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Urlaub mit Nachwirkungen

von

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Chillen für Fortgeschrittene

Besonders geheuer war mir Kais Fahrrad nicht, dafür machte es eindeutig zu seltsame Geräusche, als ich mich darauf schwang und wartete, dass Kai sich mit seinem Skateboard in Bewegung setzte, damit ich ihm folgen konnte.

„Klingt das immer so?“, wollte ich mich vorsichtshalber vergewissern, weil das Quietschen einfach nervte und mir der Vergleich mit einer Tür aus einem Horrorfilm in den Sinn kam.

„Als würde es gleich zusammenbrechen? Ja, das ist normal. Eigentlich hätte mein Bruder sich mal darum kümmern sollen, er kennt sich damit aus, aber er ist zu faul dafür und meint, solange es fährt, ist alles andere egal.“

Toller Bruder, so etwas durfte ich mir nicht leisten, sonst war das Geschrei darüber groß.

„Hast du eigentlich Geschwister?“, quetschte mich Kai gleich passend zum Thema aus und hängte sich ganz frech einfach an meinen Gepäckträger. Oder eher an seinen, das Rad gehörte immer noch ihm, ich durfte es ja nur netterweise ausleihen.

„Ja, zwei kleine Schwester. Neun und dreizehn, wunderbares Alter.“

„Herzliches Beileid. Mein Bruder ist zum Glück schon achtzehn, aber manchmal nervt er auch ziemlich. Haben deine Schwestern auch so tolle Namen wie du?“

Sollte das gerade ein Angriff auf meine kreativen Eltern sein? Und wenn schon, er hatte ja irgendwie recht, obwohl Kai auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei war.

„Sie heißen Sina Franziska und Tamara Carola.“

„Ich dachte, du hättest zwei und nicht vier Schwestern“, wunderte sich Kai und berührte mit seinem Board den Hinterreifen des Rads, sodass ich uns fast in den Straßengraben manövrierte.

„Hab ich auch, aber meine Eltern fanden, jedes Kind hat ein Recht auf einen dummen Zweitnamen, das ist sozusagen Familientradition.“ Und zwar eine ziemlich idiotische, die ich, sobald ich Kinder hätte, sofort brechen würde, nur um meine Familie zu schockieren.

„Na dann, kannst ja schon mal Namen für deine Töchter ausdenken“, stichelte Kai und beschwerte sich lautstark, als ich aus Rache ohne Vorwarnung bremste und er fast in mich hinein krachte. Er hatte es nicht anders verdient.

„Willst du keine Kinder oder wofür war das jetzt?“

„Fürs Dummschwätzen.“ Hoffentlich merkte er, dass das nicht ganz ernst gemeint war, auf einen eingeschnappten Typ hätte ich jetzt wirklich keine Lust. „Und dafür, dass du mich vorhin fast mit deinem Rollding umgefahren hättest.“

„Oh, armer kleiner Chrissy, du tust mir so leid!“

Ich wusste es doch, dass sich Herr Skateboardmännchen nicht an die Regel hielt, hätte ich ihn bloß nicht auf die Idee gebracht, mich damit vielleicht ärgern zu können.

„Mein Bruder und ich haben zum Glück ganz normale Namen.“

Fand er. Manche Leute empfanden Kai nicht einmal als eigenständigen Namen, also sollte er sich da nicht so aufspielen. Vielleicht wollte er mich dadurch auch nur ärgern, er schien nicht so unbedingt der böse Nachbarsjunge zu sein, der versucht die Menschheit zu 'dissen'.

„Wie heißt er denn? Jan? Sven? Max?“ Sicher auch irgendetwas Einsilbiges, damit sich hier keiner benachteiligt fühlte, weil der Name zu viel Stil besaß.

„Gregor.“

Ich musste lachen und kippte dabei zum zweiten Mal beinahe um. Über Geschmack ließ sich ja wirklich streiten, aber sich über meinen Namen aufregen und dann mit so etwas ankommen. So hieß mein Ururonkel, aber kein lebender Jugendlicher!

In Grünau tickten die Uhren definitiv anders als im Rest Deutschland, ein Wunder, dass es hier Strom und fließendes Wasser gab.

