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Feuerfürst

~ Der Mythos der Ewiglebenden ~
von

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~* Prolog *~

Es hatte mit Meinungsverschiedenheiten angefangen, Kleinigkeiten, die unter Freunden öfter vorkamen. Sie hatten darüber diskutiert, kamen manchmal zu einem Ergebnis oder ließen die verschiedenen Ansichten auf sich beruhen. Man stritt sich, man versöhnte sich. Mehr und mehr Zeit verbrachten sie im Streit, machten sich gegenseitig Vorwürfe, wichen vom eigenen Standpunkt nicht ab, ließen nicht mehr mit sich reden.

Als der erste Zauber im Zorn gesprochen wurde, waren sie gleichermaßen schockiert und entsetzt. Einig, dass ihre Freundschaft zu alt und tief war, um einfach vom Tisch gefegt zu werden, trafen sie ein Übereinkommen. Sie gingen ihrer Wege, gemeinsam beschlossen, sich eines Tages wieder versöhnlich gegenüberzutreten, als jene Freunde, die sie so lange waren. Zeiten der Ruhe, des Vermissens kamen und Zeiten des Nachdenkens, für jeden. Viele Jahre zogen vorüber, in denen nur wenig voneinander zu hören war.

Schließlich trafen sie sich, mit sich selbst beschlossen, keine Urteile mehr zu fällen, keinen Streit zu suchen, nur wieder die alten Freunde zu sehen.

Welch Unmut daraus erwachsen war ...
 

Rot, golden und schwarz schimmerte seine prächtige Rüstung im Sonnenlicht, warf funkelnde Schatten auf den Boden. Detailreich war der Plattenpanzer angefertigt worden, zeigte verschlungene Muster auf jedem Metallstück. Die massigen Schulterteile in Form von Löwenköpfen waren dick genug, jeden Schwerthieb abfangen zu können, der Brustpanzer würde dem Schlag eines Drachen standhalten. Leise klirrten die Kettenhandschuhe und die vielen einzelnen schwarzen, roten und goldenen Plättchen seiner Kilt ähnlichen Beinrüstung. Die schweren schwarzen Stiefel setzten bei jedem Schritt dumpf auf.

Den schwarzen, polierten Flügelhelm ließ er mit einem dumpfen Schlag auf den Tisch fallen.

„Wie steht es?“, fragte er schroff, griff nach einem der steinernen Kelche und stürzte den Inhalt hinunter. Sofort eilte jemand herbei, ihn wieder aufzufüllen. Winzige Schweißperlen standen allen auf der Stirn. Unter dem Baldachin herrschte kühlender Schatten.

„Nicht gut, mein Fürst.“, sprach der Hauptmann gegenüber und blickte auf die Karte. „Die vordere Front hält stand, doch unsere Flanken haben erhebliche Probleme mit der Abwehr. Noch halten sie, wenn wir aber nicht bald Verstärkung hinschicken, wird die Anstrengung sie eher umbringen, als die Angreifer.“ Er zeigte mit der behandschuhten Hand auf die Karte, zog einige Linien und versetzte die daraufgestellten Figuren. „Wenn wir den Bereich um das Lager etwas ausdünnen und den Kampfkreis etwas enger ziehen, würden wir länger standhalten. Wenn unsere Aufklärungstruppen endlich ihre Versorgungslinien kappen, könnte es gut aussehen.“ Ein Stirnrunzeln legte sich auf sein Gesicht und er biss sich auf die Unterlippe.

„Was sonst noch?“, fragte der Fürst schroffer als beabsichtig. Er kannte die Lage sehr genau, wusste, wo seine Soldaten kämpften und welche Schwierigkeiten sie hatten, welche noch zu befürchten waren und er wusste, dass die Verluste noch erheblich sein würden.

Der Hauptmann wechselte einen kurzen Blick mit seinem Berater, dann blickte er am Baldachin vorbei und zeigte auf den Himmel. Als er sprach, schwang ein erhebliches Maß an Angst in seiner Stimme. „Sie nehmen uns auseinander!“, seine Stimme überschlug sich beinahe. „Selbst wenn wir allen Angriffen an den Flanken trotzen, selbst wenn wir uns dort gar nicht verteidigen müssten, werden wir verlieren. Es gibt keine Bogenschützen, die annähernd schnell und zielgenau schießen könnten, um einen von ihnen zu erwischen. Selbst Eure Zauberkundigen, mein Fürst, sind nicht stark genug. Für jeden, der vom Himmel geschossen wird, holen sie sich drei von uns. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ihr alleine hier steht.“
 

Stirnrunzelnd blickte der Fürst auf die Karte, dann auf den Himmel, sah die bedrohlichen Schatten. Er wusste, was sich hinter den schlierenden Nebeln verbarg, wusste um die Macht dort oben und um die Gefahr, in der seine ganze Armee schwebte. Entschlossen schob er die Figuren auf der Karte an andere Plätze.

„Wir werden den Kreis nicht einengen, darauf warten sie nur. Wenn die Armee an einem Ort dicht versammelt ist, löschen sie uns alle in einem Zug aus! Nein wir werden sie dort treffen, wo es ihn vernichten wird!“

Nur kurz blickte der Hauptmann auf die neuen Stellungen. „Das könnt Ihr nicht ernsthaft …“, fing er schockiert an, doch dann erkannte er den Plan. „Ich werde alles veranlassen.“, fügte er rasch nach und verschwand in Richtung der Boten.
 

„Wird das funktionieren?“, wagte der gebliebene Berater unsicher zu fragen. „Werden sie so leicht zu treffen sein?“

Es dauerte einen Moment, ehe der Fürst antwortete. „Nein.“, sagte er entschieden. „Aber es wird einen Zug in dieser Schlacht geben, den sie als siegessicher ausführen werden und das wird sein Untergang sein.“ Er trat unter dem Baldachin hervor und blickte über das Feld. Von dem kleinen Hügel aus, wo sich der Kommandotisch befand, sah er über unzählige Zelte hinweg auf das freie Schlachtfeld. Gerade noch in Sichtweite, sah er die Schemen des Waldrandes, an denen die meisten seiner Soldaten kämpften. Sie waren erbitterte Streiter, erzielten Siege und sicherten Boden, sie würden den Angreifer in den Wäldern bald endgültig besiegt haben. Dann blickte er zum Himmel, sah die Schatten hinter den Nebeln. Mit seinem Auftauchen hatte er nicht gerechnet. Mit der Wandlung des Geschehens hatte er nicht gerechnet. Es waren nicht genügend Bogenschützen und Zauberkundige anwesend, um es mit dieser Art von Angreifer aufnehmen zu können. Zwei Tage noch müssten sie durchalten, nur noch zwei Tage, bis die Verstärkung eintraf und das Blatt wenden könnte. Indes würde das Feld mit weiteren tausenden Leichen übersät sein. Regelmäßig ritt er selbst hinaus, sah nach seinen Soldaten, half ihnen und gab ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein und für eine gerechte Sache zu kämpfen. Zulange dauerte dieses Geschehen nun schon an, es musste ein Ende haben, egal welches. Dieses Ende würde er bringen.
 

