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Bis(s) zum Ende aller Tage

Renesmees Fortsetzung zu Breaking Dawn
von

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Geboren um zu leben

Kapitel 5:

Geboren um zu Leben
 

Als ich die Augen öffnete, erschrak ich.

Ich befand mich in einem großen Raum, der fast vollständig von dem riesigen Bett gefüllt wurde, in dem ich lag. Umgeben von dicken, flauschigen Kissen lag ich unter einer schweren Decke und beobachtete die Vorhänge des Himmelbettes, die durch den zarten Wind des geöffneten Fensters bewegt wurden. Die Sonne schien und ich konnte keine einzige Wolke am Himmel ausmachen, die diesen schönen Tag getrübt hätte.

Langsam sah ich mich um und versucht mich zu orientieren. Diesen Raum hatte ich noch nie gesehen und ich wollte gerade aufstehen, um aus dem Fenster zu sehen, als die Tür am Fußende des Bettes aufging. Schnell schwang sie auf und vor mir stand sie.

Das Mädchen aus meinen Träumen. Auch dieses Mal fing sie wieder an mich um Hilfe zu bitten und streckte die Hand nach mir aus. Ich richtete mich auf und wollte gerade aufstehen, um zu ihr zu gehen, als ein starker Wind durch das Zimmer wehte. Die Tür ging mit einem lauten Knall zu, ich wachte auf.

Durch die Türöffnung der kleinen Hütte wehte ein starker Wind und ich zuckte zusammen, als ein lauter Donner durch das Rauschen des Regens hindurch polterte. Schlagartig war ich wach und sah zu Nahuel hinüber.

Der letzte Donner hatte auch ihn geweckt und verschlafen rieb er sich die Augen.

„Guten Morgen. Willkommen im chilenischen Winter.“

Seine Stimme war heiter und ich musste lachen, bis mich ein erneuter Knall zum Schweigen brachte. Der Wind war wirklich äußerst stark und rüttelte ganz schön an der Hütte. Skeptisch sah ich zum Dach hinauf und wandte mich an Nahuel.

„Ich möchte echt nicht unhöflich sein, aber hält das Haus ein solches Gewitter aus?“

Er lachte, richtete sich auf und klopfte mit der flachen Hand auf die Wand an seinem Bett.

„Diese Hütte hat schon viel schlimmere Dinge ausgehalten.“

Wieder einmal zuckte ich zusammen, als ein Blitz die Gegend erhellte und fast gleichzeitig ein lauter Donner erklang.

„Dann ist ja gut. Weißt du, ich mag Gewitter nicht sonderlich.“

Nahuel hatte sich weder erschreckt, noch mit der Wimper gezuckt, als der Donner über uns hereinbrach und ich bewunderte das. Schon als Kind hatte Emmett mich damit aufgezogen, dass ich eines der stärksten Wesen der Welt sei, aber Angst vor einem lächerlichen Gewitter hatte. Einzig Edward und natürlich auch Jasper hatten sich mitfühlend gezeigt.

„Mich stört es nicht. Ganz im Gegenteil, so können wir uns heute in Ruhe über einige Dinge unterhalten. Oder möchtest du, dass ich dir bei diesem Wetter etwas von meiner Heimat zeige?“

Sein Grinsen war ansteckend und wie auf Befehl ruckte ein erneuter Windstoß an der Hütte. Natürlich war mir nicht kalt, doch es war ungemütlich draußen und ich wollte nicht unbedingt hinaus.

„Ich denke das verschieben wir besser, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn du mir deine Heimat zeigen würdest.“

„Das mache ich sehr gerne. Du wirst staunen, was wir Mapuche alles zu bieten und zu erzählen haben.“

Kurz ergriff mich das leichte Gefühl eines Déjà-vu. Zafrina hatte das selbe über ihre Heimat behauptet und ich fand es faszinierend so unerwartet vieles über fremde Länder und Kulturen zu lernen.

