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Patricide

von

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Hallöle.

Die Idee zu diesem One Shot kam mir durch den Titel, mit welchem er nun leider nicht mehr ganz so viel zu tun hat, aber es ist immer noch eines der Themen.

Dass keine Namen genannt werden ist Absicht und ich hoffe, dass man dadurch nicht irgendwie manchmal die Personen verwechselt.

Mehr gibt's nicht zu sagen, glaube ich.
 

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Unmengen von roter Flüssigkeit tränken die Küchenfliesen. Sie verteilen sich in alle Richtungen. Unter den Tisch, zu den geschlossenen Türen. Sie fließen ins Wohnzimmer, in den Flur, doch es stört niemanden. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Alles ist stumm. Nur der kaum hörbare, hektische Atem eines Jungen dringt durch die Schatten, doch niemand hört es.

Niemand könnte es mehr hören.

Er ist in Schweiß und Blut getränkt, kann kaum mehr denken oder sehen. Er ist auf seine Knie gefallen; wann, das weiß er nicht. Er starrt auf die Pfütze, die vor ihm liegt. Auf den Körper, der vor ihm liegt. Auf das Messer, was im Körper steckt.

Wäre er nicht so verwirrt und mitgenommen, würde er sich fragen, warum ihm nicht übel wird, aber er kann nicht. Er ist in Trance, er versteht die Welt nicht mehr. Alles verschwimmt vor seinen Augen. Weint er? Er weiß es nicht. Für ihn ist alles surreal. Er hofft, aus diesem Albtraum erwachen zu können, doch es funktioniert nicht.

Die Sekunden vergehen wie Stunden; es scheint, als ticke die Uhr in unregelmäßigen, zerreißend lang gezogenen Rhythmen. Er schluckt und versucht aufzublicken, doch es geht nicht. Alles, was er sieht, ist der Dolch, der in der Brust des Körpers steckt. Der Dolch, der auf die Körper eingestochen hat. Mehr als einmal, vielleicht auch mehr als hundert Mal.

Der Junge weiß es nicht genau. Er will es auch nicht wissen, und er hat Angst. Er starrt seine blutverschmierten Hände an, mit denen er sich am Boden abstützt, um nicht vornüber zu kippen. Eine Träne tropft auf den Boden, doch er merkt nicht, dass sie von ihm stammt.

Er muss aufstehen.

Langsam stellt er sich hin, muss sich am entzweigebrochenen, blutbedeckten Tisch festhalten, um nicht sofort wieder zu Boden zu stürzen. Niemand kann ihm helfen, niemand sieht ihn.

Niemand ist mehr da.
 

Sein Blick fällt auf die Körper, die sich nicht mehr rühren. Er starrt förmlich, als hoffe er, jeden Moment würden sie aufspringen und die Situation als einen Witz entpuppen, doch er weiß genau, dass dies nicht passieren wird. Niemand wird aufspringen. Niemand wird mehr Witze machen.

Niemand wird mehr lachen.

Er wendet sich ab und verlässt die Küche Richtung Wohnzimmer. Sein Blick schaut stur geradeaus, er fokussiert das Fenster, doch er sieht es nicht. Vor seinem inneren Auge sieht er die Körper, die sich zu wehren versuchten; die Körper, die nun bewegungslos an der Erde liegen.

Er hebt seine Hände vor sein Gesicht. Sie sind rot. Rot von Blut. Seinem Blut, deren Blut. Er widersteht der Versuchung, sich die Finger abzubeißen, auch wenn es ihm schwer fällt.

Er muss sie anrufen. Er braucht sie. Sonst dreht er durch. Endgültig.

Wie blind jagt seine Hand zum Telefon, was auf dem Tisch liegt. Ohne es zu merken, wählt er ihre Nummer und starrt auf das Display, bis sie rangeht. „Ja, hallo? Hallo?“, er will nicht antworten. Er will sie nicht verletzen. Er kann es ihr nicht sagen…nicht so.

Sie klingt so glücklich.

„Du musst mir helfen“, flüstert er und lässt das Telefon los. Es fällt auf den Boden und zerschellt in mehrere Teile. Der Akku landet in irgendeiner Ecke. Sie konnte nicht einmal antworten. Sie wird kommen. Sie wird ihm helfen. Er weiß es.

