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Der Wind in den Gassen

Arbeitstitel; ehem: Abandoned
von

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Jagd

Im Takt der prasselnden Regentropfen schlugen die Sandalen auf das Kopfsteinpflaster und mit jedem der hastigen Schritte spritzte das Wasser in alle Richtungen. Schlitternd und rutschend nahm die durchnässte Gestalt eine Kurve, raste dann die schmale Gasse zwischen den hoch aufragenden Häuserfronten entlang. Ein hektischer Blick über die Schulter zeigte, leicht verschwommen durch den Regenvorhang, die Umrisse seiner Verfolger. Das leuchtende Rot der Uniformen hob sich deutlich von den hier sonst vorherrschenden Grautönen ab und ließ seine Träger immer drohender, immer größer wirken.

Haare und Kleidung längst am Körper klebend hetzte der Junge weiter, schlängelte sich zwischen Kisten und Karren hindurch. Immer wieder wirbelte sein Kopf herum, suchte nach den Wächtern und immer wieder erschrak er, wie nahe sie waren. Er war sich sicher, dass er ihre wütend verzogenen Mienen erkennen konnte, wenn er nur genau hinsah. Doch so viel Zeit hatte er nicht.

Keuchend lief er voran, zerrte an einem Kistenstapel zu seiner Rechten und eilte weiter, hoffend, dass es etwas gebracht hatte, dass seine Verfolger wenigstens kurz aufgehalten wurden. Hinter sich hörte er das Splittern von Holz und sein längst heftig pochendes Herz machte einen hoffnungsvollen Satz. Kaum hatte er den Kopf gewandt und beinahe erleichtert aufgelacht, da war er mit den Füßen auch schon auf dem nassen Boden ausgerutscht und unsanft in einer Pfütze gelandet.

Hektisch stemmte er sich in die Höhe, kam nur mühsam schlitternd wieder in Bewegung und rannte weiter, die aufkeimenden Schmerzen in seinem Knie ignorierend. Er musste weg, sich irgendwo verstecken, bevor er seinen Vorsprung verlor. Gehetzt schweiften seine Augen über die vor ihm liegende Gasse, durch die er als nächstes eilte. Ihm war klar, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Längst war alle Atemkontrolle vergessen, Panik und Erschöpfung ließen ihn nur noch stoßweise Luft holen. Seine Schritte wurden stetig unsicherer, immer häufiger verloren seine Füße den Halt und ließen ihn taumeln.

Der Junge hetzte durch die noch menschenleeren Gassen, die Orientierung in der fremden Stadt längst verloren. Die Häuser wirkten ohnehin schon alle gleich auf ihn und der Regen verschluckte alle eventuellen Unterschiede. Dennoch glaubte er, dass die Wege wieder breiter wurden und die Häuser sich nicht mehr so dicht aneinander drängten. Näherte er sich wieder den Hauptstraßen? Als er um die nächste Ecke schlitterte, konnte er am anderen Ende der breiteren Gasse schon den allmählich beginnenden frühmorgendlichen Trubel des Marktplatzes sehen. Erleichtert hielt er darauf zu, konnte er doch in der Menge endlich untertauchen und so entwischen.

Dann sah er rote Uniformen. Sofort hatte er sich zur Seite geworfen, in einem Hauseingang Deckung gesucht und presste sich heftig atmend gegen das Holz. Ein vorsichtiger Blick zeigte ihm, dass die Wächter, die er gesehen hatte, auf dem Marktplatz an seiner Gasse vorbeigegangen waren. Doch so erleichtert er auch war, dass sie ihn nicht entdeckt hatten – er konnte nicht einfach so auf den Markt. Er würde dort sicher noch weiteren Wächtern begegnen und ihnen womöglich direkt in die Hände laufen. Aber wo sollte er sonst hin? Hektisch warf er einen Blick zurück, rechnete jeden Augenblick damit, dass seine Verfolger um die Ecke bogen.

Zitternd, unschlüssig und der Verzweiflung nahe lehnte er sich wieder gegen die Tür, versuchte, ein wenig zu Atem zu kommen und nachzudenken. Wohin nur, wohin? Er konnte nicht mehr, seine Füße waren schon fast taub und der stechende Schmerz in seinem Knie machte allmählich jeden Schritt zur Qual. Weit würde er nicht mehr kommen. Aber er wusste ja nicht einmal mehr, wohin. Schon kündigten rasche Schritte und ein harsch gerufener Befehl die ersten Wächter an.

