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Die sieben Stätten

Die Chroniken Teerens
von

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Prolog

In einer Zeit die wir Menschen Teerens „Die Zeit der Fantasie“ nennen, lebten Wesen die weitaus schöner, stärker und weiser waren als wir. Wir benannten sie nach diesem Land „Die Teeren“ in unserer Sprache „Die Erdgeliebten“ oder „Kinder der Erde.“ Sie wachten Jahrhunderte lang über uns und waren unsere Führer in vielen Dingen. Sie lehrten uns die Kampfkunst, den Anbau von Pflanzen und vieles mehr. Das was sie uns jedoch noch lehrten war der Grund des gewählten Namens dieser Zeit: Die Kunst der Magie.

Magie ist etwas das dem Herzen und der Fantasie entspringt. Je reiner das Herz, desto stärker kam die positive Magie zum Vorschein. Jedoch richtet sich das Ganze auch in die negative Richtung: Die Verdorbenheit. Viele nutzten diese wundersame Kunst für üble Zwecke und immer mehr wuchs in den Herzen der vorher so reinen Menschen die Dunkelheit. Hass, Neid und Gier befiel die Menschheit und immer mehr richteten sie sich gegen die Teeren, unsere geliebten Hüter und Führer. Somit entbrannte der große Krieg, geführt von einer Magiergilde den sie letzten Endes auch gewannen. Mit diesem Krieg verschwanden die Teeren von dieser Welt und „Die Zeit der Könige“ begann.

In dieser Zeit befinden wir uns nun und mit Leid im Herzen muss ich verkünden, dass ich hinter meinem König stehe als einer seiner sieben Erzmagier. Ich beweine die Teeren und hoffe mit jedem Tag, dass sie eines Tages zurückkehren. Wenn diese Zeit jemals kommen sollte werde ich Tränen des Glücks weinen, jedoch befürchte ich, dass ich diese im Himmel verschütten muss. Unsere Welt ist noch viel zu finster, doch hege ich Hoffnung und diese lege ich in unseren Prinzen. Er scheint einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu besitzen und ist so rein, wie ich noch kein Kind zuvor gesehen habe. Ich bin mir sicher, dass er die Fähigkeit besitzt diese Welt wieder in die Balance zu führen und wenn nicht er, dann einer seiner Nachfahren. Mögen die Teeren über Prinz Kaeron wachen.
 

Aufzeichnungen des Erzmagiers Laran

Das Flammeninferno

Ein einziger Sonnenstrahl schien den gesamten Garten zu umfassen und ihn wie einen heiligen Ort zu behüten. Die Stimmung die über allem lag, war wie der Zauber nach dem Erscheinen der Sonne am frühen Morgen nach einer regenreichen Nacht, wenn die Tautropfen noch in den Spinnennetzen hängen und wie tausende und abertausende Diamanten funkeln. Alles schien, als würde eine andere Welt sich mit der jetzigen überschneiden und jeden Moment wieder verschwinden, wenn man sich auch nur einen Schritt vor wagte. Nur ein Mensch war in diesem Ort zu sehen und dieser schlummerte seelenruhig unter einem großen, mächtigen Gorlabaum, ein Baum der das ganze Jahr über in den schönsten Rot- und Gelbschattierungen leuchtete.
 

Der Mann, jung an Jahren, vielleicht gerade mal die zwanziger Grenze überschritten, besaß dunkles Haar, gebräunte Haut und einen breiten Körperbau – die Statur eines Kriegers.
 

„Kaero?“
 

Langsam öffneten sich seine Augen und man blickte in strahlend, tiefgrüne Augen. Behände stand er auf und strich sich die schwarzen Strähnen aus dem schmalen Gesicht. Raschelnd fielen seine langen Haare an seinem Rücken hinab.
 

„Geez... Kaero! Du hast schon wieder dein Haarband verloren, nicht wahr?“
 

„Nicht wirklich, Narima. Es wurde beim Training zerschnitten – von Haolon.“
 

Langsam schüttelte sie ihren Kopf und ihre blonden Haare schwenkten ein wenig hin und her. Ihr Fuchs ähnliches Gesicht war leicht angespannt. Man konnte sehen, dass es ihr missfiel, dass er erneut ein Band zunichte gemacht hatte.
 

„Jedenfalls bin ich hier um dir zu sagen, dass Vater nach dir geschickt hat. Es geht ihm heute etwas besser als sonst. Er wird bestimmt bald wieder gesund sein, meinst du nicht?“
 

Etwas traurig blickte er seiner Schwester in die ebenfalls grünen Augen. Er liebte sie, ohne Zweifel, und auch seinen Vater und er wünschte sich nichts sehnlicher als seine Genesung, aber es jetzt schon zu hoffen und es auszusprechen, als würde es bestimmt und sicher geschehen, war illusorisch. Ihr Vater war bereits sehr alt und sein Körper konnte gegen Krankheiten nicht mehr so gut ankämpfen, wie in seinen jungen Jahren.
 

„Sicher Narima. Ich bin dann jetzt weg, denn ich will Vater nicht unnötig warten lassen.“
 

Narima nickte stumm. Sie wusste, ihr Bruder hatte nicht ernst genommen, was sie sagte und das er Zweifel an ihren Worten hatte.
 

„Ich werde danach zu Seeras gehen. Er hatte noch Dokumente, um die ich mich kümmern muss.“
 

„Ist gut. Es ist wirklich anstrengend, Vaters Pflichten übernehmen zu müssen, nicht? Und das obwohl er noch lebt.“
 

„Es gibt schlimmeres. Ich wurde ja schon immer darauf vorbereitet, also ist es nicht so tragisch, wie man es meinen könnte. Bis nachher dann.“
 

Schnellen Schrittes durchquerte er den Garten und tauchte in den Schatten des Wandelgangs. Überall hingen Wandbehänge, die den Farben des Gorlabaumes glichen, ihn jedoch häufiger noch übertrumpften. Die Steinwände, allesamt schneeweiß, leuchteten durch die flatternden Gobelins wie Regenbögen und tauchten das Schloss in ungeahnte Farbenpracht.

Kaero liebte es, zu dieser Jahreszeit einfach nur umher zu wandern und alles andere zu ignorieren. Dieses Jahr war es ihm allerdings nicht mehr vergönnt und er wurde ein wenig wehmütig. Ab und an war er doch noch wie ein Kind und er schmunzelte über sich selbst.

Plötzlich hörte er hinter sich einen Knall gleich einer Explosion, eine knarrende Tür, konnte schwarzen Rauch wahrnehmen und hörte jemanden husten. Das alles geschah in den wenigen Sekunden, in denen er sich umdrehte.

Vor ihm stand gekrümmt ein hustender, glatzköpfiger, scheinbar junger Mann mit einem rabenschwarzem Gesicht und ebenso schwarzer Kutte.
 

„Ähm, … Lerko, ist alles in Ordnung? Ist wieder eines deiner Experimente schief gegangen?“
 

Immer noch hustend richtete sich der Angesprochene auf und lächelte ihn an, wobei weiße Zähne aufblitzten und er für einen Augenblick dem Bild eines Dämonen glich, das Kaero als kleiner Junge gesehen hatte.
 

„Oh, ja ja, Prinz Kaero. Alles in bester Ordnung. Nur mal wieder ein kleiner Rückschlag in meiner Forschung. Weiter nichts.“
 

„Na, dann ist ja gut.“
 

Immer noch hustend klopfte er sich den Ruß vom Gewand und schmunzelte.
 

„Seid ihr wieder sehr beschäftigt, Hoheit?“
 

„Es geht so. Ich muss gleich noch ein paar Dokumente durchgehen, aber ansonsten bin ich für heute wahrscheinlich eher unbeschäftigt. Hoffe ich... …

Nicht das ich mich drücken wollte oder so etwas. Es ist nur so, dass ich einen recht angenehmen Tag hatte, im Gegensatz zu den Letzten.“
 

Lerko lächelte amüsiert.
 

„Wer hat behauptet, ihr würdet euch drücken? Ich bin sicher, ihr gebt alles was ihr habt. Ihr seid schließlich sehr verantwortungsbewusst.“
 

„... Findest du?“
 

„Natürlich! Und ich bin nicht der Einzige, der so denkt, glaubt mir.“
 

„Hm... Ah! Ich muss zum Thronsaal! Der König hat mich rufen lassen. Entschuldige mich Lerko.“
 

„Sicher, mein Prinz.“
 

Manchmal wunderte sich Kaero wie anders andere einen sahen, als man sich selbst. Auch wenn Lerko nicht einfach „andere“ war, sondern ein jahrelanger Freund der Familie. Er war ein Alchemist, der im Schloss studierte und experimentierte. Lerko kannte den Prinzen, seit dem dieser noch in seine Windeln gemacht hatte, weswegen er eigentlich so gut wie alles über ihn wusste.

Kaero schüttelte den Kopf. Er konnte nachher mit seinen Gedanken abschweifen. Jetzt wurde er gebraucht.
 

***
 

Am Ende des Tages hatte Kaero seinen Vater nicht ein Mal gesehen. Die, die ihn empfangen hatten, waren die Minister. Der König war zu schwach gewesen und das Einzige wofür sie ihn gerufen hatten, waren noch mehr Dokumente, Anfragen, Berichte und Beschwerden.

Seufzend und erschöpft sank Kaero in seine Kissen. Seine Haare ausgebreitet auf dem weichen Weiß, ähnelten schwarzer Seide und mit einem schnellen Blick konnte man denken, dass ein schwarz geflügelter Engel nieder gestreckt worden war.

Müde schloss er für einen Moment die Augen und strich sich mit der Hand über das Gesicht. Kein Wunder, dass sein Vater krank und geplagt war. Dieser ganze Stress konnte jemanden schneller umbringen, als ein Kampf. Nein. Eigentlich war dies ja auch ein Kampf, nur auf eine andere Art.

Leise wurde an seine Tür geklopft und eine Stimme drang durch die Tür. Es war sein Bruder Seeras.
 

„Kaero? Bist du da?“
 

Vorsichtig öffnete sich die Tür einen Spalt breit und er trat ein.
 

„Kaero?“
 

„Hier, Seeras. Ich habe mich nur etwas entspannt.“
 

Etwas besorgt lächelte Seeras und nickte leicht.
 

„Ach so. Ich bin hier wegen den Dokumenten, die ich erwähnt hatte. Ich weiß, du hast viel um die Ohren, aber... Entschuldige.“
 

„Ach was! Du musst dich für nichts entschuldigen. Lass mich einen Blick auf sie werfen.“
 

„Ist gut, aber wenn du dich erst ausruhen willst... Ich meine, du kannst es dir auch später ansehen oder ich gehe zu Lerko. Sie sind schließlich sehr alt und scheinen eher historisch und ich habe mich ja auch nur gewundert...“
 

„Genug! Jetzt gib schon her! Ist ja nicht auszuhalten. Ich bin kein Kind mehr Seeras und nachher habe ich sicher keine Zeit mehr, also gib mir diese alten Papierfetzen und lass mich sehen, worum es sich handelt!“
 

Seeras seufzte schwer.
 

„Wenn du darauf bestehst, Bruder...“
 

Er reichte ihm die vergilbten Dokumente und setzte sich auf einen Stuhl der gegenüber dem Bett stand.

Die Dokumente waren tatsächlich sehr alt und in einer alten Schrift verfasst, die eigentlich nicht mehr gelehrt wurde, aber Kaero konnte sie lesen und fließend sprechen. Es war schließlich die Muttersprache Teerens. Eine Mixtur aus der Sprache der mysteriösen Teeren und der der ersten Menschen, die mit ihnen lebten. Natürlich hatten die Teeren stets in ihrer eigenen Zunge miteinander kommuniziert, aber diese Sprache konnten sowohl damals wie auch heute nur wenige Menschen aussprechen und wenn sie es taten, hörte es sich plump und schwer an, obwohl sie aus den Mündern der Teeren wie reines Silber klang, das in Worte gewandelt wurde.
 

„Nun? Kannst du es lesen?“
 

„Hmmm... Ja....“
 

„Worum geht es darin?“
 

„Also... Das hier sind schon mal zwei verschiedene Dokumente. Dieses hier scheint eher eine persönliche Aufzeichnung eines Magiers zu sein und das Andere ist eine historische Aufzeichnung. Hier ist die Unterschrift des Magiers siehst du? Sein Name war Laran, ein Erzmagier. Er unterstand dem damaligen König in der „Zeit der Könige“ und scheint den Teeren sehr zugeneigt gewesen zu sein. Das andere Dokument... Ich lese es einfach mal vor. Es ist jedoch unvollständig.

Die sieben Juwelen von Teeren beschützten einst sieben wichtige Orte und Stätte: die Kristallstadt, die Diamantendörfer, das strahlende Amethyst-Tal, die Nachtstadt aus Onyx, das blaue Meer Topas, die gelben Blüten von Citrin und die Waldstadt Smaragd. Die Wesen, die diese Stätten bewohnten, kennt niemand wirklich und sie waren als Dämonen verschrien. Man hatte damals sechs dieser Stätten im großen Krieg zerstört, die Siebte hat man nie gefunden. Die sieben Juwelen besaßen eine unglaubliche Kraft, unmessbar und...

Nun ja, ab hier ist es abgerissen. Leider.“
 

„Bedauerlich. Soll ich sie Lerko bringen? Er wird sicher sehr daran interessiert sein.“
 

„Ja, warum nicht, aber ich möchte die persönliche Aufzeichnung des Magiers noch gerne etwas genauer untersuchen. Seine Ansicht interessiert mich und ich habe den Namen desjenigen gefunden, dem ich meinen eigenen verdanke.“
 

„Tatsächlich? Wo?“
 

„Hier: Prinz Kaeron.“
 

„Ah, ja! Er war ein großartiger und respektierter König. Auch schien das Volk unter seiner Herrschaft sehr zufrieden gewesen zu sein und soll ihn auch sehr verehrt haben.“
 

Kaero seufzte.
 

„Ja. Er hat mir eine ganz schöne Bürde auferlegt.“
 

„Sei doch nicht so Kaero. Du wirst ein großartiger König sein, da bin ich mir sicher.“
 

„Wir werden sehen wie ich mich schlage.“
 

„Du bist zu pessimistisch.“
 

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
 

„Soll ich dich dann jetzt alleine lassen?“
 

Kaero blickte ihn an.
 

„Nein. Bleib noch ein bisschen. Wir sind selten zusammen.“
 

Seeras lächelte.
 

„Wie du willst.“
 

***
 

Kaero wachte am nächsten Morgen eher etwas verwundert auf. Er hatte nicht bemerkt, wann er eingeschlafen war, aber was ihn mehr verwirrte war, das sein Lacken ausgetauscht worden war und er nichts am Körper trug. Wahrscheinlich würde Seeras mehr wissen. Er war schließlich den ganzen Abend mit ihm zusammen gewesen und er konnte sich noch daran erinnern, dass er ihm zugehört hatte. Er musste dabei vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Aber warum der Rest? Es machte für ihn keinen Sinn...
 

Schnell stand er auf und warf sich ein paar Kleider über. Was wohl heute wieder auf ihn zukam? Er war bloß froh, noch nicht verheiratet zu sein. Wenn er eine Ehefrau hätte, würde die sich wahrscheinlich schon längst über ihre Einsamkeit beschweren.

Auch dieser Tag brach wunderschön an und tauchte die Welt wieder in warmes Licht. Ja, seine unbeschwerten Tage waren definitiv vorbei.
 

***
 

„Warum? Warum hast du mich das tun lassen?“
 

'Warum? Ich bitte dich. Du bist derjenige der sich nun schon jahrelang nach ihm verzehrt. Ich habe nur deine Sehnsucht erfüllt...'
 

„Nein! Ich wollte niemals, dass er es weiß! Ich wollte ihm niemals derartigen Schmerz zufügen!“
 

'Tatsächlich? Obgleich ich dir ab einem bestimmten Punkt die Kontrolle überlassen habe, hast du dennoch nicht von ihm abgelassen.'
 

„Nein! Ich... Ich...!!!“
 

'Mein armes geplagtes Kind. Komm, lass mich dich kontrollieren und du brauchst dich um nichts mehr zu sorgen. Ich verspreche es dir. All deine Sorgen werden verschwinden.'
 

„Nein! Verschwinde endlich! Lass mich in Ruhe! Er wird mich verabscheuen und hassen!“
 

'Nein, das wird er nicht.'
 

„Was?!“
 

'Ich habe ihm jegliche Erinnerung daran genommen und sogar sein Körper kann dich nicht verraten, da ich ihn ein wenig manipuliert habe.'
 

„Aber...“
 

'Kein aber, mein Kind. Überlass einfach alles mir...'
 

***
 

„Seeras!“
 

Er drehte sich um. Endlich hatte er seinen großen Bruder eingeholt.
 

„Was ist los, Kaero?“
 

„Na ja, kannst du mir sagen, warum ich in einem gewechselten Bett und ohne Kleidung aufgewacht bin?“
 

„Oh, das. Du bist mitten in unserem Gespräch eingeschlafen und ich hatte bemerkt, dass du Fieber hast und bin noch eine Weile bei dir geblieben. Als ich gehen wollte, habe ich halt noch alles schnell gewechselt, weil es durch und durch nass war. Entschuldige, wenn es dir unangenehm war.“
 

„Nein, schon in Ordnung. Ich hatte mich nur gewundert. Danke, Seeras.“
 

„Ist doch selbstverständlich.“
 

Plötzlich hörten sie, wie etwas in ihrer Nähe auf den Boden aufschlug und drehten sich verwundert um. Der Lärm war von einer Magd gekommen, die ihren Wäschekorb fallen gelassen hatte. Sie war bleich wie eines ihrer Betttücher und blickte sie beide an, als wären sie verrückt geworden. Danach lief sie wie von Sinnen davon und ließ den Wäschekorb zurück.
 

„Was war denn das?“
 

„Keine Ahnung.“
 

***
 

Den ganzen Tag war Kaero beschäftigt und gönnte sich nur sehr kurze Pausen. Alles schien den ganzen Tag über friedlich und nichts zerstörte diesen Frieden. Doch war dies nur die Ruhe vor dem Sturm, denn die Katastrophe begann nachts...
 

***
 

„Kaero! Kaero,wach auf!“
 

Er schlug abrupt die Augen auf. Die weinende Stimme seiner Schwester erkannte er sofort.
 

„Was ist geschehen?“
 

„Kaero, das Schloss...“
 

Und dann bemerkte auch er es. Alles brannte. Auch sein eigenes Zimmer stand schon in Flammen.

Schnell schlug er die Decke zurück und sprang aus dem Bett.
 

„Was machst du denn noch hier, Narima? Und du auch, Lerko?“
 

„Ich war besorgt um dich! In allen Räumen an denen ich vorbei kam, wurden die Menschen lebendig verbrannt! Ich wollte nicht, dass dir das auch geschieht, aber jetzt...“
 

„Idiotin! Lerko, wieso hast du sie nicht einfach aus dem Schloss gezerrt?“
 

„Verzeiht, Hoheit. Ich war bloß genauso naiv wie sie und sorgte mich um euch.“
 

Kaero seufzte tief und hustete gleich darauf. Der Rauch stieg ihm in die Augen.
 

„Verdammt! Jetzt werden wir alle drei wie Ochsen am Spieß gebraten! Lerko! Du bist doch der Magie fähig. Gibt es nichts was du tun kannst?“
 

„Wenn es ein normales Feuer wäre dann schon, aber dieses scheint einen übernatürlichen Ursprung zu besitzen.“
 

„Übernatürlicher Ursprung? Ist es etwa magisches Feuer?“
 

„Nein, nicht wirklich. Es wird kontrolliert, aber mehr kann ich dazu auch nicht sagen.“
 

Mittlerweile waren sie am Ende des Zimmers angelangt. Kaeros Bett brannte und knisterte schon längst fröhlich vor sich hin.
 

„Ich frage mich ob auch Lodvag betroffen ist. Ich hoffe nicht. Es reicht schon aus, wenn das Schloss abbrennt, da muss nicht auch noch die Stadt am Fuße des Schlosses leiden.“
 

„Großer Bruder...“
 

Lerko lächelte. Das war so typisch für den Prinzen.
 

„Eure Hoheiten.“
 

Beide drehten den Kopf zu ihm um.
 

„Ich bin vielleicht nicht in der Lage das Feuer zu löschen, aber ich kann es zurück halten, wenn ich nur einen kleinen Raum davor beschützen muss.“
 

„Soll das heißen wir werden doch nicht sterben?“
 

„Ja, Prinzessin.“
 

„Ich verbiete es dir.“
 

„Kaero?“
 

„Du würdest außerhalb des Schutzkreises stehen, damit er lange genug anhalten kann, nicht wahr?“
 

Lerko blieb stumm und lächelte den Prinzen nur sanft an.
 

„Ich verbiete dir, dich vor meinen Augen zu opfern, Lerko!!!“
 

„Ich glaube,... dass wird das letzte und erste Mal sein, das ich mich euch verweigere. Bitte verzeiht, aber es ist nicht nur meine Pflicht euch beide zu beschützen, nein, es ist mein Wunsch als ein jahrelanger Freund und Begleiter eures Lebens.“
 

„Lerko!“
 

Grob packte der Prinz ihn an den Schultern.
 

„Ihr könnt mich nicht aufhalten.“
 

„Doch, ich kann! Und wenn ich dich bewusstlos schlagen muss, du alter Narr!“
 

„Kaero!“
 

Narima lief auf sie zu. Ein Balken fiel neben ihnen zu Boden.
 

„Das wird nicht nötig sein.“
 

Ein knarrendes Geräusch ertönte und die Steinwand hinter ihnen kam auf sie zu und glitt zur Seite. In der nun entstandenen Öffnung stand eine Frau in Lederkleidung, langen braunen Haaren und Augen, die wohl eher ein Falke sein eigen nennen würde. Sie war eine Amazone und Kaero hatte das Gefühl sie schon vor Jahren einmal gesehen zu haben.
 

