Zum Inhalt der Seite

Der Bodyguard

oder Vincent der Nicht-Vampirjäger
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vincent der Nicht-Vampirjäger

Der Bodyguard oder Vincent der Nicht-Vampirjäger
 

Vincent Ethan Collins – benannt nach seinem Ururgrossvater - hielt sich für einen mittelmässigen Menschen. In der Schule hatte er durch seine Geschichts- und Geographienoten zwar geglänzt, dafür hatte er mehr Probleme mit Fremdsprachen gehabt. Sport machte ihm ausserordentlichen Spass, aber er hielt weniger vom Gruppensport, auch wenn er durchaus Teamqualitäten besass, sondern übte sich lieber in Einzeldisziplinen. Seine Kameraden beschrieben ihn als höflich, aber er kam eigentlich niemandem wirklich nahe. Das Interesse an anderen war nicht gerade hoch und Vincent kam sich reif genug vor, nicht jeden Blödsinn seiner Klassenkameraden mitzumachen.

Dass er unbewusst immer wie ein Rebell aussah mit seinen langen roten Haaren, störte ihn nicht sonderlich. Im Gegenteil. Es hielt ihm zusätzlich lästige Menschen vom Hals.
 

Es gab allerdings etwas, was Vincent überhaupt nicht normal erscheinen liess und was er auch nicht jedem auf die Nase band. Er sah unheimlich gut und diese Begabung setzte er im Schiessen ein. Er traf praktisch jedes Ziel und seinen Waffenschein hatte er schon mit sechszehn gemacht. Das hatte ihm seine obligatorische Zeit beim Militär auch leichter gemacht.
 

Nun da er eigentlich voll ausgebildet war, fehlte ihm noch etwas zu seinem Glück. Nämlich ein Beruf, den er auch sein Leben lang vorhatte zu machen.

Eine solche Chance wie er sie heute bekommen würde, hätte er nie erwartet. Sein Vater hatte ihn schon mit diesem vorfreudigen Grinsen empfangen, das für Vincent eher ungewöhnlich war. Sein Vater, ein strenger aber gerechter Mann, war nicht gerade ein Beispiel an ausgelassener Fröhlichkeit. Das Leben sei viel zu ernst um über Belanglosigkeiten zu lachen. Vielleicht war Vincent deswegen schon in frühen Jahren sehr erwachsen geworden, weil er seinen Vater so schätzte und ihm nacheifern wollte. Wenn war das aber unterbewusst geschehen, schliesslich hatte der junge Ire nicht vor die Kopie von jemandem zu werden, sondern eine ganz eigene Person.
 

„Vincent, mein Sohn“, begrüsste ihn sein Vater mit eben jenem seltenen Grinsen als er zur Tür reinkam, „ich hab gute Nachrichten. Ich würde sogar sagen ausgezeichnete Nachrichten.“
 

Vincent sah seinen Vater mit einer Mischung aus Erstaunen und Verwirrung an. Er nickte, sah das Familienoberhaupt an. Zumindest war er seit zwei Jahren dies offiziell. Grossvater Arthur war kein Kämpfer per excellence gewesen, aber er hatte zumindest symbolisch als Familienoberhaupt der Collins gegolten. Sein Vater hatte wohl nicht sehr viel mit ihm gemeinsam gehabt, wie das einzige Kind von Caitlín und Alastar dachte. Aber das hiess natürlich nicht, dass sie sich nicht nahe gestanden hatten. Gegensätze waren sehr wohl vereinbar. Man musste einander nur akzeptieren und nicht nur tolerieren. Tolerieren bedeutete immer auch, dass man die Art des Anderen nicht als richtig empfand. Akzeptieren hingegen hiess, dass man die Art des Anderen durchaus mit der eigenen vereinbaren konnte. So hatte das Vincent verstanden. So ähnlich war er nämlich seinem Vater auch nicht, aber er hatte den grössten Respekt vor ihm und schätzte ihn als gerechten Mann. Es war ein sehr löblicher Charakterzug und der Sohn wollte in diesem Punkt ihm nicht nachstehen. Die Welt war kein Ort, der vor Frieden und Gerechtigkeit strotzte und Vincent wusste auch, dass er daran sicher nichts ändern konnte, selbst wenn er gewollt hätte, denn die Welt war bei allem Übel ein sehr lebenswerter Ort. Wo Licht war, war auch immer Schatten.
 

„Mein Sohn“, sagte Alastar ganz feierlich, „heute hast du die Chance deines Lebens, eine ehrenwerte Arbeit, die deinen Fähigkeiten entspricht.“

Nun konnte Vincent seine Verwirrung überhaupt nicht mehr kontrollieren, denn es klang doch als träume er gerade und das am Tage. Dazu neigte der praktische Vincent eher weniger. Hatte er nicht heute erst daran gedacht? Sowas passierte doch nicht. Es sei denn es war ein Film. In Filmen passierten oft solche Dinge, aber das beeindruckte ihn nie so sehr. Er liebte die Stunts in den Actionfilmen, wenn der Held in seinem Auto Freunden zu Hilfe kam und dabei um Kurven schlitterte, dass man fürchtete er mache gleich Bekanntschaft mit einer Wand.
 

Aber das passierte dann doch nicht, auch wenn das Auto gefährlich nahe herankam, sogar Funken schlug. Es war schlichtweg brillant und Vincent fand, dass das sehr wohl machbar war, was in diesen Actionszenen passierte. Es war nicht gestellt sondern man hatte es gedreht und er empfand tiefste Bewunderung für Männer, die es fertig brachten einen Wagen so zu lenken. Er selbst war ein riesiger Autofan und fuhr, seit er kurz nach seinem Geburtstag die Theorieprüfung gemacht hatte um den Lehrführerschein zu bekommen. Er hatte extra früher begonnen zu lernen, damit er so schnell wie möglich die Prüfung ablegen konnte und damit seinem Traum näher kommen konnte. Nein, nicht das Auto fahren an sich, auch wenn das sehr wohl zu seinem Traum gehörte.
 