Wohin? Panisch presste sich der Junge abermals gegen die Tür, hoffte entgegen aller Vernunft, dass die Wächter ihn nicht sehen würden. Unerträglich laut schien jedes Patschen, das die Stiefel der näher kommenden Männer auf den nassen Steinen verursachten, in seinen Ohren zu dröhnen. Gleich würden sie da sein, gleich würden sie in seine Gasse abbiegen, gleich würden sie ihn sehen. Und dann hatten sie ihn. Verzweifelt und voll Angst kniff er die Augen zusammen, stemmte seinen schmalen Körper regelrecht gegen das massive Holz, als könnte er darin versinken.

Plötzlich taumelte er mit einem Ruck tatsächlich nach hinten und knallte unsanft mit dem Rücken auf harten Boden. Verwirrt blinzelnd blickte der Junge sich um, sah die Holztür, die mit einem leisen Knarren noch weiter aufschwang und kam sofort taumelnd wieder auf die Beine. Hastig stürzte er nach vorne, drückte und schob mit aller verbliebener Kraft die Tür wieder zu und blieb dann zitternd dagegen gelehnt stehen. Dicht vor seiner Nasenspitze konnte er nun auch deutlich erkennen, dass das Türschloss wohl schon vor einer Weile durchgerostet war und deswegen nachgegeben hatte.

Mehr keuchend als atmend rang er nach Luft, versuchte seinen rasenden Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen, während er sich genauer umsah. Sein Blick glitt über einen rustikal eingerichteten Schankraum, der sich ihm in einem schläfrigen Dämmerlicht präsentierte. Neben dem Tresen befand sich eine Tür, auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite eine zweite. Wohin sie wohl führten? Hoffentlich boten sie ihm eine Fluchtmöglichkeit.

Langsam entfernte der Junge sich von der Wand, taumelte durch den Raum und hielt sich dabei immer wieder an Tischen und Stühlen aus dunklem, massivem Holz fest. Eine nasse Spur kennzeichnete seine Schlangenlinien, doch er bemerkte sie nicht einmal. Viel zu groß waren die Erschöpfung und die Müdigkeit, die an ihm nagten. Der Raum strahlte eine angenehme Ruhe und Wärme aus nach der hektischen Jagd durch die nassen, kalten Straßen der Stadt. Vielleicht konnte er hier einfach warten, bis die Wächter weg waren und wieder ein wenig Kraft schöpfen.

Automatisch streckte er die schmale Hand nach der nächsten Stuhllehne aus, um sich abzustützen, hielt dann aber wie vom Donner gerührt inne und starrte seine vor Blut triefenden Finger an. Dickflüssig und glänzend tropfte es von den Fingerspitzen, fühlte sich nach all der Kälte draußen erschreckend warm an. Dann, mit einem einzigen Blinzeln, war seine Hand wieder kalt und allein vom Regen nass. Ein leises Wimmern entrang sich seiner Kehle und kaum merklich begann seine Hand zu zittern.

Mit einem Ruck setzte er sich wieder in Bewegung, griff nach der Lehne und zog den Stuhl unter dem Tisch hervor. Schwer atmend ließ er sich auf die Sitzfläche fallen, die Finger beinahe krampfhaft immer noch um das massive, kalte Holz geschlossen.

Nur ganz allmählich entspannte er sich wieder und lockerte seinen Griff. Dann betrachtete er mit zusammengepressten Lippen seine Finger. Wenn er sich ein wenig konzentrierte, konnte er immer noch die klebrige, warme Flüssigkeit fühlen, die seine Hände, seine Arme, seine Kleidung benetzt hatte. Mit einem schnellen Blick nach unten stellte er fest, dass der Regen, der seine Haut längst vom Blut befreit hatte, und die bisherigen Dreckspuren die neuen Flecken in dem Dunkelbraun der Tunika bestens versteckten. Schluckend versuchte der Junge, sich nicht zu genau an die Ereignisse dieser Nacht zu erinnern, konnte aber ein leicht triumphierendes Funkeln in den Augen nicht unterdrücken.

Er hatte es geschafft! Sein erster Auftrag.

Tief durchatmend ballte der Junge beide Hände zu Fäusten und wusste nicht, ob er sich freuen sollte, oder nicht. Er hatte bis jetzt wegen der Wächter keine Zeit gehabt, überhaupt nur weiter darüber nachzudenken. Aber nun, da er hier im Warmen saß, stieg eine ungeahnte Übelkeit in ihm empor. Leise gurgelnd presste er sich eine Hand auf den Mund, die andere auf den Bauch und krümmte sich zusammen, gegen den plötzlichen Würgereflex ankämpfend.

Auch als es nachgelassen hatte, saß der Junge noch unverändert verkrampft da, zitterte am ganzen Leib und schluckte schwer gegen den unangenehm sauren Geschmack im Mund an.

