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Ein ganz normaler Tag

von

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Ist das nicht ein seltsamer Tag? Da steht man ganz normal auf, dehnt und streckt sich ein bisschen, will noch etwas schlafen, darf aber nicht. Der übliche Streß. Jeden Tag die selbe Tour. Ich habe vergessen, meinen Rucksack zu packen. Naja, egal. Ich hoffe einfach mal, das meine Banknachbarn ihre Bücher mit haben. Naja, jetzt muss ich aber los.
 

Meine Güte, warum müssen wir nur so weit oben wohnen. Ein Haufen Treppen jeden Morgen, dafür ist es deutlich zu früh!
 

Hab ich eigentlich mein Frühstück eingepackt?
 

Da. Das Schulgebäude. Heute ist ein besonderer Tag, heute gibt es Zeugnisse. Ich bin nicht sonderlich scharf drauf, zu erfahren, was ich als Note bekomme. Dieses Jahr habe ich einen totalen Hänger gehabt und mir fast alle Fächer versaut.
 

Ziemlich früh bin ich da, wie immer. Kaum jemand hier.
 

Ich rieche Kaffee. Ein paar Leute müssen hier schon irgendwo rumgeistern.
 

Nach ein paar Minuten kommen sie ja doch alle. Mit Bus und Bahn. Die meisten meiner Klassenstufe wohnen relativ weit draußen. Da hab ich mit meinen zehn Minuten Schulweg ja noch richtig Glück. Nach und nach gehen die Leute an mir vorbei. Die Räume sind noch verschlossen. Alles sammelt sich auf den Gängen.
 

Gesicht um Gesicht mustere und erkenne ich. Ich kenne sie alle. Alles falsches Pack. „Wenn man so gut ist, hat man nun einmal Neider auf seiner Seite!“. Damit versuchte meine Mutter mich früher immer zu trösten, wenn ich heim kam und ihr erzählte, ich sei auf der Treppe ausgerutscht. Wisst ihr, wie die Sprüche dieses Jahr lauten? „Du schaffst das schon wieder hoch! Du musst dich nur genug anstrengen!“. Wie sich doch die Zeiten wandeln. Da! Den kenn ich besonders gut. Der Bastard hat einen Schlagring. Gott, der tut vielleicht höllisch weh! Der Typ an seiner Seite, den kenn ich auch. Irgend so ein Drecksack. Mit Schlägereien hat der zum Glück nicht viel am Hut. Aber er schafft es trotzdem irgendwie immer, einen runter zu reißen. Irgendwelche Kommentare, Blicke, Reaktionen. Der Typ ist fast noch schlimmer als dieser hirnlose Schrank neben ihm.
 

Dick und Doof. Bei dem Gedanken muss ich lachen.
 

Wow, kaum das ich lache, bemerken mich die anderen. So leicht ging das ja noch nie. Sonst muss ich immer erst aufdringlich werden, damit mich die Leute überhaupt registrieren. Wie ein Geist. Man steht direkt vor ihm, und sieht doch durch ihn hindurch. Da, das Mädchen! Bei ihr war es wohl genauso. Nein. Nicht ganz. Sie hat durch den Geist nicht hindurch gesehen. Sie hat ihn ausgelacht. Naja. Was hatte ich auch erwartet. Sie ist immerhin mit Dick zusammen. Doof hingegen bekommt auch keine ab. Vielleicht schlägt er deshalb so leidenschaftlich zu.
 

Heute ist ein besonderer Tag. Da bin ich mal was Besonderes.
 

Eine Lehrerin kommt und schließt uns die Räume auf. Von meiner Klasse sind inzwischen einige da, aber sie sammeln sich in Gruppen weit weg von mir. Unterschiede gibt es eben doch. Für die einen bin ich der Geist, der nicht auffällt. Andere meiden mich gleich gänzlich. Schade eigentlich.
 

Dritte Stunde. Der Lehrer versucht irgendwas zu erklären. Irgendwie gelingt es mir einfach nicht, zuzuhören. Meine Hand wandert immer wieder in meinen Rucksack. Da muss doch irgendwo mein Frühstück sein! Verdammt noch mal, ich hab Hunger!
 

Meine Hand erfasst etwas. Kein Buch, kein Hefter. Hart und lang.
 

Verflucht!
 

Ich blute. Der Lehrer verstummt sofort. Was ich in der Tasche habe, fragt er. Meine Güte, wenn ich das wüsste, hätte ich nicht so überrascht drein gesehen, als ich mich geschnitten habe! Nein! Jetzt will er auch noch meine Tasche durchwühlen! Das darf doch nicht wahr sein!
 

