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Perlentaucher Weihnachtsmärchen 2009

~ Jeden Tag ein OneShot über Twilight zum Fest der Sinne ~
von

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Ich schenk dir einen Stern

So langsam gehen wir dem Endspurt entgegen. Sind alle Plätzchen gebacken? Der Weihnachtbaum gekauft? Alle Geschenke besorgt? Und auch wirklich nichts vergessen?

Auf jeden Fall habt ihr nicht vergessen euer Weihnachtsmärchen abzuholen – das ist brav :D
 


 

Autor: Romy-chen
 

AN: Ich habe ein bisschen in der Geschichte herum gepfuscht: Auch wenn Jane im Buch eigentlich braunhaarig ist, ist sie hier genauso blond wie die Jane im Film. Ihr äußeres Alter stelle ich mir bei etwa zehn vor, und als ihren Herkunftsort habe ich nicht London sondern Irland angegeben. Aber ansonsten ist alles IC ;)
 

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Die Witterung des anderen Vampirs war überdeutlich, leitete Jane durch die Gassen der ärmeren Viertel Volterras und führte sie zu ihm, dem Gesetzesbrecher.

Sie lief auf einen Wohnblock zu, der Geruch des Vampirs wurde von dem süßlichen Duft menschlichen Bluts überdeckt, doch war er immer noch gut wahrzunehmen, für jemand geübtes wie Jane.
 

Sie hastete durch eine angelehnte Tür in ein Wohnhaus, der Flur war trist und kahl. Der flüchtige Vampir war die Treppe hochgelaufen, sein Geruch kristallisierte sich klar aus dem von Staub und Bohnerwachs hervor.

Mit riesigen Sätzen sprang Jane die Treppe hinauf, konzentrierte sich ganz und gar auf ihre Nase und bereitete einen mentalen Angriff mit ihrer Gabe vor.
 

Der fremde Vampir besaß vielleicht selbst eine gefährliche Gabe, sie durfte sich nicht überraschen lassen. Sie musste beweisen, dass sie allein mit Gesetzesbrechern fertig werden konnte, auch wenn sie ihnen körperlich unterlegen war. Sonst würde Aro sie niemals allein auf Patrouille schicken, niemals, immer hätte sie Alec an ihrer Seite.

Jane kam vor einer alten Holztür zum Stehen.
 

Hinter der Tür endete die Fährte des Vampirs.

Er war da drin.

Jane bleckte die Zähne und trat gegen die Tür. Sie flog nicht aus den Angeln, aber es fehlte nicht mehr viel dazu. Sie krachte gegen die Wand und Putz fiel von den Wänden.
 

„Du hast die Gesetze der Volturi gebrochen, Fremder, nun wirst du die Konsequenzen tragen müssen.“

Sie knurrte und stand in der Tür wie ein Todesbote, in ihrem langen schwarzen Mantel, mit weißer Haut und den stechend roten Augen, die alle Menschlichkeit aus ihrem Gesicht vertrieb.
 

„Bitte, was meinst du?“

Das fragte eine dicke Frau, die zusammen mit einem kleinen Jungen und einem weißhaarigen Greis an einem Tisch saß und Lebkuchen aß.

Sie hatte eine beruhigende, freundliche Stimme, in der ein weicher Singsang lag.

Jane schnüffelte verwirrt in der Luft. Der Geruch des Vampirs war verschwunden, stattdessen schlug ihr der verführerische Duft von Menschenblut entgegen, dazu Kerzenwachs und Kuchen.

Ein Adventskranz und diverser Schmuck verbreitete Weihnachtsstimmung, einige Kerzen brannten heimelig.
 

„Wo ist der Vampir?“, verlangte Jane zu wissen und trat drohend einige Schritte in die schäbige Wohnung hinein. Sie schloss die Tür hinter sich, obwohl die Menschen ohnehin keine Chance hatten, ihr zu entfliehen.

