Zum Inhalt der Seite

Perlentaucher Weihnachtsmärchen 2009

~ Jeden Tag ein OneShot über Twilight zum Fest der Sinne ~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Nessies Nascherei

Könnt ihr auch so schwer den ganzen Leckereien widerstehen, mit denen man besonders zu dieser Jahreszeit konfrontiert wird? Um eine ähnliche Verlockung geht es auch in der heutigen Geschichte. Viel Vergnügen ;)
 


 

Autor: [style type="underlined"]www.pAT

Rating: P12

Genre: Humor

Sonstiges: InCanon, 4 Jahre nach BD
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Ich setzte das Skalpell an.

Absolute Konzentration war gefordert.

Ganz vorsichtig.

Bloß nicht zu viel Kraft ausüben, mahnte ich mich.

Nur ein kleiner Schnitt.

Nur einen kleinen Streifen frei schneiden,

und bloß nicht zu tief, sonst wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen.

Vorsichtig.

Ja, das sah gut aus. – Perfekt.

Jetzt nur noch..
 

„Nessie?“
 

Ich erschrak fürchterlich, konnte meine Hände aber gerade noch ruhig halten. Wer zur Hölle musste mich ausgerechnet jetzt stören?
 

Ich seufzte laut auf. Das Timing, die entsetzte Stimme, der Duft von dem leicht herben, jedoch auch würzigen, lieblichen Blut, das konnte wirklich nur Lisa sein. Und um ein Haar hätte sie mir alles verdorben...
 

Lisa war meine erste, richtige Freundin. Wir kannten uns jetzt schon seit fast einem halben Jahr, also mehr als doppelt so lange wie meine üblichen Bekanntschaften gehalten hatten.
 

Blödes Wachstum, dachte ich bei mir. Das ständige Umziehen konnte einem wirklich auf die Nerven gehen, aber die schlimmste Zeit war zum Glück vorbei.
 

Mit meinen vier Jahren ging ich jetzt gerade so als Sechzehnjährige durch und in zwei Jahren sollte ich den öden Wachstumsschub langsam hinter mir haben.
 

Gott sei Dank, dann konnten wir endlich zehn Jahre an einem Ort bleiben und ich könnte mir Freundschaften aufbauen, die länger als ein paar Monate hielten.
 

Freunde, das Wort klang vielversprechend. Beste Freundin, noch viel vielversprechender! Naja, sagen wir menschliche beste Freundin.
 

Rosalie und Alice waren klasse, ich konnte mich wirklich nicht beklagen. Aber schließlich gehörten sie zur Familie und ich wollte, wie ein echter Mensch, auch Kontakte besitzen und pflegen.
 

Ich sah auf und musste lachen: „Hey, Lizz.“
 

Lisa hatte, wie so oft in letzter Zeit, ihren sagenumwobenen, legendären, wirklich urkomischen Sag-mal-du-bist-doch-komplett-bescheuert-Blick aufgesetzt.
 

„Was tust du da?“, fragte sie argwöhnisch. „Ist das ein Skalpell?“
 

„Klar“, antwortete ich und konzentrierte mich noch einmal auf den Apfel in meinen Händen. „Was sonst?“
 

Vorsichtig zupfte ich das letzte Stückchen Haut von meinem Kunstwerk, prüfte noch einmal alle Ecken und Kanten. Ja, perfekt..
 

Michael Angelo wäre vor Neid erblasst, dachte ich zufrieden, während ich von meinem knarrenden Holzstuhl aus den Achtzigern aufstand und stolz meine Schultern straffte, bevor ich ihr voller Ehrfurcht die Arbeit der vergangenen Stunde überreichte.
 

„Na, wie findest du ihn?“, fragte ich aufgeregt, schob die Schutzkappe über Grandpas Werkzeug und steckte es in meine Handtasche. Die Klinge war zwar zu alt, um damit noch zu operieren, jedoch war sie immer noch scharf genug, um jemanden wirklich übel zu verletzen.
 

Lisa betrachtete das Meisterwerk skeptisch. „Was. Ist. Das?“
 

„Ein Weihnachtsapfel!“, quietschte ich.
 

Was sollte ich mich auch von ihrer destruktiven Ignoranz anstecken lassen, denn der Apfel war ohne Zweifel super. Ein richtig echter, einzigartiger, blutroter Weihnachtsapfel mit einem wunderschön eingeschnitzten Weihnachtsbaum.
 

