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Papierherz

Bleistiftspuren bleiben
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Interessant, interessanter, Jannis

Für Usagi91 und Laniechan, die in letzter Zeit so fleißig alles Mögliche von mir gelesen und kommentiert haben :)

Und natürlich wieder einmal vielen Dank für all die lieben Kommentare!

Ich wünsche euch einen schönen Abend und noch frohe Rest- Ostern :)

_______________________
 

Er konnte es immer noch nicht recht fassen, dass er das wirklich tat. Marek hatte all das natürlich unglaublich komisch gefunden.

»Ich wusste doch, dass du noch mit ihm ausgehen wirst«, hatte er gesagt und genüsslich an seinem Milchshake genuckelt. Jannis hatte nicht einmal den Elan gehabt, etwas Barsches zu erwidern. Mit Kolja ins Museum zu gehen würde – hoffentlich – etwas weniger nervenaufreibend werden, als eine Familienfeier, die den ganzen Tag dauern konnte.

Am Samstagvormittag hatte er bei seinem Vater angerufen und ihm zum Geburtstag gratuliert. Sein Vater hatte diese Gelegenheit genutzt, um ihm zu verkünden, dass er es immer noch nicht gut fand, welchen Studiengang Jannis gewählt hatte, dass er keine Zukunftsperspektiven hatte und dass Erik – einer von Jannis’ Cousins – gerade ins Referendariat in der Kanzlei seines Onkels gegangen war.
 

Jannis ließ diese Vorträge immer über sich hinweg plätschern. Um alledem die Krönung aufzusetzen, hatte sein Vater ihm Glück mit ‚diesem Mädchen’ gewünscht und die Hoffnung geäußert, dass sie etwas Anständiges studierte und hübsch war und dass er dann ja vielleicht doch noch auf Enkelkinder hoffen durfte.

Spätestens an dieser Stelle war sich Jannis mehr als sicher gewesen, dass das Museumsdate sehr viel besser werden musste, als es eine Familienfeier je hätte sein können.

Enkelkinder… er konnte Kinder nicht ausstehen, genauso wenig wie die meisten anderen Menschen. Einen Teufel würde er tun und später Kinder haben.
 

Als er am Samstag schließlich um viertel vor zwei sein Mittagessen hinter sich hatte, ging er ins Schlafzimmer. Es war ziemlich egal, was er anzog. Am besten zog er sich möglichst schlampig an, damit Kolja – er konnte es immer noch nicht fassen, dass er den blöden Namen nun doch konnte! – ihn weniger spannend fand. Er öffnete seinen Kleiderschrank, zog sein ältestes Hemd und eine Jeans hervor, die am Knie ein Loch hatte. Normalerweise lief er nicht so herum und die Jeans hatte er eigentlich nur noch, falls es in seiner Wohnung etwas zu tun gab und er sich mit Sicherheit dreckig machen würde.

Ein besseres Outfit gab es also gar nicht. Er kraulte Lana und Hermes noch einmal ausgiebig und versicherte ihnen, dass er nicht lange fortbleiben würde. Vielleicht schafften sie einen Rundgang in einer halben Stunde und dann konnte Jannis sich rasch verabschieden. Das wäre wahrhaft wundervoll.
 

Auf dem Weg zu Koljas Adresse beschloss Jannis, so wenig wie möglich zu reden und so wenig wie möglich zuzuhören, damit Kolja ihn am Ende ihres Dates als langweiligsten, schrecklichsten Menschen abstempeln würde, den er je in seinem Leben getroffen hatte. Er bog in eine Straße ein, die von Reihenhäusern gesäumt wurde und nur ein Haus fiel aus dem Rahmen. Es hatte nicht so wie die anderen Häuser eine kleine Vortreppe, die hinauf zur Eingangstür führte. Der Vorgarten war größer als bei den anderen Häusern und als Jannis einen Blick auf die Hausnummer warf, stellte er fest, dass dies Koljas Haus war.

Am Gartentor hing ein gelbes Schild mit der Aufschrift: »Achtung: Wachhund!«
 

Na das fing ja wunderbar an. Er war noch nie der Hundemensch gewesen. Kaum hatte er die Hand auf die Klinke des Gartentürchens gelegt und einen winzigen Gedanken daran verschwendet, dass der wild wuchernde und blühende Garten etwas Idyllisches für sich hatte, da kam ein Hund laut bellend um die Ecke geprescht und Jannis schloss hastig das Gartentor vor sich.