Rufe wurden laut, als seine Befehle in die Tat umgesetzt wurden. Das Lager machte mobil. Er sah hunderte von roten Roben, seine Zauberkundigen, die zu ihren Pferden eilten. Soldaten griffen nach Schild und Schwert, bildeten geordnete Reihen. Lanzenreiter gesellten sich zu ihnen, schützten von vier Seiten.

Stolz sah er, wie reibungslos seine Armee funktionierte, wie Hand in Hand gearbeitet und zusammengehalten wurde.
 

Weithallende Fanfarenstöße erklangen, als sich sieben kleine Truppen in Bewegung setzten. Im Galopp hetzten sie aus dem Lager, preschten über das flache Land direkt auf das Feld hinaus und entfernten sich rasch, die wehenden Banner des Feuerfürsten über den Köpfen. Es war ihr Untergang, das wusste er. Doch diesen letzten, hohen Preis würde er zahlen, um allem ein Ende zu setzen.
 

Während die Reiterbrigade aus seinem Sichtfeld verschwand, kamen Kanoniere herbei. Ursprünglich hatte er geplant, die Wälder aus der Ferne unter Beschuss zu nehmen, niederzubrennen. Verwicklungen hatten ihn allerdings zu einem offenen Zweifrontenkampf im Gelände gezwungen. Nun würden die Waffen einem ähnlichen Zweck doch noch dienen können. Mit Hilfe von Seilen und Pferden wurden die Kanonen von ihren Untersätzen gehoben, angewinkelt und gen Himmel gerichtet im Boden verankert. Präzise wurde die Schussrichtung bestimmt, das würde die Kanone zerstören, es gab also nur einen Versuch. Mit dumpfen poltern fielen die Kugeln in die schwarzen Schlünde.

Feuerträger eilten mit glühenden Lunten herbei, als die Kanoniere ihre Arbeit beendet hatten. Auf Befehl des Kommandanten wurden die Waffen entzündet. Donnergleich dröhnte es mehrfach über die Lichtung, ließ die Erde erbeben und einige Dutzend Kanonenkugeln suchten ihr Ziel im Himmel.

Der Fürst griff nach seinem Helm und setzte ihn auf, es würde nicht lange dauern.
 

Noch während die Kanonenmeister den Schaden begutachteten, darüber stritten, welche Kanonen für einen weiteren Schuss noch zu gebrauchen waren, ertönte ein weiteres Grollen. Erschrocken, überrascht und panisch blickten sie auf das Feld. Gewaltige Explosionen aus Flammen waren in der Ferne zu sehen, wo sich die berittenen Zauberkundigen befanden, einer Flammensäule gleich, schienen sie den Himmel zu verbrennen. Höher und höher schraubten sich die todbringenden Flammen den flimmernden Nebeln entgegen.
 

„Angriff!“, schrie jemand vor ihm. Dutzende geflügelter Ungeheuer stoben aus den Wolken herab. Nahmen die Soldaten mit Pfeilen und Magie unter Beschuss. Schnell, flink und gewandt fegte sie wieder und wieder über das Lager, suchten sich mit tödlicher Präzision ihre Ziele. Die Menschen schrien, suchten nach Schutz und riefen nach ihm, doch seine Augen galten nur einem. In eine silberne Rüstung gekleidet, von Sonnenlicht erstrahlt, ritt er auf dem Rücken eines weißen Drachen und zog weite Kreise über dem Lager. Der Fürst lächelte, lange hatte er darauf gewartet, hatte geplant und überlegt, wie es anzustellen sei. Letztlich kam er zu dem einfachsten und lächerlichsten Plan, der auch funktionierte. Er lieferte eine Waffe, die dem Feind in den Wolken gefährlich werden konnte. Diese galt es im Gegenzug schnell zu beseitigen. Nun war er am Zug und hob seine Hand dem Angreifer in seiner Rüstung entgegen. Grimmig sah er, wie das Feuer um seine Hände spielte, wie es sich zusammenballte und die Luft verbrannte. Sein ganzer Zorn, sein ganzer Hass entluden sich in dem Zauber. Geballte Zauberkraft stob als hellbrennende Kugel davon, setzte Zelte in Brand, fegte Soldaten beiseite auf dem Weg zum Ziel. Mit einer hellen Explosion aus Feuer und Magie wurde der Reiter von seinem Tier gerissen und stürzte dem harten Erdboden entgegen. Das Metall der Rüstung war gegen körperliche Angriffe und leichte Magie geschaffen worden, nicht gegen diese Macht. In Augenblicken ließ die Flammenkugel das Metall schmelzen, suchte seinen Weg tiefer, brannte sich durch Fleisch und Knochen. Noch während der Krieger vom Rücken seines Tieres gen Erdboden stürzte, tauchte ein leuchtender Punkt am Himmel auf. Er konnte den Schrei dieser Kreatur förmlich hören, die Verzweiflung, Panik und Wut spüren. Alles um ihn herum schien plötzlich zu flimmern. Beißender Wind kam auf, schnitt Klingen gleich auf alles ein. Zelte wurden aus ihren Verankerungen gerissen, Soldaten von Trümmern getroffen. In einem tosenden Sturm wurde alles mitgerissen. Dann bebte die Erde, barst unter der entfesselten Macht einer anderen Magie, warf den Fürsten zurück und verschlang seine ganze Armee. Schreie hallten über das Feld, hervorgerufen durch Qualen, Schmerz und im Todeskampf.
 

Aus dem Augenwinkel sah er nur noch zwei ihm bekannte Augen, violette Augen, denen er sooft mit tiefster Ehrfurcht begegnet war, und die ihn nur noch mit Zorn und Hass ansahen.

Doch der Krieg, nach Jahrhunderten, war vorbei.