Nein, Vincents Traum war etwas kindischer und er hätte nie jemandem erzählt, was das war. Es war ihm etwas peinlich, auch wenn einige Männer sicher die gleiche Vision hatten. Einen Ferrari zu fahren und ihn vielleicht, so vermessen klang, besitzen zu dürfen. Nun albern fand Vincent eher den nächsten Teil seines Traumes. Während man sich doch eher einen roten Sportwagen wünschte, dachte der junge Vincent an ein schwarzes Modell. Rot war eine gute Farbe ohne Frage, aber Schwarz. Es war zeitlos und klassisch. Ausserdem ging es ohnehin um die inneren Werte des Wagens. Nebenbei bemerkt ging es ihm auch etwas darum, dass alle rote Ferraris fuhren und wenn schon etwas so luxuriöses dann richtig. Es war seine kindische kleine Wunschvorstellung, ob sie wahr werden würde, bezweifelte er stark.
 

„Vater… wie denn das?“, fragte Vincent, dem aufgefallen war wie lange er seinen Vater angesehen haben musste. Eigentlich war Vincent überhaupt nicht gedankenlos. Er war ein tugendhafter junger Mann, der den Grad zwischen Vernunft und Herz kennen sollte. Zwischen Vergnügen und Pflicht. Genau darum war Alastar Collins so stolz, dass sein Sohn eine so feierliche Arbeit bekommen konnte.
 

„Das Oberhaupt der Familie Hayoz, Harris Finn Senior, hat eine Arbeit für dich. Er hat mir persönlich ausrichten lassen, dass er meinen Sohn sehen will. Dich, meinen Vincent. Heute Abend“, sagte Alastar ganz feierlich, wurde aber von der Aufregung fast mitgerissen und einem nicht zu überhörenden Stolz auf sein Eigen Fleisch und Blut.
 

Nun sein Sohn teilte noch nicht ganz die Begeisterung seines Vaters. Die Familie Hayoz war eine hoch angesehene alte irische Familie, vielleicht sogar älter als die Collins. Höchst wahrscheinlich sogar. Aber dieses Alter spielte keine Rolle, zumindest keine so grosse im Vergleich zu dem, was die Dynastie darstellte. Die Hayoz waren die führenden Köpfe der irischen Mafia, welche recht bescheiden im Gegensatz zu ihren Äquivalenten in anderen Ländern war. Das momentane Oberhaupt war eigentlich Harris Finn Junior, Harris Seniors ältester Sohn, aber irgendwie war es unter der älteren Generation immer noch üblich in ihm den Boss zu sehen. Vielleicht wusste sein Vater ja auch mehr, immerhin kannte er nicht gerade eine Menge Leute, die mit dem Hause Hayoz in Verbindung standen bzw. überhaupt wussten was es mit ihnen auf sich hatte.
 

Die weitläufigen Gebäude, ein Stück ausserhalb Dublins, kannte natürlich fast jeder, aber wenigen war bekannt welche Familie und welche Organisation es sich dort bequem gemacht hat. Vincents Vater wusste davon durch eine Verkettung von Ereignissen, die er Vincent nie näher erläutert hatte, weil er fand sein Sohn wäre nicht alt genug um es zu erfahren. Irgendwann hatten sie es vergessen. Es war einfach so und Vincent hatte es still akzeptiert, auch wenn er doch die eine oder andere Frage über die Hayoz gestellt hatte, die mehr oder weniger gut beantwortet waren. So wusste er auch, wer die führenden Kräfte waren und kannte zumindest ansatzweise die weit verzweigte Familie. Harris Senior hatte vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen. Mittlerweile waren alle Vier erwachsen und der Älteste, der denselben Namen trug wie sein Vater (eine schauderhafte Vorstellung wie Vincent fand) hatte auf Wunsch seines Vaters übernommen. Alastar hatte die Bemerkung fallen gelassen, dass der schlaue Fuchs dies nur getan hätte weil er wusste wie lange er leben würde und seinen Sohn so weiterärgern konnte.

Vincent wusste nicht ob er sich sorgen sollte oder nicht. Er war kein sonderlich weltgewandter Mensch und übermässig mit Intelligenz gesegnet war er auch nicht, wenn auch mit genug wie er befand. Es gab keinen Grund ihn für so ein Treffen vorzuladen.
 

Und moralisch gesehen war die Entscheidung zu allem Übel auch noch belastet. Vincent hatte stets nach den Regeln gelebt und es fiel ihm nicht sonderlich schwer sie zu befolgen. Es kam auch gar nicht in den Sinn Dummheiten zu begehen wie andere Jugendliche. So war er einfach nicht. Nicht weil er brav und tugendhaft war, sondern weil es ihn schlichtweg nicht interessierte.
 

„Es hat sich also wirklich gelohnt dir das Schiessen beizubringen. So sehr, dass man dich für einen solchen Posten vorsieht“, sprach Alastar weiter, der anscheinend nicht bemerkte wie sein Sohn ins Grübeln geriet. Er war viel zu stolz gerade, dass er seinen Vincent – er liess gerade grosszügig aus, dass seine Frau einen Grossteil Arbeit auch an diesem Werk getan hatte – so gut erzogen hatte und seine Talente erkannt und gefördert hatte.
 

Und dann war die feine Stimme der Neugierde, die danach verlangte alles mit eigenen Augen zu sehen. Es war sicher aufregend und wer wusste schon ob er nicht diesen Weg einschlagen könnte. Es könnte eine Erfahrung sein, die er nie wieder machen konnte. Wem machte er was vor. Es gab nur eine Chance für einen solchen Beruf und die hatte gerade an die Tür geklopft. Und sie tat es nicht sehr penetrant. Sie hatte zwar nicht alle Zeit der Welt, aber sie hatte ihn ausgesucht, aus welchen Gründen auch immer.
 