Das fing ja ganz hinreißend an. Er wurde von einem kläffenden Köter angegriffen und kam gar nicht erst bis zur Haustür. Vielleicht war das ein Wink des Schicksals. Er sollte vielleicht wieder gehen…

Die Haustür öffnete sich und Jannis wollte Kolja gerade erklären, dass er eine schreckliche Hundehaarallergie hatte und das Date daher leider ausfallen müsse… aber es war gar nicht Kolja, der die Tür geöffnet hatte.
 

Ein Mann mittleren Alters mit schmutzig blonden Haaren und Grübchen in den Wangen blickte ihm interessiert entgegen. Er saß im Rollstuhl, was das Fehlen einer Treppe und eines zweiten Stockwerks erklärte. Jannis überprüfte noch einmal die Hausnummer. 23. Er war also richtig. Aber das da war definitiv nicht Kolja.

Der Hund schnüffelte am Gartentor herum, als könnte er Jannis durch die Gitterstäbe erreichen. Es war ein großer Hund mit goldfarbenem Fell. Die Augen, die eigentlich braun sein sollten, waren milchig weiß und Jannis war sich ziemlich sicher, dass dieser Hund blind war.

»Penny, komm her!«, rief der Mann und der Hund hob den Kopf, wandte sich hechelnd um und lief hinüber zur Haustür. Jannis seufzte, zögerte einen Moment und öffnete das Tor dann erneut.

Penny saß nun schwanzwedelnd und friedlich neben dem Mann im Rollstuhl, der Jannis grinsend entgegen sah.

»Du musst Jannis sein. Kolja redet schon seit Tagen nur noch von eurem Date.«

Jannis starrte ihn an. Dann spürte er, wie ihm Hitze ins Gesicht kroch. Dafür würde er Kolja den Hals umdrehen, es überall breit zu treten!

»Ja… der bin ich«, sagte er matt und schüttelte dem Fremden die Hand.

»Ich werd ihn mal suchen. Komm ruhig rein. Dürfte nicht lange dauern, bis ich ihn geholt hab, er ist der einzige in der Familie, der gehen und hören kann!«

Er lachte dröhnend über seinen eigenen Witz und rollte zurück ins Haus. Der Hund folgte ihm und Jannis schloss die Haustür hinter sich.
 

Jannis fragte sich, wo er hier eigentlich gelandet war. Ein Vater im Rollstuhl, ein blinder Hund…

Das junge Mädchen, mit dem Jannis Kolja neulich gesehen hatte, huschte durch den Flur, erblickte ihn und winkte ihm freudig zu, ehe sie in einem anderen Zimmer verschwand.

Wo war er stehen geblieben? Ein Vater im Rollstuhl, ein blinder Hund, eine taubstumme Schwester…

Jannis sah sich im Eingangsbereich um. Es war hell und schlicht eingerichtet und über einer niedrigen Kommode hing ein großes, gerahmtes Bild der Familie mitsamt Hund.

Kolja und Marit trugen weiße T-Shirts, auf denen ‚Daddy’s girl’ und ‚Daddy’s boy’ stand. Beide strahlten, ebenso wie ihr Vater, in die Kamera und selbst der Hund schien zu grinsen. Unweigerlich durchfuhr ihn der Gedanke, dass es von seiner Familie – wenn man es denn so nennen mochte – kein solches Foto gab. Er war drauf und dran gewesen, Koljas Familie als tragisch zu bezeichnen, doch zeigte ihm dieses Foto ziemlich deutlich, dass es eigentlich eine ganz normale Familie war. So wie es sein sollte.
 

»Du bist zu früh!«, riss ihn Koljas Stimme aus seinen Gedanken. Sein persönliches Unheil kam mit nassen Haaren und Zahnbürste in der Hand aus einer nun offen stehenden Tür gehastet und Jannis hob die Brauen.

»Lieber zu früh, als zu spät«, erwiderte er und fragte sich, was genau Kolja für einen Aufwand im Bad betrieb, nur weil sie ins Museum gingen.