„Aber eigentlich nennen wir ihn alle nur Greg, kannst auch machen, falls du ihm über den Weg läufst.“

Darauf konnte er sich verlassen. Nur musste ich erst einmal wissen, ob es Kais Bruder war, der vor mir stand und nicht sonst jemand.

„Noch irgendwelche Diskussionen über Namen?“ Als nächstes debattierten wir die Vor- und Nachteile von Ganztagsschule und die Auswirkungen des Klimawandels. Ich wollte Urlaub, verdammt noch mal, also auch Gesprächsstoff auf dem Niveau einer durchschnittlichen deutschen Talkshow.

„Nein, nicht nötig. Jetzt links abbiegen, sonst landen wir im nächsten Maisfeld.“

Gut, dass er mich vorher gewarnt hatte, sonst hätte ich ihm vorne an das Rad gebunden, damit er Navi spielen konnte und nicht vom am Gepäckträger hängen abgelenkt wurde.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir den See und verteilten unsere Taschen samt Inhalt gleich auf der kleinen Wiese daneben im Schatten. Bis jetzt waren wir fast allein, nur zwei Mädchen lagen auf der anderen Seite des Sees auf ihren Handtüchern und ließen sich brutzeln.

„Habt ihr bei euch auch einen See?“ Kai entfernte einige kleine Ästchen unter seinem Handtuch und zog sein T-Shirt aus.

„Ja, aber erstens ist der im Sommer immer überfüllt und der Eintritt kostet Geld, obwohl die sich nicht mal die Mühe machen, dort Mülleimer aufzustellen.“ Eins der vielen Dinge, die mich an unserer Stadt störten.

„Was für Deppen.“ Vorsichtig begann Kai sich mit seiner Sonnenmilch einzucremen. „Auf die Idee würde hier keiner kommen, weil der See eigentlich allen gehört.“ Angestrengt versuchte er, mit der rechten Hand das weiße Zeug auf seinem Rücken zu verteilen, ohne sich dabei die Schulter auszurenken. „Scheiße! Ich komm nicht dran. Kannst du mir vielleicht helfen?“

Da mir kein guter Grund einfiel, ihm diese Bitte nicht zu erfüllen und er mir außerdem dann ebenfalls helfen könnte, nickte ich zustimmend, setzte mich hinter Kai und verrieb die Sonnenmilch auf seinem Rücken. Die Sonnenbadmädchen warfen uns einige schräge Blicke zu, aber da ich selbst wusste, dass Kai ansonsten eine neue Hautfarbe bekam, hörte ich nicht auf. Typisch Leute vom Land, mussten immer glotzen, als wäre man ein Alien.

Na gut, vielleicht taten das nicht alle, aber viele.

„Danke.“ Kai drehte sich zu mir um, grinste mich dankbar an und schien auf etwas zu warten. „Soll ich oder bekommst du das allein hin?“

„Sehe ich so aus?“ Bianka hätte es vielleicht geschafft, aber ich sicher nicht.

Seine Hände auf meiner nackten Haut fühlten sich seltsam an, viel rauer als die von Bianka, aber nicht so unangenehm, dass ich am liebsten geflohen wäre und die zwei auf den Handtüchern um Hilfe gebeten hätte. So verklemmt war ich dann doch nicht.

„Hast du eine Freundin?“

„Noch.“

„Aber?“

„Läuft nicht gut.“

„Und deswegen hast du dir hier eine Auszeit genommen?“ Kais Hände wanderten von meinen Schulterblättern zu meiner Wirbelsäule und wieder zurück.

„Auch, mich hat zuhause eigentlich alles angekotzt.“

„Deshalb hast du deine Großeltern gefragt, ob sie mit dir in Urlaub fahren?“

„Nein, sie haben mich gefragt, ob ich mitfahren möchte und das kam mir ziemlich gelegen.“

„Und woran liegt es?“

„Was? Mein Problem mir Bianka? Wird das jetzt Doktor Sommer auf höherem Niveau?“

„Tut mir leid, ich dachte, ich kann dir vielleicht helfen, aber wenn du nicht darüber reden willst, lassen wir es einfach und diskutieren lieber über die katholische Kirche weiter.“

„Nein, ist schon gut, aber meisten, wenn mir jemand helfen will, endet es damit, dass ich mich dauernd dumme Vorträge anhören muss, deswegen. Antrainierte Reaktion sozusagen.“ Obwohl ich ja irgendwie bezweifelte, dass jemand, der mich seit gerade mal einer halben Stunde kannte, mein kompliziertes Liebesleben anhören und dann dazu auch noch Stellung beziehen wollte.

