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Perlmutt

von

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LESTARD (VI): »Ihr Galgenhumor ist bewundernswert.«

Urian Adlard gehörte zu den Menschen, die beim Nachdenken nicht stillsitzen können. Dass man seine Handgelenke an die Stuhllehne geschnallt hatte, machte den Bewegungsdrang nur umso schlimmer. Von der unbequemen Haltung waren seine Schultern steif geworden und ein unangenehmes Ziehen in den Muskeln wetteiferte nun mit seinen Kopfschmerzen darum, sich als lästigste Nebenwirkung zu behaupten. Die zwei Gardisten in seinem Rücken schienen zu beiden Seiten der Stahltür eingefroren zu sein, denn sie gaben keinen Laut von sich. Kein Räuspern, kein Schaben von Schuhsohlen bei Gewichtsverlagerung. Nicht einmal ein Stoffrascheln. Urian war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt direkt im Blick behielten. Es gab nicht gerade viel her, sich über Menschen Gedanken zu machen, die man weder hören, noch beobachten konnte. Zumindest, wenn man nicht vor Nervosität verrückt werden wollte. Darüber hinaus hatte er auch nichts anzusehen als die graue Putzwand, die im Licht der Neonröhren grünlich wirkte, und die Tischplatte direkt vor sich. Einundvierzig Kratzer in der Plastikbeschichtung. Er hatte dreimal nachgezählt und sich für jeden einzelnen einen Grund einfallen lassen, wie er dort hingekommen war.

Mittlerweile begann die Wirkung der Tablette nachzulassen; Urian spürte, wie seine Sinne zurückkehrten und sich im Raum ausdehnten. Dort, wo die beiden Gardisten standen, gähnten ihm zwei tote Flecken entgegen. Sie mussten sich abgeschirmt haben. Hätte Urian es darauf angelegt, hätte er ihren Widerstand vielleicht überwinden können, aber das Risiko ging er lieber nicht ein.

Er ertastete die magische Barriere in den Wänden und der Stahltür. Darüber hinaus kam er nicht. Ihm blieb nichts Anderes übrig, als zu warten, bis Eustace Belzac endlich erscheinen würde, um ihn blank zu schälen. Das neue Jahr war kaum zehn Stunden alt und er hatte es bereits geschafft, einen atlantinischen Princeps und den Ersten Sekretär der britischen Congregatio gegen sich aufzubringen. Im Geiste spielte er die Ereignisse der letzten Stunden wieder und wieder durch und kam zu dem Schluss, dass seine Situation im Grunde nur noch zum Lachen war. Die entsprechende Reaktion folgte auf dem Fuße.

Es sollte auch just dieser Moment sein, da Lord Belzac den Raum betrat. Der Erste Sekretär legte die Stirn in Falten, als er den ramponierten Kerl ins Auge fasste, den er an den Stuhl hatte ketten lassen, und der nichts besseres mit sich anzufangen wusste als sich darüber halbtotzulachen. Urian war sich der befremdlichen Wirkung seines Benehmens durchaus bewusst, was es ihm ungleich erschwerte, damit aufzuhören. Jetzt war es so oder so zu spät.

»Mensch, Belzac, altes Haus!«, stieß er hervor.

Der Sekretär nahm ihm gegenüber Platz und schob wortlos einen Papierfetzen über den Tisch, den Blick auf Urian gerichtet. Der Zettel erstickte Urians Hochgefühl; er verschluckte sich an seinem eigenen Gelächter.

Du bist unverbesserlich. Welch Ironie.

Lord Belzac wartete mit ineinander gefalteten Händen ab, bis Urian sich wieder gefangen hatte.

»Ihr Galgenhumor ist bewundernswert.«

Urian bleckte die Zähne zu einem Lächeln. »Ich hatte zehn Jahre, um mich auf ein zweites Treffen dieser Art vorzubereiten.«

Lord Belzac nickte. »Ich bin gespannt, was ich dieses Mal zu hören bekomme.«

Urian streckte den Rücken gegen die Schulterschmerzen. »Sie wollen wissen, woher ich die Platzwunde habe?«, erwiderte er.

