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Tabu

One Shots für Harry Potter RPGs
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Yejun II - Der Unfall

„Was ist, wenn er nicht mehr aufwacht?“

„Noona…“

Yejun hatte Ki-hos Schwester noch nie so außer sich erlebt. Er kannte A-yun nur lachend oder stirnrunzelnd, aber mit Tränen in den Augen und zerzaustem Haar, das nicht von den Strapazen der Geburt oder den alltäglichen Sorgen kam…? Er blinzelte und breitete die Arme aus. A-yun zögerte. Sie schien zu überlegen, ob es in Ordnung war, den Jüngeren mit ihren Sorgen zu belasten und als sie sich auch quälend schmerzhafte Herzschläge später nicht dazu hatte überreden können, sein Angebot anzunehmen, legte Yejun umsichtig einen Arm um ihre Schultern. Das Beben ihres Körpers erschreckte ihn zutiefst; sein Herz zog sich zusammen und der Griff um die schlanke Gestalt wurde fester. „Er wird es nicht wagen, dich allein zu lassen“, wisperte Yejun leise und wusste nicht, ob er zu ihr oder sich selbst sprach. Er spürte, wie die eigenen Augen brannten und biss die Zähne aufeinander. Zusammenreißen … er musste sich zusammenreißen! A-yun und Ki-ho brauchten ihn jetzt und er konnte es sich nicht leisten, zusammenzubrechen!

„A-a-aber … darauf ha-hat er vielleicht … kei-keinen Einfluss…“

Ihre Worte waren kaum zwischen den Schluchzern zu hören. Yejun streichelte über das Haar, das Ki-hos so ähnlich war und drückte sie noch ein wenig näher an sich heran, beruhigende Töne von sich gebend und um Worte verlegen. Er war um Worte verlegen! Was sollte er sagen, um die Schwester zu beruhigen? Um sich selbst zu beruhigen… Er konnte nur erahnen, wie groß die Angst A-yuns sein musste nun auch noch ihren Bruder zu verlieren – wenn die eigene Panik, die flatternd in Brust und Magen schwang, auch nur ansatzweise mit ihrer zu vergleichen war, war es ein Wunder, dass sie beide noch atmeten.
 

Die Türen zum OP-Saal schwangen auf. A-yun war sofort auf den Beinen und Yejun mit ihr. Er zuckte zusammen, als ihre Hand sich in seine krallte, erwiderte jedoch den Druck. Das Gefühl, dass sie ansonsten einem Dementorenopfer gleich auf den Boden sacken würde, breitete sich im Park aus und wenn nicht schon das eigene Herz schmerzhaft panisch pochen würde, so hätte er schwören können, A-yuns zu hören.

„Park Yejun-ssi?“

Yejun nickte wortlos. A-yun neben ihm verkrampfte sich und der Schmerz in seiner Hand wetteiferte mit der Angst in seinem Herzen.

Der Arzt lächelte zart – die rot geräderten Augen huschten beruhigend zur kurz vor Ohnmacht stehenden Schwester. A-yun wimmerte und vergrub das Gesicht an Yejuns Brust, nun den Rückhalt bedingungslos annehmen, welchen der Jüngere ihr bot; ihre Schultern wurden von Schluchzern der Erleichterung geschüttelt, aber Yejun starrte noch immer dem Arzt entgegen. Dass er ihn angesprochen hatte, war okay – vermutlich das Werk seines Vaters – aber das bedeutete auch, dass hier noch etwas anderes außer Zuspruch lauerte. Yejun wappnete sich für das, was unvermeidlich war.

Worte rauschten an ihm vorbei – „gut verlaufen – bald aufwachen – geringes Restrisiko – in ein paar Stunden Besuch gestattet“ – aber in seinem Herzen skandierte nur eine Frage. Jene Frage, deren Antwort der Grund war, weshalb der Arzt mit ihm sprach. Für einen kurzen Moment fühlte er sich nicht in der Lage dazu, die Frage zu stellen; ohnmächtige Angst vor der Antwort wollte ihn übermannen. Aber es ging hier nicht um ihn … er musste es fragen, um A-yun das Fragen ersparen zu können.
 