„Ach so, kann ich verstehen.“ Kai beendete seine Tätigkeit und ging auch nicht mehr näher auf das Thema Bianka ein, weil er wohl annahm, dass ich da sowieso nicht mehr die Klappe aufbekommen hätte.

Die nächste Viertelstunde lagen wir herum, knabberten ein paar Salzstangen, die Kai aus der Vorratskammer zuhause hatte mitgehen lassen und warteten, dass die Sonnenmilch eingezogen war, ansonsten hätten wir uns die ganze Prozedur auch sparen können.

Kai konnte es kaum abwarten, endlich ins Wasser zu kommen, jedenfalls nahm ich das an, da er ungeduldig an seinen Salzstangen das Salz abkratzte und es quer über die Wiese schnipste. Vielleicht mochte er auch einfach das Salz nicht, ich kannte ihn ja noch nicht gut genug, um das beurteilen zu können.

Keinen drei Minuten später zog mich Kai auch schon mit an den Rand des Sees und ließ es sich nicht nehmen, mich ohne Vorwarnung hineinzuschubsen. Ich rächte mich, indem ich ihn einfach am Bein packte und ihn ruckartig aus dem Gleichgewicht brachte, sodass er ebenfalls schlagartig Bekanntschaft mit dem kühlen Wasser machte. Im Gegensatz zu mir schien ihm das gar nicht so viel auszumachen, plötzlich im Nassen zu sitzen, aber vielleicht war er es gewöhnt, öfter von gemeingefährlichen Bekannten in eine solche Lage gebracht zu werden.

Aus diversen Gründen ging ich nicht oft schwimmen, einerseits wegen der Abzocke in unserer sozialen Stadt, andererseits gehörte schwimmen nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich fand es nicht scheiße, aber auch nicht supertoll, es landete eher im Bereich 'kann man mal machen, aber auch lassen'.

Die Sonnenbadfraktion hatte sich in der Zwischenzeit aus dem Staub gemacht, sodass wir einigermaßen unsere Ruhe hatten und nicht mehr permanent beobachtet wurden, weil man ja irgendwelche seltsamen Dinge verpassen konnte. Manche Mädchen auf diesem Planeten würde ich wohl nie verstehen.

Mit viel Nachdruck animierte mich Kai zu einem Wettschwimmen, was er klar gewann, weil ich einfach nicht die nötige Ausdauer im Unterschied zu ihm besaß. Der Junge schien wirklich etwas sehr aktiv zu sein, er konnte im Wasser kaum eine Minute still stehen bleiben und scheuchte mich quer von eine auf die andere Seite des Sees, um angeblich zu testen, ob man wirklich nicht mehr aus mir herausholen konnte.

Warum ließ ich das eigentlich mit mir machen? Ich konnte einfach streiken und Kekse essen gehen und ihn zwingen, sich etwas zu beruhigen, da ich heute noch gar keine richtige Erholung von der Autofahrt, dem Ausräumen und dem Fahrradfahren gehabt hatte. Schwache Argumente, sogar für mich klangen sie billig.

Außerdem würde ich das sowieso nicht tun, weder die Aufzählung der Tätigkeiten noch das ungefragte Kekse essen.

Nach geschätzten zehn Minuten – im Nachhinein stellte ich fest, dass es fast zwei Stunden waren – fand auch Kai, dass es an der Zeit war, sich langsam mal auf den Rückweg zu machen, bevor irgendjemand von seinen Eltern oder meinen Großeltern dachte, wir wären im See verschollen gegangen. Außerdem bemerkte er wohl, wie ich krampfhaft versuchte, Energie zu sparen und ihm nicht zu deutlich zu zeigen, dass ich ziemlich am Ende war. Ich sollte zuhause wirklich mal mehr Sport machen als den idiotischen Schulsport und das bisschen Pseudofußball, das ich öfter mit Betti oder auch Sina spielte.

