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Dummgeschwätz und Peinlichkeiten

Bereichtern das Leben
von

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Yonathans peinliches Leben Teil X

Montagmorgen, Schule um halb acht, früh aufstehen.

Wer hatte das erfunden?

Ich ganz sicher nicht, sonst wäre ich nicht jeden Tag ein undefinierbares Wesen ohne Motivation, das selbst nach drei Tassen Kaffee, einer Schüssel Müsli und einer heimlichen Zigarette noch nicht ganz lebensfähig war.

Aber was tat man nicht alles dafür, um seinen Eltern zu zeigen, dass man doch nicht zu dumm fürs Abitur war, obwohl sie es einem seit Jahren einredeten; natürlich nur, um mir keinen Druck zu machen, falls ich das Gymnasium nicht schaffte.

Ach die sollten die Klappe halten, wenn mein Cousin Tino das Gymi locker packte, wäre das für mich sicher auch kein allzu großes Problem. Fast zumindest, aber wofür hatte man denn Freunde, die einem motivierend auf den Geist gingen, damit man sich anstrengte?

„Yona, wo ist mein verfickter Gameboy, Alter?“

„Weiß nicht.“ Mein Cousin war auch schon wach, konnte man nur schwer überhören. „Such ihn.“ Hoffentlich nahm mir der das ab, sonst durfte ich mir wieder auf den Weg zur Schule böse Blicke einfangen und das ging mir doch etwas auf die Nerven.

„Mach ich doch schon! Scheiße, wo ist der?“ So wie es klang, zerlegte Tino gerade das Zimmer, in dem er seit fünf Wochen wohnte, ohne Rücksicht auf Verluste und den Gedanken, dass meine Mutter der Schlag traf, wenn sie merkte, was für ein Chaoskind ihr Neffe eigentlich war. Naja, nicht mein Problem.

„Ist doch wayne, mach dich mal fertig.“ In ein paar Minuten mussten wir los, sonst tötete uns Henry und das war noch viel unangenehmer als die Straßenbahn zu verpassen. „Dein Toast wartet auf dich!“

„Scheiß auf den Toast, ich brauche meinen Gameboy!“

Meine Fresse, ich wusste, dass mein Cousin nicht ganz einfach war, aber seine komischen Suchten brachten mich manchmal an den Rand der Verzweiflung. Da musste er sich nicht wundern, warum ich das Teil öfter mal vor ihm versteckte, damit er nicht vergaß, dass es noch andere Dinge auf diesem Planeten gab außer Zocken, dabei Bonbons zu futtern und Leute zu ignorieren.

Schlecht gelaunt wegen der Abwesenheit seines Lieblingsklimperdings rauschte Tino in die Küche, aß den Toast in Rekordzeit auf, klaute mir meine Tasse und den Rest Kaffee darin und verschanzte sich dreist im Bad. Natürlich wusste er, wer ihm seine Suchtkiste geklaut hatte und deswegen ärgerte er mich jetzt, dabei musste ich dringend an den Spiegel und mich so herrichten, dass ich wie Yonathan und nicht wie sein untoter Zwillingsbruder aussah.

„Lass mich rein!“ Genervt klopfte ich gegen die Tür, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und trat einige Mal mit dem Fuß zu. Hoffentlich bekam das meine Mutter nicht mit, die regte sich sonst wieder künstlich auf und veranstaltete noch mehr Terror, als hier eigentlich schon herrschte.

„Nein, erst gibst du ihn mir wieder“, lautete die Erpressung und seufzend kramte ich das Elektroding aus meiner Schreibtischschublade und legte es vor die Badezimmertür.

Gut gemeint, war mal wieder zum Gegenteil von gut gemacht mutiert, aber das passierte mir bei Tino dauernd, seitdem er hier war und ich mich für ihn irgendwie verantwortlich fühlte, obwohl ich ja selbst nicht mal mein eigenes unspektakuläres Leben so auf die Reihe brachte, wie ich es gerne hätte.

Tinos Eltern hatten sich vor einigen Wochen getrennt – ob mans glaubte oder nicht, aber Tino hatte kein Problem damit gehabt – und ihren Sohn deshalb vor die Wahl gestellt, bei wem er nun wohnen wollte.

Dass Tino sofort forderte, bei uns einzuziehen, damit hätten sie wohl nie gerechnet, aber wenn man schon so dumm fragt, durfte man ja auch nicht gerade Begeisterung von seinem Kind erwarten. Außerdem fand Tino es so schön gerecht, da konnte sich keiner aufregen, dass er benachteiligt wurde.

Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, ein misstrauisches Tinoauge spähte hervor und als es entdeckte, was vor ihm auf der Schwelle lag, stürzte er sich beinahe darauf und räumte für mich das Feld.

Hallelujah, jetzt konnte ich endlich rein und so lange dort drin verbringen, bis Henry mich persönlich herauszerrte und ein Theater ohne Vergleich anzettelte. Warum wurde ich immer von unglaublich speziellen Menschen umzingelt?

Während ich wenig begeistert meine Haare verfluchte und gleichzeitig versuchte, mit Zahnbürste und Kamm zu hantieren, klingelte es unten im Flur an der Haustür. Das konnte nur Henry sein, der Kerl kam pünktlicher als jeder Lehrer unserer Schule; ich fragte mich bis heute, wie mein bester Freund das schaffte. Bei mir hatte das in 18 Jahren noch kein einziges Mal funktioniert, soweit ich das mitbekommen hatte.