~* Chapter I *~

Es war Abend, kurz nach Sonnenuntergang. Die Nacht streckte ihre dunklen, kühlen Finger über das Land aus. Sterne erschienen am Himmelszelt und der Mond zog als scharfe, weiße Sichel seine Bahn.

Überall in der Stadt wurden Fackeln und Kohlepfannen entzündet, tauchten Geschäfte, Wege, die ganze Schlucht in ihr schummriges Licht. Dar’khar, Juwel der Wüste, wurde sie genannt. Eine Hochburg an Leben, Wissen und Handel inmitten den todbringenden endlosen Sanden. Am Tage nur eine unförmige Gestalt aus schwarzem Stein, unscheinbar, trostlos, doch bei Nacht ein glimmernder, pulsierender Ort, sichtbar bis zum Horizont.
 

Leise knisterte der Feuerkorb, spendete angenehmes Licht und wohlige Wärme in den kalten Wüstennächten. Vom Feuerschein erhellt, tanzten leuchtende Schatten über die blanken Felswände.

Abseits der Hauptwege hatten sie sich getroffen, den Massen an Händlern, Reisenden und Anwohnern aus dem Wege gehend.

Zwei Gestalten standen sich gegenüber. Eingemummt in ihre langen, dunklen Gewänder, die Gesichter tief im Schatten der Kapuzen verborgen. Es wurden nie viele Worte gemacht. Zufälle, Umwege und Schicksal hatten sie eines Tages zusammengeführt. Sie und einen, der noch fehlte, immer als letzter kam, meist als erster ging und wegen dem sie sich überhaupt trafen.

Immer wieder wurden verstohlene Blicke in alle Richtungen geworfen, sichergehend, dass sie auch alleine waren. Die Hauptwege waren in Sichtweite mit ihren Massen an Menschen, damit aber auch die Patrouillen der Stadtwache. In letzter Zeit kursierten zu viele Gerüchte über finstere Geschäfte, die Wache patrouillierte öfter, immer mindestens zu dritt, ausgerüstet mit ihren schweren Kettenpanzern und blankem Stahl. Mehr Verdächtige als sonst wurden festgenommen, wenn auch viele von jenen kurze Zeit später wieder freigelassen. Den zahlreichen Informanten der Stadt konnte man entnehmen, der Fürst selbst hätte den Befehl dazu gegeben, als wäre er auf der Suche nach bestimmten Informationen. Worüber, das wusste niemand. Es war allgemein bekannt, dass der Herr der Wüstenreiche sehr wohl wusste, was sich in seinen Landen tat.

„Er lässt sich Zeit.“ Ungeduldig und nervös trommelte er mit den Füßen. „Sonst ist er früher hier.“ Die Kapuze bewegte sich, währen er immer wieder Blicke zu den Hauptwegen warf.

Im Schatten des Feuerscheins erschien lautlos eine Gestalt, weiche Stiefelsohlen erzeugten ein kaum hörbares Geräusch auf dem Fels. Wie die anderen trug sie ein langes, dunkles Gewand, das Gesicht im Schatten verborgen. Stets stellte sie sich auch so, dass der Großteil der ganzen Person ebenfalls im tanzenden Schatten des Feuers lag. Den anderen war es unmöglich zu sagen, wie groß die Person war, ob männlich oder weiblich, alt oder jung.

„Verzeiht bitte.“, erklang die wohl vertraute, ruhige Stimme. „Ich wurde aufgehalten.“

Ein erleichtertes Aufatmen war zu hören.

„Beenden wir das hier schnell wieder.“, drängte die kleinste der Anwesenden. „Wenn ich zu spät zurück bin, wird es unangenehme Fragen geben.“ Fordernd streckte er eine Hand gen den Neuankömmling. Ein kleines, unförmiges, in Stoff gewickelte Päckchen wechselte gegen einen Beutel mit klimpernden Münzen den Besitzer. Schnell verschwand die Beute unter dem Gewand und war die Person dazu mit eiligen Schritten fort.
 

Die größere der beiden verbleibenden Personen hob den Kopf etwas. Anders als sonst war der Klang der Stimme. Nach wie vor leise und klar, doch etwas brüchiges hatte sich eingeschlichen, sie wirkte gehetzt. Mussten sie nun mehr aufpassen, als ohnehin? War ihnen jemand auf die Schliche gekommen?

Einander kannten sie nicht. Immer wurden die langen Gewänder getragen, als Schutz davor, einmal wieder erkannt zu werden. Dass ihre Treffen gegen das Gesetz waren, wussten sie. Die Strafe dafür sicher nicht gering. Umso mehr waren sich alle darüber im Klaren, welches Glück sie bisher hatten. Vielleicht ging ihr Glück nun dem Ende entgegen.

Genauso schnell wechselte das nächste Bündel den Besitzer. „Für dich, wie du es gewollt hast.“

Leise erklang das Klirren metallener Stiefel in der Nähe, bedrohlich lauter werdend.

„Wachen.“ Unüberhörbare Furcht schwang in der Stimme des Lieferanten mit. „Verschwinde! Verschwinde und gehe ihn soweit wie möglich aus dem Weg.“ Leicht schubste er den anderen fort, ließ ihm keine Zeit zum Denken oder Fragen, nicht einmal zum Atem holen, ehe er sich in die entgegengesetzte Richtung aufmachte. Genauso schnell und lautlos, wie er gekommen war, verschwand der Lieferant wieder in den Schatten der Nacht.

Verwundert sah der Größere auf die Stelle, wo der andere eben noch gestanden hat. Mit einer bestimmenden Bewegung der Hand löschte er das Feuer, sodass nur noch ein paar schwach glühende Kohlen über blieben. Er wiegte das Paket in den Händen. Es war größer als sonst und viel schwerer. Nicht einmal auf seine Bezahlung hatte der Lieferant gewartet. Was immer ihn in Hektik versetzt hatte, es musste ihm auch Angst bereitet haben.

Gedämpfter Tumult erklang in der Nähe. Wahrscheinlich hatten die Wachen eine der vielen Tavernen erreicht und machten sich nun daran, den Wirt um seine Waren zu erleichtern.

Gefallen nannten sie es, sich kostenfrei bedienen zu lassen. Schweigen über illegale Waren wurde damit erkauft. Doch war es nichts weiter als einfacher Diebstahl, begangen von jenen, die die Stadt schützen sollten. Von einigen Wirten wusste er, dass die Wachen dieses Spiel bereits auf einen Punkt getrieben hatten, an dem die ehrlichen Leute eine Grenze zogen und diese niemanden überschreiten lassen würden.