„Bist du kaputt?“, erkundigte sich Kai und hielt mir zurück an unserem Platz eine Packung Bonbons unter die Nase.

„Etwas“, räumte ich ein und verschleierte schnell ein Gähnen, indem ich mir eins der Bonbons in den Mund steckte. Schmeckte nach Kirsche, konnte mir nur recht sein. „Also komm bitte nicht au die Idee, jetzt noch eine Fahrradtour mit mir zumachen.“

„Guter Vorschlag... nein, mach ich nicht, ich will ja nicht, dass du mein Fahrrad demolierst, wenn du in den nächsten Baum fährst.“

Was eigentlich gar kein so schlechter Plan war, aber nachher müsste ich für das Rad Kohle zahlen und die gab ich dann doch lieber für andere Dinge aus.

„Mann, ich bin echt froh, dass endlich noch jemand hier ist, der den Altersdurchschnitt etwas senkt. Außer Greg und mir leben hier wirklich fast nur Leute zwischen sechzig und nicht mehr messbar und die Feriengäste sind entweder genau in demselben Alter oder Familien mit Kindern unter zehn Jahren.“

Das musste aber wirklich bescheuert sein, niemanden direkt vor der Haustür zu haben, der überhaupt im selben Jahrzehnt geboren worden war.

„Dann ist es ja gut, dass ich hier bin.“ Vielleicht war er deshalb so daran interessiert, etwas mit mir zu unternehmen: Weil sonst einfach keine Sau da war. Oder sie wohnten so weit entfernt, dass es sich gar nicht rentierte, mit dem Skateboard von hier nach dort zu kurven.

„Wie alt bist du eigentlich?“ Vom Aussehen hier schätze ich ihn auf ungefähr siebzehn, vom Verhalten etwas darunter, aber so genau wollte ich mich da nicht festlegen. ich kannte Typen, die sahen mit dreizehn aus wie achtzehn und umgekehrt.

„Rate“, lautete die geistreiche Antwort, die ich fast schon befürchtet hatte. Wieso konnten machen Leute nicht einfach ihr Alter zugeben, ohne gleich eine Quizshow dadurch zu veranstalten.

„Hm...“ Bloß nichts Falsches sagen. „Siebzehn?“ Lieber etwas mehr als zu wenig, sonst fühlten sie die meisten in ihrem Ego gekränkt. Zumindest, wenn sie unter dreißig waren.

„Noch nicht.“ Mit deutlichem Krachen biss er auf seinem Bonbon herum. „Bin vor einem Monat erst sechzehn geworden.“

„Okay.“ Vielleicht machte das ganze schwarz ihn einfach ein bisschen älter oder es lag daran, dass er einige Zentimeter größer als ich war. Da streikte auch mal der Sinn zum richtig schätzen.

„Und du bist... fünfzehn.“

Nein! Nicht noch so einer, was hatte ich denn verbrochen, um dauernd auf Niveau von Mittelstufenkindern geschätzt zu werden? Wenn das immer noch so weiter ging, wenn ich mein Abitur hätte, würde ich mit einem Schild um den Hals herumlaufen und jeden, der etwas falsches sagte, um zehn Euro erleichtern.

„Ich werde nächstes Jahr achtzehn.“ Stand zumindest in meiner Geburtsurkunde und die musste es wissen.

„Naja, knapp daneben ist auch vorbei.“ Kai ließ sich davon nicht abschrecken, wahrscheinlich war es mir peinlicher als ihm, was bei dieser Fragerunde herausgekommen war. „Willst du noch eins?“

Und noch ein Kirschbonbon wurde von mir umgebracht.

Aus Rücksicht auf mich blieben wir noch über eine halbe Stunde auf unsere Handtüchern liegen, ließen uns von der Sonne anbraten, verscheuchten komische Käfer von unserem Essen und sahen zu, wie immer mehr Menschen sich um den See und auch in unserer Nähe breit machten.

Währenddessen quetschte Kai mich weiter über mein langweiliges Leben aus. Zwar verstand ich nicht, was es ihm brachte, wenn er wusste, dass ich gerne Bananen und Nudelauflauf aß, Jungs mit rosa oder lila Klamotten am liebsten mal zu einem Styleberater geschickt hätte, die Supernanny am liebsten aus dem deutschen Fernsehprogramm gestrichen hätte und kein Haustier außer dem üblichen Kleintieren, die gerne unerlaubt ins Haus krabbelten, hatte. Allerdings standen diese Fakten nicht unter Datenschutz, also erzählte ich sie ihm bereitwillig.