„Tino, mach mal auf“, rief ich durch das halbe Haus; hoffentlich verstand der mich überhaupt, Sprechen mit Zahnbürste im Mund gehörte nicht zu meinen Talenten, vor allem nicht morgens um Viertel vor sieben, wenn ich am liebsten noch auf meiner Matratze gepennt und von nicht unbedingt jugendfreien Sachen geträumt hätte.

„Mach selbst, Alter!“, schallte es nett zurück, gefolgt von einem lauten Fluchen, weil der Kerl anscheinend meinetwegen eine Sekunde nicht aufgepasst und deswegen ein weltbewegendes Leben in seinem komischen Spiel verloren hatte.

Sollte ich deswegen eine Trauerstunde einlegen?

Am liebsten hätte ich ihn angepflaumt, dass ich in meinem Haus meine eigenen Regeln aufstellte, aber erstens gehörte das Haus immer noch meinen Eltern und zweitens hätte das Henry auch nicht in den Flur gebeamt. Musste ich wohl ran.

Weil das Klingeln inzwischen ziemlich aggressiv geworden war und ich mir schon vorstellen konnte, wie angekotzt Henry von einer sich nicht öffnenden Haustür war, beendete ich meine 'Schönheitspflege' etwas früher als mir lieb gewesen wäre, lief eilig nach unten – dass ich dabei fast die letzte Treppenstufe ignorierte und hinflog, war ja wieder mal klar gewesen – und ließ Henry herein, der mir nur ein bedrohliches 'Morgen, Lahmarsch' entgegen knurrte.

Was konnte ich dafür, wenn er immer zu früh hier antanzte und sich aufregte, weil er keine Beachtung bekam?

„Wo ist Tino?“ Eigentlich brauchte er die Frage nicht zu stellen, da er es sowieso schon ahnte. „Der soll sich beeilen, sonst gehen wir ohne ihn.“

„Jetzt mach doch mal keine Hektik, Henry, wir haben Zeit.“ Zwar nicht so viel, wie ich gerne hätte, da die Straßenbahn uns nicht so besonders fand, dass sie nur auf uns wartete, aber so wie er jeden Morgen Panik verbreitete, musste es auch nicht immer ablaufen.

„Tino, beweg deinen Arsch, wir müssen!“ Und ich sollte vielleicht noch meinen Ordner mit meinen Blättern mitnehmen, sonst fanden meine netten Lehrer wieder unzählige Gründe, mich, ihr potentielles Lieblingsopfer, zur Schnecke zu machen.

„Alter, gleich, ich muss nur noch die Prinzessin retten!“

„Die Tussi rennt dir nicht weg, wir schon“, konterte Henry gereizt. „ich komm gleich hoch, nehm dir den Kasten ab und werf ihn in den nächsten Gartenteich, wenn du nicht kommst.“

„Mann ey, du nervst.“ Allerdings hatte diese Drohung Erfolg, denn Tino war innerhalb von nicht mal einer Minute bereit zum Abflug; Henry war wirklich ein Meister der Manipulation, irgendwann sollte er mir mal Nachhilfe darin geben, damit mir Tino nicht dauernd auf der Nase herumtanzte.

Zu dritt gingen wir erst drei Straßen bis zur Haltestelle, von der wir fünf Stationen fahren mussten, bis sich unsere Wege trennten, da Tino auf ein anderes Gymnasium als wir ging. Warum das nötig war, hatte ich bis heute nicht begriffen, aber seine Eltern fühlten sich wohl zu speziell, um ihn auf ein normales Gymnasium zu schicken, musste unbedingt irgendwas privates sein, worein man schön viel Geld, das man eigentlich nicht hatte, investieren konnte.

Dass auf die Schule dann auch nur Kerle gehen durften, fanden seine Eltern einen praktischen Nebeneffekt, da sie sowieso irgendwo in der Steinzeit lebten und meinten, ihr Sohn brauchte keine Freundin bis zu seinem 20 Lebensjahr.

Ja, ist klar, als ob es außerhalb der Schule auch keine weiblichen Wesen gab; mein Onkel und seine Frau hatten wirklich einen Vogel – oder eher zwei –, kein Wunder, dass Tino sich ständig über sie kaputt lachte.

Mit etwas Verspätung blieb die Bahn vor uns stehen und Henry schubste uns rein, damit wir unseren Stammplatz bekamen und uns den nicht schon wieder jemand wegschnappte. Was brauchte ein einzelner Rentner auch bitte vier Plätze für sich? Und dann war die Jugend von heute dreist, na danke.

Zum Glück kam heute niemand auf diese tolle Idee, sodass wir uns so wie immer hinsetzen konnten – Tino mir gegenüber und Henry tauschte alle fünf Sekunden den Platz, weil er sowieso nie stillsitzen konnte – und für die nächsten zwanzig Minuten nichts Richtiges zu tun hatten. Oder zumindest ich nichts.

Tino hämmerte auf seinen Gameboy ein, als bekäme er Geld dafür und aus seinen Kopfhörern dröhnte seltsame Musik, die er wie immer viel zu laut eingestellt hatte, irgendwelches Gedüdel, das eigentlich wie seine Gameboymusik klang, nur noch viel aggressiver und nerviger. Ich hatte immer noch nicht verstanden, wie er sich so was rund um die Uhr antun konnte.

Henry hörte auch Musik – irgendwas japanisches, aber ich konnte die nicht auseinander halten, war sowieso alles gleich – und tippte in Rekordzeit SMS an Leute aus unserer Klasse, um zu erfahren, welche Hausaufgaben er vielleicht noch erledigen sollte. Ob er sie dann auch machte, war wieder eine andere Geschichte.

