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Hass+Hass=Liebe?

von

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21 Jahre zuvor...

Wer hätte geahnt das ich genau jetzt eine Rückblende einfüge? XD

Allerdings hoffe ich natürlich auf eure Neugier, auch wenn es hier ausschließlich um die vermeintlich "gemeinsame" Vergangenheit von Sam und Envy handelt, obwohl ich stark behaupten würde, das Letzterer sich nicht einmal mehr an diesen Abend erinnerd. XD
 

Aber Spaß bei Seite, ich persönlich bin ein wenig selbst von mir entsetzt, weil ichvorallem im letzten Drittel ein paar Stellen habe, die ich selbst ziemlich krass finde, irgendwie...

Deswegen würde ich euch raten wenn ihr sehr empfindlich seid oder etwas Jünger lasst dieses Kapitel einfach aus.

Vielleicht übertreibe ich jetzt auch ein wenig, weil ich es vielleicht selbst einfach ein wenig erschreckend finde, aber ich finde es schlecht einschätzbar...
 

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Eigentlich war es ein Abend wie jeder andere auch.

Julianne, Sams Mutter, stand in der Küche und fing gerade an Abendessen zu kochen, während John, Sams Vater, im Wohnzimmer auf den Boden saß und mit Sams kleinen Bruder Matthew spielte.

Sam saß damals in einer selbst gebauten Bude direkt unter der Treppe von der aus er alles genau im Blick hatte.

Links seine Mutter, die gerade vor dem Herd stand und in einem großen Topf rührte.

Schon alleine am Duft konnte Sam erraten, dass sie Sams Lieblingseintopf kochte, denn sie eigentlich nur zu besonderen Anlässen machte.

Dabei wollte heute eigentlich nur Onkel Jim mit seiner neuen Freundin vorbeikommen, aber eigentlich war es Sam auch egal wieso seine Mutter diesen Eintopf machte, er freute sich irrsinnig aufs Abendessen, ihm lief praktisch schon das Wasser im Mund zusammen.

Er beobachtete noch einen Moment wie gebannt die leicht hin und her wippenden weißen Bändchen von der Kochschürze seiner Mutter, als seine Aufmerksamkeit plötzlich von einem kindlichen Quietschen zum Wohnzimmer gelenkt wurde.

Sam kicherte in seinem dunklen Versteck unter der Treppe als er sah was dort vorging.

Sein Vater krabbelte auf allen Vieren durchs Wohnzimmer, gefolgt von seinem lachenden und quietschenden acht Monate altem Brüderchen.

Sam liebte die Wärme und Idylle seiner Familie.

Seine Mami die ihn immer in den Arm nahm, seinen Vater der immer ganz viele lustige Dinge tat und sogar seinen kleinen dauernd quietschenden oder schreienden Bruder.

Manchmal durfte er sogar schon auf sein kleines Brüderchen aufpassen, was ihn immer ganz Stolz machte, weil Mami dann immer „mein Großer“ zu ihm sagte.

Eigentlich waren sie eine richtige Bilderbuchfamilie.
 

„Schatz, wann wollten Jim und Adriane denn eigentlich kommen?“, rief Julianne rüber zum Wohnzimmer.

John hielt in seiner Verfolgungsjagd mit seinem jüngeren Sohn inne und schaute auf die große Wanduhr, die über der Tür hin.

„Eigentlich wollten sie schon hier sein.“, meinte er und hob Matthew hoch.

„Aber Jim war noch nie der Pünktlichste, sie kommen bestimmt gleich, also mach dir keine Sorgen, Liebling“ meinte er und zog komische Grimassen um Matthew zum Lachen zu bringen.

„Ja, wahrscheinlich hast du Recht, John“, murmelte Julianne und ein gutmütiges Lächeln glitt über ihre Züge.

Sam liebte es wenn seine Mutter lächelte, denn es sorgte jedes Mal dafür das ihm selbst ganz warm ums Herz wurde.

Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass das nicht nur ihm so ging, denn sein Vater scherzte auch mit seiner Mutter immer viel rum.

Für einen Moment wurde das Haus nur vom Brodeln des Essens und dem Quietschen des Babys erfüllt, umrandet von dem wohligen Gefühl von Zuhause sein, als es auch schon kräftig klopfte.

John setzte den Kleinen ab und machte sich auf den Weg zur Tür, welche Sam ebenfalls sehr gut im Blick hatte.

„Na das werden sie bestimmt sein“, meinte John gut gelaunt Richtung Küche und hatte die Hand schon an der Türklinke, als Julianne in den Türrahmen der Küche trat mit einem Geschirrhandtuch in der Hand, womit sie sich gerade noch die Hände abtrocknete.

„John, warte“, meinte sie und Johns Hand verweilte ruhig auf der Klinke.

Er sah sie fragend an.

„Du solltest vorsichtiger sein, John. In letzter Zeit ist in dieser Gegend zu viel passiert“; meinte sie und presste die Lippen aufeinander.
 

Tatsächlich wurden in West City in letzter Zeit immer öfters Menschen oder ganze Familien tot in ihren Häusern aufgefunden, das veranlasste viele von ihnen zu größerer Vorsicht.

Das Militär hatte nämlich bestätigt, dass es sich um Gewaltverbrechen handelte, allerdings wurde auch Getuschelt, dass das Militär bis jetzt immer noch völlig im Dunkeln tappte.

Sie selbst äußerten sich nur sehr schwammig über das Vorankommen in diesem Fall, doch jeder der ein bisschen logischen Verstand besaß konnte sich zusammenreimen, das am Tatort keine brauchbaren Spuren zu finden waren, ansonsten wäre in diesen inzwischen schon fast zwei Monaten sicherlich wenigstens eine grobe Täterbeschreibung zusammengekommen, aber nichts.

Die meisten Leute fingen langsam an sich gegenseitig, aber vor allem dem Militär zu misstrauen, was die ganze Situation nur noch mehr verkomplizierte.
 

Ein grimmiger Ausdruck huschte über Johns Gesicht.

„Ja, du hast Recht, Schatz“, meinte er langsam und warf einen leicht besorgten Blick zurück ins Wohnzimmer auf seinen kleinen Sohn und dann hinüber zu den beiden leuchtenden Augen die zwischen zwei Treppenstufen aus der Dunkelheit von Sams Bude hervorblitzten.

Dann ging er ein Stück zurück im Flur und nahm von einem hohen Regal, unerreichbar für beide Kinder, einen kleinen Colt.

Es klopfte ein zweites Mal, diesmal ungeduldiger und John ging mit dem Colt in der Hand zurück zur Tür.

Während John mit der rechten Hand den Colt, hinterm Türrahmen versteckt hielt öffnete er mit der Linken die Haustür einen Spalt breit.