Er will sich umdrehen und in die Küche zurückkehren, doch seine Beine geben unter ihm nach und sein Körper fällt vorwärts gen Erde. Er versucht nicht, den Aufprall zu dämmen. Er weiß, dass es nicht ginge.

Seine Nase bricht, denn sie kommt zuerst auf. Er ignoriert es. Es ist egal. Blut läuft in seinen Mund und er spuckt es auf den Teppich, setzt sich langsam auf. Der Fleck sieht schrecklich aus, besonders, da der Teppich weiß ist. Er lässt seine Hände neben sich fallen, sie hinterlassen noch mehr Flecken. Flecken, die die Realität aufdecken. Es riecht nach verstorbener Idylle.
 

Ihm wird schwindelig, sein Blickfeld verschwimmt. Er merkt erst, wie viel Zeit vergangen ist, als an der Tür geklingelt wird. Ein Mal kurz. Ein Mal lang. „Hey! Mach die Tür auf!“ Zwei Mal lang.

Er schafft es nicht, aufzustehen, also kriecht er aus dem Wohnzimmer. Der Teppich ist nicht so weich wie er aussieht, und die Knie des Jungen schmerzen, doch er muss weiter. Er braucht sie.

Ein langes Klingeln. Er kniet jetzt vor der Haustür. Er hat das Gefühl, sein Herz springe ihm jeden Moment aus der Brust, doch er muss kämpfen. Er darf noch nicht aufgeben, nicht jetzt schon.

Er schafft es, aufzustehen, geradeso, doch seine Beine zittern wie Espenlaub. Er sieht sie durch die milchig scheinende Glastüre, und sie sieht ihn. Hektisch schnellt seine Hand zur Klinke, welche er mit erst beim zweiten Versuch richtig runtergedrückt bekommt. Er zieht die Tür nicht auf, sie wird aufgedrückt. Er stolpert aus dem Weg, sein Blick auf ihrem Gesicht, ihr Blick wandert über seinen Körper.

Sie fragt nicht, was passiert ist. Denn sie weiß es bereits.

Sie beide zittern, versinken in einer Umarmung, trösten sich gegenseitig. Minuten gehen, bis er die Stille bricht. „Er hat sie umgebracht“, sagt er und klingt, als seine die Welt längst untergegangen. „Beide.“

Sie nickt stumm, sie denkt sich ihren Teil. Sie weiß nicht, wie falsch sie liegt. „Ich musste sie rächen“. Sie zuckt zusammen und weicht einen Schritt zurück, bereut es jedoch sofort. Sie verletzt ihn, und das will sie nicht.
 

Er wendet sich ab und geht Richtung Küche. Sie folgt unaufgefordert und erstarrt im Türrahmen. Blut. Körper. Ein zerschlagener Tisch. Ein Messer. „Er hat sie mit dem Tisch erschlagen“. Der Blick des Jungen fällt auf die kleinste Person im Raum; seine Schwester. „Sie war schon immer ein Dickkopf“, sagt er und klingt, als fände er es lustig, dass der Tisch auf ihrem Kopf zerbrochen war, doch Tränen laufen seine Wangen entlang, er zittert, er wimmert.

Er versteht es nicht.

Sie tritt neben ihn und legt einen Arm um ihn, doch sie kann ihm nicht helfen. „Und dann hat er zugestochen. Sie war doch schon tot“. Sie will ihn bitten, nicht fortzufahren, doch sie weiß, dass er reden muss. Dass er es selbst verstehen muss.

„Wieder…wieder…und wieder. Er hatte Spaß daran. Wir standen nur da“, er deutet in eine Ecke und meint wohl seine Mutter und sich. „Ich wollte ihn aufhalten, doch sie hielt mich zurück. Sie versuchte es selbst.“ Seine Stimme wird hysterisch und er hyperventilierte, doch es ist ihm egal.

„Auch sie erstach er. Gnadenlos. Ein Stich, zwei, zehn, zwanzig, vielleicht fünfzig, ich weiß es nicht mehr. Sie bewegten sich nicht mehr. Sie sagten nichts mehr. Beide. Und er sah so zufrieden aus“; er bricht komplett in Tränen aus und wimmert noch mehr als zuvor, als er fortfährt. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war außer mir vor Wut und vor Trauer. Er legte das Messer ab und ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht anders!“

Ihm wird schlecht, er stürzt aus dem Raum und ins Badezimmer. Ein Wunder, dass er es schafft. Sie eilt ihm nach, er hängt über dem Becken. „Es geht mir gut“, murmelt er und wippt seinen Körper vor und zurück. „Es geht mir gut, ganz gut. Ich bin in Ordnung“, versucht er sich selbst einzureden, ohne Erfolg. Er fixiert sein eigenes Spiegelbild und seine Hand rast förmlich in sein Gesicht, er kratzt seine Wangen auf.

