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Wolfsliebe

von

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Flucht

Es war ein grauer Tag. Ein paar wenige Flocken fielen vom Himmel, ein eisiger Nordwind pfiff um den Turm. Dass der Frühling in der vergangenen Nacht die Macht übernommen hatte, schien unglaublich, doch Lugh Akhtar wusste, dass heute die Tagundnachtgleiche war, das erste Sonnenfest im neuen Jahr, mit dem der Frühling begrüßt wurde.

Er erinnerte sich, am vergangen Abend vor einem Jahr hatte er Cinder als Schülerin bekommen, Ice hatte sich Soul angenommen und ihr das Versprechen abgenommen, dass sie binnen Jahresfrist seine Frau sein würde. Sie hatte ihr Versprechen gehalten.

Und heute vor einem Jahr hatte Rex die Macht an sich gerissen. Cinder und Sly hatten einander ihre Liebe gestanden und auch Lugh Akhtar selbst hatte sich endlich getraut, Nea zu sagen, was er wirklich und aus tiefstem Herzen für sie empfand.

Dass genau heute der entscheidende Kampf stattfinden sollte, erfüllte ihn mit einer seltsamen Ironie. Heute, an dem Tag, wo der Frühling, der Lebensbringer die Welt aus ihrem Winterschlaf wecken und zum neuen Leben bringen sollte, da würde auch der entscheidende Kampf stattfinden. An dem Tag, wo alles begann, würde auch alles enden.

»Sie kommen«, bemerkte Soul leise an seiner Seite. Und wirklich, nur Augenblicke später öffnete sich die Tür und ein paar Soldaten wollten sie auf ihren letzten Gang bringen. Sie wehrten sich nicht, sondern liefen freiwillig mit ihnen. Es ging in den höchsten Raum des Turmes, das Zimmer, das einst Nikolai bewohnt hatte, aber das wunderte keinen. Nicht wirklich.

Eine der Wachen klopfte laut an, bevor er öffnete und sie eintraten. Rex wandte ihnen den Rücken zu, stand am Fenster und schaute hinaus. Lugh Akhtar blickte sich in dem Raum um. Er war so völlig anders, als er es zu Nikolais Zeiten gewesen war, das stimmte ihn seltsam traurig und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er diese Zeit lange nicht so sehr gehasst hatte, wie er immer geglaubt hatte.

Es war nicht die schönste Zeit seines Lebens gewesen, aber er hatte viel gelernt und er mochte Nikolai, wie man einen Großvater mochte. Und ja, der Gildenmeister war immer für ihn da gewesen, wenn er ihn wirklich gebraucht hatte. Er hatte ihm mehr beigebracht, als bloß mit seiner Magie umzugehen. Er hatte ihn zu dem gemacht, der er heute war und er stellte ganz unwillkürlich fest, dass er sich so durchaus mochte.

»Ah, meine neusten Versuchskaninchen.« Rex wandte sich mit einem verächtlichen Grinsen um. Er entließ die Wachen mit einem Lächeln. Als die die Tür hinter sich geschlossen hatten, lächelte er noch einmal viel zufriedener. »Ihr braucht gar nicht versuchen zu entkommen, ihr könnt mir nicht schaden.«

»Er hat einen Schutzgeist«, erkannte Soul verblüfft an der Seite ihres Bruders, aber so leise, dass ihr Gegenüber es nicht hörte.

»Was euch erwartet, das wisst ihr, oder? Wer also will als erstes?«, fragte er und lächelte selbstgefällig.

»Wenn du so fragst, dann will ich dich als erstes erwürgen«, antwortete Ice bissig. Er hatte nicht vergessen, was Rex vor einem Jahr mit ihm gemacht hatte. Auf dessen Gesicht verschwand daraufhin das Lächeln auch sogleich wie weggewischt.

»Also willst du der erste sein, ja?«, fauchte er und ging schnell um den Schreibtisch herum.

»Versuch es ruhig, ich weiß mich zu wehren!«, knurrte Ice. Rex wollte darauf etwas antworten, doch dazu kam er nicht, denn es klopfte heftig an der Tür.

»Was ist?«, brüllte er stattdessen. Eine junge Wache kam herein. Man sah ihm deutlich an, dass er viel lieber ganz woanders wäre.