Er runzelte die Stirn.

Sein Blick traf auf intensiv violette Augen.

Er kannte den jungen Mann nicht.

„Wer sind sie? Was wollen sie?“, fragte John misstrauisch.

„Wer ich bin?“, wiederholte der Fremde die Frage belustigt.

Ein amüsiertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ach, ich bin nur so eine Art, wie sagt man doch“, meinte der Fremde grüblerisch, während alle ihn gebannt anstarrten.

„Ach ja“, sagte er dann wieder breit Grinsend.

Er sah John direkt an und seine Augen funkelten gefährlich.

„Ein Todesbote“

John und Juliannes Augen wurden groß vor Entsetzen.

Danach schien alles in Sekundenbruchteilen zu passieren.
 

Die Hand des Fremden war plötzlich blitzschnell hervorgeschossen in den schmalen Schlitz in der Tür und obwohl John sofort versuchte sie zuzuziehen, wurde sie mit einer solches Wucht aufgerissen, so dass John die Klinke aus der Hand flog.

Sofort riss er die rechte Hand mit der Waffe hoch, um auf den Fremden zu schießen, doch dieser schlug ihm mit scheinbarer Leichtigkeit die Waffe aus der Hand und schüttelte nur den Kopf.

„Einfältiger Mensch“, meinte er belustigt.

Er packte John mit der linken Hand kräftig an der linken Schulter, holte aus und durchbohrte sein Fleisch mit der flachen rechten Hand.

Ein entsetztes Röcheln entrang sich Johns Kehle, man hörte Rippen knacken, wie dünne Zweige und ein schmatzendes Geräusch , als die Hand des Fremden auf der anderen Seite von Johns Brust wieder zum Vorschein kam.

Julianne und Sam in seinem Versteck waren wie erstarrt, nicht fähig zu begreifen, was gerade passiert war.

Ganz locker zog der Fremde seinen Arm wieder aus Johns Brust und ließ den noch warmen Körper einfach zu Boden fallen.

Es mischten sich das dumpfe Geräusch eines schlaffen Körpers und der metallische Ton des Colts, die fast gleichzeitig auf dem Boden aufschlugen.

Um John bildete sich in Sekundenschnelle eine riesengroße Blutlache und er fuchtelte wild mit den Armen um sich und stieß gewürgte Geräusche hervor.

Es war ein Todeskampf den er um keinen Preis gewinnen konnte.

Zwei Sekunden später erschlaffte alles plötzlich, den Mund und die Augen noch weit aufgerissen konnte man deutlich sehen, wie das Leben langsam aus John wich, bis seine Augen grau und tot an die Decke blickten.

„Nein, das kann nicht wahr sein, nein bitte nicht John, bitte, John“, flüsterte Julianne und ihre Stimme wurde immer flehender.

Tränen standen ihr in den Augen und sie umklammerte das Geschirrhandtuch in ihren Händen so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, sie klammerte sich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsreifen.

Dann durchbrach ein herzhaftes Lachen, die noch immer fassungslose Stille.

Der fremde junge Mann hielt sich leicht den Bauch vor Lachen, der Typ der gerade ihren Mann umgebracht hatte lachte doch tatsächlich!

Julianne sah ihn fassungslos mit ihren tränenverschmierten Augen an.

Der Fremde wischte sich indessen bereits Lachtränen aus den Augen.

„Ach, es ist doch immer wieder herrlich mit anzusehen wie sehr ihr euch ans Leben klammert, obwohl ihr doch nicht viel mehr seid als lästige Schmeißfliegen, die ich mit dem allergrößten Vergnügen unter meinen Füßen zerquetsche.“ , begann der grünhaarige Fremde immer noch leicht lachend einen Monolog zu halten.

Nicht mal unbedingt für die restlichen Anwesenden dieses grausigen Theaterstückes, nein viel mehr für sich selbst, um sich selbst zu bestätigen, dass das was er hier tat genau das Richtige war.
 

Julianne hatte den Kopf gesengt, weil sie den Anblick ihres toten Mannes nicht mehr aushielt.

Sie bot ein sehr groteskes Bild, da ihr Kopf so schlaff auf ihren Brustbein lag, das es fast so aussah als hätte jemand den Faden durchgeschnitten, der ihren Kopf so lange aufrecht gehalten hatte.

Die Tränen, die sie um ihn weinte, fanden ihren Weg von ihren Augen herüber zu ihrer Nasenspitze, wo sie einen Moment verweilte, wie um Abschied zu nehmen, sich dann endgültig zu lösen und zu Boden zu fallen.

Dort schlugen sie in einem stillen Rhythmus immer wieder und wieder auf.

Platsch, Platsch, Platsch.

Einen winzigen Moment, der sich anfühlte wie eine halbe Ewigkeit hielt diese klanglose Melodie an, doch dann änderte sich ihr Takt plötzlich.

Julianne begann zu Zittern am ganzen Körper, wie von Schüttelfrost überfallen.

Ihr war kalt und heiß gleichzeitig.

Einerseits hatte ihr der grauenvolle und völlig sinnlose Tod ihres Mannes praktisch ein Stück aus ihrem Herzen herausgerissen, doch gleichzeitig stieg in ihr, mit der Wucht eines unbändigen Sturmes, das Verlangen auf sich an dem Fremden zu rächen.

Sich dafür zu rächen, das er ihr ihre große Liebe genommen hatte, dafür das er ihren Kinder ihren Vater genommen hatte, dafür das er in Sekundenbruchteilen ihre Familie kaltblütig auseinander gerissen hatte und vor allem dafür, dass er doch tatsächlich die Dreistigkeit besaß auch noch darüber zu lachen.

Deswegen fasste sie den Entschluss dieses Monster, dieses Ding zu töten!

Auch wenn es menschlich aussah, konnte Julianne doch ganz deutlich an den mordlüsternden Augen erkennen, das alle Menschlichkeit, die dieses Wesen jemals besessen hatte, bereits vor vielen Jahren gestorben ist.

Obwohl Julianne normalerweise wohl der friedfertigste Mensch dieser Welt war, wusste sie doch das sie der Welt einen Gefallen tun würde, wenn sie dieses Monster tötet.
 

„So genug des Vergnügens, zurück an die Arbeit“, meinte der Fremde und fuhr sich mit der blutverschmierten Hand über den Hals, wo das Rot des Toten ihn kennzeichnete wie ein Leuchtfeuer seiner Schuld.

Doch dann wurde der Fremde wachsam und verließ seine entspannte Haltung, denn nun starrte ihn diese Frau von rechts ihrerseits mit einem solch kalten mordlüsternden Blick an, das er ganz kribbelig wurde.

Kribbelig vor Aufregung in freudiger Erwartung, denn wenn solche normalerweise friedfertigen Menschen erst einmal den Willen entwickelten jemanden zu töten, dann machte das Ganze erst richtig Spaß.