Vincent nickte einfach mal. Es war das Beste, wenn sein Vater so berauscht vom Glück war. Jetzt nein zu sagen, hätte ihn erstens gekränkt und zweitens sicher wütend gemacht. In diesem Falle wäre ihm Vincent haushoch unterlegen. Ja, unterlegen. Denn in solchen Phasen war Alastar seltsamerweise noch klarer bei Verstand wie wenn er nicht wütend war. Er wusste nicht ob er diese auffallende merkwürdige Eigenschaft bewundern sollte, oder ob er einfach den Kopf schütteln sollte. Einen kühlen Kopf aber auch unter Wut zu bewahren, war sicher eine Meisterleistung, die Ihresgleichen suchte. Gerade kühl wirkte sein Vater in seinem Glück hingegen nicht. Vielleicht war die Wut bei ihm einfach besser, wenn er denken wollte, aber da sich Vincent als recht guten Sohn sah, wollte er Alastar auch gar nicht die Freude schon verderben. Vielleicht sollte er einfach mal hören, was Harris Senior zu sagen hatte. Aber konnte man bei der Mafia einen Rückzieher machen? Unwillkürlich kam ihm das Bild von einem Film in den Sinn. Der Pate… Er mochte an dem Film eigentlich nur die Schussszenen, aber es gab da noch diese eine eindrucksvolle Szene, in der der Pate sagte: ‚Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.‘
 

Energisch schüttelte Vincent den Kopf. Das war doch ausgemachter Humbug. Die Realität lief sicher ganz anders. Das war bestimmt nur ein Klischee und überhaupt war es kindisch dies mit einem Film zu assoziieren. Es war nichts weiter als Fiktion. Nichts als Fantasie gemischt mit Schuss Realität um die Leute ins Kino zu locken.
 

„Ich werde dich hinbringen… hab ohnehin noch was zu erledigen mit Patrick“, meinte Vincents Vater bestimmt. Sein Sohn war sich nicht einmal sicher ob er sein Nicken bemerkt hatte oder ob er es einfach überging.
 

Patrick war ein alter Freund seines Vaters, der heute sicher so alt wie Vincent Grossvater Shane war. Allerdings unterschieden sich Shane und Patrick in einigen Punkten. Wo bei Shane ein sanftes Lächeln auf den Lippen lag wie eben bei einem Grossvater, wirkte Patrick selbst heute noch wie ein Wolf wenn er lächelte. Das Lächeln konnte sehr wohl eine Waffe sein. Ein Zähne blecken, um den Anderen zu warnen. Er mochte Patrick gut leiden, auch wenn er seiner Meinung nach zu viel trank für einen Mann seines Alters.
 

Es waren auch andere Zeiten damals gewesen, dachte er sich und schüttelte den Kopf. Jedenfalls war Patrick, er durfte ihn tatsächlich beim Vornamen nennen, ein guter Mann abgesehen von diesem einen Fehler. Sein Vater hatte erzählt, dass es Patrick gewesen war, der ihm das Schiessen beigebracht hatte als er noch ein junger Mann gewesen war und dass er quasi seine Bildung in diesem Punkt auch Patrick verdankte.
 

„Eigentlich wäre ich gerne selbst gefahren“, war das erste was Vincent nach einiger Zeit des stillen Grübelns hervorbrachte. Nicht gerade seine beste Idee, aber so überrumpelt wie er worden war kaum, dass er sich im Haus befand, konnte man ihm das kaum verübeln.
 

„Eine gute Idee… selbstbewusst wie immer, Junge“, stimmte Alastar zu, sehr zu Vincents Erstaunen.

Langsam fragte sich Vincent ob das Ganze nicht zu gut war und ob der Haken nicht etwas grösser war als „nur“ mit der irischen Mafia zusammenzuarbeiten. Die Hochstimmung seines Vaters jedenfalls war wirklich aussergewöhnlich. Er wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen. Kein schlechter Sohn sein konnte man vielleicht sogar sagen. Obwohl das hörte sich in Vincents Ohren ein bisschen seltsam an. Er hatte nie krampfhaft versucht das zu tun, was seine Eltern verlangten, aber er hatte auch nie das Gegenteil getan. Solche kindischen Ausbrüche blieben seinen Eltern auch erspart als Vincent in einer schwierigen Phase in seiner Entwicklung ankam. Aber das verdankten sie dem Umstand, dass Vincent genug Möglichkeiten kannte um seinen Frust abzulassen. Natürlich ganz hatte das nicht geklappt und krampfhafte Perfektion war auch nichts für ihn. Perfektion war ja schön und gut, aber der Mensch war nun mal ein Wesen mit Fehlern. Mit vielen Fehlern, die er tunlichst versuchte zu verschleiern. Das hatte Vincent akzeptiert, auch wenn er sich immer noch über manche seiner Fehler aufregte, aber seinen Charakter so wie er war mochte er eigentlich.
 


 

Der rostfarbene Jeep von Vincents Vater war wahrlich kein Ferrari. Die Farbe war übrigens Programm. Mehr Rost als Farben wie Vincent argwöhnte. Sein Vater fand, dass es völlig egal sei wie das Fahrzeug aussah, solange es fuhr. Äusserlichkeiten wurden heutzutage viel zu wichtig genommen, pflegte Alastar zu sagen. Wieder stimmte sein Sohn nur bedingt zu. Das Äussere mochte nicht alles sein, aber dieser Wagen war einfach peinlich. Wenn er wirklich bald selbst Geld verdiente, würde er sich als Erstes einen Wagen kaufen. Aber keine solche Schrottmühle und wenn er dafür lange sparen musste. Vincent war geduldig. Geduldig und ausdauernd. Es war alles eine Frage der Zeit und leider auch des Geldes. In Anbetracht dessen war so ein Job verlockend.
 