Auf seinem Rückweg auf den dunklen Wegen der Stadt dachte er über den Lieferanten nach. Solch ein Verhalten war mehr als untypisch für ihn, der sonst so ruhig, so geheimnisvoll war.

Mehr als ein Sonnenzyklus war dahin, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Und bis heute war er sich nicht sicher, wer der Lieferant sein könnte. Nur einmal hatte er ihn etwas genauer betrachten können, als das Licht einmal günstig flackerte, als grüne Augen in der Nacht aufblitzten. Doch er war sich irgendwann nicht mehr sicher, ob es nur eine Täuschung gewesen war. Solange sie einander auf Verschwiegenheit vertrauen konnten, würde er auch nicht wissen wollen, wer die anderen waren. Entdeckt zu werden, würde für sie alle den Tod bedeuten.

Einem Wachtrupp ausweichend kam er im Hause seines Meisters an. Beim nächsten Mal würde er nachfragen. Kennen mochte er ihn nicht, doch halfen sie sich immerhin gegenseitig seit geraumer Zeit, da könnte er auch einmal seine Hilfe anbieten. Doch erst galt es, auf ein Wiedersehen zu warten.

Er verstaute das Päckchen sicher im vorgesehen Versteck und zog sich dann in die Umarmung der Nacht zurück.
 

Unruhig lief sie auf und ab, warf immer wieder einen Blick aus dem Fenster auf die erwachende Stadt. Die Wege füllten sich mit verschwommenen Schemen, mitunter konnte man vor den erleuchteten Fenstern das aufblitzen prächtiger Roben sehen.

Sie strich sich eine Strähne des langen schwarzen, bereits zu Teilen ergrauten, Haares hinter das Ohr. Eine Geste, wie sie sie immer vollzog, wenn sie nachdachte, ohne wirklich zu wissen, worüber. In der anderen Hand hielt sie einen Brief, Grund für einen langen Tag, für ihre Unruhe und unzählige Gespräche, die noch geführt werden mussten. Im Glas des Fensters sah sie sich selbst. Einst galt sie als eine der schönsten Frauen der Stadt, war um ihr Gesicht und ihre Figur angebetet und beneidet worden. Mittlerweile waren ihre besten Jahre vorüber gezogen, diverse kleine Fältchen zeigten sich um Augen und Mund, ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften, aber nicht unattraktiv. Ihr ganzes Leben hatte sie gearbeitet, war eine tüchtige Frau gewesen, hatte ein überaus profitables Unternehmen aufgezogen. Dafür hatte sie auf Ehe und Kinder verzichtet. Mitunter reute es ihr, nicht ein wenig freier gewesen zu sein. Andererseits konnte sie mehr Reichtum als viele andere in der Stadt vorweisen, sich alles leisten, was ihr Herz begehrte.

Sie schüttelte den Kopf, atmete einige Male tief durch, rief sich selbst zur Ordnung. Derart besorgt auszusehen war nicht angemessen, sie war eine Geschäftsfrau und hatte stets ihre Haltung zu wahren.

Ein weiter Blick zog durch den Raum. Es war ein Besprechungszimmer im Palast des Fürsten, üppig mit einem dicken Teppich, Gemälden und einem kleinen Tisch mit zwei elegant geschwungenen Stühlen. Wie überall im Palast dominierten Rot und Gold das Bild, ebenso wie der leicht zu erkennende Protz, mit dem alle Räume eingerichtet waren. Alles wirkte eine Spur übertrieben ausgewählt. Der Teppich war dick und flauschig, hellrot mit Goldfäden durchzogen. Alle Gemälde, Abbilder ferner Landschaften oder bedeutender Personen, wirkten ein wenig zu Groß für den Raum. Der kleine Besprechungstisch und die Stühle waren aus schlichtem Holz, jedoch mit einigen bunten Edelsteinen verziert, der ihren Wert schier unbezahlbar erschienen ließ. Sie kannte diese Räume seit Jahren und wusste, dass sie weniger dafür gedacht waren, einen Besucher zu beeindrucken, eher ihn einzuschüchtern. Jeder Winkel des Palastes, von den steinernen Böden bis zu den gewölbten Decken, von den Kohlepfannen bis zu den Kronleuchtern, machte deutlich, wer hier die Macht besaß. Nicht zuletzt dadurch, dass in den Kohlepfannen zwar das Flammengut vorhanden war, jedoch niemals jemand kam, etwas nachzulegen. Tag für Tag brannten die immerwährenden Flammen, nur durch einen Willen.

Leise klopfte es an die Tür. Sie straffte sich, strich ihr Kleid glatt und rief sich zur Ruhe. Sie war erfahren, klug, berechnend und hatte schon andere Hürden gemeistert, diese würde nur eine weitere werden.

Lächelnd trat er ein, wie immer. Seine dunkle Haut schimmerte im Schein des Feuers. Gekleidet in eine schlichte, schwarze Tunika, unter der sich die Muskeln an Brust, Bauch und Armen abzeichneten. Die passende Hose spannte leicht über die massiven Oberschenkel. Zwei Reihen gerader, schneeweißer Zähne blitzten aus dem Lächeln heraus. Selten standen Sorgenfalten auf seinem Gesicht. Dieses Gesicht mit den sanften, zeitlosen Zügen. Wie gern sah sie es und diese warmen, dunkelbraunen Augen. Oftmals spiegelten sich die Fackeln der Wände in ihnen und ließen die Iren flammend erscheinen. Nie änderte es sich. Zuerst hatte sie es vor über fünfzig Jahren erblickt und es hatte sich nicht eine Spur verändert.

„Seid mir gegrüßt, Ira.“, erklang seine volltönende, tiefe, warme Stimme. „Was verschafft mir die Ehre Eurer Anwesenheit?“

Gerade hatte sie sich noch ausgemalt, welchen prachtvollen Anblick der Feuerfürst in seinem Gewand bot, als sie sich wieder auf das Hier und Jetzt besann.

„Das hier.“, sagte sie ohne umschweife und hielt ihm den Brief hin. „Meine elfischen Handelspartner haben ihre Aufträge mit meinem Haus aufgehoben, plötzlich und ohne Begründung.“

Mit sicherer Hand nahm er das Pergament entgegen.