Menschen einfach nur abzuschlachten war Sterbens langweilig, doch wenn sie alle Vorsicht wegwarfen und selbst im Todesmoment versuchten ihn umzubringen, erst dann war sein Hunger nach Unterhaltung wirklich befriedigt.

„Du wirst niemanden mehr töten, du Monster“, sagte Julianne fast beängstigend ruhig, ließ das Geschirrhandtuch, welches sie so fest umklammerte hatte los und ging festen Schrittes hinüber zu der Stelle wo der Colt gelandet war.

Während sie an der Treppe vorbei ging flüsterte Julianne leise: „Sam, mein Schatz, versteck dich weiter hinten und halt dir gleich die Ohren zu und halte die Augen geschlossen, ja?“

Sam war zu einem wimmernden, weinenden Häufchen zusammen gesunken, er hatte Angst und konnte nicht verstehen wieso dieser Fremde seinen geliebten Vater umgebracht hatte.

Doch die Trauer, der Schmerz des immensen Verlustes hatte sich schwer über die Angst, seinen natürlichen Fluchttrieb gelegt.

Das und die Hoffnung, das seine Mutter in beschützen würde, ihm sagen würde, was zu tun sei.

Als ihre Stimme zu ihm durchdrang, ergriff er diesen winzigen Strohhalm in all dem Schmerz und der Angst und klammerte sich haltsuchend daran.

Er würde genau das machen, was seine Mutter gesagt hatte.

Also rutschte er in den hintersten Winkel seiner Bude, schloss die Augen und hielt sich mit den Händen die Ohren ganz fest zu.
 

„Ach ja? Und wer bitte sollte mich davon abhalten?“, fragte der Grünhaarige bereits wieder überheblich Grinsend, die Hände locker in die Hüfte gestemmt und die Augenbrauen hochgezogen.

Julianne beugte sich hinunter zu dem Colt, riss ihn in die Höhe und drückte ab.

„Ich“, feuerte sie das Wort gleichzeitig mit der Kugel ab.

Die violetten Augen weiteten sich entsetzt.

Dann traf ihn die Kugel genau zwischen die Augen.

Die Wucht riss seinen Kopf nach hinten und dann schließlich auch seinen Körper.

Erleichterung breitete sich in Julianne aus und löste die Ketten die ihr Herz für einen Moment gefangen gehalten hatten.

Sie wollte gerade die Waffe senken, als das rechte Bein des Fremden plötzlich nach hinten schoss und den Fall im letzten Moment aufhielt.

Sein Kopf schnellte nach vorne und wieder erklang amüsiertes Gelächter.

„Kleiner Scherz am Rande“, meinte er grinsend, während ihm ein Rinnsal Blut vom Einschussloch über die Nase und anschließenden über den Mund lief.

Als das Blut seine Lippen benetzte, leckte er es sich genießerisch selbst von der Lippe, ganz natürlich, wie bei dem letzten Reste eines guten Weines.
 

Obwohl Sam sich die Hände ganz fest auf die Ohren gepresst hatte, war er natürlich trotzdem nicht in der Lage den Schuss zu überhören.

Er wartete noch einen kleinen Augenblick und öffnete dann zögerlich die Augen und nahm gleichzeitig die Hände von den Ohren.

Dann kroch er langsam, verunsichert zurück zu dem kleinen Spalt seiner Bude durch den er hinaussehen konnte.

Die Anspannung zerriss ihn dabei fast innerlich, denn gerade war es totenstill draußen, es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür was er gleich erblicken würde.

Wer hatte den Schuss abgefeuert?

Hatte die Kugel ihr Ziel gefunden oder hatte seine Mutter ihr eigenes Schicksal durch einen Fehlschuss besiegelt?

Sam betete innerlich zu Gott, dass er den Fremden gleich am Boden liegend sehen würde, denn alles andere wäre wohl der Untergang für ihn und den Rest der Familie.

Gleich würde er sehen was vor sich ging.

Gleich.

Nur noch ein paar Zentimeter.

Grausige Bilder jagten, ohne dass Sam es stoppen konnte, durch seinen Kopf.

Ein blutiges Schlachtfeld aus toten Körpern und der grünhaarige Fremde stand mitten drin.

Doch was Sam dann erblickte, wäre nicht einmal ihm mit seiner kindlichen Phantasie je in den Sinn gekommen.

Er sah seine Mutter mit schreckensgeweiteten Augen dastehen, den Colt seines Vaters in der Hand, langsam zurückweichend.

Auf der anderen Seite des Raumes sah er den Fremden stehen, noch immer grinsend, allerdings pragte genau zwischen seinen gruseligen violetten Augen ein Einschussloch einer Pistolenkugel aus der Blut rann.

Doch der Fremde stand und sah nicht im Geringsten so aus, als würde er jeden Moment an den Verletzungen, die die Kugel zweifelsfrei hinterlassen hatte, sterben.

Doch wie war das möglich?

Wieso konnte eine Pistolenkugel ihn nicht töten?

Wieso von allen Menschen auf dieser Welt, war es gerade dieses Verrückten vorbestimmt Dinge zu überleben, die einen normalen Menschen sofort getötet hätten?

Es war wie ein Unfall.

Sam und auch Julianne konnten den Blick nicht von dem Einschussloch im Kopf des Fremden nehmen.

Doch dann blinzelte Sam einmal kurz und plötzlich war das Loch verschwunden, einfach so.

Träumte er oder passierte das hier gerade wirklich?

Sam rieb sich die Augen, doch es blieb dabei.

Das Einschussloch, das er Sekunden vorher noch ganz deutlich gesehen hatte, war innerhalb eines Wimpernaufschlags spurlos verschwunden!

Aber dann konnte das alles doch nur ein schrecklicher Albtraum sein, oder?

So etwas war doch gar nicht möglich, so etwas durfte einfach nicht möglich sein!

Er würde sicherlich gleich aufwachen und feststellen das alles in Ordnung war.

Es musste einfach so sein, es musste einfach!
 

Langsam begann auch Julianne an ihrem gesunden Menschenverstand zu zweifeln.

Sie hatte doch genau gesehen wie die Pistolenkugel seinen Kopf durchbohrt hatte und auch das verspritzte Blut direkt hinter ihm, war eigentlich eine eindeutige Bestätigung dafür das sie ihn getroffen hatte.

Dennoch hatte sich das Loch einfach in Luft aufgelöst, wie von Zauberhand einfach so in Sekundenbruchteilen weggewischt.

Doch was sollte sie jetzt tun?

Wenn die einzige Waffe die sie hatte nicht funktionierte, wie sollte sie dann ihre Kinder vor diesem Wahnsinnigen beschützen?