Im Gegenzug erfuhr ich auch einiges über ihn, angefangen von seiner Abneigung gegen Harry Potter in jeder Form, egal ob Film, Buch oder Hörbuch, über seinen Wunsch nach einem Führerschein und natürlich auch einem eigenen Auto – wenn man mit dem Fahrrad zur Schule eine halbe Stunde brauchte und die Busverbindung für die Tonne war, konnte ich das verstehen – bis hin zu der Tatsache, dass der Junge intelligenter war als er auf den ersten Blick den Eindruck machte.

Außer, er hatte geschummelt, als er die dritte Klasse übersprungen hatte und schrieb immer bei seinen Klassenkameraden ab, um in der elften Klasse keine Arbeit unter elf Punkten gehabt zu haben, denn laut eigenen Aussagen lernte er so gut wie nie, sondern turnte lieber draußen rum und machte mit seinem Skateboard die Gegend unsicher.

Warum konnte das nicht auch bei mir so sein, da hätte ich mehr Zeit, mir Filme anzusehen und mir eine eigene Meinung darüber zu bilden.

Wahrscheinlich wären wir noch länger in unser Gespräch – oder Verhör – vertieft gewesen, das langsam den Fokus auf Schule insgesamt einlegte, als irgendjemand nicht aufpasste, seinen blöden Ball nicht festhielt und mir das Ding fast auf die Hand knallte. Genervt sah ich mich um; der Übeltäter war ein Mädchen im Fastteeniealter, die mich ansah, als wäre ich allein daran schuld, dass ihr Ball sich diese Richtung ausgesucht hätte, um zu landen. Natürlich konnte es auch sein, dass sie Kai so böse versuchte, in Grund und Boden zu sehen, jedenfalls fand ich es alles andere als höflich und bewegte auch keinen Finger, damit der Ball zurück zu seiner Besitzerin kam.

Kai übernahm das stattdessen, lächelte dem Mädchen zu und erhielt nicht einmal ein Dankeschön, als sie mit ihrem Mörderobjekt zurück zu ihrer Gruppe Freundinnen verschwand.

„Sind die hier alle so nett?“, fragte ich skeptisch mit einem Kopfnicken in Richtung Mädchen mit Ball. „Oder hab ich etwas verpasst?“

„Es sind nicht alle so“; wich Kai aus. „Sie und ich, wir kennen uns sozusagen und... naja, ist ja auch egal. Freunde werden wir nie sein können.“

Zwar interessierte es mich schon, was Kai mit jemandem zu schaffen hatte, der ungefähr in Tamaras Alter war, aber so wie er auf meine vorige Frage reagiert hatte, versuchte ich ihn erst gar nicht dazu zu bringen, mir etwas zu erzählen.

Nun schien es Kai ziemlich eilig zu haben, hier wegzukommen und da ich nicht allein zwischen unfreundlichen Mädchen und andere mir unbekannten Leuten herumliegen wollte, schloss ich mich ihm an.

Auf dem Rückweg verhielt sich Kai fast schon verdächtig still, denn er kommentierte nur einige Male meinen nicht berauschenden Fahrstil auf seinem Rad und konzentrierte sich ansonsten voll und ganz auf sein Board und die Straße.

Vor dem wunderbar blauen Haus übergab ich ihm sein Fahrrad und lief den Rest zu Fuß, so weit war es schließlich nicht. Außerdem musste Kai so nicht noch einmal hin und her laufen, um Skateboard und Fahrrad zu verstauen, da beides gleichzeitig nicht so optimal zu transportieren ging.

Meine Großeltern hatten ihre Chillstunde beendet und warteten eigentlich nur noch, dass ich endlich aufkreuzte, damit wir zusammen einkaufen gehen konnte. Am liebsten hätte ich mich darum gedrückt und stattdessen in meinem Zimmer eine Runde gepennt, aber da sie unbedingt wollten, dass ich entschied, was es in den nächsten Tagen zu essen gab – es reichte schließlich, dass man das nicht zuhause mitbestimmen durfte –, musste ich wohl oder übel mit, obwohl ich heute schon genug von Autofahren hatte.