„Wird er wieder fliegen können?“
 

A-yun schreckte hoch und starrte Yejun an. Ihr Blick prickelte wie die kleinen Stecknadeln, die er normalerweise für das Abstecken von Stoff nutzte und mit denen er sich hin und wieder unabsichtlich verletzte. Der gleiche nebensächliche Schmerz zuckte durch seinen gesamten Körper, denn der viel größere Schmerz arbeitete viel zu heftig schlagend in seiner Brust. Ki-ho hatte sich den Traum des professionellen Qudditchspielers beinahe erfüllt . . . flog bereits seit fast drei Jahren für gute Mannschaften . . . wurde von der Fachpresse gelobt . . . und wenn Yejun nur daran dachte, dass der Traum jetzt zu Ende sein könnte … bevor er überhaupt richtig angefangen hatte … Wo zuvor das Herz viel zu schnell geschlagen hatte, zog es sich nun heftig zusammen, als der Gedanke erst gefasst war und verzweifelt ballte er die Hände zu Fäusten. Seine Kehle zog sich gleichermaßen zum Herzen zu, Tränen brannten hinter sturen Augen; wenn Ki-ho nicht mehr würde fliegen können…

Bilder rauschten an ihm vorbei – Bilder von Ki-ho als kleiner Junge auf dem Besen, mehrere Meter über dem Boden und ihm schwebend, mit der Sonne um die Wette strahlend und hoch und heilig schwörend, dass er den Erfolg von Jung Chan-yeol noch übertreffen würde, das erste Mal seit Wochen lachend und wie er dieses Versprechen jedes Mal aufs Neue in den letzten Monaten versucht hatte einzulösen, wie er sich selbst immer und immer wieder übertroffen hatte, wann immer er auf dem Spielfeld den nächsten Punkten hinterher gejagt war, siegestrunken wie verzweifelt ob Niederlagen, aber niemals die Hoffnung darauf verlierend, seinen Schwur Yejun gegenüber irgendwann in die Tat umsetzen zu können – und es brach Yejun das Herz, als der Arzt traurig, aber entschlossen den Kopf schüttelte.

Langsam schloss er die Augen – „shit“.

Alles in ihm zitterte und krampfte und wollte losbrüllen, aber er musste sich zusammenreißen. Er musste sich zusammenreißen! Er atmete durch und löste die verzweifelten Fäuste zu unterstützenden Säulen für Ki-hos Schwester, als er sich zu ihr wandte. Mit sanften Worten, an die er sich kaum erinnerte, brachte er A-yun dazu sich zu setzen. „Geh mit Oma und Opa nach Hause. Su-ho wartet sicher sehnsüchtig auf dich“, wies er sie sanft an und drückte ihre Hände. Von irgendwoher schaffte er es ein Lächeln hervorzukramen und nahm A-yuns Gesicht in seine Hände. Er zwang sie ihn anzuschauen und wischte ihre Tränen fort. A-yun nickte verstehend, mit bebenden Lippen. „Siehst du? Er würde dich niemals allein lassen“, erinnerte Yejun sie mit betont ruhiger Stimme und hoffte inständig, dass seine Worte bis zu ihr vordrangen. Sein Lächeln flackerte und ehe sie das sehen würde hängte er ein „noona, geh zu deinem Sohn“ an, und wandte sich zum Arzt um, der ihm zu seiner Überforderung die Papiere überreichte.

„Re-redest du mit Park Chaewon?“, erinnerte A-yun ihn an ihr Gespräch von zuvor und Yejun drehte sich nicht um, als er zustimmend nickte, ein „hm“ ausstoßend. Er konnte sie nicht anschauen. Sonst hätte er verraten, wie verzweifelt er war – wie sehr er damit zu kämpfen hatte, die Verantwortung zu übernehmen. Dafür, Ki-ho beibringen zu müssen, dass er seinen Schwur nicht würde einlösen können.
 

„Er wird also nicht mehr fliegen können?“

Yejun schüttelte den Kopf und starrte in den Pappbecher, der gefüllt war mit dem verhassten Koffeingetränk. Nari neben ihm stieß ein undefinierbares Brummen aus und keine Sekunde später spürte er die schwere Hand des Älteren auf seiner Schulter. Die Anteilnahme der Geste veranlasste Yejuns Inneres dazu, sich instinktiv anlehnen zu wollen – sich der Geborgenheit des besten Freundes hinzugeben – einfach zuzulassen, dass er schwach war. Aber es ging nicht. Noch nicht. Um nicht einzuknicken, schaute er Nari nicht an.

