Das Lächeln
Fußball
Man sagte ja immer, man solle seine Jugendjahre genießen, wäre es doch die schönste Zeit des Lebens. Im Nachhinein muss ich sagen, stimmt das auch irgendwie, doch zu Beginn und in der Mitte meiner Oberstufenzeit habe ich die Schule und praktisch alles was damit zusammenhing gehasst.
Ich hab es gehasst, früh aufzustehen. Hab es gehasst, mich in die übervollen U-Bahnen zu quetschen, wo einem schon früh am Morgen der Atem genommen wurde. Habe es gehasst, mich jeden Tag stundenlang auf meinem Platz in der letzten Reihe durch den Unterricht zu schleppen. Habe es gehasst, mit meinen Mitschülern zu sprechen. Ihr Geheuchel und das gegenseitige in der Luft zerfetzen hinter dem Rücken des anderen...
Ich war nie auf irgendwelche Leute eingegangen, die versucht hatten, mit mir Konversation zu betreiben. Ich war dann immer besonders eklig zu ihnen gewesen um sie möglichst schnell wieder los zu werden.
Meine Noten waren nie besonders schlecht, aber auch nicht sehr gut. Normal einfach.
Summa sumarum, ich lebte so dahin.
Ehrlich gesagt überraschte es mich nicht, dass irgendwann einmal mein Biolehrer vor der Klasse stand und fragte, ob Suzuki ein neuer Schüler sei.
Die Lehrer schienen mich, trotz meiner ungewöhnlichen Haarfarbe, kaum wahrzunehmen. Mich interessierte es nicht, hatte ich wenigstens meine Ruhe.
Um so mehr wunderte es mich, dass es immer wieder Schüler gab, die mich weiter nerven mussten. Merkten die denn nicht, dass ich nix mit ihnen zu tun haben wollte?!
Manchmal fragte ich mich echt, warum ich noch zur Schule ging.
Zu Beginn des zweiten Oberstufenjahres bekam mein Alltag dann endlich einen Sinn. Ab dann wusste ich, warum ich in die Schule ging.
Nicht um zu lernen oder sonst was, wie gesagt, ich war trotz meiner Einstellung nicht schlecht, nein, ich ging einzig und allein für ihn zur Schule.
Zur Begrüßungsfeier für die neuen Schüler sah ich ihn zum ersten Mal. Und es hatte sprichwörtlich BOOM!! gemacht.
Als ich, natürlich verspätet, zur Aula gegangen war, war ich mit ihm zusammen gestoßen. Er war regelrecht in mich hineingerannt. Er war wohl wie ich zu spät. Dabei war es doch seine Einweihungsfeier.
Er war ein ganzes Stück kleiner als ich und hatte blond gebleichte Haare. Schon das wunderte mich etwas, denn auch ich trug blond. Doch als er mich dann entschuldigend anlächelte, ging etwas kaputt in mir. Mein Bild vom Schulalltag wurde in diesem einen Augenblick komplett zerstört.
Mein Dahinvegetieren hatte ein Ende. Es gab plötzlich einen Grund für mich, hier zu sein.
Das Lächeln des mir unbekannten Jungen, warf mich dermaßen aus der Bahn, dass ich nur tonlos nickte, als er sich entschuldigte und ihm dann hinterherstarrte, als er vor mir her zur Aula rannte.
Ich kann mich an diese, unsere erste Begegnung erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Sie hatte sich regelrecht in mein Gehirn eingebrannt.
Ich selbst hatte in der Aula dann nicht mehr viel mitbekommen. Nach dem ich ihn auf der Bühne gefunden hatte (er wirkte etwas gehetzt, aber glücklich) schaute ich die ganze Zeit nur noch auf ihn. Ich horchte nur einmal kurz auf, als die Namen der Neuen verlesen wurden.
Bei 'Matsumoto Takanori' trat er vor und dann war da wieder dieses Lächeln. Mir stockte regelrecht der Atem und ich hatte ein seltsames Schwirren im Bauch.
Ja, jetzt wusste ich, wofür ich hier war.