Ich hatte wie gesagt nichts zu tun. Lesen konnte ich in der Straßenbahn nicht, davon wurde mir schlecht, außerdem fand ich Bücher zum Sterben langweilig; meinen iPod hatte ich verlegt und fand ihn nicht mehr, wahrscheinlich musste ich mir einen neuen kaufen; für Schlafen war es hier zu unbequem und der Kaffee hatte inzwischen seine Wirkung entfaltet, also fiel das genauso weg.

Na super, vielleicht unterhielt sich Henry etwas mit mir und erzählte mir die neusten Dinge vom Wochenende, die ich wieder mal nicht mitbekommen hatte, weil weshalb auch immer, ich wusste es selbst nicht so genau.

Ich stieß Henry in die Seite, er sah von seinem Bildschirm auf, wollte gerade den Mund aufmachen, fing stattdessen aber böse zu grinsen an. „Yona, dein Fan.“

Oh nein, bitte nicht, nicht heute, wo ich sowieso schon dumm aussah wegen Henrys frühem Auftauchen.

„Na und?“, zischte ich Henry leise zu. „Wenn du jetzt immer deswegen nervst, kannst du morgens ab jetzt immer alleine Bahn fahren.“ Denn der liebe Tino sollte nicht unbedingt etwas davon mitbekommen, auch wenn er so vertieft ins Prinzessinenretten war, dass ihm sein Real Live sicher am Arsch vorbei ging.

„Ich wollte dich nur auf ihn aufmerksam machen“, erklärte mir Henry und startete wieder eine Attacke auf die nächste Person in seinem Handyspeicher.

Unauffällig beobachtete ich die Person, wegen der Henry gerade so ein Theater veranstaltet hatte; ein Typ, ungefähr in unserem Alter, komplett in schwarz angezogen, der sich auf einem Zweier auf der anderen Seite der Bahn ausbreitete und gar nicht mitbekam, dass er soeben Thema Nummer eins bei uns gewesen war, auch wenn nur für eine halbe Minute.

Wie er hieß, wo er genau hinfuhr und andere wichtige Dinge wusste ich leider nicht; nur, dass er assozial gut aussah und wenn ich das über einen Kerl sagte, dann musste das auch was zu bedeuten haben.

Aber daran war Henry schuld, eigentlich war der Junge an so ungefähr allem möglichem schuld, hatte ich manchmal das Gefühl.

Er war der festen Überzeugung, dass jeder Mensch bi war und hatte mir das so lange eingeredet, bis ich irgendwann nicht mehr wusste, ob das bei mir nun auch zutraf oder vielleicht doch nicht.

Er hatte mich auch auf Typ ohne Namen aufmerksam gemacht, mich zu einem Urteil über ihn gezwungen und mir jeden Tag in den Ohren gelegen, wie es wohl wäre, wenn das schwarze Etwas und ich uns näher kennen lernen würden und so weiter.

Und seitdem konnte ich nicht mehr anders, als ihn die ganze Zeit zu beobachten, obwohl ich das absolut peinlich und niveaulos fand.

Dass Tino daneben saß und nichts davon mitbekommen sollte, machte die Angelegenheit nicht gerade einfacher. Manchmal hätte ich Henry wirklich am liebsten für sein Talent, Leute seinen Willen aufzudrängen, zur Sonne geschossen, aber dann fiel mir wieder ein, wie langweilig ohne ihn die Schule doch war und dass er seit unserem ersten Schultag an mir klebte, und schon änderte ich meine Meinung.

Schrecklich, die Sache; schrecklich gestört für mich, schrecklich lustig für Henry, es freut ihn jedes Mal, wenn ich so allergisch darauf reagierte, wenn er den Typ aus der Straßenbahn erwähnte.

Derjenige hatte wie immer beide Sitze für sich beschlagnahmt, sodass er auf einem saß und auf dem anderen seine Füße abstellte, den Kopf hatte er gegen die Scheibe gelehnt. Besonders bequem sah das nicht aus, aber wenn er meinte, so besser lesen zu können, sollte er das ruhig machen. Von hier aus konnte ich allerdings nicht erkennen, was auf dem Einband stand, dafür bräuchte ich schon ein Fernglas und so auffällig wollte ich mich jetzt auch nicht verhalten, das wäre sogar Henry etwas zu viel geworden.

„Willst du ihn nicht mal ansprechen?“, fragte mich Henry leise, aber laut genug, damit die Leute hinter uns auch noch hören konnten. Na danke. „Oder willst du bis in alle Ewigkeit nur dumm gucken und warten, dass er mal die Klappe aufmacht?“

„Lass mich.“ Ich wollte nicht darüber reden, merkte er das nicht? Sollte ich es mir auf mein T-Shirt drucken lassen, Keine Gespräche über geile Typen aus der Bahn, wie sah das denn aus?

„Okay, wenn du nicht willst, dann angel ich ihn mir halt“, meinte Henry frech, steckte sein Handy weg und stand auf. „Vielleicht steht er nicht auf kleine verpeilte Skater wie dich, ich kann ihn ja mal fragen.“

„Henry, hör auf mit dem Mist.“ Verdammt, das konnte nur peinlich enden, besonders für mich, Henry kannte nur selten Gnade und am allerwenigsten für mich. Wie sollte ich mich denn bitte in der Öffentlichkeit weiterhin zeigen, wenn mein bester Kumpel mir so etwas Affiges antat? Vielleicht tauschte ich mit Tino und lebte dann bei seinen Spießereltern, da kannte mich zum Glück keiner in der Umgebung.