Er konnte seinem Vater nicht mal einen Vorwurf wegen dem alten Wagen machen, aber sehr wohl, weil er ihn selten, nein gar nie, wusch. Würde er selbst nicht ab und zu dem Gefährt eine Reinigung zukommen lassen, würde es sicher wie ein fahrender Rostklumpen auf Rädern aussehen. Dessen war sich Vincent sicher.

Genau das ging ihm wieder durch den Kopf als er sich hinter das Steuer des Wagens setzte. Es war kurz nach fünf. Um sechs sollten sie im anwesend sein. Besser zu früh als zu spät, fand Vincent wie Alastar.
 

Sein Vater hatte schon auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Das Grinsen war nicht aus seinem Gesicht gewichen. Es schien sich auch nicht in den nächsten Minuten verziehen zu wollen.
 

Vielleicht sollte ich Mum Bescheid geben darüber, dachte Vincent, verwarf den Gedanken wieder. Caitlin wusste schon längst wie ihr Mann tickte und manipulierte ihn wirklich nur im äussersten Notfall. Immerhin war Alastar nicht gerade ein Beispiel an Unvernunft. Aber ein bisschen Sorgen machte sich Vincent schon als er den Gang einlegte und die Kiste mit einem ärgerlichen Brummeln losfuhr. Er hoffte, dass er ihn nicht noch enttäuschte, bzw. dass er sich nicht selbst enttäuschte. Sein Vater freute sich so sehr über diese Ehre, dass er ausblendete, dass es durchaus die Quote des Versagens gab. Die gab es immer, schliesslich waren sie nicht im Film oder Roman.
 

Vincent schenkte seinem Vater ein abfälliges Schnauben, als der Motor kurz aussetzte. Dieser aber lachte nur kurz auf.

„Damit wollen wir wirklich zum Sitz der Hayoz? Findest du das nicht etwas peinlich? Nur ein ganz kleines bisschen“, begann Vincent das Gespräch, dessen Blick aber auf der Strasse lag. Vincent war ein gewissenhafter Fahrer, auch wenn er gerne schneller fahren würde. Das war vielleicht sein Laster. Schnell musste ein Auto sein, sonst konnte man genauso gut zu Fuss gehen, wogegen Vincent auch nichts hatte, aber irgendwie hatte dieses Gefährt auf Vier Rädern auf ihn schon immer eine besondere Anziehungskraft gehabt.
 

Statt einer Antwort erhielt er einen Rüffel. Er solle sich auf die Strasse konzentrieren. Ja nur schön ablenken, hatte Vincent kaum hörbar geknurrt. Gut gehört hatte Alastar allerdings schon immer, aber er sagte nichts. Alastar hatte Ohren wie ein Luchs. Das war für Vincent schon als Kind ein Problem gewesen, wenn er noch am späteren Abend ausser Haus gewollte hatte um mit seinen Freunden sich zu treffen.
 

Würmer baden könne man auch am Tage, hatte Alastar seinem neunjährigen Sohn erklärt. Dieser hatte heftig dementiert. Sie würden Fischen gehen und keine Würmer baden lassen. Allerdings hatte er es ihm aus einem weiteren Grund nicht gestattet zu gehen. Sein Vater hatte nämlich selbiges vorgehabt mit seinem Sprössling. Dieser war an diesem Abend am schmollen gewesen und erst als sie am See waren und in der kleinen Nussschale sassen, die Angel ausgeworfen, hatte sich seine Stimmung gebessert. Aber richtig gegrinst hatte er erst als er die Angel halten durfte. Die Angel war ein herrliches Stück. Bazun hiess die Marke und kam aus Japan. Mittlerweile war das Ding natürlich alt geworden, aber Vater wie Sohn schätzten sie weiter. Plötzlich hatte es heftig an der Angelschnurr gezogen, so dass klein Vincent aus dem Boot gefallen wäre, hätte sein Vater ihn nicht noch gepackt und ihm gesagt er dürfe auf keinen Fall die Angel loslassen. Das hatte Vincent auch nicht vor. Er hatte einen Fisch an der Angel, einen richtigen Fisch, dessen war er sich ganz sicher gewesen. Der Junge hatte recht behalten. Nach einem Kampf von mehr als einer halben Stunde, hatte der Fisch aufgegeben und Vater und Sohn waren nicht wenig stolz gewesen auf ihren Fang.
 

„Hör mir gut zu, mein Junge“, begann Alastar und liess damit Vincents Erinnerung wieder zurück in ihre Mottenkiste wandern. „Du musst einige Regeln beachten, wenn du im Haus bist. Vor allem musst du auf der Hut vor den Fragen sein. Überleg dir eine Antwort sorgfältig, aber nicht zu langsam…“
 

Vincent war nicht sicher ob er seinem Vater einfach sagen sollte, dass er sehr gut wusste wie man sich bei einem solchen Gespräch zu verhalten hatte. Obwohl einem solchen? Wohl doch nicht und so entschied sich Vincent doch zu zuhören. Auch wenn sein Vater gerade seltsam war, hiess das nicht, dass er nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte war. Er war es aber definitiv wie seine nächsten Worte verlauten liessen.
 

„Harris Finn Senior ist ein sehr wichtiger Mann, eine beeindruckende Persönlichkeit. Aber wie alle Männer, die viel erlebt haben, haben sie auch viel Leid gesehen. Das macht die Leute vorsichtiger und es schleift ihre Kanten. Sie werden… hart. Oder verbittert. Manchmal sogar beides“, erklärte Alastar mit einer Stimme, die wie ein Mann klang, der wusste von was er sprach.
 