Besonders stolz war ich auf die Ausrichtung mithilfe der Fluchtlinien, es sah alles so echt aus!
 

Und die zahlreichen Girlanden und Kugeln, die, über den ganzen Baum verteilt, die Äste schmückten. Die konnten nur durch den Stern an der Spitze mit den Engeln übertroffen werden. „Hach“, seufzte ich selbstverliebt. Er war perfekt!
 

Lisa schüttelte aber nur den Kopf. „Sag mal, du bist doch komplett bescheuert“, sagte sie und komplettierte damit ihr Mimenspiel. „Was hast du damit vor?“
 

„Der ist für Jake.“ Ich war so glücklich!
 

Jacob würde dieses Geschenk schon zu würdigen wissen. Na ja, er würdigte eigentlich alles, was man ihm so schenkte. Das war so drollig, ich könnte ihm genauso gut einen gammeligen Stein vom Straßenrand mitbringen und er würde ihn freudestrahlend zu den anderen Sachen legen, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten.
 

Darunter waren diverse Eintrittskarten, unzählige Fotos, Armbänder, die ich geflochten hatte und meine Babysocken. Bei dem Gedanken musste ich grinsen.
 

„Das hat sentimentalen Wert“, rechtfertigte er sich jedes Mal, wenn der Umzugslaster vor der Tür stand und die Kartons wieder einmal nicht ausreichten. Was für ein Messie er doch war!
 

Nein, dieses Weihnachten gab es kein Geschenk für die Ewigkeit. Der Apfel würde sich mit der Zeit schon selbst recyceln.
 

Stimmt, da war ja noch etwas, erinnerte ich mich. Vielleicht sollte ich ihn doch lieber in ein Einmachglas stecken, sodass der Apfel auch gut vor der bitterbösen Umwelt geschützt war.
 

Und der schöne Nebeneffekt wäre die Eindämmung der Schimmelkolonie gewesen, die bis zum Sommer zu einem Schimmelstaat herangewachsen wäre, um dann seine politische Unabhängigkeit zu erkämpfen. Oh, Jake konnte manchmal eine echte Drecksau sein.
 

„Und bei dir Lizz? Alles okay?“, fragte ich mit halber Aufmerksamkeit.
 

„Ja, danke der Nachfrage.“ Sie klang genervt und ließ ihren Blick über den Tisch schweifen. „Solltest du nicht Brötchen schmieren?“
 

Brötchen? Oh verdammt! Meine Theke war fast leer, die Wurstbrote waren schon komplett ausgegangen und von den Käsebroten waren auch fast keine mehr übrig. Der Apfel hatte mich dermaßen abgelenkt, ich hatte kaum mitbekommen, dass schon so viele Schüler da gewesen waren.
 

Lisa seufzte, ging um den langen Tisch herum und nahm sich ein Buttermesser. „Komm, ich helfe dir. In spätestens zwanzig Minuten wird hier ja die Hölle los sein…“
 

„Du bist die Beste!“ Ich umarmte sie und drückte ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange. Sie hatte einen so betörenden Duft, von ihr wollte ich nur zu gerne einmal naschen.
 

Lisa grinste nur und drückte mich mit ihrem Ellenbogen leicht wieder weg. „Ja, ja. Jetzt übertreib’s bloß nicht.“
 

„Wie Ihr befiehlt, oh große Lebensretterin.“ Auch ich nahm mir ein Messer und dann wir legten los.
 

Ich brauche dringend eine Freundin, die von meinem Geheimnis weiß, dachte ich verträumt bei mir, und mir freiwillig etwas abgibt. Nicht viel und nicht oft, nur ab und zu…
 

Ich kam mir richtig verrucht vor, aber was wäre schon dabei? Abgesehen davon, dass ich meine Herkunft um jeden Preis geheim halten musste, wäre es doch völlig in Ordnung, wenn man ab und zu etwas Menschenblut trinken würde. Vor allem, wenn man niemanden verletzte, was gab es dagegen einzuwenden?
 

Die Welt duftete so gut, vor allem an Tagen wie diesen! Überall lag der Duft von Weihnachten in der Luft, Lebkuchen und Äpfel, Punsch und Schokolade, Plätzchen und… Und Zimt!
 