Ich wollte Henry am Arm packen und zurück ziehen, aber er entwischte mir geschickt, schlängelte sich an ein paar Leuten vorbei, bis er neben dem Typen stand und ihn anquatschte.

Nein, der Weltuntergang stand bevor, ich konnte das nicht zulassen, aber andererseits wäre es genauso schlimm, jetzt dort hinzurennen, Henry anzuschreien und mit ihm abzuhauen. Da tat ich lieber cool und spielte vor, nur ganz zufällig mit diesem Irren auf einem Vierer zu sitzen. Etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig, wenn ich meinen nicht vorhandenen Ruf nicht so weit ins negative abrutschen ließ, dass ich selbst mit Papiertüte auf dem Kopf und Schal ums Gesicht mich nicht mehr sicher fühlte.

Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis sich ein fröhlich grinsender Henry sich neben mich fallen ließ und sich offensichtlich selbst feierte. Idiot.

„Du bist doch bescheuert“, motzte ich ihn an und musste mich zusammen reißen, um ihm nicht zu Kleinholz zu verarbeiten. Hätte ich sowieso nicht geschafft, Henry konnte sich gut verteidigen, was auch bei seiner großen Klappe sehr wichtig war.

„Du glaubst doch nicht etwa, ich bin zu dem hin und hätte gesagt: Ey Alter, da hinten ist einer, der findet dich geil und will was von dir. So blöd bin ich auch nicht, da kann man es ja gleich sein lassen.“ Entsetzt über meine Vermutung schüttelte Henry den Kopf. „Ich hab einfach nur etwas mit ihm geredet, damit man überhaupt weiß, mit wem man es zu tun hat.“

„Und, was hat er gesagt?“ Wenn Henry schon mal solche Informationen gesammelt hatte, wollte ich das auch gefälligst erfahren, selbst wenn es mein Leben kein bisschen beeinflusste, ob ich jetzt wusste, wie der Kerl hieß oder nicht.

„Viel.“ Henry hatte schon wieder sein Handy in der Hand und spielte eins von diesen unsinnigen Spielen, die kein Mensch brauchte. „Kannst ihn ja selbst fragen, wenn du es wissen willst. Ich hab ihn mal vorgewarnt, dass da noch einer kommen und ihn bei seinem netten Buch stören könnte.“

„Henry, ich hasse dich“, murmelte ich leise. Warum beförderte er mich in so eine dumme Zwickmühle? Einerseits fand ich es unterirdisch peinlich, jetzt da hin zu dackeln und ihn auszuquetschen, zum Schluss vermutete er noch, dass ich möglicherweise Interesse an ihm hatte, andererseits nervte mich meine Neugier, weil ich eigentlich doch unbedingt etwas mehr über ihn erfahren wollte und die Gelegenheit direkt vor meiner Nase Tango tanzte.

Wenn ich mir das entgehen ließ, wäre ich noch in einer Woche sauer auf mich.

„Los, jetzt geh, Yona, sonst müssen wir aussteigen und die Sache hat sich erledigt, er geht nämlich nicht auf unsere Schule.“

Etwas unsicher machte ich mich auf den Weg zu Mister Unbekannt und blieb etwas von ihm entfernt stehen. Inzwischen hatte er sich schon wieder in sein Buch vertieft und bekam kaum noch etwas von seiner Umgebung mit. Vielleicht hatte ich doch zu lange gewartet, dumm gelaufen.

Außerdem verriet mir mein Bild in der Fensterspiegelung, wie nicht beeindruckend ich heute Morgen aussah und das förderte nicht gerade mein Selbstbewusstsein, so wie meine Haare unordentlich abstanden und meine Haut wohl die weißen Tapeten in der Schule imitieren wollte.

Wie war das noch mal, Kerle fanden sich selbst immer attraktiv? Was war ich dann für eine blöde Ausnahme und warum passierte das ausgerechnet heute? Sollte ich vielleicht ganz unauffällig zu Henry zurückschleichen und so tun, als wäre nichts gewesen?

„Bist du der Freund, von dem dieser Henry gerade geredet hat?“

Okay, mein Plan hatte sich soeben in Luft aufgelöst und meine Nerven bemitleideten sich gerade selbst. Hätte ich mich nicht schneller vom Acker machen können?

Weil mir keine supercoole Antwort darauf einfiel, nickte ich etwas verplant und überlegte, wie ich das Risiko, mich vollkommen zu blamieren, so niedrig wie möglich halten konnte.

„Ich bin Nevin.“ Sein Blick schien mich fast zu durchlöchern, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, weil ich so nervös war und am liebsten geflüchtet wäre. Mit Henry hatte ich definitiv noch ein Hühnchen zu rupfen.

„Yonathan, mit Y.“ Extravaganz lag in unserer Familie, eindeutig. Aber Nevin konnte auch nicht unbedingt von einem alltäglichen Namen reden, das machte die Sache schon fast wieder lustig.

„Warum seid ihr heute eigentlich so in Plauderstimmung, hab ich was verpasst?“ Das schien Nevin am meistens zu interessieren, statt mich über irgendetwas aus meinem Privatleben auszufragen. Fing ja schon ganz super an.

„Äh, nein, uns war nur langweilig... und wir dachten, vielleicht willst du mit uns reden.“ Im Ausreden finden war ich schon immer mies gewesen und das merkte man auch, wenn man mich erst vor einer halben Minute zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatte, ansonsten hätte ich an Nevins Verstand gezweifelt.