Wenn Vincent so nachdachte, hatte er seinen Vater nie für einen Mann gehalten, der sich leicht von den Gegebenheiten durcheinander bringen liess. Eben jemand der allen Widrigkeiten trotzte und dabei immer einen gefassten Gesichtsausdruck zur Schau trug. So hatte es als Kind zumindest für Vincent ausgesehen. Aber mittlerweile hatte der Sohn natürlich erkannt, was alle Söhne erkannten. Ihre Väter waren nicht perfekt und wussten nicht immer alle Antworten auf ihre Fragen. Das klang traurig, aber es war nichts weiter als der Lauf der Zeit. Es war wichtig für ein Kind herauszufinden, dass die Eltern auch nur Menschen waren. Nichts desto trotz waren sie nicht irgendwelche Menschen sondern die engsten Familienmitglieder, die ein Kind hatte. Ausser vielleicht Geschwistern, aber das konnte Vincent nicht beurteilen, denn er war ein Einzelkind.
 


 

Der Sitz der Familie Hayoz war beeindruckend. Das konnte man ohne wenn und aber sagen. Ein Tor mit schmiedeeisernem Gitter versperrte den weiteren Weg zur Villa, die noch in einigen hundert Metern Entfernung lag. Vincent fragte sich wirklich ob viele Menschen dort lebten. Nicht nur die Familie Hayoz selbst, sondern auch Mitarbeiter. Mitarbeiter… das klang schrecklich falsch, fand Vincent. Das Wort passte zu einer Firma mit sauberem Image und nicht zur Mafia. Organisiertes Verbrechen und sein Vater ermutigte ihn noch dazu. Vincent hatte bisher leicht selbst bemerkt was richtig und was falsch war, aber jetzt war er sich nicht mehr sicher wie es damit stand. Dass die Welt nicht aus schwarz und weiss bestand, war natürlich, aber wenn es etwas wie Schwarzannäherndes gab, dann waren es doch solche Organisationen.
 

Statt sich aber gross mit der Moral zu beschäftigen betrachtete die Umgebung, auch wenn er weiter gewissenhaft fuhr. Über Moral machte er sich Gedanken wenn er wirklich eine Chance hatte auf diesen Job. Falls es so weit kam. Aber erst ein Schritt nach dem Anderen. Blinder Eifer hatte schon manchen Mann das Leben gekostet und Vincent wollte sich nicht zu ihnen zählen. Nein, darauf hatte er keine Lust. Absolut. Am Schluss stand man reichlich dumm da. Verlieren gehörte er nicht so wirklich zu Vincents Stärken. Wenn er etwas tat, dann kämpfte er und liess sich nicht von seinem Weg abbringen.
 

Die Grünflächen des weitläufigen Geländes beeindruckten Vincent nicht wirklich. Rasen hatten sie auch Zuhause vor dem Haus. Darum kümmerte sich sein Vater sehr vorbildlich hingegen zu dem Wagen. Allgemein hatte er einen grünen Daumen. Von Pflanzen und vom Angeln verstand Alastar Collins eine Menge.

Die prächtigen Blumen, die wuchsen, schienen nicht zu übermässig vertreten zu sein, als wolle man das Ganze nicht protzig erscheinen zu lassen.
 

Das Haupthaus mit dem Platz davor, in dessen Mitte sich ein schlichter Springbrunnen befand, hatte doch gewisse Ähnlichkeiten den alten englischen Herrenhäusern, die mit Efeu bewachsen waren und einen leicht unheimlichen Charakter besassen. Die grauen Steine liessen das Gebäude erst kalt erscheinen, doch der Efeu… es wirkte dadurch viel freundlicher fand Vincent.
 

Es hiess, dass Vincents Ururgrossvater Ethan Shane Vincent Collins Gärtner gewesen war, der jedes Gestrüpp zu bändigen wusste. Das war noch recht wahrscheinlich, denn es schien eine Familiengabe zu sein mit Pflanzen auszukommen, auch wenn Vincent unter ihnen eher bescheidene Kenntnisse hatte. Allerdings ging die Erzählung über Ethan noch weiter. Tagsüber war er Gärtner… aber nachts soll er Vampire gejagt hatten.
 

Als Kind hatte Vincent das für wahr gehalten. Wieso sollte sein Vater ihm auch eine solche Lügengeschichte erzählen? Lehrreichen Charakter hatte es nicht gehabt, zumindest nicht wirklich. Es hatte eigentlich nur einen Sinn gehabt… es war unterhaltend gewesen und damals als Vincent erst sechs gewesen war, hatte er mit Ehrfurcht geglaubt er stamme von Vampirjägern ab. Caitlin hatte ihren Mann gescholten, als ein Brief von der Schule nach Hause kam, welch seltsamen Vortrag Vincent gehalten hätte über seine Familie. Es war das erste Mal gewesen, dass Vincent seinen Vater so lachen gehört hatte. Aus tiefsten Herzen und ohne eine Spur des Hohnes über die Dummheit seines Sohnes. Er war eben noch ein Kind. Wer konnte ihm verübeln, wenn er seinem Vater glaubte, sein Ururgrossvater wäre ein Vampirjäger gewesen?
 

„Halt hier an Vincent“, rief ihn die Stimme seines Vaters aus seinen Gedanken zurück. Sie waren nun auf dem Platz vor dem Haus, fast gegenüber der grossen Eingangstür. Diese war geöffnet und ein Mann mit streng zurückgekämmten Haaren wartete davor. Er war klassisch mit der Uniform eines englischen Butlers ausstattet und sein Blick verriet ein gewisses Missfallen jetzt schon.
 

Er erinnerte Vincent ganz stark an einen recht hageren Gesellen, der am Höllentor auf einen wartet und die Seelen hereinwies. Wirklich gruselig, aber nur eine blühende Fantasie konnte sich solche Schreckgespenster ausdenken. Also Augen zu und durch. Zumindest erschien ihm das angemessen anhand dessen was ihm bevorstand. Und wem hatte er das zu verdanken? Seinem eigenen Vater.