Bei diesem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen. Einfach herrlich. Nicht so wie an Ostern, an denen alle ihren Cholesterinspiegel ungesund in die Höhe treiben mussten, einfach widerlich
 

Ja, ich mochte menschliches Blut, ich liebte es sogar, aber mich konnte man nicht mit meiner Familie vergleichen. Ich konnte meinen Mund damit ausspülen und es dann ausspucken wenn ich wollte, ohne auch nur einen Moment mit der Wimper zu zucken. Was war also so falsch daran? Wozu dieses Verbot? Ich musste mir ja nicht gleich den Bauch voll schlagen, nein, nur ein wenig naschen. Mehr nicht.
 

Schon lange hatte ich nach einer Gelegenheit gesucht, endlich einmal wieder menschliches Blut zu schmecken, und endlich hatte ich eine gefunden. Es sollte dieser Tag sein, genau dieser, heute!
 

Es war der letzte Tag vor den Weihnachtsferien und die Schulleitung hatte, passend zum Fest der Nächstenliebe, eine Blutspendeaktion in der kleinen Turnhalle gestartet.
 

Ich hatte nicht vor zu spenden. Um jedoch trotzdem meinen Beitrag zu leisten hatte ich mich aufopferungsvoll für den Dienst an der Brötchentheke gemeldet. Das bedeutete, dass ich mich um das Vesper kümmern musste, während sich die Schulküche neben der Turnhalle langsam mit dem köstlichen Spenderblut füllte.
 

Leckeres menschliches Blut! Echtes, würziges Weihnachtsblut! Eine solche Vorfreude an Weihnachten war einfach ein unglaublich tolles Gefühl.

Nein, Stopp! Bloß nicht darüber nachdenken, rief ich mir in Erinnerung. Alice konnte mir noch immer die Tour vermiesen. Und das so kurz vor meinem Ziel…
 

Es war nicht leicht gewesen dieses Vorhaben vor Daddy und Alice geheim zu halten. Ständig musste ich auf meine Gedanken und Pläne aufpassen, und das über drei Wochen lang!
 

Also zurück in die Gegenwart. Eine Menge Arbeit wartete auf mich, denn Lisa behielt Recht:
 

Die Schulglocke läutete zur Mittagspause und schon nach wenigen Minuten kam der große Ansturm. Das war nichts im Vergleich zum Vormittag, an dem nur Schüler mit Hohlstunden reingeschaut hatten.
 

Der Lärm zog wie ein Unwetter heran und eine Unterhaltung in normaler Lautstärke war kaum möglich.
 

Die Schüler hatten auf ihre Privatsphäre verzichtet und nach und nach die Trennwände zwischen den Liegen beiseite geschoben. Überall wurde gelacht, geflirtet, über die anstehende Silvesterparty geredet und eine Sinfonie an Düften wehte durch die Luft.
 

Der Lärm störte, aber es hatte auch etwas Gutes. Denn damit hatte ich eine wirklich gute Entschuldigung, sinnlosem Geplauder aus dem Weg zu gehen.
 

Viele der Jungs malten sich noch immer ernsthafte Chancen bei mir aus, obwohl sie wussten, dass ich glücklich mit Jacob zusammen war. Nur einer ließ sich wieder einmal nicht abwimmeln, stellte ich seufzend fest.
 

„Hallöchen, meine Perle!“, rief Kevin über das Stimmengewirr hinweg. Super, der ach so tolle Footballstar der Schule, hatte schon immer einen Sinn für billige Kosenamen gehabt. Aber heute hatte er sich selbst übertroffen. „Na? Schon gespendet?“
 

Ich verneinte trocken und widmete mich schnell wieder meiner Butter. Auf diesen Idioten hatte ich nun wirklich keine Lust.
 

Er zwinkerte mir zu. „Super, lass uns doch gemeinsam gehen!“
 

Eine eindeutig zweideutige Anmache? Hatte er sie noch alle? „Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“, antwortete ich lautstark.
 

„Ach, komm schon“, entgegnete er und besaß doch tatsächlich die Frechheit um den Tisch zu laufen und auf unsere Seite zu kommen.
 

Lisa rollte genervt mit den Augen. „Gibt’s hier keinen Sicherheitsdienst?“
 

„Jetzt hab dich nicht so, es dauert doch nicht lange.“ Kevin kam grinsend auf mich zu und griff nach meiner Hand.
 

Okay, jetzt hatte er eindeutig den Verstand verloren. „Fass mich an und ich breche dir den Arm“, fauchte ich und wich aus.
 