Wenn ich es irgendwann einmal schaffen sollte mich von Forks zu trennen, dann würde ich auf Weltreise gehen und möglichst viel sehen wollten.

„Ich bin gespannt. Hättest du etwas dagegen, wenn ich kurz meine Eltern anrufe?“

Bei dem Wort Eltern hätte ich mir fast selbst auf die Zunge gebissen. Hoffentlich war es nicht zu früh, um so offen und locker mit ihm über dieses Thema zu sprechen. Unsere Auseinandersetzung war keine 24 Stunden her und eigentlich hatte ihm mehr Zeit lassen wollen dieses Thema erneut anzusprechen, damit er in Ruhe noch über einige Dinge nachdenken konnte.

„Kein Problem. Ich denke nur, du solltest nicht unbedingt erwähnen, dass du hier bei mir übernachtet hast.“

Er schlug mit der Hand auf seinen Oberschenkel, als hätte er einen äußerst lustigen Witz gemacht, doch ich beschloss diesen Spaß lieber ernst zu nehmen und grinste nur halbherzig. Edward war sowieso nicht begeistert davon, dass ich Jacob so vor den Kopf gestoßen hatte, da musste ich ihm nicht auch noch auf die Nase binden, dass ich bei einem fremden Mann übernachtet hatte.

Schnell war das Handy aus dem Rucksack gefischt, doch die Ernüchterung kam noch schneller.

„Kein Netz. War ja klar.“

„Was bedeutet das?“

Seine klaren, braunen Augen blickten mich fragend an, während erneut ein Blitz die Hütte erhellte. Der Regen prasselte nicht mehr ganz so stark, wie noch vor wenigen Minuten, doch er war noch lange nicht dabei zu versiegen. Dank unserer guten Augen brauchten wir kein Licht, doch durch den Blitz trat ein hübsches Aufleuchten in seine Augen.

„Ich kann sie nicht anrufen.“

Kannte er etwa keine Handys? Sogar Zafrina kannte alle möglichen technischen Geräte. Sie besaß zwar keines, doch zumindest wusste sie, wie sie funktionierten und wie man sie benutzte.

„Warum nicht? Ich dachte mit diesen tragbaren Dingern könnte man jederzeit telefonieren.“

Sein letztes Wort verschwand fast gänzlich unter einem erneuten Donner. Langsam ging er sich mit den Händen durch die langen, offenen Haare, bevor er aufstand und unter sein Bett um einige Stück Holz hervorzuholen. Mit geübten Griffen drapierte er sie auf der Feuerstelle in der Mitte der Hütte und begann mit 2 Steinen der Umrandung Funken zu erzeugen.

Er wusste also wirklich nicht, wie Handys funktionierten. Das war zwar ungewöhnlich, aber nicht weiter wichtig.

„Leider nicht. Was genau machst du da eigentlich?

Ich lehnte mich nach vorne, lehnte die Ellenbogen auf meine Knie und stützte den Kopf auf die Hände. Lächelnd sah ich ihm zu.

„Es war gut, dass ich gestern noch ein wenig Holz gesammelt habe. Jetzt kann ich uns ein gemütliches Feuer machen. Leider ist durch die Feuchtigkeit das Stroh auch etwas feucht geworden. Daher kann es etwas dauern, bis der Funke überspringt.“

Kurz kam mir der Gedanke einfach aus meinem Rucksack mein Feuerzeug zu holen, doch ich entschied mich dagegen, als ich sah, wie viel Mühe er sich gab. Er zeigte einen Enthusiasmus, den ich irgendwie niedlich fand und ich wollte ihn nicht mindern oder gar kränken.

Ganz abgesehen davon zeigte es mir, wie ich eigentlich vom modernen Leben abhing. Niemals würde ich mit 2 einfachen Steinen ein Feuer entfachen können. Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee.