Ich greife erneut in meinen Rucksack und ziehe das lange Etwas hervor. Mein Lehrer erschreckt sich fürchterlich. Sein Gesichtsausdruck gefällt mir irgendwie. Er sieht so ehrfürchtig aus. Naja, es ist schon klar, das er keine Ehrfurcht vor MIR hat, aber vor dem Ding.
 

Irgend eines der Mädel beginnt zu kreischen. Diese Tonlage, das ist ja furchtbar! Sowas kann sich doch kein gesunder Mensch anhören!
 

So. Jetzt ist sie still. Haben wir schon Pause? Alle rennen sie aus dem Raum raus. Komisch.
 

Ah ja. Schau an. Der Einzige, der in den Raum rein kommt, ist Dick. Mist. Die Kreischsäge war ja seine Freundin. Hm. Dick ruft natürlich gleich mal Doof. War ja klar, der kann ja nie was allein machen.
 

Doof ist ganz schön sauer. Glaub ich jedenfalls, denn sein Gesicht sieht so verzerrt aus, als er zu Boden geht. Ha! Das erste Mal, das ICH die Führung in einer Prügelei hab! Dick rennt irgendwie ziemlich panisch davon. Naja, wie gesagt, mit Gewalt hat er es nicht so.
 

Als ich den Gang entlang gehe, fällt mir auf, das ich so ein Klicken höre. Immer und immer wieder, wenn ich an so eine Tür von den anderen Räumen heran gehe. Und dann ist die Tür abgeschlossen. Die sollte doch eigentlich offen sein. Oder die machen alle die Pause durch, um früher Schluß machen zu können. Genau. Toll. Warum können wir nicht mal früher Schluß machen.
 

Da! Der Raum ist offen. Langsam gehe ich hinein. Ist doch nicht zu fassen! Fängt da schon wieder eine an zu kreischen! Sind die Mädels denn alle so veranlagt, oder machen die das zum Spaß?
 

Kaum zu glauben, aber sogar ein Kerl hat geschrien wie am Spieß. Naja. Jedenfalls ist jetzt Ruhe. Kann doch nicht wahr sein. Die schreien mir ja noch den Gehörgang raus! Schlimm genug, das die Lehrer wollen, das wir trotz des Straßenverkehrs und offenen Fensters lernen! Ich glaube, ich gehe mal lieber ins Sekretariat. Ich hab mich irgendwie eingesaut, und mir ist schlecht. Vielleicht darf ich ja früher nach Hause.
 

Seltsam. Selbst im Sekretariat sehen die mich völlig panisch an. Gab es irgendwie ne Bombendrohung, oder was? Ah, da ist ja mein Physiklehrer! Das war ein Arschloch! Hat mir ständig Fünfen rein gedrückt, obwohl ich eine Zwei geschrieben hatte! Drecksack. Und die Frau! Meine Kunstlehrerin! Von wegen Kunst ist Ansichtssache. Der Satz galt nur unter dem Zusatz, das es immer IHRE Ansicht war. Naja, im Sekretariat können die mir auch nicht helfen. Vielleicht in den anderen Räumen.
 

Es klingelt. Hm. Hat der Unterricht wieder begonnen? Oder ist jetzt erst Pause? Vielleicht sollte ich zu meiner Klasse zurück. Naja, was solls.
 

Den Typ da vorne kenne ich doch, oder? Ja. Ich glaube, den sein Vater hat meine Mutter rausgeschmissen. Einfach so grundlos gekündigt! Elender Sack. Ich stell ihn mal zur Rede.
 

Ja, das war klar! Jetzt einfach wegrennen! Is nich!
 

Reden will er aber auch nicht. Der zuckt nur so komisch. Was solls. Lasse ich ihn eben gehen.
 

Auf dem Schulhof ist ein riesiger Lärm. Was ist da nur los, machen die eine Party? Ohne mich? Naja, wäre ja nicht das erste Mal. Ich sehe lieber mal nach.
 

Am Ausgang finde ich doch tatsächlich noch einen Lehrer! Meine Mathematiklehrerin. Eine ganz liebe Frau. Sie hat wenigstens offene Ohren für jeden. Sie lobte immer meinen Einsatz und Eifer bei der Arbeit. Warum sieht sie mich nur so verstört an?
 