„Komm schon, da ist doch nichts dabei…“
 

„Du weißt, wenn Jacob das sieht, reißt er dir den Kopf ab“, warnte ich ihn düster.
 

„Ich sehe hier aber keinen Jacob. Jetzt gib mir doch eine Chance“, lachte er und packte mich doch tatsächlich am Handgelenk.
 

Dieser Plagegeist hatte wirklich Nerven. Leise knurrend legte ich die Brötchenhälfte auf den Tisch, ließ das Messer, das ich in der anderen Hand hielt, fallen, wand mich aus seinem Griff und ehe das Messer auf dem Boden angekommen war hatte ich ihm geschickt den Arm auf den Rücken gedreht.
 

Kevin zappelte einen Moment, dann lachte er nervös. „Oh! Das Kätzchen hat seine Krallen ausgefahren!“
 

Ich fluchte leise über diese Unverschämtheit und festigte meinen Griff, während ich versuchte, die neugierigen Blicke meiner Mitschüler zu ignorieren.
 

Der Gedanke, ihm für die Weihnachtszeit einen Gips zu verpassen, ein paar erschreckende Bilder zu schicken, oder ihm wenigstens die Schulter auszurenken, war zwar verlockend, jedoch undenkbar. Das würde nur Ärger geben.
 

Also riss ich mich zusammen und gab ihm mit einem leichten Ruck zu verstehen, dass er sich in Bewegung setzen sollte. Eigentlich wollte ich ihn nur aus unserem Bereich schieben, aber dann sah ich, dass Lisa heimlich ihr Bein ausgestreckt hatte und mir zuzwinkerte.
 

Das war natürlich auch nicht schlecht. Warum eine Körperverletzung, wenn eine Demütigung doch viel besser war?
 

Voller Vorfreude gab ich ihm einen kleinen Schubs und Kevin fiel der Länge nach über Lisas gestelltes Bein.
 

Die umstehenden Schüler johlten und Lisa hielt sich, total geschockt, die Hand vor den Mund.
 

„Da taucht er ab, der Perlentaucher“, kicherte sie mit weit aufgerissenen Augen und dann prusteten wir los.
 

Mit feuerrotem Kopf versuchte Kevin die Situation noch zu retten: „Wow, euch könnten wir gut im Footballteam gebrauchen!“, aber ohne Erfolg. Ihm hörte jetzt wirklich keiner mehr zu.
 

Zum Glück war gerade der Footballtrainer in der Nähe und auf unseren Tumult aufmerksam geworden. „Was ist denn hier los?“, brüllte er mit seiner tiefen, autoritären Stimme und schob sich durch die Schülermenge. „Kevin! Was hast du hinter der Theke zu suchen? Jetzt aber ab mit dir!“
 

„Ja, Coach“, stammelte Kevin, raffte sich auf und trottete davon.
 

Mit aller Kraft riss ich mich für einen Augenblick zusammen. „Danke, Mr. Hendrik.“ Sein Timing hätte nicht besser sein können, denn auf eine zweite Runde verzichtete ich liebend gerne.
 

Mr. Hendrik schüttelte nur den Kopf, murrte etwas wie „Immer dasselbe mit diesem Chaoten…“, und stellte sich wieder in die Warteschlange.
 

Lachend schlug ich mit Lisa ein. „Das müssen wir irgendwann wiederholen.“
 

„Wo hast du das gelernt?“, fragte sie immer noch perplex von unserer Aktion.
 

„Was? Wie man mit hirnlosen Zombies fertig wird?“ Ich zuckte mit den Schultern und hob das Messer auf. „Das hab ich von Jasper. Darin ist er Experte.“
 

„Das musst du mir unbedingt beibringen“, seufzte sie und riss eine neue Packung Käse auf.
 

Ein Adrenalinschub durchströmte mich. Das war eine gute Gelegenheit, um in die Küche zu gehen, denn immerhin hatte das Messer auf dem Boden gelegen.
 

„Bin gleich wieder da“, kicherte ich und eilte in die Küche.
 

Und da waren sie, die Weihnachtsblutbehälter! Ihr steriles, metallisches Glänzen rief förmlich nach mir, komm und bediene dich!
 