»Herr, im Westen der Stadt gibt es Unruhen…«, erklärte er leise.

»Dann bringt das in Ordnung«, fauchte Rex und verscheuchte ihn mit einer Handbewegung. Die Wache ging, doch auf Lugh Akhtars Gesicht hatte sich ein zufriedenes Lächeln geschlichen. Es begann. Rex dagegen fuhr wieder zu Ice herum und zückte ein Messer.

»Kommen wir zu dir, kleine blaue Ratte«, knurrte er.

»Nur weil du eine Ratte bist, bedeutet es nicht, dass auch ich eine bin«, antwortete Ice böse.

»Du willst wirklich als erstes, ja?« Rex zückte das Messer und drückte es Ice an den Hals, doch der wich nicht zurück. Diesmal wollte Ice etwas antworten, doch plötzlich fegte ein starker Wind durch den Raum, der sich im großen Turmzimmer zu einem sturmgrauen Bären materialisierte. Nicht nur Rex wurde blass, denn Lugh Akhtar war der Einzige, der den Wind schon kannte.

Der Bär brüllte Rex laut an, der wich erschrocken einige Schritte zurück, obwohl er nichts zu befürchten hatte. Die Jahreszeiten konnten nicht direkt töten. Das Eis oder der Schnee können die Wesen erfrieren lassen, Hitze kann sie austrocknen, doch sie können niemanden direkt verletzen. Das jedoch wusste Rex nicht.

»Bist du hier, um uns abzuholen?«, fragte Lugh Akhtar und war mit einigen Schritten bei dem Bären.

»Ja. Ich werde dich und sie zum Herbst bringen«, bestätigte der Bär und verwandelte sich in einen jungen Mann mit schwarzem Haar und goldenen Augen. »Allerdings werden wir meine Wege gehen.«

»Windlaufen?«, fragte der junge Zauberer erstaunt.

»Ja. Vertrau mir«, lächelte der Wind, doch bevor er zum Fenster zurückkehrte, warf er noch einmal Kenai einen langen Blick zu, bevor er lächelte und nickte. Lugh Akhtar indess nahm Nea bei der Hand und kletterte mit ihr auf die Fensterbank. Der Wind trat zu ihnen, da tauchte als nächstes die Nacht auf.

»Kenai. Wir werden in den Osten der Stadt reisen«, erklärte er sanft und kam langsam auf den völlig verstörten Söldner zu. Das plötzliche Auftauchen des Bären war schon viel zu viel für ihn gewesen, die Nacht mit den Münzen anstelle der Augen und seinen blutigen Tränen war ein so verstörender Anblick für ihn, dass er bis an die Wand zurückwich.

»Bleib fort von mir«, hauchte er entsetzt, als die Nacht einen Schritt auf ihn zumachte, doch Drafnar ließ sich nicht beirren.

»Deine Mutter wartet beim Frühling auf dich, ich bringe dich zu ihr, wenn du auf meinen Rücken steigst«, erklärte er.

»Vertrau ihm, Kenai. Drafnar ist ein Freund«, erklärte Nea beruhigend.

»Er ist ein Ungeheuer«, antwortete der voller Entsetzen. Da tauchte auch Paivi auf.

»Dann komm mit mir«, bot sie an. Auch sie starrte er entsetzt an, doch sie wirkte wohl nicht ganz so Angst einflößend auf ihn, denn langsam und zögernd und sichtlich all seine Ängste überwindend ging er zu ihr und kletterte auf ihren Rücken.

»Wir sehen uns später«, erklärte sie lächelnd und verschwand mit Kenai, Drafnar ebenso. Da tauchte auch Hope auf. Wieder strahlte er, doch diesmal sahen ihn auch die anderen.

»Ice, Soul, kommt mit mir«, bat er leise und streckte ihnen seine Hand entgegen.

»Hope, was ist mit dir geschehen?«, fragte Ice erstaunt.

»Ich habe getan, was nötig war um wieder gut zu machen, was ich nicht hätte tun dürfen. Ich werde euch zum Winter geleiten und an ihrer Seite werdet ihr kämpfen«, antwortete er.