„Darf ich es auch mal probieren?“

Ehe ich wirklich darüber nachgedacht hatte, was ich da gerade gesagt hatte, waren die Worte schon aus meinem Mund bekommen. Ein schüchternes Lächeln trat auf seine Lippen.

„Aber klar. Komm, ich zeige dir, wie es geht.“

Zuerst erklärte er mir ausführlich die Theorie, zeigte mir die Bewegung und übergab mir dann die beiden Steine. Um mich nicht zu blamieren hatte ich besonders gut aufgepasst und versuchte die Steine im richtigen Winkel gegeneinander zu schlagen. Bei den ersten Schlägen hielt ich sie jedoch zu weit vom leichten Stroh weg, bemerkte diese Dummheit aber zum Glück rechtzeitig und schon bald hatte ich tatsächlich geschafft eine kleine Flamme durch meine Funken zu erzeugen.

Eine unbekannte Euphorie durchströmte mich. Schnell legte Nahuel weiteres Stroh nach und nach kurzer Zeit hatten wir ein prasselndes Feuer, während es draußen wieder angefangen hatte leicht zu donnern.

Mittlerweile war ich auch froh, dass die Hütte keine Fensteröffnungen hatte, denn sonst wären wir völlig durchnässt gewesen. Durch die Türöffnung kam ein wenig Regen herein und Nahuel befestigte eine dicke Wolldecke, die mit überaus hübschen Mustern verziert war, an den Haken über der Öffnung.

„Gute Idee.“

„Danke. Auf die Idee hat Huilen mich mal gebracht. Die Decke kann ruhig nass werden und so kommt wenigstens kein Wasser herein. Auch der Wind wirkt so nicht mehr so stark.“

„So eine Decke muss ich unbedingt für Esme mitnehmen. Sie wird außer sich sein vor Freude. Die Muster sind so schön bunt.“

Er schmiss sich auf sein Bett und zog die Decke über sich. Zum Schlafen hatte ich mich, aus purer Gewohnheit und nicht aus Kälte, auch darunter gelegt, doch nun saßen wir hier, um uns zu unterhalten und dabei wirkte das ziemlich merkwürdig. Fast so, als sei ihm wirklich kalt.

Aber das konnte doch gar nicht sein. Ich beschloss die Gelegenheit zu ergreifen und das Thema so dezent auf meine Fragen zu lenken.

„Ist dir etwa kalt?“

Ich grinste ihn an, um zu zeigen, dass diese Frage keinesfalls böse gemeint war und wartete innerlich gespannt auf seine Antwort.

„Nein, natürlich nicht. Die Außentemperatur ist mir egal.“

Seine Miene wurde plötzlich fragend und er sah mich an.

„Dir etwa? Tut mir leid, aber ich bin davon ausgegangen, ohne zu fragen, weil es bei meinen Schwestern auch so ist.“

„Nein, nein“, wehrte ich schnell ab und hob die Hände für eine beschwichtigende Geste.

Sein plötzlicher Anflug eines schlechten Gewissens löste in mir seltsame Gefühle aus, die ich nicht zuordnen konnte und selbst, wenn ich es gewesen wäre, so hätte ich spätestens dann nicht mehr sauer auf ihn sein können.

„Kann ich dich mal was fragen?“

Ich saß wieder auf meinem Bett und sah ein wenig verlegen auf meine Hände. Obwohl er nicht mehr sauer auf mich war, konnte ich unser Gespräch vom Vortag nicht vergessen und fühlte mich immer noch unwohl solch unwichtigen Dingen anzusprechen.

„Natürlich. Dafür bist du doch extra den weiten Weg aus Forks bis hierhin gekommen.“

Ich zog den Kopf zwischen die Schultern. Langsam stieg mir Blut in die Wangen und ich spürte, wie sie warm wurden.

„Ja… nein… also…“, stammelte ich ohne ihn anzusehen.