»Du kannst dich ins Wohnzimmer setzen«, sagte Kolja, wedelte mit der Hand in die Richtung, in der sich der Eingangsbereich in ein weiteres Zimmer öffnete, und schob sich die Zahnbürste wieder in den Mund, »if komm gleif.«

Dann verschwand er eilends zurück ins Bad und Jannis ging langsam in das große, helle Zimmer, das eine Glastür direkt hinaus in den Garten hatte. Jannis ließ sich zögerlich auf das knautschige Sofa fallen.
 

Die Möbel standen ziemlich weit auseinander, vermutlich, damit der Rollstuhl zwischen ihnen hindurch passte. Draußen war angenehmes Wetter mit nur ein paar Wolken am Himmel und einem lauen Herbstwind.

»Möchtest du was trinken?«, ertönte eine Stimme hinter ihm und Jannis zuckte leicht zusammen, als Koljas Vater ins Wohnzimmer gerollt kam und ihn schmunzelnd ansah.

»Nein, danke«, sagte er. Das hier war nicht geplant gewesen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Dinge nicht nach Plan verliefen! Und jetzt lernte er auch noch Koljas komplette Familie samt Hund kennen. Wo er gerade an den Hund dachte, kam er auch schon um die Ecke.

»Sie beißt nicht«, erklärte Koljas Vater amüsiert, als er Jannis misstrauischen Blick auf den Hund bemerkte.

»Dann ist sie kein richtiger Wachhund?«, fragte Jannis verwirrt.

»Doch. Sie kann sehr unangenehm werden, wenn es zum Beispiel darum geht, auf Marit aufzupassen. Aber bisher hat sie erst einmal jemanden gebissen und der wollte tatsächlich bei uns einbrechen«, erwiderte Koljas Vater und kraulte den blinden Hund zärtlich an den Ohren.
 

Jannis hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte. Auf die Blindheit des Hundes sprechen zu kommen, schien ihm irgendwie unpassend und so schwieg er.

»Ich bin fertig!«

Kolja kam ins Wohnzimmer geschlittert, machte kurz vorm Rollstuhl seines Vaters Halt und grinste Jannis begeistert zu. Seine Haare waren mittlerweile trocken. Jannis stand auf.

»Ich wünsche euch viel Spaß«, sagte Koljas Vater grinsend. Kolja beugte sich zu ihm hinunter und nahm ihn leicht in den Schwitzkasten.

»Den zweideutigen Unterton kannst du dir sparen«, tadelte Kolja ihn lachend und sein Vater röchelte gespielt. Dann ließ Kolja ihn los, schob Jannis in Richtung Flur und schnappte sich seine Jacke von der Garderobe.

»Bis später!«

Und dann waren sie schon aus dem Haus, durch den Garten und auf die Straße getreten.
 

»Du magst keine Hunde, oder?«, erkundigte sich Kolja bestens gelaunt, während sie nebeneinander hergingen. Jannis warf ihm einen ungnädigen Seitenblick zu.

»Ich habe zwei Katzen. Die passen besser zu mir«, erwiderte er sachlich. Kolja lache leise.

»Ja, da hast du wohl Recht. Wie heißen die beiden?«, wollte er wissen.

»Lana und Hermes«, antwortete Jannis und betrachtete ausgesprochen interessiert den Gehweg vor ihm. Er musste Kolja nicht noch dazu ermutigen, ihn irgendwie anzusehen. Aber aus dem Augenwinkel sah er, dass seine ‚Sieh ihn nicht an’- Taktik nichts brachte, da Kolja ihn trotzdem von der Seite musterte. Schließlich kramte er in seiner Hosentasche herum und zog eine Schachtel Zigaretten daraus hervor.

»Stört es dich, wenn ich rauche?«

»Ja«, gab Jannis brummend zurück und schob seine Hände in die Tasche seiner zerlöcherten Jeans.

»Oh«, sagte Kolja, sah ihn einen Moment lang erstaunt an, dann schob er zu Jannis’ Überraschung die Zigarettenpackung zurück in seine Hosentasche.
 

»Wie wäre es mit einem Deal? Ich höre nach der Schachtel auf zu rauchen«, sagte Kolja gut gelaunt. Jannis wandte ihm das Gesicht zu und starrte ihn vollkommen perplex an.