»Was ist mit Cinder?«, fragte Soul leise.

»Ihr geht es gut, wir beide werden auf der Seite des Sommers kämpfen.«

»Wieso kämpfen wir nicht alle auf der Seite des Winters? Ich verstehe nicht, wieso teilen wir uns auf?«, erkundigte sich Ice.

»Weil es nötig ist. Keiner der Jahreszeiten kann so agieren, wie ein Mensch, aber kein Mensch kann so agieren, wie sie, also brauchen sie jeder ein Wesen, das zwischen ihnen steht. Cinder tut das für den Sommer, Lugh für den Herbst, du für den Winter und Kenai für den Frühling«, antwortete Hope.

»Kenai?«, fragte Nea verwirrt.

»Ja«, bestätigte Hope, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Ihr werdet es noch früh genug erfahren, aber jetzt kommt mit.«

Ice zögerte noch kurz, doch dann nickte er ergeben. Er reichte Sly die Hand, der nickte lächelnd. Auch Soul reichte ihm zögernd die Hand.

»Wir sehen uns später«, lächelte Sly noch Lugh Akhtar und Nea zu, dann verschwand er, gemeinsam mit Ice und Soul.

»Lasst uns auch gehen«, forderte der Wind und ließ sich einfach aus dem Fenster fallen, um dort wieder ins Nichts zu verwehen.

»Jetzt springen wir«, erklärte Lugh Akhtar Nea mit einem Lächeln.

»Springen? Fliegen wir als Vogel fort?«, fragte sie erstaunt, doch er verneinte.

»Nein. Wir lassen uns einfach fallen und vertrauen dem Wind«, antwortete er.

»Wir werden auf dem Boden zerschmettern«, flüsterte sie.

»Nein, werden wir nicht. Vertrau mir, ich halte dich fest«, erklärte er und nahm sie fest in den Arm. Sie zitterte, doch letztlich drückte sie sich fest an ihn und wartete darauf, dass er tat, was auch immer zu tun war.

Da ließ Lugh Akhtar sich fallen. Sie stürzten dem Erdboden entgegen, doch ein solch starker Wind, wie sie es nie zuvor erlebt hatten, verlangsamte ihren Fall. Sie landeten so sanft auf dem Boden, wie sie es nicht für möglich gehalten hätten. Vor ihnen materialisierte sich wieder der Wind in der Gestalt des jungen Mannes.

»Eigentlich ist es ja schon schade, dass keiner von uns in der Lage ist, das Ganze so einfach zu beenden und ihm direkt die Kehle durchzuschneiden«, meinte er bedauernd und schaute zum Turm hinauf.

»Am ehesten hätte noch Kenai es getan, aber ich möchte nicht, dass er sich auf Rex’ Niveau herablässt. Es wäre nicht richtig, so etwas von ihm zu verlangen«, fand Lugh Akhtar.

»Das stimmt. Kinaya soll keinen Mörder erzogen haben… und schon gar nicht, wenn er meinen Namen trägt«, nickte der Wind, dann deutete er nach Westen. »Herbst wartet schon auf uns. Allerdings müssen wir laufen, ich bin da nämlich etwas bodenständiger, als das Licht und der Tag es sind.«

»Ist mir sowieso lieber«, lächelte Lugh Akhtar, nahm Nea bei der Hand und lief los, dem jungen Mann hinterher.

»Lugh Akhtar, wer ist er?«, fragte die, denn ihr war keineswegs entgangen wie froh der junge Zauberer über den Anblick des jungen Mannes war.

»Ein guter Freund«, antwortete der ausweichend. »Ich erzähle es dir später. Wenn wir diesen Tag unbeschadet überstehen.«

Sie nickte, doch wirkte sie nicht gerade glücklich. Doch sie liefen weiter, bis sie im Westen der Stadt angelangt waren, dabei ignorierten sie die Menschen, die um sie herum waren. Doch plötzlich tauchten Soldaten auf.

»Da sind sie!«, brüllte einer der Männer, zeigte auf sie und sogleich liefen sie los. Aber nicht lange, da verlegten sie sich darauf, mit Feuerbällen nach ihnen zu schießen. Die meisten kamen ihnen nicht einmal nahe und auch die wenigen, die wirklich gefährlich waren, lenkte Lugh Akhtar ohne Probleme ab, denn jetzt konnte er seine Magie wieder frei nutzen.

