war das Leben ganz anders als sie es kannte. Und vielleicht war das auch ganz gut so. sie sollte sich so lange amüsieren, wie sie konnte. Wer wusste schon, wann dieser Tag zu Ende ging.

„Komm, Träumerin. Wir müssen hier aussteigen.“ Ein weiteres Mal zog Tao Lira hinter sich her.

Nach etwa fünf Minuten Fußmarsch waren sie am Ziel angekommen. „Das ist das Rathaus. Das wohl wichtigste Gebäude im mittleren Ring. Hier werden alle Anträge durchgearbeitet, sogar Gesuche, um den König zu treffen.“

„Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Ich meine, du siehst nicht gerade wie jemand aus, der sich für Politik interessiert.“

Tao fing lautstark an zu lachen. „Nein, das stimmt wohl. Ich wollte dir auch eigentlich das Gebäude daneben zeigen. Ein hervorragender Teeladen. Magst du Tee?“

Lira nickte. „Aber ich hätte auch nicht gedacht, dass du auf Tee stehst.“

Tao zuckte mit den Schultern. „Ab und zu.“

„Und wie gedenkst du, zu bezahlen? Oder willst du gleich einfach abhauen?“

Tao schüttelte mit dem Kopf. „Was denkst du von mir? Ich habe immer ein wenig Kleingeld dabei, für den Notfall. Und das ist auf jeden Fall eine gute Gelegenheit, um es zu benutzen.“

„Okay, dann lasse ich mich von dir einladen.“
 

Der Laden war winzig, aber sehr gemütlich, wie Lira fand. Hier konnte man sich durchaus wohlfühlen. Die Bedienung war sehr höflich und der Tee war einfach köstlich.

„Lebst du eigentlich schon immer auf der Straße, Tao?“ Lira sah ihn neugierig an.

Tao jedoch starrte nur in seinen Tee. Er mied es, Lira in die Augen zu sehen.

„Ist schon gut, wenn du es mir nicht erzählen willst. Du kennst mich ja kaum. Außerdem weißt du auch nichts von mir.“

„Nein, ist schon gut. Früher habe ich bei meiner Mutter gelebt. Mit zehn Jahren bin ich dann weggelaufen. Ich habe das Leben bei ihr nicht mehr ertragen. Das hier ist auf jeden Fall hundert Prozent besser.“

„War deine Mutter denn so schlimm?“

Tao schüttelte sofort mit dem Kopf. „Nein, meine Mutter ist der liebste Mensch, den ich kenne. Ich habe einfach die Umstände nicht mehr ausgehalten. Es war zu viel.“

„Das verstehe ich gut. Manchmal ist es so viel, dass man einfach weglaufen will.“

„Und du, Häschen, was suchst du bei einem Wolf wie mir?“ Er schaute sie herausfordernd an.

„Vielleicht beneide ich dich, weil du so frei bist. Manchmal ist das Leben selbst für Kinder schon viel zu viel. Ich wollte einfach mal Luft schnappen und da bist du mir über den Weg gelaufen. Ich habe meine Chance erkannt, endlich mal ein bisschen Spaß zu haben und bin dir hinterhergelaufen.“

„Und Spaß wirst du haben. Die nächste Etappe wird der obere Ring sein, wo man eigentlich sonst nicht hinkommt. Wir werden uns an den Wachen vorbeischleichen und eine Menge Spaß haben. Wenn du Lust hast, können wir uns auch noch den Palast ansehen.“ Tao zwinkerte ihr zu.

„Nein, ich möchte was sehen, was ich noch nicht kenne. Ich möchte deine Welt sehen. Zeig mir, wo du wohnst“, verlange Lira.

„Bist du dir sicher? Da unten ist es ganz schön gefährlich.“

„Ja, ich bin mir sicher“, sagte sie mit fester Stimme. Tao blickte ihr tief in die Augen und wusste, dass sie es ernst meinte. So verschwendete er keine unnötige Zeit mehr. „Okay, dann komm mit.“ Er sprang auf, zog sie mit sich und lief so schnell es ging aus dem Laden heraus.

Die Stimme der Bedienung hörten sie nur noch als leisen Schall, als sie ihnen hinterherrief, dass sie noch nicht bezahlt hätten.

Die beiden liefen und liefen und hielten erst an, als sie sich in der Bahn befanden. „Herzlich Willkommen in meiner Welt. Ist das dir Abenteuer genug?“

Lira strahlte übers ganze Gesicht. So etwas hatte sie noch nie in ihrem Leben gemacht und es fühlte sich unglaublich gut an. Auch wenn ihr der Ladenbesitzer ein wenig leid tat. „Du hast nicht bezahlt“, kam es gespielt vorwurfsvoll von Lira.

Er zuckte mit den Schultern. „Tja, ich hatte das Kleingeld wohl schon bei einer anderen Gelegenheit ausgegeben.“ Er lächelte ihr zu und Lira konnte nicht anders, als auch zu lächeln.
 

„Hier wohnst du also?“ Lira ging immer nur einen Schritt hinter Tao entfernt. Sie hätte nie im Leben gedacht, dass es so einen Ort hier in Ba-Sing-Se geben würde. Die Gassen waren dunkel und hinter jeder Ecke stand eine andere finstere Gestalt.

„Ja, aber so übel ist es gar nicht. Die meisten Leute hier sind nicht gewalttätig, sondern haben einfach kein zu Hause, so wie ich. Und mit den Paar, die trotzdem immer Ärger suchen, werde ich schon fertig. Eigentlich sind wir eine große Familie, auf die man sich jedoch nicht zu sehr verlassen sollte.“

Lira klammerte sich an Taos Arm fest, denn das, was er gerade gesagt hatte, beruhigte sie in keinster Weise. Irgendwie klang das so, als ob man hier keinem vertrauen konnte.

„Du wolltest doch hierhin, oder irre ich mich?“, fragte Tao, dem der Druck an seinem Arm nicht verborgen blieb.

„Ja, schon, aber muss es denn gleich die Dunkelste von allen finsteren Gassen sein?“ Lira ließ ihren Blick keine Sekunde auf einer Stelle ruhen. Dafür war die Gefahr viel zu groß, dass plötzlich aus einer anderen Ecke jemand gesprungen kam.

„Bleib ganz locker. Wenn du bei mir bist, kann dir nichts passieren. Außerdem wollte ich dich nur ein wenig ärgern. Das ist die schlimmste Ecke, aber hier wohne ich nicht. Ich bin ja nicht lebensmüde.“

Lira hätte vielleicht gelacht, wenn sie nicht so furchtbare Angst gehabt hätte. Dass er hier nicht wohnte, beruhigte sie zwar, doch es war schon unangenehm genug, hier einfach nur durch zu spazieren. „Lass uns schnell von hier verschwinden“, bat sie.

„Keine Angst, Kleine, wir sind gleich da. Nur noch hier um die Ecke“, meinte Tao. Und damit sollte Tao recht behalten. Von einer Sekunde auf die andere war es direkt heller und freundlicher. Es war ein geschäftiges Treiben zu beobachten, genau wie auf dem Markt und doch war es irgendwie anders.

Lira schaute sich fasziniert um. Es war eine ganz andere Welt. Zwar schauten hier und da mal jemand grimmig drein, doch im Großen und Ganzen gefiel es ihr sehr. Es spiegelte Freiheit wider.

„Das ist mein zu Hause. Das ist meine Familie“, präsentierte Tao stolz. Als er drei große Männer auf sich zukommen sah, fügte er hinzu: „Mit großen Brüdern, denen man noch Geld schuldet – bleib hinter mir“, raunte er Lira zu. Sie tat wie ihr geheißen und versteckte sich so gut wie möglich hinter Tao.

Die drei Typen sahen nicht gerade nett aus. Eher wirkten sie sehr bedrohlich mit ihren finsteren Blicken und den Knüppeln, die sie in der Hand hielten. Herausfordernd schlugen sie sie immer wieder in ihre Fäuste.

„Hey, Jungs, na wie geht’s so?“, fragte Tao, als die Drei vor ihnen zum Stehen kamen.

„Uns geht es sehr gut, aber es würde uns noch viel besser gehen, wenn wir das Geld bekämen, was du uns schuldest.“

Tao zuckte mit den Schultern. „Tja, ihr wisst ja, wie das ist. Im einem Moment hat man es noch und im nächsten Moment ist es schon wieder weg.“

„Ja, das wissen wir nur zu gut. Und darum möchten wir unser Geld auch gerne wieder haben.“ Der Anführer der Drei sah Tao finster an. „Du hattest bereits genügend Zeit, es zu besorgen. Heute ist Zahltag.“ Daraufhin grinsten die beiden Kumpanen von ihm hämisch. Sie schienen sich zu freuen auf das, was jetzt kam.

Lira hingegen machte sich noch viel kleiner als zuvor. Tao schaute sich um, suchte nach einer Waffe, die er gegen diese Großmäuler einsetzen konnte. Aber hier war weit und breit nichts zu sehen. Kein Stock oder Stein. Die einzige Chance war einen von ihnen zu überwältigen und den Knüppel an sich zu reißen.

Der Anführer sah mit Freuden, wie Tao sich hektisch umblickte. Es war einfach zu köstlich. Und dieses kleine Mädchen, das hinter ihm stand, gefiel ihm noch viel mehr. Er hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. „Wir könnten vielleicht noch ein paar Tage dranhängen, wenn du uns das Mädchen überlässt.“

Geschockt schaute Tao zu Lira. „Niemals!“, zischte er. Und ohne weiter zu überlegen, rannte er los und rammte seinen Kopf in dem Typen, der rechts von seinem Anführer stand. Dieser war so überrascht, dass er die Attacke nicht hatte kommen sehen und seinen Knüppel fallen ließ. In Sekundenschnelle hatte Tao diesen in der Hand und gab dem Kerl damit den Rest.

„Du wagst es!“, brummte der Anführer. Fest seinen Knüppel umklammert, wandte er sich Tao zu. Dieser hielt seinen Knüppel mit beiden Händen fest, da er wusste, dass er nur halb so stark wie sein Gegner war. Wie ein Schwert hielt er ihn vor seinem Körper.

„Mit dir werde ich auch noch fertig“, drohte Tao. Lira hielt sich die Augen zu, weil sie nicht mit ansehen konnte, was jetzt kam. Sie hatte viel zu große Angst um Tao. Das alles war nur geschehen, weil sie unbedingt hierher gewollt hatte. Es war ganz allein ihre Schuld. Doch die Geräusche, die sie erwartete, blieben aus. Es war ganz still. Langsam öffnete sie die Augen.

Tao und der große Kerl standen sich immer noch gegenüber, aber da war jemand Neues dazugekommen. Er hatte beiden beschwichtigend die Hand auf die Schulter gelegt. „Wir wollen hier doch keinen Ärger, oder?“

Lira fand es unglaublich, dass die beiden ihre Kampfabsichten wohl total vergessen hatten.

„Krasir, beruhige dich. Tao wird heute Abend genug Geld verdienen, damit er dich morgen bezahlen kann. Ich habe nämlich einen Auftrag für ihn.“ Er schaute Krasir an und hielt ihm die Hand hin. „Du hast mein Wort drauf.“

Krasir schaute noch ein wenig zweifelnd auf die Hand des Fremden. Dann schlug er ein. „Das will ich aber auch hoffen. Sonst kannst du was erleben, Rock.“ Mit einer Handbewegung gab er seinen Kumpel zu verstehen, dass sie abhauen. Dieser nahm seinen Freund unter den Arm und dann waren sie weg.

Nun wandte sich Rock Tao zu. „Du bist immer in Schwierigkeiten, wenn ich dich treffe. Du solltest besser auf dich aufpassen.“ Er wuschelte den kleinen Jungen durch die Haare.

„Vielen Dank, Rock. Aber mit der halben Portion wäre ich auch alleine fertig geworden.“ Er grinste ihn an.

„Ich mag dein Selbstvertrauen, Junge. Komm nachher noch zu mir, dann besprechen wir die Einzelheiten für heute Nacht. Und pass gut auf deine Freundin auf.“ Er lächelte Lira an und verschwand dann auch im Gewühl der Menschen.
 