Uns ist langweilig, deshalb belästigen wir uns unbekannte Mitreisende, wie logisch musste sich das denn anhören? Das war ja lachhaft, Henry würde sich nicht mehr einbekommen, wenn er das irgendwann erfuhr, wie ich mich aus der Angelegenheit retten wollte.

Nevin sah wirklich nicht so aus, als glaubte er mir aufs Wort, aber anscheinend wollte er nicht noch länger deswegen nachforschen, sondern wechselte das Thema blitzartig auf ein etwas leichteres Gebiet. „Und ihr geht alle auf dieselbe Schule, die am Hauptbahnhof?“

„Nein, nur Henry und ich, Tino geht auf diese komische Jungenschule, die Leute sollen da ziemlich merkwürdig sein.“ Hatte zumindest Tino erzählt und wenn der schon jemanden als nicht ganz normal bezeichnete, hatte das schon was zu bedeuten.

„Interessant, ich fühl mich aber ganz normal, obwohl ich da seit neun Jahren hingehe.“

Nein, Eigentor, ich hätte es ahnen müssen, so was passierte immer genau dann, wenn man es nicht brauchte. Yonathan trat ins Fettnäpfchen Teil einhundert, langsam gewöhnte ich mich schon dran, deswegen wurde ich zum Glück nicht rot wie ein Ampelmännchen. Denn dann wäre das Ganze doppelt so schlimm geworden.

Nevin grinste mich an, weil er wohl spürte, wie unangenehm mir die Sache war. Fand er das auch noch witzig? Oh Mann ey, ich wollte weg, mich in einem Loch vergraben und Henry aus Rache solange mit Erde bewerfen, bis er tot umfiel.

Vielleicht war der kleine Black Nevin in Wirklichkeit einer von diesem Jungs, die hammer geil aussahen und dann den Charakter einer Venusfliegenfalle und die Sympathie eines Schwarms Hornissen besaßen. Und der absolute Verpeilerkönig Yonathan der Doofe fiel auch sofort darauf rein, weil er einfach etwas oberflächlicher als seine Freunde war.

Aber ganz ehrlich, wer behauptete, kein Stückchen nach dem Aussehen zu gehen, der log doch, dass der Eifelturm sich zu einem Halbkreis bog.

„Naja, irgendwann gewöhnt man sich dran, dass die Leute wegen der Schule Vorurteile haben“, fing Nevin plötzlich an, „die meisten denken sofort, alle Schüler müssen ausnahmslos schwul sein, glauben nicht, dass wir auch weibliche Lehrer haben und halten uns alle für völlig unfähig im Umgang mit Frauen. Da ist es ja fast noch ein Kompliment, nur merkwürdig zu sein. Findest du nicht auch?“

„Äh, klar.“ Hilfe, Henry komm und rette mich, ich machte mich hier zum Deppen der Nation und verspielte gerade meine letzte Chance, von Nevin auch noch ein einziges Mal ernst genommen zu werden. „Was liest du da?“

Hauptsache, weg vom Thema Schule und Vorurteilen, selbst wenn mir Bücher am Arsch vorbei gingen, aber in diesem Fall musste ich da durch.

Er klappte das Büchlein zu und hielt es mir unter die Nase. Irgendetwas von Kafka.

„Kennst dus?“

Natürlich nicht, ich las nur dann, wenn man mich zwang oder wenn meine Schulnote davon abhing, und solches intellektuelle Zeug mied ich wie Henry den Sportunterricht. Damit konnte ich gar nichts anfangen.

„Nee.“ Und außer durch die Zusammenfassung auf Wikipedia würde sich daran auch nichts ändern. „Ist das für die Schule?“

„Nein, ich wollte es schon immer mal lesen. Ist merkwürdig, oder?“

Oh Mann, musste er jetzt solche Andeutungen machen? Ich fühlte mich sowieso schon doof, unwissend und wie ein Vollidiot ohne Gehirn. Warum trieb Nevin das jetzt auch noch auf die Spitze?

Vielleicht hatte Henry ihn dafür bestochen, um mir es heimzuzahlen, dass ich in den letzten Wochen mindestens einmal verschlafen hatte und wir deshalb jedes Mal fast zu spät in die Schule gekommen waren.

„Was liest du normalerweise?“

„Ähm, nichts.“ Dass ich mir höchstens mal von Henry einen Manga auslieh, erwähnte ich lieber nicht, die meistens Menschen interpretierten daraus irgendwelche Dinge, die ich mir nicht dauernd anhören wollte, deswegen kehrte ich das immer schön unter den Teppich und ließ mir von Henry den nächsten Manga in die Hand drücken.

„Ach so.“ Nevin schien mein mangelndes Interesse an vielen Blättern mit kleinen Buchstaben nicht sofort mit Unbildung zu assoziierte, zumindest deutete ich das aus seinem Blick.

Meine Nerven, die Situation war so schlimm, die Leute um uns herum reagierten schon ganz seltsam auf uns, bestimmten merkten die, wie ungeplant das hier ablief.

„Naja, ich mags halt nicht so.“ Und schon wieder schlug ich mit grottigen Ausreden um mich, die noch unprofessioneller wirkte als die letzte. Wahrscheinlich veranstaltete Nevin schon insgeheim eine Runde Fremdschämen, weil ich mich so hohl anstellte.

Wir schwiegen uns einige Zeit an; mir fiel kein gutes Thema ein, das vielleicht nicht ganz so viele Fehltritte für mich parat hatte, und er wartete wohl, dass ich den Schnabel aufbekam und noch etwas vor mich hin plauderte.