„Wer seid ihr Amazone?“
 

„Eine Freundin und Verbündete, mein aufgebrachter Prinz. Ihr habt ein ganz schönes Temperament.“
 

„Wie, bitte?!“
 

„Nun, wir sollten später reden oder ihr werdet bald brauner sein, als euch lieb ist.“
 

Kaero funkelte sie zwar etwas misstrauisch und missmutig an, nickte aber und zog Lerko vom Feuer weg.
 

„Dann führe uns, Amazone. Wehe dir jedoch, solltest du ein Verräter sein.“
 

„Welch Mut, mein Prinz. Glaubt mir, wenn ich wollte könnte ich euch in ein paar Sekunden umbringen.“
 

„Wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr. Dergleichen Leute sind mir meistens am liebsten. Unterschätzt mich wenn ihr wollt, aber bereut es am Ende nicht.“
 

Mit fast schwarzen Augen und nur einem Funken von grün, in denen sich die Flammen spiegelten, blickte er sie an und lächelte. Lächelte, als könne selbst die Hölle ihm nichts anhaben.
 

„Mitnichten. Lasst uns gehen. Folgt mir.“
 

„Mit Freuden.“
 

Der Geheimgang durch den sie kurz darauf gingen, war uralt und es war stickig hier drin. Manchmal kamen sie an Abzweigungen vorbei und meistens war entlang dieser Korridore bereits die Hitze der hinter dem Stein lauernden Flammen zu spüren. Die Amazone führte sie unbeirrbar durch die schattenhafte Dunkelheit. Und je länger sie liefen, desto mehr hatte Kaero das Gefühl, in einem Alptraum zu wandeln, aus dem er und das war ihm nur allzu schmerzlich bewusst, nicht mehr aufwachen konnte, sondern ihn bis zum Ende träumen musste.
 

Eine Ewigkeit so schien es, hatten sie gebraucht, um endlich den Ausgang des Labyrinthes zu erreichen und ein jeder atmete die kalte Nachtluft in tiefen Zügen ein. Sie waren auf einem Hügel nahe des Schlosses heraus gekommen, auf dem häufiger Kinder spielten, um die Erwachsenen nicht zu stören. Kaero erinnerte sich nur zu genau an diesen Hügel. Auch er hatte als Kind hier gespielt, aber dieser Ausgang des Geheimganges war ihm niemals aufgefallen. Er drehte sich halb um und erblickte sein Zuhause. Es war nun nur noch ein einziges Flammeninferno und sogar der Himmel darüber schien in lodernden Feuern zu brennen. Kaero biss sich auf die Lippe und Blut floss. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und sein ganzer Körper zitterte vor Wut und Anspannung. Niemals würde er diese Tat verzeihen, niemals.
 

„Ich werde denjenigen finden, der hierfür verantwortlich ist und dann wird er sich wünschen, mir niemals begegnet zu sein. Ich schwöre es, er wird dafür bezahlen. Bereue deine Existenz jetzt schon! Hörst du?! Ich kriege dich und wenn ich ans Ende der Welt laufen muss!!!“
 

Lerko und Narima standen etwas abseits und blickten ihn mit gemischten Gefühlen an. Die Amazone jedoch hatte einen düsteren Gesichtsausdruck und flüsterte beinahe ihre nächsten Worte.
 

„Würdet ihr das immer noch sagen, wenn ihr wüsstet, dass es euer Bruder war?“
 

Kaero drehte sich langsam um und durchbohrte sie mit seinem Blick.
 

„Wenn dem wirklich so ist... dann habe ich nie einen Bruder gehabt, sondern nur eine gesichtslose Marionette, die sich mein Bruder nannte... Wenn er es wirklich war,... dann werde... ich ihn bis in alle Ewigkeit... hassen...“
 

Er stand mit zusammengepressten Lippen da, stolz und gebrochen zugleich und ließ seine Tränen fallen, ohne auch nur einmal etwas von sich verlauten zu lassen und seine Augen waren es dieses Mal, die dem Feuer glichen, welches er gerade so verabscheute.
 

***
 

Blut und Feuer. Das waren die Dinge die er am meisten liebte. Chaos.
 

Seine Schultern zitterten leicht, doch plötzlich warf er den Kopf zurück und das Lachen welches seiner Kehle entsprang war so kalt und dunkel, das selbst die Farbe schwarz unpassend wäre, es zu beschreiben.

Kichernd ging er langsam zu einer Person, die zusammengesunken in einem Thron saß, kniete sich hin und legte das Gesicht auf den blutverschmierten Schoß. Langsam schloss er die Augen und eine Träne floss seine Wangen entlang. Dann schlug er abrupt die Augen auf und grinste diabolisch.
 

„Du hast ihn getötet Seeras...“
 

Er sagte es in einem Singsang.
 

„Du hast den König gemordet! Du hast das Schloss verbrannt! Du hast deine Familie getötet! Du hast... ihn... GETÖTET! Du hast Kaero getötet!“
 

Heiße Tränen flossen an seinem Gesicht hinab und der Körper der zwei Seelen beherbergte zitterte.
 

„Fühlst du es, Seeras? Ihr Blut klebt an deinen Händen. Sieh dich um. Alle sind tot. Niemand ist mehr übrig, also kann dir auch niemand mehr Probleme bereiten. Auch nicht die kleine Magd, die dich sah, als du dich an deinem eigenen Bruder vergingst, niemand. Habe ich dir nicht gesagt, dass du es mir überlassen sollst? Sieh, ich habe es geregelt, nicht?“
 

Sein Körper bäumte sich auf und mit einem hysterischen Lachen entfuhr ihm eine schwarze Seele die im Nichts verschwand.
 

Seeras keuchte. Mit Abscheu und mit unbeschreiblicher Trauer betrachtete er sich selbst und seine Umgebung. Ein Aufschrei des Schmerzes und der Verzweiflung erfüllte den blutgetränkten Thronsaal.

Seeras weinte bitterlich am Fuße seines toten Vaters. Plötzlich schlugen Flammen durch die Tür und sie verschlangen alles gierig, jetzt da der, der sie kontrolliert hatte, verschwunden war. In wenigen Sekunden war Seeras am brennen. Er schrie nicht, versuchte nicht zu entkommen, er weinte nur, weinte über seine abgrundtiefe Schwäche. Das Letzte was seine Lippen formten waren die Worte:
 

„Vergebt mir. Bitte... Vergebt mir...“
 

Sein Körper fiel zu Boden und wurde bald zu Asche, aber ein leises Kichern lag immer noch in der Luft und sollte sobald auch nicht verklingen.

Erinnerungen

Sie hatten die Nacht auf dem Hügel verbracht und die Sonne grüßte sie mit warmen Strahlen. Kaero jedoch erschien die ganze Welt, als ob sie ihn verhöhnen würde, nachdem was geschehen war. Er war wegen dieser Gedanken und Gefühle wütend auf sich selbst. Andere mussten schließlich nicht auch leiden, nur weil er es tat. Schritte näherten sich und er drehte sich um. Die Amazone kam auf ihn zu und verbeugte sich elegant.
 

„Was wollt ihr? Gibt es etwas, was ich tun kann?“
 

„Nein, mein Prinz. Ich dachte nur, ich sollte mich vorstellen. Die Prinzessin und Lerko kennen mich jetzt, ihr jedoch nicht. Mein Name ist Quinza, eine Tochter Prikolanis, dem Dorf der Amazonen.“
 

„Angenehm, Quinza. Ich nehme an, ihr kennt uns durch unsere Mutter? Sie war schließlich auch eine Amazone.“
 

„Ja, das ist richtig. Sie hat mir alles mögliche über euch erzählt, als sie noch lebte. Nachher erfuhr ich dann auch von eurer Schwester, wie eigentlich das ganze Land.“
 

Kaero nickte leicht.
 

„Ihr wart also eine gute Freundin meiner Mutter? Sie hat nie viel von den Amazonen gesprochen fürchte ich und auch nicht von euch.“
 

„Das ist nur normal. An dem Tag an dem sie euren Vater geheiratet hat, war sie keine Amazone mehr, sondern nur noch eine normale Frau.“
 

„Ich verstehe. Darf ich euch etwas fragen?“
 

„Nur zu.“
 

„Wieso habt ihr uns geholfen und woher wusstet ihr das alles?“
 

„Nun, ich half euch, weil es eine Art Pflicht von mir ist, euch zu helfen. Ich kann noch nicht genauer darauf eingehen. Und warum ich wusste, dass es euer Bruder war, nun, ich war im Schloss und sah ihn ein paar Stunden, bevor es passierte. Glaubt mir, Hoheit. Er war nicht er selbst. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen und ich weiß, wie er war. Sanft und gütig und immer um andere besorgt. Den, den ich dort traf, das war nicht Prinz Seeras.“
 

„Vielleicht... war es einfach nur sein wahres Wesen und wir haben den wirklichen Seeras, nie getroffen...“
 

„Glaubt ihr das tatsächlich? Obwohl ihr ihn so sehr geliebt habt?“
 

„Was soll ich sonst denken?! Welche Erklärung soll ich sonst finden, für eine der wichtigsten Personen in meinem Leben?!“
 

Quinza blieb eine Weile stumm und blickte zum Himmel.
 

„Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht wirklich Seeras war und das mehr hinter all dem steckt, als wir jetzt wissen.“
 

„Vielleicht habt ihr recht. Ich weiß es nicht, aber wenn der eigentliche Übeltäter hierfür noch immer herum läuft, werde ich ihn jagen, das schwöre ich euch.“
 

Quinza blickte ihn an und lächelte.
 

„Wenn das so ist. Darf ich euch dann ausbilden?“
 

„Ausbilden? Wie meint ihr das?“
 

„In Kampftechniken mit verschiedenen Waffen. Ihr beherrscht nur die Schwertkunst, sonst aber nichts. Ich bin mir sicher, ihr könntet auch andere Waffen meistern. Ihr könntet euch somit an Situationen anpassen und schneller agieren.“
 

„Das ist wahr.“
 

„Nun?“
 

„Ich werde es mir überlegen.“
 

„Das ist euer gutes Recht. Ich kann immerhin warten. Wir werden sowieso genug Zeit miteinander verbringen.“
 

„Ihr wollt also wirklich bei uns bleiben?“
 

„Ich sagte doch, dass ich eine Pflicht habe.“
 

„Wohl wahr. Glaubt aber nicht, dass ich euch schon vertraue.“
 

„Das weiß ich. Eure Körpersprache ist mehr als deutlich darüber. Außerdem wäre ich etwas enttäuscht gewesen, wenn ihr zu naiv wärt.“
 

„Wenn ihr es sagt, dann...“
 

Ein Schrei der offenkundig Narima gehörte schnitt Kaero das Wort ab. Alarmiert griff Quinza zum Kurzschwert und rannte zu ihrem Rastplatz. Kaero dicht hinter ihr.

Als sie den Schauplatz erreichten, blickte Narima auf. Sie saß auf dem Boden und sah etwas bleich aus, aber ansonsten schien alles in Ordnung.
 

„Was ist denn passiert, Narima? Wieso hast du so geschrien?“
 

„Ich entschuldige mich. Ich habe mich nur so fürchterlich erschreckt. Weißt du, es fiel plötzlich jemand aus dem Gebüsch und, na ja...“
 

Kaero seufzte erleichtert.
 

„Wer ist es der aus dem Gebüsch fiel? War er tot?“
 

Narima schüttelte den Kopf.
 

„Nein, Quinza. Er lebt. Kaero, Lerko und ich kennen ihn sogar.“
 

„Was? Wer ist es denn?“
 

„Es ist Haolon, Bruder. Lerko kümmert sich um ihn, drüben am Bach. Er sah furchtbar aus. Wie der wandelnde Tod, aber er atmete noch.“
 

„Quinza. Würdet ihr wohl zu Lerko gehen und nachsehen wie die Dinge stehen?“
 

„Sicher. Ich bin gleich wieder zurück.“
 

Mit schnellen Schritten war sie im Gebüsch verschwunden.
 

„Wieso gehst du nicht selbst, Kaero? Ich dachte Haolon ist ein wichtiger Freund für dich.“
 

„Natürlich ist er das. Ich möchte dich nur nicht alleine mit Quinza lassen.“
 

„Warum? Sie ist eine Freundin.“
 

Kaero lachte kurz auf.
 

„Du bist noch so unschuldig, Narima. Das ist es eben, was wir noch nicht feststellen können. Sie könnte uns auch plötzlich hinterrücks meucheln, wenn es ihr beliebt. Sie ist eine Amazone. Eine handvoll unbewaffneter Flüchtlinge kann sie spielend auslöschen.“
 

Narima blieb stumm und betrachtete ihre Hände. Wie dumm sie war. Natürlich hatte ihr Bruder recht. Sie konnten jemandem nicht einfach so vertrauen, nur weil sie ihnen einmal geholfen hatte. Narima war wütend über sich selbst.
 

„Entschuldige...“
 

„Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen, Narima. Es ist natürlich. Du musstest vorher nie an so etwas denken. Behalte es einfach im Hinterkopf, ja?“
 

Sie nickte.
 

„Aber, was meinst du mit Flüchtlingen? Wir sind doch eher Überlebende.“
 

„Nein. Man wollte uns alle tot sehen. Deswegen Flüchtlinge. Wenn derjenige weiß, das wir noch leben, werden wir in enorme Schwierigkeiten geraten.“
 

„Ich dachte das alles war... Seeras...“
 

„Um ehrlich zu sein haben Quinza und ich beide das Gefühl, dass mehr dahinter steckt, als wir vermuten.“
 

„Wie das?“
 

„Ich weiß nicht, aber das hätte Seeras nicht getan, oder? Vielleicht war es in Wahrheit doch jemand anderes.“
 

„Das wäre wundervoll! Dann wäre es doch nicht Seeras Schuld!“
 

„Ja, aber wundervoll wäre es nicht. Der eigentliche Täter würde dann nämlich immer noch da draußen sein.“
 

„Ich bin zurück, eure Hoheit.“
 

„Ah, Quinza. Und? Wie steht es um Haolon?“
 

„Gut. Er sah wohl schlimmer aus als es war.“
 

„Wenigstens eine gute Nachricht.“
 

„Was habt ihr nun vor?“
 

„Ich denke, als erstes sollten wir uns Proviant und Waffen in Lodvag beschaffen. Ich würde gerne euch und Lerko um diesen Gefallen bitten.“
 

„Sicher. Aber wird man Lerko nicht erkennen?“
 

„Ich denke nicht. Er hat nur selten das Schloss verlassen. Es sollte alles gut gehen.“
 

„Wenn ihr es sagt.“
 

***
 

In dieser Nacht stand Kaero Wache, wie schon in der Vorigen. Er konnte ohnehin nicht vernünftig schlafen und wachte ständig schweißgebadet wieder auf. Da konnte er sich auch nützlich machen und gleich wach bleiben. Er saß auf einem Baum, von dem aus er die gesamte Umgebung überblicken konnte und hörte die Schlafgeräusche der anderen. Die Nacht war kalt und klar und der Sternenhimmel schien sich in die Unendlichkeit zu ziehen. Mit kalten Fingern betastete er seine Brust und brachte eine silberne Kette zum Vorschein, die einen grünäugigen Löwen trug. Er lächelte, während er sie betrachtete und schloss für einen Moment die Augen. Wie gerne würde er jetzt in einer Zeit sein, die anders war von dieser. In einer Zeit, in der seine Mutter und Seeras noch lebten...
 

***
 

Er hörte den Wind über ihm in den Blättern rauschen, spürte die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterwerk auf seine Haut schienen und seufzte. Es war ein wunderschöner Tag, der perfekt zu seiner Laune passte. Er war nämlich voller Freude auf den Abend, denn heute hatte er Geburtstag und würde sieben Jahre alt werden. Langsam öffnete er die Augen, blinzelte kurz und schaute in Richtung des Wandelgangs. Seine Mutter stand dort und unterhielt sich angeregt mit jemandem. Etwas neugierig darüber wer es wohl war, rückte er ein wenig die Zweige beiseite und erblickte eine Frau in Lederkleidung. Er konnte ihr Gesicht aus dieser Entfernung nicht erkennen, aber es war eine Amazone, da war er sich sicher. Plötzlich stockten sie in ihrer Unterhaltung und die fremde Frau blickte direkt in seine Augen, er war sich sicher darüber. Sie verbeugte sich kurz in seine Richtung, sprach ein, zwei Worte zu seiner Mutter und verschwand. Er sprang vom Baum und landete elegant im Gras.
 

„Guten Morgen, Kaero.“
 

„Guten Morgen, Mutter. Wie geht es euch heute?“
 

„Oh, gut. Ich kann nicht klagen.“
 

„Wie geht es dem Baby?“
 

„Ich hoffe doch auch gut. Willst du mal fühlen? Es tritt jetzt immer härter.“
 

Sanft und vorsichtig legte er seine Hände auf den Bauch und lehnte seinen Kopf dagegen. Er konnte einen Herzschlag hören und, da, ganz schnell konnte er einen Tritt spüren.

Kaero blickte schnell hoch zu seiner Mutter und lächelte.
 

„Du hast es gespürt nicht wahr?“
 

Er nickte und lachte freudig auf.
 

„Weißt du was es wird?“
 

„Ich kann nur vermuten, aber ich glaube es wird ein Mädchen.“
 

„Ein Mädchen! Dann werde ich gut auf sie aufpassen. Ich bin sicher, sie wird genauso schön wie ihr Mutter, deswegen wird man auf sie achten müssen.“
 

„Ach Kaero! Bevor ich es vergesse. Ich soll dir von Seeras ausrichten lassen, dass es dir nicht gestattet ist, sein Zimmer zu betreten.“
 

Kaero grummelte in sich hinein.
 

„Schon wieder! Das geht jetzt schon seit Tagen so. Bin ich ihm denn so lästig geworden?“
 

„Aber nein. Er hat schon seine Gründe Kaero.“
 

„Ihr wisst also warum ich nicht zu ihm darf, Mutter?“
 

„Nun ja... schon, aber ich darf es dir nicht sagen. Ich habe es Seeras versprochen. Hab noch ein wenig Geduld.“
 

„Ich will es aber wissen! Ich will mich wieder mit ihm unterhalten und ihm beim Vorlesen zuhören und ich will endlich wieder mit ihm die Schwertkunst üben, so wie sonst auch!“
 

„Ich weiß es doch. Manchmal muss man sich eben zurückhalten, Kaero.“
 

„Hmpf! Wer war die Frau mit der ihr gesprochen habt?“
 

„Oh! Das musst du nicht wissen.“
 

„Nein, aber ich möchte es wissen. Sie interessiert mich.“
 

„Wie? Hast du dich etwa in sie verguckt? Sie ist aber viiiiiiel zu alt für dich, mein Schatz.“
 

„Das meinte ich nicht!!!“
 

Sie lachte auf und strich ihm durchs Haar.
 

„Ich weiß. Vergiss sie einfach, in Ordnung? Ich werde dir noch von ihr erzählen, aber nicht jetzt. Später.“
 

„Immer nur später! Wieso denn nicht jetzt?!“
 

Sie lachte noch einmal, küsste ihn auf die Stirn und verabschiedete sich.
 

***
 

Am Abend hatte Kaero das schon alles wieder vergessen und freute sich nur noch über seine Feier. Solche Tage waren es, die er am meisten liebte, weil dann wenigstens für ein paar Stunden alle bei ihm waren, die er liebte. Ihr Vater nahm sich immer die Abende an den Geburtstagen seiner Familie frei, selbst wenn die Minister ihn bis zur letzten Minute anflehten, es nicht zu tun. Er lächelte dann immer nur und meinte, wenn nicht jetzt, wann sollte er sich dann die Zeit für seine Familie nehmen. Daraufhin verstummten die Minister meistens, weil sie keine Antwort darauf wussten und jedes Mal grinste Kaero breit und umarmte seinen Vater. Er wusste, dass sein Vater viel zu tun hatte und nicht so häufig bei ihnen sein konnte, aber dass er sich wenigstens an diesen Tagen Zeit für sie nahm, war großartig und dafür liebte Kaero ihn noch mehr.
 

„Kaero.“
 

Er drehte sich um und blickte zu seinem großen Bruder auf.
 

„Ähm... Dein Geschenk, bitte schön. Ich wollte es dir persönlich geben und nicht auf den Geschenkehaufen geben. Ich hoffe es gefällt dir.“
 

Mit leuchtenden Augen nahm er das Geschenk entgegen und öffnete es vorsichtig. Zum Vorschein kam eine Holzkiste, die mit einer wunderschönen, Flöte spielenden, Elfe verziert war.
 

„Seeras das ist so schön! Hast du die selbst geschnitzt?“
 

Hinter ihm stand ihre Mutter und nickte lächelnd.
 

„Die ist so schön. Danke!“
 

„Na ja das eigentliche Geschenk ist in der Schatulle...“
 

Bewundernd öffnete Kaero das Schmuckkästchen und erblickte in ihrem Inneren eine silberne Kette mit einem Löwenanhänger. Kaero klappte der Mund auf. Er wusste, das Seeras die Kette selbst gemacht hatte. Er hatte ihm bereits erzählt, dass er das Handwerk erlernen wollte und war überwältigt, wie gut er darin war. Alles an diesem edlen Tier war so präzise ausgearbeitet, dass er fast glaubte, er würde ihm gleich entgegen springen und ihn anfauchen.

Seeras errötete geschmeichelt bei dem Anblick seines kleinen Bruders.
 

„Kaero...“
 

Er blickte auf, lächelte ihn an, umarmte ihn stürmisch und küsste ihn auf die Wange.
 

„Danke, Seeras. Das wird bestimmt das schönste Geschenk bleiben, was ich jemals bekommen werde.“
 

Ihre Mutter schmunzelte Seeras an.
 

„Habe ich dir nicht gesagt, dass es ihm gefallen wird, mein Lieber?“
 

„Ja, Mutter, das habt ihr.“
 

Und Seeras lächelte zufrieden seinen kleinen Bruder an.
 

