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Clementina

von

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Es war später Nachmittag, als ich meinen Heimweg durch das kleine Wäldchen antrat, das mich auf unasphaltiertem Wege meinem Haus zutrug. Der Frühling ließ erste Zeichen seines Einzugs erkennen.

Mit der untergehenden Sonne schmolzen auch die letzten Schneehäufchen, die hier und dort noch nicht von der Wärme verscheucht worden waren.

Ich war kaum eine Viertelstunde gegangen, als ich an dem kleinen Weiher ankam, der in der Mitte des Waldes lag. Ich blieb stehen.

Das Blattgrün ließ kaum einen Lichtstrahl auf den kühlen Waldboden, und doch glitzerte es glutrot auf dem Wasser. Und genau dort fand ich sie.
 

Sie war wunderschön.

Ihre Glieder waren elfenbeinfarben und schlank, wie die einer Porzellanpuppe. Sie lag am Ufer des Weihers, zwischen den Wassergräsern versteckt. Ich wusste nicht, wer sie dorthin gelegt hatte, aber das war mir auch völlig egal. Langsam trat ich näher, die Blätter raschelten unter meinen Füßen.

Plötzlich gluckerte das Wasser. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass ich es war, der diesen Laut verursacht hatte. Mein Fuß war ins Nass gerutscht.
 

Die Versuchung, sie zu berühren, war groß, und doch widerstand ich ihr. Sie schien mir heilig. Ihr Gesicht sah aus wie eine bemalte Totenmaske:

Die Lippen waren blau vor Kälte, die ihren ganzen Körper beherrschte. Ihre halboffenen Augen hatten einen Hauch von Vitriol angenommen.

Das Einzige, das diesen Frieden störte, war die klaffende Wunde an ihrer Stirn, an der rotbraunes Blut getrocknet war, das sich mit dem Weizengold ihrer hüftlangen Haare biss.

Ein grausamer Kontrast.

Ich fühlte mich auf bizarre Weise an Millais´ Bildnis der „Ophelia“ erinnert.
 

Die Sonne war bereits versunken. Ich wusste nicht wie lange ich schon an ihrer Seite saß, sie betrachtend. Es hätten Stunden sein können.

Auf einmal packte mich ein Schuldgefühl, wie ich es noch nie empfunden hatte.

Ich fühlte mich schuldig, zu leben, während dieses elfengleiche Wesen seines gewaltsam ausgehaucht hatte.

Warum schlug mein Herz, wenn doch ihres dazu gezwungen wurde, aufzuhören?

Warum atmete ich, wenn sie es nicht mehr tat?

Blind vor Trauer und Schuld weinte ich, schrie, riss mir die Haare büschelweise aus der Kopfhaut. Eine zeitlang verbrachte ich in diesem Zustand von Tollheit, bis ich die letzten Tränen weinte.

Meine Scheu vor ihr war verschwunden. Ich küsste ihre Lippen, ihren Busen, ihren Nabel, ihr

Geschlecht.

Dann trug ich sie nach Hause.
 

Zuerst fürchtete ich, die kleinen Blutstropfen, die hin und wieder von ihrer Stirn fielen, würden auf uns aufmerksam machen, aber diese Befürchtung war unbegründet.

Auf meinem Weg durch den Wald bin ich damals keiner Menschenseele begegnet.

Das war auch nicht sehr ungewöhnlich, denn die meisten mieden den Weg und das Waldstück um mein Haus. Ich weiß bis heute nicht, warum.
 


 

Als ich ankam legte ich sie auf mein Bett. Die einzige Fläche in meinem Haus, die groß genug war, um sie vollständig zu tragen. Ich wusch ihr mit einem feuchten Lappen das Blut von der Stirn, bis nichts mehr nachkam. Fleischfarben und von roten Schlieren durchzogen glänzte nun die Wunde.

Ich legte mich neben sie und deckte uns beide zu.

Ich traute mich nicht einzuschlafen, so nagte an mir die Angst, aufzuwachen und meine Schönste neben mir nicht mehr aufzufinden. Als könne sie weglaufen.

Nie mehr würde ich sie hergeben, nie mehr würde ich alleine sein! Sie gehörte nun mir.

Während meine Liebste, der ich den schönen Namen „Clementina“ gegeben hatte, langsam verweste, fielen mir schließlich doch die Augen zu.

Und meine Träume gehörten ihr…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-08-19T10:56:12+00:00 19.08.2010 12:56
Ich finde die geschichte toll, weil mir die Art gefällt wie du schreibst... der plötzliche Sinneswandel sowie überhaupt die Idee eine solche Geschichte zuschreiben.
Sie lässt sich dank deinem Stil gut und "flüssig" lesen.

Also mir hats gefallen;)

Kaiyako


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