Die Türe wurde aufgestoßen und ich öffnete hastig die Schublade mit den Messern. Eine Krankenschwester eilte mit einem frischen Beutel an mir vorbei, hängte ihn in einen der Behälter und verschwand gleich wieder in die Turnhalle. Sie war zu beschäftigt um auf mein sinnloses herumkramen in der Schublade zu achten.
 

Ich seufzte erleichtert und wollte gerade zu den Rollwägen gehen, als mir ein Riesenfehler bewusst wurde. Ich hatte meine Handtasche vergessen! Ich überlegte, sollte ich einen Beutel hier irgendwo verstecken und nachher abholen?
 

Dafür brauchte ich ein gutes Versteck und die Suche danach würde Zeit kosten. Ich würde also riskieren, einer weiteren Schwester in die Arme zu laufen und außerdem würde Lisa mich inzwischen vermissen.
 

Dann hörte ich aus der Turnhalle eine quirlige, lebhafte Stimme, die ich unter Tausenden herausgehört hätte, die Stimme des molligen Mädchens aus dem Geschichtsunterricht. Sie war mein absoluter Favorit unter den gut riechenden Menschen und sie war gerade dabei zu spenden? Sie hatte doch Angst vor Nadeln!
 

Anscheinend hatte sie sich doch überwunden und in diesem Augenblick wusste ich, ich wollte nicht das Blut von irgendjemandem, nein, ich wollte ihres!
 

Ich warf das schmutzige Messer in die Spüle, griff mir ein Sauberes aus der Schublade, flitzte zur Türe, öffnete sie beherrscht, ging in bewusst normaler Geschwindigkeit an meine Theke und machte mich wieder an die Arbeit.
 

Meine Ungeduld war kaum zu bändigen, aber ich war überzeugt, die Mühe war es wert. Diese Gelegenheit bot sich mit Sicherheit nur einmal im Leben.
 

Ich zählte die Sekunden, die Schüler, sogar die Sesamkörnchen auf den Broten, nur um mich ein wenig abzulenken.
 

Dann kam der Zeitpunkt, endlich. Ein schwacher Windhauch drang an meine Nase und ich wusste, sie war ganz nahe! Ich sah auf. Da war sie! Da war das Mädchen, auf das ich die ganze Zeit gewartet hatte und sie hatte ein Pflaster am Arm!
 

„Hey, Nessie!“ grüßte sie. „Na? Immer noch so begeistert vom Blutspenden?“
 

„Hi, Melanie!“, rief ich freudestrahlend und zwang mich zu einem lockeren Tonfall. „Das Beste hast du leider verpasst“, erwähnte ich, um mich zu beruhigen. Lisa und ich wechselten einen kurzen Blick. „Kevin hat sich vorhin zum Deppen gemacht.“
 

„Ah“, lachte Mel, „darum ging es also bei der Wette.“
 

„Wette?“, fragte ich verdutzt. „Was für eine Wette?“
 

„Naja“, grinste Melanie, „ich hab das auch nur mit halben Ohr mitbekommen. Da war irgendwas, das Kevin heute schaffen musste. Und es ging um zwanzig Mäuse oder so.“
 

„Aha, jetzt wettet der also schon…“, grummelte ich. Egal. „Schon gespendet?“
 

„Gerade eben“ antwortete sie. „War gar nicht so schlimm. Und jetzt kann ich mir ein Brötchen nehmen? Oder dürfen es auch zwei sein? Die sehen ja richtig lecker aus!“
 

Ihr Blut musste also bereits in einem der Blechschränke hängen, nur einen Raum weiter! Super! Mein Herz überschlug sich beinahe vor Freude. „Aber nur, wenn du mich für einen kurzen Moment vertreten kannst.“
 

„Klar, kein Problem.“ Sie ging um die Theke herum und nahm mir mein Buttermesser ab.
 

„Meine Retterin!“, stöhnte ich erleichtert und schnappte mir – ganz wichtig – meine Handtasche. „Bin gleich wieder da!“
 

Ich war so aufgeregt! Am liebsten hätte ich wieder die Türe neben uns genommen, um in die Schulküche zu kommen, aber das wäre mit Sicherheit aufgefallen. Also nahm ich den Weg aus dem Haupteingang ins Freie und schlüpfte mit Hilfe des Generalschlüssels schnell durch den Hintereingang zurück in das Gebäude.
 

Und zwei Türen weiter stand ich auch schon wieder in meinem persönlichen Schlaraffenland. Ich musste mich jetzt höllisch beeilen, um nicht einer der gestressten Krankenschwestern in die Arme zu laufen.
 