Die fünf Kilometer, von denen im Katalog die Rede gewesen waren, dehnten sich auf ungefähr zwanzig, was ich ziemlich unverschämt fand, immerhin wurden so die Feriengäste abgezogen. Irgendwie zumindest. Zum Glück befand sich wenigstens der Supermarkt am Anfang des Ortes, der mindestens drei- oder viermal so groß wie Grünau sein musste, was wirklich keine Kunst war.

Die Auswahl dort an Lebensmittel wirkte ziemlich beschränkt, aber wir würden es überleben, zur Not hatte ich noch meinen Vorrat an Kaugummi, mit dem ich die restlichen Tage überstehen konnte. Oder ich quartierte mich heimlich bei Kai ein und plünderte seiner Familie den Kühlschrank.

Meine Großeltern ließen es sich nicht nehmen, noch einmal ein bisschen in Burgheim oder wie Grünau in Groß sich nannte herumzuspazieren, auf der Rückfahrt verfuhren wir uns auch noch und so kamen wir erst um kurz nach fünf wieder in der Ferienwohnung an, sodass es sich nicht mehr lohnte, heute noch irgendwo hinzufahren.

„Ihr ward aber lange weg“, wunderte sich Kai, der uns zusah, wie wir die Einkäufe in die Wohnung trugen. „Was habt ihr denn gemacht?“

„Eingekauft, mehr eigentlich nicht.“ Für mehr hätte ich heute sicher auch keine Lust mehr gehabt.

„Und was macht ihr heute Abend?“

„Schlafen?“ Oder auf was wollte er hinaus?

„Und davor?“

„Weiß nicht, essen, ausruhen und dann schlafen.“ Glaubt er, wir veranstalteten heute Abend eine Party, auf die wir ihn extra nicht einluden?

„Dann hast du heute Abend theoretisch Zeit?“

Konnte Kai auch direkt sagen, auf was er hinaus wollte oder endete es wieder damit, dass ich raten durfte, bis er zufrieden war? „Ja, hab ich. Wieso? Hast du irgendetwas geplant?“

„Wir könnten uns zusammen einen Film ansehen, wenn du willst.“

Warum sagte er das nicht gleich? Wenn es um Filme ging, sagte ich nur in ganz seltenen Fällen nein und das meistens, wenn ich schon vorher wusste, dass ich den Film scheiße fand. Oder scheiße finden würde, was dann auch meistens eintrat.
 

Um sieben stand ich vor Kais Haustür und betete, dass er nicht zu den Typen gehörte, die pseudospannende Actionfilme mit dummdämlichen Sprüchen der Hauptcharaktere sammelten. Davor gruselte es mich ungefähr genauso wie vor diesen alle gleich ablaufenden Filmen für weibliche Teenies, in denen entweder, gesungen, getanzt oder beides gleichzeitig wurde.

Ansonsten würde ich wohl schnell Reißaus nehmen müssen, um mich nicht genervt mit anderen Dingen zu beschäftigen, wie zum Beispiel das Zählen der im Zimmer hängenden Poster oder das Nachfahren des Musters der Bettwäsche. Das hatte ich alles bei meiner dritten Freundin schon getan und eine Woche später hatten wir uns auch getrennt.

Nach dem dritten Klingeln wurde mir auch endlich von Kai die Tür geöffnet und er verfrachtete mich in sein Zimmer auf das ungemachte Bett. Insgesamt sah es hier aus, als hätte zumindest eine kleine Bombe eingeschlagen oder jemand Schwierigkeiten, dauerhaft Ordnung zu halten. Nicht, dass mich das störte, ich mochte chaotische Zimmer, in denen man das Gefühl hatte, dass auch tatsächlich jemand darin lebte, aber hier flog so ziemlich alles herum und zwar nicht nur auf dem Bett oder dem Schreibtisch.

Kai verschwand noch einmal kurz, um sich noch von seinem Bruder DVDs zu klauen, da er seine Auswahl ziemlich winzig fand, sodass ich mich etwas genauer umsah.

