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Moonblood

Mondkinder Teil 1
von

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„Seid ihr wirklich sicher, dass ihr das durchziehen wollt?“ Skeptisch sah Ben mir zu, während ich alles Nötige in meinen ziemlich gefetzten, kleinen Rucksack packte. „Ich meine... wohin wollt ihr denn?“

„Keine Ahnung, Zoe hat was für uns gefunden, aber Hauptsache weg hier. Ich halt es hier keine Minute länger aus bei diesen verrückten Sektenidioten.“ Wütend riss ich mein Bettlaken von der Matratze und stopfte es noch in ein freies Eckchen meines Rucksacks hinein. „Die haben doch alle einen Dachschaden, verdammte scheiße!“

„Ist ja gut, Mann, reg dich ab.“ Hannes hockte höchst interessiert auf seinem Bett, kritzelte seine Geschichtshausaufgaben auf seinen Block, betrachtete dabei das Chaos um mich herum, das ich unabsichtlich veranstaltet hatte, und schüttelte voller Unverständnis den Kopf. „Aber ihr wisst schon, dass die nach euch suchen werden? Und wenn die es nicht tun, dann eure Eltern und dann... dann hilft euch auch nicht mehr Gott.“

„Hör doch auf, wenn Gott mir hätte helfen wollen, hätte er nicht zugelassen, dass ich hier her müsste. Ist doch eine Tatsache, oder?“ Das ganze Geschwätze über Gott, Jesus und wie sie alle hießen ging mir sowieso längst auf den Senkel, hatten die Leute hier sonst keine Probleme, die sie beheben müssen?

Etwas unschlüssig zuckte Hannes mit den Schultern, warf Ben einen vielsagenden Blick zu und widmete sich wieder seinem Aufsatz, den er morgen abgeben sollte. Ich eigentlich auch. Wenn ich bis dahin noch hier geblieben wäre, aber keine Macht der Welt konnte mich zwingen, auch nur fünf Stunden länger in diesem Irrenhaus zu verbringen.

Meine Eltern würden austicken, wenn sie erfuhren, dass ihr böser Sohn aus dem strengkatholischen Internat für die Kinder der Elite getürmt war, aber das ging mir am Arsch vorbei, ihnen war es schließlich auch egal gewesen, als ich gefordert hatte, auf eine normale Schule zu gehen.

Man hatte meine Bitte abgetan mit der Aussage, ich sollte hier vor dem Bösen der Welt geschützt werden. Angeblich. Dabei brauchte ich eher Schutz vor den Freaks hier, die mich so in meiner Freiheit einengten, dass ich manchmal kurz davor gewesen war, irgendjemand eine reinzuschlagen. Nicht unbedingt meinen Zimmerbewohnern Ben und Hannes und genauso wenig Zoe, dem Rest allerdings schon.

„Und du weißt noch nicht, wo ihr hinkommt?“, fragte Ben fassungslos. „Das ist doch bescheuert! Du kannst doch nicht einfach ohne Ahnung was kommt die Schule abbrechen, weil du keinen Bock mehr auf den Schrott hier hast. Machen wir ja auch nicht.“

Da sprach wieder die Vernunft in Person, wie aufbauend.

„Kann ich wohl, ich hab meinen Realschulabschluss theoretisch in der Tasche und Abitur ist sowieso nur was für Streber wie dich.“

Genervt verdrehe er die Augen und wandte sich wieder seinem Laptop zu, den er illergalerweise hier eingeschmuggelt hatte, um nicht ganz von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Sogar jemand wie Ben musste irgendwann einmal gegen die Regeln verstoßen, die sowieso längst überholt werden müssten.

Die Schule war der reinste Knast. Man durfte nicht mit 'besonderer' Kleidung anecken, sich nicht auffällig benehmen, am besten nur einsen in jedem Fach schreiben und natürlich jeden zweiten Tag in den Gottesdienst gehen. Und außerdem jeden Tag millionenmal beten. Kein Wunder, dass ich durch diese Einrichtung so geworden war, wie ich war.

Provoziert hatte ich schon immer gerne, deshalb hockte ich ja auch schon seit drei Jahren hier fest, aber die Schulleitung hatte mich geradezu herausgefordert, mich asozial zu benehmen und die ganzen spießigen Regeln zu ignorieren.

Ben und Hannes waren auch keine unschuldigen Lämmchen, immerhin hatte ich durch sie erst gemerkt, dass ich nicht nur auf Mädchen stand, sie versteckten ihre böse Seite nur extrem gut, deswegen bekamen sie auch keinen Ärger; außerdem schrieben sie relativ gute Noten, da ließ man sogar zu, dass sie in ihrem Emostyle durch die Schule rannten.