Ich begann Matsumoto zu beobachten, hielt immer nach ihm Ausschau. Für ihn stand ich früh auf und ging zur Schule. Für ihn ließ ich den Unterricht über mich ergehen um in der Pause dann wieder nach ihm zu suchen.
Alles nur um wieder ein Lächeln von ihm zu erhaschen. Und jedes Mal, wenn wir uns über den Weg liefen, bekam ich es.
Und jedes mal blieb mir verlässlich die Luft weg.
In meiner Zeit als Beobachter fand ich viel über ihn heraus.
Auch er schien, wie ich, ein Einzelmensch zu sein, jedoch schmetterte er, im Gegensatz zu mir, die Versuche seiner Mitschüler, sich mit ihm anzufreunden nicht gnadenlos ab, sondern blieb immer freundlich, aber bestimmt.
Er blieb ruhig und für sich.
Als ich einmal eher durch Zufall herausfand, dass er in die Fußball-AG unserer Schule ging, beschloss ich, auch einzutreten.
Es war nicht so, dass ich mich besonders für diesen Sport interessierte, doch ich hasste ihn auch nicht.
Dass mein ganzes Verhalten ihm gegenüber wohl heißen musste, dass ich schwul war, störte mich nicht. Vielleicht interessierte es mich aber auch einfach nicht oder ich nahm es gar nicht richtig wahr.
Fußball also.
Ich stellte mich gar nicht so dumm an, aber darum ging es mir ja gar nicht. Ich hätte auch weitergemacht, wäre ich richtig schlecht gewesen solange er nur weiterspielte.
Ich spielte sowieso nur um ihm nah zu sein.
Matsumoto (oder Takanori, wie ich ihn lieber nannte) nahm mich völlig ein. In fast allem was ich tat. Ich ertappte mich in letzter Zeit oft dabei, wie ich einfach in meinem Zimmer auf meinem Bett lag und an ihn dachte. Es hatte schon fast etwas krankhaftes an sich.
Nach und nach stellte ich fest, dass Fußball der ideale Sport zu sein schien um ihn näher kennen zu lernen. Denn leider war er, wie ich, doch relativ zurückhaltend und eher schüchtern.
Doch beim Fußballspielen verlor er, wie ich bemerkte, nach und nach seine Scheu.
Wir sprachen auch ab und an miteinander, wobei mir die ziemlich schwer fiel und ich hatte das deutliche Gefühl, er merkte das auch.
Allerdings war das nichts im Vergleich damit, was mit mir los war, wenn wir uns vor und besonders nach dem Sport in den Umkleideräumen umzogen.
Die ersten paar Mal hatte ich das galant umgangen, weil ich unbeabsichtigt zu spät kam und der Lehrer mich nach der AG deswegen noch ein wenig länger da behielt.Aber als ich dann das erste Mal pünktlich war, bereute ich es ja schon fast.
Takanoris Körper haute mich glatt um.
Es war nicht so, dass er unbedingt sehr muskulös oder so war, nein, er war einfach schön. Einfach nur wunderschön.
Aber das Schlimmste war, dass ich merklich erregt wurde und das nur von dem Anblick seines bloßen Körpers. Dies brachte mich in eine denkbar ungünstige Lage, welche mich dazu veranlasste, mich mit einem 'plötzlichen Unwohlsein' herauszureden und darauf hin für ein paar Minuten auf die Toilette zu verschwinden um mir Befriedigung zu verschaffen.
Als hätte ich das nicht schon oft genug zu Hause, mit dem Gedanken an ihn, getan.
Ich musste danach wohl ziemlich fertig ausgesehen haben, denn du hattest mich mit einem leicht besorgten Blick gemustert und dich nach meinem Wohlbefinden erkundigt.
Und selbst das hatte schon wieder gereicht um mir eine Ladung Schmetterlinge durch den Bauch zu jagen. Dein Lächeln schien mir irgendwie Raupen zu injizieren.
Nachdem ich etwa einen Monat im Fußballclub mit dir spielte, stand dann auch unser erstes offizielles Spiel gegen das ziemlich schlechte Team der Nachbarschule an.
Irgendwie war ich relativ aufgeregt. Es war immerhin unser erstes Spiel.
Am Tag des Spiels schaffte ich es sogar pünktlich zu sein.