»Wieso?«, fragte er verständnislos. Kolja lachte.

»Wenn ich dich irgendwann mal küssen möchte, dann soll keine Zigarette dazwischen kommen«, sagte er scheinheilig. Jannis spürte, wie er augenblicklich knallrot anlief.

»Sehr witzig!«, knurrte er ungehalten, wandte das Gesicht ab und stapfte weiter die Straße entlang.

Kolja folgte ihm grinsend.

»Das war kein Witz«, meinte er mit ruhiger Stimme. Jannis schnaubte ungehalten und fragte sich, ob er nicht besser an Ort und Stelle umkehren und nach Hause gehen sollte.

»Ach nein? Was dann?«, wollte er mürrisch wissen.

»Ich versuche zu flirten«, erklärte Kolja ihm ernsthaft. Jannis blieb stehen und funkelte ihn wütend an.
 

»Wenn du vor hast, dich den ganzen Tag über mich lustig zu machen, dann geh ich gleich wieder«, sagte er wütend. Kolja sah ernstlich überrascht aus.

»Ich mache mich nicht lustig! Freu dich, dass ich auf diese Art mit dir flirte und nicht so, wie Frauen in Nordsibirien. Die bewerfen den Mann ihrer Wahl mit Feldschnecken!«

Jannis stöhnte, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und fühlte sich für den Moment sprachlos. Wie viele von diesen sinnlosen Informationen waren in Kolja eigentlich verborgen?

»Ich hab mich noch nie mehr gefreut«, murrte Jannis sarkastisch und schwieg eisern, bis sie schließlich das historische Museum erreichten und drinnen an den Schalter im Eingangsbereich traten. Kolja drängelte sich prompt vor und zahlte für sie beide zusammen ritterliche fünf Euro, dann stapfte er Jannis gut gelaunt voran den Pfeilen nach.
 

Zu Jannis grenzenloser Überraschung konnte Kolja nicht nur sinnlose Fakten und dumme Witze spucken. Jannis hätte nicht einmal die Hälfte von dem gewusst, was Kolja ihm zu den verschiedenen Ausstellungsstücken erzählte, als wäre das sein Job. Es kam Jannis ein wenig so vor, als wäre Kolja ein historisches Lexikon. Gerade als Kolja ihm einige Informationen über die französische Revolution unterbreitete, konnte Jannis sich nicht mehr zurückhalten.

»Woher weißt du das alles?«

Kolja sah ihn erstaunt an, dann lächelte er ein wenig stolz.

»Mein Zweitfach ist Geschichte. Aber ich interessiere mich schon länger für Geschichte. War in der Schule mein Lieblingsfach.«

Kolja strahlte ihn dermaßen freudig an, als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt, als von Jannis eine – mehr oder weniger – persönliche Frage gestellt zu bekommen. Jannis verstand einfach nicht, was genau an ihm diesen komischen Kauz ständig zum Strahlen brachte. Die meisten Menschen fanden seine Gesellschaft wenig erheiternd. Und Jannis war das gerade recht. Allerdings galten für Kolja offenbar andere Regeln, als für ‚normale’ Menschen.
 

Jannis’ Vorhaben, Kolja möglichst wenig zuzuhören, war also gescheitert, weil er die Dinge, die der andere ihm erklärte, wirklich interessant fand.

Als sie den Rundgang beendet hatten, hätte Jannis das Gefühl, dass er mehr gelernt hätte, als im Geschichtsunterricht der Oberstufe.

»Und? Gehen wir noch was essen?«, fragte Kolja gut gelaunt, schob die Hände in die Hosentaschen und sah Jannis gespannt an. Jannis hatte über all diese geschichtlichen Erklärungen hinweg ganz vergessen, dass dies hier so eine Art ‚Date’ sein sollte.

»Ich hab keinen Hunger«, schwindelte er, um ein Knurren seines Magens zu übertönen. Kolja lachte. Offensichtlich hatte er das Rumoren von Jannis’ Magen gehört.

»Nur ’ne Pizza oder so was. Komm schon, danach bist du entlassen«, sagte er freundlich, zwinkerte Jannis zu, zog seine Hände wieder aus den Taschen und griff nach seinem Handgelenk.
 