„Vampir?“, wiederholte die dicke Frau verwundert, aber kein bisschen eingeschüchtert. „Wovon redest du, Liebes?“

„Ihr wisst genau, wovon ich rede!“, rief Jane. „Ihr versteckt den Gesetzesbrecher, ihr wollt ihn beschützen! Doch das wird euch nicht gelingen, denn bevor mir der Fremde entflieht werde ich euch alle töten, einzeln und langsam, damit die anderen Zeit zum Überlegen haben, wo sie den Vampir verstecken!“
 

Die dicke Frau lächelte Jane beruhigend an. Sie hatte tiefe, braune Augen, braune Locken und trug einen Wollpullover, dazu eine mit Mehl befleckte Schürze; sie sah aus wie das Sinnbild gutmütiger Mütterlichkeit.

„Meine Liebe, du redest wirr“, sagte sie in einem sanften Tonfall, den man normalerweise für verschreckte Kaninchenbabys gebrauchte, zu der wütenden Vampirin. „Du bist bestimmt einsam und allein, hast Hunger und Durst. Mein Mädchen, setz dich doch zu uns, wir haben genug Tee und Lebkuchen; habe Teil an unserem Mahl.“
 

Sie blickte Jane furchtlos in die blutroten Augen und es ging eine solche Liebe und Güte von ihr aus, dass sie schon fast greifbar war. Jane wurde es seltsam warm ums Herz. Sie musste schlucken, eine lästige menschliche Angewohnheit, die sie sich, zu ihrer Unzufriedenheit, noch nicht hatte abgewöhnen können.

Der kleine Junge, der neben der dicken Frau saß, hielt einen Lebkuchen in die Höhe, der wie eine Tanne geformt war und kleine Zapfen aus Zuckerguss besaß.
 

„Hier, für dich“, sagte er mit einer hohen, unschuldigen Kinderstimme, die Jane unwillkürlich an Alec als Fünfjährigen erinnerte. Er hatte ein offenes, süßes Gesicht und mit seinen verstrubbelten Haaren und der Stupsnase wirkte er zerbrechlich und unschuldig. Sollte sie die Menschen wirklich foltern müssen, so überlegte Jane, würde sie sich den Jungen als erstes vornehmen, sicherlich würden die Erwachsenen darauf reagieren …

Der Kleine drückte ihr den krümeligen Lebkuchen in die Hand.
 

Jane sah zu ihm herunter und überdachte ihre Überlegung mit der Reihenfolge noch einmal. Wenn sie zuerst dem Kind etwas antat, war sie nicht besser als die Dörfler damals, die Jane und Alec für Hexen gehalten und sie auf den Scheiterhaufen gestellt hatten anstatt die wahren Schuldigen.

Sie sollte sich besser zusammenreißen.
 

„Habt ihr nicht gehört, was ich sagte?!“, rief Jane, fast verzweifelt. „Ich werde euch töten, wenn ihr mir nicht sagt, wo der Vampir ist!“

„Es gibt keine Vampire, Mädchen“, belehrte sie die dicke Frau. „Das sind alles nur schlimme Horrorgeschichten, mit denen man unartigen Kindern Angst macht. Genauso wie Werwölfe oder Zombies oder böse Hexenmeister. Die gibt es nicht, Kleine, habe keine Angst.“

„Ich habe keine Angst!“, fauchte Jane.
 

„Angst ist etwas völlig normales. Jeder hat Angst, das ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Auch du hast Angst, Kind, aber du musst es nicht verbergen. Nur wer sich seiner Angst niemals stellt, ist feige. Eine Person wird nicht daran gemessen, wie oft sie fällt sondern wie oft sie wieder aufsteht“, erklärte der Greis mit einer ruhigen, vom Alter geprägten Stimme, die Jane einen Schauer über den Rücken jagte. Auch wenn sie jeden Tag mit Personen zu tun hatte, die länger gelebt hatten als dieser Greis, hatte sie schon lange keine so alte Stimme gehört, die Weisheit, Behutsamkeit und Erfahrung implizierte.
 