„Du solltest dich zurücknehmen, Yejun.“

„Das kann ich nicht.“

„Es ist nicht deine Aufgabe es ihm zu sagen. Er hat Großeltern und eine große Schwester, die sich übergangen fühlen könnten, wenn du es ihm sagst.“

„Nein.“ Mit aller Gewalt hielt er sich davon ab, den Pappbecher zu zerknüllen. Noch immer schaute er Nari nicht an. „Wir sind zusammen aufgewachsen.“

„Ich weiß, aber-“

„Er ist für mich wie ein Bruder.“

„Yejun, hör mir zu, du denkst nicht klar. Du musst auch an dich-“

Wut zuckte allzu lebhaft über die Züge des Achtzehnjährigen und er klatschte den Pappbecher auf den Boden. Genugtuung durchflutete ihn, als die klebrige Brühe sich dunkel über den hellen Fliesenboden verteilte und er schoss Nari einen Blick zu, der andere Menschen auf der Stelle tot hätte umfallen lassen. Der Ältere zuckte zusammen und auch hier war die Genugtuung darüber, dass er seinen Standpunkt klargemacht hatte größer, als die Sorge darum, Grenzen zu überschreiten. Grenzen, die für ihn schon immer absolut lächerlich gewesen waren. Gesellschaftliche Normen, welche der Künstler anzweifelte . . . und wie sollte er ausgerechnet jetzt an sich denken? War Nari von allen guten Geistern verlassen?

„Soll seinem Opa das Herz brechen? Soll ich es wirklich seiner Oma überlassen? Die beiden sind alt, Nari, und ich weiß nicht, ob sie das verkraften. A-yun hat einen Zweijährigen zu Hause und wirklich andere Sorgen, als dass sie jetzt die ‚Pflichten‘ der großen Schwester erfüllen sollte. Und meine Eltern sind nun wirklich keine Option. Soll Jin Kwan-sik etwa lieber Grenzen überschreiten?! Oder die angebliche Affäre Kan Yeon-bae, um die eh schon ruinierte Karriere noch mehr zu ruinieren? Sag es mir, Nari, wer wenn nicht ich?“

Nari schwieg und Yejun spürte die wissenden Augen auf seinem Profil brennen.

„Scher dich nach Hause, wenn du nicht helfen willst.“

„Ich dachte eigentlich, ich würde gerade helfen. Du bist nicht du selbst, Yejun.“

„Verdammt noch mal, natürlich nicht.“ Yejun unterdrückte den Impuls zu brüllen, weshalb seine Stimme vibrierte, und er ballte die Hände zu Fäusten. Er zitterte am ganzen Körper und spürte, wie seine heile Welt langsam aber sicher zu zerbröckeln begann. „Ich muss meinem Cousin sagen, dass er seinen Lebenstraum vergessen kann und dass er froh sein kann, wenn er wieder gescheit laufen kann. Scheiße, das ist einfach nicht fair. Es war nur ein Freundschaftsspiel…“

Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn Ki-ho heroisch die letzten Punkte für die Mannschaft und damit den Sieg eingeholt hätte? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn er sich für einen Teamkameraden in die Tiefe gestürzt hätte? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn es um die Meisterschaft gegangen wäre?

Für die Medien – für die Fans – für alle drum herum vielleicht.

Für Yejun nicht. Das Endergebnis war dasselbe und es war einfach nicht fair.

Naris Arme schlossen sich von hinten um ihn und zuerst wollte Yejun sich wehren, aber er gab innerhalb von viel zu heftigen Herzschlägen nach; kraftlos ließ er die Schultern hängen und ergab sich der trügerischen Sicherheit der breiten Brust. Das Kinn des Älteren kam auf seinem Kopf zum Liegen; es tat ein wenig weh, wie es sich in seine Kopfhaut bohrte, aber die Umarmung entzog ihm jegliche Kraft zum Rebellieren. Das Brennen hinter den Augen wurde immer stärker und nur die Sturheit Yejuns verhinderte, dass er anfing wie ein Kleinkind zu heulen.