„Lass das!“, ruft sie und zieht seine Hand weg, doch er ist wie im Wahn gefangen. „Ich bin genau so, nicht? Ich sehe nicht nur aus wie er, nein, ich bin genau so“, sagt er und scheint es mehr sich selbst verdeutlichen zu wollen als ihr.

Sie schüttelt den Kopf und dreht ihn zu sich um, redet auf ihn ein wie auf ein kleines Kind. „Alles wird gut, ja? Wir gehen zu den Nachbarn und die helfen uns, alles wird gut“, sie kann gut lügen. Wie kann sie behaupten, irgendetwas würde gut werden?

Doch er nickt und gemeinsam treten sie wieder in den Flur. Sie geht vor, während er in die Küche hineinstarrt. Sie weiß, er braucht diesen Moment. Sie hat die Tür schon geöffnet, als er sich endlich bewegt. Er tritt in die Küche ein und kommt kurz darauf zurück, hält das Messer in der Hand. Sie will fragen, was er damit will, doch er ignoriert sie und verlässt das Haus. Sie müssen zu den Nachbarn.

Die Nachbarn sind nette Menschen. Er hat sich immer mit ihnen verstanden. Sie mögen ihn. Mit einem Lächeln öffnet die ältere Dame nach nur kurzer Zeit die Tür, doch sie erstarrt, als sie die beiden sieht. Er, blutüberströmt; sie, von seinem Blut befleckt. Die Dame braucht einen Moment, bis sie die beiden hineinbeten und ins Wohnzimmer geleiten kann.

Noch bevor die Jugendlichen sich setzen können, hat sie schon den Telefonapparat in der Hand und ruft die Polizei.

Währenddessen nimmt das Mädchen dem Jungen das Messer aus der Hand. Es scheint, als seie das sein Wunsch gewesen. Eine versteckte Botschaft, die sie nicht versteht. Alle drei schweigen, niemand rührt sich. Die Luft ist drückend und unangenehm, bis es an der Tür klingelt. Der Junge zuckt zusammen.

Er zittert und schaut verängstigt. Die Frau geht zu Türe.

Menschen in Uniformen…der Junge kann sie nicht ansehen, ihm wird schlecht, als sie beginnen, ihm Fragen zu stellen. Er schweigt, als sei er schon immer stumm gewesen.

„Er…kann nicht“, erklärt das Mädchen neben ihm knapp. Sie weiß, dass er nicht will.

Sie wollen ihn mitnehmen, doch er wehrt sich. Er will nicht weg. Er will nicht dorthin]. Er schreit plötzlich los. „Ihr könnt mich nicht einsperren, ihr könnt mich nicht einsperren!“, immer lauter und hysterischer, damit es die ganze Straße hört. Damit ihm jemand hilft.

Doch niemand kann ihm helfen. Nicht ein Mal sie. Er starrt sie an, sie kommt auf ihn zu und schüttelt den Kopf. Er weiß, sie hat Recht. Er weiß, er dreht durch. Er weiß, sie werden ihm helfen.

Aber glauben will er es nicht. Er klammert sich an das Mädchen wie ein kleiner Junge an seine Mutter. Er ist verzweifelt und will das nicht alleine schaffen. „Nichts wird gut. Nichts wird gut“, murmelt er wieder und wieder, als könne ihm das helfen. „Sie sind tot. Sie sind alle tot. Nie wieder. Nie wieder. Sie werden mich umbringen. Sie werden mich hassen. Alle hassen mich. Niemand hilft mir“, er kann nicht aufhören.

Er kann es nicht verstehen.

Er beginnt, die Namen seiner Mutter und seiner Schwester zu murmeln, wie ein Gebet, damit sie zurückkommen. Doch das können sie nicht. Er weiß es nicht, sonst würde er aufgeben.