Einen Moment darauf schalt sich Vincent einen Narren. Schliesslich wollte Alastar nur das Beste für seinen Sohn. Es war einfach nur lächerlich, dass er etwas tun würde, was ihm schlecht bekommen würde.
 

„Ich dachte du hättest vor zu Patrick zu fahren?“, kam es verwundert von Vincent, der nun den Motor abstellte, was ein hässliches würgendes Geräusch verursachte. Vincent warf seinem Vater einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Tu ich auch, tu ich auch, mein Sohn“, antwortete Alastar mit einem Grinsen und stieg aus dem Wagen, den der Türwärter mit einem Blick bedachte, bei dem äusserste Verachtung noch geschmeichelt wäre. „Patrick arbeitet hier.“
 

Als wäre es nicht schlimm genug Vincent damit zu verwirren, dass die irische Mafia an ihm interessiert war, musste sein Vater natürlich noch weitere Bomben zum Platzen bringen. Es würde ihn langsam nicht mehr wundern wenn sein eigener Vater in Wahrheit auch dazu gehören würde.
 

„Wie viel hast du mir eigentlich verschwiegen?“, fragte Vincent und machte sich gar nicht die Mühe die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.

Alastar schien davon nicht sonderlich getroffen zu sein und kratzte sich am Hinterkopf und schien zu überlegen. „Hat sich irgendwie nie die Situation ergeben dir alles zu erzählen, Junge“, meinte er dann, so ruhig als wäre das Geschehene völlig normal. „Aber da du ja wie immer antworten auf deine Fragen willst… dein alter Herr hat nicht nur einfach von Patrick gelernt sondern war sein Schüler.“ Er grinste triumphierend als er Vincents Gesicht sah, das sagte wie unglaublich er das fand.

„D-du“, war das einzige was Vincent herausbrachte wenn auch mit einer Ordentlichen Portion Geknicktheit.

„Aber Vincent, es gäbe wirklich schlimmeres zu erzählen“, meinte Alastar recht fröhlich und winkte dem Torwächter zu. „Guten Abend James.“

Dieser zog nur eine Augenbraue hoch und schien die Nase zu rümpfen, erwiderte aber nichts darauf. Entweder war das eine ganz spezielle Art der Begrüssung oder sie konnten sich nicht ausstehen. Irgendwie glaubte Vincent an letzteres und er hatte auch nicht das Gefühl, dass er so gut mit diesem Butler auskommen würde. Auch auf Vincents Begrüssung erwiderte er nichts weiter, sondern meinte lediglich: „Master Hayoz Senior erwartet Sie bereits.“
 

Er bedachte die beiden Collinsmänner mit einem Blick als wäre er nicht sicher, ob Harris Senior sich nicht einen Spass erlaubt hatte. Vincent war zwar gemäss der Etikette im Anzug erschienen, sogar mit Krawatte, sein Vater hatte die Krawatte schon immer weggelassen. Er fand es auch ziemlich unangenehm, aber es gehörte nunmal zu einem Anzug dazu. Schliesslich ging es, so trivial das in Anbetracht der Umstände klang, um seine weitere Zukunft.
 

„Wenn Sie mir bitte folgen würden, Mr. Collins Junior“, kam es recht steif von James, der wohl wirklich nicht sonderlich begeistert war. Automatisch wie es schien passte sich Vincent dem an und nickte. „Natürlich, verzeihen Sie“, sagte er höflich.
 

„Viel Glück“, sagte Alastar zum Abschied zu seinem Sohn, grinste dabei aber so breit, dass es Vincent doch peinlich war. James verdrehte die Augen und in ging gemessenen Schrittes mit Vincent zu dem wartenden Oberhaupt.
 


 

Egal wie oft Alastar seinem Sohn von Harris Senior erzählt hatte, es reichte nicht um ihn auf diese Begegnung vorzubereiten. Dies war allerdings nicht im Sinne von der Gefahr gemeint, die vom Oberhaupt ausging (auch wenn die gewiss jetzt noch hoch war) sondern mehr dessen Wesen. Er war beeindruckend und Vincents erster Gedanke bei diesem Mann war, dass er gerne für ihn arbeiten würde. Er hatte graues Haar, das aber den roten Farbton nicht verlieren zu können schien und grüne Augen. Augen wie er sie noch nie gesehen hatte. Sie funkelten entgegen seinem Alter vor jugendlichem Übermut und Tatendrang. Er hatte einige Falten, die ihn aber nicht schwächer erschienen liessen, nein, sie zeugten von Erfahrung. Er hatte einige Rückschläge zu verkraften gehabt, die sich Vincent nicht einmal traute vorzustellen. Er fragte sich ob er jemals diesen Erfahrungsschatz erreichen würde. Natürlich würde er mehr Erfahrungen sammeln aber das hiess nicht automatisch, dass er so ähnlich wie sein Vater oder Harris Senior werden würde. Das war auch sicher besser so. Schliesslich war man Original nicht Kopie.
 

„Du bist also Vincent… Patrick und Alastar loben dich in höchsten Tönen“, begrüsste der Pate ihn mit einem Lächeln, das nicht mal geschäftsmässig wirkte. „Ich wollte mich vergewissern ob du der Richtige bist und ob du überhaupt gewillt bist der Richtige zu sein. Jemanden ohne Motivation einzustellen, wäre denkbar schlecht, aber ich denke es wird dich reizen“, fuhr er mit einer Bestimmtheit in der Stimme fort, die nicht mal unfreundlich war. Seine Stimme war bestimmend ohne dabei grob zu klingen, verriet aber, dass er es gewohnt Befehle zu geben und nicht sie auszuführen. Ein stolzer Mann, der sich jedes Mü dieses Imperiums erarbeitet hatte.