Allerdings lenkte es ihn so sehr ab, dass er die Bodenschützen erst bemerkte, als der Wind ihm eine Warnung zu schrie. Er schaute sofort nach vorne und konnte sich im letzten Moment noch zur Seite werfen, sodass der Pfeil ihn verfehlte. Aber das sollte nicht der einzige sein, ein regelrechter Pfeilhagel kam nun auf sie nieder, doch sie liefen unbeirrt weiter, denn der Wind lenkte sie so ab, dass sie ihnen nicht wirklich gefährlich wurden.

Es geschah, als der Pfeilregen aufhörte und sie begannen, sich wieder sicherer zu fühlen. Lugh Akhtar gewahr die Bewegung noch aus dem Augenwinkel. Er sah, wie in Zeitlupe, was geschehen würde.

Er gewahr das schlanke Geschoss, das so zielstrebig auf Nea zuflog, aus dem Augenwinkel und er reagierte, ohne darüber nachzudenken. Er wusste nur, dass es sein Ziel um nichts auf der Welt treffen durfte. Deswegen stürzte er sich in den Weg. Deswegen traf es ihn. Deswegen bohrte es sich tief in sein Fleisch.

Es war seltsam. Er spürte keinen Schmerz. Nur eine wage Enttäuschung. Dass er nicht mehr helfen konnte. Dass er sie nun alleine lassen würde. All jene, die ihm etwas bedeuteten. Und er spürte, wie froh ihm ums Herz wurde, dass er Nea noch einmal hatte beschützen können.

»Lugh! Lugh, du darfst nicht sterben«, hörte er Nea weinen. Er nahm alles nur noch wie durch Watte wahr. Er wusste, dass sie bei ihm war, aber er sah sie nicht. Er spürte nur, wie die Dunkelheit nach seinen Gedanken griff. Er spürte, wie ihn jemand hoch hob und er wusste, dass es der Wind war.

Er lächelte, denn er war froh, dass der Mann bei ihm war, der seinem Vater so nahe gestanden hatte. Es war fast so, als wäre sein Vater selbst bei ihm. Und auch Nea war bei ihm. Er wusste, dass sie in guten Händen sein würde, wenn er ging. Er konnte ganz beruhigt gehen.

Doch bevor die Schwärze völlig nach seinen Gedanken griff, da hörte er noch einmal Neas Stimme. Sie klang seltsam klar, als wenn sein Körper wollte, dass er dieses eine noch mit vollem Bewusstsein wahrnahm. Als wenn irgendetwas nicht wollte, dass seine Seele beruhigt gehen konnte, als wenn etwas, was Größer war als er, einen Teil von ihm mit aller Gewalt auf Erden halten wollte. Das bewirkte dieser eine Satz, den Nea ihm nun leise zuflüsterte.

»Lugh, ich erwarte ein Kind von dir.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Cat-girl
2012-12-25T18:08:49+00:00 25.12.2012 19:08
Hmh, so geht’s also mit den Hübschen langsam aber sicher zu Ende. Meine Güte, Rex ist echt ein Miststück, das hat man wieder deutlich gemerkt. Ach ja... Ice hat sich aber gut gewehrt und dann kamen ja die Boten der Jahreszeiten, die Blicke von dem Typi hätte ich gern gesehen und wie Kenai auf die Nacht und den Tag reagiert hat, das war echt cool. So wurden also alle abgeholt und dann hats mein Lughi auch noch erwischt. Oh nein, ich hoffe doch mal, dass er jetzt nicht stirbt, das wäre echt mies und was hat Kenai am Ende mit den Jahreszeiten zu tun, ich kann mir ja fast was vorstellen, aber ich lese lieber weiter. Die Szene, wie Lugh gestorben scheint, hast du sehr gut beschrieben, für deinen Schreibstil jedenfalls.
Von:  Seelentraeumerin
2010-09-19T10:37:06+00:00 19.09.2010 12:37
Das Ende ist Traurig;.;
Wehe Lughi passiert was <.<

Aber Nea ist richtig süß ^.^


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