„Lassen Sie los, hier kann ihm nicht geholfen werden.“ Es wird an ihm gezerrt, auf ihn eingeredet. Er will sich wehren, sich erklären. Sie verstehen ihn nicht, keiner versteht ihn.

Denn sie wollen ihn nicht verstehen. Sie schaffen es, ihn in den Flur zu manövrieren.

Inzwischen ist der Krankenwagen eingetroffen. „Der nützt nichts mehr. Er kommt zu spät. Ich mal ihn schwarz an. Schwarz anmalen“, flüstert der Junge, als er über die Türschwelle tritt. Er weiß, dass er hier nie wieder raus kommt. Sie lotsen ihn zum Auto. Er hat sie nie gemocht. Sie haben ihm Angst gemacht. So auch jetzt.

„Nichts wird gut. Nie wieder“. Niemand widerspricht. Denn jeder weiß, dass es stimmt. Er wirft dem Mädchen einen letzten, flehenden Blick zu. „Du musst mir helfen“, soll er sagen. Sie nickt. Er weiß, nichts wird gut. Doch alles wird in Ordnung kommen.

Er schließt die Augen und öffnet sie erst wieder, als sich die Türe schließt.

Sie will ihm helfen.

Er weiß, dafür ist es zu spät.
 

Sie soll nicht wissen, wo er ist. Genau ein Jahr ist es nun her. Sie weiß, er wurde längst entlassen. Sie steht vor dem leeren, verlassenen Haus, Tränen laufen ihre Wangen entlang. Sie darf nicht wissen, wie es ihm geht. Sie soll nicht hier sein. Ihre Eltern haben Angst, dass auch sie durchdreht.

Noch heute.

Niemand versteht sie. Sie tritt auf die Türschwelle zu und betritt das Haus. Seit damals hat sich nicht sehr viel verändert. Die Möbel wurden entfernt, die Leichen und das Blut ebenfalls. Doch der Tod hat dieses Haus nie verlassen.

Mit langen Schritten durchquert sie den Flur und betritt die Küche. Sie kann die Szene vor sich sehen wie einen Film auf einer Leinwand. Urplötzlich friert sie beim Gedanken daran. Sie will hier nicht bleiben. Die Küche ist schlecht.

Also tritt sie auf den Flur und steigt die Treppe empor. Sie will sein Zimmer sehen. Auch wenn es nun leer steht, wird sie es erkennen, als wäre es noch immer voller Leben.

Sie öffnet die Türe, tritt ein und lässt sich mitten im Raum auf den Boden fallen, breitet sich, auf dem Rücken liegend, aus. Alles um sie herum ist vergilbt, doch es ist ihr egal.

Sie weiß, er war hier.

Sie richtet sich wieder auf und geht auf das Fenster zu. Draußen steht der riesige Kiefer-Baum, den sie so liebt. Den er immer so geliebt hat. Ihre Augen beginnen zu glänzen. Sie will nicht weinen, denn sie ist nicht traurig.

Mit beiden Händen umklammert sie das Messer, was sie ihm abgenommen hat. Damals hat sie vermutet, es sei das Mordwerkzeug gewesen, doch heute weiß sie es besser. Das bisschen Blut genügte nicht zur Täuschung.

Es ist eine Bitte. Ein Wunsch und ein Flehen, ihn nicht im Stich zu lassen. Es ist die Möglichkeit, sich wiederzusehen. Er hat es ihr gegeben, um nicht alleine sein zu müssen. Nicht mehr. Er hat gewusst, dass sie ihm den Wunsch erfüllt.

Sie verlässt den Raum, will das Haus verlassen, doch vorher geht sie ins Badezimmer. Zu ihren Füßen sieht sie Glassplitter. Der Spiegel ist zerbrochen. Nun ist sie sicher. Er war hier. Sie werden sich wieder sehen.

Ein Lächeln legt sich auf ihre Lippen und sie hat ihren Entschluss gefasst.

Sie hört die Stimmen, die nach ihr rufen. Sie blendet sie aus und weiß, dass sie das Richtige tut.

Sie wollen ihr helfen.

Sie weiß, dafür ist es zu spät.
 

Zusammen können sie es schaffen.

Nichts ist gut, doch endlich ist alles wieder in Ordnung.
 

Wen das Ende verwirrt, der sollte wissen, dass "gut" und "in Ordnung" etwas grundauf Verschiedenes sein können - für mich jedenfalls.
 

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Grüße,

Valenfield



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