***
 

Sonnenlicht streifte sein Gesicht und Kaero schrak hoch. Er war doch tatsächlich eingeschlafen. Wie unangenehm. Wenigstens schien nichts passiert zu sein und er konnte auch sonst nichts verdächtiges entdecken. Der Schlaf hatte ihm aber sichtlich gut getan, denn er wirkte frischer und wieder mehr seinem Alter entsprechend. Er sprang von seinem Ast und streckte sich gemütlich. Langsam ging er zum Bach und erledigte seine Morgendusche. Als er zurückkam, waren die anderen schon wach und begrüßten ihn. Er sah sich einmal um und erblickte Haolon, der seine Verbände von Lerko gewechselt bekam.
 

„Guten Morgen, Haolon.“
 

„Guten Morgen, eure Hoheit.“
 

„Wie geht es dir?“
 

„Schon viel besser. Ich habe schlimmeres erwartet, aber es sah und fühlte sich wohl schlimmer an als es war.“
 

„Das ist gut. Sag, kannst du mir erzählen was passiert ist?“
 

„Na ja. Nicht viel. Ich wurde wegen des Feuers geweckt und versuchte es zusammen mit meinen Leuten zu löschen. Das stellte sich aber als nutzlos heraus, nicht wahr?“
 

„Verstehe. Hat Lerko dir schon alles erzählt?“
 

Haolon nickte.
 

„Aber glaubt ihr wirklich, dass es Prinz Seeras war?“
 

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr was ich glauben soll, aber Quinza und ich vermuten, dass auch jemand anderes dahinter stecken könnte.“
 

„Das wäre wenigstens eine seelische Erleichterung, meint ihr nicht?“
 

„Ja. Aber Haolon, etwas anderes. Meinst du, du schaffst es morgen mit uns mit zu kommen? Ich würde gerne aufbrechen, auch wenn ich noch kein Ziel vor Augen habe, aber vielleicht erfahren wir unterwegs mehr und wir können hier nicht bleiben.“
 

„Ich denke schon, dass ich das schaffen kann, nicht wahr Lerko?“
 

Dieser nickte zustimmend.
 

„Er sollte durchaus in der Lage sein zu reisen, eure Hoheit.“
 

„Gut. Lerko? Du weißt, was du und Quinza zu erledigen habt. Am besten geht ihr so früh wie möglich los, dann sind noch weniger Leute unterwegs. Ich möchte das Risiko des entdeckt werden auf ein Minimum reduzieren.“
 

„Verstanden. Ich sage der Amazone dann Bescheid.“
 

Quinza und Lerko wurden, gelobt seien die Elemente, wirklich nicht in Lodvag erkannt und konnten somit ungestört Vorräte und Waffen kaufen. Ebenfalls konnte die Amazone drei recht gute Pferde für einen akzeptablen Preis ergattern. Kaero schwor sich nachher, ihr das ganze Geld zweifach zurückzugeben und wusste, dass sich noch wesentlich mehr anhäufen würde.
 

„Ich denke, wir haben alles Prinz.“
 

„Sehr gut. Danke ihr zwei. Dann brechen wir morgen früh auf in Richtung Kalisamdo.“
 

„Wieso in Richtung Kalisamdo?“
 

„In Kalisamdo leben die Elben. Da sie starke magische Geschöpfe sind, könnten sie uns vielleicht helfen. Das Feuer im Schloss wurde schließlich magisch kontrolliert und ich glaube nicht, dass es sehr einfach ist dieses zerstörerischste aller Element zu kontrollieren.“
 

„Der Prinz hat recht, Quinza. Feuer kann man nur mit einem gewissen Grad an magischem Können und Erfahrung kontrollieren. Es ist zu wild, unberechenbar. Die Elben können uns sicher helfen und uns sagen, wer auf dieser Welt fähig ist so etwas zu tun.“
 

„Prinz Seeras konnte folglich also keine Magie einsetzten?“
 

„Nein, ebenso wenig wie ich auch nicht.“
 

„Ähm, Kaero?“
 

Narima zog leicht an dem Wams ihres Bruders. Dieser drehte sich um und sah sie fragend an.
 

„Was ist, Narima?“
 

„Wegen dem Aufbruch morgen...“
 

„ Ja?“
 

„... ich würde gerne hier bleiben... und... und Vater und die anderen begraben. Ich will sie nicht einfach so liegen lassen...“
 

„Was redest du denn da? Das kannst du nicht tun. Du hast uns doch die ganze Zeit zugehört. Es ist viel zu gefährlich für dich.“
 

„Aber Kaero...!“
 

„Kein aber! Es ist zu gefährlich! Ich versprach auf dich aufzupassen und das werde ich auch tun.“
 

„Wem hast du das versprochen? Vater etwa?“
 

Er schüttelte leicht den Kopf.
 

„Nein. Ich habe es Mutter versprochen, als du noch in ihrem Leib warst. Das war das letzte Versprechen, das ich ihr geben konnte und das werde ich unter keinen Umständen brechen.“
 

„... Das hast du mir nie erzählt...“
 

„Es... schmerzt etwas über sie zu reden, deswegen vermeide ich es meistens.“
 

„Ich werde trotzdem hier bleiben. Ich muss hier bleiben und sie alle begraben!“
 

„Narima! Sei vernünftig! Wer weiß was dir alles passieren könnte, wenn du hier bleibst. Ich glaube nicht, das es eine gute Idee ist, sein Leben für Tote weg zu werfen. Das ihre Körper da herum liegen stört sie sicher nicht, da ihre Seelen schon längst von uns gegangen sind.“
 

„Aber Bruder...“
 

Ein Räuspern ertönte hinter den Geschwistern und sie drehten sich um. Haolon blickte sie an.
 

„Eure Hoheiten, ich verstehe eurer beiden Sorgen, also was würdet ihr davon halten, wenn ich bei Prinzessin Narima bleibe. Ich kann sie beschützen und ihr helfen. Ich war schließlich nicht umsonst Hauptmann der Torwache.“
 

Kaero blickte seinen alten Freund lange an. Nicht das er ihm oder seinen Fähigkeiten nicht vertraute, aber er hatte das unbestimmte Gefühl, dass etwas vor sich ging in Teeren, das nicht mit rechten Dingen zu ging und ihrer aller Horizont überstieg. Dann seufzte er aber doch ergeben, nach dem Blick in die Augen seiner Schwester.
 

„Einverstanden.“
 

„Danke, Kaero!“
 

„Ja, ja, ja. Lass gut sein, Schwester. Haolon...“
 

„Ich weiß. Mein Schwur galt eurem Vater und nun gehört er euch. Ich schwöre im Namen der Elemente, dem Königreich und meinem eigenem Blut, Euch zu dienen, selbst wenn mein Körper zu Staub zerfallen ist. Euren Worten zu lauschen und mein Leben für das Eure zu lassen. Mein Schwert und mein Leben gehören Euch. Sagt ein Wort und es soll geschehen.“
 

Während Haolon dies sagte, war er auf ein Knie gesunken, sein Schwert stak im Boden und eine Hand lag am Griff und die andere über seinem Herzen. Kaero war gerührt und konnte für einen kurzen Moment nichts mehr sagen.
 

„Ich danke dir Haolon. Ich bin jedoch kein König und ebenso Thron los. Dein Schwur gilt einem König und keinem Prinzen ohne Schloss oder Land.“
 

„Nein. Für mich seid ihr ein König seit ich euch kennen lernte und das wird sich für mich niemals ändern. Ich werde den Tag niemals vergessen, an dem ich euch das erste Mal traf und somit gebe ich diesen Schwur mit reinem Gewissen.“
 

Kaero legte eine Hand auf seine Schulter und lächelte.
 

„Dann nehme ich deinen Schwur an und werde mein bestes geben, mich ihm würdig zu erweisen.“
 

„Wie auch ich, mein Prinz.“
 

Quinza nickte zufrieden. Er war also in der Lage solche Gefühle in Menschen hervorzurufen. Ein Zeichen seines Können und seines Herzen.
 

***
 

Haolon konnte sich noch gut daran erinnern, wie er Kaero zum ersten Mal getroffen hatte. Er stammte weder aus einer guten noch einer reichen Familie. Seine Eltern waren früh gestorben, sodass er zu einem Straßenkind wurde. Damals streifte er unbeachtet jeden Tag durch die Straßen und Gassen Lodvags und verfluchte so ziemlich alles, was man verfluchen konnte. Da gerade Regenzeit war und es wieder in Strömen regnete, er dazu auch noch Hunger hatte, sah er sich nach etwas Essbarem und einer Unterkunft um. Er bog um die Ecke und sah wie eine handvoll junger Männer jemanden bedrängten. Neugierig darauf, warum sie so versessen auf denjenigen waren, ging er vorsichtig näher heran und erspähte einen nobel gekleideten Jungen, der etwa im selben Alter, wie er selbst schien. In dem Stimmengewirr hörte er Wortfetzen wie:
 

„Kleingeld, junger Herr!“ - „Seine Kleider sind auch was wert!“ - „Zieht ihm die Schuhe aus!“ - „Zieh ihm eins über die Rübe, gibt weniger Probleme!“
 

„Ich bitte darum, mich durch zu lassen, meine Gefährten erwarten mich!“
 

Langsam sah Kaero sich ihre Gesichter an und fixierte ihre Augen auf sich. Obwohl bedrängt stand er hoch erhobenen Hauptes vor ihnen.
 

„Ich weiß, dass es sehr viele Menschen in Lodvag gibt, die nicht viel oder gar nichts besitzen, doch deshalb sind wir ja her gekommen. Doch ich wollte alles mit meinen eigenen Augen sehen, damit ich besser helfen kann und ich schwöre euch, ich versuche eine Lösung zu finden!“
 

„Hört euch den Bengel an!“ - „Ich schwöre euch, ich schwöre euch, haha!“ - „Wenn ich es habe und es mir gehört, glaube ich es!“ - „Will der Kleine uns verscheißern?!“
 

„Bitte, glaubt mir. Wenn wir meine Gefährten finden, erhaltet ihr Kleidung und Nahrungsmittel! Wir sind mit diesen Dingen zu euch gekommen und werden auch in Zukunft mit diesen Dingen kommen, drei Mal die Woche! Doch es gibt sie nicht kostenlos. Die Gegenleistung ist einen Tag in der Woche im Königshorst Holz zu sammeln und zu schlagen! Bitte, wollt ihr mitkommen und euch zu meinen Gefährten führen lassen?“
 

Etwas verunsichert, weil sie nicht wussten, ob sie das Gesagte nun glauben sollten oder nicht, blickten sich die Männer an. Haolon hatte jetzt schon begriffen, dass dies hier wohl der zweite Prinz sein musste, der nach seinem Vater regieren würde. Wie der allerdings in so eine Gegend kam, war ihm schleierhaft. Das was der junge Prinz gesagt hatte, glaubte er ihm auch ohne den Beweis zu haben. Er beschloss einzugreifen. Jetzt kam ihm zugute, das er die Schwertkunst von seinem Vater gelernt hatte. Kurz verweilten seine Gedanken bei seinem Vater, der stolz darauf gewesen war ein königlicher Soldat gewesen zu sein.

Haolon sah sich nach einem geeigneten Gegenstand für einen Angriff um und fand schnell was er suchte: Einen Besenstiel der gerade recht war. Schnell ging er zu der Gruppe zurück. Der Prinz wurde von allen Seiten bedrängt.
 

„Schluss jetzt! Lasst ihn in Ruhe!“ schrie Haolon. „Ihr habt doch gehört, was er versprochen hat!“
 

Einer versuchte ihn zu schnappen, aber Haolon wich geschickt aus und schlug den Stab gegen die Kniescheiben seines Angreifers. Dieser sackte jetzt auf den Boden und Tränen des Schmerzes waren in seinen Augen zu sehen. Die Anderen nahmen ihn jetzt ernster und Haolon kam doch in ernste Schwierigkeiten. Durch den Treffer brach der Besenstiel entzwei.
 

„Schnell, wirf mir die andere Hälfte zu!“
 

Haolon tat wie ihm gesagt wurde und warf dem Prinzen die zweite Hälfte des Stabes zu. Im Handumdrehen hatte er einige der Kerle auf den Rücken gelegt und kam zu ihm durch. Sie standen nun Rücken an Rücken und irgendwie erinnerte das Haolon an eine Heldengeschichte die er mal gehört hatte.
 

Das Ganze endete damit, dass sie die Kerle in die Flucht geschlagen hatten und beide fix und fertig auf dem nassen Boden saßen und nach Luft rangen.
 

„Was für ein Kampf.“
 

„Allerdings, eure Hoheit.“
 

„Eure Hoheit! Endlich haben wir euch gefunden! Wir haben uns solche Sorgen gemacht!“
 

Ehe Haolon sich versah standen überall Soldaten.
 

„Danke, Junge. Du hast seiner Hoheit geholfen, nicht wahr?“
 

Haolon nickte nur stumm.
 

„Hier nimm, etwas zum Anziehen und essen. Wenn du wieder etwas brauchst, komm am Donnerstag zum Marktplatz. Wir verteilen dann wieder Kleidung und Nahrungsmittel.“
 

Und so schnell wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Im Endeffekt hatte Haolon den Prinzen nicht einmal wirklich gesehen.
 

Am Donnerstag ging er zum Marktplatz und fand die Soldaten recht schnell. Plötzlich kam ein Junge in schlichter Kleidung auf ihn zu gerannt. Er hatte schwarzes, kurzes Haar und große, grüne Augen.
 

„Endlich habe ich dich gefunden!“
 

„Wie bitte? Was meinst du? Ich kenne dich doch gar nicht!“
 

„Aber du hast mir doch letztens das Leben gerettet!“
 

„Wie...?“
 

„Die Gasse, die Männer, die zweite Stabhälfte und ein furchtbar nasses Wetter.“
 

Haolon klappte der Mund auf. Vor ihm stand der Prinz von Teeren, der wahrscheinlich hübscheste Junge den er je gesehen hatte.
 

„W...Wieso sucht ihr nach mir, eure Hoheit! Ich bin doch nur ein Straßenjunge!“
 

„Was redest du da! Du gehörst zum Volk meines Vaters, also bist du ja wohl mehr als das! Na ja, egal. Ich wollte mich jedenfalls bei dir bedanken.“
 

„Bedanken? Bei mir?!“
 

„Ja. Danke, das du mich gerettet hast. Außerdem hatte ich mich letztes Mal nicht vorgestellt.“
 

Lächelnd streckte er eine Hand aus.
 

„Ich bin Kaero und wenn du magst kannst du zu uns ins Schloss kommen. Ich bin sicher du und ich können gute Freunde werden!“

Der Traum

Der nächste Morgen brach regnerisch an und jeder war dadurch ein wenig gereizt. Quinza, Lerko und der Prinz wollten so früh wie möglich aufbrechen und machten sich sofort nach dem Frühstück bereit.
 

„Ihr wollt wirklich schon aufbrechen, Bruder?“
 

„Je früher desto besser. Ich will wissen, was uns erwartet und um das zu erfahren, müssen wir nach Kalisamdo.“
 

„Ihr passt aber gut auf euch auf, ja?“
 

„Natürlich. Ihr beiden aber auch.“
 

„Ich werde mein bestes geben, eure Hoheit. Verlasst euch auf mich.“
 

Kaero nickte Haolon zu, gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange und schwang sich dann elegant in den Sattel. Quinza und Lerko kamen auf dem zweiten Pferd auf ihn zu getrottet. Das dritte, hatten sie beschlossen, würde bei der Prinzessin und Haolon bleiben.
 

„Kommt heil wieder zurück!“
 

Kaero hob zum Abschied die Hand und Lerko drehte sich noch einmal halb um und lächelte.
 

Haolon stellte sich neben Narima. Wie er sah hatte sie Tränen in den Augen und wollte einen Arm um sie legen oder eine Hand auf ihre Schulter, scheute sich aber davor, da er ihr zu nahe treten könnte und er sie nun wirklich nicht so gut kannte, wie den Prinzen. Also seufzte er ein wenig resigniert und sagte:
 

„Wollen wir morgen mit dem Gräber schaufeln beginnen? Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee bei diesem Regen wäre. Ihr könntet krank werden.“
 

Narima nickte stumm und wischte sich die Tränen ab.
 

„Ich muss stärker werden. Definitiv.“
 

„Wie?“
 

Narima sah ihn direkt an.
 

„Ich muss stärker werden. Ich bin viel zu schwach. Ich darf mich nicht immer auf andere verlassen, das kann ich mir jetzt nicht mehr leisten.“
 

„ … Ich verstehe Prinzessin. Wenn ich euch in dieser Hinsicht irgendwie helfen kann, sagt es mir bitte.“
 

„Ist gut. Ich habe nur leider noch keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Ich meine, ich könnte euch zwar fragen, mir die Schwertkunst beizubringen, aber ich weiß, dass ich mit der Art eurer Kunst nicht besonders zurecht komme, Haolon.“
 

„Jeder hat seinen eigenen Weg zu gehen im Leben. Mit Kampfkünsten ist es das Gleiche. Jeder hat seine eigene Technik, die Grundlage ist jedoch dieselbe.“
 

„Die Grundlage... Könnt ihr mir die beibringen?“
 

„Sicher, aber seid ihr euch sicher? Ich meine ihr seid eine Prinzessin...“
 

„Ja, ich bin mir sicher. Vollkommen sicher. Wenn wir hier fertig sind, will ich meinem Bruder helfen und um das zu können, darf ich nicht einfach ein überflüssiges Überbleibsel sein, das man andauernd beschützen muss. Ich will stark genug sein Kaero zu helfen.“
 

Haolon lächelte. Vielleicht waren sich die Geschwister doch ähnlicher, als er das gedacht hatte.
 

„Wenn das so ist, dann duzt mich ab jetzt, eure Hoheit. Wenn ich euch trainiere, will ich nicht dauernd gesiezt werden.“
 

„Gut! Das gleiche gilt dann auch für dich.“
 

„Ah? Aber das kann ich doch nicht machen! Ich meine,... Ich weiß ja, dass wir nicht im Schloss sind oder dergleichen, aber...“
 

„Kein aber! Du duzt mich ab jetzt Haolon! Ich hasse sowieso dieses dauernde gesieze.“
 

„Ähm, gut.... Denke ich...“
 

***
 

Kaero und die Anderen ritten jetzt schon seit einigen Tagen und nun machten sie Rast um die Nacht des fünften Tages zu begrüßen.
 

„Gott!“
 

„Was ist los, Lerko?“
 

„Nichts, gar nichts! Ich bin nur noch nie so lange geritten und jetzt tut mir eben mein verlängerter Rücken weh.“
 

„Ihr seid wirklich noch nie so lange geritten?“
 

„Nein, Quinza. Ich bin ja nur selten wegen meiner Forschung aus dem Schloss gekommen und musste keine Ritte unternehmen.“
 

„Das hättet ihr wohl besser mal getan.“
 

„Ja, allerdings. Das sehe ich jetzt auch ein. Wirklich, aber man kann so etwas ja auch nicht unbedingt ahnen.“
 

„Auch wieder wahr.“
 

„Ihr beiden scheint euch ja gut zu verstehen.“
 

Beide drehten sich um.
 

„Eure Hoheit.“
 

„Ich habe mich umgesehen. Hier ist weit und breit niemand und nichts zu sehen.“
 

„Hm. Wie lange müssen wir noch reiten um nach Kalisamdo zu kommen?“
 

„Noch zirka das doppelte von dem, was wir bis jetzt zurück gelegt haben, wenn ich mich nicht komplett täusche.“
 

„Wohl kaum, mein Prinz. Ihr wart schon immer sehr akkurat und ihr habt die Karte Teerens geradezu portraitiert, wenn ich das so sagen darf.“
 

„Danke Lerko, aber lobe mich nicht zu viel. Jeder macht Fehler. Irren ist schließlich menschlich, nicht wahr?“
 

„Wohl gesprochen! Sagt, euer Hoheit wollt ihr ein wenig mit mir trainieren?“
 

Kaero blickte Quinza etwas fragend an.
 

„Würde ich gerne, aber ist das jetzt der richtige Zeitpunkt? Wir könnten doch jederzeit überfallen werden. Wir befinden uns schließlich auf freiem Land.“
 

„Das ist schon in Ordnung, glaubt mir. Ich bezweifle, dass hier Banditen oder dergleichen vorbei kommen.“
 

Kaero zuckte mit den Achseln.
 

„Wenn ihr meint. Womit fangen wir also an?“
 

„Wie wäre es mit Stabkampf?“
 

„Klingt gut! Na dann, nichts wie los und angepackt würde ich sagen.“
 

Kaero und Quinza trainierten lange und hart, vor allem Kaero, da er zum ersten Mal eine Stabwaffe in der Hand hatte. Quinza bemerkte aber bereits jetzt, dass Kaero äußerst talentiert war. Er lernte unglaublich schnell und konnte sich schon nach kurzer Zeit hervorragend an die neue Waffe und ihren Stil anpassen. Aber trotzdem kam er geplagt wie ein Ackergaul ans Feuer zurück, wo Lerko Wache gehalten hatte.
 

„Da sind ja die beiden Kampftiere. War das Training erfolgreich?“
 

„Absolut. Ich habe viel gelernt und fühle mich jetzt, als hätte mich ein Karren überfahren.“
 

„Dann war es ein gutes Training.“
 

„Du sagst es Lerko. Nur wenn man sich am Ende so elend fühlt, dass man am liebsten schreit, war es ein gutes Training. Ich glaube, so wohl habe ich mich seit Wochen nicht mehr gefühlt.“
 

„Das dachte ich mir. Wie wäre es, wenn ihr euch jetzt hin legt? Ich werde weiter wach bleiben. Ihr könnt euch also auch ausruhen, Quinza.“
 

„Vielen Dank, Lerko, das ist sehr freundlich von euch.“
 

„Nicht der Rede wert. Gute Nacht.“
 

„Gute Nacht, Lerko.“
 

***
 

Der nächste Morgen brach sonnig an und irgendwie hatte Kaero das Gefühl, er könne sich daran gewöhnen durch Teeren zu reisen. Reisen wollte er sowieso schon immer einmal unternehmen, um die vielen Orte und Menschen kennen zu lernen, die sich einmal auf ihn verlassen würden. Schade war nur, dass der Grund jetzt jedoch ein anderer und weitaus ernsterer war.
 