„Bitte, Ira, setzt Euch doch.“, sprach er, während er ihr einen Stuhl am Tisch anbot und sich selbst gegenübersetzte. Aus der bereitgestellten Karaffe goss er großzügig das kühle Wasser in zwei steinerne Krüge, ehe seine Augen über die filigrane Handschrift des Briefes flogen.

Eine leichte Denkfalte zeigte sich auf der Stirn, während seine Besucherin fortfuhr. „Die Geschäfte liefen wunderbar, besser, als wir es jemals erhofft hatten. Jahre hat es gekostet, einen Außenposten an der Küste Anseas zu finden, der mit uns handeln möchte.“ Der Krug in ihrer Hand schwankte bedrohlich von einer Seite zur anderen und er war sich sicher, dass er bald seinen Weg auf den Teppich finden würde. Sie fuhr weiter über die zu befürchtenden Einbrüche im Einkommen her und darüber, welche Waren in der Stadt knapp werden würden, ehe ein neuer Handelspartner gefunden werden könnte.

Der Feuerfürst indes las den Brief zu Ende und überflog ihn ein zweites und drittes Mal. Nein er konnte keinen Hinweis darauf finden, ob der Außenposten eigenständig gehandelt hat oder ob der Befehl für das Beenden der Handelsbeziehung von jemand anderem kam. Wie es schien, hatte der Posten plötzlich das Interesse verloren.

„Ira, sagt mir bitte, welche Gründe könnte es geben, dass diese Beziehungen beendet werden könnte? Ein neuer, besserer Handelspartner vielleicht?“

In ihren ausufernden Bewegungen innehaltend, sah sie ihn mit einem Blick aus Ungläubigkeit und Überraschung an. „Ein anderes Handelsbündnis?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Vollkommen ausgeschlossen. Entlang der ganzen Küste gibt es nur Fischerdorfe und selbst die größten unter ihnen könnten nur mit minderwertigen Tonwaren oder geringen Mengen an Fisch handeln. Wir haben alle Dörfer an der Küste aufgezeichnet und sie werden regelmäßig angefahren, jede Veränderung dieser Größe hätten wir mitbekommen.“

Alles entlang der Küste., dachte sich der Fürst. Doch nicht nur an der Küste gibt es mögliche Handelspartner. Kurz schien er zu überlegen, dann wandte er sich wieder an seine Besucherin. „Ich werde die Angelegenheit prüfen und Euch zu gegebener Zeit einen Boten schicken. Wie es scheint, werdet Ihr vorerst mit Euren Waren haushalten müssen. Wenn möglich, sucht den Kontakt zu Euren Handelspartnern, vielleicht könnt Ihr doch noch einen Weg finden.“ Mit einem nachdenklichen Blick sah er sie an und lächelte dann. „Aber sicher brauche ich einer erfahrenen Geschäftsfrau wie Euch nicht zu sagen, wie sie ihr Unternehmen führen soll.“

Ihre gebräunte Haut bekam einen rötlichen Ton, sie lächelte leicht.

„In der Zwischenzeit jedoch bitte ich Euch, diese Angelegenheit unter Verschluss zu halten. Wir wollen den anderen Handelshäusern nicht die Möglichkeit geben, Euch angreifbar erscheinen zu lassen.“

„Natürlich, wir Ihr wünscht, mein Fürst.“

Er erhob sich, hielt ihr die Hand hin, beim Aufstehen behilflich zu sein.

„Und nun, Handelsfürstin Adena, hinaus mit Euch in die Nacht. Betrachtet diese Umstände als eine Art kurzfristiger Freizeit. Auch wenn es euch schwerfallen dürfte.“ Weiterhin lächelnd verbeugte er sich vor ihr und rief nach einem Bediensteten, sie aus dem Palast zu geleiten. Den Brief in der Hand haltend sah er ihnen nach, bis sie aus seinem Sichtfeld verschwanden. Ein letzter Blick auf den Brief, ehe auch er davon ging.
 

Er zog seine Hose an, warf sich das dünne Lederhemd über. Ein Rascheln ließ ihn lächelnd zurück blicken. In dem großen Bett rekelte sich seine Leidenschaft der Nacht. Zumindest würde sie das glauben, wie all die anderen, die er gelegentlich besuchte. Mit Beginn der Nacht kam er, noch vor der Morgendämmerung ging er, so waren die Vereinbarungen. Er begrüßte diesen Umstand, da nicht alle seiner nächtlichen Aktionen Schönheiten waren. Zumeist waren es Frauen mittleren Alters, die sich mit Gold holten, was ihre Gatten ihnen nicht geben konnten. Flink zog er die Stiefel über und verließ das Schlafgemach. Auf dem Weg hinaus begegnete er niemandem, wie immer. Angestellte, Bedienstete, sie verschlossen die Augen, gingen aus dem Weg, sie wollten nicht wissen, was in den Gemächern ihrer Herren vorging. Und dennoch gab es auf den Straßen und Wegen der Stadt genug Gerüchte über jene Wohlhabenden, die sich angeblich den ein oder anderen zusätzlichen Luxus leisteten. Dass er für Gold verkauft wurde, störte ihn nicht mehr. Die ersten Male war er angewidert gewesen, jedoch hatten ihn klare Worte und Taten mehrfach gezeigt, wo sein Platz war und dass er nur zu tun hatte, was ihm aufgetragen wurde. Mit seinen fast zwanzig Sommern hatte er sich in sein Schicksal gefügt, war jedoch fest entschlossen, dies eines Tages zu ändern. Er nahm eine der goldenen Münzen aus dem kleinen Beutel seiner Bezahlung und steckte sie in einen Stiefel. Eines Tages würde er genug haben, sich freikaufen zu können, dann würde er seinem Leben den Rücken kehren. Seinem Leben als Sklave.