Ihren Mann hatte sie schon an dieses Scheusal verloren, doch sie konnte nicht zulassen, dass ihm auch noch ihre Kinder zum Opfer fielen.

Sie würde ihre Kinder beschützen und wenn es das Letzte wäre, was sie tat!

Denn wenn sie bei dem Versuch starb sie zu retten und ihnen damit die Flucht aus diesem Alptraum ermöglichte wäre ihr Tod wenigstens nicht vergebens.

„Sam, schnapp dir deinen Bruder und lauf weg!“, brüllte Julianne und feuerte entschlossen weitere drei Kugeln auf den Fremden ab, die alle drei ihr Ziel an unterschiedlichen Stellen trafen.

Eine in den Kopf, eine ins Herz und noch eine in die rechte Schulter.

Auch wenn die Kugeln ihn nicht umbrachten, so wurde er doch trotzdem von der Wucht des Aufpralls jeder Kugel immer ein Stückchen mehr zurückgedrängt.

Weg von Julianne und Sam.

„Sam jetzt verschwinde endlich, na los!“, rief Julianne nochmals in Richtung des kunstvoll zusammengewürfelten Deckenhaufens.
 

Doch Sam war wie erstarrt vor Angst, die Aura die nun von dem Fremden ausging, fesselte seinen Körper und seinen Geist genau an diesem Fleck wo er gerade saß.

Seine inneren Instinkte signalisierten ihm überdeutlich, das er keinesfalls ins Visier dieses Ungetüm geraten durfte.

Er wäre wahrscheinlich bereits tot sobald er nur einen Schritt aus seinem Versteck raus gemacht hätte.

Denn obwohl die Aufmerksamkeit der mordlüsternden violetten Augen definitiv auf seiner Mutter lag, fühlte er sich dennoch von etwas beobachtete.

Von etwas das sich fast greifbar anfühlte und dafür sorgte das ihm der kalte Schweiß in Strömen über die Haut lief und ihn immer wieder frösteln ließ.

Sein Herz raste vor Angst und er wusste er konnte nicht raus gehen, doch gleichzeitig schien die Dunkelheit um ihn herum immer dichter zu werden und ihn regelrecht in sich aufzusaugen.

Er fühlte sich nicht mehr sicher, nicht in seinem Haus, nicht in seinem selbstgebauten Versteck, nicht einmal in seinem eigenen Körper!

Denn ein anderer Teil von ihm wollte fliehen, so weit weg und so schnell wie möglich.

Doch er konnte nicht, seine Beine gehorchten seinem Körper nicht.

Selbst die Aufforderung seiner Mutter, die so klar in ihm wiederklang, konnte diesen fesselnden Bann nicht von ihm nehmen, so sehr er es sich auch wünschte.

Er konnte nur hier sitzen und zusehen.

Zusehen wie sich gleich wieder etwas Schreckliches ereignen würde.

Denn während die Augen der Erwachsenen auf den jeweils anderen gerichtet waren, entdeckte Sam etwas, was in diesen ganzen Schrecknissen völlig vergessen worden war.

Seinen kleinen Bruder, Matthew.
 

Er krabbelte mit seinen großen, unwissenden Babyaugen geradewegs auf die Beine des Fremden zu!

Er hatte sie schon fast erreicht!

Was sollte Sam nur tun?

Dieses Monster würde seinen Bruder töten, wenn es ihn bemerkte, aber wie konnte er das verhindern?

Sam überlegte fieberhaft hin und her, wurde allerdings nur panischer da er sah wie sein Brüderchen dem Fremden immer näher und näher kam.

Tränen rannen ihm über sein Gesicht.

Egal was er tat, es würde nichts ändern, ihm fiel einfach nichts ein.

Aber das konnte doch nicht sein!

Irgendwas musste er doch tun können?

Aber was?

Vielleicht wenn er den Fremden zu sich hinlockte?

Aber wie sollte er das anstellen?

Doch während er noch immer panisch nachdachte, sah er schon das es bereits zu spät dafür war, denn Matthew streckte bereits seine winzige Hand nach Envys Bein aus.

„Nein, Matty, nicht!“, schrie Sam mit schriller hoher Stimme.

Das durfte einfach nicht passieren!

Doch es war bereits zu spät.

Matthew klopfte mit seinen winzigen Händen gegen die Wade des Fremden und quietschte, in einer unverständlichen Sprache, fröhlich vor sich hin.
 

Der Schrei von Sam, klang überdeutlich in Juliannes Kopf wieder.

Auch ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen und mit stumpfem Blick, glitten ihre Augen hinunter zu den Füßen des Fremden.

Wie hatte sie nur vergessen können darauf zu achten, wo Matt rumkrabbelte?

Wieso war sie nur so eine schreckliche Mutter?

Wie hatte sie es nur zulassen können, dass sie völlig in ihrer Idee von Rache versunken war, anstatt ihre Kinder in Sicherheit zu bringen?

Sie wollte sich in diesem Moment am liebsten selbst dafür ohrfeigen.

Wie hatte sie zulassen können, dass es zu einer solchen Situation kam?

In der ihr Jüngster, völlig unwissender Sohn neben dem Monster saß, welches seinen Vater umgebracht hatte.

Julianne ließ die Waffe fallen, die mit lautem Gepolter auf dem Boden landete.

Die Dämme brachen und Tränen rannen, wie Perlen, über Juliannes Gesicht.

„Bitte“, flüsterte Julianne und holte stockend Luft.

„Bitte“, flehte sie noch einmal und wurde von Schlurzen geschüttelt.
 

Der Grünhaarige drehte den Kopf zur Seite und entdeckte einen Zwerg, der fröhlich Lächelnd neben seinen Beinen saß.

Er grinste und beugte sich zu dem Baby runter und nahm es mit beiden Händen hoch.

Allerdings hielt er den kleinen Jungen ein wenig auf Abstand und betrachtete ihn.

„Na Kleiner, dir scheint das hier ja alles genauso viel Spaß zu machen wie mir, was?“, fragte er das Baby, obwohl ihm natürlich klar war, dass er das noch nicht verstand.

Dann wurde seine Aufmerksamkeit von dem Kind wieder zur Mutter gelenkt, als diese den Colt fallen gelassen hatte.

Ihr Gesicht war zu köstlich.

Die Verzweiflung in ihrem Gesicht entlockte ihm ein nur noch größeres Grinsen.

„Bitte, bitte was?“, äffte er sie in einem lächerlich, unpassenden Tonfall nach.

„Bitte, tue ihm nichts, er ist doch noch ein Kind und…ich tue auch alles…nur…“, flehte sie mit krächzender Stimme und tränenverschmierten Gesicht.

In solchen Moment wünschte sich Envy jedes Mal er hätte eine Kamera mitbenommen.