„Eure Hoheit!“
 

„Hm? Was gibt es Lerko?“
 

„Soweit ich mich erinnere, gibt es ein paar Stunden voraus einen Gasthof.“
 

„Ja, das ist korrekt. Ich dachte, wir könnten uns dort ein wenig umhören. Vielleicht bringen uns Gerüchte auf eine gute Spur für unseren Verdacht.“
 

„Das dachte ich mir. Würdet ihr mich wohl vor reiten lassen? Ich werde den Gasthof auskundschaften und euch Bescheid geben, wenn es ungefährlich ist.“
 

„Das ist eine gute Idee.“
 

„Quinza...“
 

„Nun gut. Reite voraus Lerko, aber sei vorsichtig.“
 

„Jawohl, eure Hoheit.“
 

In wenigen Minuten war Lerko am Horizont verschwunden.
 

„Eure Hoheit. Ich schlage vor, dass wenn Lerko in drei Stunden nicht zurück ist, wir selbst nachsehen was los ist. Nur für alle Fälle.“
 

„In Ordnung. Also, warten wir.“
 

***
 

Nach drei Stunden war Lerko immer noch nicht erschienen und Quinza und Kaero machten sich bereit nach ihm zu suchen. Sie ritten zirka eine Stunde lang bis sie den Gasthof erreichten. Bevor sie jedoch hinein gingen nahmen sie ein paar Kleidungsstücke aus ihren Taschen, um sich zu verkleiden. Quinza zog sich einfach um, da sie nicht bekannt war in diesem Bereich Teerens. Kaero zog sich ein Leinengewand über und schlang ein Tuch um seinen Kopf um seine Haare zu verbergen. Dazu band er sich noch ein Tuch halb über sein Gesicht. Nun sah es so aus, als ob er einfach nur sein Auge verbarg. Als sie beide an der Tür standen, hörten sie nur ein paar Stimmen, die recht laut waren und traten ein. Totenstille breitete sich aus und jeder blickte sie ängstlich an. Die Gäste saßen alle stocksteif auf ihren Plätzen und waren nervös. Die lauten Stimmen die sie gehört hatten, kamen von der einzigen lebhaften Gruppe in der Schenke. Sie hatten rote Wämser an und sahen so aus, wie Leute die gerade aus einem Gefängnis ausgebrochen waren. Kaero und Quinza sahen sich an und setzten sich in eine Ecke ohne etwas zu sagen. Vorsichtig blickten sie sich um, um nach Lerko Ausschau zu halten. Sie konnten ihn nirgends entdecken und Kaero begann sich Sorgen zu machen. Obwohl Lerko körperlich recht schwach war, stand er doch jedes Mal gegen Unrecht ein und so wie es sich hier abspielte, war gewiss etwas geschehen, was die Leute terrorisierte.
 

„Ich kann ihn nirgendwo entdecken.“
 

„Ich auch nicht, Quinza.“
 

„Was meint ihr ist geschehen?“
 

Einer der Männer in rot sah zu ihnen hinüber.
 

„Hey ihr zwei! Was tuschelt ihr denn so?“
 

„ …“
 

Der Mann stand auf und kam mit einem unverschämten Lächeln im Gesicht zu ihnen herüber.
 

„Na, was ist? Worüber habt ihr euch so angeregt unterhalten?“
 

Quinza stand auf und verbeugte sich. Sie durften keinen Ärger verursachen.
 

„Es tut uns leid, Herr. Wir waren nur mit einem Reisegefährten von uns hier verabredet und konnten ihn nicht entdecken. Jetzt machen wir uns natürlich Sorgen. Bitte verzeiht.“
 

„Ein Kamerad, wie? Wie sieht er denn aus? Vielleicht haben ich und meine Freunde ihn ja gesehen.“
 

Quinza zögerte.
 

„Was ist jetzt Weib!? Spuck es schon aus!“
 

Die Amazone blickte flüchtig zum Prinzen und dieser nickte kaum sichtbar.
 

„Er ist ein Mönch im mittleren Alter. Er hat eine braune Kutte an.“
 

„Ein Mönch? Oh...! Ich und meine Freunde kennen ihn sehr gut. Er hat hier einen ganz schönen Aufstand angezettelt.“
 

Quinza schluckte schwer und sah wie die Augen des Prinzen funkelten. Sie wusste was passieren würde, wenn der Mann ihr jetzt eine falsche Antwort gab und seufzte innerlich.
 

„Was ist mit ihm geschehen, wenn ich fragen darf?“
 

„Hm? Nicht viel, meine Hübsche. Wir haben ihm ein wenig gezeigt, wer hier die Ordnung ist. Als er bewusstlos war, haben wir ihn in den Stall geworfen, wenn ihr Glück habt ist er noch nicht tot. Hahahaha!“
 

Schnell hatte Kaero sein Schwert gezogen und nun lag die Spitze am Hals seines Opfers.
 

„Er ist wirklich noch besser am Leben, wenn ihr leben wollt.“
 

Innerhalb von ein paar Sekunden war ein Kampf zwischen Kaero und Quinza und den in Rot gekleideten Männern entbrannt. Sie waren zahlenmäßig weit unterlegen und dennoch schlugen sie sie in ein paar Minuten.
 

„W, Wer sind die beiden?“
 

„Es ist nicht wichtig, wer wir sind, sondern wer ihr seid.“
 

„Werbagen. Wir sind Werbagen und unser Meister wird euch alle zerquetschen, wenn er wieder unter uns weilt.“
 

„Meister?“
 

„Der große Cha´Dorom!“
 

„Ja, klar. Träum was schönes.“
 

Kaero verpasste ihm eins mit seinem Schwertrücken und der Werbage ging zu Boden.
 

„Quinza. Geh in den Stall und suche dort bitte nach Lerko. Wenn ich hier fertig, bin komme ich nach.“
 

„Fertig?“
 

„Nun ja. Ich möchte noch ein paar Dinge wissen.“
 

Quinza musterte ihn.
 

„Übertreibt es nicht.“
 

„Natürlich nicht.“
 

„ Ich gehe dann jetzt zu Lerko.“
 

Quinza ging rasch aus dem Schankraum und bemerkte, wie die Leute ihr bewundernd hinterher blickten. Das kommt eben dabei heraus, wenn zu lange Frieden herrscht und die Menschen vergessen, dass es auch etwas anderes gibt. Draußen war es bereits dunkel und man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Quinza wandte sich dem Stall zu und beschleunigte ihren Schritt. Sie konnte bereits hören, wie jemand schwer atmete. Schnell entzündete sie eine Lampe und ging auf das Atemgeräusch zu. In einem Strohhaufen lag übel zugerichtet, Lerko. Quinza beugte sich zu ihm hinunter. Er hatte Schnittwunden und war grün und blau geschlagen. Ein Fieber hatte sich bereits eingestellt und die Wunden hatten sich wohl entzündet. Sie brauchten einen Heiler, so viel stand fest. Die Amazone ging hinaus und holte Wasser aus dem Brunnen, um die Wunden des Alchemisten zu reinigen. Danach ging sie zu ihren Pferden. Dort angekommen kramte sie in den Satteltaschen und förderte eine Wolldecke zu Tage. Schleunigst ging sie wieder zurück und wickelte Lerko darin ein. Ein paar Minuten nachdem sie mit ihrer Pflege fertig war, betrat Kaero den Stall und verschaffte sich einen Überblick.
 

„Wie geht es ihm?“
 

„Das kann ich nicht wirklich sagen. Was ich sagen kann ist, dass wir einen Heiler benötigen. Wir besitzen keinerlei Medizin und meine Kenntnisse über Wunden und deren Behandlung sind begrenzt.“
 

„Ich verstehe... Vielleicht finde ich im Schankraum jemanden der eine Ahnung davon hat. Das ist das Einzige was wir jetzt tun können.“
 

Quinza nickte.
 

„Habt ihr etwas herausgefunden?“
 

„Ja, … Dieser Cha´Dorom soll angeblich hinter dem Feuer stecken. Aber ehrlich gesagt finde ich das absurd. Laut diesen Werbagen, soll er nämlich der Geist eines großen Magiers sein. Ha! Ich hatte diesen Typen eigentlich für zu alt gehalten, um an Gruselgeschichten zu glauben.“
 

„Vielleicht waren es andere Fanatiker, wie diese die das getan haben. Fanatiker mit magischen Fähigkeiten.“
 

„Möglich. Jedenfalls haben wir jetzt erstmal einen Anhaltspunkt.“
 

„Das ist wahr.“
 

Kaero drehte sich bereits um und wollte gerade gehen, als er abrupt seinen Schritt verhielt und an seine Kette fasste.
 

„Was ist los, eure Hoheit?“
 

Verwirrt schüttelte Kaero den Kopf, als wolle er einen unangenehmen Gedanken vertreiben.
 

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass jemand meine Hilfe braucht...“
 

„Eure Hilfe? Wer?“
 

Kaero schloß die Augen und umfasste seinen Löwen enger, konzentrierend und fast schon betend.
 

„Haolon... bist du es? Verzeih, ich kann nicht zu dir eilen. Halte durch mein Freund.“
 

„Prinz Kaero? Ist Haolon in Gefahr? Woher wisst ihr das?“
 

Kaero schüttelte erneut den Kopf.
 

„Ich weiß es nicht. Es ist nur mein Gefühl. Vielleicht irre ich mich auch. Ich hoffe es zumindest... Ich gehe jetzt. Schließlich braucht Lerko auch meine Hilfe.“
 

***
 

Eine Frau ging recht gemütlichen Schrittes den Wanderweg zum Schloss Teerens entlang. Sie war bereits erschöpft und hoffte, dass sie bald den Gasthof erreichen würde, den sie letztes Mal auf einer Karte gesehen hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf, um sich wieder ein wenig wacher zu machen, wobei weiße Strähnen aus ihrer hoch gesteckten Frisur fielen. Wenn man ihre Haare sah erwartete man, dass man einem runzeligen Gesicht entgegen blicken würde, aber sie hatte ein jugendlich wirkendes Erscheinungsbild. Viele hätten vermutet, dass sie somit einfach nur ungewöhnliche Haare hatte und in Wirklichkeit jung war, aber dem war nicht so. Sie war bereits eine recht alte Frau mit vielen Erfahrungen in ihrem Leben und hatte nur selten Leute getroffen die dies auch bemerkten.
 

Die Frau blickte nach vorne und seufzte erleichtert auf. Endlich war sie beim Gasthof angekommen. Müde klopfte sie an die Tür und trat ein. Die anderen Gäste saßen recht verschreckt auf ihren Plätzen und sie begab sich einfach an die Theke des Schankraums und setzte sich. Langsam setzten die Gespräche wieder ein und die Frau bestellte eine Tasse Tee. Als der Wirt ihr die Tasse hinstellte öffnete sich die Tür des Gasthofes und ein Mann trat ein. Ein paar Sekunden danach bemerkte sie, dass es sich um einen recht jungen Mann handelte. Vielleicht gerade Anfang zwanzig. Er blickte sich einmal flüchtig um und erhob dann seine Stimme.
 

„Ich bitte um Verzeihung, aber ist vielleicht ein Heiler zu Gegend oder jemand der halbwegs etwas von Medizin versteht?“
 

Ein Mann stand etwas zögernd auf.
 

„Es geht um diesen Mönch nicht wahr? Ich bin vielleicht kein Heiler, aber ich verstehe etwas von Medizin. Möglicherweise könnte ich helfen.“
 

Der junge Mann nickte und öffnete bereits die Tür. Die Frau stand etwas seufzend auf. Sie konnte aber auch nie einfach ihre Ruhe haben. Sie ging auf die Tür und den Mann zu und sagte:
 

„Das wird nicht nötig sein, den guten Mann hier zu belästigen. Ich werde euch helfen, ich bin schließlich von Beruf aus eine Heilerin.“
 

Der junge Mann blickte sie für einen Moment lang durchdringend an. Wo hatte sie diesen Blick schon Mal gesehen? Dann nickte der Mann.
 

„Einverstanden. Ihr scheint erfahren zu sein, also werde ich euch einfach mal vertrauen müssen.“
 

Die Frau zog überrascht die Brauen hoch.
 

„Wie ist euer Name, werte Heilerin?“
 

„Ti´In Da´Ura, junger Mann. Und euer?“
 

„ ...Kaero... „
 

Die Heilerin seufzte. Sie war also schon zu spät.
 

„Na, dann lasst uns mal zu eurem Freund gehen.“
 

***
 

„Verdammt! Wieso schaffe ich das nicht?“
 

Wütend warf die Prinzessin Teerens ihr Übungsschwert auf den Boden.
 

„Narima, du solltest dich nicht so aufregen. Du hast doch schon die Grundkenntnisse erlernt und das in nur zwei Tagen. Andere hätten länger gebraucht.“
 

„Aber wieso schaffe ich dann diesen Schwertschlag nicht? Warum?!“
 

„Nun ja, wie du bereits gesagt hast, ist meine Weise der Schwertführung nicht für dich geeignet. Du müsstet einen Lehrer haben, der eine Frauenschwertführung kennt. Und die besitze ich nun wahrlich nicht.“
 

Enttäuscht setzte sich Narima in den Dreck und schmollte.
 

„Du hast ja recht, Haolon, aber ich würde so gerne mehr können.“
 

„Ich weiß, aber das geht nun mal gerade nicht. Du musst dich damit abfinden, dass es erst einmal ausreichen muss, dich selbst zu verteidigen.“
 

Haolon setzte sich neben die Prinzessin und blickte ihr ins Gesicht. Wenn sie schmollte sah sie wirklich süß aus.

Narimas Augen huschten zu Haolon und sie seufzte nochmal tief. Danach ließ sie sich leicht zur Seite fallen, bis ihr Gesicht auf seiner Schulter lag.
 

„Es ist trotzdem nervig.“
 

Haolon blickte verlegen zu Boden.
 

„Vielleicht, aber es ist nun einmal so.“
 

„Hm.“
 

Seit sie damit angefangen hatten sich zu duzen, waren sie sich irgendwie merkwürdig näher gekommen. Nicht sehr viel, aber jeden Tag ein bisschen mehr und mittlerweile war es ihnen sogar angenehm so nebeneinander zu sitzen. Auch wenn sich Haolon etwas verlegen fühlte, denn schließlich, egal wie sehr sie sich vielleicht nachher mochten, war er immer noch ein einfacher Soldat und sie eine Prinzessin. Dann wiederum, dachte Haolon, war es der Prinzessin anscheinend recht egal.
 

„Sollen wir uns dann mal langsam um unser Nachtlager kümmern?“
 

„Ja, sicher. Ich gehe Feuerholz sammeln.“
 

Narima stand geschmeidig auf und begab sich in Richtung Unterholz. Sie sammelte kleine Stöcke und Zweige und geriet damit relativ tief in den kleinen Wald der sie umgab. Als sie zurück ging, die Hände voll und den Magen leer, hörte sie merkwürdige Geräusche von ihrem Lagerplatz und sie beschleunigte ihre Schritte.

Gerade als sie durch das Unterholz brach und den Platz erreichte, sprang etwas kleines, Schleim überzogenes sie an. Narima schrie auf und fiel durch den Angriff zu Boden. Mühsam versuchte sie sich aufzurichten, schrie aber erneut als ein stechender Schmerz am Bein sie zusammen fahren ließ. Sie blickte nach unten und erkannte die kleine Kreatur die sie zuvor überfallen hatte. Es war ein Mirks. Mirks waren, wie sich Narima erinnerte, kleine Geschöpfe die in der Erde lebten. Sie ernährten sich hauptsächlich von Menschenfleisch und waren somit häufig an Orten anzutreffen an denen viele Menschen gestorben waren oder eine große Gruppe an Menschen lagerten. In Städten war man allerdings nicht in Gefahr, da sie gepflasterte Straßen hatten und Mirks anscheinend nicht hindurch brechen konnten. Das war der einzige Grund, weshalb die Straßen und Keller in Städten in Top Zustand gehalten wurden.

Narima trat mit dem zweiten Fuß die kleine Kreatur weg und stand schnell auf. Sie zog ihr Messer und sah den Mirks angeekelt an. Dieser fletschte die kleinen, messerscharfen Zähne und wetzte die kleinen, spitzen Krallen. Man könnte fast meinen, dass er lächelte. Der Mirks sprang auf sie zu und Narima wich aus und stach nach dem kleinen Körper. Sie traf auch und der Mirks krümmte sich vor Schmerz, wälzte sich auf dem Boden und erschlaffte nach kurzer Zeit. Erleichtert atmete sie auf. Dann weiteten sich ihre Augen und sie wirbelte herum.
 

„Oh mein Gott! Haolon!“
 

Sie rannte so schnell sie mit ihrem verletzten Bein laufen konnte.

Mirks waren niemals alleine. Dadurch das sie so klein waren, jagten sie immer in riesigen Gruppen. Und egal wie gut man auch war, Mirks waren immer eine Bedrohung für das eigene Leben.

Narima blieb keuchend stehen. Haolon stand schwer blutend inmitten der Horde Mirks. Um ihn herum lagen bereits dutzende kleine Leichname. Haolon keuchte und hielt sich die schwer verwundete Seite. Sein Schwert lag bereits schlaff in seiner Hand und der Griff war blutverschmiert. Mühsam schlug er jeden ihn anspringenden Mirks beiseite.
 

„Haolon!“
 

Die Mirks drehten die Köpfe in einer schaurigen Einheit zu ihr um.
 

„Bleib weg, Narima!“
 

„Aber, Haolon!“
 

Langsam kroch ein Teil der Mirks auf sie zu. Narima schluckte schwer.
 

„Lauf weg, Narima! Kümmere dich nicht um mich! Ich komme hier schon heil wieder raus! Bitte! Geh einfach!“
 

„Haolon...“
 

„Geh! Ich will dich nicht nur deinetwegen retten! Ich habe es deinem Bruder versprochen! Wie könnte ich meinem König gegenüber treten, wenn ich so erbärmlich versagt habe?! Also geh endlich!!!“
 

Narima raffte ihren Rock hoch und rannte mit Tränen in den Augen davon.

Endlich war sie fort. Haolon seufzte erleichtert auf und ließ das Schwert seinen kalten Fingern entgleiten. Er hätte es keine Minute länger geschafft aufrecht zu stehen, geschweige denn ein weiteres Mal mit dem Schwert aus zu holen. Erschöpft brachen seine Knie ein und er sank zu Boden, mitten in die Mirks hinein. Wenigstens hatte er seinem König gegenüber Wort gehalten. Haolon lächelte.
 

„Sieht so aus, als würde ich ihn wohl doch nicht mehr auf dem Thron sehen. Verzeih mir Kaero, aber ich glaube, du musst jetzt ohne mich auskommen...“
 

***
 

Dunkelheit und Nichts. Licht und Alles. Beides umgab ihn, umkreiste ihn nur um immer wieder stehen zu bleiben und miteinander zu kollidieren. Schwarz und Weiß, Gut und Böse und jedes Mal wenn sie sich berührten, vermischten sie sich miteinander und trieben wieder auseinander. Leben und Tod. Er sah beides jedes Mal aufs Neue geschehen. War die Welt wirklich so unterteilt? In nur zwei Möglichkeiten? Zwei Wege?
 

„Nein, das ist sie nicht.“
 

Erschrocken blickte er um sich. Woher kam diese Stimme?
 

„Folge mir einfach und wir können uns unterhalten. Was hältst du davon?“
 

Ein kleines, schwaches, silbernes Glühen erschien vor seinen Augen und entfernte sich ein Stück von ihm. Zögernd folgte er ihm, obgleich er nicht wusste wie, da er nicht einmal einen Körper besaß in diesem Raum ohne Zeit.

Viele Stunden oder vielleicht waren es auch nur Sekunden, folgte er dem Glühen, bis ihn gleißendes Licht umgab und er die Augen schloss. Vorsichtig öffnete er sie wieder und stand auf einer Lichtung. Die Lichtung umgaben Bäume die scheinbar aus Kristall bestanden und alle paar Sekunden tropfte ein winziger Kristall von einem Zweig und erzeugte einen angenehmen Ton. Hinter den Bäumen konnte er Kristallgebäude erkennen welche leicht die Sonne reflektierten. Er blickte mehr in die Mitte der Lichtung und sah einen kleinen, rund angelegten Bach. Über diesen Bach verlief eine weiße Brücke und diese Brücke führte zu einem weißen Pavillon, in dem auf einer ebenso weißen Bank, eine zarte Gestalt saß, eine Frau. Sie hatte langes Haar, welches durchsichtig schien und im Wind verlief. Ihr Kleid war roséfarben, ihre Haut hell, aber ihre Augenfarbe konnte er nicht ausmachen. Es schien als würde sie sich jedes Mal verändern, wenn er erneut hinsah. Sanft lächelte sie und winkte ihn zu sich heran. Zögernd und langsam schritt er auf sie zu. Wo war er hier?
 

„Du bist in Kondatima, der Stadt aus Kristall.“
 

„Du kannst meine Gedanken lesen?!“
 

Erschrocken über seine eigene Stimme schlug er eine Hand vor seinen Mund.
 