„Was hörst du?“

„Musik.“

„Welche?“

Er drückte mir seinen Ohrstöpsel in die Hand und vorsichtig hielt ich ihn mir ans Ohr. Wer wusste, was mir gleich entgegen düdelte, vielleicht Mozart oder Heino, nur um mich zu ärgern.

Ich lag meilenweit daneben, aber das machte den Krach, der mir entgegenschlug, nicht gerade sympathischer, da es sich verdächtig nach Sido oder ähnlich klingenden Musikern – für mich zählte das zwar eher unter Lärmbelästigung, aber egal – anhörte, die mich so was von gar nicht ansprachen.

Aber was mich am meisten wunderte: Warum zum Henker hörte sich der Kerl das an? Sah aus wie ein Emo, las Kafka und ließ sich dabei von deutschem Rap berieseln. Der Kerl machte mir Angst.

„Nicht dein Fall, kann das sein?“ Wieso blieb ihm auch nichts verborgen? Das gruselte mich langsam wirklich. „Man muss es nicht immer hören, aber ab und zu ist es in Ordnung. Du hast bestimmt gedacht, ich mag Screamo oder so, stimmts?“

Auf jeden Fall mochten das die Leute, die sonst so rumliefen wie er; aber Nevin schien es ja Spaß zu machen, Menschen und besonders mich zu verwirren.

„Ist nicht so mein Ding, ich mags nicht, wenn es man das Gefühl hat, der Sänger kratzt einem unter der Nase ab.“ Vorsichtig entwendete er mir wieder seinen Ohrstöpsel und setzte ihn an seinen eigentlichen Platz.

„Okay, interessant.“ Mir fiel endgültig kein oskarreifer Kommentar mehr ein und ich zwang ein freundliches Lächeln auf mein Gesicht, obwohl ich innerlich mit dem Kopf gegen eine nicht existierende Wand hämmerte, weil alles von Anfang an so scheiße verlaufen war. Nevin würde nie wieder ein Wort mit mir reden, außer Henry hypnotisierte ihn mit seiner unnachahmlichen Art und befahl ihn, mich zu mögen.

Nevin erzählte noch etwas, von dem ich nur etwas verstand wie „ich bin kein laufendes Klischee“ und „im Niveau flexibel“, aber ich hatte mich im Geist schon von ihm verabschiedet und wartete auf eine Pause von ihm, damit ich endlich flüchten und mich bei Henry verkriechen konnte.

„Ich muss dann mal gehen, wir steigen gleich aus“, versuchte ich mich zu verabschieden, „bis irgendwann mal.“ Ich grinste ihn an, was aber wohl eher wirkte, als wollte ich ihn spontan fressen, und gelangte in Rekordzeit zu meinem Platz, bei dem Henry und Tino immer noch saßen und ihren üblichen Tätigkeiten nachgingen. Die hatte mich sicher keine Sekunde vermisst, die kleinen Bekloppten.

„Und, wie hats geklappt?“, fragte Henry mich zuversichtlich und konnte nur dumm schauen, als ich ihn an den Schultern packte und heftig durchschüttelte. „Nicht gut?“

„Nie wieder“, fauchte ich leise, damit ich nicht zum zweiten Mal an einem Tag die Aufmerksamkeit von meiner Umgebung auf mich zog. „Ich hab mich bis auf die Knochen blamiert. Hast du den bezahlt, damit er mich von einer Peinlichkeit in die nächste laufen lässt?“

„Natürlich nicht, dafür ist mir mein Geld zu schade“, brummt er eingeschnappt und drückte mich auf den Sitz neben sich. „Also, was ist passiert?“

„Alles, was scheiße laufen kann.“ Seufzend sah ich kurz aus dem Fenster, um zu checken, wie lange ich noch hier in der Straßenbahn des Horrors festsaß. Dann berichtete ich Henry kurz von dem Desaster, das ich bis eben erlebt hatte.

Wie ich erwartet hatte, lachte er mich gnadenlos aus und bekam sich auch nicht ein, als ich ihm hart den Ellbogen in die Seite rammte.

„Oh, arme Yona, deine Unfähigkeit tut mir leid.“ Schneller als ich reagieren konnte pflanzte sich Henry mit seinen knapp siebzig Kilo auf meinen Schoß und grinste mich mit seiner typischen Henry-schleimt-sich-ein-Miene an. „Aber Nevin wird dich trotzdem immer lieben.“

„Hör auf mit der Scheiße.“ Ich wollte nicht, dass er solchen Blödsinn schwätze und hätte ihn am liebsten von mir runter auf Tino geschubst, aber erstens klammerte er sich so stark an mir fest, dass ich ihn höchstens mit einem Brecheisen wegbekommen hätte, und zweitens brauchte ich jetzt ein bisschen Bestätigung und die bekam ich dann immer von Henry.

Das war schon immer so gewesen und würde sich wohl so bald auch nicht ändern, auch wenn es auf andere Leute ziemlich befremdlich wirkte, wenn zwei fast erwachsene Kerle so nah aufeinander hockten. Aber Gewohnheiten ließen sich so schlecht abstellen.

„Ey, müsst ihr wieder rummachen?“, knurrte Tino genervt, dem es immer missfiel, wenn Henry so auf mich fixiert war, obwohl er wusste, dass wir nur beste Freunde waren, aber ihm war es einfach peinlich, wenn wir das in der Öffentlichkeit praktizierten. Denn Leute glaubten dann oft, wir wären zusammen und das brachte gerne Missverständnisse mit sich. So hatte Henry schon erfolgreich aufdringliche Mädchen abgewimmelt.