Lord Belzac blickte ihn mit gerunzelter Stirn an, den Mund leicht geöffnet. Als er begriff, spielte ein dünnes Lächeln um seine Lippen. »Ich bin ganz Ohr, Mr Adlard.«

Urian verdrängte das Bedürfnis, die Arme vor der Brust zu verschränken. »Wo haben Sie den Inquisitor gelassen? Heute keine Memorien?«

»Ob ich Mr Park dazu hole, mache ich von Ihrer Geschichte abhängig.«

Urians Grinsen wurde noch breiter. »Ist er Ihnen schon ein Klotz am Bein?«

»Er begleitet Mrs Furlong zum Arzt«, erklärte der Sekretär. »Er hat etwas von einem Antidot gehört, das jemand ihrem Sohn zugesteckt hat. Sie werden also noch Gelegenheit haben, ihn wiederzusehen.«

Urian spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich.

Lord Belzac erlaubte sich die Andeutung eines triumphierenden Lächelns. »Heute sind Sie in der Bringpflicht. Ich warte.«

Urians Nasenflügel blähten sich. »Rufen Sie Park an«, sagte er schroff. »Wenn ich fertig bin, stehen Ihnen die Haare zu Berge.«

Lord Belzac lächelte unverändert. »Und das können Sie mir garantieren?«

Einen Moment lang musterte Urian den Sekretär. »Ich bin nicht mit leeren Händen hier«, sagte er schließlich.

Die Augen des Sekretärs blitzten auf.

»Ich habe Besuch bekommen. Und Post«, fuhr Urian fort. »Ein Brief liegt noch bei mir zu Hause.«

Lord Belzac schnalzte mit der Zunge. »Ich nehme an, da Sie jetzt die Zeit gefunden haben, mich davon in Kenntnis zu setzen, werden Sie ihn mir mit Freuden aushändigen.«

Urian zuckte die Achseln. Dass der Sekretär so schnell auf ihn eingehen würde, hatte er nicht gedacht. Vielleicht sollte er vorsichtiger sein.

Lord Belzac schaute ihm prüfend ins Gesicht. Als Urian seinem Blick standhielt, wandte er sich an die Gardisten, die bisher unbeweglich neben der Tür verharrt hatten.

»Holen Sie den Inquisitor zurück«, befahl er. »Und geben Sie mir Jorrin de Rijk.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  _Myori_
2011-11-23T08:42:03+00:00 23.11.2011 09:42
wahhh, so spannend, dass ich gleich zwei kapitel auf einmal gelsen hab
*auf die uhr schiel* und jetzt hab ich keine zeit mehr- verdammt ><
aber fürn kommentar reicht die zeit noch aus- muss einfach! :P
hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass du mit erklärungen ziemlich rumgeizt XD das ist zum einen echt fies, aber auf der anderen seite machts die geschichte noch spannender und ich ertappe mich immer häufiger dabei, über jeden dialog dreimal nachzudenken. der arztbesuch war sehr interessant und ich frage mich, was der doc yuriy da in den nacken gelegt hat, bzw. wie dieses ding funktioniert... sehr merkwürdig und geheimnisvoll...
es muss echt ein verstörendes bild sein, wenn jemand gefesselt auf einem stuhl sitzt und wie ein irrer lacht- ich könnte den typen glaub ich für nicht ganz voll nehmen oO
und ich liebe es, wie du die stimmung immer wieder kippen lässt und wie du es stilistisch schaffst, dass die charaktere sich gegenseitig die überlegenheit wegschnappen; die szene mit urian und belzac ist da ein gutes beispiel. ich mag das an deinem schreibstil total ^^
*auf die uhr schau* *nervös rumrutsch* >_<
lg Myori
Von:  SakuraxChazz
2011-07-17T15:52:42+00:00 17.07.2011 17:52
Ich wollte eben so schön auf weiter klicken und da gab es ja gar nichts zum weiterklicken... Man war das kurz.
Aber irgendwie gerade passend. Wenn da noch deutlich mehr gekommen wäre, hätte das alles eine ganz andere Wirkung gehabt. Mein Pech ist gerade nur, das ich die Wirkung, die durchaus positiv ist, nicht beschreiben kann... Vielleicht später.. Nach drei Stunden im Auto sitzen, hab ich erstmal Hunger. Aber wie ich ja schonmal angemerkt hatte. Perlmutt ist zu einer Droge mutiert und ich habe es vor dem Essen gelesen. Was auch daran liegt, weil es so schön kurz ist.
Und ich kann Urian total gut nachempfinden wie er sich fühlt. War zwar selbst zum Glück noch nicht in solch einer Situation aber irgendwie schon klasse^^ Dieser Galgenhumor. xD
Manchmal ist das Leben eben nur noch zum Lachen. Hab ich mir dieses und letztes Jahr auch ein ums andere Mal gedacht. Und das genau dann der Sekretär reinkommt.. Hach.. herrlich xD
Und wie Urian und der Sekretär miteinander umgehen. Urian ist echt mutig. Oder er hat eben einfach nichts mehr zu verlieren und ist deswegen im Moment so drauf. Aber das er Lestard einfach so verrät.. find ich ja nicht nett. Auch wenn Lestard nicht gerade die Unschuld vom Lande ist, aber Urian muss doch auch an Charlotte und Yuriy denken. Lestard hatte sich bei der Ganzen Sache ja sicher was gedacht. Hoffe ich doch jetzt einfach mal.
Und diesmal holt mich nicht meine Cousine vom PC weg sondern die Pizza *.* Hach.. erfolgreich heute wieder eine Gute Tat vollbracht und schon kommt die Belohnung frei Haus xD