„Entschuldige, habe ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht. Ich vergaß, dass Menschen nicht mehr an uns und unsere Fähigkeiten gewöhnt sind. Verzeih.“
 

„Nicht mehr gewöhnt? Was soll das heißen?“
 

„Das sie einmal daran gewöhnt waren. Wir haben einst mit den Menschen zusammengelebt und sie vieles gelehrt. Ebenso haben sie uns Dinge gelehrt, wie zum Beispiel Gefühle. Eine Sache, die wir vorher nicht verstanden und nicht zuordnen konnten.“
 

„Seid ihr etwa... eine Teeren?“
 

„In der Tat. Ich bin eine Kris´Teeren. Mein Name ist Linusia und ich habe euch aus einem bestimmten Grund hierher gebracht, Prinz von Teeren.“
 

Er blinzelte. Prinz von Teeren? Entgeistert blickte er sie an.
 

„Ja, ihr seid ein Prinz. Fürchtet euch nicht. Ihr werdet euch bald wieder an alles erinnern. Der Verlust eures Gedächtnis liegt an der Dimension in der ihr euch befandet. Kommt her, setzt euch und ruht euch aus.“
 

Er tat wie ihm geheißen und blickte Linusia interessiert an.
 

„Warum habt ihr mich her geholt? Zu welchem Zweck?“
 

„Um euch zu helfen und zu warnen. Ebenso um euch einiges zu erklären, was für euch vielleicht schleierhaft erschien.“
 

„ … Dann beginnt, bitte.“
 

„Ihr erinnert euch.“
 

Kaero nickte.
 

„Es ist wahrlich ein merkwürdiges Gefühl, nicht zu wissen wer man ist, selbst wenn es einem erzählt wird. Alles kam gerade in einem Schwall wieder zurück. Ein recht bedrückendes und unangenehmes Gefühl.“
 

„Das ist wahr. Dann werde ich nun beginnen...

Lange Wege

„Eure Hoheit! Eure Hoheit, wacht auf!“
 

Kaero schreckte hoch. Blinzelnd blickte er sich um.
 

„Was? Wo ist Linusia?“
 

„Linusia? Prinz, sagt mir jetzt nicht, ihr hattet eine heimliche Liebe im Schloss.“
 

„Was? Wovon redest du Lerko? Nichts dergleichen. Sie war nur...“
 

„Was war sie?“
 

„In meinem Traum. Eine Kris´Teeren aus der Stadt Kondatima.“
 

„Kris´Teeren? Habt ihr vielleicht zu viel Historie gelesen, eure Hoheit?“
 

Kaero grummelte vor sich hin.
 

„Nein, das habe ich nicht! Schönen Dank auch, Lerko! Ich kann auch nichts dafür, wenn dieser Traum so real erschien!“
 

„Oder die Teeren ein klein wenig zu schön um wahr zu sein“, meinte Lerko schmunzelnd.
 

Kaero errötete.
 

„Ich sagte doch, dass dem nicht so ist!“
 

„Was seid ihr heute morgen aber gut gelaunt, mein Prinz.“
 

„Quinza... Ich bin nicht schlecht gelaunt. Lerko scherzt nur mit mir herum und deswegen bin ich etwas erregter als sonst. Das ist alles.“
 

„Aha. Dann könnt ihr ja jetzt aufstehen und eurem Unbehagen auf der Weiterreise Luft verschaffen.“
 

„Kann Lerko denn weiterreisen?“
 

„Die Heilerin sagte, dass es kein Problem sein dürfte.“
 

„Ich verstehe. Wo ist sie eigentlich? Ich konnte mich gar nicht richtig bedanken.“
 

„Sie ist schon sehr früh wieder abgereist und das in ziemlicher Hektik. Sie sagte etwas davon, dass jemand dringend ihre Hilfe bräuchte.“
 

„Ist dem so? Das kann man wohl nicht ändern. Also gut, machen wir uns bereit.“
 

„Bevor ich es vergesse. Sie meinte, ich solle euch dies hier geben.“
 

Quinza streckte eine Hand aus und Kaero nahm es schweigend entgegen.
 

„Eine Kette mit einem Blattanhänger? Wozu dies?“
 

„Sie meinte es würde euch vielleicht einmal nützen. Fragt mich nicht wofür.“
 

Kaero nickte nur und legte sie sich um. Sie fühlte sich seltsam lebendig an auf seiner Haut.
 

„Lasst uns gehen. Wir haben noch einen weiten Weg bis Kalisamdo vor uns.“
 

***
 

Angestrengt ging Narima weiter. Nie hätte sie geglaubt, dass sie so etwas einmal erleben würde. Ihr Schritt schlurfte erschöpft und sie fiel hin. Mühsam versuchte sie wieder aufzustehen, was leichter klang als es war, wenn man einen schwer verletzten, jungen Mann auf seinem Rücken hatte. So vorsichtig wie möglich schob sie Haolon von sich und lehnte ihn an einen nahe gelegenen Baum an. Laut seufzte sie auf und befühlte seine Stirn. Sein Fieber schien nur schlimmer zu werden und seine Verletzungen bluteten auch schon wieder, sodass die Verbände, die Narima aus ihrem Kleidungsstück gefertigt hatte, durch und durch getränkt von Blut waren. Was sollte sie nur tun? Sie schleppte Haolon nun fast zwei Tage durch die Gegend, um jemanden zu finden, der ihr helfen könnte, aber es grenzte wirklich schon an ein Wunder, dass Haolon bis jetzt überlebt hatte. Nachdenklich betrachtete sie den Anhänger, der um seinem Hals hing. Er stellte einen grünäugigen Löwen dar, welcher hinter einem Schild und Schwert stand. War es wirklich dieser Anhänger gewesen, der ihn gerettet hatte? Von wem er den wohl bekommen hatte? Schaudernd erinnerte sie sich daran, was nach ihrer Flucht geschehen war. Sie rannte so schnell sie konnte und stolperte und strauchelte durch den kleinen Wald, als sie plötzlich ein warmes Licht hinter sich erblickte und wieder zurück eilte. Was war das? War das nicht die Stelle an der Haolon gewesen war?

Als sie wieder auf dem Platz ankam, blickte sie sich verwundert um. Die Mirks, die gerade noch hier gewesen waren, waren verschwunden. Schnell rannte sie zu dem am Boden liegenden Haolon und drehte ihn um, da er auf dem Bauch lag. Narima hielt sich die Hand vor das Gesicht und hätte am liebsten angefangen zu weinen. Er sah furchtbar aus. Aufgerissene Fleischwunden und Bisswunden, tiefe Schnitte und er war so furchtbar blass. Dann fiel ihr Blick auf die Kette, welche ihr vorher nie aufgefallen war. Sie schien zu leuchten und gab einem ein wohliges Gefühl. Dasselbe Leuchten, das sie gesehen hatte...
 

Und nun saßen sie hier im Nirgendwo.

Narima schüttelte den Kopf und blickte sich um. Gab es nicht irgendwo etwas Wasser? Und schon hatte sie einen kleinen Bach entdeckt, der nicht allzu weit von ihnen seine Bahn durch die Erde zog. Sie ging hinüber und schöpfte etwas Wasser heraus und trank es durstig. Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatte, riss sie einen Fetzen von ihrem übrig gebliebenen Rock und tauchte ihn ins kalte Wasser. Damit ging sie zurück zu Haolon und öffnete seinen Mund leicht. Danach wrang sie den Fetzen über seinem Mund aus und träufelte somit das Wasser hinein. Diesen Vorgang wiederholte sie mehrfach und nahm noch einen zweiten Fetzen und legte ihn auf seine Stirn. Erschöpft setzte sie sich und schloss die Augen. Was nun? Laut rumorend meldete sich ihr Magen. Sie würde ja nur zu gerne etwas zu essen beschaffen, aber sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Müde legte sie sich neben Haolon und schloss die Augen. Selbst wenn sie nur für ein paar Minuten schlafen konnte, war es doch immer noch besser, als überhaupt nicht zu schlafen. Frierend machte sie sich so klein wie möglich und verfiel dann auch recht schnell in tiefen Schlaf...
 

***
 

Erschrocken fuhr Narima aus dem Schlaf. Wie lange hatte sie geschlafen? Und warum war ihr so angenehm warm? Irritiert sah sie sich um und sah Haolon neben sich liegen, komplett verarztet und ruhig schlafend in Decken gehüllt. Dann blickte sie zur Seite und sah ein Feuer, an dem jemand saß. Der Figur nach zu schließen eine Frau mit weißen Haaren, welche in einer Steckfrisur zusammengehalten wurden. Sie kochte offensichtlich Suppe und probierte gerade etwas von der Flüssigkeit, die sie da zubereitete. Danach drehte sie sich etwas um und lächelte Narima herzlich an.
 

„Wie geht es dir, meine Kleine? Besser?“
 

Stumm nickte Narima nur und blickte die Frau an, als wäre sie Gott persönlich, der sie gerettet hatte.

Die Frau schüttete etwas Suppe in eine Holzschale und reichte sie ihr.
 

„Hier, du hast sicher großen Hunger. Diese Suppe wird dich wieder zu Kräften kommen lassen.“
 

Dankend nahm Narima die Schüssel entgegen und fing an zu essen, oder besser gesagt zu trinken. Die Suppe verbreitete sich wohlig warm in ihrem Körper und schmeckte wirklich sehr gut. An ihrer Schüssel nippend, beobachtete sie die fremde Frau, während diese dabei war Haolons Verbände zu wechseln. Sie tat dies recht schnell und geschickt und schien daran gewöhnt zu sein derlei Tätigkeiten auszuführen.
 

„Verzeiht, aber seid ihr eine Heilerin, werte Dame?“
 

Die Frau blickte auf und nickte.
 

„Ja, das bin ich. Mein Name ist Ti´In Da`Ura, meine Kleine.“
 

„Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir! Mein Name ist Narima und mein Gefährte hier heißt Haolon. Danke für eure Hilfe, Ti´In Da´Ura.“
 

„Ach was! Es ist doch schließlich mein Beruf zu helfen.“
 

Narima lächelte und nickte. Egal was ihr Bruder jetzt auch sagen würde, aber irgendwie konnte sie nicht anders als dieser Frau zu vertrauen.
 

„Ähm. Wenn ich fragen dürfte: Was macht ihr denn so weit im Nirgendwo?“
 

„Nun, ich war auf dem Weg zum Schloss Teeren, aber wie es scheint bin ich wohl zu spät.“
 

Narima nickte stumm und blickte betrübt zu Boden.
 

„Es hat sich also schon herum gesprochen?“
 

„Gerüchte reisen schneller als der Wind sie tragen kann, ja.“
 

Grübelnd wie es schien blickte die Fremde sie an.
 

„Ist etwas, Madame Ti´In Da´Ura?“
 

„Ach, nein nein! Ich habe nur über etwas nachgedacht. Aber sag mir doch einmal, wo du hin wolltest. Das ist schließlich schon eine gewaltige Strecke, von hier bis zum Schloss.“
 

„Ich hatte eigentlich kein bestimmtes Ziel vor Augen. Ich wollte bloß Haolon helfen.“
 

„Ich verstehe... Jetzt ist ihm ja geholfen. Was hast du also nun vor?“
 

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht so genau...“
 

Ti´In Da´Ura lächelte breit.
 

„Dann komm doch einfach mit mir. Ich könnte dir sogar etwas über die Heilkunst beibringen, wenn du möchtest.“
 

„Heilkunst!? Mir?“
 

„Warum denn nicht? Du würdest jedenfalls nicht mehr in solchen Situationen stecken wie jetzt.“
 

„Ja, schon, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich dafür geeignet bin... Ich meine, ich hatte schon immer Interesse an der Heilkunst, aber...“
 

„Dann spricht auch nichts dagegen, dass du es jetzt lernst.“
 

Narima hatte leuchtende Augen. Sie hatte schon immer Heilerin werden wollen, durfte es aber nie lernen, da sie ja andere Pflichten als Prinzessin hatte. Aufgeregt drehte sie die mittlerweile leere Schüssel in ihren Händen.
 

„Ich könnte wirklich... Oh! Aber ich muss zuerst meinen Bruder finden!“
 

„Ich glaube wenn du mit mir kommst, wirst du ihm schon begegnen.“
 

„Hm. Na ja, er reist durch ganz Teeren, also wäre das wohl möglich und wo er sich gerade aufhält weiß ich ja auch nicht.“
 

„Also ist es jetzt beschlossene Sache. Du bist ab jetzt meine Schülerin, Narima.“
 

„Einverstanden! Oh, aber ich hoffe Haolon ist auch damit einverstanden.“
 

„Der hat da erst gar kein Mitspracherecht.“
 

„Das hat er wohl! Haolon ist nur so zugerichtet worden wegen mir! Er hat mich schließlich beschützt!“
 

Ti´In Da´Ura lächelte.
 

„Du musst dich ja nicht gleich aufregen, meine Kleine. Ich meinte damit nur, dass es schließlich deine Entscheidung ist.“
 

„Oh, Verzeihung!“
 

Die Weißhaarige schüttelte den Kopf.
 

„Ist schon gut. Wie wäre es, wenn du dich jetzt noch ein wenig ausruhen würdest? Wir werden dann morgen weiter sehen.“
 

***
 

Haolon drehte sich auf die Seite und zuckte zusammen, wobei ihm ein kleiner Schmerzensschrei entfuhr und er sich langsam und blinzelnd aufsetzte. War er denn nicht gestorben? Wieso also saß er hier im Nirgendwo und verspürte Schmerzen?

Dann wurde sein Blick klarer und er erblickte die Prinzessin die, wie er nun bemerkte, neben ihm lag und seine Hand festhielt. Danach bemerkte er eine zweite Person und stutzte. Wer war diese Frau?

Er hörte wie Narima langsam aufwachte und blickte zu ihr hinunter.
 

„Guten Morgen, Narima.“
 

Die Prinzessin hörte sofort damit auf ihre Augen zu reiben und blickte schockiert zu ihm hoch oder wohl doch eher überrascht, wenn er es sich recht überlegte.
 

„Haolon... Wie geht es dir?“
 

Sie hatte sich nun aufgesetzt, seine Hand aber immer noch nicht los gelassen, als würde er wieder ohnmächtig werden, wenn sie losließe.
 

„Mir geht es gut, denke ich. Mein Körper schmerzt nur ein bisschen, aber ich glaube es könnte schlimmer sein. Wie geht es dir? Wurdest du bei dem Angriff verletzt?“
 

„Nein... Nein, wurde ich nicht und mir geht es gut. Jetzt wenigstens.“
 

„Narima...?“
 

Narima saß da und lächelte, aber es liefen leise und offenbar ohne das es ihr bewusst war, Tränen über das Gesicht.
 

„Narima... Ich... also...“
 

Dann bemerkte sie ihre Tränen und wischte sie schnell weg, was jedoch nicht viel half, weil direkt neue erschienen und ihr Gesicht zum Glänzen brachten.
 

„Es tut mir leid. Ich bin nur so erleichtert.“
 

Ohne wirklich zu denken, nahm Haolon sie in den Arm und drückte sie sanft an sich.
 

„Tut mir leid, Narima. Ich versuche dir nicht mehr so viel Kummer zu bereiten.“
 

Sie nickte stumm an seiner Brust und drückte sich etwas von ihm fort, um ihm ins Gesicht zu blicken.
 

„Schon in Ordnung. Versuch nur nächstes Mal nicht so verletzt zu werden. Versprochen?“
 

Haolon lächelte sanft und nickte.
 

„Versprochen.“
 

Er wischte ihr mit dem Daumen die restlichen Tränen vom Gesicht...
 

„Hrm hrm! Ich unterbreche ja nur ungern diese romantische Szene, aber ich glaube ihr solltet den Ort für so etwas sorgfältiger wählen.“
 

Beide schreckten zusammen und drehten ihre Köpfe in Richtung der Frau. Peinlich berührt und errötet lösten die beiden sich voneinander und blickten betreten zu Boden.
 

„Ähm. Verzeihung... Ach so! Haolon! Das hier ist die Heilerin Ti´In Da´Ura. Sie hat dich verarztet und mir sehr geholfen.“
 

Haolon nickte und bedankte sich bei der Heilerin für ihre Hilfe.
 

„Also. Was willst du jetzt tun, Narima?“
 

„Ich wollte mit Ti´In Da´Ura reisen. Sie hat mir angeboten mich in der Heilkunst auszubilden und während wir reisen, werden wir auch sicherlich auf meinen Bruder treffen.“
 

„Hm. In welche Richtung gedenkt ihr zu reisen, werte Dame?“
 

„Ich wollte nach Prikolani, dort einen Zwischenstopp einlegen und weiter nach Amaritalis, der Stadt der Heiler.“
 

„Ich glaube, das geht in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass wir dann auf deinen Bruder treffen, Narima.“
 

„Toll! Wann fange ich an zu lernen, Ti´In Da´Ura?“
 

„Nicht so hastig, meine Kleine. Wie wäre es, wenn wir erst einmal frühstücken würden?“
 

***
 

Lerko fühlte sich grauenhaft. Sie waren jetzt schon zwei Tage nach ihrem Aufbruch vom Gasthof unterwegs und er hatte sich immer noch nicht an längere Ritte gewöhnt.
 

„Verzeiht, Hoheit, aber wie lange war es noch gleich bis Kalisamdo?“
 

„Ungefähr drei bis vier Tage. Warum, Lerko? Bedrückt dich etwas?“
 

„Nein, nein. Es ist nichts. Ich wollte nur noch einmal nachfragen.“
 

„Wenn du es sagst.“
 

Lerko seufzte. Seine Wunden waren alle nur noch blaue Flecken. Wieso also musste er so wehleidig sein? Der Prinz trainierte schließlich jeden Tag hart mit Quinza und er wusste, dass er überall Prellungen und Schürfwunden hatte. Wieso war er selbst also so erbärmlich?
 

„Quinza?“
 

„Was gibt es Lerko?“
 

„Wieso bin ich nur so ein Jammerlappen?“
 

„Was meinst du?“
 

„Nun ja, andauernd beschwere ich mich über meine kleinen Wehwehchen vom Reiten, während der Prinz offensichtliche Wunden seiner schweren Arbeit trägt und nicht einen Laut von sich gibt!“
 

„Ist das nicht normal? Ich meine ihr seid ein Alchemist der weder viel gereist ist, noch Kämpfe bestritten hat. Seine Hoheit ist zwar auch nicht großartig herumgekommen, aber wie ich hörte, hat er jeden Tag das Reiten und die Schwertkunst trainiert. Außerdem hat er auch gegen sehr kampferfahrene Soldaten gekämpft, wenn ich mich nicht irre. Es ist vollkommen normal, das ihr verweichlicht seid, im Gegensatz zu seiner Hoheit.“
 

„Danke, Quinza. Das hat mich jetzt wirklich aufgeheitert...“
 

„Oh! Verzeih mir, Lerko. Ich meinte das nicht so.“
 

„Schon gut. Ich glaube, nach diesem Trip werde ich definitiv abgehärteter sein.“
 

„Das will ich doch schwer annehmen.“
 

„Ja, aber... Eure Hoheit? Ist etwas passiert?“
 

Während Quinza und Lerko sich unterhalten hatten, war Kaero stehen geblieben und blickte mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Sonnenuntergang. Die untergehende Sonne hatte die Umgebung in ein blutrot getaucht, was der Ebene auf der sie ritten einen unheimlichen Hauch verpasste.
 

„Seht ihr auch etwas an diesem Baum hängen?“
 

„Ja, aber ist das nicht vermutlich einfach nur irgendein Verbrecher der aufgehängt wurde?“
 

„Ich weiß nicht, aber da bewegt sich noch etwas anderes. Dort am Fuß des Baumes, aber wegen dem vielen Rot erkenne ich nicht viel.“
 

„Ich halte das jedenfalls für nichtig. So was sieht man doch in den besten Königreichen. Lasst uns weiter reiten.“
 

„Nein... Ich habe da ein ganz komisches Gefühl. Ich werde nachsehen gehen.“
 

Und mit dem frei geben seiner Zügel ritt er los. Quinza und Lerko hinter sich.

Als sie sich näherten bemerkte Kaero wie einige Personen, wie er jetzt erkennen konnte, sich schleunigst auf ihre Pferde setzten und sich davon machten. Sie hatten sie wohl bemerkt und wollten nicht erwischt werden bei dem, was sie getan hatten.

Kaero war nun an dem Baum angekommen und sprang von seinem Pferd. Schockiert blickte er an dem Baum hoch.

Quinza stieg gerade von ihrem Pferd.
 

„Ich habe doch gesagt, dass es nur ein Verbrecher ist.“
 

„Wohl kaum, Quinza. Das ist ein Elb, wenn ich nicht ganz falsch liege.“
 

„Wie bitte?“
 

Verwundert blickte Quinza nach oben. Tatsächlich hing dort kein Mensch, wie sie angenommen hatte, sondern ein schlanker, schöner Elb mit langem Haar, welches die Farbe von Blättern besaß. Vorne am Ansatz waren einige Strähnen violett gefärbt, seine Haut war hell und rein und seine Kleidung eine leichte Rüstung in Flieder und Weiß. Ein Seil war mehrfach um seinen Körper gewickelt worden, ebenso um seinen Hals. Am Fuß des Baumes lag ein zerbrochener, weißer Bogen.

Dann bemerkte Quinza Kaero, der bereits den Baum hinauf geklettert war, um den Elben zu befreien.
 

„Quinza, Lerko! Fangt ihn auf, wenn ich das Seil durch geschnitten habe. Er lebt noch, vielleicht können wir ihn noch retten!“
 

Gesagt, getan. Der Elb hustete mehrfach blieb jedoch immer noch bewusstlos. Nachdem sie seine Knoten gelöst hatten und ihm ein vernünftiges Nachtlager bereitet hatten, atmete ihr unerwarteter Gast schon wesentlich ruhiger.
 

„Was macht denn nur ein Elb hier? Ich dachte, die würden sich nie sehr weit von ihrer Stadt entfernen?“
 

„Gute Frage, Lerko. Aber was noch wichtiger ist: Wieso sollte er hier erhängt werden? Quinza, was meinst du?“
 

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich denke, wir werden wohl warten müssen, bis er aufwacht.“
 

***
 

„Chidali! Beeile dich! Gib seiner Majestät Bescheid. Wir dürfen nicht zulassen das dieses Scheusal frei kommt! Schnell, bevor nicht nur wir ihnen ausgeliefert sind, sondern ganz Teeren!“
 

Diese allzu bekannte Stimme hallte in seinen Gedanken wieder und obwohl er wusste, dass er träumte, merkte er wie er sich anspannte und versuchte von dort zu entkommen wo er war. Plötzlich spürte er Hände an seinem Körper und sah die Gesichter von den Rotgewandeten. Sie hielten ihn fest und versuchten ihn zu töten, ihn daran zu hindern seinen Auftrag auszuführen. Dann wickelten sie ihn in ein Seil und banden ein anderes um seinen Hals. Danach wurde er auf ein Pferd geworfen und bewusstlos geschlagen.

Wieso also spürte er immer noch ihre Hände? Verzweifelt wehrte er sich...
 

„Wacht dieser Elb denn niemals auf?! Verdammt nochmal, wie kann man so tief weggetreten sein?!“
 

„Beruhige dich Quinza! Er hat nun einmal Fieberträume!“
 

„Ist mir doch egal!“
 

Er öffnete überrascht seine Augen. Diese Stimmen erkannte er nicht und sie schienen nicht von seinen Angreifern zu sein.

Mit einem etwas verschwommenen Blick sah er sich um und konnte drei Personen ausfindig machen. Das eine schien eine Frau zu sein, die anderen beiden waren Männer.
 

„Oh, seht er ist aufgewacht!“
 

Chidali blinzelte noch zwei Mal und setzte sich auf, hielt sich dann jedoch den schmerzenden Kopf und wunden Hals.
 

„Wie geht es euch? Ihr habt einen ganzen Tag geschlafen und habt immer noch Fieber. Wollt ihr vielleicht etwas Suppe zu euch nehmen?“
 

Er blickte den jungen Mann an, der ihn angesprochen hatte und war erstaunt. Sein Blick traf tiefe, grüne Augen, eine seltene Farbe in Teeren, zumindest unter Menschen.

Chidali nickte nur, da er merkte, dass er kaum in der Lage war zu sprechen, wenn er nicht seinen Hals befeuchten würde.

Man reichte ihm eine Holzschüssel und er trank langsam. Nachdem er fertig war stellte er die Schüssel ab und begann zu sprechen.
 

„Vielen Dank für eure Hilfe. Ich dachte schon, ich wäre hinüber. Mein Name ist Chidali und mit wem habe ich das Vergnügen?“
 

„Mein Name ist Kaero, dies dort ist Quinza und der Dritte in unserem Bunde heißt Lerko. Schön euch kennen zu lernen, Chidali.“
 

„Ganz meinerseits.“
 

„Wenn ich wohl so frei sein dürfte und zum Punkt komme: Wieso ward ihr an diesem Baum auf gehangen?“
 

„Ehrlich gesagt, wundere ich mich selbst darüber. Ich dachte nicht, dass sie mich aufhängen würden. Eher das sie mich sofort töten würden.“
 

„Sie?“
 

„Rotgewandete Schurken.“
 

„Rot?! Wisst ihr zufällig wie sie sich selbst genannt haben?“
 

„Hm...“
 

„Vielleicht Werbagen?“
 

„Ganz genau! Woher wisst ihr das?“
 

„Wir sind ihnen schon früher begegnet. Sie sind die Anbeter eines alten Magiers, diese Verrückten.“
 

Chidali wurde bleich im Gesicht.
 

„Richtig, der Magier! Ich muss nach Schloss Teeren und zwar sofort!“
 

***
 

Der Elb stand schnell auf und wäre beinahe umgefallen, wenn Kaero ihn nicht gestützt hätte.
 

„Ihr geht erst einmal nirgendwo hin. Ihr seid noch viel zu erschöpft.“
 

„Aber ich muss dort hin! Es ist wichtig!“
 

Kaero sah die beiden anderen an und zwang Chidali mit sanfter Gewalt zurück auf den Boden.
 

„Ihr solltet euch jetzt erst einmal beruhigen und dann hört mir bitte zu.“
 

„Was ist denn? Wieso seid ihr auf einmal so angespannt?“
 

„Ihr wollt zum Schloss, richtig?“
 

Chidali nickte.
 

„Das wäre allerdings reine Zeitverschwendung. Das Schloss ist vor einigen Tagen abgebrannt. Dort ist nicht ein Stein mehr auf dem Anderen.“
 

„Aber der König...!“
 

„Der König ist tot!“
 

Kaero überlief ein Schauder. Er hatte es bis jetzt halb verdrängt, aber gerade hatte er es offen zugegeben. Die Realität die er nicht haben wollte: Sein Vater war tot.

Kaero steckte ein Klos im Hals und er schluckte schwer.
 

„Was? Wie konnte das passieren?! Das kann nicht wahr sein! Was machen wir denn jetzt nur?! Oh, ihr Elemente!“
 

„Was wolltet ihr denn von seiner Majestät?“
 

„Ich muss ihm eine Nachricht überbringen, aber mehr kann ich euch nicht erzählen.“
 

Kaero blickte zu Boden. So wie Chidali reagierte war die Nachricht äußerst wichtig.

Quinza tippte ihm an die Schulter. Er blickte auf.
 

„Ich glaube wir können es ihm ruhig sagen, Kaero.“
 

„Ich glaube kaum, dass er das glauben würde.“
 

„Möglich. Vielleicht wird er es aber glauben.“
 

Kaero seufzte und nickte dann jedoch zustimmend.
 

„Chidali, hört mir bitte zu. Ich weiß, dass sich das, was ich jetzt sagen werde unter den gegebenen Umständen unglaubwürdig anhört, aber ich bin der Sohn des Königs.“
 

Der Elb zog eine Braue nach oben und sah ihn an, als hätte man ihm gerade einen Oliphanten vorgesetzt, der reden kann.
 

„Ich weiß. Wie kann der Prinz hier sein, wenn der König tot ist, aber bitte glaubt mir!“
 

„Nein, das kann ich einfach nicht.“
 

Kaero seufzte. Dann kam ihm allerdings eine Idee.
 

„Sagt Chidali, die Führerin von euch Elben, ich glaube Aria war ihr Name, kann sie wirklich in die Seele und Vergangenheit von Geschöpfen sehen?“
 

„Ja, das ist richtig.“
 

„Sehr gut! Würdet ihr uns dann nach Kalisamdo begleiten? Wir wollten sowieso dorthin.“
 

Für einen Moment dachte der Elb nach, nickte dann aber und erwiderte:
 

„Einverstanden. Ich glaube nicht, dass ihr gelogen habt, als ihr sagtet das der König gestorben sei, deswegen werde ich euch begleiten. Ich möchte schließlich wissen ob ihr gelogen habt, oder nicht. Wenn nicht, möchte ich mich schon einmal im Voraus entschuldigen.“
 

„Hervorragend! Dann sollten wir morgen aufbrechen, wenn nichts dagegen spricht.“
 

„Absolut nicht.“

Stadt der Kriegerinnen

Endlich waren sie an ihrem Ziel angekommen. Die Stadt aus Amethyst, wie Kalisamdo auch genannt wurde, lag prachtvoll in ihrem Tal...

Das sollte sie zumindest. Momentan jedoch wirkte sie eher wie das reinste Chaos - die Häuser teilweise zerstört und die Elben in heller Aufruhr.

Normalerweise funkelten zwischen den grünen Efeublättern, die Kalisamdo überwucherten, Amethyste, welche in den weißen Marmorbauten eingelassen waren und die weißen Blumen, die sich an den Rändern der Straßen entlang zogen, in hellvioletten Farben erstrahlen ließen. Jetzt war das Grün verschwunden, durch Feuer getötet und die Amethyste geraubt oder zerbrochen.

Man könnte diese wunderschöne Stadt mit einer Frau vergleichen die Überfallen worden war, denn genau dieses Gefühl bekam Kaero von ihr. Eine misshandelte Frau die nun weinend am Boden lag und innerlich um Hilfe bat.

Dieser Eindruck überkam ihn, während der Regen auf die zerstörten und rauchenden Gebäude prasselte. Kaero überlief ein Schauder, als ihm plötzlich diese unsägliche Trauer überfiel, die von der Stadt selbst zu kommen schien, so als würde sie ihn direkt ansprechen, ihn anflehen zu helfen...
 

„Kaero? Ist alles mit euch in Ordnung? Ihr weint...“
 

„Wie?“
 

Kaero blickte Chidali an, der ihn aus violetten Augen verstört ansah.
 

„Mir geht es gut, mir geht es gut... Ich... fühlte nur auf einmal solche Trauer... Ich muss wohl unbewusst angefangen haben zu weinen, verzeiht.“
 

„Nein, schon in Ordnung. Euch scheint diese Szene ja ziemlich mitzunehmen. Ich habe selten Menschen getroffen, die wahrhaftig für andere trauern können... Ihr scheint ein sanftes und gutes Herz zu haben, Kaero. Ich selbst verspüre tiefe Trauer bei diesem Anblick.“
 

„Nein, ich... Ich weiß auch nicht...“
 

Verwirrt wischte er sich die Tränen ab, was eigentlich nicht nötig gewesen wäre, da es ziemlich stark regnete. Er war also ohnehin komplett nass.
 

Chidali lotste sie durch die Stadt während die anderen Elben sie misstrauisch beäugten.
 

„Haben die Werbagen all dies angerichtet?“
 

„Ja, Quinza, allerdings. Wir waren komplett überrumpelt. Manche dachten erst, dass der König jetzt vielleicht doch nur Menschen in seinem Reich haben wollte. Aber dann haben wir bemerkt, dass diese Irren dauernd nur einen Namen riefen und dieser ja nun wirklich nichts mit der königlichen Familie zu tun hat. Danach hatte unsere Weise eine Vision oder Ahnung und schrie auf. Sie hat mich mit der Nachricht betraut, von der ich euch bereits berichtet habe. Nun ja, ich kann nicht gerade sagen, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe...“
 

Chidali seufzte.
 

„Es war doch nicht euer verschulden, Chidali. Jedem hätte das passieren können.“
 

„Danke, Lerko. Aber ich glaube, dass mir das einfach nicht passieren durfte. Wir sind jetzt gleich am Tempel, nur noch hier nach rechts und den Weg bis zum Ende folgen.“
 

Am Ende des Weges war ein großes Marmorgebäude zu sehen. Es war das Einzige in der Stadt, welches noch Amethyste besaß. Säulen waren am Eingang postiert und führten weiter hinein.
 

„Also, dann lasst uns mal hinein gehen. Die Weise Aria ist im innersten Saal.“
 

Sie gingen durch die Hallen des Tempels, während blaue Flammen um sie herum tanzten.

„Was sind diese Flammen?“
 

„Ein sehr nützlicher Zauber, eure Hoheit. Sie sind Beobachter und gleichzeitig Wächter. Sie sind zwar jetzt gerade nicht gefährlich, aber wenn ihr Meister es befehlen würde, würden sie uns angreifen und von innen heraus verbrennen, sobald sie uns berühren.“
 

„Das würde ich doch einmal beeindruckend nennen. Und mal wieder hast du mir gezeigt, dass ich noch viel lernen muss, Lerko.“
 

„Aber sicher, eure Hoheit. Wir lernen alle bis zu dem Zeitpunkt an dem wir sterben. Dafür gibt es einfach zu viele Dinge die man lernen kann.“
 

„Wir sind da. Das hier sind die Türen zum innersten Saal.“
 

Chidali öffnete die Türen und die Gefährten traten ein. Auch hier schwebten die blauen Flammen im Raum, doch am Ende des Saales stand ein weißer Thron auf dem eine Elbin saß. Sie hatte lange, hellblaue Haare, welche die selbe Färbung wie ihre Augen hatten. Ihr Körper war schlank und zierlich und Kaero dachte, dass sie wahrscheinlich brechen würde, wenn man sie zu stark berührte.

Als sich die Freunde näherten, stieg sie von ihrem Thron und machte einen eleganten Knicks.
 

„Ich begrüße euch, Prinz von Teeren. Mein Name ist Aria, obwohl ihr dies natürlich schon wisst.“
 

Kaero verbeugte sich geschmeidig, wobei seine schwarzen Haare nach vorne fielen, wie ein Vorhang aus Seide. Die anderen knieten sich hin.
 

„Ich danke euch für eure Begrüßung, Weise Aria. Es ist eine Ehre für mich, endlich vor euch treten zu dürfen.“
 

„Die Ehre liegt auf meiner Seite. Wenn es korrekt ist was ich in euch gesehen habe, ist der König also gestorben?“
 

„Ja, leider... Wie ich hörte, sollte Chidali hier meinem Vater eine Nachricht überbringen.“
 

„Das ist richtig.“
 

„Wie lautet sie? Ich weiß, dass ich nicht der König bin, dennoch...“
 

„Ich werde euch die Nachricht mitteilen, da ihr der rechtmäßige Erbe Teerens seid. Außerdem spüre ich eine Macht in euch, die ich nur vor hunderten von Jahren verspürt habe.“
 

„Eine Macht?“
 

„In der Tat. Welcher Natur diese Macht entspricht, könnt nur ihr selbst herausfinden.“
 

„Ich verstehe. Was also war eure Nachricht?“
 

„Das seine Majestät schleunigst, Soldaten entsenden muss um die verschiedenen Juwelen in Teeren zu beschützen, denn ich hatte eine furchtbare Vision. Eine Vision der Zukunft, welche ich nur sehr selten erhalte. Ich sah die komplette Zerstörung Teerens. Jedes Lebewesen das nicht menschlich war, versklavt, alle die gegen den Regierenden rebellierten, getötet.“
 

„Und wer war dieser Regierende?“
 

„Ein Magier aus alter Zeit. Auch damals schon war er gefürchtet, weil er so unbeschreiblich mächtig und dennoch so bösartig war.“
 

„Lasst mich raten: Cha´Dorom.“
 

„So ist es.“
 

„Und er braucht die Kristalle, um sich einen Körper schaffen zu können, richtig?“
 

„Ja. Woher wisst ihr das?“
 

„Durch einen Traum. In diesem Traum traf ich eine Kris´Teeren mit dem Namen Linusia. Sie erklärte mir all dies bereits, aber das davon nicht nur wir betroffen sein würden, sondern auch die Teeren, die sich in einer anderen Dimension versteckt halten.“
 

„Die Linusia die ihr mir gegenüber erwähnt hattet, eure Hoheit?“
 

„Ganz genau diese, Lerko.“
 

„Meine Güte. Wie lange ist es her, seit ich diesen Namen das letzte Mal gehört habe. Meine liebe Freundin Linusia.“
 

„Ihr kennt sie, Lady Aria?“
 

„Durchaus, eure Hoheit. Wir waren eng befreundet, als die Teeren noch hier lebten und ich vermisse sie sehr.“
 

„Ich verstehe. Zurück zu unserem Problem. Da ich ja jetzt Bescheid weiß, was genau vor sich geht, was schlagt ihr vor könnten wir unternehmen?“
 

„Nun, da der König tot ist, wird es äußerst schwierig werden die Juwelen zu beschützen. Immerhin hatte er die größte Streitmacht Teerens unter sich.“
 

„Das ist wahr. Und die Scaaren zum Beispiel, lassen auch nicht jeden an sich heran kommen.“
 

„Dem ist wohl so. Ich glaube wir haben keine andere Wahl als euch in jede einzelne Stadt zu schicken, eure Hoheit.“
 

„Wie meinen?“
 

„Nun ihr wärt der nächste König Teerens. Wenn ihr nicht Überzeugung genug seid, dann weiß ich auch nicht. Sie müssen euch glauben. Vor allem bin ich sicher, dass Cha´Dorom nicht untätig herumsitzen wird und das wird sicherlich manche Dinge vereinfachen und euch glaubwürdiger erscheinen lassen. Obwohl natürlich auch der gegenteilige Effekt eintreten kann.“
 

„Ich glaube ich verstehe was ihr meint.“
 

„Das ist gut.“
 

„Ah, bevor ich es vergesse. Was ist mit eurem Juwel geschehen?“
 

„Oh, dem geht es ausgezeichnet, will ich meinen. Es steht schließlich vor uns.“
 

„Bitte, wie?“
 

„Nun, Chidali hier ist sozusagen das Juwel.“
 

Alle drei Gefährten starrten ihn fragwürdig an.
 

„Würdet ihr das wohl bitte erklären, Lady Aria.“
 

„Aber sicher doch Chidali. Die Juwelen Teerens sind etwas ganz Besonderes. Sie waren früher die Stützpfeiler in den Städten der Teeren könnte man sagen. Als die Teeren dann vertrieben wurden, haben sie die Juwelen verschiedenen Wesen und ihren Stämmen anvertraut. Da die Juwelen, aber vorher von den Teeren beschützt worden waren und diese die Einzigen waren mit den entsprechenden Kräften dieses zu vollbringen, haben sie die Juwelen in jeweils eines der Wesen eingebettet, um sie somit besser zu schützen.“
 

„Eingebettet? Heißt das, dass das Juwel in Chidali steckt?“
 

„So ist es. Chidali´s Familie wurde dazu auserkoren das Juwel zu beschützen. Vor Chidali besaß es sein Vater, davor sein Großvater und so weiter. Es ist Chidali´s Herz.“
 

„Ein Juwel kann wie ein Herz schlagen?“
 

„Diese Juwelen können es. Sie übernehmen die Funktion eines ganz normalen Herzens.“
 

„Unglaublich...“
 

„Sind Chidali´s Augen deswegen violett, Weise Aria?“
 

„In der Tat, Lerko. Augen sind die Fenster zur Seele nicht wahr? In Chidali´s Augen spiegelt sich die Schönheit des Amethyst. Übrigens ihr habt wegen Chidali auch diese Trauer verspürt, als ihr durch die Stadt gegangen seid.“
 

„Wieso das?“
 

„Nun, die Juwelen scheinen irgendwie mit euch zu kommunizieren und wenn Chidali Trauer empfindet...“
 

„Empfindet das Juwel sie ebenfalls und durch das Juwel ich selbst.“
 

„So ist es.“
 

Kaero rieb sich angestrengt die Augen.
 

„Wie wäre es, wenn ihr euch jetzt ausruhen geht, eure Hoheit. Ihr habt einen sehr langen Weg vor euch und ich bin mir sicher, dass ihr erschöpft seid.“
 

„Danke, Lady Aria. Das Angebot nehmen wir sicher alle dankend an.“
 

***
 

„Wie ich sehe habt ihr jetzt begriffen worum es geht, mein Prinz.“
 

Kaero öffnete seine Augen und blickte in Linusias Gesicht. Er setzte sich auf und sah sie an.
 

„Ich hatte es schon vorher begriffen, nur wollte ich es nicht wirklich akzeptieren.“
 

„Ist das der Grund eures Schweigens gegenüber eurer Gefährten?“
 

„Nein. Sie hätten mir niemals geglaubt, wenn ich gesagt hätte, dass ich all das durch einen Traum erfahren habe. Das ist alles.“
 

„Verstehe. Die Welt hat sich wirklich gewandelt, seit wir von ihrem Antlitz verschwanden. Damals war so etwas vollkommen normal.“
 

„Jetzt ist es eher abnormal. Nichts desto trotz wissen meine Freunde jetzt, worum es geht. Ehrlich gesagt weiß ich nur nicht, ob wir der Sache gewachsen sind.“
 

„Eher ob ihr euch der Sache gewachsen fühlt, eure Hoheit.“
 

Kaero blickte zur Seite.
 

„Ich weiß einfach nicht ob ich es schaffen kann, gegen einen Geist an zu kommen. Ich meine, wer hat schon von jemandem gehört, der gegen einen Toten kämpft.“
 

„Das ist wahr, jedoch kämpft ihr nicht unbedingt gegen einen Toten. Viel mehr kämpft ihr momentan gegen die, die er kontrolliert.“
 

„Das ist auch wieder wahr. Aber sagt mir Linusia: Mein Bruder, Seeras...“
 

„Er war von ihm besessen. Cha´Dorom hat die Schwächen im Herzen eures Bruders ausgenutzt. Ihr könnt also beruhigt sein. Es war definitiv nicht das gewollte Tun eures Bruders.“
 

„Danke, ich brauchte einfach diese Gewissheit. Was also schlagt ihr vor sollte ich jetzt tun, Linusia?“
 

„Das was Aria euch bereits vorgeschlagen hatte. Ihr müsst zu den Juwelen reisen und sie beschützen.“
 

„Das heißt die Personen die sie bewachen, richtig?“
 

„Ja. Ihr müsst sie unbedingt finden, mein Prinz. Er darf einfach nicht wieder auferstehen. Cha´Dorom ist von Hass erfüllt und machthungrig. Ihr müsst ihn stoppen und uns retten, bitte...“
 

„Das was ich jetzt sage, scheint anmaßend zu sein, aber, wollt ihr das ich ihn stoppe, weil er auch eine Bedrohung für euch ist oder...“
 

„Nein! Wir sind alle aufrichtig um das Wohl Teerens besorgt. Es war unsere Heimat und ja wir wurden vertrieben, durch jene die jetzt dort leben und herrschen. Aber wir wissen auch, dass es nicht genau diese Menschen waren, sondern ihre Vorfahren und das viele unser gehen bedauerten und beweinten.“
 

Kaero nickte.
 

„Es tut mir leid. Ich wollte nur sicher gehen, wo eure Interessen liegen. Ich meine, es hätte auch anders sein können.“
 

„Ich weiß, aber ihr glaubt einfach meinen Worten? Ich könnte genauso gut lügen.“
 

„Nein. Ihr sagtet ihr habt von uns Menschen Gefühle erlernt, ihre Bedeutung und das zulassen der Emotionen. Ich glaube nicht, dass ihr so einfach lügen könntet, vor allem nicht so gut. Die Kinder der Erde ehren dafür zu sehr, was sie erlernt haben, als das sie es missbrauchen würden.“
 

„Ihr scheint uns wirklich zu verstehen. Es ist merkwürdig, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ihr mehr zu uns gehört, als zu den Menschen.“
 

„Wirklich? Das nehme ich als Kompliment.“
 

„Oh. Ich glaube, es ist bald Zeit für euch zu erwachen, Kaero.“
 

„Ist das so... Wann werde ich euch wieder treffen, Linusia?“
 

„Wann immer ihr wollt. Ihr könnt zu mir kommen, wie ich zu euch.“
 

„Wie das?“
 

„Ihr müsst euch konzentrieren und an mich denken. Beruhigt euren Geist und stellt euch meine Gestalt vor. Alles andere müsst ihr für den Moment vergessen.“
 

„Verstehe... Ich werde es bei Gelegenheit ausprobieren. Seid also nicht zu überrascht, wenn ich euch einen kleinen Besuch abstatte.“
 

„Sicher nicht. Ich werde auf euch warten, mein Prinz und nun geht. Ihr werdet erwartet.“
 

***
 

Lo´Ka´San gähnte ausgiebig und strich sich durch seine kurzen, nebelgrauen Haare. Blinzelnd öffnete er die Augen und blickte neben sich auf ein großes schwarzes Bündel. Er stand auf, streckte sich und verpasste dem Bündel einen leichten Tritt. Dieses bewegte sich und brummte.

Lo´Ka´San seufzte und rollte die dunkelgrauen Augen.
 

„Komm schon, Gombidi. Wir müssen los, steh auf!“
 

Gombidi grummelte nochmal und drehte sich aus seiner Decke. Verschlafen blickte der Morite ihn an.
 

„Na los! Morgenstund hat Gold im Mund, mein Freund!“
 

Gombidi stand wortlos auf und kratzte sich am Kopf. Er nahm einen Kamm und bürstete seine mittellangen, schwarzen Haare, bevor er seine Decke wegräumte und sich aufs Pferd setzte.
 

„Genau so sollte das gehen. Na dann, nichts wie los. Wir haben schließlich eine Verabredung und die ist leider noch meilenweit von uns entfernt.“
 

***
 

„Guten Morgen, Prinz Kaero. Ich hoffe ihr habt gut geschlafen?“
 

„Wie ein Stein, verehrte Aria.“
 

„Das ist schön zu hören. Wisst ihr jetzt was ihr tun wollt?“
 

„Durchaus. Ich werde eurem Rat folgen und jedes Juwel selbst aufsuchen.“
 

Aria nickte.
 

„Gut. Dann möchte ich, dass ihr Chidali mit euch nehmt, eure Hoheit.“
 

„Wäre es nicht besser, wenn er hier bliebe?“
 

„Ganz und gar nicht. Ihr habt gesehen wie machtlos wir waren. Wir würden Chidali nicht beschützen können und ich bin mir sicher, dass er euch von großem Nutzen sein kann.

Niemand besitzt schärfere Augen unter uns, als Chidali. Er ist der beste Schütze den wir haben. Außerdem kann er mit Tieren kommunizieren. Das wird sich sicher als nützlich erweisen.“
 

„Da bin ich mir sicher. Seid ihr ebenfalls damit einverstanden, Chidali?“
 

„Gewiss, eure Hoheit. Mein Leben ist das eure. Ich setze all mein Vertrauen in euch.“
 

„Vielen Dank, das weiß ich zu schätzen.“
 

„Wo geht ihr nun also hin, Prinz Kaero?“
 

„Ich denke wir werden nach Bekrusik reisen und dort nach einer Möglichkeit suchen um nach Lasakiti zu gelangen.“
 

„Eine gute Entscheidung. Ich hoffe auf euren Erfolg. Viel Glück.“
 

„Vielen Dank, weise Aria. Auf ein erneutes Wiedersehen.“
 

Kaero und seine Gefährten brachen nun also nach Bekrusik auf, einer kleinen gemütlichen Hafenstadt an der Küste des Topas-Meeres...
 

***
 

„Narima, pass bitte auf, hier ist es etwas rutschig.“
 

„Danke, Haolon.“
 

„Mein Gott, Haolon! Wenn du sie so verwöhnst, wird sie nie erwachsen. Sie wird von einem kleinen Fall schon nicht umkommen!“
 

„Aber Madame Ti´In Da´Ura!“
 

„Bloß weil sie eine Prinzessin ist, musst du sie nicht gleich in Watte wickeln.“
 

Ti´In Da´Ura hatte auf der Reise zufällig erfahren, wer Narima wirklich war. Um ehrlich zu sein, war Haolon erleichtert gewesen, als sie es erfuhr. Obwohl sie noch nicht lange mit einander reisten, hatte er doch schnell Vertrauen zu der erfahrenen Heilerin gefasst, was eigentlich ungewöhnlich für ihn war und mochte es nicht ihr etwas zu verheimlichen.

„Wir sind übrigens bald in Prikolani. Noch ein paar Stunden Fußweg und wir sind da.“

So war es auch. Sie hatten zirka Mittagszeit als sie Prikolani sahen.
 

Die Stadt war rundum von Palisaden umgeben welche ab und an von Wachtürmen unterbrochen wurden. Vor der Stadt waren auch noch Häuser zu sehen und Felder. In diesen Häusern lebten die Männer des Amazonenstammes und sorgten für die Nahrungsmittel des Dorfes. Männer waren innerhalb der Palisaden nicht erwünscht und nur sehr selten hatte ein Mann jemals einen Fuß hineinsetzen dürfen.
 

„Haolon, du musst jetzt leider hier warten.“
 

„Ich verstehe, Madame. Amazonen sind eben nicht so gut auf Männer zu sprechen.“
 

Ti´In Da´Ura lächelte.
 

„So kann man es auch formulieren. Ich werde um Erlaubnis für dich bitten, aber du solltest dir nicht allzu große Hoffnungen machen. Finde also am besten einen Platz an dem du bleiben kannst. Die Männer der Amazonen sind meistens sehr freundlich gegenüber Reisenden.“
 

Haolon nickte.
 

„Haolon...“ Narima legte ihre Hand auf seine. „Sei trotzdem vorsichtig, bitte.“
 

Er schenkte ihr ein warmes Lächeln und umfasste ihre Hand.
 

„Natürlich. Ich habe es dir doch versprochen.“
 

„Mein Gott! Ihr und eure Melodramatik! Könnt ihr jetzt nicht mal mehr für ein paar Tage auseinander sein? Er wird ohne dich schon nicht umkommen, Narima! Haolon ist ein Krieger und kann sehr gut auf sich alleine aufpassen!“
 

Beide waren nun ein wenig peinlich berührt und Haolon wandte sich ab, während Narima sich neben die Heilerin stellte.
 

„Lass uns gehen, Kleines.“
 

Narima nickte zustimmend.
 

Am Eingang der Palisade wurden sie wie erwartet von zwei Amazonen aufgehalten.
 

„Wer seid ihr und was wollt ihr in Prikolani?“
 

„Mein Name ist Ti´In Da´Ura und ich bin eine Heilerin. Dies ist meine Schülerin, Narima. Ich wollte nur ein paar Freundinnen hier besuchen.“
 

„Ihr seid Ti´In Da´Ura? Ihr kommt gerade recht, Madame. Unsere Führerin Quinmara könnte eure Hilfe gebrauchen.“
 

„Quinmara? Was ist mit ihr? Hat sie jetzt also doch endlich das Ende ihrer Tage erreicht?“
 

„Nicht wirklich, Heilerin. Sie wurde mehr oder weniger angegriffen.“
 

„Angegriffen? Von wem? Niemand kommt hier ungesehen rein oder raus und alle respektieren Quinmara.“
 

„Das dachten wir auch, aber stellt euch vor, es war ihre eigene Tochter, Quindola. Sie hatte es angeblich satt darauf zu warten, dass Quinmara von selbst ihren letzten Atemzug tut.“
 

„Hah! Dieses dreckige Weibsbild wurde aber auch mit jedem Jahr ihres Lebens bösartiger!“
 

„Das kann man nicht abstreiten. Die Einzige die es nicht bemerkt hatte, war Quinmara.“
 

„Ja, sie hat schon immer nur die guten Seiten in ihr gesehen, wobei sie bei Quinterra das Gegenteil tat.“
 

„Oh ja! Und das obwohl Quinterra das absolute Gegenteil ihrer Schwester ist. Sie ist hilfsbereit und unglaublich talentiert.“
 

„Mehr als nur in einer Hinsicht. Sie ist mittlerweile eine ausgezeichnete Heilerin geworden und kann kaum noch übertroffen werden.“
 

„Genug geredet. Bitte tretet ein, Ti´In Da´Ura. Vielleicht könnt ihr unserer Führerin noch helfen.“
 

„Gewiss, ich werde mein möglichstes tun.“
 

Knarzend öffneten sich die hölzernen Tore der Amazonenstadt und sie traten ein. Narima blickte sich interessiert um. Sie sah überall Frauen in Lederrüstungen und dunklen Haaren. Die wenigsten Amazonen schienen helle Haare zu besitzen. Der Stamm der kriegerischen Frauen hatte sich eine Stadt halb aus Zelten und halb aus hölzernen, kleinen Hütten errichtet. Es hatte dieses freie und dennoch bleibende Gefühl. Eilig lief Narima Ti´In Da´Ura hinterher die schnurstracks durch die Reihen der Frauen auf ein großes, beinahe schon majestätisch wirkendes Zelt zuging. Schwungvoll öffnete die Heilerin die Zeltklappe und wurde direkt von lauten, unhöflichen Worten empfangen.
 

„Verdammt noch mal! Ich habe doch gesagt, ihr sollt mich alle in Ruhe lassen, ihr Gott verfluchten Raskas!“
 

„Es ist auch schön dich wieder zu sehen, Quinmara.“
 

Auf einem Bett aus Leinen blickte ihnen eine alte, vom Kampf gezeichnete Frau entgegen und grinste breit, als sie erkannte, wer dort im Eingang stand.
 

„Na, wenn das nicht Ti´In Da´Ura ist. Bist du wieder hier um eine meiner Kriegerinnen auf deinen verkorksten Heilerweg zu bringen? Oder ist es diesmal ein Höflichkeitsbesuch?“
 

„Wohl eher ein Arbeitsbesuch, so wie du aussiehst.“
 

„Ach was! Ich werde schon wieder zu Kräften kommen. Da habe ich schlimmeres überstanden, als das.“
 

„Da warst du aber auch jünger. Eine ungefähr siebzigjährige sollte sich nicht übernehmen.“
 

„Unsinn! Siebzig hin oder her, ich bin ich und so etwas kriegt mich nicht klein!“
 

„Wie du meinst. Lass mich trotzdem mal einen Blick auf dich werfen. Und erkläre mir was genau mit dir passiert ist.“
 

„Hmpf! Wenn du darauf bestehst.“

Unerwarteter Verbündeter

Kaero und seine Gefährten kamen gerade in Bekrusik an. Ein kleines nettes Fischerdorf. Angeln und Reusen standen oder lehnten an den Häuserwänden oder auf Gestellen. Eigentlich waren es eher kleine Katen als Häuser und überall hingen und lagen Fischernetze. Das Dorf war verhältnismäßig groß, aber die Katen waren in den Hang hinein gebaut worden, was ihnen eine Ausstrahlung von Geborgenheit und eigenartiger Schönheit verlieh und das ganze Dorf etwas klein wirken ließ. Man konnte schon von weitem den Lärm des geschäftigen Hafens hören und die lauten, rauen Rufe der Seemänner und ihre Flüche.
 

„Das hier ist also Bekrusik?“
 

Chidali sah sich interessiert um, wobei seine grünen Haare leicht im Seewind wehten.
 

„Ich war noch nie so weit von Kalisamdo entfernt, aber es ist eine schöne Erfahrung. Wie kommen wir nun also nach Lasakiti und den Aguitis, eure Hoheit?“
 

„Ehrlich gesagt weiß ich das nicht, mein elbischer Freund. Ich weiß nur das Lasakiti in der Mitte des Topas-Meeres liegt, aber wie man dort hin gelangt? Und bitte, nennt mich einfach nur Kaero.“
 

„Wie ihr wünscht. Dann sollten wir wohl erst einmal nach Informationen fragen, nehme ich an.“
 

Kaero nickte.
 

„Und falls jemand fragt: Wir sind auf dem Weg dorthin unterwegs, um um die Erlaubnis einer Handelsroute zu bitten.“
 

Jeder ging also in eine andere Richtung und versuchte etwas Information von den Einheimischen zu erhalten, was sich jedoch als schwieriger erwies, als sie zunächst angenommen hatten. Die Seeleute hier in Bekrusik waren sehr verschwiegen, außer es ging um ihr eigenes Geschäft, dann wurden sie auf einmal sehr hellhörig und offen. Alles in allem waren sie am Ende des Tages nicht ein Stück weiter gekommen, sondern immer noch genauso schlau wie am Anfang. Erschöpft und entnervt fanden sich die Gefährten im hiesigen Gasthof ein und schmollten.
 

„Aus diesen brutalen, stinkenden, männlichen Wasserratten kriegt man nicht einen Funken von Verstand!“
 

Quinza tobte schon in dem Moment, als sie das Lokal betreten hatte. Niemand hatte sie bis jetzt so abwertend gegen das männliche Geschlecht reden hören, aber durch ihren Frust kam wohl die typische Amazoneneinstellung durch.
 

„Na, na, Quinza. So schlimm ist es doch jetzt auch wieder nicht.“
 

Lerko hob beschwichtigend die Hand.
 

„Aber, wenn das so weiter geht, können die bald ihre gemütliche Art sonst wo hinstecken! Dann werde ich nämlich bekommen was ich will und zwar auf meine Art!“
 

Kaero schmunzelte in sich hinein. Sie waren alle vier wirklich sehr vertraut miteinander geworden und mittlerweile fühlte sich Kaero, als wäre er bei Verwandten die er sehr schätzte.

Chidali seufzte resigniert.
 

„Wenn wir nur einen Seemann in unseren Reihen hätten, dann wären sie wahrscheinlich wesentlich offener mit uns. Sie reden ja schließlich alle mit ihresgleichen, als wären sie verlorene und wiedergefundene Brüder.“
 

Kaero horchte auf. Chidali hatte damit eigentlich nicht so unrecht...
 

„Warum haben wir dann nicht einfach einen Seemann in der Gruppe?“
 

Alle blickten ihn fragwürdig an.
 

„Na ja, lasst uns einfach einen erfinden.“
 

„Wie meint ihr das?“
 

Lerko hatte einen interessierten Funken in den Augen und fixierte ihn. Kaero grinste breit.
 

„Überlasst das ruhig mir, ihr werdet schon sehen. Aber dafür muss ich jetzt noch einmal kurz weg. Geht schon ohne mich schlafen. Ich bin gleich wieder zurück.“
 

Damit stand er auf und verschwand durch die Tür. Die drei Zurückgebliebenen sahen ihm mit hoch gezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn nach.
 

***
 

Etwas neugierig kamen die drei am nächsten Morgen in die Wirtsstube und blickten sich um. Nirgendwo konnten sie ihren Prinzen erkennen. Der Einzige in der Stube war ein Seemann, dessen Haare geflochten und mit einem Seil nach oben gesteckt waren. Er trug ein mittlerweile cremefarbenes Hemd, welches seine Brust entblößte und eine Narbe offenbarte und dazu eine Stoffhose die an den Enden ausgefranst war. Seine Füße waren blank.
 

„Wo ist denn jetzt seine, Hoheit?“
 

Lerko kratzte sich verwundert am Kopf.
 

„Er hat uns doch gerufen.“
 

„Wenn ihr Leute den Prinz sucht, der ist hier.“
 

Alle blickten den Seemann mit der rauen Stimme an, der nun verstohlen grinste und ihnen zu zwinkerte. Ihnen klappte der Mund nach unten.
 

„Kaero!?“
 

Riefen Chidali und Quinza im Chor.
 

„Der Einzig wahre, meine Freunde! Na, wie gefalle ich euch als rauer Bär der See?“
 

„Das meintet ihr also gestern mit eurer Aussage.“
 

„In der Tat. Ist doch überzeugend genug, oder?“
 

Alle nickten einstimmig.
 

„Wollen wir dann also einmal ausprobieren, wie gut diese Verkleidung von mir wirklich funktioniert?“
 

Kaero ging zum Hafen und erblickte auch schon sein erstes Opfer für seine Scharade. Die Anderen folgten ihm interessiert.
 

„Moin, moin, Kollege!“
 

Der auf die Schulter geklopfte Matrose drehte sich um und grinste breit, als er Kaero sah.

„Moin, Kamerad! Was gibt es denn?“
 

„Ja, weißt du... Ich bin von der Hafenstadt Rakakkun, gutes Stück das Wasser lang.“
 

„Yoah, das kenne ich! Ist eine wirklich schöne Stadt. Aber wo ist denn dann dein Schiff, Kollege?“
 

„Tja, Kamerad... Das ist das traurige an allem. Meine schöne Beatrix ist jetzt auf dem Grund des Meeres und hat ihre letzte Fahrt gemacht. Meine Passagiere und ich sind in dem letzten großen Sturm gekentert.“
 

„Ja, das passierte vielen.“
 

„Ja, aber das Schlimme ist, das ich bezahlt worden bin, die Passagiere hier, nach Lasakiti zu bringen. Ich wollte hier sowieso fragen, wie die Seeroute dahin ist, weil ich noch nie hier war, aber jetzt fehlt uns sogar das Schiff dafür. Ach, meine Beatrix...“
 

Kaero vergrub trauernd sein Gesicht in seiner Hand und schluchzte.
 

„Ich versteh dich, Kamerad... Wie wäre es, wenn du den guten Jaug fragen gehst? Der kennt sich am besten hier aus. Besonders, wenn du nach Lasakiti willst. Der Jaug wohnt da oben auf der Klippe. Der gibt auch häufiger Reisenden mal ein Dach über dem Kopf, wenn wir hier die große Saison haben. Mach dir nichts draus, Kamerad. Ich bin sicher, das es deiner Beatrix gut da draußen geht.“
 

Beschwichtigend klopfte der Seemann ihm noch auf den Rücken und nickte.

Kaero schluchzte noch einmal und bedankte sich vielmals bei dem Matrosen. Mit einem Handgruß waren die Gefährten dann auf dem Weg zu dem besagten Jaug.
 

„Ihr ward unglaublich überzeugend, Hoheit!“
 

Kaero grinste breit.
 

„Danke, Lerko. Es hat mir ehrlich gesagt auch große Freude bereitet. Ich hätte nicht gedacht, dass meine schauspielerische Ader einmal Verwendung finden würde.“
 

Quinza lachte und Chidali nickte zustimmend.
 

„Sogar eure Aussprache war wie die der Seeleute, Kaero. Wirklich beeindruckend. Ich verstehe sie ehrlich gesagt nicht besonders gut.“
 

„Eigentlich ist das ganz einfach, Chidali, aber trotzdem danke.“
 

Mittlerweile war Jaugs Haus in Sicht gekommen und es hatte doch eine gute Größe. Es hatte offenbar zwei Etagen und war etwas breiter als die Häuser unten in Bekrusik. Chidali blieb plötzlich stehen und verengte die Augen. Angestrengt blickte er in eine Richtung und spitzte die Ohren. Seine Hand lag angespannt an seinem Bogen.

Kaero blickte alarmiert in die gleiche Richtung, konnte jedoch nicht viel erkennen. Nur kleine Pünktchen, die Leute sein könnten.
 

„Was ist los, Chidali? Wer sind die?“
 

„Soweit ich das beurteilen kann ist dort der erwähnte Jaug und wenn ich nicht ganz falsch liege, sind die anderen fünf Werbagen.“
 

„Werbagen?!“
 

Quinza blickte wütend in die Richtung der kleinen Gruppe.
 

„Ja, und an dem Anführer ist irgendetwas merkwürdig.“
 

„Merkwürdig? In wie fern?“
 

„Nun, er hat eine etwas ungewöhnliche Aura, die mir Unbehagen verschafft.“
 

„Er ist also nicht menschlich?“ fragte Lerko und spannte sich an.
 

„Gut möglich. Die wenigsten Menschen haben eine Aura die stark genug wäre, die Sinne meines Volkes derartig zu beeinträchtigen.“
 

„Es bringt nichts, wenn wir hier einfach nur herumstehen. Lasst uns näher herangehen, um fest zu stellen was vor sich geht.“
 

Alle nickten Kaero zustimmend zu und setzten sich in Bewegung. Sie versteckten sich hinter einer Gruppe von Felsen die sich in guter Hörweite befand, sie aber dennoch nicht preisgab. Wie es schien bedrohten die Werbagen den Seemann und waren dabei sehr überzeugend. Sie hatten ihn an die Felswand gedrückt und hielten ihm eine Klinge an den Hals.
 

„Na los! Jetzt gib uns endlich dein Schiff und sag uns die Route nach Lasakiti, oder du schläfst bald bei den Fischen!“
 

Jaug grinste frech, wobei ihm eine blonde Locke ins Gesicht fiel und spuckte dem Werbagen mit der Klinge ins Gesicht.
 

„Dann mach doch, aber dann werdet ihr nie nach Lasakiti kommen und das wisst ihr! Ansonsten wäre ich jetzt schon längst in den Armen des Meeres.“
 

„Du kommst dir wohl besonders schlau vor, du Seeratte!“
 

Wütend wischte sich der Werbage das Gesicht trocken.
 

„Ich weiß nur was ich weiß, du rote Pest.“
 

„Jetzt reicht es mir aber!“
 

Der Werbage wollte gerade zu stechen, als ihm Kaero die Klinge mit einem Handolis, einem sternförmigen Bumerang, aus der Hand schlug. Er hatte den Umgang dieser praktischen kleinen Waffe von Chidali gelernt.
 