„Keine falsche Schüchternheit. Sag mir einfach, was dich bedrückt.“

Herrje, er verstand meine Reaktion vollkommen falsch. Eigentlich musste ich ihm ja gar nicht verraten, dass ich sowieso schon in Brasilien gewesen war. Ich übersprang diesen Teil einfach.

„Hast du Probleme mit deinem Dasein, als Halb-Vampir?“, platzte es aus mir heraus.

Da ich den Geständnisteil übersprungen hatte, beruhigte sich mein Puls und die Röte wich aus meinem Gesicht. Langsam aber sicher entspannte ich mich wieder und sah Nahuel neugierig in die Augen. Endlich war es raus und nun überwältigte mich meine Neugier auf seine Reaktion. Nachdenklich sah er in das knisternde Feuer.

„Ich glaube, ich verstehe nicht so ganz, was du meinst.“

Anscheinend hatte ich ihn mit meiner Frage überrumpelt und sie nicht gut genug gestellt. Ich versuchte es mit einem Beispiel und nahm dazu einfach direkt mein größtes Problem.

„Nun, ich persönlich habe Probleme mich damit abzufinden, dass ich nachts schlafen muss.“

Weiterhin den Blick gesenkt, ging er sich noch einmal durch die schulterlangen Haare und blähte die Wangen auf, bevor er pustend die Luft heraus ließ.

„Puh. Da hab ich noch nie drüber nachgedacht. Die Eigenheiten meiner Existenz waren immer vollkommen normal für mich. Aber jetzt, wo du es sagst, fällt mir etwas ein. Als Kind hatte ich ein paar Mal versuch nachts nicht zu schlafen, als Huilen mir erzählt hatte, dass sie gar nicht schlafen muss. Bis dahin hatte ich immer geglaubt sie würde einfach später schlafen gehen und früher aufstehen, als ich.“

Mich überkamen ein lautes Lachen und das Gefühl von Verständnis.

„Das habe ich als Kind auch mal versucht. Die Standpauke, die ich damals erhalten habe, habe ich heute noch in den Ohren. Ich finde es einfach nur nervig.“

Er wandte den Blick vom Feuer ab und sah mich wieder direkt an. Ausgerechnet in diesem Moment erhellte ein erneuter Blitz den Raum und ich zuckte zusammen.

Nahuel lachte und fing laut an zu zählen.

„21, 22, 23, 24, 25…“

Als er bei der letzten Zahl angekommen war, grollte ein leiser Donner, der selbst mich nicht mehr erschrecken konnte, über uns hinweg.

„Was hast du gezählt?“

Ich zog die Augenbrauen zusammen und blickte ihn fragend an. Den Sinn seiner Zählerei verstand ich überhaupt nicht.

„Kennst du das nicht? Du kannst mit so einem komischen Gerät, wie diesem tragbaren Telefon umgehen, aber nicht bestimmen, wie weit ein Gewitter entfernt ist?“

Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Was hatten diese Zahlen mit dem Gewitter zu tun? Verdammt, er schaffte es irgendwie immer wieder mich zu verblüffen und mir klar zu machen, wie wenig ich doch wusste.

„Nein, das kenne ich nicht. Erklärst du es mir bitte?“

Er ließ sich nicht lange bitten und erklärte mir, dass ein Gewitter so viele Kilometer entfernt war, wie viele Sekunden zwischen Blitz und Donner vergingen.

Fasziniert lauschte ich ihm und beschloss, dass ich gut mit einem Gewitter leben konnte, dass 5km entfernt war.

„Siehst du, jetzt kannst du vor deiner Familie angeben, wenn das nächste Mal bei euch ein Gewitter ist.“

Das erste Mal seit gestern sprach er von sich aus meine Familie an und ich war erstaunt. Keinerlei Schmerz oder Wut waren mehr in seiner Stimme zu hören. Nur ehrliche Freude, dass er mir etwas von seinem Wissen weitergegeben hatte.