„Tut mir leid“, hörte er Nari leise murmeln und Yejun schauderte, sich den Tränen wieder ein Stück näher. „Das hier ist keine unserer üblichen Krisensitzungen. Ich habe unterschätzt, wie viel dir sein Traum bedeutet.“ Yejun konnte hören, dass ein und wieviel er dir bedeutet in der Art und Weise mitschwang, wie Nari mit ihm sprach und entschieden befreite er sich aus der Umarmung; wenn er sich jetzt nicht losriss, würde er brechen. Und er durfte nicht zusammenbrechen.

„Ich rufe dich an“, intonierte er hohl und Nari versuchte ein letztes Mal zu ihm durchzudringen, doch seine sonst so perfekten Park-Yejun-Skills versagten ihm heute den Dienst.
 

Am Tag darauf. . .
 

Yejun verschränkte die Arme und nahm den Größeren Maß, der fahrig wirkte, als er sich an ihm vorbeidrängen wollte. Entschieden hielt er ihn am Oberarm auf, fasste härter zu als notwendig gewesen wäre und zwang den Älteren dazu, ihm in die Augen zu schauen. Mit aller ihm noch verbliebenen Stärke brachte er Kan Yeon-bae dazu, stehenzubleiben und nagelte ihn mit einem kalten Blick an Ort und Stelle fest. Yejun kannte den besten Freund seines Cousins von einigen wenigen Treffen; sie hatten nie viel miteinander zu tun gehabt und nur wenige Worte gewechselt. Bis vor kurzem hatte Yejun sich darüber gefreut, dass Ki-ho ein vertrautes Gesicht beim Verein hatte und dass er gemeinsam mit seinem Freund seinem Traum nachjagte.

Bis die Gerüchte angefangen hatten.

Bis Kan Yeon-bae sich von seinem angeblichen besten Freund distanziert hatte und Ki-ho damit derart verwirrt und verletzt hatte, dass Yejun ihn eine Weile nicht erkannt hatte.

„Was willst du hier, Kan Yeon-bae?“, verzichtete Yejun auf jede nur erdenkliche Höflichkeitsfloskel und ging sogar soweit, den Spieler als Jüngeren anzusprechen. Mit jeder Faser seines Körpers und jedem kalten Wort machte er klar, dass er nichts hier zu suchen hatte.

„… Ist er in Ordnung?“, wagte der Verräter es nicht einmal Ki-hos Namen in den Mund zu nehmen und Yejun drückte ihn einige weitere Zentimeter von der Krankenzimmertür fort. „Er wird nicht sterben, wenn du das meinst, Kan Yeon-bae“, spuckte Yejun seinen Namen aus, „und wenn du willst, dass das auch für dich so bleibt, verziehst du dich besser.“

Irritation zuckte lebhaft über die sonst so gleichmütigen Züge des Quidditchspielers und Entsetzen löste die auch für Yejun deutlich erkennbare Sorge ab. Fassungslos starrte Yeon-bae ihn an und Yejun blickte mit gerecktem Kinn zu ihm auf, seinen Arm loslassend und seinem Oberkörper einen Stoß verpassend.

„Verschwinde. Ki-ho braucht jetzt seine wahren Freunde und seine Familie und niemanden, der einen öffentlichen Rufmord fürchtet.“

Yejuns Augen fraßen sich in die geweiteten Gegenstücke. Was hatte dieses Arschloch denn erwartet? Dass er nicht Bescheid wusste? Dass er ihn mit offenen Armen empfangen würde? Dass er Kan Yeon-bae in ihren Reihen begrüßen würde wie der alte Freund, der er eigentlich hätte sein sollen? Er hatte entschieden, Ki-ho zu meiden und zu schneiden und ihm nicht einmal eine richtige Erklärung dafür geliefert! Er hatte seinen Cousin dermaßen mit seinem Verhalten verletzt, dass er an seinem Traum gezweifelt hatte. Er hatte ihn allein gelassen und sich nicht darum geschert, wie es Ki-ho damit ging, von ihm zurückgelassen zu werden. Im Gegenteil: er hatte Öl ins Feuer gegossen wann immer sich die Möglichkeit gebeten hatte und je länger Yejun die Gegenwart des Heuchlers erdulden musste, desto weniger konnte er für ihrer beider Sicherheit bürgen. Er würde nicht zulassen, dass ausgerechnet diese Person an seiner Seite sein würde, wenn er aufwachte.