Juliannes Gesicht war eine wahrhaft wunderschöne Komposition aus Verzweiflung, Schuldgefühlen und Hoffnungslosigkeit.

Envy hätte diesen Ausdruck wirklich gerne noch länger betrachtet, denn Mütter waren wirklich das Beste, aber er wusste das die lauten Schüsse sicherlich einige Nachbarn aufgeschreckt hatte und ihm nicht mehr viel Zeit blieb.

Dennoch würde sich dieser Ausdruck in sein Gedächtnis brennen und es würde ihn noch lange nach ihrem Tod unterhalten, diese Erinnerung.

Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde noch breiter, mal sehen ob man diesen wundervollen Anblick nicht noch ein wenig versüßen konnte.

„Alles sag du, ja?“, widerholte er.

Ihre Einzige Antwort darauf war ein schweres Nicken.

„Wirf den Colt zu mir rüber“, forderte er und sah sie erwartungsvoll an.

Sie sah ihn verwirrt an, doch mit zittrigen Händen griff sie gehorsam nach dem Colt und sah ihn nochmals an.

Er hingegen hatte sich das Kind auf die Hüfte gesetzt um es mit einer Hand halten zu können und die andere auffordernd ausgestreckt.

Sie straffte sich etwas und warf ihm die Waffe zu, die er mit Leichtigkeit auffing.

„So ist es brav“, lobte er ihm sarkastischen Ton.

Dann feuerte er einen Schuss ab.

Einfach so in den leeren Raum, dennoch zuckte Julianne und auch Sam vor Schreck zusammen.
 

Was hatte er damit bezweckt?

Er klappte das Magazin der Waffe raus.

„So jetzt ist nur noch ein Schuss übrig“, begann er ihm Plauderton, drehte das Magazin kräftig, blickte Julianne an und meinte, „Zeit für ein kleines Spiel“, während er das Magazin ohne hinzusehen wieder zurückschnappen ließ.

Julianne hockte immer noch auf der Erde und verstand nicht ein bisschen worauf das ganze hinauslaufen sollte, ihr Blick hing an ihrem jüngsten Sohn und ihre Gedanken und Sorgen kreisten alleine um ihn.

Sie konnte an nichts anderes denken.

Es war alles egal, jetzt war wirklich alles egal, solange nur ihre Kinder irgendwie überlebten.

Dann flog plötzlich etwas auf sie zu und rein aus Reflex fing sie es sicher auf.

Als sie dann ihre Augen für einen Moment von ihrem Sohn nahm um zu sehen, was sie da gefangen hatte, blickte sie nur verständnislos auf.

Der Fremde hatte ihr den Colt wieder zugeworfen.

Aber was sollte sie damit?

Dieser Colt war gegen ihn doch sowieso nutzlos.
 

„Ich lasse deine Kinder am Leben, wenn du dir jetzt brav den Lauf der Waffe in den Mund steckst und genau drei Mal den Abzug betätigst. Mit etwas Glück überlebst du es vielleicht “, erklärte der Fremde gut gelaunt und schaute sie gebannt an.

Stille breitete sich im Raum aus.

Sie konnte nichts weiter tun als ihn mit großen Augen anzusehen.

War das tatsächlich sein ernst?

Sie konnte ihren Kindern damit das Leben retten, vielleicht.

Sie hatte sogar die Chance das hier zu überleben.

Es war nur eine einzige Kugel, nur Eine.

Aber was, wenn sie genau diese erwischte?

Was wäre dann mit ihren Kindern?

Sie wären alleine mit diesem Monster, ganz alleine.

„Wenn ich…“, sie schluckte schwer.

„st-sterben sollte“, entrang Julianne mühevoll ihrer staubtrockenen Kehle, „woher soll ich wissen, dass du meine Kinder wirklich am Leben lässt?“

Der Grünhaarige zuckte mit den Schultern und meinte nur leichtfertig: „Gar nicht, aber wenn du es nicht tust, dann lasse ich sie langsam und qualvoll direkt vor deinen Augen ausbluten. Deine Entscheidung…“

Julianne musste wieder schwer schluckte und der Colt in ihrer Hand fühlte sich plötzlich zehnmal so schwer an.

Ihr blieb nichts anderes übrig als ihr eigenes Leben in die Hände des Schicksals und dessen wankelmütigen Gefährten, dem Glück, zu legen.

Ihr wurde schlecht und ein eiskalter Schauer fraß sich ihren Rücken herunter.

Es bestand die Möglichkeit, sich selbst mit dieser Waffe umzubringen und ihre Kinder mit diesem Monster alleine zu lassen.

Und doch wusste sie, dass die andere Alternative, sich zu weigern, sie auf eine viel brutalere Art töten würde, als es jede Waffe auch nur annähernd vermochte.

Eigentlich hatte sie gar keine andere Wahl, aber konnte sie das?

War sie stark genug eine Waffe auf sich selbst zu richten und drei Mal den Abzug zu betätigen, obwohl sie wusste das sich noch eine Kugel in der Waffe befand?

Sie musste!

Das war sie ihren Kindern schuldig, sie war ihre Mutter, wenn sie sie nicht beschützte wer sollte es sonst tun?
 

Juliannes Hände zitterten während sie die Waffe mit beiden Händen umfasste.

Obwohl sie darum bemüht war das Zittern zu stoppen, hörte es einfach nicht auf.

Die ganze Waffe erzitterte noch stärker in ihren Händen, während sie den Lauf langsam, aber bestimmend in Richtung ihres Mundes hob.

Sie biss sich auf die Lippen und Tränen rannen aus ihren Augen.

Es fiel ihr sichtlich schwer nicht los zu Schlurzen.

Sie schluckte noch einmal schwer und versuchte ruhiger zu atmen, bevor sie zaghaft den Mund öffnete und sich den Lauf in den Mund schob.
 

Envy konnte dabei ganz deutlich sehen, dass sie sich die Lippen blutig gebissen hatte und sobald Lippe und Metall sich berührten, folgte eine Spur Rot dem Lauf der Waffe.

Sie glitt gerade über den Abzugsbogen und setzte ihren Weg fort über Juliannes zittrige Hände, dann über die innen Seite ihres Handgelenks, immer weiter abwärts, bis es schlussendlich von ihrem Ellenbogen heruntertropfte.

Envy beobachtete dieses Schauspiel wie gebannt.

Blut faszinierte ihn auf eine merkwürdige Art immer wieder.

Vielleicht vergoss er es deswegen immer wieder so gerne?

Denn welcher Anblick war schon schöner als ein ausgebluteter, völlig blasser Mensch, der umgeben war von einem Spiegel, seines eigenen weinroten Lebenssaftes?