Jannis starrte irritiert hinunter auf Koljas Finger, die sein Handgelenkt umfassten. Dann entzog er es ihm.

»Aber nur eine kleine«, sagte er ungnädig und ging neben Kolja her zum Ausgang des Museums. Kolja lachte erneut und spielte gedankenverloren an dem Lederarmband herum.

»Warum trägst du das immer?«, fragte Jannis ungnädig. Kolja sah ihn einen Augenblick lang erstaunt von der Seite an, dann lächelte er.

»Das gehörte meiner Ma. Ich hab’s bekommen, kurz bevor sie gestorben ist«, erklärte er dann unumwunden. Jannis hatte das Gefühl, dass seine Eingeweide sich ein wenig verkrampften. Er konnte mit Menschen einfach nicht umgehen. Kaum stellte er eine Frage, entpuppte sich die Antwort als ein Fettnäpfchen. Offensichtlich konnte Kolja seine Gedanken lesen, denn er schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht so tragisch, wie es sich anhört. Ich war sechs, als sie gestorben ist, das ist also schon ziemlich lang her«, erklärte er. Jannis nickte nur.

Es war wohl besser, wenn er keine Fragen mehr stellte. Nachher sprang er mit Anlauf noch in drei weitere Fettnäpfchen.
 

»Und, hast du dich vorhin gewundert?«, wollte Kolja wissen, während sie in eine größere Straße einbogen. Es wurde bereits dämmerig draußen. Die Straßenlaternen leuchteten, es waren immer noch viele Autos unterwegs. Jannis mochte die Innenstadt lieber, wenn nicht so viel Verkehr war.

»Worüber? Über den blinden Hund?«, fragte er ein wenig verwirrt. Kolja grinste.

»Fast blind. Aber ja, über den auch. Und darüber, dass mein Vater im Rollstuhl sitzt? Und dass meine kleine Schwester gehörlos ist?«

Jannis hob die Brauen.

»Wieso sollte mich das wundern?«, gab er zurück. Er kannte Marek, der ganz ohne Eltern im Waisenhaus aufgewachsen war. Und sich selbst. Koljas Familie schien ihm so heil zu sein, wie er es noch nie vorher kennen gelernt hatte.
 

»Na ja, viele Leute sind geschockt und finden das alles sehr tragisch«, meinte Kolja nachdenklich. Er spielte schon wieder mit seinem Lederarmband. Bei näherem Hinsehen war es tatsächlich schon ziemlich abgewetzt, so als hätte Kolja es seit Jahren nicht abgenommen.

»Wenn ihr als Familie glücklich seid, ist nichts Tragisches daran«, gab Jannis schlicht zurück. Kolja sah auf und lächelte.

»Wenn du so was sagst, hast du sicher selbst nicht die coolste Familie, oder?«, wollte er wissen. Jannis sah ihn kurz und ungnädig an. Er hatte keine große Lust, mit Kolja darüber zu reden, was in seiner Familie alles schief gelaufen war.

»Ich ziehe es vor, das, was auch immer es sein mag, nicht als Familie zu bezeichnen«, erwiderte er leise. Kolja schwieg daraufhin und sagte nichts mehr. Wenigstens etwas Taktgefühl schien er ja zu haben.
 

»Deswegen musste ich wohl auch als Ausrede für die Familienfeier herhalten, wie?«, sagte Kolja nach einer Weile schmunzelnd. Jannis grummelte ungnädig. Hätte er vor Kolja doch bloß nicht mit seiner Mutter telefoniert…

»Juristen- Familienfeiern sind anstrengend. Nicht, dass du nicht auch anstrengend wärst, aber…«

Jannis unterbrach, weil Kolja schon wieder lachte. Er antwortete nicht auf Jannis’ Beleidigung, sondern schob ihn nur in eine kleine Nebenstraße, wo ein grün-rot-weißes Schild mit der Aufschrift ‚Bella Italia’ hing.

»Meine Lieblingspizzeria«, schmachtete Kolja, zog voller Elan die Tür auf und trat ein.

Jannis folgte ihm und warf beiläufig einen Blick auf die Uhr. Er hatte Kolja um zehn vor halb drei abgeholt. Jetzt war es halb sechs. Er konnte es nicht fassen, dass er schon drei Stunden mit diesem Kasper ausgehalten hatte.
 