LG Saku^^
Von:  SamAzo
2011-07-17T14:35:49+00:00 17.07.2011 16:35
Ich stelle mir das schon merkwürdig vor, wenn man nen Raum betritt und der darin befindliche Gefangene lacht sich gerade kaputt.
Urian hat es echt nicht leicht.
Dafür stelle ich mir gerade vor, wie Belzac ausschaut, wenn ihm die Haare zu Berge stehen.

Da muss ich Simon zitieren:
"This must be what going mad feels like."

Von: abgemeldet
2011-07-17T14:33:54+00:00 17.07.2011 16:33
Hast du die Hälfte vergessen oder warum ist das Kapitel so kurz? oO
Ist ja richtig... ungewohnt.

Es gab nicht gerade viel her, sich über Menschen Gedanken zu machen, die man weder hören, noch beobachten konnte.
Das sind die Gefährlichsten - nur am Rande. Anwesend sind sie ja dennoch. Das ist mir gleich aufgefallen, deswegen klatsch ich das hier mal ohne viele Vorworte hin. Muss nur aufpassen, dass mein Kommentar nicht noch länger wird als das Kapitel.

Und 'just' ist ein schreckliches Wort, finde ich.
Im Englischen, okay... aber wenn man deutsch schreibt (auch wenn es in England spielt) - pfui...
Auch nur so... am Rande. Ich sollte nicht parallel schreiben und lesen...
Passt nicht gut. ^^°

Mr Adlard - da fehlt ein Punkt hinter dem Mr., oder? Sieht so eigenartig aus.
(ja... ich lese immer noch parallel...) und es geht noch weiter mit den fehlenden Punkten. Das ist irgendwie unschön, auch wenn es vielleicht der Regel entspricht. ^^° Oder es ist mir vorher nie aufgefallen. Tja, ja... in kurzen Kapiteln kann man sowas schlecht vertuschen, auch wenn man es ja eigentlich nicht muss.

Jorrin de Rijk - kam der schon mal vor? oO Ich glaube schon - der Name kommt mir bekannt vor, aber ich habe kein Gesicht mehr vor mir. ^^°

Ja... alles in allem - kurz und knackig. Und ganz viel Urian - sehr gut. Der Typ hat Stil.
So viel von mir.
Ich hoff, das nächste Kap wird wieder länger. =)



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