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Black Crow

Akatsuki Tribute
von

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Scars

„Kojima-san, wir haben Freunde mitgebracht!“

…Wie seltsam, so genannt zu werden. Und das ausgerechnet aus seinem Mund…hätte sie das Wort nicht mehr vermutet.

Ein wenig unsicher blickte Haruka an dem großen blauhaarigen Jungen hinauf, der gerade die Tür hinter sich schloss.

Kisame stieß sie mit seinem Ellenbogen an. „Hey, Haru-chan, meinst du, das ist ein Gnom?“

Als sie seinen Blick folgte bemerkte sie die kleine Frau, die gerade durch den Flur auf sie zugelaufen kam. Sie hatte wildes weißes Haar, das wie eine Löwenmähne zu allen Seiten abstand, und ihr Gesicht sah aus, wie von dem untalentierten Schüler eines Bildhauers gemeißelt: überall feine Risse, die durch die alte Haut zackten. Aber in dem Blick der alten Dame, die selbst Haruka nur beinahe bis zur Hüfte ging, lag etwas von dieser liebevollen Wärme, die man von alten Ehepaaren kannte, welche ihre kleinen Enkel im Sandkasten beaufsichtigen.

„Hohoho, was haben wir da!“, kicherte sie und betrachtete die drei Neuankömmlinge. Etwas auf ihrem Arm kläffte – das Wollknäul, was sich in den Falten ihres Ärmels verbarg schien ein Hund zu sein… „Was für ein hübsches Mädchen habt ihr da, nein, nein, wirklich hübsch!“ Nervös wich Haruka den Augen der Frau aus. „Und sieh an, du machst ja selbst Taka seinen Platz streitig!“ Jetzt umschlich sie Kisame, dessen Gesicht alles andere als entspannt wirkte. Er schien eher zu befürchten, von der alten Dame gleich gefressen zu werden.

„Ich mache etwas zu Essen“, schlug Taka vor und durchbrach damit die unwohlige Spannung. „Wollen Sie mitessen, Kojima-san?“

„Nein, nein, Junge, ich war auf dem Weg in die Stadt und werde mich nicht aufhalten lassen, hohoho! Fühlt euch einfach wie zu Hause!“

Ogawa hielt ihr die Tür auf, bevor sie samt bellendem Knäul verschwunden war.

„…und das ist doch ein Gnom!“, zischte Kisame der kichernden Haruka zu.

Die Küche war recht klein, aber sie schafften es irgendwie, alle an dem Tisch platz zu finden, während Taka seine Aufmerksamkeit der Arbeitsfläche widmete. Kotori, der Jüngste, zupfte an Ogawas Ärmel und jammerte etwas von ‚Hunger!’, was sein Bruder sich wortlos gefallen ließ.

„…Wie seit ihr zu Kojima-san gekommen?“, fragte Haruka vorsichtig, unsicher, wie viel sie fragen durfte, ohne in alten Wunden zu stochern.

„Ah, lange Geschichte“, lächelte Taka willig und nahm ihr etwas von ihren Befürchtungen. „Nach _diesem_ Tag habe ich hier unten Arbeit gesucht und Kojima-san hat uns aufgegabelt. Sie sagte, sie könne mir zwar nur wenig zahlen, aber wir dürfen kostenlos bei ihr wohnen – und das war ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte.“ Die Schwarzhaarige nickte verständnisvoll, wohl wissend, dass die Blicke der beiden Akatsukis auf ihr ruhten. „Sie hat ihren Mann und ihren Sohn im Krieg verloren. Wir sind also eine Art ‚Gesellschaftsersatz’ für sie, schätze ich.“

Harukas erneutes aufmerksames Nicken wurde von einer raschen Bewegung Takas unterbrochen, als dieser geräuschvoll ein Tablett mit Gläsern und einem Wasserkrug auf den Tisch fallen ließ.