An unserem Verhältnis zueinander hatte sich nicht viel geändert in der Zeit und so begrüßtest du mich auch heute mich einem kleinen Lächeln. In meinem Bauch tobten, wie sollte es auch anders sein, weiter die erwachsenen Raupen.
Beim Umziehen versuchte ich, ebenfalls so wie immer, nicht allzu sehr auf dich zu achten. Ablenkung machte sich jetzt schlecht. So fiel mir natürlich nicht auf, dass auch du meinen Anblick miedest.
Fünfzehn Minuten später standen wir spielbereit auf dem Platz und warteten auf den Anpfiff. Du auf deiner Stürmerposition, ich als Angriffsspieler. Ich sah kurz zu dir. Du enttäuschtest mich nicht.
Dann ertönte der Pfiff.
Bis zur ersten Halbzeit verlief das Spiel ziemlich durchwachsen. Mal waren die anderen im Vorteil, mal wir.
In der Pause saßen wir in der Kabine und schwiegen größtenteils alle, wussten wir doch nicht so recht, was wir davon halten sollten.
Kurz vor Beginn der zweiten Spielhälfte kam unser Trainer zu uns nach unten um uns noch einmal Mut zu zusprechen und uns etwas anzuspornen.
Danach ging es auch schon wieter.
Nach etwa fünf Minuten Spielzeit passierte es dann.
Auf der Jagt nach dem Ball schlittertest du mit einem Spieler der gegnerischen Mannschaft zusammen und bliebst auf dem Boden liegen.
Auszeit wurde gepfiffen.
Du hielst dir den Fußknöchel. Besorgt liefen einige Spieler zu dir. Ich natürlich auch. Der Trainer kam ebenfalls auf's Feld gerannt.
Du sagtest zwar mehrmals, es sei nicht so schlimm, trotzdem wurdest du ausgewechselt. Zu meinem Bedauern.
Obwohl ich nun ziemlich abgelenkt war, da ich ständig zu dir schaute, verlief das weitere Spiel relativ gut.
Ein paar Minuten vor Spielende dann schoss jedoch die andere Mannschaft das Ausgleichstor. So stand es nun 2:2.
Leicht frustriert liefen wir alle nochmal zur Höchstform auf. Wir wollten bei unserem ersten Spiel partout nicht verlieren, und schon gar nicht gegen dieses Team.
In der vorletzten Spielminute bekam ich dann unerwarteter Weise den Ball zugespielt. Ich stand nicht unbedingt günstig, deswegen wunderte ich mich etwas.
Einen Moment zögerte ich, ich hörte, wie du mich anfeuertest.
Dann schoss ich.
Das Spiel war vorbei, doch mein Ball war im Tor.
Der Torwart schien nicht mit meinem Angriff gerechnet zu haben, das würde zumindest seinen geschockten Gesichtsausdruck erklären.
Ich stand wohl ziemlich blöd auf dem Feld, denn ich hatte noch immer nicht richtig realisiert, dass wir wirklich gewonnen hatten. Erst als eine Menschenmenge auf mich zugestürmt kam, merkte ich es.
Plötzlich fand ich mich in einem Haufen aus Armen wieder. Von allen Seiten wurde mir gratuliert und auf die Schultern geklopft.
Langsam lichtete sich das Wirrwarr wieder und ich schaute zum Tribünenrand.
Dort standest du und lächeltest.
Wie von allein ging ich zu dir.
"Na endlich. Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr vorbei."
Dann schlang er die Arme um mich.
In diesem Moment hätte ich explodieren können.
Doch war ich schon im nächsten froh, es nicht getan zu haben.
Du drücktest mich kurz von dir und blicktest mir in die Augen.
"Tolles Spiel."
Und dann hast du mich geküsst.
~*~
"Wow, ich hätte gar nicht gedacht, dass du so romantisch sein kannst."
"Tja, siehst du mal, was ich alles für versteckte Talente habe."
"Oh ja. Und dass du dir das alles über die ganzen Jahre gemerkt hast... Das ist echt süß."
Leises Lachen.
"Irgendjemand musste doch mal unsere Geschichte aufschreiben."
"Da hast du vollkommen recht."
THE END