Zur Not hätte ich mir wohl eine gute Ausrede ausdenken können, als Freiwillige an der Brötchentheke hätte sich schon einen Grund gefunden, aber darauf wollte ich es lieber nicht ankommen lassen.
 

Ich wagte noch einen flüchtigen Blick in die Turnhalle, die Schwestern waren alle soweit beschäftigt, dann hechtete ich zu den riesigen Metallschränken mit den Spenden. Ich öffnete die Türe mit dem wärmsten Griff – die musste zuletzt benutzt worden sein - und jauchzte vor Glück. So mussten sich kleine Kinder fühlen, wenn sie heimlich den Schrank mit den Süßigkeiten plünderten.
 

Ein kurzes Schnuppern zur Orientierung und da war es: Melanies herrliches Weihnachtsapfellebkuchenplätzchenpunschblut mit Zimtgeschmack!
 

Ohne ein weiteres Zögern stibitzte ich den Beutel und steckte ihn flink in die Handtasche. Jetzt schnell die Tür zu und nichts wie raus hier!
 

Mit großen Schritten huschte ich zum Ausgang und ging dann beschwingt über meinen kleinen Umweg wieder zurück an meine Theke. Keiner hatte auch nur das Geringste bemerkt.
 

Vorsichtig stellte ich die Handtasche unter den Tisch. Dort sollte sie einigermaßen sicher sein. „Danke Mel, du hast was gut bei mir.“
 

„Das ging aber schnell“, wunderte sich mein kleiner Liebling und gab mir das Messer zurück. Achselzuckend nahm sie sich ein Käsebrot und begann, lässig an die Wand gelehnt, daran zu knabbern.
 

„Ich kann dich doch nicht ewig in Beschlag nehmen“, kicherte ich und freute mich schon auf meinen Feierabend. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lisa kurz eine Augenbraue hob, dann aber lächelnd weiter ihre Brötchen mit frischer Wurst belegte. „Du hast natürlich auch was gut bei mir, Lizz…“ stöhnte ich.
 

Plötzlich hörte ich eine vertraute Stimme aus der Menschenmenge und ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. „Guten Tag. Ich habe gehört, ihr könnt etwas Hilfe gebrauchen.“
 

GRANDPA? Oh, Gott, bitte alles, nur nicht das! Was wollte er denn hier?
 

„Dr. Cullen? Mit ihnen hätte ich nun wirklich nicht gerechnet“, antwortete eine der Krankenschwestern überrascht. „Sie kommen genau zum rechten Zeitpunkt. Wir sind völlig überlastet.“
 

Dann erhaschte ich einen kurzen Blick auf jemanden, den ich im Augenblick noch weniger hier sehen wollte. Jacob! Verdammt, das musste Alice Werk sein. So eine Gemeinheit!
 

„Wir sehen nur kurz nach Nessie“, sagte Grandpaps und ehe ich mir eine gute Erklärung für das hier einfallen lassen konnte, bahnten die Beiden sich auch schon ihren Weg durch die Schülermenge.
 

Sollte ich mich verdrücken? Eine schlechte Idee, denn das würde Zuhause sowieso schon einen Riesenärger geben. Was hatte ich mir nur eingebildet? Das hätte niemals funktionieren können! Ich seufzte, nahm allen Mut zusammen und tat auf Unschuldig.
 

„Hallo Nessie“, grüßten sie und liefen wie selbstverständlich zu uns hinter die Theke.
 

„Hey Jake, hey Paps”, das war eine vertretbare Abkürzung für Grandpa. „Was führt euch hier her?“
 

„Die Pflicht“, antwortete der Miesmacher mit dem weißen Kittel zweideutig, hob meine Handtasche vom Boden auf und legte sie auf die Ablage hinter uns. „Die wird doch ganz schmutzig, Nessie. Pass in Zukunft besser auf deine Sachen auf“, tadelte er und ich konnte wetten, dass die Tasche dabei ein wenig leichter geworden war.
 

Ich wagte einen flüchtigen Blick. Ja, sie war leichter geworden. Um fünfhundertdreiundzwanzig Milliliter. Um meine fünfhundertdreiundzwanzig Milliliter, verdammt! Ich kochte vor Wut.
 