„…Und jetzt erzählst du mir mal, was dich hier hertreibt!“ Sein sichtbares Auge sah ernst drein. „Was hast du die letzten Jahre gemacht?“

„…Ich …. Ich war im Land der Winde unterwegs. Und jetzt…bin ich mit Itachi-san und Kisame-san unterwegs.“

Sein Blick war unverändert. „Was ist mit Kaiya. Du hast sie doch mitgenommen, nicht?“

Haruka biss sich auf die Lippen. „…Gestorben.“

Ogawa und Kotori neben ihr waren ganz still geworden, der Jüngere hielt immer noch den Ärmel Ogawas fest, aber nicht mehr bettelnd, es war mehr sein Halt geworden.

Die Amayaka atmete einmal tief ein. „Was ist mit Hotaru.“

„Nichts gehört, tut mir Leid…“ Jetzt war es Taka, der ihre Augen vermied.

„…Ren-san?“

„Spurlos verschwunden…“

Sie verkrampfte ihre Hände. Nichts gehört…spurlos verschwunden… ob sie überhaupt noch am Leben waren…? Kisame hatte sich zu Itachi gebeugt und ihn „Worum geht’s?“ zugeflüstert, aber auch Itachi hatte nur mit den Schultern zucken können. Sein Blick ließ sie nicht los, das wusste sie, auch ohne ihren zu heben. Ob er sie mit seinen Sharingan durchschauen wollte? Aber sie wollte nicht nachsehen, welche Augenfarbe er gerade hatte.

„…Du hättest uns nicht im Unklaren lassen sollen, Haruka“, brummte Taka. Er erhob sich wieder und drehte sich um. „Weißt du, seit du gegangen bist haben sich die meisten von uns hier niedergelassen. Ein paar haben es geschafft, viele nicht. Aber, was wichtiger ist: wir haben alle angefangen zu glauben, was wir gehört haben. Ein Dämon, der mit seinem Blick töten soll… Ein Monster, das sich von Menschenseelen ernährt… Na ja, du kennst die Gerüchte vermutlich…“ Es hörte sich an, als würde er bitter lächeln. „Es tut mir Leid, dass wir das geglaubt haben. Hätten wir gleich selbst nachgeforscht… Ehrlich, du hättest es uns einfacher machen können, Haru-chan.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Immerhin… sind wir eine Familie, nicht?“

Familie… Sie erinnerte sich an Hotarus glückliches Lächeln, als Taka das vor vielen Jahren gesagt hatte. Ja, wir sind eine Familie. Wir passen aufeinander auf.

„…Ja, Take… tut mir Leid.“

„Was tut dir Leid?“ Ogawa sah sie forschend an. „Du hast uns ein schlimmes Schicksal erspart. Also, was tut dir Leid?“

Jetzt musste sie doch Lächeln.

Genauso geräuschvoll wie zuvor ließ Taka sechs Teller mit Onigiri auf den Tisch nieder. „Und jetzt iss, sonst füttere ich dich!“

„O-okay!“

Es schien ihr plötzlich etwas leichter zu fallen, mit den drei Brüdern zu reden.

Schweigend schaufelte Kisame das Essen in sich hinein und beäugte die drei Fremden skeptisch. Sie sprachen über irgendeinen Momoji, Restaurants und von irgendwelchen Leuten aus der Vergangenheit, die weder er noch Itachi je getroffen hatten.

Schön war es ja, dass _seine_ Haru-chan etwas auftaute, war selten genug, besonders seit Itachi sie dauernd ansah wie ein nervtötendes Insekt war sie wieder mehr in sich gekehrt. Oder hatte es damit zu tun, dass sie wieder in ihrer Heimat waren?

Nun ja, es sah nicht so aus, als würde sie sich gerade sehr unwohl fühlen…

Besonders dieser Lulatsch war ja drauf und dran-

Der Blauhäutige stoppte, den Reis halb im Mund.

War das… da eben unter den Haaren.