„Yeon-bae“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihnen und während Yejun weiterhin den Quidditchspieler in Grund und Boden starrte und ignorierte, wer auch immer ihn gerufen hatte, schob sich Jin Kwan-sik unbarmherzig in ihrer beider Sichtfeld. Nur kurz verlagerte sich der Fokus des Parks auf den Geschäftsmann, der seinem Freund eine Hand auf die Schulter legte und sie schauten einander an; irgendetwas passierte auf non-verbaler Ebene und schließlich trat Kan Yeon-bae den Rückzug an. Nicht, ohne noch einmal einen zweifelnden Blick über die Schulter zu werfen. Jin Kwan-sik schaute zu ihm herab und Yejun verengte die Augen, Arme verschränkt und sich an das klammern, was in seinem Herzen skandierte.

Er musste Ki-ho beschützen.

„Schreib mir, wenn er aufwacht.“ Jin Kwan-sik fragte nicht um Erlaubnis – er befahl und Yejun biss die Zähne zusammen, nickte jedoch. Vermutlich würde er Yeon-bae darüber informieren, wie es um Ki-ho stand und ein Teil von Yejun wollte bereits damit drohen, dass er es nicht tun sollte … aber er hatte keine Kraft mehr dazu auch noch einen Kampf mit dem einflussreichen Magnaten anzufangen. Jin Kwan-sik überreichte ihm seine Visitenkarte und mechanisch gab Yejun ihm die eigene, ehe er dabei zusah, wie das breite Kreuz zu Yeon-bae aufschloss.
 

Ki-ho war blass.

Yejuns Herz sackte ihm in die Hose, als er ihn in dem Krankenbett liegen sah. Park Chaewon schaute von seiner Arbeit auf und winkte ihn heran und auch den renommierten Heiler während der Arbeit an Ki-hos Seite zu sehen, war derart unbekannt, dass es ihm die Luft zum Atmen raubte. Sein Vater war für gewöhnlich nicht besonders interessiert an Park Ki-ho; außer es ging um neue Möglichkeiten die eigenen Errungenschaften zu testen. Und für gewöhnlich schien er nicht einmal zu registrieren, dass sie verwandt waren – dass er eine gewisse Sorgfaltspflicht dem Waisenkind gegenüber hatte. Vielleicht sah er aber auch seine Pflicht darin getan, seinen Job zu erledigen und überließ die unnützen Dinge Sohn und Ehefrau … … Yejun spürte, wie wacher Ärger durch ihn zuckte über die Art und Weise, wie sein Vater Ki-ho betrachtete.

Wie einen Patienten – ein Wissenschaftsobjekt – nur einer von Tausenden, die auf seinem Tisch lagen.

Wahrscheinlich würde Nari ihm jetzt zu verstehen geben, dass es gut so war … aber er konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Ki-ho nichts weiter für seinen Vater war als ein Patient. Dass er überhaupt ein Patient war. Es war so unendlich weit hergeholt … … eine Situation, in der Yejun seinen Cousin niemals gesehen hatte … … und nicht hatte sehen wollen … …

„Seine Werte sind stabil. Er sollte in den nächsten Minuten aufwachen“, intonierte sein Vater technisch und Yejun zog angewidert die Oberlippe hoch, schwieg jedoch vorerst. Den langen Blick seines Vaters ignorierte er und setzte sich neben das Krankenbett auf den Besucherstuhl.

„Dann kannst du ja gehen, oder?“

Yejun gab sich alle Mühe nicht schnippisch zu klingen – erfolglos. Er konnte die Enttäuschung über die fehlende Anteilnahme seines Vaters nicht verbergen und schoss einen giftigen Blick hinterher. Park Chaewon nickte und schien die Reaktion seines Sohnes entweder zu ignorieren oder aber gar nicht wahrzunehmen.

„Er muss beim Aufwachen den Trank nehmen. Sorg dafür.“

Die Art und Weise wie er mit ihm sprach, kitzelte alten Ärger in Yejun wach. Glaubte sein Vater etwa, er könne das nicht? Er sei dazu nicht in der Lage? Gerade wollte er ihn fragen, was der Unterton sollte, da entschied er sich anders und schoss nur einsilbig „ja“ zurück, ehe er nach Ki-hos Hand griff.
 