Bei mir sah das nicht ganz so aus. Meine Noten hingen eher im mittleren Bereich ab, ich glänzte mehr durch wirklich unmögliche Aktionen, die sich entweder gegen schulisches Eigentum, die Kleiderordnung oder meine Mitschüler richtete und sah auch nicht ein, weshalb ich daran etwas ändern sollte.

Am Anfang, als ich mit vierzehn hier her geschickt worden war, hatte ich zuerst versucht, mich anzupassen, damit meine Eltern nicht dauernd nörgelten, nur wurde mir das irgendwann zu dumm, weil ich überhaupt kein Recht auf persönliche Entfaltung mehr finden konnte.

Langsam fing ich an, meine Klamotten zu verändern. Ein Loch in der Hose da, ein mit Edding beschriebener Schuh da, Zoe drehte mir irgendwann mal ein paar Glöckchen an, die ich mir um den Hals hängte, damit auch jeder Depp mitbekam, dass ich den Raum betrat.

Die Schulleitung fand das gar nicht lustig und ließ mich nachsitzen, was mir wiederrum ziemlich auf den Keks ging, weshalb ich meinen kleinen Aufstand gegen das bescheuerte System fortsetzte.

Als ich an meinem sechzehnten Geburtstag erwischt wurde, wie ich mit meiner damaligen Freundin in einem leeren Klassensaal Sex hatte, wäre ich fast rausgeworfen worden und von da an wurde wirklich jeder kleinste Fehltritt von mir bestraft.

Ich kam fünf Minuten zu spät zum Unterricht – Nachsitzen.

Ich machte eine dumme Bemerkung über die hässliche Tasche eines Lehrers – Strafarbeit.

Ich schwätzte einen Gottesdienst, um lieber eine zu rauchen – Ausgangssperre am Wochenende.

Somit kam ich zu der Überzeugung, dass ich, da ja sowieso alles, was ich tat, schlecht war, auch wirklich nur noch Chaos stiften konnte, Konsequenzen hin oder her. Und es machte verdammt viel Spaß.

Egal ob ich mir die Haare grasgrün färbte, mich von Zoe mit ihrem Make up 'verschönern' ließ oder das Kreuz in der Eingangshalle etwas aufpimpte, indem ich es mit Nieten beklebte und falsch herum wieder aufhängte, selbst wenn ich dafür wochenlang die Schule nur von innen sehen konnte, ich hatte Spaß. Sehr viel Spaß, und meine Freunde sowieso, immerhin gab es sonst nicht so viel, worüber man hier lachen konnte.

Doch vor drei Tagen hatte ich den Bogen wohl überspannt: Es stand wieder einer dieser schnarchlangweiligen Schulgottesdienst an, auf den ich nur zu gut verzichten konnte, also verzog ich mich nach draußen, um dort ungestört den bekannten Wahnsinn zu verpassen, allerdings hielt ich mich dort nicht allein auf.

Irgendein Kerl aus der Stufe unter mir hatte wohl ebenfalls null Bock auf Beten gehabt und chillte dort vor sich hin. Es kam, wie es kommen musste: Der Kerl war gerade ein kleines bisschen notgeil und da bekannt war, dass ich bei Sex nicht gerne nein sagte, egal ob männlich oder weiblich, ließ ich mich dazu überreden, ihm einen zu blasen, war ja nichts dabei.

Nur stand plötzlich einer der Aufsichtslehrer, der eigentlich im Gottesdienst hätte sein müssen, vor uns, während ich gerade dabei war, Saschas oder Fabians oder wie auch immer der Kerl hieß Wunsch nachzugehen.

Natürlich war ich der böse, ich hatte jemandem vom Gottesdienst abgehalten und auch noch sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen. Dass es ein Typ und kein Mädchen war, darüber durften sie sich nicht so laut beschweren, weil sich sonst irgendwelche Leute wegen Diskriminierung beklagt hätten, aber allein die Tatsache, dass da was gelaufen war, machte die ganze Sache so schrecklich.

Dieses Mal wollte man sich nicht mit einer Strafarbeit begnügen, hatte schon vorher nicht gewirkt. Sie verhängten für mich ein Ausgehverbot für die nächsten vier Monate, notfalls sogar 'Einzelhaft', damit ich über mein Vergehen in Ruhe nachdenken konnte und drohten mir mit vielen langen, nervigen Sitzungen beim Schulpsychologen.