Fragend sah er Itachi an, der nickte aber nur seicht. Ja, er hatte es auch gesehen. Den darauffolgenden strafenden Blick des Uchiha bemerkte Kisame aber nicht mehr, denn er tat bereits genau das, was Itachi erhofft hatte, zu vermeiden: er starrte.

Taka bemerkte seinen Blick schneller, als Kisame sich der Tatsache seiner eigenen Neugierde bewusst wurde. Sein bitteres Lächeln überzeugte den Akatsuki schließlich, doch nachzufragen.

„Warum versteckst du dein Auge?“

„…“ Langsam hob Taka die Hand und schob die Haare zur Seite, die seine rechte Gesichtshälfte verdeckt hatten. „Das hier… war ein Geschenk der Mörder unserer Eltern.“

Eine entsetzliche Narbenlandschaft fraß sich von seiner Wange über sein Auge bis zu seinem Haaransatz. Von seinem Auge selbst war vor weißer Fäden kam mehr etwas zu sehen.

„Ach so“, murmelte Kisame unbeeindruckt. Er hatte schon schlimmere Narben gesehen, er hatte schon schlimmere Wunden zugefügt und da er den Jungen nicht kannte, machte es für ihn die Geschichte nicht schlimmer. Aber als er Haruka den Kopf senken sah, bemühte er sich, auch ein wenig mitgenommen auszusehen.

„…Wir sind die junge Generation Ame no kunis…“, fuhr Taka fort und ließ seinen Haarvorhang wieder hinab. „Wir sind alle im Krieg aufgewachsen…Jeder von uns trägt körperliche oder seelische Narben. Aber wisst ihr…“ Aufmerksam studierte er die Akatsukis. „Ich weiß nicht, welche Vergangenheit ihr mit euch tragt, und ich weiß nicht, was Narben für euch bedeuten. Uns aus Ame hat alles, was wir erlebt haben, stärker gemacht. Und diese Narben sagen mir heute, dass ich fähig war, meine Brüder zu beschützen.“

Jetzt war es Itachi, der den Blick senkte. Kisame beschloss, für heute einfach nur den Mund zu halten und nicht weiter nachzufragen.

„Wie lange bleibt ihr?“, fragte die kleinste Nervensäge, als ob er von dem vorhergehenden Gespräch nichts mitbekommen hatte.

„Nicht so lange. Vielleicht einen Tag“, brummte der Blauhäutige.

„Nur so kurz? Haru-chan, magst du dann nicht noch einmal zu dem alten Haus gehen?“

Das Mädchen sah auf. „…Ich…weiß nicht…“

Damit war Kisames Vorsatz wieder am wackeln – verflucht sei die elende Neugierde.

„Komm, Haru-chan, wenn wir schon mal hier sind und etwas Zeit haben…“

Sie lächelte ihn schwach an. „…Na gut.“
 

Es war wirklich leichter geworden.

Nicht nur das Reisen zuvor, auch jetzt, als sie die ewig weitersteigende Treppen hinaufpilgerten fand Itachi seine Füße vergleichweise leicht. Die letzten Reisen waren eine Qual gewesen, das wurde ihm erst jetzt richtig bewusst.

Vor sich unterhielt sich Kisame mit dem großen Jungen über ihr Reiseziel. Die beiden Kleineren waren im Haus geblieben.

Seit Hanzou gestürzt worden war, ist es den meisten Bewohnern des Regenreichs unmöglich geworden, das Land zu verlassen – dafür hatte Pain gesorgt. Das war seine Umsetzung des Friedens in seiner Heimat. Kein Wunder also, dass sich der Große so sehr für alles interessierte, was Kisame von ihrer Reise erzählte.

Haruka hinkte etwas nach. Es sah fast so aus, als würde ihr der Anstieg schwerer fallen als allen anderen zusammen.

Itachi beschloss, es zu ignorieren.