~* Chapter II *~

Nervös lief er auf und ab. Sicher einige Dutzend Male hatte er den kleinen Warteraum bereits durchquert. Bedienstete hatten ihm Wasser und Essen gebracht. Mehr als einmal war ein Vertrauter vorbeigekommen, hatte ihn mit weiterer Wartezeit vertrösten müssen, sehr zum Unwohlsein seiner selbst. Kurz kam ihm der Gedanke, ob es möglich wäre, eine Trittfurche in den Teppich zu laufen. Mit anderen Gedanken abwegig, sah er aus dem Fenster. Es war ein wunderbarer Ausblick auf die Stadt, bei Nacht. Der Sitz des Fürsten war so erbaut worden, dass man beinahe die gesamte Schlucht, und damit die gesamte Stadt, überblicken konnte. Wie ein langes, breites Band unzähliger Lichter zog sich die Stadt durch die Schlucht, endend im schwarzen, unförmigen Steinbruch, der die Schlucht weitertrieb, um mehr Raum zu schaffen. Den Schein unzähliger Feuer, das blitzen und funkeln von bunten, prächtigen Gewändern, die tanzenden Schatten in den Seitengassen, alles passte sich zu einem wundervollen Bild zusammen. In der Spiegelung sah er sich selbst. Im mittleren Alter, das schulterlange blonde Haar bereits mit einem leichten grau durchsetzt, die wachen dunklen Augen, breitschultrig. Voller Stolz trug er die silberne Rüstung mit den goldenen Verzierungen und dem schweren, roten Umhang, dessen Saum um seine Knöchel spielte. Auf den Schulterplatten und am Gürtel prunkte das Wappen der Wüstenreiche, aus Gold, welches ihn klar als Hauptmann der Stadtwache auszeichnete. Seine Aufgabe war es, für Recht und Ordnung in der Stadt zu sorgen, für die Sicherheit der Bewohner und für den Schutz aller Dinge, die sich in den Schatzkammern des Fürsten befanden. Sein Blick schweifte in die Ferne. Irgendwo dort unten im Getümmel waren seine Frau und seine beiden Töchter unterwegs. Viel zu wenig Zeit verbrachte er mit ihnen, fand er. Der Preis seiner Position, dessen er sich bewusst war, als der Fürst selbst sie ihm angeboten hatte. Stolz, Ehre und Respekt hatte ihm dieses Zeichen an Vertrauen gebracht. Bald schon jedoch lernte er, auf welch unsicherem Untergrund er fortan stand.
 

Leise klopfte es und ein älterer Bediensteter in langer, blauer Robe trat ein. Ceren, der Haushofmeister des Fürsten, war ein alter, weiser und kluger Mann, bekannt für sein politisches Geschick und für sein immerzu freundliches Wesen.

„Der Fürst erwartet Euch nun, Hauptmann.“

Er hielt die Tür auf, wartete, bis der Mann in der Rüstung an ihm vorbei war, schloss die Tür und führte ihn auf kurzem Wege in den Thronsaal.
 

Der Thronsaal war ein gewaltiger, kuppelförmiger Bau. Erleuchtet von Fackeln und Kohlepfannen, geschickt verteilt, sodass diverse verlockende Schatten durch den Raum tanzten und ihm etwas Lebendiges gaben. Im Zentrum war ein großes Mosaik aus roten und gelben Steinen in den Boden eingebracht worden, ein flammender sechszackiger Stern, umgeben von einer strahlenden Korona. Sechs massive Säulen begrenzten das Bild, deren Ausläufer die Decke trugen, jedoch im Dunklen verborgen lagen. An der Nordseite des Sternes war ein Podest mit sieben, schmalen Stufen, auf dem, aus schwarzem Stein, schlicht, der Thron des Reiches stand. Ihm gegenüber waren die beiden schwarzen Haupttüren, in einfacher, rechteckiger Form, mit Intarsien aus roten und gelben Edelsteinen besetzt. Es war kein verschwendeter Reichtum, mit dem hier aufgebahrt wurde, mit dem man Gästen hätte imponieren wollen. So selten waren Audienzen beim Fürsten, dass dies allein schon reichte, jedem ihm gegenüber Ehrfurcht einzubringen. Seine Persönlichkeit, seine machtvolle Ausstrahlung trugen den Rest dazu bei.
 

„Willkommen, mein Freund“, empfing ihn der Fürst mit einem freundlichen Gesicht. „Verzeiht mir bitte, dass ich Euch warten ließ.“

Tief verneigte der Hauptmann sich, überlegte fieberhaft, wie er das, wer zu sagen hatte, überbringen sollte. Als er wieder aufsah, fand er sich Angesicht zu Angesicht mit dem Fürsten wieder.

„Ihr seht nicht gut aus, mein Freund. Ich hoffe doch, dass ihr keine allzu schlechten Nachrichten zu überbringen habt.“
 

Das Gasthaus ‚Zum Feuerkrug’ war überfüllt, jeder der kleinen runden Tische war voll besetzt, die wenigen Hocker an der Bar ebenso und einige Gäste standen mit ihren Krügen in der Hand herum. Mägde in weiten Schürzen und mit tiefen Ausschnitten huschten zwischen den zum Teil stark betrunkenen Gästen umher, verteilten Krüge, Platten mit Schinken und Käse, kassierten Beträge und mussten den ein oder anderen zu aufdringlichen Gast in die Schranken weisen. Hinter der Bar standen zwei Bären von Männern, eifrig damit beschäftigt, Krüge nachzufüllen und das allgemeine Treiben zu überwachen. Man mochte es ihnen nicht ansehen, doch trotz der Größe und Masse waren diese Männer schnell und überaus direkt darin, einen Gast hinauszubitten. Trotz der Tatsache, dass der ‚Feuerkrug’ immer so belebt war, mehr Alkohol ausgeschenkt wurde, als anderswo in der Stadt, kam es nur sehr selten zu Auseinandersetzungen. Diese endeten dann jedoch des Öfteren mit gebrochenen Nasen auf den Wegen vor der Gaststätte.

Neben der Bar klapperten zwei schmale Türflügel, hinter denen sich die Küche verbarg. Wie ein endloser Strom gingen Mägde hinein und kamen mit den Speiseplatten wieder hinaus. Es war erstaunlich, wie die zumeist gebrechlichen, schlanken jungen Frauen die schweren Holzplatten trugen, mit welcher Geschwindigkeit sie sich zu den Tischen und wieder fort bewegten. Der Grund dafür hieß Thana und erschien zwischenzeitlich in der Tür zur Küche. Die Wirtin des Hauses war eine Frau, welche die blühte ihres Lebens bereits hinter sich gelassen hatte, eine Geschäftsfrau durch und durch, stets darauf bedacht, dass die Gäste volle Krüge und Mägen hatten und so viel Goldmünzen wie möglich zurückließen. Etwas über normal groß und ebenso breit war sie nur schwer zu übersehen. Der massige Leib steckte in einer dicken Stoffschürze, eine Korsage bot ihren mächtigen Ausschnitt dar. Immer war ihr Gesicht mit den fleischigen Wangen überschminkt, die Schweinsäuglein dick umrahmt, das flammendrote Haar im Nacken zusammengebunden. Gegenwärtig ruhte auf ihrer Schulter, scheinbar mühelos, eine Platte mit einem halben gebratenen Schwein, welches sie ebenso mühelos durch den Raum bugsierte und an einem Ecktisch mit einem dumpfen Knall abstellte, dass der Boden erzitterte.