„Aber bitte setz dich doch mal Junge. Es lässt sich besser reden, wenn man mit seinem Gegenüber auf Augenhöhe ist.“
 

Der Salon, in dem sie sich befanden, war gross. Vincent schätzte dass sein Zimmer ungefähr sechsmal reingepasst hätte. Es gab ein paar altmodische – antik war wohl das bessere Wort – Sessel und einen Diwan. Harris Senior sass in einem dieser Sessel vor dem beeindruckend Kamin auf dessen Sims zwei Marmorlöwen thronten. Ein Gemälde, ganz bestimmt von irgendeinem wichtigen Künstler gemalt, hing an der Wand über dem Kamin. Ein Familienportrait und wie Vincent anhand der Anzahl Personen und seines Wissens schlussfolgerte, handelte es sich um Harris Senior, seine Frau und die vier Kinder. Das Gemälde mochte ungefähr zwanzig Jahre alt sein. Der älteste Sohn musste Harris Junior sein. Er stand vor seinem Vater, der stolz eine Hand auf der Schulter seines Sohnes hatte. Die einzige Tochter stand neben ihrem älteren Bruder und hatte ein so bezauberndes Lächeln, dass man nicht glauben konnte, dass es sich hier um eine Familie von Mafiosi handeln sollte. Die jüngeren beiden Kinder sassen bei der Frau von Harris Senior, die so weit Vincent von seinem Vater wusste schon lange tot war. Der Älteste sei damals erst vierzehn gewesen. Es gab kaum etwas Grausameres für ein Kind als einen Elternteil zu verlieren. Augenblicklich fragte sich Vincent ob natürliche Umstände zu diesem Tod geführt hatten. Sonderlich kränklich sah sie nicht aus, Bild hin oder her.
 

Folgsam setzte sich der junge Mann hin und war überrascht wie bequem der Sessel war. Irgendwie sahen diese alten, kostbaren Möbel einfach nicht so aus als wären sie wirklich bequem, sondern wollten nur den Anschein erwecken.

Nun zumindest schien es vorläufig zu laufen, wie es bei einem normalen Bewerbungsgespräch. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit bis sich wieder das einstellte, was man getrost als abnormal bezeichnen konnte.
 


 

„Vincent, wie würdest du mich nennen?“, fragte er unvermittelt und der junge Mann schaute das Oberhaupt der Hayoz verwirrt an. Der ältere Mann lächelte einen Augenblick, auch wenn es selten geschah, dass seinen Befehlen nicht gleich Folge geleistet wurde. „Das erste was dir einfällt, Junge.“

Einen Moment war Vincent noch verblüfft, aber dann nahm er seinen Mut zusammen (wovon er eigentlich mehr als genug hatte) und sagte: „Boss.“
 

Nun war es an Harris Senior verwirrt dreinzusehen, allerdings nur einen Augenblick, dann fing er an zu lachen. Vincent war sich nicht ganz sicher ob er gerade etwas derartig Belustigendes, Lächerliches oder gar Kluges von sich gegeben hatte.
 

„Das gefällt mir“, sagte Harris bestimmt, „nur schon alleine für diese Antwort, Junge, sollte ich dich einstellen. Du hast ein gutes Verständnis für Loyalität, bist flink im Schiessen und auch sonst nicht gerade schwach, auf den Mund gefallen bist auch nicht… aber es gibt da noch etwas was du können musst. Aber das ist mehr eine praktische Prüfung.“

„Ich bin für alles bereit“, antwortete Vincent ruhig.

„Oh ja, und natürlich furchtlos“, fügte Harris Senior mit einem leicht spöttischen Lächeln an, „ich schätze tapfere Leute, Vincent. Sowas findet man nicht mehr so oft unter den Jungen. Die letzte Generation hat es versäumt ihren Kindern dies auf den Weg zu geben. Dabei gibt es kaum etwas Wichtigeres als Werte zu vermitteln. Natürlich gibt es noch Männer wie Alastar, Patrick und mich, die das weitergegeben haben, aber es sind bei weitem nicht alle, die das tun.“

Er räusperte sich, winkte mit seiner Hand in Richtung Tür und rief: „Jonathan, Mikhail… kommt rein.“
 

Nun, dass Vincent heute verwirrt war, war bei weitem nicht das erste Mal und wie er befürchtete nicht das letzte Mal, aber es war wohl die Topüberraschung nach der Eröffnung die irische Mafia hätte einen Job für ihn. Herein kamen nämlich zwei kleine Jungen, vielleicht fünf oder vier Jahre alt. Beide hatten rote Haare, neben denen Vincents Haare etwas bleich wirkten, und strahlend grüne Kinderaugen. Sie hatten viele Sommersprossen und man hätte sie kaum unterscheiden können, hätte der eine nicht eine Brille getragen. Davon abgesehen trug, der mit der Brille eine kleine Krawatte. Mit einem innerlichen Grinsen, dachte Vincent, dass der andere sich wohl geweigert hatte. Aber ansonsten war es ziemlich schwierig die beiden zu unterscheiden.
 

„Das sind meine beiden Enkel“, erklärte Harris Senior stolz und winkte die Kinder näher zu sich, die etwas zögernd auch kamen. Er deutete auf den Jungen mit der Brille und der Krawatte dann auf seinen augenscheinlich wirkenden Zwilling. „Das ist Jonathan Finn Hayoz mein ältester Enkel und mein zweitältester Enkel Mikhail Jancary. Eines Tages werden sie mal die führenden Köpfe dieses Unternehmens sein. Nicht wahr ihr Beiden?“
 

Er zwinkerte seinen Enkeln zu, worauf Jonathan so eifrig nickte, dass ihm die Brille runterfiel. Bevor sie aber der Junge selbst aufnehmen konnte, hob sie sein Cousin auf und dies mit einer Behutsamkeit, wie sie Kinder in dem Alter eher selten besassen. Vor allem nicht mit Brillen. Und schon gar nicht mit Brillen anderer, aber der Junge, Mikhail (wohl nach dem Erzengel Michael), schien daran gewöhnt seinem Cousin etwas zu helfen, der bei näherer Betrachtung etwas schwächlicher wirkte. Mit einem scheuen Lächeln nahm der Andere seine wertvolle Sehhilfe wieder an sich und setzte sie korrekt auf. Feinmotorische Probleme schienen die Beiden gar nicht zu haben, wenn er sich besah wie gezielt, wenn auch etwas vorsichtig die Bewegungen waren. Das konnte Vincent aus dieser kleinen Geste mit der Brille rauslesen.
 