Als er Taka und Kisame eingeholt hatte, erbot sich am Ende der Stufen das Bild eines altersschwachen großen Hauses, das vielleicht einmal eine Schule hätte sein können. Einige Wände waren eingestürzt, Pflanzen fraßen sich am Stein hoch und das Dach hatte Lecks, die man sogar aus dieser Entfernung sehen konnte.

„Bekomm keinen Schreck“, hörte der Uchiha Taka zu Haruka sagen. „Es hat sich einiges verändert…“

Das Mädchen sagte keinen Ton.

Fast schon, als würde sie schlafwandeln, ging sie langsam an ihnen vorbei und auf das Haus zu, während die drei jungen Männer ihr mit kleinem Abstand folgten. Sie schien das nicht zu stören, kurz vor den Mauern blieb sie noch einmal stehen und hob den Blick zu den schiefen Dachschindeln, über die der Efeu wuchs, bevor sie sich gegen den Stein stützte und sanft die Stirn an ihn lehnte.

Irgendetwas flüsterte sie wohl zu der seelenlosen Mauer, Itachi sah ihre Lippen die Worte ‚Verzeih mir’ formen, bevor sie sich wieder aufrichtete und zwei Schritte zurück trat.

Ohne sich umzusehen merkte der Schwarzhaarige, dass sein Teampartner wieder im Inbegriff war, in Dingen herumzustochern, die ihn nichts angingen. Doch diesmal unternahm er nicht einmal den Versuch, es zu unterbinden – vielleicht war er selbst ein wenig neugierig und wollte nur selbst nicht fragen… vielleicht…

„Was ist das hier für ein Ort?“

„…Lange Geschichte…“

„Wir haben Zeit, Haru-chan“, wiederholte Kisame sich und zeigte grinsend seine spitzen Zähne.

Ihr entlockte er damit ein schwaches Lächeln. „…Ja…“
 

Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie Ren getroffen hatte.

Es war nicht mal eine Woche her gewesen, dass sie ihr Dorf verlassen hatte, als sie sich hungrig und müde am Wegesrand einer ihr unbekannten Gegend wiedergefunden hatte. Sie wusste nicht mehr, wohin, und sie konnte sich auch nicht mehr genau entsinnen, aus welcher Richtung sie eigentlich gekommen war, als sie den jungen Mann entdeckte.

Er war hager, hatte glatte fuchsbraune Haare und trug Kleidung, die ursprünglich vermutlich nicht von ihm stammten, so unpassend wirkten sie. Hinter sich zog ein zerzaustes kleines Pony einen Karren, in dem einige Jungen sitzen und desinteressiert in die Gegend starrten.

„Alles in Ordnung, Kleine?“

Er strahlte keine gefährliche Aura aus, auch sah er nicht so aus, als ob er ihr böses wollte, aber Haruka ignorierte ihn trotzdem.

…Zumindest so lange, bis auf sein Winken einer der Jungen aus dem Karren kletterte und auf sie zulief.

„Keine Angst, wir tun dir nicht weh.“ Der Junge grinste sie freundlich an. Er hatte meeresblaues Haar, welches seine rechte Gesichtshälfte verdeckte und war für seine Größe viel zu dürr. Aber das Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht, obwohl Haruka es nicht erwiderte. Stattdessen berührte er vorsichtig ihre Stirn.

„Sieht nach Fieber aus, Ren-san.“

„Gut, bring sie her, Taka.“

„Sicher?“

„Ja, sicher.“

Haruka sagte keinen Ton. Weder, als der Blauhaarige sie vom Boden hob und auf den Karren setze, auch nicht, als sich dieser in Bewegung setzte und er sie neugierig betrachtete.

Die seltsame Leere, die sie seit dem Tod ihrer Eltern ergriffen hatte, war weiter gewachsen, und sie kümmerte es nicht mehr, was passierte. Vielleicht war der hagere Mann doch böse? Vielleicht war das Lächeln des Jungen falsch? Es war ihr egal.

Ihr Ziel schien ein großes Gebäude außerhalb eines kleinen Dorfes zu sein. Haruka sah zahlreiche Jungen mit einem Ball auf dem Hof spielen, doch als der Wagen langsam auf sie zurollte, unterbrachen sie das Spiel und stürzten sich freudig auf den hageren Mann. Die Gesichter der Kinder sahen aus, als könnte sie kein Leid der Welt erreichen, als ob das alte Gebäude ihr eigenes Paradies wäre.

Eine Hand begann ihren Kopf zu tätscheln. Der hagere Mann lächelte sie an. „Alles klar, bei dir, Kleine? Kannst du aufstehen?“

Sie brauchte nicht zu antworten, denn in dem Moment kämpfte sich ein Junge durch seine Spielgefährten auf sie zu. „Ren-san! Endlich bist du wieder da!“

Seine weißen Haare strahlten nicht minder als seine hellblauen Augen, als er auf den Mann zulief und ihn umarmte. Haruka hätte den Jungen auf ihr Alter geschätzt.

„Ist ja gut, Hotaru!“, befreite der Mann – Ren – sich. „Hör zu, du kannst mir gerade zur Hand gehen.“

„Geht klar, was soll ich tun?“

„Die Kleine hier hat Fieber, kümmere dich bitte um sie.“

Die Mine des Jungen erstarrte, als sie in sein Blickfeld kam. „Warum hast du ein Mädchen mitgebracht?“

„Hätte ich sie da draußen lassen sollen?“

„Wäre besser. Ich hasse Mädchen.“

Stumm erwiderte Haruka seinen feindseligen Blick, er seufzte ergeben.

„Na gut, meinetwegen. Komm schon mit, und trödel nicht!“

Ren gab ihr einen leichten Klaps auf die Schulter, dass sie dem weißhaarigen Jungen – wenn auch widerwillig - folgte. Erst, als sie im ersten Stock des Gebäudes waren, und er einen der Schränke öffnete um ihr einige Kleidungsstücke zuzuwerfen, richtete er wieder das Wort an sie.

„Das ist Jungenkleidung, aber was anderes haben wir nicht. Wird dir irgendwie passen. Wenn du hungrig bist, meld dich bei irgendwem. Und schlafen kannst du dort.“ Er deutete auf eine schwere Holztür. „Das wär’s.“

Und bevor Haruka es sich versah, war sie alleine hinter der dunklen Tür in einem kleinen, voll gestellten Raum, in welchem wohl nur die Schlafmatte in den letzten Jahren hin und wieder benutzt worden war. Wortlos ließ sie sich auf den Boden sinken.

Warum war sie hier? Warum war sie überhaupt noch am Leben?

Warum…konnte sie nur nicht mehr weinen?
 

Sie konnte nicht sagen, wie lange sie geschlafen hatte. Vielleicht einen Tag, vielleicht eine Woche. Ein paar zirpende Vögel vor dem Fenster hatten sie aufgeweckt und der Hunger aus dem engen Zimmer getrieben.

Das ganze Haus schien still, wie ausgestorben. Sie folgte dem einzigen Geräusch – dem sanften Plätschern von Wasser – die Treppe hinab bis in die Küche.

Der hagere Blauhaarige stand dort und rollte gekochten Reis zu Bällen. Als sie die Schwelle überschritt, sah er auf.

„Ah, du bist es. Gut geschlafen?“ Wieder umspielte das Lächeln seine Lippen.

Ohne ihm zu antworten sah sie seiner Arbeit zu. Er beobachtete sie schweigend.

„Bist du durstig? Warte.“ Er wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und schenkte ihr etwas aus einer Teekanne ein. „Hier, der Tee hilft bei Fieber. Trink das.“

Weiterhin unfähig etwas zu sagen nahm Haruka die Tasse entgegen und trank sie langsam aus. Es schmeckte gut, sie hatte lange nichts mehr so gutes getrunken.