„Darf ich dich auch etwas fragen?“

„Gerne, wenn es nicht gerade mit Gewittern zu tun hat.“

Er erwiderte mein Lächeln, zog die Beine zu sich ran und umschlang sie mit seinen Armen.

„Warum hast du Probleme mit deinem Dasein als Halb-Vampir? Warum hasst du es, zu schlafen?“

Da war es wieder. Das schlechte Gewissen. Gestern hatte er mir gezeigt, dass ich eigentlich alles hatte, um glücklich zu sein. Ich beklagte mich über Dinge, die absolut nebensächlich waren.

„Es hat mir meiner Familie zu tun. Ist das ok, wenn ich darüber spreche?“

Sein ernstes Gesicht zeigte eine Zufriedenheit, die seine Worte unterstrichen.

„Ja. Glaub mir, ich beneide dich zwar, doch ich weiß, dass ich nichts für diese ganze Situation kann. Warum sollte ich dir dafür böse sein, dass du einfach Glück hattest?“

Diese Worte waren eine sehr große Erleichterung für mich. Er hatte mir wirklich verziehen und innerhalb kürzester Zeit innerlich akzeptiert, dass er sich die letzten Jahre über etwas eingeredet und geglaubt hatte, das nicht stimmte.

„Meine Familie ist sehr nett zu mir. Jeden Morgen erzählen sie mir, was sie nachts gemacht haben, um mir zu zeigen, dass ich nichts Wichtiges verpasst habe und sie mich an ihrem Leben teilhaben lassen wollen. Leider bewirken sie jedoch damit genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen. Es muntert mich nicht auf, sondern macht mich traurig. Ich verpasse so viele Dinge, wenn ich nachts schlafe. Und auch, wenn Suyai deiner Aussage nach ungefähr 300 Jahre alt ist, so begleitet einen doch ständig die Ungewissheit, ob man auch unsterblich ist. Ich bin nicht ganz so stark und so schnell, wie meine Familie. Sie lassen mich das nicht spüren, aber irgendwie stört es mich. Darum wollte ich mir mit reden. Ich dachte, es würde helfen, wenn ich mit jemandem darüber reden kann, der vielleicht die gleichen Probleme hat.“

Nahuel hatte mich die ganze Zeit angesehen und ich war froh, dass er meine Probleme ernst nahm. Er hätte sich genauso gut darüber lustig machen können, dass ich solch läppische Probleme hatte.

„Du bist merkwürdig.“

Und wieder reagierte er auf eine Art und Weise, mit der ich nicht gerechnet hatte.

„Warum denkst du das?“

Ein wenig knickte es mich schon, dass er mein Geständnis anscheinend doch nicht so ganz ernst nahm.

„Weil du dir selber dein Leben kaputt machst. Du hast eine große Familie, Freunde und auch keine Geldprobleme. Sieh doch mal die positiven Seiten unserer Existenz. Du hast die Wahl, ob du Blut oder menschliche Nahrung zu dir nehmen willst. Du kannst schlafen und dich einfach vom Tag erholen, denn Bewegung kostet uns nun mal mehr Anstrengung. Außerdem würde ich eines vermissen, wenn ich nicht mehr schlafen bräuchte. Ich könnte dann nämlich nicht mehr mit der Vorfreude auf den nächsten Tag ins Bett gehen.“

Er machte eine kurze Pause und atmete tief ein. Ich saß stumm auf meinem Bett. So hatte ich es noch nie betrachtet. Innerhalb von wenigen Wochen hatte ich mich jetzt schon das zweite Mal belehren lassen müssen. Es wurde Zeit, dass ich selber öfters mal versuchte die Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Ich konnte nicht mein Leben lang darauf bauen, dass immer jemand kam, um mich auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen.