Ein kleiner, dicker Kellner kam auf sie zu gewackelt und strahlte ihnen entgegen.

»Buonasera«, sagte er und klopfte Kolja mehrere Male kräftig auf den Rücken. Jannis verdrehte die Augen. Na wunderbar. Kolja kannte vermutlich jeden Kellner hier und Jannis war sein offizielles ‚Date’. Er konnte sich nichts Tolleres vorstellen.

Sie wurden von dem kleinen dicken Kellner hinüber zu einem besonders lauschigen Tisch in der Ecke geführt und Jannis setzte sich widerwillig auf den Stuhl nahe der Wand.

»Hast du eine Lieblingspizza?«, erkundigte sich Kolja bei ihm und griff nach einer der Speisekarten. Jannis sah sich in dem kleinen, voll gestopften Lokal um. Die Tapeten sahen aus, als kämen sie aus den 50er- Jahren, die Möbel waren allesamt sehr rustikal und auf den Tischen standen kleine Teelichter. Im Hintergrund dudelte italienische Musik.

»Quattro Formaggio«, gab er zurück, während er das Spitzendeckchen auf dem dem Tisch betrachtete.
 

»Isst du kein Fleisch?«

»Nein.«

Kolja nahm diese neue Information scheinbar sehr gespannt auf. Es schien ganz so, als würde er jede noch so winzige Information über Jannis aufsaugen wie ein Schwamm. Jannis war sich nicht sicher, ob das gut war. Er selbst fand sich keineswegs bemerkenswert, Kolja schien da anderer Meinung zu sein.

Als der Kellner zu ihrem Tisch kam, bestellten die etwas zu trinken und ihre Pizza und Jannis schob sich etwas nervös die Brille höher auf die Nase. Im Museum hatte Kolja die ganze Zeit gesprochen, jetzt plötzlich gab es keine historischen Reliquien mehr, über die er fachsimpeln konnte. Worüber redete man mit so einem nervigen Stalker?
 

»Ich würde ja sagen, der Tag war ein voller Erfolg«, sagte Kolja gut gelaunt und fummelte erneut an seinem Armband herum.

»Wieso?«, erwiderte Jannis verwundert.

»Ich habe rausgefunden, dass alle in deiner Familie Juristen sind, dass deine Katzen Lana und Hermes heißen und dass du Vegetarier und Nichtraucher bist. Ich sammele, weißt du?«

Jannis seufzte resigniert. Er hatte es ja gewusst.

»Ich bin kein Puzzle, ok?«, brummte er und starrte hinüber zur Bar, hinter der eine junge Frau stand, die sie interessiert beobachtete.

»Stimmt. Du bist viel interessanter«, sagte Kolja strahlend und Jannis stöhnte. Wohin sollte das alles noch führen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (21)
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Von: abgemeldet
2011-03-24T22:18:17+00:00 24.03.2011 23:18
Ganz nüchtern betrachtet ist Jannis also... ungnädig. xD (ein Wort, bei dem ich mich gerade dreimal vertippt hab) Ich fand das ja bisher sehr nett, aber noch nicht wirklich aussagekräftig. Ich starte durch zum nächsten Kapitel.
Von:  Yanosuke
2010-04-26T10:22:28+00:00 26.04.2010 12:22
Hey,

auch das war wieder ein super Kapitel. Ich freu mich richtig das K. punkten konnte. Endlich konnte er Jannis mal zeigen das er was drauf hat...^^

Mal sehn ob Jannis seine Meinung noch ändern wird, ich hoffe es. Zumindest mag ich K. fröhliche und offene Art.

Das mit der Familie von ihm ist schon traurig, aber sie scheinen damit super zurecht zu kommen und sind richtig glücklich. Im Gegensatz zu Jannis Familie.

Also die die Idee mit dem Date, das Museum und das Essen...hammer. Einfach genial, aber ich bin auf die Frau gespannt. Ob das diese Jessika ist?