Die Poster über dem Bett und an der Tür zeigten überdurchschnittlich oft Orlando Bloom, gefolgt von irgendwelchen Bands, die mir auf Anhieb gar nichts sagten.

Auf Orli war ich nicht besonders gut zu sprechen, weil eine meiner Exfreundinnen – welche es gewesen war, wusste ich nicht mehr genau – jeden Tag pausenlos von ihm geschwätzt hatte, wie toll und gutaussehend und talentiert und noch mehr er war, sodass ich mir nur als Ersatz vorgekommen war, weil Orlando Blümchen für sie unerreichbar war. Seitdem mochte ich den Kerl nicht mehr.

Im Regal neben dem Schreibtisch standen ein paar Bücher; hauptsächlich kam im Titel irgendetwas mit 'Vampir' vor oder der Buchrücken deutete darauf hin, dass diese Viecher eine Rolle darin spielten. Ich hatte ja mit viel gerechnet, von gar keinem Buch bis Sachbücher über Chemie, aber das kam dann doch etwas unerwartet.

Auf dem Schreibtisch lagen auch noch ein paar Exemplare, dieses Mal zwei Bücher von Anthony Horowitz und eins, was mich unwillkürlich grinsen ließ.

Dass meine Freundin so etwas las, verstand ich ja, Mädchen suchten schließlich ununterbrochen nach ihrem perfekten Traumprinzen für die Ewigkeit, der ungefähr so leicht zu bekommen war wie der Weltfrieden, aber dass Kai sich damit befasste, war einfach nur schräg. Vampirfan hin oder her, aber die Bissreihe genoss man als Junge doch mit Vorsicht, sonst bekam man im Nachhinein Komplexe, weil man den Vampiren dort in tausend Jahren nicht das Wasser reichen konnte.

„Was machst du da?“ Mit drei weiteren DVDs in der Hand näherte sich Kai mir.

„Du liest dieses Twilightzeugs?“

„Ähm... das hat meine Mutter sicher hier liegen gelassen, die liest das gerne“, behauptete Kai schnell, zerrte mir das Buch aus der Hand und setzte es draußen vor die Zimmertür.

Ja nee, war klar, deswegen hatte ich das Buch auch hier in seinem Zimmer gefunden. Alle Beweise sprachen gegen ihn, aber wenn es ihm so peinlich war, zuzugeben, der Besitzer dieses Buchs zu sein...

In einer Ecke raschelte es leise und Kai fluchte leise vor sich hin. Hatten die Mäuse im Haus oder was verursachte dieses Geräusch?

Die Antwort lautete nicht Maus, sondern Hamster, der im Moment in seinem Käfig herumflitzte und dadurch Krach machte.

„Ich hab ganz vergessen, ihm etwas zu essen zu geben, deswegen nervt er jetzt“; erklärte Kai uns schüttete eine Hand voll Körner in den kleinen Napf. „Komm, Findus, friss.“

Das ließ sich der kleine, hellgraue Hamster nicht zweimal sagen, sondern begann gleich zu fressen. Interessiert sah ich ihm dabei zu. Als ich noch jünger gewesen war, hatte ich auch immer einen Hamster haben wollen, aber natürlich hatte meine Mutter etwas dagegen gehabt. Erstens wäre das Saubermachen des Käfigs wieder an ihr hängen geblieben, zweitens stand der Hamster erst dann auf, wenn ich schon ins Bett gehen sollte und drittens befürchtete sie, dass der Hamster nicht sehr lange lebte und ich dann am Boden zerstört wäre und das ganze Spiel von vorne begann.

Kai zwickte mir in die Seite und erschrocken fuhr ich auf. „Ich dachte, wir wollten einen Film sehen und keine live Tierdoku.“

„Ist ja gut.“ Man durfte ja wohl mal einen Hamster ansehen. Schnell schnappte ich mir die zur Auswahl stehenden DVDs und entschied mich für Sleepy hollow, den ich schon vor Ewigkeiten mal hatte ansehen wollte, aber nie dazu gekommen war.

Ich setzte mich zurück auf Kais Bett, machte mich dort extrem breit und wartete, dass Kai seinen kleinen Kampf mit dem DVD-Player gewann. Aus gutem Grund mochte ich die moderne Technik nicht.