„Rayen hat Malen mal etwas sehr Schönes gesagt, als Joham damals verkündet hatte, dass er sie nur als unnütze Tochter sehen würde, die seinen Plänen nicht helfen würde. Malen war sehr traurig gewesen und das war auch der Punkt, dass Suyai und sogar Rayen, die bis dato immer voll hinter unserem Erzeuger gestanden hatte, sich von ihm abgewendet hatten.“

Er hielt inne und lächelte in das flackernde Feuer, als würde ihm diese Erinnerung sehr gefallen. Als nach fast 2 Minuten nichts weiter von ihm kam, fasste ich mir ein Herz. Er hatte es geschafft, dass ich mich wirklich besser fühlte. Vor allem musste ich mir Eines eingestehen: Er hatte einfach Recht. Es brachte nichts, Trübsal zu blasen und in allem nur das Negative zu sehen.

„Was hat sie Malen damals gesagt?“

Seine Augen wurden glasig und der Schein des Feuers erhellte seine Züge.

„Denk immer daran: Wir wurden geboren, um zu leben.“

Stumm saß ich auf dem weichen Bett. Schon einige Minuten lang war kein Donner mehr zu hören gewesen und sogar der Regen schien kurz vor dem Versiegen. Kaum mehr als ein fast lautloses Nieseln war noch übrig.

So etwas Ähnliches hatte Bella einmal gesagt, als wir meinen Geburtstag gefeiert hatten. Emmett hatte mich damit aufgezogen, dass ich gar nicht auf der Welt wäre, wenn Bella sich nicht so für mich eingesetzt hätte. Ihr Blick wurde dabei genauso glasig, wie jetzt Nahuels und ein liebevolles Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

„Sogar dein Vater war damals zu besorgt um mich, um zu erkennen, was für ein wundervolles Leben in mir heranreifte. Dabei hat er wohl vergessen, wie wertvoll doch jedes Leben ist.“

So waren ihre Worte gewesen. Edward war danach zwar ein wenig sauer gewesen, dass sie mir das erzählt hatte, doch ich konnte ihn schnell davon überzeugen, dass ich es ihm nicht übel nahm und wusste, wie sehr er mich liebte.

Langsam verstand ich, was Bella mir damals hatte sagen wollen. Ich hatte den Blick für das Wesentliche verloren und mich auf Dinge versteift, die eigentlich auch eine schöne Seite hatten.

„Jetzt liegt es an mir, dir zu danken. Du hast Recht, wir sind etwas Besonderes. Ich muss lernen mich selbst zu mögen, sonst werde ich niemals glücklich. Selbst, wenn das Glück mich fast anspringt.“

Ich hatte mich aufgerichtet und die Beine ausgestreckt, während ich tief durchatmete. Es war ein erstaunliches Gefühl sich eines solch wichtigen Gedankens bewusst zu werden. Gerade so, als wäre ich plötzlich frei hätte vorher gar nicht gewusst, was es heißt zu Leben. Wie konnte ich auch nur ansatzweise wissen, was es bedeutete, wenn ich mich selber daran hinderte?

Auch Edwards Fähigkeit meine Gedanken lesen zu können war für mich immer nur unangenehm gewesen, weil ich selber nicht mit mir und meinen Gedanken umgehen konnte. Wenn ich aber mit meinen Eigenheiten und jetzt auch mit meinen Gefühlen Jacob gegenüber im Einklang war, so gab es nichts, was Edward nicht erfahren sollte.

Der Gedanke an Edward und meine Familie erweckte plötzlich starkes Heimweh in mir. Am nächsten Tag würde ich sie anrufen und schon bald nach Hause kommen.

Nahuels Stimme durchbrach die Stille, während ich in meinen Gedanken versunken war.

„Ich habe nur weitergegeben, was mich gelehrt wurde. Aber es freut mich, wenn ich dir so helfen konnte.“

Ich zeigte ihm ein dankbares Lächeln und blickte zur Türe. Der Regen hatte tatsächlich aufgehört und durch die Schlitze zwischen Türöffnung und Decke sah ich, dass es schon zu dunkeln begann.