LG SUKE
Von:  koennte-sein
2010-04-10T12:21:22+00:00 10.04.2010 14:21
~arw~ die letzten sätze sind genial..."ich bin kein puzzel"
die familie von jannis hat ja wohl einen schaden ..und sonst bin ich zu faul meh rzu schreiben und schließe mich einfach mal Myrin an...=)
Von:  DragonSoul
2010-04-07T23:28:53+00:00 08.04.2010 01:28
Meh~ zurzeit komm ich wegen der arbeit gar nicht mehr richtig zumj lesen >_<..und somit auch nciht zum kommentieren voll fies x.x ..auch wenns was praktisches hat weil ich dann immer mehrere Kapitel aufeinmal lesen kann x`D seh ichs positiv *lol*
also kurz gesagt, weil bin viel zu müde zum schreiben xD"..waren wieder zwei tolle Kapitel ;) das aus der vergangenheit so wie dieses hier. Wobei mir der teil hier noch besser gefallen hat. Wohl einfach wegen Kolja er ist eben einfach zu genial xD~ auch wenn sie sich in fast nichts nach stehen die zwei...
nja wie gesagt war wieder nen tolels Kapitel und ich freu mich shcon wenn es weiter geht =D
lg grüße Sui^^

Von:  Vampire-Hero
2010-04-07T13:19:19+00:00 07.04.2010 15:19
Wirklich ein interessantes Paaring und ein ebenso schönes Chap zu lesen Bin heute etwas schreibfaul, aber auf jedenfall freut es mich, wenn es weitergeht und da sich Jannis gegen Koljas aufdringliche Nähe nicht wirklich wehrt... nun ja, bleiben die Chancen ziemlich gut verteilt, dass einer von beiden nachgibt, und irgendwie sagt es mir, dass Kolja verdammt hartnäckig sein kann ^__^

LG
Vampire
Von:  Chino
2010-04-06T22:31:42+00:00 07.04.2010 00:31
Ich kann nicht umhin Jannis zu bemitleiden und Kolja zu bewundern xD
Verschiedener können zwei Individuen kaum sein.
Von:  Saru-Chan
2010-04-06T16:39:54+00:00 06.04.2010 18:39
Das war wiedereinmal ein super Kappi!! XD
Kolja soll mir ja nicht aufgeben... aber das wird er schon nich, der grummelige Jannis ist namlich ziemlich süß, find ich!! *strahl*
Ich bin schon gespannt und warte sehnlichts auf den ersten Kuss!
Wann ist es entlich so weit?! *seuftz*
Niedliche Familie hat Kolja übrigens!!
Du bist genial! Mach weiter so!!! *smile*
*anfeuer*
Von:  Usagi_Jigokumimi
2010-04-06T15:49:01+00:00 06.04.2010 17:49
Ahhhh... ich hab ne widmung bekommen... danke schön...*schnief*
und sorry das ich erst jetzt zum lesen gekommen bin und meine, immer unglaublich konstruktive(^^), kritik, hier lasse...Ostern ist immer ziemlich was los bei uns...-.-
Ich finde das kapi verdammt gut, obwohl ich ja hoffnung auf die rucher szene hatte... aber es ist so süß das er damit aufhören will, für jannis...tihi... das ist so süß... aber wer küsst auch schon gern einen aschenbecher ^w^
Ähm ja, das mit koljas familie ist schon krass... manche menschen müssen echt mehr abkönnen als andere...-.-
Und jannis kann sagen was er will er fängt an kolja auch zu mögen, ich bin so gespannt auf das nächste kapi...
ich hoffe du hattest schöne ostern...^_^
lg, Usagi
Von:  snowwhitedoll
2010-04-06T13:00:13+00:00 06.04.2010 15:00
Hahaha xD
Ich bleib bei K. :)
Aber trotzdem schön, dass sich Jannis jetzt doch K.s Namen merken kann.
Und ich glaub, er mag ihn ein wenig, auch wegen der Familie. Süßer Papá übrigens!

Danke für die Ens! Und den Ostergruß!
hugs
Von:  brandzess
2010-04-06T12:42:10+00:00 06.04.2010 14:42
*__* es ist toll.
Das Date ist zum schießen xD
Jannis der das ganze nur hinter sich bringen will und Kolja das komplette gegenteil^^
Aber Koljas Familie ist echt ...naja interessant, seltsam und lustig.
Freu mich auf das nächste Kapitel!


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