„Ich habe keine Angst! Ich habe niemals Angst! Ich bin niemals feige!“, spie Jane dem Alten entgegen, der so viel jünger war als sie selbst und dennoch weiser wirkte. Sie verhielt sich wie ein trotziges Kind, wie das zehnjährige Mädchen, dem sie äußerlich glich.

„Du lügst!“, rief der kleine Junge empört. „Nur böse Leute lügen, hat Mama gesagt!“
 

„Auch du fürchtest dich vor etwas, Mädchen. Sag uns, was es ist, es wird dir danach besser gehen.“, lächelte die Mutter. „Sind es Spinnen, Schlangen oder Insekten?“

Der Greis fixierte Jane und sah sie mit kristallklaren, blauen Augen an, die bis in ihre Seele zu blicken schienen.
 

„Fürchtest du uns, Kind?“, fragte er ernst.

„Nein!“, erwiderte Jane entrüstet, vielleicht ein wenig zu schnell. Wieso sollte sie diese drei schwächlichen Menschen fürchten? Sie konnten ihr nichts tun. Sie waren nur Menschen. Sterbliche, sie alterten, lebten und starben. Nicht mehr als Menschen.

Glückliche Menschen, die eine Familie bildeten und zusammen in der Vorweihnachtszeit Lebkuchen aßen und Tee tranken. Die trotz der ärmlichen Wohnung und dem wenigen Geld, das sie offenbar besaßen, freundlich und freigiebig waren. Die sogar einem seltsamen Kind, das plötzlich in ihrer Tür stand, etwas zu Essen und zu Trinken anboten.
 

„Wenn das so ist – dann setz dich zu uns, Kind und nenne uns deinen Namen“, forderte der Alte sie auf und klopfte in einer freundlichen Geste auf den leeren Stuhl neben sich.

„Was würde euch das bringen?“, fragte Jane, trat unsicher einen Schritt näher. Den Gesetzesbrecher hatte sie vollkommen vergessen; die seltsame Familie beschäftigte Jane viel zu sehr.

„Gar nichts“, antwortete die Mutter und lächelte warmherzig. „Aber wir erkennen eine gepeinigte und einsame Seele, wenn wir sie vor uns sehen. Wir lieben unseren Nächsten, also lieben wir auch dich.“
 

„Wahrscheinlich seid ihr auch noch religiös“, murmelte Jane, aber anscheinend nicht leise genug, denn der kleine Junge nickte eifrig.

„Wir gehen jeden Sonntag und Samstag in die Kirche!“, rief er stolz. „Der Pfarrer kennt uns schon und wenn ich groß bin, werde ich auch mal Pfarrer, dann darf ich ganz viele Hosen essen!“

„Er meint Hostien“, fügte seine Mutter erklärend hinzu.

„Oder ich werde Taucher!“, verkündete der Junge. „Dann finde ich ganz viele Perlen und kaufe Mama neue Kleider und Opa ein besseres Schnitzmesser.“
 

Der Großvater lächelte dem Junge zu, der wohl sein Enkel war. Dann wandte er sich wieder Jane zu und betrachtete sie aus diesen durchleuchtenden Augen.

„Setz dich zu uns, bitte, sei so gut. Wir haben Kekse, Kuchen und warmen Tee. Wenn du Hunger hast, können wir dir kaltes Fleisch vom letzten Sonntag anbieten und wenn du magst, holen wir dir Orangen oder Mandarinen“, meinte die Mutter freundlich und deutete auf den leeren Stuhl.

Aus einem seltsamen Impuls heraus, den Jane selbst nicht ganz nachvollziehen konnte, setzte sie sich auf den Stuhl, rechts neben ihr nun der kleine Junge, links neben ihr der Greis und vor ihr die Mutter.

Dass sie eigentlich den flüchtenden Vampir suchen sollte, störte sie momentan nur wenig. Das hier war beinahe so wie damals, als Alec und sie noch Menschen gewesen waren. Zwar konnte sie sich kaum noch erinnern, aber das Gefühl, dass in ihr aufstieg, das war ähnlich.

Es war verwirrend.
 

„Es wäre unhöflich, wenn du uns nicht sagst, wie du heißt“, erklärte die Mutter und sah sie abwartend an.

Auch der Greis und der Junge starrten sie an. Jane erwiderte all ihre Blicke, riss die Augen auf, sodass das Rot ihrer Pupillen noch deutlicher hervortrat als sonst. Mit dem weichen Kerzenlicht, so nahm sie an, musste es beinahe so wirken, als würden hinter ihren Augen Flammen lodern, die jeden Moment auszubrechen drohten.

Eigentlich war es ein sehr unheimliches Bild, ein süßes zehnjähriges Mädchen mit brennend roten Augen am Tisch sitzen zu haben, aber die Familie achtete nicht darauf, bemerkte es nicht oder scherte sich gar nicht darum.
 

Verwirrt blieb Jane sitzen und fragte sich im Stillen, wo sie wohl gelandet war. Was war hier nur los – waren die Menschen zu höflich, um ihre Angst zu zeigen? Jane hatte schon einmal einen solchen Vampir getroffen; einen Engländer, der zu höflich gewesen war, um die Schmerzen zu zeigen, die er empfand. Es war eine schreckliche Erfahrung für Jane gewesen und sie war von ebenjener Höflichkeit geradezu entsetzt gewesen.
 

„Wie heißt du, Kleines?“, fragte der Großvater mit seiner rauen Stimme. „Oder hast du keinen Namen?“

„Ich habe einen Namen“, entgegnete Jane.

Sie schwiegen, die Familie wartete auf eine weitere, bessere Antwort. Jane sah in die Kerzenflammen, roch den Lebkuchen und den Zimt, der als feine Duftnote über allem schwebte.
 

An den Wänden hing Weihnachtsschmuck. Nicht viel, denn die Familie war arm – es schien kein Geld für einen neuen Anstrich zu geben. Über den schlimmsten Rissen des Putzes hatten sie notdürftig Weihnachtsmänner und ungeschickt ausgeschnittene Sterne gehängt. Wahrscheinlich hatten Mutter und Sohn sie gemeinsam gebastelt, vermutete Jane.

Ihr Blick wanderte langsam durch den Raum zu der Familie zurück. Die drei sahen ihren Gast immer noch an, nur der kleine Junge spielte mit seinem Löffel und einem Keks.
 

„Ich heiße Jane“, flüsterte sie, gerade so laut, dass es die Menschen noch hören konnten. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht lauter sprechen konnte, doch ihre Stimme schien zu versagen – die ganze Situation, in der sie sich befand, war so irreal und abwegig! In ihrem ganzen Leben hatte Jane noch nie so gütige, freundliche Leute getroffen, weder Vampire noch Menschen. Und sie beherbergten Jane mit den roten Augen und achteten gar nicht darauf. Aus Freundlichkeit, aus Angst, aus Höflichkeit? Sie wusste es nicht, aber sie fand es … angenehm. Und das überraschte sie.
 

Es war gut, mal wieder mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Auch wenn die letzten Menschen, die Jane näher gekannt hatte, sie und ihren Bruder bei der Inquisition gemeldet und ihnen den Foltertod eingebracht hatten.

„Kommst du aus England?“, brach die Mutter das Schweigen. „Lebt dort deine Familie?“

„Meine Familie lebt in Volterra“, antwortete Jane und dachte an Alec.

Der Großvater knabberte nachdenklich an einem Stück Lebkuchen.
 

„Jane ist aber ein sehr ungewöhnlicher Name für eine Italienerin. Und du bist blond, das sieht man hier nicht sehr häufig“, bemerkte er wie nebensächlich und schenkte Jane eine Tasse Weihnachtstee ein. Der Tee roch ebenfalls nach Zimt und es mischte sich noch Vanille hinzu – es roch so gut, dass Jane es beinahe bedauerte, ihn nicht trinken zu können.

„Ursprünglich stamme ich aus Irland. Ich bin aber schon vor sehr langer Zeit hierher nach Volterra gekommen.“
 

„Ich dachte, alle Iren haben rote Haare.“, warf die Mutter verwirrt ein, doch schon nach einem kurzen Augenblick lächelte sie wieder und legte vor Jane ein Stückchen Lebkuchen. „Iss ruhig, mein Mädchen. Es wird dir guttun“, munterte sie ihren Gast auf.