Sie versucht verzweifelt, die Tür auf zu bekommen. Ich helfe ihr dabei.
 

Sie stürmt raus. Typisch. Wieder geirrt. Ich dachte, sie sei ein guter Mensch, aber ich bekomme ja nicht einmal ein „Dankeschön“. Immer das Gleiche.
 

Draußen stehen Polizeiwagen und versperren den Ausgang des Schulhofes. Hinter den Wagen steht mein Chemielehrer. Ha! Haben sie ihn doch endlich hochgenommen! Der klaut ja in unseren Chemie – Schränken mehr als ein Elster im Schmuckladen!
 

Die Polizisten schreien. Das Bild ist herrlich, alle schreien irgendwas und dieser blöde Kerl sieht mich so mitleidig an. Das ICH ihm helfe, kann er aber voll vergessen!
 

Da steht ja meine Mutter! Nanu, was macht sie denn hier? Sie schreit auch irgendwas. Ich kann sie nicht verstehen, die Polizisten schreien immer dazwischen. Mensch, Leute, haltet doch mal die Klappe, ich kann meine Mutter nicht verstehen!
 

Ah, jetzt weiß ichs! Ich hab mein Frühstück vergessen! Verflixt. Was habe ich dann eingepackt? Ich habe doch etwas eingepackt. Was zur Hölle war das?
 

Die Polizisten schreien immer lauter. Meine Güte, HALTET DOCH MAL DIE KLAPPE!
 

Das immer alle so schreien müssen! Die Mädels waren auch so übel veranlagt!
 

Was habe ich da nur heute morgen eingesteckt? Meinen Schlüssel?
 

Nein, meine Hosentasche ist leer.
 

Einen Regenschirm?
 

Nein.
 

Die schreien ja immer noch! Jetzt reicht es aber langsam! Die können doch nicht die ganze Zeit rumbrüllen! Hier versuchen Leute zu lernen, und ich versuche gerade zu denken!
 

Die hören einfach nicht auf zu schreien! Dann muss ich denen eben mal sagen, das sie ruhig sein sollen!
 

Ich gehe auf sie zu. Seltsam. Die springen alle hinter ihre Autos.
 

Aber sie hören immer noch nicht auf, zu schreien. Ist ja nervtötend!
 

Sie brüllen immer lauter. Meine Güte, haltet doch einfach mal die Klappe!
 

Ah! Da steht ja meine Mutter! Nanu, was macht sie denn hier? Und wo kommen die ganzen Polizisten her? Ach, mein Chemielehrer! Haben sie ihn doch festgenommen!
 

Wo kommt denn meine Mutter plötzlich her?
 

Was habe ich da heute früh eigentlich eingepackt?
 

Wo sind die Polizisten denn plötzlich hin?
 

Ich glaube, ich bekomme Hunger.
 

Sieh an, meine Mutter ist ja auch hier! Ich glaube, ich begrüße sie erstmal!
 

Ich renne auf sie zu. Meine Euphorie ist grenzenlos. Noch nie hat sie sich die Mühe gemacht, und mich von der Schule abgeholt.
 

Plötzlich erschallt die Schulklingel. Ich werde völlig aus meinen Gedanken gerissen.
 

Wo kommen denn die ganzen Polizisten plötzlich her?
 

Und warum schreien die so laut?
 

Sie schreien!
 

Das ist zu laut!
 

Viel zu laut!
 

Ich nehme einen Stein und werfe ihn nach diesen Schreihälsen. Das stört sie wenig.
 

Ich werfe nochmals nach ihnen.
 

Plötzlich ein lauter Knall.
 

Ein stechender Schmerz in meiner Brust.
 

Alle rennen auf mich zu. Wieso darf meine Mutter einfach so mit rennen? Was für ein Sauhaufen, hier wird nicht mal mehr ein Tatort abgesperrt! VERBRECHER! Ihr elenden Drecksäcke, wisst ihr nicht, wie weh sowas tut?
 

Verflixt. Ich habe immer noch Hunger. Frühstück. Hunger. Schule.
 

Ah! Jetzt weiß ich es!
 

Die Farben weichen aus der Welt.
 

Meine Mutter hält mich im Arm. Warum ist sie so warm? Oder bin ich so kalt?
 

Das Licht weicht aus der Welt.
 

Jetzt weiß ich, was ich heute morgen eingepackt habe! Das lange Küchenmesser! Verdammt, wieso habe ich ein Messer eingepackt?
 

Dunkelheit. Stille. Kälte. Nichts.



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