„Es tut mir leid, Schätzchen. Die Kerle hatte ich total vergessen. Ich hoffe, du hattest nicht zu große Angst?“, fragte Tao besorgt.

„Vielleicht ein bisschen“, gab Lira zu. „Aber danke, dass du für mich so eingestanden bist.“

„Hey, schöne Mädchen muss man doch beschützen. Außerdem will ich gar nicht wissen, was dieses Arschloch mit dir vorgehabt hätte.“ Sein Blick verfinsterte sich. So einen Ausdruck hatte Lira bei ihm noch nicht bemerkt. Bisher schien er immer in Allem etwas Positives gesehen zu haben. Aber dieser Blick sah zum einen unglaublich wütend aus, zum anderen unglaublich traurig.

„Komm, Tao. Du hast mir so einen schönen Tag beschert, das möchte ich wieder gut machen. Und ich habe auch genau die richtige Idee dafür.“ Diese Mal war es Lira, die Tao hinter sich herzog. Da sie sich hier aber überhaupt nicht auskannte, überließ sie schnell Tao wieder die Führung. Lira schaute zum Himmel. Es fing schon an zu dämmern. Ihr Onkel machte sich bestimmt schon Sorgen. Sie musste bald auf jeden Fall wieder zurück. Aber diese eine Sache wollte sie noch machen.

Sie flüsterte Tao ins Ohr, wo sie hinwollte und er führte sie. Am Ziel blieb er stehen. „Das ist der beste Schmied, den ich kenne. Und warum wolltest du jetzt hierhin?“ Tao sah Lira fragend an. Er konnte sich nicht vorstellen, was ein Mädchen hier wollte.

Lira jedoch zog ihn in den Laden. „Wir werden sehen, was er so im Angebot hat.“
 

An den Wänden des Ladens hingen lauter Schwerter. Lira hatte nicht viel Ahnung davon, aber der Anblick war atemberaubend. Es gab sowohl lange als auch kurze, einfache und verzierte. Lira dachte immer, dass ein Schwert ein Schwert sei, aber da hatte sie wohl immer falsch gelegen. Lira schaute sich fasziniert um, doch Tao schien völlig im Bann der Schwerter zu stehen. Besonders eins hatte es ihm angetan.

Es war sehr schlicht, wie Lira fand und doch hatte es eine enorm große Ausstrahlungskraft. Es strahlte Mut aus.

„Du kannst es ruhig mal in die Hand nehmen; Junge“, meinte der Verkäufer zu Tao. Dieser griff erst zögerlich danach. Es lag perfekt in der Hand, hatte genau die richtige Größe.

„Hast du schon einmal mit einem Schwert gekämpft?“ Tao schüttelte abwesend den Kopf. Sein Blick war nur auf das Schwert gerichtet. „Du hältst es aber wie ein wahrer Schwertkämpfer. Willst du es kaufen?“

Tao schaute den Verkäufer irritiert an. „Ähm … nein … ich –“

„Doch will er.“ Lira schob sich dazwischen und drückte dem Verkäufer schon das Geld in die Hand.

„Aber-“, wollte Tao protestieren.

„Es ist schon gut, Tao. Das mache ich gerne.“ Sie lächelte ihn an.

Lira kaufte noch eine passende Scheide, während Tao immer noch sein neues Schwert bewunderte. Als alles geregelt war, nahm Lira ihn an der Hand. „Komm, lass uns gehen.“

Draußen angekommen, suchte Tao nach den richtigen Worten. „Ich kann dir gar nicht genug danken, Lira. Das ist wirklich ein tolles Geschenk. Was kann ich machen, um mich zu revanchieren?“

Lira schüttelte mit dem Kopf. „Das hast du bereits. Das war einer der besten Tage in meinem Leben. Es hat einfach unglaublich viel Spaß gemacht, mit dir durch die Gegend zu ziehen.“

„Aber das Schwert war doch so teuer“, gab er zu bedenken.

„Pass auf, Tao!“ Lira packte ihn am Arm und zog ihn in die nächste Gasse.

„Was war?“, wollte er wissen.

„Königliche Wachen“, gab sie zur Erklärung.