Jane sah auf den Lebkuchen vor sich hinab und nahm ihn zwischen die Finger. Er war bröselig und ließ sich ganz leicht zwischen den Fingern zerreiben. Der Lebkuchen fühlte sich an wie die Erde, die er in ihrem Mund sein würde.

„Nicht alle Iren haben rote Haare.“, erklärte Jane. Schon seit langem hatte sie dieses Vorurteil nicht mehr gehört, so dass sie beinah vergessen hatte, dass es überhaupt existierte.
 

„Macht sich deine Familie nicht Sorgen um dich, Jane?“, fragte der Greis und blickte hinauf zu der Uhr, die an der tapetenlosen Wand hing. Sie zeigte halb Neun Uhr abends. „Es ist immerhin schon dunkel und da draußen treiben sich schlimme Leute herum.“

Am liebsten hätte Jane geantwortet, dass sie sich nicht vor den schlimmen Leuten fürchten musste, weil sie selbst die Schlimmste war. Doch das sagte sie nicht – sie schwieg. Sie schwieg normalerweise nur dann, wenn Aro es anordnete und ließ selten eine Gelegenheit aus, andere zu bedrohen und sie einzuschüchtern.
 

Allerdings bestand ihr ganzer Umgang aus Vampiren. Unter Vampiren musste sie sich beweisen, um ihren hohen Rang auch weiterhin einnehmen zu können.

Und das hier waren Menschen. In der Menschenwelt galten ganz andere Gesetze.
 

„Es ist schon duster. Du hast sicherlich Angst, alleine in den Straßen“, sagte die Mutter einfühlsam. „Ich verstehe, dass du hier ins Haus gekommen bist. Sicherlich bist du gerade einem bösen Menschen entronnen und stehst unter Schock. Und wir sind so unsensibel und belästigen dich mit unseren Fragen. Es tut mir Leid, mein Mädchen.“

„Keine Angst“, entgegnete Jane und fragte sich, wann sie wohl das letzte Mal eine Person beruhigt hatte. „Mir ist nichts Schlimmes geschehen.“

„Nacht gefährlich!“, rief der kleine Junge und stopfte sich den Keks, mit dem er gespielt hatte, in den Mund.
 

„Mein Sohn hat Recht, Jane. Du solltest nach Hause eilen, bevor sich deine Eltern Sorgen um dich machen. Wenn du schnell rennst, wird dir nichts geschehen, halt nicht an, bis du vor deiner Haustür angekommen bist, hast du verstanden?“

Jane nickte. Beinahe hätte sie unter diesen Anweisungen lachen müssen. Sie war gefährlicher als all das zwielichtige, menschliche Gesindel da draußen.
 

„Es war schön, dich hier zu haben, Kind“, sagte ihr der Greis. „Wenn du magst, kannst du ja einmal wiederkommen und uns besuchen. Wir haben immer ein offenes Ohr, wenn du es brauchst und meine Tochter hat sich schon immer ein kleines Mädchen gewünscht, das sie verwöhnen könnte.“

„Du wirst uns immer willkommen sein“, bestätigte die Mutter. „Auch wenn es dir jetzt so erscheinen mag, als ob wir dich hinauswerfen würden – das ist nicht so. Wir möchten ganz einfach nicht, dass sich deine Eltern Sorgen machen müssen.“
 

Jane stand auf und verabschiedete sich von dem Greis und der Mutter. Sie hatte nicht vor, noch länger hier zu bleiben. Es war nicht gut für Vampire, sich mit Menschen abzugeben. Dass die beiden Erwachsenen ihren Besuch eigenhändig beendeten, kam Jane entgegen; so musste sie sich nicht eine plausible Erklärung einfallen lassen – sie hatte schon lange nicht mehr wie ein menschliches Mädchen gedacht. Als der kleine Junge vertrauensvoll seine Hand in die ihre legte und sie zur Tür brachte, sagte sich Jane, dass dieser kleine Zwischenfall nicht wiederholt werden würde. Es war vielleicht ab und zu ganz nett, in das alte Leben hinein zu schnuppern, aber mehr als einmal würde das hier nicht geschehen.
 