„Jonathan, Mikhail, das ist Vincent Ethan Collins“, stellte Harris Senior seinen Enkeln Vincent vor, der sich nicht sicher war, ob er nicht einfach in den Kaninchenbau bei Alice im Wunderland gegangen war und in einer sehr verqueren Welt gelandet war. Möglich war alles wenn man herausfand, dass der eigene Vater Kontakte zur Mafia hatte und vom Bodyguard des derzeitigen Oberhauptes das Schiessen erlernt hatte, was er wiederum an seinen Sohn weitergegeben hatte.

Die Cousins nickten und gaben ein leises ‚Guten Tag‘ von sich.
 

Vincent hatte wirklich ein sehr zweifelhaftes Glück, aber was diese Kinder jetzt mit seiner Lage zu tun hatten, verstand er nicht. Noch nicht. Er würde es wohl oder übel erfahren müssen.

„Vincent, die Aufgabe mit der ich dich betrauen möchte ist von äusserster Wichtigkeit. Du sollst die zukünftigen Köpfe unseres Unternehmens beschützen“, eröffnete Harris Senior und Vincent schaffte es diesmal ruhig zu bleiben. Im ersten Moment dachte er an einen schlechten Witz. Dass Harris Senior aber nicht zu Scherzen gerade aufgelegt war, sah man an seiner ernsten Stimme.

„Das heisst ich soll Babysitter spielen?“, fragte Vincent etwas ungläubig nach und vergass einen Moment mit wem er eigentlich sprach.
 

„Die korrekte Bezeichnung ist immer noch Bodyguard, Vincent“, korrigierte ihn Harris Senior etwas ungehalten, „Auch wenn die Beiden noch sehr klein sind, ist ihr Leben genauso bedroht wie das von mir oder meinem Kindern. Diese Branche ist ein äusserst gefährliches Pflaster und nur die Stärksten überleben. Darum sollen die Kinder auch lernen, wie die Welt aufgebaut ist. Damit sie nicht die Fehler der Alten begehen, aber auch das Altbewährte weiter nutzen. Sie werden zu prächtigen jungen Männern heranwachsen, wenn man ihnen die richtige Stütze ist. Du sollst ihnen dabei helfen zwei Männern zu werden, auf die wir alle stolz sein können. Zwei Männer, deren Fähigkeiten und Mut von unseren Feinden gefürchtet wird.“
 

Wieder ein Nicken des älteren Enkels, diesmal allerdings, ohne dass ihm die Brille von der Nase fiel. Der Jüngere – Vincent fand, dass keiner von beiden wirklich älter als der andere wirkte – verschränkte die Arme kurz trotzig vor der Brust, ehe er wieder nach der Hand des Anderen langte und sie festhielt. Vincent hatte nicht die leiseste Ahnung wie es war Geschwister zu haben, aber so wie sich die Zwei verhielten, dass musste Geschwisterliebe sein. Zumindest so wie sie eigentlich gedacht gewesen war.
 

Leise hörte er wie Mikhail seinem Cousin etwas zuflüsterte und dieser leicht nickte. Beide lächelten und dieser Anblick war es, der Vincents Herz im Sturm eroberte. Es gab viele grosse Ereignisse, die durch Kleinigkeiten ausgelöst wurden. Gute wie Schlechte. Dies hier musste zweifelsfrei eines der Guten werden. Zumindest wusste das Vincent in just diesem Moment mit absoluter Sicherheit. Es konnte gar nicht anders sein.
 

Wieso die Beiden lächelten wusste Vincent nicht, aber das Lächeln, das sie einander schenkten, war dermassen warm und liebenswert gewesen, dass man ein gefühlsmässiger Eisklotz sein musste um es nicht als die freundlichste Geste zu werten. Dennoch wirkte es wie etwas was sich die Beiden sehr selten gestatteten. Der einzige Sohn der Collins schloss dies weil selbst Harris Senior ziemlich verwundert schaute, vor allem für jemanden, den eigentlich nichts mehr wundern sollte.
 

„Wissen Sie, Sir, ich nehme ihr Angebot an“, sagte Vincent selbstbewusst, sich seiner Worte sehr wohl bewusst. Er verpflichtete sich gerade, aber die Neugierde und gewisse kleinen Gesten, die wider die Vernunft waren, wie auch die Art dieser Menschen, seines Vaters, Patricks und die von Hayoz Senior, liessen keinen Zweifel, was richtig und was falsch war.
 

Der alte Hayoz, dessen Augen amüsiert aufblitzten, nickte. „Nichts anderes hab ich erwartet, Vincent Ethan Collins. In diesem Falle heisse ich dich willkommen in der Familie.“ Er grinste nun und der Schalk zeigte sich in seinen Augen. „Und nenn mich von jetzt an Boss. Das gefällt mir wirklich gut.“
 

Vincents Vater würde einiges zu hören bekommen von seinem mittlerweile erwachsenen Sohn. Aber vor allem würde er hören, dass er bereit war sein Leben in den Dienst des Hauses Hayoz zustellen wie er selbst.

Vincent konnte ja nicht ahnen wie sehr diese Entscheidung sein Leben und das zweier Jungen von Grund auf ändern würde…. Aber er würde seine Entscheidung kein einziges Mal bereuen, nicht einmal ein winziges bisschen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück