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Neun A.D.

von

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Doppelte Rückkehr

„S-S-Sei l-lieber vorsichtig!“ mahnte Illay Brìghde stammelnd. Er hielt ihre Hand, zierliche kleine Finger, die am Ende nur trügerische Sicherheit bedeuten würden. Wenn sie stürzte, dann stürzte sie – er wäre weder schnell noch kräftig genug, sie abzufangen. Die junge Schottin aber ließ sich von seinem Hang zur Vorsicht nicht beeindrucken. Elegant balancierte sie von Illay geführt auf der Reling des Schiffes entlang. Es hatte vor wenigen Minuten noch geregnet, sie steuerten einem Londoner Herbst entgegen, und das Metall war von zurückgebliebener Nässe glitschig und rutschig.

Die junge Assistentin des exzellenten Mechanikers jedoch schien sich in keiner Weise daran zu stören. Selbstsicher und dem Gefühl der absoluten Freiheit nachjagend, tänzelte sie auf der Schiffswand entlang. Nur gelegentlich warf sie ihm einen Blick zu. Illay genoss diese Momente ebenso, wie er es auskostete, sie dort oben zu sehen. Sie sprachen es nicht aus, dieser Satz war nie zwischen ihnen gefallen, aber... so hatten sie einander kennen gelernt. So war der verschüchterte, hochbegabte Techniker auf den Querschläger McDermit aufmerksam geworden.

Vor einem Monat. Das klang gar nicht so lange, oder? Ein Monat, das waren dreißig Tage, das waren siebenhundertzwanzig Stunden. Wenn man davon ausging, dass täglich mindestens sechs Stunden geschlafen wurde und sie allein die ersten zwei Wochen am Tag bis zu sechzehn Stunden gearbeitet hatten, da blieb am Ende eigentlich nicht viel Zeit, um sich näher zu kommen.

Sie hatte auf der Reling ihre kleine Show abgezogen, wie sie es jetzt auch tat – damals jedoch noch ohne seine Führung. Sie ließ ihn nur neben sich her gehen und ihre Hand halten, damit Illay nicht vor Nervosität einen Herzinfarkt bekam. Es war manchmal anstrengend, wie sehr er sich um ihr Wohl sorgte, ebenso, wie sie es manchmal süß fand. Sie hatte es damals nicht für Publikum getan, so wie es auch jetzt nicht der Fall war. Sie vollführte diesen kleinen Balanceakt ganz für sich allein, driftete in ihre eigene Welt, war frei, ungebunden. Vor einem Monat hatte ein Soldat sie dann harsch von der Reling gerissen und mit unsanften Methoden darauf hingewiesen, dass ziviles Lumpenpack wie sie gefälligst unter Deck zu bleiben hätte. Illay hatte sich damals darüber empört, aber er war nicht fähig, einzugreifen. Zu schüchtern, zu wenig der eigenen Befugnisse bewusst und längst nicht genug Rückgrat, sich durchzusetzen.

Einen Soldaten anzublaffen und zurecht zu weisen, das würde er vermutlich immer noch nicht schaffen, und trotzdem waren die Schritte in seiner persönlichen Entwicklung gewaltig gewesen – Schritte, die er Brìghde zu verdanken hatte. Es war eine Mischung aus Bewunderung und Verliebtheit, mit der er zu ihr empor sah. Ihre kunterbunte Frisur hob sich spielend leicht gegen den tristgrauen Himmel ab. Schließlich hüpfte sie grazil auf Deck herab. Illay fing sie ein, lächelte scheu.

„Komm, wir gehen uns das ansehen!“ schlug er leise vor. Sie nickte und zog ihn die ersten Schritte mit sich. Am Bug des Schiffes stehend, beobachteten sie. Auf der ersten Rückreise waren weit weniger Menschen auf dem Schiff. Keine Zivilisten, was die Anzahl an Köpfen an Bord um zweihundert reduzierte. Außerdem wurde nur die Hälfte des technischen Stabes zurückbeordert – nochmal fünfundzwanzig Köpfe, die auf der Insel blieben. Von den zweihundert Soldaten kamen auch nur fünfzig wieder heimwärts. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass der gewaltige Kahn geisterhaft und ausgestorben wirkte. In den Jahren der Entwicklung und Planung von Projekt ‚Phönix‘ hatte man nicht unerheblichen Aufwand betrieben, um ein Schiff dieser Größe seetauglich zu machen. Oder besser gesagt – um es den neuen Witterungs – und Seebedingungen anzupassen. Der Kahn war natürlich in gutem Zustand, aber zu den Zeiten, als dieser Gigant die Ozeane durchpflügte, da kamen nicht spontan Ionenstürme auf, die die Elektrik grillten, da gab es auch keine Algen, die die Schiffschrauben zerfraßen.

Die Frachträume waren leer. Die meisten Quartiere waren leer. Bei der morgendlichen und abendlichen Essensausgabe wirkte die Kantine regelrecht ausgestorben. Meist blieb genug Tee, Kaffee und Essen übrig, damit man sich sogar eine Mittagsmahlzeit leisten konnte. Es waren ruhige fünf Tage gewesen. Anfangs hatten sie ein paar Probleme gehabt, wollte das Schiff sich doch scheinbar partout im Flussbett verkeilen, doch kaum hinaus in die See geraten, wurde es still. Man hätte ‚langweilig‘ sagen können, aber bei Leibe, der zurückliegende Monat hatte nach Illays Ansichten genug Aufregung für ein halbes Leben geboten.

Terroristen, Mutanten, Wahnsinnige, Verschwörungen und Intrigen, politische und soziale Grabenkämpfe, noch mehr Mutanten, Feuergefechte, gefährliche Generatorüberlastungen, Erkundungen angeblich leergefegter, zerbombter Stadtreste, eigenwillige Minerale und unbekannte Spezies... und noch mehr Mutanten.

Die Rückfahrt war eine regelrechte Erholung gewesen.

Nach alledem hatten sie oft mit einem Major zusammen gefrühstückt. Tulev Rosenkow. Illay mochte den Russen irgendwie, er war... still, nüchtern und immer ruhig, egal wie hoch es her ging. Allerdings wurde er einfach das Gefühl nicht los, dass Brìghde ihn schon gekannt hatte, als sie einander auf der Rückfahrt begegneten.

Sie standen am Bug, beobachteten, wie das Land näher kam, größer wurde, wie sich die Strukturen des Hafens und der Stadt gegen das Einheitsgrau abzeichneten. Dort lag Großbritannien, Herz der Nordkoalition, wirtschaftliches, politisches und soziales Zentrum dessen, was nach dem Einschlag von der Menschheit übrig geblieben war. Dort lag... die Heimat. Zumindest für Illay.

Er trat hinter Brìghde, legte die Arme um sie und schloss die Hände vor ihrem Bauch. Lange Zeit hatte er regelrechte Panikattacken gehabt, allein an soetwas zu denken. Berührungsängste, die Furcht vor Nähe, davor, sich zu blamieren, indem er im zwischenmenschlichen Miteinander etwas Falsches tat oder sagte. Diese Ängste hatten sich längst nicht verloren – aber Brìghde hatte ihm dabei geholfen, dass er zumindest ihr gegenüber sicherer und damit offener wurde. Er legte das Kinn auf ihre Schulter, blickte auf die sich nähernde Insel. Vielleicht würde das ja auch ihr Zuhause werden. Sie hatte ihm zumindest gesagt, dass sie es versuchen wollte. Ihm zuliebe.

Die Schottin hatte ein gewisses Talent gezeigt. Eigentlich nicht genug, um zu rechtfertigen, dass sie die Siedlung in Europa wieder verließ, aber Illay hatte alle Hürden überwunden, viel auf sich genommen, um dieses Ergebnis zu bewirken. Sie würde einen einzigen Fuß von Bord des Schiffes setzen und wäre frei. Keine Haftbefehle, keine Anklagen, keine wartende Polizeieskorte zurück in irgendwelche Inhaftierungslager. Sie würde mit ihm kommen, bei ihm und seinem Onkel einziehen, von ihm lernen, mit ihm arbeiten. Sie würde die Chance bekommen, die Illay sich für sie gewünscht hatte – die Chance, sich ein eigenes, normales Leben aufzubauen.

Bereits als das Schiff in Reichweite des Hafens kam, wurde die Musik langsam hörbar. Sie hätten damit rechnen müssen – die Koalition feierte die Rückkehr des Schiffes natürlich ausgiebig. Von den Toten, den Schwierigkeiten und den Zuständen in der Kolonie war keine Rede, nein. Da waren die Retter des guten Rufes der Koalition, die helfen sollten, den Untergrund endlich mundtot zu bekommen. Mit einem gewaltigen Schiff liefen sie in den Hafen ein und man würde sie medial so hoch loben und feiern, dass ein jeder Bürger im ganzen Koalitionsgebiet ihre Namen kannte und ehrte! Sie, die den Grundstein legten, wieder auf eine bessere, glorreiche Zukunft hoffen zu können.

Illay war das egal. Er brauchte keine Hoffnung, keine Glorie. Er brauchte... seine Werkstatt und Brìghde, dann wäre er schon glücklich. So gesehen... er war glücklich. Ihn interessierte der Medienrummel nur dahingehend, dass er schon jetzt überlegte, wie er sich so schnell und geschickt wie möglich aus der Affaire würde ziehen können. Fotos, Kameras, Interviews, je weniger Leute ihm die Hand schütteln und dabei in eine Linse lächeln wollten, umso besser! Er wurde schon beim Gedanken daran nervös. Illay war kein Mensch, den man guten Gewissens in den Mittelpunkt irgendwelcher Aufmerksamkeit stellte, Illay war der Typ Mensch, den man vor einen Haufen Schrott setzte, ihm befahl, das zu reparieren und dann stolz seine Arbeit als die Eigene verkaufte. Damit war Illay weitaus zufriedener, aber er ahnte bereits, dass das diesmal nicht möglich wäre. Der Name Maywing war bekannt, schon durch seinen Onkel. Große technische Errungenschaften, viele Innovationen, wurden diesem Namen zugeschrieben. Manche fanden Anerkennung beim Militär – die meisten sogar – manche Neuerungen hatten es bis in den alltäglichen Haushaltsablauf der Menschen geschafft.

Der junge Maywing, der als stolzes Mitglied der Koalition in die regierungsloyalen Fußstapfen seines Onkels trat – was für ein Aufhänger!

Brìghde schien seine Nervosität zu spüren. Je näher das Schiff dem Dock kam, umso lauter wurde die Musik. Irgendwann mischte sich erster Jubel und Beifall ein. Sie legte ihre Hände über die Seinen, neigte den Schopf zur Seite und drückte ihm einen Kuss auf den Kiefer. Das beruhigte ihn tatsächlich ein kleines bisschen. „Einfach durchhalten, Meister.“ sprach sie ihm gut zu. Er nickte, aber ob ihm das gelingen würde, davon war er noch nicht ganz überzeugt.

Als sie von Bord gingen, folgte alles einem strikt einstudierten Ablauf, den man natürlich schon bei Antritt der Rückreise erhalten hatte. Zuerst gingen die wenigen Mitglieder des Human Care von Bord, deren Organisation schließlich die Gründung und Leitung der Kolonie übertragen worden war. Offiziell zumindest. Danach kamen ein paar wissenschaftliche Assistenten, die von den ganzen neuen, famosen Entdeckungen berichten würden. Danach einige Soldaten, der Stolz der Koalition, das Rückgrat ihrer Macht und natürlich – der fürsorgliche Schutz und Garant des unbeschwerten Lebens aller Menschen.

Illay und die paar wenigen Techniker kamen zuletzt. Genau genommen, stimmte das so nicht – an Bord waren noch die Verwundeten. Aber die würden warten müssen. Lieber sollten sie im Frachtraum verbluten, als dass man sie direkt vor unzähligen Kameras hinaus schleppte und die hoch auflösenden Mikrofone jedes Wimmern und Jammern über die unsäglichen Schmerzen aufnahm. Nein, die würde man erst heraus holen und in Krankenhäuser schaffen, wenn der Medienrummel abgezogen war. Was für die Verletzten bedeutete, dass sie noch fast einen halben Tag lang durchhalten mussten – oder eben auch nicht, das war den Verantwortlichen ja nun auch einerlei.

Noch während die ganze Parade in Reih und Glied über den Steg herab marschierte, begannen schwere Kräne bereits, die wenigen Abfallgüter zu entladen. Illay warf einen Blick hinüber zum Frachtdock und staunte nicht schlecht. Die Kolonie würde in einer Woche das Schiff zurück erwarten, laut Liste mit einer ganzen Reihe schicker Verbesserungsmöglichkeiten, die man zwar mal wieder von Hand würde aufbauen müssen, aber immerhin. Tatsächlich war das Frachtdock voll mit schwerem Gerät und Kisten, gewaltigen Containern, die sonstwas enthielten. Vermutlich hauptsächlich Nahrungsmittel und Trinkwasservorräte, immerhin wollten fünfhundert Mäuler ja erst einmal einen Monat lang gestopft werden. Eventuell waren dort aber auch schon die ersten Saaten dabei. Einer der Wissenschaftler hatte seinen Slot auf der ‚Wunschliste‘ dafür verwendet, eine Hydrokulturkuppel einzutragen, um darin in kontrolliertem Boden eigene Nahrungsmittel aussähen zu können. Unter der Kolonieführung hatte diese Idee großen Anklang gefunden und wer weiß, vielleicht verschiffte das Militär ja mit der nächsten Fahrt mehr Güter als Waffen?

Illay konnte es egal sein. Er musste sich regelrecht dazu mahnen, dass es ihm egal zu sein hatte. Die Kolonie war ein Projekt. Er hatte beim Aufbau geholfen, jetzt war das Grundgerüst aufgezogen und sie hatte von allein weiter zu bestehen. Wenn sie unterginge, was soll’s – er hatte seinen Job erledigt.

Fakt hingegen war, dass Illay die Kolonie vermisste. Er verband viele Erinnerungen damit, tatsächliche, richtige Erinnerungen. Wenn er sich an die Zeit vor dem Projekt erinnern wollte, fiel ihm Arbeit ein. Eine ganze Menge Arbeit sogar, verschiedene Entwicklungen, die er vorangetrieben, bei denen er geholfen, die er eigenständig abgeschlossen hatte. Die Kolonie aber hatte ihn gelehrt, was es hieß, zu leben. Egal, ob er die Kantinenchefin überredete, aus den wenigen Gemüsevorräten Pizzableche herzustellen und die Kolonie nach schweren Arbeitstagen mit einem Pizzaabend zu überraschen, oder ob er sich mit Brìghde auf die dumme Wette einiger Soldaten einließ, selbstgebrautes Zeug um die Wette zu trinken. Er hatte dort gelebt und mehr Heimat gefunden, als ihm das Anwesen seines Onkels je war. Das Anwesen, zu dem sie hoffentlich baldestmöglich fliehen konnten, denn kaum, dass sie nicht mehr für das schicke Gruppenfoto in Reih und Glied stehen mussten, ging der Medienzirkus erst richtig los. Wie die Aasgeier stürzten sich die Journalisten auf die Helden und wollten Antworten.

Illay gelang es, mehrheitlich dank Brìghde, dem Rummel auszuweichen. Sie waren schon auf bestem Weg zum Ausgang, wo ein Wagen darauf wartete, sie in einen Londoner Vorort zu bringen, als jemand seinen Namen rief. „Illay! Warte doch, Illay, hey!“

Erst, als er die Stimme erkannte, hielt der Techniker inne. Weiblich, jung, voller Elan – Amanda. Er drehte sich gerade um, da hatte die Schwarzhaarige bereits zu ihm aufgeschlossen. Sie fiel ihm regelrecht um den Hals, drückte ihn an sich und überhäufte ihn mit Glückwünschen. Dass er es überstanden hätte, heil heimgekehrt wäre, noch in einem Stück sei. „Lass dich ansehen! Meine Güte, du bist... älter geworden, kann das sein?“ hakte sie nach. Kaum ein Jahr war sie jünger als er und zog ihn dennoch fortwährend damit auf. Erst als Illay sich mit leichtem Rotschimmer in den Wangen räusperte und einen Schritt zurück trat, bemerkte Amanda Brìghde. „Oh, hi, ich... oh...? OH!“

Die wachen Augen der Krankenschwester wechselten zwischen Illay und Brìghde hin und her. Sie puzzelte sich aus seiner sichtbaren Nervosität und Brìghdes Verwirrung alles zusammen, was sie hatte wissen müssen. Schließlich, ohne einen Moment zu zögern, ohne irgendwelche Vorbehalte oder Urteile, wie sie der Schottin sonst so oft begegneten, umarmte Illays Schwester sie. Die lange schwarze Mähne rutschte Brìghde dabei widerspenstig über die Schultern und nahm ihr beinahe jegliche Sicht, während die Fremde die Schottin umarmte. Schließlich fasste Amanda sie bei den Schultern, drückte sie von sich weg und musterte sie mit einem freundlichen, aufgeschlossenen Blick. „Du hast also meinem Brüderchen den Kopf verdreht, huh? Ja, doch, bist ja ganz niedlich! Komm, du musst mir alles erzählen, wie habt ihr euch kennen gelernt? Ach so, ich bin übrigens Amanda, und ja, Illay HAT eine Schwester, vergisst er nur ständig zu erwähnen... aber anzurufen vergisst er ja auch!“

Brìghde schien von der Situation sichtlich überfordert – genauso wie Illay. Denn während die Schottin wenigstens noch zu antworten wusste, war der Brite völlig ratlos, als seine Schwester seine Liebste einfach am Handgelenk nahm und Richtung Ausgang davon schleppte. „Äh... H-H-Hallo?“ haspelte Illay ihr hinterher. Amanda wandte sich kurz um und winkte ihm zu. „Frauengespräche! Dauert nicht lang, will ja nur die Kurzfassung...!“ griente die Krankenschwester und verkehrte sich wieder zu Brìghde. Ihre Neugier war nahezu bodenlos. Brìghde durfte sich anhören, wie lange sie schon gehofft hatte, dass endlich mal eine Frau ihren Bruder aus seiner kleinen, verkapselten Welt zerren würde. Er meldete sich die letzten Jahre schon viel zu selten, aus dem ewig gleichen Grund – Arbeit. Seit er bei seinem Onkel eingezogen war, kannte er nur noch diese Welt, lebte für, dank und durch seine Arbeit, schien alles abseits dessen zu ignorieren. Ihre Freude darüber, dass Brìghde sich Illays angenommen hatte, war gleichermaßen grenzenlos wie ungespielt. Amanda störte sich weder am Aussehen noch der rauhen Sprache der Schottin. Als Krankenschwester kam sie mit nahezu jedem Klientel in Kontakt, konnte sich Vorurteile und Vorbehalte einfach nicht leisten. Das Ergebnis war eine weltoffene, liberale junge Frau in der Blüte ihres Lebens, voller Hunger auf mehr und Lust am Vergnügen jedweder Art. Sie liebte es, zu leben – und war in den Augen der Koalition damit ein klein wenig zu liberal. Doch die Regierung hatte nie gewagt, Amanda in irgendeiner Weise zu beschränken, an sie heran zu treten, geschweige denn, ihr etwas zu tun. Sowohl Illay als auch Soren hingen zu sehr an ihr – ob man ihnen das nun anmerkte oder nicht.

Sie erreichten schließlich den Wagen. Die Krankenschwester verabschiedete sich gerade von der Schottin und winkte Illay heran, ehe sie Brìghde noch ein letztes Mal zurück hielt.

„Hey, tust du mir einen Gefallen? Pass gut auf ihn auf, ja? Er ist ein bisschen... naja... das wirst du ja sicher schon gemerkt haben. Also pass auf ihn auf, ich vertrau‘ dir!“ gab sie der Schottin mit auf den Weg, ehe sie sich auch von Illay verabschiedete. Sie umarmte ihn herzlich, drückte ihm einen Kuss auf die Wange grinste breit, als sie ihn in den Wagen steigen sah. „Ich liebe dich!“ warf sie ihm salopp und frech grinsend hinterher. Fast war sie etwas enttäuscht – früher hatte Illay darauf immer reagiert, indem er scheu wegsah und einen tomatenroten Kopf bekam. Diesmal war das anders. Er versuchte zwar etwas zu antworten, aber vor lauter Gestammel kam da nichts heraus, das man hätte verstehen können, bevor der Wagen abfuhr. Vermutlich wollte er einfach ‚Ich dich auch‘ sagen, zumindest reimte sich Amanda das zusammen. Sie wandte sich um und begab sich zu den Feierlichkeiten zurück.

Der Wagen hingegen fuhr und würde das auch für eine gute Stunde noch tun.

„S-Sie ist... eigenwillig.“ versuchte Illay das seinem Empfinden nach unangemessene Betragen seiner Schwester zu entschuldigen. Man umarmte wildfremde Menschen nicht einfach und horchte sie über ihre Beziehungen aus, sowas gehörte sich nicht! Aber während bei ihm eben die striktere Erziehung seines Vaters und später seines Onkels gefruchtet hatte, schien sich Amanda deutlich stärker an ihrer Mutter zu orientieren.

Brìghde hingegen rügte ihn dafür, dass er sich schon wieder viel zu viele Sorgen machte. Darüber, ob seine Schwester sie nun vergrault hätte oder nicht, ob sie ihn deshalb jetzt weniger oder mehr mögen würde, ob, ob, ob – und bei all ihren Punkten, die sie anführte, fühlte der Techniker sich schrecklich ertappt. Am Ende wollte er sich entschuldigen, setzte gerade an, als sie den Zeigefinger auf seine Lippen legte.

„Kein – Wort – Meister!“ warnte sie ihn. Illay schwieg sich aus und nickte lediglich. Ihr Blick wanderte zur Scheibe, die die Fahrerkabine vom Hinterraum trennte. Getönt, undurchsichtig – hochgefahren. Ein frivoles Grinsen zeichnete sich auf ihren Lippen ab, als sie sich über ihn gretschte. „Weißte, was ich immer schon ma‘ machen wollt‘? Wir hatten nur nie’n Auto... naja keins, das uns gehört‘ hätt‘...“ merkte sie ihm leise ins Ohr flüsternd an, während sie ihre geschickten Finger eifrig über seine Brust herab wandern ließ. Illay war sich über das Geschehen so gar nicht sicher, er spürte seinen Puls rasen, versuchte an ihr vorbei zum Fahrer zu spähen, oder zumindest dahin, wo er den Fahrer vermutete, doch abgesehen von der Scheibe verhinderte Brìghde gezielt, dass er etwas sehen konnte – etwas anderes als sie. „Der muss fahr’n!“ merkte sie an. Sie hauchte ihm heiß ins Ohr, schürte Illays Wunsch danach, sich nicht länger zu sträuben, auf Etiquette, gutes Benehmen und all den Unfug zu hören, sondern einfach mitzuziehen.

Tatsächlich gelang es ihr in dem Moment, ihn für ihre Idee zu gewinnen, als sie kurzentschlossen Illays Hände packte und sich auf die Hüfte legte. „D-Das ist W-Wahnsinn...!“ wollte Illay sie, ihre Idee und sich selbst gleichermaßen kritisierend anmerken, doch die Schottin grinste lediglich schief. „Und wir ham‘ noch nich‘ ma‘ angefangen!“ erwiderte sie lediglich. Mit einem Geschick, das auf ein gewisses Maß an Übung hinwies, öffnete sie rasch seine Hose. Er hob die Hüfte an, ließ sich den Stoff auf halbe Oberschenkelhöhe herab ziehen. Illay versank in den Küssen, die Brìghde ihm schenkte, sie hielten ihn genug beschäftigt, damit er über nichts hiervon nachdachte, damit er nicht Konsequenzen oder Fehlbenehmen fürchtete, sondern mit seiner ganzen Konzentration und seinen Gedanken nur und ausschließlich bei ihr war. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und legte noch einen kräftigen Sprung hin, als Brìghde sich ihrer Hose entledigt auf seine Hüfte sinken ließ. Ihr Kuss erstickte sein Aufkeuchen, sie hauchte ihm leise zu, dass es peinlich werden könnte, wenn sie zu laut wären – womit sie Illay wiederum vor Augen führte, was sie hier taten, ihn damit in eine Zwangslage brachte, aber ihm zugleich die Möglichkeit versperrte, einfach ‚aufzuhören‘. Sie hob ihr Becken, ließ sich wieder sinken, brachte ihn mit ihrem ganz eigenen Takt um den Verstand. Illay zog sie mit der Hand in ihrem Nacken herab, verlangte ihr weitere Küsse ab, keuchte um ein kaum greifbares Maß an Beherrschung bemüht gegen ihren Hals.

„Gefällt’s?“ griente Brìghde ihn frech an. Illay hingegen, kaum noch fähig, klar zu denken, brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um überhaupt ihre Frage zu verstehen. Seine Gedanken flossen erstaunlich zäh daher, ehe er glaubte, eine passende Antwort gefunden zu haben und leise ein „mehr...“ flüsterte.

Als der Wagen hielt, präsentierte sich ihnen ein ansehnlicher Ausblick. Der Fahrer zog ihnen die Tür auf und ließ sich entweder aus Professionalität, oder aus Unwissenheit heraus nichts anmerken, entlud das spärliche Gepäck, stieg wieder in den Wagen und startete. Das Auto rollte davon und zurück blieben zwei Figuren, die vor einem hoch aufragenden Gittertor standen, eingelassen in eine alt wirkende, aber dennoch solide Mauer. Hinter ihr erhoben sich ein paar Bäume, deren bunte Kronen und Wipfel zu sehen waren, auch ohne dass man versuchen musste, den Kopf zwischen den eng stehenden Stäben hindurch zu quetschen.

Illay nahm den Schlüssel aus seiner Tasche. Über einen Monat hatte der Bund darauf gewartet, wieder verwendet zu werden und entsprechend musste der Techniker zunächst ein paar Momente überlegen, welcher eigentlich für das Haupttor war. Einmal aufgesperrt, ließ er Brìghde hinein und schloss dann das Tor wieder.

„Falls du was kläffen h-hörst, das wenig später groß und sch-schwarz auf dich zustürmt, das ist B-Bastard. Mein Onkel hat ihn vor Ewigkeiten als W-Wachhund gekauft, aber er t-taugte nicht viel. Behalten haben wir ihn trotzdem, ich m-mochte ihn.“ warnte Illay seine Begleitung vor, doch die Schottin schien ihm bestenfalls mit halbem Ohr zuzuhören. Ihr Blick schweifte herum, beeindruckt, ungläubig. Hier befand sich genug Grund und Boden, um darauf eine kleine Siedlung zu errichten. Eine gut gepflegte, ausufernde Grünanlage, einige Obstbäume, deren nicht aufgelesene Früchte teilweise noch verrottend am Boden herum lagen. Zweifellos hatte keiner der zwei Maywings auch nur eine Birne von diesem Baum gegessen, obwohl er direkt vor der Tür stand. Bastard indes zeigte sich nicht und Brìghdes Blick blieb als nächstes am Haus selbst hängen.

Als Illay von einer alten Villa gesprochen hatte, hatte er keineswegs untertrieben. Das Gebäude im viktorianischen Stil erhob sich drei Stockwerke in die Luft, ehern und respektabel sah es aus, ehrfurchtgebietend und... schon von weitem schrecklich leer. In den zahlreichen Gesprächen hatte sie erfahren, dass der zweite und dritte Stock komplett abgeriegelt war. Dort waren alle Gemälde, Sofagarnituren, Sessel und Tische schon vor Jahren fein säuberlich mit Folien und Stoffbehängen abgedeckt und abgeklebt worden, damit sich der Dreck und Staub der Zeit nicht darin festsetzen konnte. Benutzt wurde nur das Erdgeschoss und selbst das eher sporadisch.

Wie aus zahllosen, meist schlechten Mafiafilmen bekannt, befand sich vor der flachstufigen, weitläufigen Marmortreppe, die zur Haustür führte, ein Kiesweg, jenseits dessen ein ansehnlicher Springbrunnen stand. Die Figuren – kleine Engel aus Granit – spien jedoch kein Wasser, weil der Brunnen seit Herbstbeginn abgeschaltet worden war. Ausgerechnet im Sommer, wenn sowieso das Meiste ständig verdampfte, lief er praktisch Tag und Nacht. Sie traten sie Stufen herauf, Illay öffnete die Doppelflügeltür und Brìghde trat in das Haus ein. Sie hatte noch kein einziges Wort gesagt, aber ganz gleich, wie weltfremd Illay auch war – er wusste, dass sie in ihrem früheren Leben nicht viel besessen hatte und dass das, was er hier ‚anteilig besaß‘, wie das Luxusleben hoher Adliger oder Neureicher wirken musste. Direkt hinter der Haustür führte eine breite Steintreppe in den zweiten und dritten Stock herauf. Zur Linken führte ein Gang in den Westflügel des Hauses, zur Rechten lag der Ostflügel, in welchem Illay sein Quartier bezogen hatte.

Schon vor der Abreise hatte sich der Techniker vorgenommen, sie bei der Ankunft seinem Onkel vorzustellen – damit der wenigstens informiert war, dass es im Haus einen Gast gab und nicht sofort die SSA informierte. Danach, so sein Plan, würde er sie vorläufig in seinem eigenen Zimmer einquartieren – das war fertig eingerichtet, durchaus benutzbar und wurde von ihm selbst sowieso fast nie in Anspruch genommen.

Tatsächlich brauchte es nicht lange, bis Soren Maywing ganz ungerufen auf den Plan trat – das Haus verfügte über eine stattliche Anlage zur Überwachung des Geländes und Umlandes. Sichtlich nervös trat Illay vor den eigentlichen Hausherrn.

Soren Maywing war mit seinen vierundfünfzig Jahren ein gealterter Mann, der die besten Jahre hinter sich hatte. Man sah seinem Gesicht an, dass er nicht nur rosige Zeiten erlebt hatte. Obgleich keine Narben zu sehen waren, zeugten die Furchen um Stirn und Augen doch von viel Gram und Kummer – seine Lippen jedoch nicht von allzu viel Freude oder Lachen. Soren Maywing war ein ernster Mensch, bei dem selbst Witze einen tiefgründigen politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund hatten. Er gehörte zur gesellschaftlichen und ideologischen Elite der Koalition, wusste das selbst nur zu gut und genierte sich auch nicht, zu zeigen, dass er seinen Platz kannte. Man hätte Soren einen arroganten alten Narren nennen können, der sich mit seinen Erfindungen und Taten für eine absolute und militante Regierung rühmte – und man hätte mit allem Recht gehabt, außer mit dem Narren. Soren verstand sich nicht gut darauf, Menschen zu ‚unterhalten‘ oder ‚soziale Kontakte‘ zu pflegen. Er beurteilte alles, was er tat, alles, womit er in Kontakt kam, nach seiner Nützlichkeit und war damit ein Lehrvater für Illays ideologische Entwicklung gewesen. Er hatte maßgeblich geholfen, die Lehren der Koalition in Sachen „Ressourcenschonung“ zu prägen, war an der Entwicklung der magnetisierten Panzerung beteiligt und DIE Vorzeigeikone der Koalition überhaupt. Selbst heute noch, obwohl längst im Vorruhestand, arbeitete Soren weiter tagtäglich in einer Werkstatt an allerhand Projekten, Erfindungen und Neuerungen, deren Ergebnisse er beständig und ohne Bedingungen der Koalition auslieferte. Soren war einer der wenigen, absolut überzeugten Loyalisten des Systems – einer der Gründe, warum Illay Brìghde vorab davor gewarnt hatte, mit ihm über Politik diskutieren zu wollen.

Glücklicherweise war das Interesse der Schottin an derlei Debatten ohnehin nicht gerade groß.

Sein Onkel musterte ihn mit jenem Blick, der allzeit ein gewisses Maß an Strenge und Akribie zu enthalten schien, ehe er sanft nickte. „Schön, dass du wieder da bist. Lief alles gut?“

„Die K-Kolonie steht, Energie h-haben sie auch, wenn jetzt was schief g-geht... war’s z-zumindest nicht meine Sch-Schuld.“ erwiderte Illay. Soren runzelte über seinen versuchten Scherz die Stirn, nickte dann lediglich zufrieden und warf einen Blick auf die seit Jahren flackernde Glühbirne, die dem Stil des Hauses so gar nicht gerecht werdend lose an Drähten von der Decke hing und den ausladenden Flurbereich allein zu erleuchten versuchte. „Hab deinen Generator schon angeworfen, seitdem faselt dein Computer die ganze Zeit von Energieanzeigen.“ konstatierte der Hausherr. Illay bedankte sich und verkniff sich die Bemerkung, dass er nicht vor hatte, heute sofort wieder an die Arbeit zu gehen. Stattdessen trat er einfach einen halben Schritt zur Seite, sodass Sorens Blick zwangsläufig an Brìghde hängen blieb.

„Hm. Wer ist sie?“ verlangte er von Illay zu wissen, statt Brìghde selbst zu fragen.

„Eine F-Freundin. Sie wohnt b-bei m-mir.“

„Schnüffelt sie rum, bekommt sie Ärger.“

„Wird sie n-nicht.“

„Hm.“ erwiderte Soren lediglich auf das kurze Wortgefecht. Brìghde war es ganz offensichtlich gar nicht Recht, als ‚eine‘ Freundin bezeichnet zu werden, noch dazu, dass Illay ihr die Chance nahm, für sich selbst zu sprechen. Überhaupt schien sie schon jetzt entschieden zu haben, dass sie Soren nicht mochte – was dem wiederum völlig egal war.

„Na dann. Willkommen. Im Kühlschrank ist noch Pizza. Ich habe gerade ein paar Routinen laufen, die ich auswerten muss, wir sehen uns.“

Brìghde schien beinahe aus allen Wolken zu fallen. Soren wandte sich mit den Worten, das noch Pizza da sei, schlicht ab und ging wieder seiner Wege. Er hatte nicht nach ihrem Namen gefragt, sich nicht dafür interessiert, wer sie war, woher sie kam, was sie hier wolle, wie lang sie bliebe. Die Schottin war Illays Gast, Illays Problem, würde bei Illay wohnen, von Illays Teller essen. Aus Sorens Sicht gab es damit keinerlei Grund oder Notwendigkeit, sich in irgendeiner Weise mit ihr zu beschäftigen. Das einzig Wichtige war, dass sie ihre Nase nicht zu tief in geheime Projekte der Regierung steckte – sie sah nämlich wie ein Störenfried aus, aber auch das interessierte ihn nicht, solange Illay für die Sicherheit der vertraulichen Daten garantierte. Er vertraute seinem Neffen.

„Also mal ehrlich, Meister, DAS erklärt so Einiges...!“ entfuhr es Brìghde, die erst nach einer halben Ewigkeit ihre Sprache wieder fand. Illay hingegen sah Soren einen Moment nach, blickte sie dann verwirrt an und zuckte mit den Schultern. „J-Ja, ich w-weiß, tut mir leid. Er u-urteilt etwas schnell über andere.“

Dass der Techniker sie damit völlig missverstanden hatte, wurde ihm nicht bewusst und Brìghde fühlte sich gegenwärtig nach dieser... Überraschung... auch nicht in der Lage oder Notwendigkeit, ihn darüber aufzuklären. Bei allem Prunk und allem Reichtum, der hier herrschte, dieses Verhalten zueinander war mehr als merkwürdig.

„Du brauchst d-dir keine Sorgen machen. Er k-kommt nur selten aus dem W-Westflügel, meist nur, wenn er was b-bestellt hat.“ klärte Illay sie weiterhin auf. Seine Assistentin folgte ihm durch einen langen Korridor, der den Ostflügel wie eine Hauptschlagader durchzog. Immer wieder zweigten sich allerlei kunstvoll gravierte Türen ab zu Räumen, die zweifellos ebenso unbenutzt waren wie die oberen Stockwerke. In einem der letzten Räume, fast am Gangende, befand sich schließlich das Schlafzimmer. Schon als Illay die Tür aufstieß, wurde irgendwie deutlich, was für ein Mensch hier lebte – oder gelebt hatte.

Die Wände waren überwiegend kahl. Nur neben dem Fenster hing eine Art von Collagé aus Motorteilen. Kleinere Maschinen, Schraubenzieher und Einzelteile lagen auf dem Boden verstreut hier und da herum. Während andere Kinder mit Lego gespielt hatten, war Illay der Typ, der ein Radio und einen Schraubenzieher bekam – und damit genauso viel Spaß hatte. Die Reste dessen sah man ganz eindeutig heute noch. Immerhin das Bett war ansehnlich. Sehr groß, sehr breit, sehr leer. Es sah aus, als wäre es seit Ewigkeiten nicht benutzt worden, was der Wahrheit ziemlich nahe kam.

Das, was früher ein Schreibtisch war, schien ebenso zur Arbeitsfläche verkommen. Aus diversen halb aufgezogenen Schubladen ragten Sägen, Lötkolben, verschiedene Schraubenschlüssel, auf der Arbeitsplatte selbst ruhte etwas, dessen Aussehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keinerlei Rückschluss auf seine Funktion zuließ. Offenkundig eine Art von Freizeitprojekt Illays. Ein großer Kleiderschrank bildete auch schon das letzte tatsächlich nennenswerte Stück im Zimmer. Er wirkte geradezu antik – wie so manches in diesem Haus – und damit sündhaft teuer. In seinem Inneren befanden sich einige Fächer für Hemden, Hosen, Schuhe, ein großes, zentrales Fach für Anzüge. Es herrschte heilloses Chaos im Schrank, jede gute Mutter hätte einen Schreikrampf bekommen, die Kleiderbügel lagen teilweise als kleine Berge am Boden des Hauptfaches und nur ein einziger Anzug hing halbwegs knitterfrei auf der Stange und wartete auf all die Preisverleihungen, zu denen er theoretisch getragen werden sollte. Theoretisch – deshalb verstaubte das Ding auch langsam aber sicher. Illay hatte zwar schon ein oder zwei Preise bekommen, aber er hatte keine Zeit, sie persönlich zu empfangen. Zu viel Arbeit. Außerdem mochte er es nicht, irgendwelche großen Dankesreden halten zu müssen – wem sollte er da auch schon groß danken? Devlon Industries, weil sie so tolle Feinmechanikersets herstellten? Käme sicherlich merkwürdig beim Publikum an.

Nachdem sie das Gepäck abgeladen hatten, führte Illay Brìghde durch eine völlig unpassend wirktende, allzu neumodische Tür in ein nicht minder unpassendes Treppenhaus, das in einen gewaltigen Kellerkomplex führte. Dort befand sich Illays Werkstatt und auch hier staunte Brìghde nicht schlecht. Zahlreiche, teilweise an die fünf Meter lange Greifarme, mehrere isolierte Plattformen, unzählige Computer, alles grell und steril erleuchtet – als würde man in einer automatisierten Fabrik einen Rundgang machen. Im Grunde war der Eindruck auch nicht verkehrt. Diese Bereiche bestanden für Illay meist darin, etwas in den Computer einzugeben und danach die Technik arbeiten zu lassen. Sein kleines Reich innerhalb seines Reiches, sozusagen sein ‚Atelier‘, befand sich in einer Nische des Raumes. Mit schwerem Gerät und Feinmechanik bastelte er hier Modelle von allen Gerätschaften zusammen, die er entwickelte. Schon zahlreiche Prototypen waren auf diesem Tisch entstanden, der irgendwie trotz allem an eine Leichenhalle erinnerte. Vielleicht waren es die weißen Kacheln auf dem Boden, oder dass der Tisch an allen Seiten leicht zum Zentrum hin geneigt war, damit eventuelle Ölspritzer im dort angebrachten Abfluss versickern konnten, ohne den Boden zu verschmieren. Illay hingegen präsentierte zumindest seine Werkstatt mit sichtlichem Stolz, während der Glanz des restlichen Hauses irgendwie an ihm vorbei zu gehen schien.

Doch auch ihm war etwas aufgefallen.

So schön es auch wahr, all das hier wieder zu sehen und sich an die unzähligen Begebenheiten zu erinnern, Missgeschicke, Zwischenfälle, wie er geflucht hatte, wenn ein Prototyp nicht tat, was er sollte und er den Grund nicht verstand – das alles wirkte nach nur diesem einem Monat, als wäre es aus einem anderen, fremden Leben gegriffen. Als hätte er einen Film gesehen und würde jetzt durch dessen Kulisse laufen.

Das Gefühl der Verbundenheit, das ihn einst tage – und wochenlang an diesen Ort gefesselt hatte, war verschwunden. Eine gewisse Melancholie drohte sich damit einzustellen, die Illay jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gut im Griff hatte und zurückhalten konnte. „Und, w-was sagst d-du?“ hakte er breit grinsend nach. Seit geschlagenen drei Minuten drehte sich Brìghde nun schon im Kreis, mit offenem Kiefer, und schien immer neue Ecken für interessant zu befinden.

„Ich... hätt‘ Schiss, hier was anzurempeln, vielleicht mach‘ ich was kaputt?!“ führte sie ihre ersten Gedanken aus. Dabei war noch nicht einmal erwähnt, dass dies nur schwerlich ein Ort werden könnte, an dem sie arbeiten wollen würde. Alles wirkte... wie in einem Krankenhaus. Sauber, penibel, akkurat.

„Hm. Ich f-frag dich später n-nochmal. Ist sicher etwas viel auf einmal.“ gestand Illay ihr zu. Sie begaben sich wieder nach oben in sein Zimmer. Weder Fernseher noch Radio fanden sich hier und wenn man nicht gerade ein skurril aussehendes Handy zusammenschrauben wollte, erschöpfte sich das Entertainmentprogramm erschreckend schnell. Erstmals bemerkte Illay, wie leer und fad dieser Raum eigentlich tatsächlich war. Unten in seiner Werkstatt konnte er den Computer wenigstens anweisen, aus dem Netz ein paar Lieder zu ziehen und abzuspielen. Glücklicherweise regelte sich dieses Problem ohnehin von allein – die Müdigkeit hielt Einzug. Der Tag war lang gewesen, sie hatten viel erlebt, viel gesehen, eine Flut neuer Eindrücke, die sich nun bemerkbar machte.

„Sach ma‘, Meister, wann hast’n zuletzt darin geschlafen?“ hakte die Schottin nach und klopfte auf das Bett. Illay runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, doch angesichts der Tatsache, dass er viel zu viele Nächte durchmachte oder in der Werkstatt geschlafen hatte, kam er einfach nicht mehr darauf – dafür waren solche Ereignisse auch zu unbedeutend, zu nichtig, um sie sich zu merken. „Dacht‘ ich mir.“ schob Brìghde nach, „Wo sin‘ die Duschen?“

Illay führte sie ins Bad – direkt gegenüber seinem Zimmer – und wollte gerade wieder gehen, als sie ihn kurzentschlossen am Handgelenk packte und mit sich in die Duschzelle zog. „Ich h-hab mich n-noch gar nicht ausgezogen und-“ wollte Illay anmerken – aber da prasselte auch schon munter das Wasser auf sie ein. Wäsche konnte man waschen und mit etwas Geduld sogar trocknen lassen, verriet sie ihm, aber solch ein Spaß war unbezahlbar. Tatsächlich brauchten sie doch etwas länger, ehe sie Ruhe fanden, denn was in der Dusche begann, setzte sich mit leichten Orientierungsschwierigkeiten über den Gang bis in sein Zimmer zum Bett hin fort.

Früher Morgen. Das begriff Illay schon, als die Sonne ihn unangenehm durch die geschlossenen Lider hindurch blendete, er die Vögel zwitschern hörte und es läutete. Nanu? Rasch erhob er sich, in altgewohnter Manier, und entschlüpfte dem Bett. Brìghde hingegen drehte sich lediglich auf die andere Seite und schlief offensichtlich seelenruhig weiter. Als Illay jedoch den Gang im Ostflügel entlang lief und währenddessen langsam wach wurde, den Gurt des Bademantels noch fester zog, bekam er ein merkwürdiges, flaues Gefühl in der Magengrube. Etwas stimmte hier doch nicht, oder? Sein Onkel hatte noch Pizza, er selbst war erst seit gestern Abend wieder da, Zutritt zum Gelände hatte nur die SSA und das Militär natürlich. Aber vielleicht hatte Soren ja für eines seiner Projekte weitere Teile bestellt? Andererseits hatte er davon gesprochen, dass er Computer laufen ließ und etwas auswerten müsse – auswerten hieß nicht ‚zusammenbauen‘. Wollte man ihn vielleicht zu einer Art Besprechung rufen, wegen der Kolonie?

Als er die Tür aufzog, schluckte der schüchterne Techniker zunächst schwer. Vor ihm baute sich ein Kerl von der SSA auf, breitschultrig wie ein Schrank, Arme wie ein Bär und ein Gesicht wie eine Granitmiene – hart und emotionslos. „Illay Maywing?“ brummte seine tiefe Stimme.

„J-J-J-J-Ja...?“ stammelte der Techniker zurecht.

„Uns liegen Informationen vor, dass sich eine gewisse Brìghde McDermit bei ihnen aufhält. Ist sie gegenwärtig anzutreffen?“

Sein Herz sprang ihm scheinbar fast aus der Brust. Hier stimmte etwas nicht, und mit einem Schlag war das Gefühl so penetrant, so allgegenwärtig, dass er schon fürchtete, dieser Gorilla von der SSA würde hören, wie in seinem Kopf alle Alarmsirenen schrillten. „N-N-N-N-Nein, s-sie g-ging g-g-gestern f-feiern, m-m-mit F-Freunden, s-sagte s-s-sie...“ stammelte Illay geradezu panisch und betete insgeheim, das seine Nervosität ihn nicht verraten würde. Er war ein schlechter Lügner, das war er immer schon gewesen und selbst Brìghdes Versuche, ihm etwas Feilscherei beizubringen, hatten kaum fruchten können.

Allerdings schien die SSA ihren schlechten Ruf stellenweise ganz zu Recht zu besitzen. „Wenn sie sie sehen, rufen sie uns bitte an, wir würden uns gerne mit ihr unterhalten. Schönen Tag noch.“

Der Hüne drehte ab und Illay schloss langsam die Tür. Er hörte auf die letzten offenen Zentimeter noch, wie der Polizist ihn abfällig als ‚Looser‘ betitelte, dann klickte das Schloss. Illay presste sich mit dem Rücken gegen das Holz aus der Angst heraus, seine Knie würden gleich einknicken und er unsanft auf dem Boden landen. Was, wenn Brìghdes Eltern oder Brüdern oder Schwestern oder irgendwem, den sie kannte, etwas zugestoßen war und der Kerl sie nur hatte informieren wollen?

Oh Gott – er hatte gerade einen SSA-Beamten belogen! Er hatte einen Meineid gebrochen, er hatte sich straffällig gemacht, man würde ihn dafür legitim ins Gefängnis bringen können, er... hyperventilierte maßlos uns sank an der Tür langsam zu Boden herab.

Illay war schwindlig, er konnte keinen klaren Gedanken fassen und die Übelkeit übermannte ihn fast.

Mühselig quälte er sich nach einigen Minuten auf die Füße und hastete eilig den Korridor herab. Als er in das Zimmer platzte, war Brìghde mit einem Schlag aufgeschreckt – und wurde auch rasch munter, kaum, dass sie bemerkte, wie kreidebleich er war. „Da war gerade ein Kerl von der SSA, er hat nach dir gefragt... warum hat er nach dir gefragt?“ wollte Illay noch immer halb panisch wissen, doch die Schottin wusste ihm selbst keine Antwort zu geben. Gerade, als der Berg an Fragen sich aufzutürmen und sie zu erschlagen schien, platzte Soren Maywing in den Raum.

Brìghde zog sich seelenruhig ein Oberteil über, aber Illays Onkel störte sich an ihrer Blöße ohnehin nicht – dafür war er viel zu wütend.

„Bist du nicht mehr ganz bei Sinnen? Du hast einen Polizisten belogen, dafür kannst du im Gefängnis landen! Warum zum Teufel hast du ihm gesagt, sie wäre nicht hier, Illay?“ heischte Soren seinen Neffen an. Das restlos ergraute, kurz geschnittene Haar wippte im Takt seiner wütenden Tirade, der Zorn hatte unter der alten Haut dunkelrote Flecke ausgebildet und die kalten, stahlgrauen Augen funkelten den jungen Techniker an. Soren war ganz wie sein Neffe kein Abbild eines an Stärke überlegenen Mannes, doch während man Illay jedes Potenzial zur Bedrohlichkeit mühelos absprechen konnte, ahnte man bei Soren zumindest, dass er eine gute Kondition und Ausdauer besaß, darüber hinaus recht zäh war.

„W-Woher-...?“ setzte Illay an, als ihm die Wahrheit langsam dämmerte, „W-W-Was hast du i-ihnen e-erzählt?!“ verlangte er nunmehr zu wissen.

„Was wohl! Dass sich in unserem Haus, das bis unters Dach mit geheimer Waffentechnologie der Regierung vollgestopft ist, eine potenzielle Untergrundgehilfin verschanzt hat, um ein wenig herum zu schnüffeln! Stell dich nicht so blind und tu‘ nicht so überrascht, hast du dir das Weib mal angesehen? Leute wie sie sind drogensüchtig, Illay, Leute wie sie verkaufen Leute wie uns für den nächsten Schuss an irgendwelche Anarchisten, die alles zerstören wollen, wofür wir so hart gearbeitet haben! Hat sie dir was von Liebe vorgeheuchelt, hm? Hat sie die Beine breit gemacht? Wie kann man nur so abgrundtief dumm sein!“ keifte Soren in voller Fahrt und ansehnlicher Lautstärke. Illay schrumpfte vor ihm sichtlich zusammen, wagte kein einziges Widerwort mehr – so schien es. „Ich rufe sie jetzt erneut. Wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, ist sie dann hier und du nicht!“ blaffte der ältere Maywing kaltschnäuzig.

„W-Wir g-gehen.“

Zwei Worte, die anfangs kleinlaut, ja regelrecht geflüstert im Raum standen und die Furie ‚Soren‘ dennoch innehalten ließen. „Was?... Was war das?“ verlangte Illays Onkel zu wissen, doch statt seine Erwartungen zu bestätigen, wiederholte Illay tatsächlich, was er gesagt hatte, „Ach? So, ihr geht, toll, und wohin? Wovon lebt ihr? Willst du auch so eine Gossenratte werden und an der Nadel enden? Schön, du weißt, wo die Tür ist, aber erwarte nicht, dass ich deshalb geheime Informationen aufs Spiel setze! Gott allein weiß, was sie schon gesehen und an ihre Freunde weitergetratscht hat!“

Mit einem brachialen Scheppern donnerte die Tür ins Schloss, fast heftig genug, um sogleich wieder heraus zu springen. Zumindest ein paar Holzsplitter lösten sich. Soren stampfte hörbar und rasch den Gang herab in Richtung des Westflügels und ließ Illay und Brìghde zurück. Der Techniker hingegen schrumpfte nun mehr und mehr zusammen. Die Schottin zog ihn zum Bett, zog ihn auf die Kante herab.

Illay weinte. Trotz allem, was sie in diesem vergangenen Monat erlebt und teilweise nur knapp durchgestanden hatten, hatte sie ihn nie weinen sehen. Viele unterstellten Illay, er sei eine Memme, ein Weichei, doch sie irrten sich.

„Hey, Meister, is‘ schon gut, ich geh‘ und der soll mach’n, was’er für richtig hält...“ meinte Brìghde, doch Illay schüttelte vehement wie ein trotziges Kind den Kopf.

„Das ist nicht mein Zuhause...“ kam es erstickt von ihm. Wie hatte sich alles nur so schnell verändern können? Oder hatte er sich so gravierend verändert? Sein Onkel war immer eine ruhige, beherrschte Natur gewesen... aber er hatte ihm ja auch nie einen Grund zum Toben geboten. Eigentlich hatte Illay sich das alles so viel einfacher und friedlicher vorgestellt. Soren würde Brìghde mustern, entscheiden, dass sie ihm egal war und Illay sich um sie zu sorgen hätte. Sie würden zu dritt in diesem riesigen Haus wohnen, alle für sich glücklich und zufrieden. Man musste sich ja nicht einmal über den Weg laufen, wenn man nicht wollte. Und jetzt? Jetzt war er vor die Tür gesetzt worden, sein Onkel, den er jahrelang vergöttert und dem er nachgeeifert hatte, würde ihm sogar das Militär auf den Hals hetzen und all das nur seiner Paraneua wegen, Brìghde könnte sich für irgendwelche Waffensysteme interessieren.

Ausgerechnet Brìghde!

„W-Wir m-müssen packen.“ konstatierte er hastig. Seine Stimme zitterte, sein Blick war glasig, er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg, schmierte sie über seine Wangen breit und ließ sich doch nicht von ihr zurückhalten. Rasch zog er den Kleiderschrank auf, brachte eine Reisetasche zum Vorschein und stopfte alles Mögliche hinein, das auch nur annähernd brauchbar aussah. Kleidung, ein paar Batterien, aus den Schubladen des Schreibtisches zog er ein Set Werkzeug, Brìghdes spärliche Habe nahm er mit und unter der Matratze zog er ein gutes Bündel Geld hervor – man wusste ja nie, wozu es gut wäre.

„Wo soll’n wir’n hin, das bringt doch nix!“ wandte Brìghde ein, doch Illay gab ihr keine Antwort. Seine Angst um ihr Wohl, um sein eigenes Wohl, seine Angst vor Militär und Gefängnis, vor den Praktiken, die er schon bemerkt und von denen er schon gehört hatte, trieben ihn unaufhaltsam vorwärts. Er hatte einen Plan.

Tatsächlich schafften sie es, vor dem Haus einem der Nachbarn mit dem gesamten Bargeld seinen Wagen abzukaufen. Der Tank war zwar halb leer, aber das reichte. Brìghde fuhr. Illay nannte ihr kein Ziel, dirigierte sie lediglich die richtigen Straßen entlang und antwortete auf ihre Fragen, was das alles sollte, auch weiterhin nicht. Eine Mischung aus Panik und Zorn rang in seinem Inneren um Macht, doch übertrumpft wurde das alles von maßloser Enttäuschung und Kummer.

Er hatte seine Heimat verloren. Jetzt besaß er im Grunde nichts mehr.

Doch eine Stimme erinnerte ihn daran, dass das nicht korrekt war. Er hatte noch immer Brìghde, und er wusste, dass es in London eine Schwester gab, die ihn liebte – egal was die Nachrichten sicherlich schon bald über ihn erzählen würden.

Als sie auf das Gelände des Hafens einbogen, dämmerte Brìghde langsam der geradezu triviale Plan Illays. Es gab nur einen Ort, an dem sie halbwegs sicher wären. Das Schiff war die ganze Nacht über neu beladen worden, der Dockbereich inzwischen leer. Die letzten neuen Siedler, Wissenschaftler und Soldaten begaben sich gerade durch die Kontrollen an Bord, als Illay und Brìghde ausstiegen und den Wagen einfach am Straßenrand stehen ließen.

Nun galt es irgendwie die Kontrollen zu überlisten.

Ein glücklicher Zufall ließ den Briten einen gewissen russischen Major in der Menge erkennen, der gerade in Richtung Schiff davon spazierte. „T-Tulev! T-T-Tulev!“ rief Illay lauthals, als der Wachmann ihn gerade nach seiner Fahrkarte fragte. Der Major wandte sich um und schien einen ausgedehnten Moment ziemlich verwirrt.

„Sir, ich muss sie bitten, mir ihre Genehmigung zu zeigen!“ wiederholte der Wachmann derweil mit Nachdruck.

„W-Wir gehören z-zu i-ihm!“ meinte Illay selig grinsend und vollführte damit den ersten tatsächlichen Bluff seines Lebens, der nur deshalb funktionierte, weil er sich erfolgreich einredete, dass das ja immerhin nicht gänzlich gelogen sei. Tatsächlich – mochte der Teufel wissen, warum – winkte Tulev sie herein, was der Wachman als Zeichen nahm, sie durchzulassen.

„Was macht IHR denn hier?“ wollte der Major wissen.

„L-Lange G-Geschichte, wir kommen w-wieder m-mit...“ erklärte Illay lediglich mit einem entschuldigenden Lächeln. Tulev runzelte die Stirn, blickte zum Sicherheitsposten zurück und schien zu begreifen, dass ihre Reise zum Festland nicht unbedingt den Plänen der Koalition entsprach.

„Okay, aber haltet euch bedeckt!“ mahnte der Russe beide und eilte ein paar Schritte voraus, damit man später keine Verbindung zwischen ihm und zwei blinden Passagieren herstellen konnte.

Als das Schiff ablegte, hatten Brìghde und Illay es sich zwischen den Containern im Frachtraum Nummer zwölf gemütlich gemacht. Sie saßen auf einer als Abdeckung gedachten Plane und ernährten sich von zwei Dosen eingelegter Früchte, die sie aus dem Vorrat für die Kolonie ‚ausgeliehen‘ hatten. „Und, was hältst du vom Haus?... Ich sagte doch, dass ich nochmal frage.“ meinte Illay nach einer Weile. Der Kummer war ihm noch immer leicht von der Stirn abzulesen, obgleich... ein Teil seiner selbst sich auf die Rückkehr freute.

„Also wenn ich ma‘ ehrlich bin, war mir viel zu groß und protzig...!“ erwiderte Brìghde und grinste Illay aufmunternd zu. Sie rutschte herum, lehnte sich an ihn und nahm seine Hand in die Ihre. „Alles okay?“

„Wird es jetzt.“



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