Das war wohl auch der einzige Moment, wo Envy im Zusammenhang mit Menschen überhaupt an Schönheit denken konnte.
 

Schwer atmend legte Julianne ihren rechten Zeigefinger langsam um den Abzug, zeitgleich wurde ihr Körper immer zittriger, wie von einer unsichtbaren Hand die an ihr rüttelte, um sie zur Vernunft zu bringen.

Aber das alles hier hatte schon lange nichts mehr mit Vernunft zu tun, es ging ums nackte Überleben und die Mutterinstinkte, die Julianne geboten ihre Kinder zu beschützen.

Sie kniff die Augen fest zusammen.

„Mami nicht!“, schrie Sam rechts hinter ihr, doch genau in diesem Moment drückte Julianne ab.

Erschrocken öffnete sie die Augen und wandte den Kopf nach hinten´, wo ihr älterer Sohn gerade stolpernd, aus dem Eingang seiner Bude kam, den Arm zu ihr hin ausgestreckt.

Die Augen stark gerötet und Tränen in den Augen die während des Rennens hinter ihm herflogen, wie tausend schimmernde Perlen, doch was Julianne wirklich entsetzte waren Sams Augen, die Verzweiflung die aus ihnen sprach, brach Julianne fast das Herz.

Sam war noch so jung und doch musste er schon so etwas mit ansehen , sie wusste das es ihn sein ganzes Leben verfolgen und niemals loslassen würde.

Dieser Abend würde ihm bis ans Ende seiner Tage noch viele Alpträume und schlaflose Nächte bereiten und sie wusste nicht mal, ob sie für ihn da sein konnte.

Sie wusste nicht, ob nur irgendwer da sein würde, der an seiner Seite wäre, der ihn hielt, wenn er aus so einem Alptraum erwachen würde, der ihn in den Arm nahm und ihn beruhigte, sie wusste es einfach nicht.
 

Julianne legte die Waffe zur Seite und breitete ihre Arme für Sam aus, beide waren so unglaublich froh, dass der er erste Schuss leer war.

Doch plötzlich tauchte eine grüne Mähne in Juliannes Sichtfeld auf.

„Nein!“, schrie sie, doch der Fremde beachtete sie gar nicht.

Er tauchte unmittelbar vor Sam auf und noch bevor Sam abbremsen und zurückweichen konnte, holte Envy mit dem Fuß aus und verpasste Sam einen Tritt mitten in die Magengegend.

Der Druck beim Aufprall presste allen Sauerstoff aus Sams Lungen und ließ ihn einige Meter durch die Luft fliegen.

Panisch kniff er die Augen zusammen und machte sich mental auf den harten Aufprall gefasst, doch zu seiner Verwunderung landete er doch tatsächlich weich.

Als er verwundert die Augen wieder öffnete, war er umgeben, von den unzähligen Decken seiner nun zerstörten Bude, doch mit der Erleichterung kam ein stechender Schmerz in seiner Seite, der dafür sorgte das die Ränder seines Sichtfeldes langsam schwarz wurden.
 

„Sammy, Sammy“, rief Julianne und krabbelte auf allen Vieren in seine Richtung, doch nach zwei, drei Sekunden stellten sich ihr bereits zwei blasse, lange Beine in den Weg.

Sie blickte langsam nach oben.

Envy schüttelte den Kopf und sagte in einem belehrenden Tonfall: „Erst mal spielen wir jetzt unser kleines Spielchen zu Ende“

Dabei streichelte Envy dem Baby bewusst langsam über den winzigen Hals.

„Aber mein Sammy“, wimmerte Julianne zu seinen Füßen.

„Er wird es überleben, also hör auf zu Heulen und mach endlich weiter, bevor mir die Geduld ausgeht und mir dieses Spielchen doch zu langweilig wird“, knurrte Envy und setzte dazu wieder sein mörderisches Grinsen aus.

Julianne schluckte und rutschte langsam ohne den Deckenhaufen hinter Envy aus den Augen zu lassen, langsam zurück zu der Stelle wo sie den Colt liegen gelassen hat.

Blind tastete sie neben sich, nicht eine Sekunde konnte sie den Blick abwenden, bis ihre Hand endlich das kalte Metall spürte.

Diesmal steckte Julianne sich den Lauf fast automatisch, ohne groß darüber nachzudenken, in den Mund, denn sie war so in Sorge um das Leben ihres Sohnes, das ihr die Gefahr für ihr Eigenes gar nicht mehr so bewusst war, wie es vielleicht sollte.

Die Sekunden vergingen, Sekunden in denen keiner etwas sagte, Sekunden in denen Envy Julianne ansah und Julianne nur schweigend mit dem Lauf des Colts im Mund Richtung Treppe schaute.

Dann bewegte sich etwas in dem Haufen aus Decken, eine Hand brach darunter hervor und schaufelte mühsam mehrere Decken beiseite, dann tauchte bald eine zweite Hand auf und half ihrem Vorgänger.

Also lebte ihr Sohn.

Erleichterung durchfloss Juliannes Körper und ihr Blick heftete sich nun wieder auf den grünhaarigen Mann und diesmal waren es keine in Tränen aufgelösten, verzweifelten Augen die ihn anblickten.

Nun war Julianne erfüllt von kalter Entschlossenheit, sie würde nicht zulassen das so etwas noch mal passierte.
 

Während Sam sich weiter vorsichtig freibuddelte und Julianne Envy mit all ihrer Entschlossenheit ansah und sich ihr Blick dabei regelrecht in ihn bohrte, drückte sie das zweite Mal ab.

Eine winzige Sekunde nachdem sie abgedrückt hatte, konnte man kurz Zweifel in ihren Augen aufblitzen sehen, doch dieser verschwand sofort wieder, nachdem sie realisiert hatte, dass auch der zweite Schuss eine leere Kapsel war.

Jetzt trennte sie nur noch ein Schuss vom Tod oder aber ihrer Rettung.

Die Chance zu überleben stand hierbei vier zu eins.

Das ließ einen kleinen Hoffnungsschimmer in Julianne aufkeimen, es war nicht mehr als ein winziger Funke, doch wenn der Wind des Schicksal es so wollte, würde er ihn auf das trockene Laub wehen und ein riesiges Feuer entfachen.

Nur noch ein Schuss, nur noch ein Einziger.

Eine gewisse Spannung legte sich auf Juliannes Gemüt, das war der alles entscheidende Schuss, danach wäre Schluss, so oder so.

Juliannes Blick wurde jetzt wieder weicher und sie sah Matthew an und blieb einen Moment an ihm hängen, bevor ihre Augen weiter wanderten zu dem Deckenhaufen aus dem gerade das schmerzverzerrte Gesicht von Sam auftauchte, er hielt sich scheinbar die Seite, aber soweit Julianne es beurteilen konnte war er nicht lebensbedrohlich verletzt worden.