„Kannst ja mitmachen“, bot Henry an, nachdem er sich wieder von mir gelöst und sich zum Aussteigen bereit gemacht hatte.

„Nee, lass mal, Alter, ist mir zu schwul.“ Da begann er lieber eine Beziehung mit seinem Gameboy.

„Passt doch zu dir.“ Henry schnappte ihm den Gameboy aus der Hand und flüchtete nach draußen auf die Straße, gefolgt von einem wütenden Tino, der ihm nachrief, dass er den Spielstand noch speichern müsste und Henry töten würde, falls er eine falsche Taste drückte.

Die hatten Probleme, die hätte ich auch gerne.
 

Den ganzen Tag war ich total unkonzentriert, da mir immer noch der Vorfall mit Nevin im Kopf herum spukte, weshalb ich fast den falschen Weg in die Schule nahm, den halben Unterricht lang döste und Henry konsequent ignorierte.

Insgeheim hoffte ich, Nevin nie wieder über den Weg laufen zu müssen, um mich nicht noch mal vor ihm zum Depp vom Dienst zu machen.

„Mann, Yona, jetzt mach doch nicht so ein Drama draus, er wird dich schon nicht auslachen, wenn er dich noch mal sieht“, probierte mich Henry zu beruhigen und legte mir einen Arm um die Schulter, den ich gleich wieder entfernte.

„Du hast mich auch ausgelacht. Und ich mach so viel Drama, wie ich will.“ Meine Nerven, ich durfte auch mal leiden, nicht nur er, falls wieder eine von seinen Tussis ihm abgesprungen war.

„Aber ich kenn dich dein halbes Leben lang, ich darf das.“ Tolles Argument, das machte mich natürlich richtig glücklich.

Zuhause hing ich geistig nicht anwesend vor der Glotze, plante meinen Umzug an den Nordpol und hörte neben mir auf dem Sessel Tino seinen Gameboy umbringen und mit Bonbonpapier rascheln.

Meine Mutter wunderte sich, wieso ich nicht wie sonst draußen skatete oder mit Henry etwas unternahm sondern das Fernsehprogramm bis zum Umfallen testete, aber sie sprach mich nicht darauf an. Sie wusste, dass ich mit ihr nicht so gerne über meine Probleme redete, wofür hatte ich denn sonst meine Freunde?

„Was hattet ihr heute in der Bahn für komische Probleme?“, fragte Tino plötzlich, während ich gerade überlegte, ob ich mir Talkshow A oder B antun sollte.

„Hm, was meinst du?“ Eigentlich wollte ich darüber nicht mit Tino quasseln, vor allem nicht über heute Morgen, aber wie konnte ich ihn am schnellsten zum Schweigen bringen? Höchstens mit einer Riesenpackung seiner Lieblingsbonbons und die hatte ich gerade nicht zur Hand.

„Tu nicht so, Henry ist wieder wie ein Kleinkind auf dir rungeturnt, das bedeutet, dass wieder irgendwas passiert ist“, seufzte Tino genervt und maulte, als ihm ein Tierchen, das er eigentlich gebraucht hätte, vor der Nase entwischte.

„Ach, nichts besonderes.“ Nevin hielt mich nur für einen kranken Irren und Henry mich für eine Witzfigur, die nichts auf die Reihe bekam, aber sonst ging es mir gut.

„Okay, wenn du nicht mit mir reden willst, kann ich auch nichts tun.“ Seine Finger angelten ein Bonbon aus seiner Hosentasche. „Ach ja, wenn du so verzweifelt bist, dass du nicht mehr mit uns Bahn fahren willst, nimm doch dein Rad, bist ja so sportlich.“

Im ersten Moment fand ich den Gedanken bescheuert, weil ich dadurch noch früher aufstehen müsste, aber nach kurzer Überlegung hätte ich Tino am liebsten als Genie bezeichnet – tat ich natürlich nicht, sonst bildete er sich noch etwas darauf ein – und nahm mir vor, in den nächsten Tagen wirklich mit dem Fahrrad in die Schule zu fahren, um die Bahn und damit Nevin zu meiden.

Ich musste also doch nicht meine Identität ändern!
 

Es war schon seltsam, sich morgens noch zombiemäßiger zu fühlen, am Frühstückstisch fast einzuschlafen und ohne meine zwei Dauerbegleiter in die Schule zu kommen. Außerdem rockte es nicht gerade, nach einem anstrengenden Tag noch völlig kaputt mit dem Rad nach hause zu kurven, aber was tat man nicht alles, um unangenehmen Situationen zu entgehen?

Tino ließ sich nichts anmerken, fühlte sich aber sehr stolz, mir einen guten Vorschlag gemacht zu haben, Henry fand es schade, mir nicht mehr früh am Morgen auf den Wecker gehen zu können und meine Eltern fragten mich natürlich, ob ich Streit mit Henry hatte.

Nach drei Tagen hatte ich den Fall Straßenbahn schon so weit verdrängt, dass ich nicht beim bloßen Gedanken daran im Boden versinken wollte und beschloss, nächste Woche mein Projekt Sport-vor-der-Schule einzustellen und mich wieder mit Henry zu fetzen.

Umso überraschter war ich, als am späten Nachmittag jemand mich aus meinem Mittagsschlaf riss – normalerweise tat ich das nicht, aber ich wollte pennen –, ich zur Tür eilte und plötzlich einem schwarzen Etwas gegenüberstand.