Freundlich war sie, hilfsbereit und fürsorglich, hatte Beziehungen zu allen Wirten in der Stadt und zu jedem wichtigen Haus. Stets wusste sie, was in der Stadt vor sich ging, wer kam, wer ging, welche Geschäfte wo geschlossen wurden und bei fast allen war sie dabei. Gab es drohende Konkurrenz, wurde diese mit aller Kraft zurückgeschlagen. Bei ihren eigenen Mägden war sie gefürchtet, Fehler wurden nicht toleriert. Selbst die Bären hinter der Theke, an Größe und Kraft weit überlegen, liefen, sobald sie den Mund aufmachte.

Sie war die stille Herrin unter den Gastwirten und verteidigte diesen Platz vehement.
 

Er saß an der Bar, welche sich über eine ganze Wandlänge der Höhle zog, auf einem massivem Hocker mit drei Beinen und trank aus einem steinern Krug. Bitter rann das Bier seine Kehle herab, machte ihn duselig, doch an Abenden wie diesem gönnte er sich das. Nur selten gab es jene Tage, an denen der Abend und die Nacht ganz allein ihm gehörten.

„In Gedanken versunken, mein Hübscher?“

Er blickte auf, sah in die hellen Augen eines feisten Gesichtes.

„Wer könnte in Eurer Gegenwart nicht in Gedanken versunken sein?“, er lächelte sie freundlich an.

„Ihr schlimmer Junge.“, sagte sie gespielt entrüstet. „Einer Dame so direkt den Hof zu machen.“ Sie musterte ihn, wie sie es schon öfter getan hat. „Wenn ich doch nur zwanzig Jahre jünger wäre. Ich war einmal ein sehr ansehnliches Ding, müsst Ihr wissen. Nicht so ein klappriges Gestell wie die heutigen Mädchen, die vom leichten Windhauch davon geweht werden können. Damals wussten wir noch zuzupacken.“

„Liebste Thana, Ihr seid noch immer ansehnlich. Aber zwanzig Jahre jünger?“, er lachte leicht. „Wie Ihr selbst mitunter erwähnt, habt ihr solange gebraucht, Euren eigenen Ruf wieder gänzlich zum Guten zu wenden.“

Das stimmte sehr wohl. Als sie als junge Frau in die Stadt kam, hatte sie jede Menge Träume, Ideen und Willenskraft, aber kein Geld. Nachdem sie sich mit unzähligen kleinen Tätigkeiten durchgeschlagen hatte, ihrem Traum von einem eigenen Wirtshaus aber keinen Schritt nähergekommen war, geriet sie durch Zufall an eine Person, die ihr alles ermöglichen konnte. Die damals berüchtigtste Frau der Stadt, die Betreiberin des größten Bordells, holte sie von der Straße. Sie verlangte keine Arbeit von ihr, aus Mitleid und aus Respekt vor der Willenskraft der jungen Frau brachte sie ihr bei, wie man sich zu benehmen hatte, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie man Geschäfte tätigte, ohne gierig zu werden und wie Frau ihren Körper einzusetzen vermochte.

Es dauerte zwar Jahre, doch sie konnte ihren Traum erfüllen. Fortan war die Aufmerksamkeit der Männer ihr Gewiss gewesen, nicht selten hatte sie diese erwidert. Mit den Jahren wurde ihr Hunger nach langen, intensiven Nächten kaum weniger, jedoch wurde sie selbst älter, damit die Auswahl an Männlichkeit immer weniger.

„Guter Junge, ich gestehe gerne ein, dass ich für eine Nacht mit einem solchen Prachtburschen gerne ein wenig meines guten Rufes hergeben würde.“ Sie kam nahe an sein Ohr heran. „Wie man munkelt, sollt Ihr jeden Preis für eine Nacht wert sein.“, schnurrte sie ihm zu. „Zumindest sieht die Frau des Handelsfürsten seit einiger Zeit wieder sehr glücklich aus.“

Für einen Moment herrschte Stille, dann lachten beide.

„Thana, Ihr scheint noch immer so durchtrieben, wie man es Euren Jugendtagen nachsagt.“ Er prostete ihr mit einem breiten Lächeln zu.

„Nur weil ich alt werde, bedeutet das nicht, weniger Gelüste zu haben, junger Freund. Burschen wie Dich gab es damals schon und ich muss zugestehen, sie wohl alle gekannt zu haben.“ Freundlich zwinkerte sie ihm zu, füllte einen Bierkrug und knallte ihn vor ihm auf den Tresen. „Genieß Deinen Abend, wie Du es willst. Aber Du wirst beobachtet.“ Mit der Linken wies sie Richtung Eingang. „Dort hinten sitzen zwei junge hübsche Dinger, die Dich schon den halben Abend hinweg anstarren. Wenn Du also noch nicht betrunken bist, könnte es durchaus eine sehr angenehme Nacht für Dich werden. Und für die beiden Damen auch, dessen bin ich mir sicher.“ Ihr verschmitztes, lüsternes Lächeln jagte sogar ihm einen gewissen Schauer über den Rücken. Dann winkte sie jedoch ab. „Es ist wahrlich eine absolute Verschwendung, dass Deine Gesellschaft nur unter derartigen Umständen in die Gemächer der Damen schleicht.“

Um das Thema zu wechseln, griff er in den Schaft seines Stiefels, zog ein kleines Lederbeutelchen hervor und legte es auf den Tresen. „Könntet Ihr das für mich verwahren?“

Geschwind griff sie nach dem Gut und ließ es in den Taschen ihrer Schürze verschwinden. „Es wird sicher zum dem Rest gelangen, den ich bereits von Dir erhalten habe. Ich hoffe wirklich, Du wirst es bald geschafft haben. Dieses Leben ist keines, welches Dir vergönnt sein sollte.“ Sie sah ihn mit einer Mischung aus mütterlicher Sorge und Liebe an. „Jemanden wie Dich in diesen Steinbruch zu sperren oder gegen Gold an jeden in dieser Stadt zu verkaufen, der etwas mehr Abwechslung in den Gemächern haben will, gehört verboten.“

„Aber so ist es nun einmal.“ Er leerte den Krug und schob ihn ihr hin. „Ich bin ein Sklave, dieses Schicksal hat das Leben mir zugeschrieben. Nun kann ich nichts tun, außer das Beste daraus zu machen.“

Er stand auf und wandte sich zum Gehen.