„Ich glaube, dass ist jetzt genug, meine Herren. Wir wollen doch hier kein Blutbad anrichten.“
 

„Du... Du bist der Prinz, nicht wahr? Verdammt! Wieso ist der schon hier?“
 

Der Anführer, der bis jetzt nichts gesagt hatte, trat nun vor.
 

„Ihr haltet euch besser hier raus, eure Hoheit. Ich glaube nicht, dass ihr verletzt werden wollt.“
 

„Ich glaube, dass entscheide ich lieber selbst, aber es ist wirklich rührend das ihr euch Sorgen um mich macht.“
 

„Treibt es nicht zu weit, Mensch!“
 

Schwungvoll entblößte er sich und gab damit preis was er wirklich war. Er war ein Sharaszi. Sharaszi waren Wesen mit Haut die Leder glich und die fledermausähnliche Flügel an den Armen besaßen. Ihre Köpfe sind länglich und schmal, ihre Augen gelblich. Sie sind Fleischfresser und sehr intelligent. In Teeren sind sie als Todesdämonen bekannt, aber ihre Art war nicht sehr weit verbreitet.
 

„Sieht so aus, als wäre er wirklich nicht menschlich, was Chidali?“
 

„Sieht ganz so aus.“
 

„Ihr wisst jetzt was ich bin, nehme ich an. Zieht euch also nun zurück, wenn euch euer Leben lieb ist!“
 

„Das werden wir bedauerlicher Weise nicht tun, Sharaszi. Wir haben etwas geschäftliches mit diesem Herrn dort zu besprechen und ehrlich gesagt, hätte ich gerne auch noch ein paar Antworten von euresgleichen.“
 

„Wie ihr wollt, aber kommt nachher nicht als Geister zu mir zurück. Ich habe euch gewarnt.“
 

„Dankbar zur Kenntnis genommen, aber nein danke. Ihr müsst wissen, ich liebe die Gefahr, aber keine Sorge ich werde euch schon nicht verfluchen. Ich bin ja nicht Cha´Dorom.“
 

„Sehr gut, dann lasst mich eure Knochen aus eurem Leib reißen!“
 

„Kaero! Bitte überlasst ihn mir!“
 

Kaero sah Chidali fragend an.
 

„Bitte! Ich weiß wie ich dieses Wesen besiegen kann!“
 

„Wie du möchtest, Chidali. Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“
 

Der Elb nickte und seine violetten Augen funkelten. Kaero konnte seine Aufregung spüren, oder war es die des Amethyst? Er und die anderen beiden nahmen sich also die restlichen Werbagen vor. Der Sharaszi und Chidali umkreisten sich, lauernd und auf eine Reaktion des Anderen wartend.
 

„Sag, was macht ein ehrwürdiger Elb bei einer Gruppe dreckiger Menschen?“
 

„Ich glaube kaum, dass dich das etwas angeht, Todesdämon. Und sprich nicht so abfällig über seine Hoheit und seine Gefährten. Sie sind ehrbare Leute.“
 

„Ist das so? Dann verzeiht mir bitte. Dennoch... Ich will nicht gegen euch kämpfen. Meinesgleichen respektiert die alte Rasse dieser Welt und wir suchen keinen Streit mit euch.“
 

„Wenn dem so ist, dann zieht euch zurück und verlasst Cha ´Dorom.“
 

Der Sharaszi schüttelte den Kopf.
 

„Das kann ich nicht. Unser Herrscher hat einen Pakt mit diesem Magier geschlossen und somit mit jedem von uns. Ich würde unsere Ehre besudeln.“
 

„Obwohl er mein Volk angegriffen hat, welches ihr so sehr respektiert?! Und dann wagt ihr es mir zu sagen, dass ihr mich nicht bekämpfen wollt?! Ha! Seit wann sind die Todesdämonen solch schwächliche, ehrlose Wesen?“
 

Der Sharaszi blieb stehen.
 

„Wartet... Euer Volk wurde von Cha´Dorom angegriffen?“
 

„Ja, so ist es und wir haben vieles verloren. Meine Heimat wird einige Zeit brauchen um sich wieder zu erholen.“
 

„Das wusste ich nicht. Niemand hat uns gesagt, dass so etwas vorgefallen ist. Ich bin mir sicher mein Herrscher würde niemals zu so etwas zustimmen.“
 

„Wa-was zur Hölle, Sharaszi! Dieser Elb ist doch am lügen! Wir haben doch schon versprochen, dass wir den Elben nichts tun würden!“
 

Der Scharaszi sah den Werbagen, der ihn angesprochen hatte, mit verengten Augen an. Dieser zuckte zusammen.
 

„Im Gegensatz zu euch Menschen lügen Elben nicht. Sie haben keine Verwendung für solch triviale Wortspiele, nur um die Wahrheit zu verschleiern. Im Gegenteil... Sie sind Sucher und Finder der Wahrheit, Wanderer auf dem ewigen Pfad des Wissens und der Weisheit, also sprich mich nie wieder an, du dreckiger Mensch! Ihr werdet dafür büßen euer Wort gebrochen zu haben!“
 

„N-nein! Bitte!“
 

Der Sharaszi entfaltete seine Flügel und erhob sich in die Luft. Schneller als ein Falke, stieß er vom Himmel herab und zerfleischte den weg rennenden Werbagen mit seinen Klauen. Ein jeder blickte fort von dieser abscheulichen Szene. Die anderen Werbagen rannten um ihr leben, während der Todesdämon sie verfolgte und jagte.
 

„Chidali, wolltet ihr ihm das von Anfang an erzählen?“
 

Chidali nickte.
 

„Ich wusste, dass sie mein Volk respektieren, deswegen wollte ich wissen was der Grund ihrer Allianz mit Cha´Dorom ist. Es hätte natürlich auch anders enden können, aber auf dieses Ergebnis hatte ich doch schwer gehofft.“
 

„Meine Güte. Das hättet ihr uns auch früher sagen können.“
 

„Entschuldigt, Lerko. Es war nicht meine Absicht euch allen einen Schrecken einzujagen.“
 

„Entschuldigt, alle miteinander, aber ist das wirklich Prinz Kaero von Teeren?“
 

Sie drehten sich zu Jaug um und Kaero nickte.
 

„Ich sehe zwar gerade nicht so aus, aber ja, der bin ich.“
 

„Ist nicht wahr... Oh bei den Elementen! Es stimmt! Die selben grünen Augen wie immer und die selben schwarzen Haare! Hahaha! Ich hab dich ganz schön vermisst, Kaero!“
 

Jaug umarmte Kaero stürmisch und alle sahen die beiden verdutzt an.
 

„Ähm, Moment... Kennen wir uns?“
 

„Was denn? Du hast mich vergessen?! Das ist jetzt aber wirklich kaltherzig von dir! Ich bin´s Jaug! Wir sind doch immer alle drei zusammen nach Lodvag geschlichen und haben bei den Dieben gespielt! Du, Haolon und ich! Das kann man doch gar nicht vergessen!“
 

Kaero blinzelte und dann zog sich langsam ein Grinsen über sein Gesicht.
 

„Ich fasse es nicht! Jaug! DER Jaug!“
 

Herzlich umarmte er sein Gegenüber.
 

„Ich habe dich gar nicht mehr erkannt! Du bist so gewachsen!“
 

„Das gebe ich gerne zurück! Ich habe dich auch nicht wiedererkannt! Zumindest nicht in diesem Aufzug!“
 

„Naja, man muss eben ein paar Tricks auf Lager haben, wenn man diesen engstirnigen Seebären Informationen entlocken will.“
 

„Wahrhaftig! Und deine Methode gefällt mir mal wieder wesentlich besser, als die anderer Leute. Ich will ja jetzt nicht anfangen mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Was führt dich also her? Brauchen die Leute in Lodvag nicht deine Hilfe? Das Schloss ist doch abgebrannt und ich habe gehört, dass... ähm, ja...“
 

„Ist schon in Ordnung, Jaug. Mir geht’s gut und ich habe meine Gründe hier zu sein. Nebenbei... Ich bräuchte deine Hilfe, mein alter Freund.“
 

„Alles was du willst! Wenn ich gekonnt hätte wäre ich dein persönlicher Leibwächter geworden, aber jetzt muss ich mich wohl damit begnügen dein bester Fischer zu sein.“
 

„Hahahaha! Momentan bin ich jedoch sehr froh darüber, dass du mein bester Fischer bist, Jaug.“
 

„Na kommt! Gehen wir erst einmal rein. Ihr müsst erschöpft sein! Und wenn ihr es nicht seid, ich bin es ganz sicher!“
 

***
 

„Verstehe... Es ist zwar wirklich alles schwer zu glauben, aber du bist nicht jemand, der seine Freunde über so eine ernste Sache anlügt. Ihr müsst also nach Lasakiti, der Stadt der Aguities, ja? Kein Problem! Ich bringe euch hin.“
 

„Danke, Jaug! Du weißt gar nicht wie sehr du mir damit hilfst.“
 

„Ach komm! Übertreib doch nicht so! Es liegt doch bloß das ganze Schicksal der Welt in deinen Händen. Ist doch keine große Sache.“
 

„Jaug... Du änderst dich nie...“
 

„Du auch nicht. Du schienst immer derjenige zu sein, der die größten Bürden der Welt auf seinen Schultern hatte. Und dennoch hattest du immer Zeit für die, die deine Hilfe brauchten und das mit einer Wärme wie sonst niemand.“
 

„Jetzt übertreibst du aber, mein Freund.“
 

„Ganz und gar nicht. Deswegen wollte ich immer jemand sein der dich beschützen kann, weil du derjenige zu sein schienst, der die ganze restliche Welt beschützt. Naja, im Endeffekt musste ich das Haolon überlassen. Apropos Haolon: Wo steckt der denn bitte? Der klebte doch immer an dir wie Seepocken an einem Schiff und hat dich vor allem beschützt was nur ansatzweise eine Gefahr darstellen könnte.“
 

„Haolon ist bei meiner Schwester, um an ihr wie Seepocken zu kleben und das sollte er auch wirklich besser, wenn er weiß was gut für ihn ist. Aber so wie ich ihn kenne tut er das auch.“
 

„Deine Schwester? Oh ja! Die kleine Nami!“
 

„Nennst du sie etwa immer noch so, Jaug! Ihr Name ist Narima!“
 

„Ja, ja! Schon gut! Ich weiß! Ich wollte dich doch bloß aufziehen!“
 

Dann klopfte es plötzlich an der Tür. Jaug stand bereits, um sie zu öffnen.
 

„Warte, Jaug!“
 

Kaero hielt ihn warnend zurück. Leise schlich er zur Tür, während Quinza und Chidali ihre Bögen spannten. Lerko wagte einen Blick durchs Fenster und schluckte schwer.
 

„Es ist der Todesdämon,“ flüsterte er seinen Freunden zu.
 

Alle waren angespannt und Kaero wollte gerade die Tür öffnen, als der Todesdämon sagte:
 

„Keine Sorge. Ich bin nicht hier, um euch zu töten. Ich möchte euch um etwas bitten, also lasst mich bitte hinein. Ich will nur mit euch reden, Prinz Kaero.“
 

Für einen Moment überlegte Kaero und bedeutete den Anderen sich zu entspannen, dann öffnete er die Tür.
 

„Kommt herein.“
 

„Ich danke euch.“
 

Er verneigte sich und trat dann ein.
 

„Um was wollt ihr mich also bitten, Sharaszi.“
 

„Bitte, nennt mich Selanory. Ich möchte um den Gefallen bitten mit euch mit reisen zu dürfen, eure Hoheit.“
 

Kaero zog die Augenbrauen nach oben und Quinza rief in unglauben, „Was?!“ aus.
 

„Cha´Dorom hat mein Volk betrogen und ich bin mir sicher, dass das nicht das erste Mal war. Es war ebenso eine Lüge was er über euch erzählte.“
 

„Über mich? Was hat er denn nettes von sich gegeben?“
 

„Ihr müsst wissen, wir Sharaszi haben uns nur in die Angelegenheiten der Menschen eingemischt, wenn wir der festen Ansicht waren, dass sie etwas falsches taten. So wie vor vielen Jahren, als sie die Teeren aus ihrem eigenen Land vertrieben. Seit dem haben wir uns nicht mehr eingemischt, da die Menschen stets einen weisen Führer für Teeren ausgesucht haben. Cha´Dorom hatte jedoch behauptet, dass ihr eure eigene Familie gemordet habt und nun versucht Kontrolle über ganz Teeren zu erlangen. Da ihr, wenn die Behauptungen gestimmt hätten, definitiv nicht Teerens würdig wärt, haben wir uns ihm angeschlossen. Aber ich sehe nun die Wahrheit und das es eigentlich genau andersherum ist. Cha´Dorom ist derjenige der Teeren erobern möchte, nicht wahr?“
 

Kaero nickte.
 

„Ja. Und er tut alles, um zu verhindern das ich ihm in die Quere komme, weil ich es definitiv kann.“
 

„Ich weiß. Ihr seid den Teeren sehr ähnlich. Genauso wie es einst euer Vorfahre Kaeron war, Prinz. Er war wahrlich der weiseste und mutigste Herrscher den die Menschen bis jetzt hatten. Wir respektierten ihn und für uns war er ein Bruder und dennoch jemand den wir stolz König nannten.“
 

„Wartet, wie alt seid ihr genau, dass ihr so etwas wisst?“
 

„Ich bin um die tausend Jahre alt und werde in ungefähr fünfhundert Jahren das Ende meines Lebens erreichen.“
 

„Euer Volk kann tausendfünfhundert Jahre alt werden?!“
 

„Das ist korrekt, Mönch. Die meisten sterben jedoch bereits früher. Sie werden getötet.“
 

„V-verzeihung...“
 

„Es ist normal.“
 

„Ihr wollt uns also begleiten?“
 

„Ja, eure Hoheit.“
 

„Nun, gut, aber wir können euch nicht jeden Tag Fleisch liefern, das ist euch klar oder? Vor allem werde ich es nicht erlauben, dass ihr Menschen angreift, solange es nicht in Notwehr geschieht.“
 

„Das ist mir bewusst. Ich werde solange ich bei euch bin auf die Jagd verzichten. Ich wäre zu auffällig. Ich werde auch keine Unschuldigen angreifen. Solange ich mit euch reise werde ich größtenteils vegetarisch leben. Es sei denn wir haben das Glück einer guten Mahlzeit.“
 

„Gut. Solltet ihr jemals anders verfahren, werdet ihr hoffentlich nicht allzu überrascht sein, wenn sich mein Schwert in eurem Körper wiederfindet.“
 

„Absolut nicht. Aber das wird nicht geschehen. Das versichere ich euch.“
 

„Tja... Dann kann ich nur noch sagen: Willkommen an Bord, Selanory. Ihr werdet uns sicher eine große Hilfe sein.“
 

Selanory verbeugte sich überraschend elegant und lächelte. Oder zumindest vermuteten die Gefährten, dass es ein Lächeln war.
 

***
 

Am nächsten Morgen machten sich die Gefährten – mit nun einem Mitglied mehr – auf den Weg nach Lasakiti.

Jaug brachte sie auf seinem Boot auf eine kleine Insel mitten im Meer, wo sich die Freunde erst einmal verwundert umsahen.
 

„Sind wir hier auch richtig, Jaug?“
 

„Aber natürlich, Kaero! Vertraust du mir nicht? Der Eingang nach Lasakiti befindet sich in einer Höhle, wo ein kleiner See ist. Durch diesen See kann man zur Unterwasserstation gelangen und von dort aus nach Lasakiti.“
 

„Eine... Unterwasserstation? Wie darf ich mir das vorstellen?“
 

„Nun, ja. Wir nennen es eigentlich nur so, weil es für die Händler wie ein Zwischenstopp ist, aber eigentlich ist es eine kleine Stadt. Sie hat nur keinen Namen.“
 

Kaero nickte und sie setzten ihren Weg fort.
 

Nach ein paar Minuten hatten sie dann auch die besagte Höhle erreicht. Die Anderen gingen gemütlich hinein, während Selanory stehen blieb.
 

Lerko drehte sich fragend zu ihm um.
 

„Was ist los, Selanory?“
 

„Ich werde hier bleiben. Meine Art hat es nicht so besonders mit... Wasser. Ich werde den Eingang bewachen, schließlich könnte es durchaus sein, dass wir verfolgt werden.“
 

Kaero nickte.
 

„Also gut, aber wie sollen wir mit dir in Kontakt treten, wenn wir dir eine Nachricht zukommen lassen müssen?“
 

„Ihr könnt doch mit den Kris´Teeren reden. Tut dies auf die selbe Art, wenn ihr etwas von mir wollt.“
 

„Na schön. Dann bis nachher, Selanory und passt auf euch auf.“
 

Der Dämon lächelte vergnügt.
 

„Ich glaube, dass ist das erste Mal, dass sich ein Mensch Sorgen um mich macht. Irgendwie amüsant...“
 

„Gewöhnt euch daran. Ihr seid jetzt einer meiner engen Vertrauten und um die sorge ich mich eben besonders.“
 

Selanory verbeugte sich elegant.
 

„Ich fühle mich geehrt. Gute Reise, eure Hoheit und kommt sicher wieder an die Oberfläche zurück.“
 

„Sicher werden wir das. Wir sehen uns später.“
 

Sie gingen weiter in das Innere der Höhle und erreichten schon bald den kleinen See. Als sie sich dem Rand näherten, sprangen zwei mit Speeren bewaffnete Wasserwesen aus dem kalten Nass und versperrten ihnen den Weg. Sie hatten menschliche Körper und auch ihr Gesicht schien menschlich, nur hatten sie teilweise Schuppen am Körper und Kiemen am Hals und ihre Haare schienen nicht aus Haaren zu bestehen, sondern aus einem Material das weich, aber dennoch hart erschien. Ihre Haut genauso wie ihre Haare schienen in verschiedenen Grün-und Blautönen zu schimmern. Ihre Augen waren etwas goldfarben und schienen eine zweite Schicht zu besitzen, die sich Unterwasser schützend über diese legte. Zwischen den Fingern hatten sie leichte Schwimmhäute, die sich an Land in ihre Haut zurück zogen. Um ihre Lenden hatten sie grüne Rockartige-Stoffe gewickelt. Darunter trugen sie kurze Hosen. Beides schien aus einer Art Alge zu bestehen.
 

Eines der Wasserwesen kam auf sie zu und blieb vor ihnen stehen, sah sie abschätzig von oben bis unten an.
 

Kaero war fasziniert. Er hatte schon vieles über das stolze Meeresvolk gelesen, doch so hatte er sie sich nicht vorgestellt. Mehr Fisch als Mensch, hatte er gedacht, doch sie waren mehr Mensch als Fisch und strahlten eine mysteriöse Schönheit aus.

„Aguities“ wurden sie genannt. Und dieser Name passte zu ihnen. Er war ihnen von den Teeren verliehen worden und bedeutete so etwas ähnliches wie: „Elegantes Wasser.“

Und in der Tat waren sie elegant, selbst an Land. Sie bewegten sich geschmeidig und fließend und nur manchmal wirkten sie etwas träge in ihren Bewegungen, wenn etwas ungewohnt für sie schien, da sie sonst ja im Wasser umher schwammen.
 

„Was wollt ihr Menschen, hier bei uns Aguities,“ fragte die Wache die vor ihnen stand mit einer kühlen, fließenden Stimme.
 

Jaug verbeugte sich vor dem stolzen Krieger und erwiderte: „Wir wollen eingelassen werden, da wir etwas wichtiges mit seiner Majestät zu bereden haben. Prinz Kaero von Teeren möchte ihm eine wichtige Nachricht zukommen lassen. So wichtig, dass er sogar den weiten Weg persönlich auf sich nahm.“
 

Kaero trat vor und neigte ein wenig sein Haupt. Der Aguiti ließ sich nichts anmerken, falls er denn so etwas wie erstaunen oder unglauben empfand und sah zu seinem Kollegen. Dieser kam näher und trat auf Kaero zu, mit einer Art Kristall in Händen und hob es vor sein Gesicht.
 

„Dies ist etwas was uns die Teeren hinterließen. Es kann ein Bild von einer Person oder einem Gegenstand aufnehmen und man kann es dann jemand anderem zeigen,“ erklärte der Andere und deutete auf den Kristall. „Soweit ich weiß, hat seine Majestät den Prinzen von Teeren schon einmal gesehen, als dieser sechzehn Jahre alt wurde. Wir werden ein Bild von euch nehmen und seine Majestät fragen, ob ihr passieren dürft. Wartet solange hier.“
 

Kaero nickte und ließ sich ablichten. Der Aguiti mit dem Kristall sprang wieder ins Wasser, während der andere auf den Boden tippte und dort aus Löchern schwammartige Würfel erschienen.
 

„Setzt euch. Diese Schwammsessel sind äußerst bequem. Macht es euch gemütlich, während ihr wartet.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  laleo
2013-03-13T00:52:44+00:00 13.03.2013 01:52
Sehr spannendende Idee, sehr eigenwillige Vorstellung. Ich bin schon sehr, sehr neugierig, wie das alles weiter geht und freue mich schon auf die Fortsetzung. Danke, laleo
Von:  Azahra
2012-01-08T13:13:18+00:00 08.01.2012 14:13
Der Name der einen Frau ist ganz ulkig hihi
Ohje der arme Haolon! Ich hoffe er wird nicht so Enden :(
Und die arme Narmira ... was machst sie nur wenn er nicht mehr da ist? Alleine glaube ich kommt sie nicht so klar ....

Mal sehen wie es weitergeht.
Bin schon gespannt was mit Kearo noch passiert ...

cucu
Azahra

Von:  Azahra
2012-01-06T16:26:19+00:00 06.01.2012 17:26
Hallo :)

Ich habe nun begonnen deine FF zu lesen und finde sie sehr spannend. Die Idee ist sehr gut und mir gefallen deine Charaktere. Du besitzt ein sehr flüssigen Schreibstil, weswegen das Lesen sehr einfach fällt und man sich alles gut vorstellen kann.
Bin schon gespannt wie es weiter geht :)

cucu
Azahra


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