Noch einmal durchflutete Julianne eine Welle der Erleichterung und spülte ihre Zweifel und Sorgen einfach hinfort.

Sie schloss die Augen und rief sich eine Szene vor die Augen einige Stunden vor all diesen Schrecknissen, wo John noch mit Matthew gespielt hatte und das fröhliche Quietschen ihres Jüngsten das ganze Haus erfüllt hatte und gleichzeitig hatte sie aus den Augenwinkel beobachtet wie Sam liebevoller Blick die ganze Zeit auf sie gerichtet gewesen war.

Sie rief sich all diese Wärme noch einmal ins Gedächtnis, bevor sie schließlich das letzte Mal abdrückte.
 

Als Sam sein Blick endlich wieder auf das Geschehen lenke wünschte er sich sogleich er hätte es nicht getan.

Die folgenden Bilder brannten sich für immer in seine Netzhaut und Erinnerung.

Seine Mutter auf Knien hockend, den Colt im Mund und den Abzug betätigt.

Dann hatte sie plötzlich die Augen weit aufgerissen und wie um das Entsetzten darin zu untermalen traten sie regelrecht mit hervor.

Sekundenbruchteile später schoss eine Blutfontäne aus dem Hinterkopf seiner Mutter, zusammen mit der Kugel, die sich geräuschvoll in die Wand dahinter bohrte, doch das nahm Sam gar nicht war.

Alles anderen um ihn herum wurde stumm und weiß und das Szenario vor ihm lief in Zeitlupe ab.

Plötzlich wurde es Rot, überall Rot.

Das Einzige was Sam sah, war dieses dunkelrote Blut, es war einfach überall, aber wieso?

Wieso waren die haselnussbraunen Haare seiner Mutter plötzlich so Rot und ihr Augen und ihre Haut.

Er schüttelte den Kopf heftig hin und her.

Dieses Meer aus Blut vor seinen Augen saugte ihn immer tiefer in sich auf und sein Verstand wehrte sich verzweifelt gegen die Erkenntnis was gerade gesehen war.

Ein unbändiger Schmerz stach plötzlich in seinen Kopf und sein Herz, wie als wenn ihm jemand zwei Messer genau dort in den Körper gerammt hätte.

Seine Hände verkrallten sich schmerzhafter Gewalt in seinen Haaren und wieder schüttelte er verzweifelt den Kopf, bevor er seinen Blick zur Decke richtete und den Schmerz, die Trauer und Verzweiflung zügellos zur Decke herausbrüllte.

Danach viel er zurück in die weichen Decken und alle Geräusche drängten sich mit einer Übermacht zurück in seinen Verstand.

Das Aufprallen des Colts, das dumpfe Geräusch als die Leiche seiner Mutter zu Boden kippte, das erneute grauenhaft verzerrte Gelächter dieses Monsters, das erschrockene Schreien seines Brüderchens und sein eigener Schrei der in seinen Ohren wiederhallte.
 

„Hör auf zu Schreien“, hörte er den Fremden in einiger Entfernung knurren.

Doch Matthew hörte nicht auf, ganz im Gegenteil wurde sein Geschrei fast noch lauter.

„Hör auf, verdammt!“, brüllte er fluchtend über das Geschrei des Babys hinweg.

Im nächsten Moment entfernte sich das Schreien seines Bruders ungewöhnlich schnell von ihm, dann folgte plötzlich ein ekelhaftes Knacken, das Sam zusammenzucken ließ und Sekunden später war das Babygeschrei völlig verklungen.

„Matty“, formten seine Lippen tonlos, den Namen seines Bruders.

Das gab Sam endgültig den Rest.

Er war nicht einmal mehr in der Lage Tränen zu vergießen.

Er war leer, völlig leer.

Man hatte ihm so eben alles genommen, alles was ihm je wichtig gewesen war.

Sein Heim, seine Familie, seine Gefühle und in wenigen Sekunden würde der Fremde ihm das Einzige nehmen was er noch besaß, sein eigenes Leben.

Aber machte es jetzt noch einen Unterschied, ob er ihm auch das noch nahm?

Denn was war dieses Leben schon wert ohne seine Familie, ohne seine wichtigste Existenzgrundlage, ohne ein Heim, ohne diese Wärme und Liebe?

Sam sah nur weiße Leere für seine Zukunft.

Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sein Leben verlaufen würde, sollte er wie durch ein Wunder überleben.

Der Teil der mit seiner Familie gestorben war, wollte das auch gar nicht mehr, er wollte einfach nicht ohne seine Familie weiterleben.

Lieber würde er sterben in der Hoffnung wenigstens im Tod wieder mit seiner Familie vereint zu sein.

Sam lag einfach stumm in den Decken und hörte wie die Schritte des Grünhaarigen immer näher kamen.

Er wartete, wartete auf sein Ende, seine Erlösung, sein Erwachen aus diesem Alptraum.

„Da war es nur noch Einer“, murmelte das Monster vergnügt und violette, wahnsinnige Augen schoben sich in Sams Sichtfeld.
 

Plötzlich flog die Tür mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf und eine schwarzhaarige Frau stand in der Tür, das Gesicht halb im Schatten ihrer Kapuze.

„Envy, sie haben uns bemerkt, komm!“, drängte sie samtweiche Honigstimme der Frau energisch.

„Ja ja, gleich Lust, nur noch der Eine hier“, tat er ihr Drängen mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.

„ENVY! Sie kommen jeden Moment um die Ecke. Ich verschwinde“, versuchte sie es noch einmal und war Sekunden später wieder aus der Tür verschwunden.

Envy verdrehte die Augen und wollte gerade ausholen um sein letztes Opfer auch noch zu töten, als er plötzlich Zurufe und das Getrappel von mehreren Füßen hörte.

Er erzog unwillig das Gesicht.

„Verflucht! Heute muss dein Glückstag sein, Kleiner“, fluchte er und verwandelte sich vor Sams Augen in einen blonden Soldaten, in blauer Militäruniform.

Dann verschwand er aus Sams Sichtfeld und seine Schritte entfernten sich.

Das Fußgetrappel kam immer näher, doch noch immer brachte Sam keinen einzigen Ton hervor.

„Hier her, hier her“, brüllte Jemand und als Sam den Kopf zur Seite drehte, stand dieses Monster, welches sich in einen Soldaten verwandelten hatte in der Tür und winkte anderen zu sich heran.

Sekunden später stürmten etliche blau uniformierte Männer durch die in den Angeln hängende Tür seines einstigen Heimes und blieben angesichts der Grausamkeit selbst wie erstarrt stehen.

Doch eine blonde Frau mit hochgesteckten Haaren machte ihn schnell aus und eilte auf ihn zu.