„Darf ich heute noch einmal hier übernachten?“

Auch er sah zur Türe und erhob sich, um die Decke abzuhängen. Von draußen kam frische, klare Luft, die von einem lauen Wind hereingeweht wurde.

Nahuel warf die Decke ans Fußende seines Bettes und ging mit schnellen Schritten hinaus aus der Hütte. Schnell sprang ich auf, um ihm zu folgen. Zum Einen, weil ich neugierig war, was er vorhatte und zum Anderen, weil ich wirklich etwas frische Luft gebrauchen konnte.

Als ich den ersten Schritt über die nicht vorhandene Schwelle gesetzt hatte, wurde mir klar, was er mir zeigen wollte.

Blau-goldene Striemen, die von leichten Schleierwolken durchzogen wurden, zierten den Himmel. Ein zarter Geruch stieg von der feuchten Erde auf und überall von den Bäumen, Blumen und Farnen tropften die letzten Reste des Regenwassers. Um uns herum bewegten sich langsam wieder die ersten Tiere und tausende von Insekten schwirrten durch die Luft.

Mit meinen guten Augen konnte ich selbst die winzigsten Mücken in ihren großen Schwärmen erkennen und ich musste lachen, als sich eine von ihnen auf meinem Arm niederließ und versuchte ihren kleinen Rüssel in meine Haut zu stechen, um an mein Blut zu gelangen. Ich hob den Arm und sah die kleine Mücke belustigt an.

„Hey Kleine, tu dir nicht weh. Das schaffst du nicht.“

Nahuel lachte laut auf und die Mücke machte sich auf den Weg, um ein neues Opfer zu suchen.

„Das versuchen sie bei mir auch ständig. Wir riechen wohl zu köstlich.“

Er schnupperte kurz und trat an mich heran, bis sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war.

„Wobei du anders riechst, als meine Schwestern. Mehr nach… verschiedenen Blumen und weniger nach Erde und Lehm.“

Ich wusste nicht, ob das ein Kompliment sein sollte und erinnerte mich an die Situation mit Jacob im Schwimmbad.

Vielleicht ein wenig zu schnell wich ich einen Schritt von ihm zurück.

„Danke… Ich denke wir sollten jetzt wieder reingehen und schlafen, damit wir morgen fit sind, um deine Heimat zu erkunden. Oder steht dein Angebot nicht mehr?“

Grinsend ging ich vor und wartete seine Antwort gar nicht erst ab, als ich mich aufs Bett setzte und noch einmal mein Handy überprüfte. Natürlich befand sich immer noch kein Balken auf der Netz-Anzeige.

„Oh, warts ab. Morgen Abend wirst du hundemüde ins Bett fallen und gar nicht mehr wissen, wo oben und wo unten ist. Dann schlaf jetzt. Ich wünsche dir eine gute Nacht und schöne Träume.“

Er legte sich hin, zog sich die Decke fast bis zur Nase, schloss die Augen und war schon wenige Sekunden später eingeschlafen.

Ich grinste, bewunderte diese Fähigkeit und war mir in Einem sicher: Meine Träume würden wunderbar werden.
 

„Guten Morgen. Aufwachen.“

Seine sanfte, warme Stimme flüsterte die Worte zärtlich in mein Ohr und als ich die Augen aufschlug, befand sich sein Gesicht wieder nur Zentimeter entfernt, von meinem. Ich schreckte hoch und gab einen erstickten Laut von mir, der ihn beleidigt dreinblicken ließ.

„Oh, tut mir leid. Ich habe mich nur erschreckt.“

Entschuldigend sah ich ihn an und hoffte, dass er nicht wirklich beleidigt war.

Manchmal konnte er einen sehr überraschen und war schwer einzuschätzen. Am Anfang hatte er sich mir ablehnend gezeigt, doch nach unserem Streit war er eigentlich sehr freundlich mir gegenüber gewesen. Am Tag zuvor jedoch war er nett und hilfsbereit, aber auch nachdenklich und besonnen gewesen.