Schock am Mittag.

„Nevin?“ Vielleicht ein Fake, der mich reinlegen wollte. Karneval mal etwas früher.

„Nein, seine große Schwester.“ Er grinste mich an. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen.“

Wtf? Woher hatte der meine Adresse und für was wollte er sich entschuldigen? In welchem Paralleluniversum saß ich fest? Und was hatte Nevin damit zu tun?

Meinen Hä-Blick konnte man gar nicht übersehen, da musste sich Nevin angesprochen fühlen und mir eine Erklärung liefern.

„Naja, dass ich mich in der Bahn nicht etwas... normaler benommen habe. Sorry, aber dein Gesichtsausdruck ist echt von Sekunde zu Sekunde genialer geworden, da konnte ich nicht mehr aufhören.“ Er strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du bist doch nicht sauer deswegen, oder? War echt nicht böse gemeint, ich bin halt manchmal so.“

„Kein Problem“, brachte ich wenig überzeugend heraus. „Woher weißt du, wo ich wohne?“

„Dein Kumpel, dieser verrückte Henry – wie hältst du es mit dem aus? – hat sie mir gegeben. Wir haben in den letzten Tagen, als du nicht da warst, öfter mal etwas miteinander gequatscht und er meinte, du wärst meinetwegen schwer traumatisiert.“

Am liebsten hätte ich Henry den Hals umgedreht, ich war keine pingelige Dramaqueen, verdammt! „Der kann was erleben.“ Mein Skateboard würde gerne mal die Festigkeit seines Hohlkopfs testen.

„Das befürchte ich auch.“ Nevins Grinsen verschwand langsam und er zupfte etwas nervös an seiner Umhängetasche herum. „Ich dachte... zur Wiedergutmachung, hast du Morgen Nachmittag Zeit?“

Moment, was lief denn jetzt? Spielte mir meine Wahrnehmung einen Streich oder fragte mich wirklich der geilste Typ aus der Bahn, ob ich Zeit hatte? Für ihn? Gruselig.

„Äh, klar, natürlich.“ Eigentlich hatte ich mit Henry vorgehabt, ins Kino zu gehen, aber er hätte mir die Freundschaft gekündigt, wenn ich mir seinetwegen ein Treffen mit Nevin entgehen lassen würde.

„Gut, das freut mich.“ Man merkte es kaum, aber Nevin schien erleichtert, dass ich so positiv auf den Vorschlag reagierte. „Dann hol ich dich morgen ab.“

„Ja, äh, cool.“ Ich hatte es immer noch nicht drauf, kurze und aussagekräftige Antworten zu äußern, das musste ich noch trainieren.

„Dann bis morgen, Yonathan.“ Nevin zwinkerte mir vielsagend zu und ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, tat es aber nicht, das hob ich mir für Morgen auf, falls der passende Augenblick vorbeikam und winkte.

Scheiße, Mann, ich war noch nie so glücklich gewesen, so dummes Zeug reden zu können.

Und an allem war wieder mal Henry Schuld.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  dunkelbunt
2010-08-21T21:50:28+00:00 21.08.2010 23:50
Hallöchen! :D

Gratulation zum vierten Platz unseres Wettbewerbs. :)

Dummgeschwätz und Peinlichkeiten bereichern das Leben tatsächlich, vor allem in Form einer solchen Geschichte.

Du hast einen erfrischenden und amüsanten Schreibstil.
Die Geschichte gefällt uns, da sie sarkastisch, peinlich, humorvoll und witzig geschrieben ist.
Schön dass du an unserem Wettbewerb teilgenommen hast. :3


Weiter so! :o

LG

doof und doffer
Von:  Wanda_Maximoff
2010-08-13T18:59:54+00:00 13.08.2010 20:59
Dein Schreibstil ist einfach klasse und die Geschichte ist sehr schön geschrieben und total humorig (ich glaube, humorig ist gar kein richtiges Wort, oder? Äh, ich schweife ab...). Jedenfalls musste ich sehr, sehr viel lachen. ^^
Ich konnte mir die Situation in der Bahn sehr gut vorstellen, das Gespräch zwischen Yonathan und Nevin... ^^ Armer Yonathan, würde ich jetzt sagen, wenn ich es nicht so schön gefunden hätte, wie er da gelitten hat. Ja, ein wenig schadenfroh bin ich wohl gewesen, aber letztlich hat es ja für ihn ein gutes Ende genommen, oder? Zumindest hat er jetzt eine Verabredung mit Nevin.
Ist eine Fortsetzung geplant? Anbieten würde es sich ja, es ist ja ein ziemlich offenes Ende. Allerdings ist die Geschichte auch so für sich alleine einfach nur schön.
Von: abgemeldet
2010-08-03T16:00:04+00:00 03.08.2010 18:00
ich will ich will ich will eine fortsetzung *-*
ich liiiiiiebe die ganzen charaktere... <3
nevin...jona...henry...und tino...<3
sehr genial!
:D *die ganze zeit gelacht hat und dafür mit irritierten blicken bombadiert wurde*
Von:  Tshioni
2010-07-31T13:19:57+00:00 31.07.2010 15:19
:D :D
also ich finde die Charaktere endgeil xDDD
Die sind alles so verrückt. i-wie. aber das meine ich nicht negativ!
Voll lustig!
Kommen da noch weitere Kapitel?
Ich finde das wäre so schön zum "ausbauen"!!!
lg
Tshioni


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