„Blödes Ding“; murmelte Kai leise, als der Player endlich die DVD annahm. „Zu Weihnachten will ich einen neuen. Brauchst du Licht oder soll ich den Rollo runtermachen?“

„Mach zu.“ Sonst kam einfach kein Kinofeeling auf, wenn man im Halbdunkeln hockte oder wenn sogar die Sonne einem direkt ins Gesicht schien, was zum Glück nicht der Fall war.

Schon nach fünf Minuten bereute ich diese Entscheidung: Müde im Dunkeln auf einem ziemlich gemütlichen Bett zu liegen – Kai hatte sich auf seinem Teppich gelegt – hatte nicht unbedingt zur Folge, dass man sich besonders gut auf den Film konzentrierte. Im Gegenteil, ich musste mich richtig zwingen, mir nicht die Decke über den Kopf zu ziehen und kompromisslos einzuschlafen. Das kam dann doch etwas sehr dreist, als wäre mir das Bett im Ferienhaus zu unbequem, sodass ich mir Kais unter den Nagel riss.
 

Etwas tippte mir so lange auf die Schulter, bis ich ungnädig die Augen öffnete und mich gleich beschweren wollte, warum ich jetzt schon aufstehen sollte, bis mir einfiel, wo genau ich mich befand.

„Scheiße!“ Hastig setzte ich mich auf und wäre am liebsten im Boden versunken, obwohl Kai nicht so aussah, als nahm er es mir sehr übel, dass ich vom Film ungefähr fünf Prozent mitbekommen hatte.

„Muss ja echt langweilig für dich gewesen sein“, stichelte er frech. „Du hättest vielleicht doch lieber Findus zusehen sollen, wie er sein Wasser trinkt.

Dazu sagte ich nichts. „Wie viel Uhr ist es?“

„Kurz nach neun.“ Im Hintergrund hörte ich passend dazu den Hamster lärmen.

„Okay, dann geh ich mal lieber.“ Nicht, dass ich noch einmal Kai vor der Nase wegpennte. „Sonst machen sich meine Großeltern Sorgen.“ Was ich eigentlich weniger vermutete, da ich sie vorgewarnt hatte, es könnte spät werden.

Darüber schien Kai nicht so begeistert zu sein, aber er sah wohl ein, dass man mit mir heute nicht mehr so viel anfangen könnte.

„Wenn du morgen Zeit hast, kannst du ja vorbei kommen“, bot er mir natürlich noch schnell an.

„Kann ich machen.“ Solange wir nicht wieder abends Filme sahen, bei denen ich einschlief, hatte ich nichts dagegen.

Ich verabschiedete mich von Kai und auch von Findus, verließ mit ein paar Schwierigkeiten das Haus – zuerst fand ich die Haustür nicht und stand plötzlich in der Abstellkammer – und klopfte gegen die Terrassentür, bis meine Großeltern mich hörten und mir aufmachten.

„Ich geh pennen, Nacht!“, informierte ich sie, bevor sie auch nur fragen konnte, ob ich vielleicht wieder Hunger hatte oder wie es bei Kai gewesen war und schlüpfte an ihnen vorbei.

Gähnend schlurfte ich durch mein Zimmer, zerrte ein T-Shirt aus der Kommode, zog mich um und spielte einen Moment mit dem Gedanken, das Badezimmer großzügig zu umgehen, aber das wollte ich meinen Zähnen nicht antun.

Keine drei Minuten später lag ich in meinem riesigen Bett, hatte mich in die Decke vergraben und schlief endlich – und zwar im richtigen Bett.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Erdbeermarmelade771
2010-02-23T17:40:00+00:00 23.02.2010 18:40
die sind schon cool xD
ich mag deine FF!
aber kai tut mir echt leid mit dem kaff...=/ *kai pat*
ich hoffe du findest schnell zeit zum weiter schreiben ;)
würde mich freuen wenn du mir vielleicht eine ENS schucken könntest wegen dem neuen kapi =D
liebe grüße~
Von:  Inan
2010-02-21T12:11:34+00:00 21.02.2010 13:11
Kai ist süß~
Und dass er nicht sauer war, als Chris auf seinem Bett eingepennt ist, ist ne coole sache xD
tolliges Chap^^


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