„Wenn du das nächste Mal kommst, bringst du mir dann was mit?“, fragte er und seine Kinderaugen leuchteten. „Einen Keks? Für Weihnachten. Ich bastele dann auch was für dich, im Kindergarten machen wir Sterne. Wenn du das nächste Mal kommst, kann ich dir einen Stern schenken.“

Er schwieg erwartungsvoll, doch als Jane nichts sagte, fuhr er fort:

„Den mache ich dann extra für dich.“
 

„Ich bring dir das nächste Mal auch etwas mit“, antwortete Jane, obwohl sie wusste, dass es kein nächstes Mal geben würde. Sie war nicht sentimental und lief nicht umher und verschwendete ihre Zeit mit kurzlebigen Sterblichen.

Sie winkte der Familie noch einmal zu, schloss die Tür hinter sich und huschte über die dunklen Dächer Volterras heim in den Palast der Volturi, wo sie mit Alec Aro und Caius Ehefrauen in den Wahnsinn trieb – es war so eine Art Wettbewerb unter den Zwillingen: wer konnte Sulpicia und Athenodora als erstes dazu bringen, das Schloss zusammenzuschreien?
 

*
 

Als die Wache der Volturi gegangen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, veränderte sich das Zimmer gravierend. Jeglicher Wandschmuck und ein Großteil der schäbigen Möbel verblassten und verschwanden im Nichts.

Da, wo bis vor wenigen Sekunden ein verblichener Eckschrank gestanden hatte, kam jetzt ein Mann zum Vorschein, der auf eine atemberaubend verwegene Weise schön war. Seine Augen funkelten in einem schelmischen Rot und in einem einzigen Satz sprang er zu dem Tisch herüber, an dem die Familie saß.
 

Sohn, Mutter und Großvater nahmen nicht wirklich von ihm Notiz – er wollte es auch nicht anders. Der Mann blickte sich im Zimmer um, ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Noch mehr Einrichtung verschwand, bis auf den Tisch, die drei Stühle und die Familie nichts mehr übrig war. Darüber wunderten sich die drei Menschen auch nicht.
 

„Sie fallen immer wieder darauf hinein“, sagte der Mann mit den roten Augen zu niemand bestimmten. „Sie trauen ihren Sinnen viel zu sehr. Sie fragen sich vielleicht, wieso die Situation etwas seltsam ist, aber auf die Idee, dass alles eine Illusion ist – darauf kommen sie nie.“

Er blickte den Greis an, der ihm wie mechanisch sein Gesicht zuwandte.
 

„Und darauf kommt es doch auch an, oder? Die Illusion der Realität“, sagte er zu dem Alten.

„Das ist die Kunst des Showbusiness“, entgegnete der Greis.

Der Mann mit den roten Augen wusste, dass es eigentlich Selbstgespräche waren, die er da mit seinen Illusionen führte, doch er war zu sehr Schauspieler und Illusionist, um es nicht zu tun.
 

„Jetzt bin ich also den Volturi entronnen, dem gefürchteten Königsklan. Und einem dieser seltsamen ‚Hexenzwillinge‘ obendrein“, murmelte er, nicht unzufrieden mit sich selbst.

Er schwieg kurz, dann sah er zu der starren Familie.

„Ich würde gerne wissen, was für eine Geschichte hinter ihr steckt“, ließ der Mann die Mutter sagen.

„Eine interessante, denke ich.“

Der Mann mit den roten Augen zog seine Finger durch die Luft und es perlten bunte Lichter in allen Farben auf den Boden, breiteten sich aus und verschlangen alle restlichen Illusionen.

Als er das Zimmer verließ, war es leer; es befand sich dort drinnen nichts außer dem Putz, der von der Wand gebröckelt war.



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