Jake seufzte nur erleichtert und begrüßte meine Freundinnen mit einem breiten Grinsen. „Braucht ihr hier noch einen Chefkoch?“, fragte er. Dann bemerkte er den Apfel. „Wow, was ist denn das?“
 

Oh, nein, musste heute auch wirklich alles schief gehen?
 

„Nichts weiter“, zischte ich verärgert. „Nur dein Weihnachtsgeschenk.“
 

Lisa und Melanie witterten schon den kleinen Streit, sahen sich kurz an und begannen, das Schlachtfeld zu räumen. „Öh, wir gehen dann mal“, nuschelte Lisa, als sie Jake das Buttermesser gab. „Ich muss da noch etwas… vorbereiten und so. Bis dann!“
 

„Tschüss Nessie, bis dann, Jake…“ verabschiedete sich Melanie und nachdem auch Grandpa sich wortlos seinen ‚Pflichten’ zugewandt hatte, standen Jacob und ich alleine hinter der Theke.
 

Jake nahm den Apfel, sein Gesicht zu einer schuldbewussten Miene gezogen. „Er ist wunderschön.“ Er wusste, wie viel Wert ich auf den richtigen Zeitpunkt für Geschenke legte.
 

Aber ich war nicht zu besänftigen, nicht wegen dem Apfel, nein, weil er und alle Anderen mir das schönste Weihnachtsfest verdorben hatten, das ich mir hätte vorstellen können.
 

Ich entgegnete nur ein trockenes „Jaja, dir auch frohe Weihnachten“, und legte wieder Käsescheiben auf die bereits bestrichenen Brote.
 

Für einen Augenblick wollte er etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben und stellte sein Geschenk neben sich auf die Theke, bevor er das Aufschneiden und Bestreichen der Brote übernahm.
 

So standen wir da und arbeiteten, ohne ein Wort, ohne einen einzigen Blickkontakt. Ich spürte, wie enttäuscht er von mir war, wegen einer kleinen, nichtigen Schummellei, als hätte ich ein Kapitalverbrechen begangen. Was für Spießer sie alle waren, dachte ich mürrisch.
 

Zwischen uns herrschte eine solch gewaltige Spannung, es hätte mich nicht gewundert, wenn an diesem Nachmittag ein Blitz eingeschlagen wäre.
 

Sogar meine Schulkollegen bemerkten die dicke Luft und trauten sich teilweise noch nicht einmal, ihre wohl verdienten Brote abzuholen.
 

Nach etwa drei schier endlosen Stunden lichtete sich langsam der Ansturm, es kamen nur noch wenige Schüler und nur hier und da Eltern und andere, die von unserem Blutspendemarathon gehört hatten.
 

Der Lärmpegel senkte sich immer mehr und immer seltener kam jemand an unseren Tisch. Aber ich musste mich trotzdem höllisch zusammenreißen, um nicht auf der Stelle loszubrüllen.
 

„Warum?!“, platzte es aus mir heraus, als wir endlich relativ ungestört waren.
 

Jake seufzte gequält. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte er kopfschüttelnd. „Du kannst doch nicht einfach so Blut stehlen!“
 

„Und warum nicht?“, giftete ich ihn an.
 

Okay, genau genommen war es ja schon Diebstahl, aber das war doch wohl ein wenig übertrieben.
 

„Was denkst du, warum so viele gekommen sind?“, zischte ich. „Aus Nächstenliebe? Pah. Die ganzen Jungs waren da, weil ich sie ermutigt habe und die ganzen Mädchen waren da, weil die Jungs da waren. Ohne mich wäre heute gar nichts gelaufen! Da hab ich mir doch zumindest einen winzigen, kleinen Beutel verdient. Oder etwa nicht?“
 

Jake kniff die Augen zusammen, er litt, wenn ich nicht bekam was ich wollte. Und mir konnte das nur Recht sein – irgendwie – aber irgendwie auch wieder nicht. – Verflucht!
 

Ja, er wollte nur mein Bestes, aber konnte er nicht wenigstens ein einziges Mal ein Auge zudrücken? Ha, wie passend, dass er jetzt beide geschlossen hatte…
 

„Nessie.“ Er trat einen Schritt auf mich zu und versuchte mich in die Arme zu nehmen, aber ich wandte mich beleidigt von ihm ab.
 

„Vergiss es, hau ab!“
 

Ich ging in die Küche um schon mal etwas Putzzeug für meinen Tisch zu holen. Fluchend suchte ich einen Eimer, füllte ihn mit dampfendem, heißen Wasser, gab noch etwas Spülmittel dazu, ließ es aufschäumen und schnappte mir einen der Putzlappen von der Wand.
 