Sam, dessen Blick noch immer auf dem Wolf im Schafspelz gerichtet war, konnte beobachten wie sich der Fremde einfach vom Ort des Geschehens entfernte, ohne dass auch nur irgendjemand bewusst von ihm Notiz nahm.

Dann drängte sich eine blaue Uniform in sein Sichtfeld und füllte es schon bald zur Gänze aus.

Eine warme Frauenstimme flüsterte beruhigend: „Keine Angst, jetzt bist du in Sicherheit“

Dann umfassten ihn warme, zarte Hände und sein Bewusstsein glitt langsam ab in eine warme, gedankenlose Schwärze.
 

Dieser Abend prägte Sam gesamtes weiteres Leben.

Vor allem zog es unglaublich viele Psychologen Besuche nach sich und egal wie oft oder wem Sam diesen Abend schilderte, alle kamen sie zu dem Schluss das er eine posttraumatische Angststörung hatte, die ihn die Realität über diesen Abend abstrakt verziehen ließ.

Denn kein Einziger von ihnen zog auch nur annähernd in Betracht, das dieses Monster, den Kopfschuss tatsächlich überlebt haben könnte oder sich gar in jemand völlig anders verwandeln kann innerhalb von Sekundenbruchteilen.

Doch Sam wusste, dass das alles wirklich passiert war.

Allerdings hielt er das beharrliche Gequatsche der Psychologen bald nicht mehr aus, er ertrug es einfach nicht länger, das sie versuchten die Realität so zu verdrehen und ihm praktisch zwanghaft einprügelten, dass das alles nur durch den Schock entstanden war.

Irgendwann erzählte Sam ihnen einfach was sie hören wollten und dachte sich fortan seinen Teil, er gab ihnen Recht, offenbarte dem ein oder anderen, das ihm selbst klar geworden sei, dass das tatsächlich alles nur eine durch den Stress produzierte Phantasie sein konnte.

Nach ein paar weiteren Kontrollbesuchen wurde er dann endgültig aus der psychologischen Aufsicht und Kontrolle entlassen.

Doch er konnte nie vergessen was wirklich passiert war, deswegen begann er selbstständig Nachforschungen anzustellen.

Doch irgendwann gelangte er an einen Punkt an dem er als Zivilist nicht mehr weiterkam, was ihn schnell dazu führte beim Militär anzufangen um Einsicht in deren Akten zu bekommen.

Doch bald wurde dieser Job mehr als nur ein Weg um an Informationen zu gelangen.

Sam fand in diesem Job einen neuen Lebenssinn.

Er wollte den Leuten helfen, dafür sorgen das Niemanden etwas wie ihm je wieder passierte.

Es dauerte nicht lange bis er ins Kriminaldepartment versetzt wurde und dort an Ansehen und Respekt gewann.

Allerdings hatte er noch heute das Ziel, irgendwann denn Mörder seiner Familie zu finden und ihn dafür büßen zu lassen was er ihm, seiner Familie und wer weiß wie vielen Leuten noch angetan hatte.

Das hatte er sich selbst vor vielen Jahren geschworen und dieses Ziel nie aus den Augen gelassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-09-30T14:40:09+00:00 30.09.2012 16:40
Mh, das Kapitel war überraschend. Damit habe ich nicht gerechnet, aber du hast Envy wirklich gut rübergebracht, selbst wenn es grausam war. Naja trotz allem kann ich Envy immer noch leiden. Naja und Sam, ist halt Sam. Seine Vergangenheit ist traurig, aber deswegen wird er nicht mein Lieblinschara. Aber das muss er ja auch nicht, ich denke das ist jeden selbst überlassen. Dein Schreibstil hat sich seit dem ersten Kapitel stetig verbessert. Ich les dann mal weiter.

Lg riko-chan
Von:  Skomia
2011-12-05T14:16:59+00:00 05.12.2011 15:16
Wow... Ich bin... ehrlich überrascht, positiv überrascht, versteht sich.

Erst mochte ich Sam überhaupt nicht. Ich fand ihn unpassend und habe ihn einfach als Unsympath abgestempelt. Ich dachte , er sei nur so... na ja... so zu sagen als eingesetzte, dritte Person, ja, als eine unsympathische, aber gutmütige männliche 'mary sue' zu betrachten. Aber mir wurde nach diesem Chapter bewusst, dass ich vollkommen unrecht hatte. Ich denke sogar daran, ob ich nicht lieber Envy als Unsympath abstempeln sollte, ich meine, ein Baby umzubringen... Es ist zwar typisch Envy und alles andere wäre total OOC gewesen, aber trotzdem... Envy ist ein Arsch! Envys Gedanken und Sichtweise gegenüber den Menschen ist in diesem Kapitel super zur Schau gestellt worden! Vor allem die Metapher: 'obwohl ihr doch nicht viel mehr seid als lästige Schmeißfliegen, die ich mit dem allergrößten Vergnügen unter meinen Füßen zerquetsche' gefällt mir besonders. Sie zeigt so viel Verachten seitens Envy gegenüber den Menschen.

Was mir insgesamt an diesem Kapitel, unabhängig von Darstellung der Personen gefällt, ist dein Schreibstil. Wie man schön an dem Satz: 'Tatsächlich wurden in West City in letzter Zeit immer öfters Menschen oder ganze Familien tot in ihren Häusern aufgefunden, das veranlasste viele von ihnen zu größerer Vorsicht.' sehen kann, schreibst du an vielen Stellen in einem Erzähl-Stil. Ich persönlich finde solche immer sehr schön und zu Rückblenden passen sie besonders gut.

Je nachdem hätte ich so etwas nie in Verbindung mit Sam erwartet. Ich finde Sam sogar nach diesem Chapter sehr nachvollziehbar.
Ich glaube jetzt sogar, dass er nicht an Edward (wie erst gedacht) im sexuellem sinne interessiert ist, sondern in ihm seinen kleinen Bruder oder so sehen könnte. Insgesamt finde ich dieses Kapitel sehr gut gelungen und wieder einmal eine schriftliche Meisterleistung von dir! Ganz großes Lob!
Mir gefällt auch, dass du gegen ende noch Sams weitergehendes Leben und sein weiteren Gefühle geschildert hast. Mit dem, dass er nun anderen helfen möchte, damit diesen nicht auch so etwas passiert finde ich sehr schön.

Obwohl Sam dank diesem Kapitel kein uninteressantes Buch mit sieben Siegeln ist, kann ich Sam immer noch mit den vorherigen Chaptern in Verbindung bringen, er erscheint halt nur in einem anderen Licht, nun, da man seine tiefsten Abgründe kennt.

Ich hoffe, dass 'Hass+Hass=Liebe' bald weiter geschrieben wird^^

Lg
Skomia


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