Das musste ich mir nicht bieten lassen, was Zoe, meine beste Freundin genauso sah, weshalb wir zusammen von hier abhauen wollten. Am besten heute Abend, wenn alle schliefen, oder zumindest so taten als ob, da am nächsten Tag Samstag wäre und wir da noch nicht um sechs Uhr aufstehen mussten, erst um halb acht,. Vielleicht würde unsere Flucht dann nicht so schnell bemerkt werden.

„Und denkt dran: Wenn euch jemand fragt, ihr wisst von nichts, ich habe euch nichts gesagt und ihr habt auch erst morgen früh bemerkt, dass ich weg bin, verstanden?“, trichterte ich Ben und Hannes noch einmal glasklar ein, was mit einem einstimmigen Nicken quittiert wurde. Wenigstens etwas.

„Bist du sicher, dass du alles dabei hast?“ Kritisch musterte Ben mein weniges Gepäck. „Damit wirst du kaum überleben können.“

„Mehr kann ich aber nicht mitschleppen; erstens fällt das sonst auf und zweitens muss ich das auch alles tragen.“ War ja schön, wie er sich Sorgen um mich machte, nur brachte mir das leider gar nichts.

Jemand klopfte an unsere Tür und nach wenigen Sekunden stand Zoe mitten im Raum und betrachtete meinen Rucksack, der fast zu platzen drohte. „Und, bist du schon fertig oder fehlt noch was?“

„Nein, alles dabei, kann losgehen.“ Natürlich nicht sofort, bis zur Nachtruhe dauerte es noch zwei Stunden, aber theoretisch. „Hast du Marion erzählt, was wir vorhaben?“

„Natürlich nicht, bin ich irre?“ Zoe zeigte mir beleidigt einen Vogel. „Die rennt doch sofort zum nächsten Lehrer und sagt es weiter, um nachher keinen Ärger zu bekommen. Ich bin wirklich froh, wenn ich nicht mehr mit der in einem Zimmer schlafen musst.“

Da Zoe bekennend lesbisch war und es auch nicht besonders verheimlichte, hatte Marion ständig Terror deswegen veranstaltet und sogar versucht, sie aus dem Zimmer zu ekeln, bis man sie vor die Wahl gestellt hatte, mit der zickigsten hier lebenden Tussi in ein Zimmer zu verfrachten. Von da an hatte sie schön ihre Klappe gehalten und nur noch unterschwellig genervt.

„Wo wollt ihr jetzt genau hin? Vielleicht können wir euch dort dann mal besuchen, falls wir auch irgendwann uns von hier verabschieden.“ Ben sah vom Bildschirm seines Laptops auf. „Oder ist das streng geheim?“

„Nein, natürlich nicht“, seufzte Zoe und warf ihm einen Blick zu, der verriet, wie überflüssig sie diese Frage fand. „Ich schick euch dann eine SMS, wenn wir da sind, damit ihr die Lehrer nicht belügen müsst, falls sie wissen wollen, wo wir sind, okay?“

„Wie nett, dass du an uns denkst“, meinte Hannes sarkastisch. „Ob wir die Lehrer anlügen müssen oder nicht ist mir sowas von egal, wir wollen doch nur wissen, wo ihr dann seid.“

„Komm, beruhig dich mal, wir melden uns schon und lassen euch nicht allein in diesem Katastrophenbereich“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Manchmal drehte er aus mir nicht bekannten Gründen plötzlich durch, was das Zusammenleben nicht immer leicht gemacht hatte. „Zoe, du gehst am besten wieder zu deiner Lieblingszimmernachbarin, damit sie keinen Verdacht schöpft und wir benehmen uns noch eine Zeit lang unauffällig, kapiert?“ So kurz vor dem Ziel wollte ich nicht scheitern.

Zoe kam meiner Aufforderung nach und verabschiedete sich, ich kontrollierte die Unordnung um mich herum, ob ich von den Digen dort nichts brauchte, Ben hackte verbissen weiter auf seine Tastatur ein und Hannes trauerte schon unserer gemeinsamen Zeit hinterher, die in wenigen Stunden endete.

Trotzdem freute ich mich, hier wegzukommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Inan
2010-03-06T23:20:42+00:00 07.03.2010 00:20
Da wär ich aber auch abgehauen xD
Zumal das aber eine nicht ganz so spontane Entscheidung gewesen wäre, wenn ich an der stelle gewusst hätte, dass ich in was misteriöses reingerate ;D
tollig, klingt auf jeden Fall interessant^^


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