Als ich zurückkam war Jake verschwunden. An seiner Stelle stand Grandpa und er sah überhaupt nicht so aus, als wolle er mich besänftigen. Wollte er mir gleich hier und jetzt eine Standpauke geben? Wollte er Streit? – Den konnte er haben.
 

Ich stellte den Eimer ab und begann zornig den Tisch zu schrubben. „Sag schon, wie lange habe ich Jagdverbot? Einen Monat? Oder lieber gleich zwei?“
 

Paps seufzte. „Glaubst du, die hätten das nicht gemerkt?“, fragte er streng. „Sämtliche Spenden werden in einer Datenbank erfasst, Nessie.“
 

„Uhhh, ein Beutel…“ entgegnete ich.
 

„Und du greifst dir ausgerechnet eine seltene Blutgruppe. Glaub mir, das hätte jemand gemerkt.“
 

Ich war verwirrt. Eine seltene Blutgruppe? Dann hätte es also funktioniert, wenn ich einfach irgendeinen Beutel genommen hätte? Verflucht!
 

Wutentbrannt schleuderte ich den nassen Lappen auf Carlisle und zischte leise. „Alice klaut Milliarden an der Börse und ihr macht einen Aufstand wegen einem bescheuertem Beutel Blut?“
 

„Alice hat eine wahre Katastrophe vorausgesehen!“, knurrte er und fing das triefende Stück Stoff. „Glaub mir, du kannst dir das Ausmaß überhaupt nicht vorstellen!“
 

Eine Katastrophe? Ich bekam einen Kloß im Hals. Was hätte schon passieren können? Dann wurde es mir bewusst:
 

Ich war die einzige Schülerin mit Zugang zur Küche und eine Krankenschwester verdächtigte man zuletzt! Oh mein Gott – Eine Katastrophe!
 

Der Generalschlüssel in meiner Tasche, den man mir für heute anvertraut hatte, wog plötzlich Tonnen.
 

„Das wusste ich nicht…“, stammelte ich, als mir immer mehr Bilder durch den Kopf schossen. Ich hatte den Platz verlassen… Melanie und Lisa, konnten das bezeugen! „Das wollte ich doch nicht…“ – Eine Katastrophe!
 

Paps Miene entspannte sich ein wenig, schüttelte aber nur den Kopf und zeigte zum Haupteingang. „Bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen, junge Dame.“
 

„Oh nein, Jake!“
 

Überstürzt hastete ich zum Ausgang und stieß die Türe auf. Der Anblick, der sich mir dort bot, brach mir beinahe das Herz. Wie ein geprügelter Hund saß mein Ein und Alles auf einer Parkbank und hielt, mit Tränen in den Augen, den Apfel in der Hand.
 

Verfluchter Mist! Nicht schon wieder! Was mussten geprägte Wölfe auch so empfindlich sein?
 

Ich hatte doch nur… Es war doch normal, dass man ab und zu… Das kommt in einer Beziehung doch vor, wenn…
 

Zu spät, da war es wieder, das furchtbar schlechte Gewissen. Ich fühlte mich so herzlos, so dumm, so egoistisch!
 

Ach, verdammt!
 

Jacob schaute auf, wischte sich schnell die Augen trocken und ehe ich mich versah stand er vor mir. „Es tut mir so leid, aber versteh doch bitte… Komm, wir überreden Carlisle, dir etwas zu besor…“
 

Kopfschüttelnd legte ich einen Finger auf seine Lippen und zeigte ihm, wie leid es mir tat. Schon so oft hatte ich ihn absichtlich verletzt, obwohl ich genau wusste, wie sehr er es sich zu Herzen nahm und jedes Mal empfing er mich erneut mit offenen Armen.
 

Ich bin so ein Biest, dachte ich bedrückt.
 

Ich schlang die Arme um ihn und es tat so weh zu wissen, dass ich es einfach nicht verdient hatte. Wieder einmal...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Monsterseifenblase
2009-12-13T18:43:36+00:00 13.12.2009 19:43
„Alice klaut Milliarden an der Börse und ihr macht einen Aufstand wegen einem bescheuertem Beutel Blut?“

Sehr, wirklich sehr sehr geilxD
Hat mir gut gefallen(:


Zurück