„Mein Name ist Taka. Wie heißt du?“

Sie bemerkte sein neugieriges Gesicht und fühlte sich dazu verpflichtet, ihm zu Antworten. „…Haruka…“

Er lächelte. „Wie sieht’s aus, Haruka? Magst du mir etwas helfen?“

Sie nickte ausdruckslos und ließ sich still von ihm einweisen.

„Kennst du dich ein wenig in der Küche aus?“, erzählte er munter weiter. „Das wäre schön, denn weißt du: bislang bin ich einzige, der etwas halbwegs essbares zu Stande bekommt.“

Haruka wusste nicht, warum er ihr das alles erzählte, aber sie hörte aufmerksam zu.

Taka und seine Brüder waren schon seit drei Jahren bei Ren. Ren holte Straßenkinder in dieses Haus um sie auf ihr späteres Leben vorzubereiten, die Größten gingen schon arbeiten und ernährten mit dem verdienten Geld alle. Die Jüngeren sammelten in den umliegenden Gegenden aus leerstehenden Häusern, was man noch gebrauchen konnte. Und manche, wie Taka und seine Brüder, blieben im Haus und kümmerten sich um Einkäufe und Verpflegung. Momentan waren sie einundzwanzig Kinder. Sie selbst war bislang das einzige Mädchen – denn die Mädchen waren auf der Straße die ersten, welche dubiosen Typen in die Hände fielen – und die man daraufhin nie mehr wieder sah.

Taka erzählte ihr auch, dass immer wieder Kinder von hier abhauten. Meistens nachts, unbemerkt und heimlich. Natürlich würden sie niemanden zwingen, da zu bleiben, aber er selbst verstünde es nicht, wie man diesen sicheren Ort verlassen konnte.

Haruka beschloss damals, Taka öfters in der Küche zu helfen. Eigentlich war es Hotaru, der sich um sie kümmern sollte, doch das er nicht besonders gut auf sie zu sprechen war, das hatte sie ja schnell festgestellt. Aber auch was das anging konnte Taka sie beruhigen.

„Hotaru fürchtet bestimmt nur um seine Stellung“, erklärte er ihr, als sie morgens mal wieder die ersten beiden auf den Beinen waren.

„Stellung?“

„Ich schätze, er denkt dass Ren ein niedliches kleines Mädchen mehr ins Herz schließen könnte als ihn.“

Haruka hatte verächtlich geschnaubt. Unglaublich, dass der seltsame Junge eifersüchtig auf sie war! Aber sie hatte vermutet, dass Taka Recht hatte und beschloss, Hotaru einfach weiter zu ignorieren.

Sie sprach sowieso mit den wenigsten – Taka war die einzige Ausnahme, bei ihm fiel es ihr bald nicht mehr so schwer, sich etwas zu öffnen. Aber auch die anderen Jungen betrachteten sie eher misstrauisch.

Es war einer der Abenden, an denen der Regen ausblieb und die Kinder draußen Ball spielten, als Haruka ihnen aus einiger Entfernung zusah und Ren sich zu ihr gesellte.

„Schon etwas eingelebt?“

Ren sah man oft tagelang nicht, aber er trotzdem immer da, wenn einer der Jungen ihn brauchte. Er war wie ein Mysterium, wie ein Stück des Hauses, wie ein Geist vielleicht. Ganz konnte Haruka ihn immer noch nicht durchschauen.