„Geschafft!“ Wie eine Beschwörung hauchte er dieses Wort immer und immer wieder heiser vor sich hin, während sein Blick unruhig über den abgetretenen Fußboden glitt. Geschafft... ein lautes Pochen ließ ihn erschrocken zusammenfahren.

„Aufmachen, im Namen der Stadtwache!“, tönte es durch die Tür herein.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Junge das dunkle Holz an und wurde sich mit einem Schlag wieder bewusst, dass er noch längst nicht in Sicherheit war. Er selbst war hier ohne weiteres einfach so hereingekommen und außer ihren Vorschriften hielt diese Männer dort draußen nichts davon ab, es ebenso zu tun.

Andere Geräusche ließen ihn erneut aufschrecken – Schritte stiegen über eine knarzende Holztreppe und näherten sich. Er brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass sie von der Tür neben dem Tresen kamen, war dann mit einem Satz auf den Beinen und wirbelte ohne weiter nachzudenken in die einzig mögliche Richtung. Die Tür auf der anderen Seite war unverschlossen und der Junge riss sie förmlich auf, stürmte in die Dunkelheit dahinter und ließ sie dabei hastig ins Schloss fallen. Unbehaglich lauschte er dem dumpfen Knallen, das das Schließen verursacht hatte und hoffte, dass es unbemerkt geblieben war. Im Schankraum hörte er derweil eine Tür aufgehen und schwere Schritte durch das Zimmer stapfen. Dann öffnete jemand den Wächtern.

Erstarrt und mit vor Angst geweiteten Augen lauschte der Junge in die Dunkelheit, während sich stetig Tropfen von ihm lösten und kaum hörbar auf dem Boden auftrafen.

„Himmel, was gibt es denn so früh am Morgen?“, erkundigte sich eine dunkle, verschlafen wirkende Stimme.

„Guten Morgen. Wir sind auf der Suche nach einem Jungen, etwa so groß, mit braunen Haaren. Vielleicht dreizehn Jahre alt. Er muss hier vorbei gekommen sein.“

„Ja und? Was hab ich damit zu tun?“

„Wir müssen sichergehen, dass er sich nicht bei Euch versteckt hält.“

Weiter hörte der Junge gar nicht mehr zu, schob sich, an der Wand entlang tastend, von der Tür weg und hoffte inständig, dass es hier einen zweiten Ausgang gab. Doch nach wenigen Schritten schon sank seine Hoffnung: Hier führte bloß eine Treppe nach unten in den Keller. Mit pochendem Herzen stand er am oberen Absatz und starrte verzweifelt in die Finsternis. Dort unten saß er in der Falle! Aber vielleicht fand er ein geeignetes Versteck...

So schnell es ging tastete er sich weiter nach unten. Seine Finger glitten nervös über die grob gehauene Wand, bis seine Füße die letzte Stufe erreicht hatten. Dann berührte er an der Seite das erste Fass, schob sich hastig daran entlang und rechnete jeden Augenblick damit, dass hinter ihm die Tür aufgehen würde. Er passierte ein Fass nach dem anderen, stolperte zwischendurch über einen liegen gelassenen Holzscheit und einen Strohhaufen. Dann war er am Ende der Reihe angekommen und ertastete einen kleinen Freiraum zwischen dem letzten Fass und der Wand. Würde das als Versteck ausreichen?

Müde und erschöpft krabbelte er schließlich kurzerhand hinein und ließ sich auf den harten Boden sinken. Was hatte er schon für eine andere Wahl? Er konnte nicht noch weiter nach einem Versteck suchen. Sein Körper fühlte sich so schwer und ausgelaugt an, dass er daran zweifelte, jemals wieder aufstehen zu können. Zitternd und triefend zog er die Beine an und schlang seine Arme um die Knie, während sich die Wände kalt gegen seinen Rücken und seine Seite pressten.

Wie hatte die ganze Aktion nur so schief laufen können? Er war entdeckt worden, bevor er überhaupt Gelegenheit gehabt hatte, an Rückzug auch nur zu denken. Warum hatte er nicht hören wollen und so sehr darauf bestanden, endlich alleine losziehen zu dürfen? Es war ein einziges Fiasko, wie es ihm vorausgesagt worden war. Und nun saß er hier in der Falle und konnte nur noch hoffen, dass sie ihn nicht entdecken würden. Er hatte versagt, auf ganzer Linie.

Nach einer Weile legte er den Kopf auf die Knie und biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass sie zu bluten begann. Doch trotzdem bahnte sich ein leises Schluchzen den Weg durch seine Kehle. Er hatte alles vermasselt. Es war vorbei.



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