Vorsichtig lugte Tao um die Ecke und zählte, wie viele es waren. Sieben. Das war schon eine ganze Menge. Was so viele wohl hier unten wollten? „Komm, die werden wir los.“ Er wollte Liras Hand nehmen, doch sie zog sie zurück.

„Nein!“ Sie sah Tao traurig an.

„Wieso, was ist denn, Spätzchen?“ Er verstand nicht. „Hast du vielleicht Angst. Das brauchst du nicht. Mit denen werde ich schon fertig.“

„Wenn sie dich kriegen, bist du dran.“

Tao zuckte mit den Schultern. „Na und, das wäre nicht das erste Mal, dass ich im Gefängnis lande und das letze Mal wäre es sicherlich auch nicht.“

Lira schüttelte ihren Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie es bei Gefängnis belassen würden. Schließlich bist du ja nicht nur ein Dieb, sondern hast dich auch noch durch Entführung strafbar gemacht.“

Tao sah sie nur noch verwirrt an. Jetzt verstand er gar nichts mehr. „Was meinst du damit?“, wollte er wissen.

„Also wusstest du es doch nicht. Ich habe vorhin schon einen Schrecken bekommen, als du mich Prinzessin genannt hast. Aber das war wohl doch nur ein weiterer süßer Spitzname für mich gewesen.“ Lira sah an seiner Miene, dass er anfing zu verstehen. Sie nickte. „Ganz genau, mein Onkel ist der Erdkönig. Und er macht sich bestimmt schon große Sorgen um mich. Das würde zumindest das große Aufgebot der Wachen erklären.“

Sie wartete noch kurz, dann meinte sie: „Ich muss jetzt gehen. Sie sind gleich hier.“

„Warte!“ Er hielt sie am Arm fest. „Du gehst jetzt einfach so?“

„Ja!“

„Und was ist mit dem Schwert? Das kann ich doch unmöglich annehmen.“

Lira legte ihre Hände auf seine. „Behalte es. Ich habe die schönen Erinnerungen von heute, die mich an dich erinnert und du hast das Schwert. Außerdem ist es doch bestimmt schön, wenn man etwas besitzt, dass nicht gestohlen ist, oder?“ Sie zwinkert ihm zu, riss sich dann los und rannte fort.

Tao schaute ihr noch hinterher und verschwand dann in die andere Richtung, die Hand fest auf dem Griff seines neuen Schwertes.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-09-07T16:51:13+00:00 07.09.2009 18:51
hach.....ich habe jetzt erst kapiert, dass du den one-shot für mich geschrieben/ mir gewidmet hast!!!!!!!!!!!! xD

Danke ^^

Mir hat der one-shot auch sehr gefallen, besonders weils um Tao ging!!!
Hier meine lieblingsstelle: "Tao zog die Schultern hoch. „Das kann sein. Aber nur wenn es hübscher ist als du. Und das ist doch auf jeden Fall ein Ding der Unmöglichkeit.“"

Also echt... *quietsch*

Ich freue mich auf weiteres, hdl, janine^_^
Von:  Nochnoi
2009-09-04T10:19:14+00:00 04.09.2009 12:19
Also der One-Shot hat mir sehr gefallen ^^

Hat mich irgendwie ein bisschen an Aladdin und Jasmin erinnert, wie er sie durch die Stadt führt und nicht weiß, wer sie ist ;)
Aber Tao ist und bleibt ein unverbesserlicher Charmeur! Wo der bloß all die Spitznamen auskramt ...? Überlegt der sich jeden Abend im Bett ein paar neue, die er am nächsten Tag gebrauchen kann? XD
Interessant fand ich ja auch die kleinen Hinweis auf Taos Vergangenheit, die hier durchgeschienen sind. Die Sache mit seiner Mutter und die Tatsache, dass er von zuhause ausgebüchst ist, weil er die Umstände einfach nicht mehr ertragen hat. Ich bin wirklich neugierig, was da genau passiert ist >.<

Auf jeden Fall ein sehr süßer Oneshot! Kannst ruhig noch mehr in der Richtung machen ^^

Hab dich lieb
Sarah


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