„Kein Problem. Dann habe ich mein Ziel ja erreicht.“

Ich lachte und drohte ihm mit erhobenem Zeigefinger, wie Esme es immer gemacht hatte, wenn Jasper, Emmett oder Jacob zu wild mit mir gespielt hatten und wir in die Nähe irgendwelcher antiken Gegenstände gekommen waren.

Ziemlich schnell waren wir bereit und machten uns auf den Weg meine Eltern anzurufen und sein Volk zu erkunden.

Schon kurz, nachdem wir seine Hütte verlassen hatten, hatte mein Handy wieder Netzempfang und ich konnte Edward anrufen. Ich erzählte ihm, dass ich Nahuel gefunden hatte und schon bald vorhatte nach Hause zurückzukommen.

Es war ein kurzes Gespräch und er schien wirklich erfreut, dass meine Suche von Erfolg gekrönt war.

Die nächsten beiden Tage waren dann voller Informationen, Kultur und Spaß. Er erklärte mir, dass die Araukarien, die hier so zahlreich vorkamen, die heiligen Bäume der Mapuche waren und zeigte mir die chilenische Wachsglocke, auch Copihue genannt. Eine Blume, deren Blüten wie lange Glocken nach unten hingen und die die Landespflanze Chiles darstellte.

Es gab lustig aussehende, kamelartige Tiere, die Vikunja hießen und wir bestiegen den Volcan Llaima, östlich von Temuco. Nahuel schaffte es sogar sich zu überwinden und mit mir in das Mapuchemuseum in Temuco zu gehen.

Abends kehrten wir immer in seine Hütte zurück und er erzählte mir Geschichten aus seinem Volk und erklärte mir Dinge, die wir im Museum gesehen hatten.

So war den Mapuche das Blau des Himmels heilig, ihr oberster Gott hieß Gvnechen und alle 4 Jahre wurde das große Ritual Gilhatun gefeiert, bei dem sogar die heiligen Pferde geschlachtet wurden und alle ihr Essen miteinander teilten.

Alleine die ganzen Bedeutungen, die seine kleine Hütte hatte, faszinierten mich.

Die Hüttenart hieß Ruka und der Fußboden war extra naturbelassen, um die Verbundenheit seines Volkes zur Erde zu demonstrieren. Die Türöffnung liegt immer in Richtung Osten und die Feuerstelle in der Mitte des Raumes soll heilende Kräfte inne haben.

Diese ganzen Informationen saugte ich auf, wie ein Schwamm, doch so begeistert ich auch von all dem war, so zog es mich nun doch nach Hause.

Nach einem weiteren Telefonat hatten meine Eltern für mich einen Flug gebucht, damit ich die ganze Strecke nicht wieder zurücklaufen musste. Sie meinten, ich hätte ihnen genug zugemutet und könnte ihnen diesen Gefallen doch tun.

Nahuel wirkte ein wenig niedergeschlagen, doch er war sehr nett und begleitete mich sogar bis zum Flughafen, wo ich noch eine dieser bunten Decken für Esme und einen kleinen Plüschaffen für Emmett kaufte.

Zum Abschied drückte er mir einen leichten Kuss auf die Wange, als mein Flug aufgerufen wurde und wir versprachen, uns gegenseitig wieder zu besuchen. Sein Abschiedsgeschenk, ein Ableger einer Copihue, musste ich leider am Zoll abgeben, doch ich beschloss mir in Forks eine neue zu kaufen, weil sie mir so gut gefiel.

Mein Flieger startete pünktlich und glücklicherweise war es ein Nachtflug, denn so konnte ich die ganzen 12 Stunden über schlafen und war ausgeruht, als mich am Flughafen in Seattle alle 8 Mitglieder meiner Vampirfamilie begrüßten.



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