„Haruka ist dein Name, nicht?“ Er lächelte unentschlossen, als sie immer noch nicht antwortete. „…Weißt du, Haruka… als ich in das Regenreich kam war das erste, was die Shinobi mir sagten, dass ich barmherzig sein sollte und jedem Waisen, den ich sehe, den Gnadenstoß geben sollte. Sie seien nur labile Wracks in einem menschenunwürdigen Leben. Aber ich bin auch ohne Eltern aufgewachsen, deswegen wollte ich das nicht glauben. In einem der zerstörten und geplünderten Dörfer bat mich ein Shinobi, auf ein Kleinkind Acht zu geben, das er bei den Leichen der Zivilisten gefunden hatte… ich schätze er hat mich für einen Einheimischen gehalten und mir deswegen das Kind anvertraut.“ Sein Lächeln wurde bitter. „Hotaru war dieses Kind. Er war der Grund, dass ich mit dem hier“ – er zeigte auf die alte Schule – „angefangen habe. Ich möchte all diesen Menschen dort draußen zeigen, dass auch Waisen eine Chance verdienen. Schicksal macht keine schlechteren Menschen aus euch…“ Wieder sah er zu ihr. „Denkst du nicht?“

Haruka verkrampfte sich. „…Ich…“ Sie schluckte schwer. „Ich…habe drei Shinobi umgebracht…“

Er legte ihr sanft seine Hand auf die Schulter. „Niemand macht dir einen Vorwurf, Haruka. Schau, dort hinten, das Kind bei Hotaru…“ Er nickte in die Richtung, wo Hotaru und ein anderes Kind sich im nassen Gras balgten. „Er sagte, er habe ein anderes Kind umgebracht, um an sein Essen zu kommen… Oder auch Taka. Er behauptet immer, er würde alles für seine Brüder tun – aber ich glaube, er hat schon alles für sie getan.“ Wieder lächelte der junge Mann sie an. „Menschen sich zu einigem fähig, um ihre Liebsten zu beschützen.“

Energisch vertrieb sie ihre Tränen. „Du auch, Ren-san?“

Die Hand auf ihrer Schulter verschwand. „Auch ich habe einige Sachen getan, auf die ich nicht sonderlich stolz bin… aber: hätte ich sie nicht getan, dann wäre ich heute nicht hier.“ Diesmal schien sein fröhliches Gesicht nicht echt zu sein. „Sei nicht traurig wegen gestern. Ihr seid diejenigen, die morgen verändern können. Und ich will gerne sehen, was ihr aus morgen macht.“

Sie würde es ihm niemals sagen, aber das Gespräch hatte ihr geholfen. Es war erleichternd für sie zu wissen, dass sie nicht für das verurteilt wurde, was in der Vergangenheit passiert war, dass sie nicht wieder gehen müsste.

Zusammen mit Taka arbeitete sie daran, sich wieder mehr zu öffnen. Auch das Verhältnis zu den anderen Kindern – abgesehen von Hotaru – verbesserte sich.

Ren hatte beschlossen, ihre Bemühungen zu honorieren, und brachte eines Tages einen Hund von seinen Ausflügen mit.

„Schau, Haruka, ein anderes Mädchen habe ich nicht gefunden, aber mit ihr bist du vielleicht nicht mehr ganz so alleine.“

Der Hund war an den Karren geleint und betrachtete die umstehenden Kinder neugierig. Haruka kniete sich zu ihr. Die Hündin hatte dichtes braunes Fell, sie schien von keiner bestimmten Rasse zu sein. Ihre Beine waren lang und starksig, ihr Körper wirkte gesund, obwohl man ihren mageren Bauch unter dem Fell vermutlich nur nicht sah.

„Sie hat keinen Namen mehr, an den sich jemand erinnert“, sagte Ren. „Du kannst ihr also einen geben.“

Der Hund blickte das Mädchen unverändert an. Noch schien das Tier nicht zu wissen, was es von all dem halten sollte.

„…Kaiya.“

„Kaiya*?“, wiederholte Ren fragend.

„Ja.“ Sie hielt dem Hund eine Hand entgegen und Kaiya schnüffelte interessiert daran. „Kaiya.“

Sie fiepte aufgeregt und entlockte Haruka ein Lächeln.

Schnell würde das Tier verstehen, dass dies ihr neues Zuhause war.

Aber genauso schnell würde sich alles für immer ändern…
 


 

*Kaiya = Vergebung



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