„Ich brauche morgen einen Kurier.“, sagte sie noch. „Es sind nur ein paar Schreiben, die in der Stadt verteilt werden müssen, aber zumindest wärst Du damit ein paar Stunden von der Arbeit im Steinbruch befreit.“

„Ich werde da sein.“, sagte er, verneigte sich vor der Wirtin und trat kurz darauf auf die überfüllten Wege der Stadt hinaus. Deutlich spürte er einige Blicke auf seinem Rücken beim Verlassen des Gasthauses. Manchmal kam die Sehnsucht in ihm zum Vorschein, der Wunsch danach, frei wie alle anderen zu sein, stets tun zu können, was ihm beliebte. Fast unmerklich wanderte seine rechte Hand zum linken Oberarm. Unter dem dort gebundenen, breiten Stoffstreifen, verbarg sich das sonst offen sichtbare Brandzeichen der Sklaven.
 

Im Thronsaal standen sich der Fürst und sein Haushofmeister gegenüber. Letzter hatte, wenn es auch sehr unpassend gegenüber dem Fürsten war und gegen alle Regeln seiner eigenen Disziplin sprach, ein Tuch vor Mund und Nase gedrückt. Es stankt bestialisch im dem großen Raum. Eine Mischung nach geschmolzenem Metall und verbranntem Fleisch. Etwas Abseits lag der unförmige Haufen dessen, was vor kurzem noch gelebt hatte. Bis zur Unkenntlichkeit war der Körper von den Flammen verzehrt, war die einstmals prächtige Rüstung in unförmige Teile geschmolzen worden. Sich fragend, was den Unmut des Fürsten erregt haben mochte, hörte Ceren die Stimme seines Herrn, wie sie etliche Anweisungen gab.

„Und dann benötige ich eine Liste aller Dinge, die sich in den Schatzkammern befinden. Anschließend sollen einige gut ausgewählte Bedienstete alles kontrollieren. Wenn noch etwas aus meinen Schatzkammern verschwunden ist, dann will ich das umgehend erfahren! Habt ihr das verstanden?“

„Selbstverständlich, mein Fürst!“, die blaue Robe raschelte leicht bei der Verbeugung. Dem Haushofmeister war übel und er hoffte inständig, dass sich sein Magen noch eine Weile ruhig verhalten könnte. „Es wird alles erledigt werden, wie Ihr es wünscht.“

„Das höre ich gern. Bisher seid Ihr immer sehr zuverlässig gewesen, Haushofmeister.“

„Ich danke Euch, mein Fürst.“ Die Verbeugung ging noch ein wenig tiefer, zum Leidwesen seines Magens.

„Das wäre dann alles.“ Mit ausladenden Schritten ging der Fürst davon. Vom Ende des Raumes sprach er noch „Der stellvertretende Hauptmann der Stadtwache soll sich bei mir melden. Er ist gerade befördert worden!“ dann verschwand er durch die Tür.

Für einen kurzen Moment blieb der Haushofmeister noch in seiner Haltung, dann richtete er sich auf, ordnete seine Gedanken und blickte auf die Überreste dessen, was der Hauptmann einst gewesen ist. Nein, dieses Schicksal sollte ihn nicht ereilen. Mit schnellen Schritten verließ er den Thronsaal, um die Befehle seines Herrn schnellstmöglich und zu voller Zufriedenheit umzusetzen.
 

Etwas in ihm regte sich, ein Gefühl, welches lange nicht vorhanden war: Unruhe. Dies war seine Stadt, sein Reich und er war in gewisser Weise stolz darauf, immer zu wissen, was sich in seinem Reich zu tat. Stets wusste er, was zu tun war, wusste, wie andere auf seine Entscheidungen reagieren würden und wie er jene ohne Aufsehen entfernen konnte, die sich nach seinem Thron sehnten. Er lächelte. Blutthron wurde er von einigen genannt, wegen seiner Farbe und der Kälte, mit jener der Fürst manche Entscheidungen treffen musste. Doch kaum einer wusste, wie viel Blut dieser Thron tatsächlich forderte. Sein Blick wanderte über die Grenzen der Stadt hinaus in die dunkle Wüste. Des Nachts wirkte alles dort draußen so ruhig, so friedlich, doch er spürte das Leben pulsieren und den Tod, den die Wüste dem Unvorsichtigen brachte. Schließlich wandte er sich ab, verließ den Raum und rief nach einem Bediensteten. Es galt noch einiges an Arbeit zu erledigen, ehe die Nacht vorbei war. Und er musste über Dinge sprechen, die seit Jahrtausenden verboten waren. Verboten von ihm selbst.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Sencha
2012-04-25T12:24:30+00:00 25.04.2012 14:24
Der Fürst scheint ja nicht lange zu fackeln(verzeih mir das Wortspiel XD )
Schön wie man allmählich auch den Sklaven und die Wirtsdame kennenlernt. Was er wohl mit seinem Leben vorhat, wenn er sich erstmal freigekauft hat?
Und ich bin wirklich gespannt, was denn Wichtiges geklaut wurde, dass man dafür einen Hauptmann abbrennt o.O
Also dann^^
Von:  Sencha
2012-03-16T21:57:01+00:00 16.03.2012 22:57
Okay, da hast du ja viele Charaktere eingeführt ^-^'
Das ist nicht schlecht, ich hoffe bloß, dass ich sie auseinanderhalten kann...
Schön geschrieben, tolle Bilder, einige Sätze hauen einen wirklich um °o°

PS.: Dein Nick gefällt mir^^

Von:  Sencha
2012-03-16T21:54:34+00:00 16.03.2012 22:54
Ein majestätischer Stil, irgendwie dramatisch und ausdrucksvoll, gefällt mir ^^
Das Schlachtfeld ist sehr eindrucksvoll beschrieben, wie auch die Innenwelt des Fürsten. Das Opfer, das er bringt ist wirklich sehr groß und trotzdem spürt man seinen "Frieden" als das Inferno ihn verschlingt. Bin mal gespannt, ob sein Gegenpart bald auftaucht^^


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