Sie war kalt.
 

Schauer rieselten über seinen Rücken und sofort waren Vater und die Anspannung zwischen ihnen vergessen.

Stattdessen schrumpften seine Empfindungen auf Ki-ho zusammen – und wuchsen gleichermaßen überproportional. Es tat so unendlich weh ihn so zu sehen … Der einzige Trost war, dass es ihm tatsächlich relativ gut ging … Und Yejun fühlte sich wie der größte Hypokrit, während er das dachte. Na, wenigstens hast du noch ein anderes Knie! – Du wirst vielleicht nicht mehr fliegen können, aber wenigstens kannst du noch laufen! Also, zumindest mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit. Und wenn nicht: auch halb so wild, dann bist du eben der coole Onkel im Rollstuhl. – Du hättest ja auch tot sein können!

Ihm war übel.

Ki-ho hätte sterben können.

„… Scheiß Quidditch …“

Die Nasenspitze seines Cousins kräuselte sich und seine Finger zuckten um Yejuns Hand herum. Yejuns Herz setzte aus, ehe es losdonnerte und sofort rutschte er vom Stuhl, um näher beim Bett sein zu können.

„Ki-ho?“

Ein Ächzen war die Antwort – müde dunkle Augen blinzelten ihm entgegen und ließen all die Lebensfreude missen, die sie sonst zum Leuchten brachten – schwach formten Mundwinkel ein Lächeln, das nur eine billige Kopie der Vergangenheit war.

Umsichtig half Yejun seinem Cousin dabei sich aufzusetzen und flößte ihm den Trank ein. Minutenlang herrschte Schweigen zwischen ihnen – Ki-ho schien zu sich finden zu müssen und Yejun war gefangen zwischen innerlicher Panik und äußerlicher Anteilnahme. Er versuchte so sehr für den Älteren da zu sein … und wusste gleichzeitig einfach nicht wie.

Die freundlichen Augen kamen auf ihm zum Liegen und reflexartig zuckte Yejuns gesamter Körper ihnen entgegen; aufmerksam bettelte er nahezu um Worte und Fragen und gleichzeitig hatte er vor nichts mehr Angst als davor, sie beantworten zu müssen.

Dennoch schmunzelte er und zwang sich dazu, die freie Hand zum spröden Haar des Älteren zu bewegen. Ein Zögern – innerlich wie äußerlich – doch dann vollführte er die vertraute Geste, strich Ki-ho durch die Haare und neckte ihn mit Geste, Blick und Lächeln wortlos, und endlich – ENDLICH – erreichte das Lächeln die dunklen Augen und erhellte sie mit einem warmen Funken.

„Gut, dass du wach bist.“

Yejun konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte, doch ansonsten war er ruhig. In dem Moment als er das Lächeln gesehen hatte wusste er, dass er nun die Ruhe bewahren musste – und seltsamerweise war es jetzt ganz leicht.

„Ich kann ja nicht ewig träumen“, flüsterte der ehemalige Quidditchspieler da und am liebsten hätte Yejun laut aufgeheult und sich an seine Brust geworfen, bittere Tränen vergossen und ihm versichert, dass sie Wege finden würden und dass es so nicht enden musste und dass es Möglichkeiten gab und … und …

Stattdessen nahm er die Hand vom Kopf des Älteren und musterte ihn schamlos.

„Die richtige Welt ist auch viel schöner als die Traumwelt.“ Er drückte die Hand, die er nicht losgelassen hatte und konnte spüren wie sein Bauch sich zusammenzog, als Ki-ho den Druck erwiderte. „Außerdem … wer will schon träumen, wenn er erforschen kann? Erinnerst du dich noch, als …“

Ki-hos Augen leuchteten immer wieder auf, je länger Yejun von ihrer gemeinsamen Vergangenheit sprach und von seiner Schwester und davon, dass er eifersüchtig auf die gute Beziehung der Geschwister war – er wand sich innerlich, als Ki-ho ihm versicherte, dass er doch zu ihnen beiden gehöre und teilte gerne mit, dass es seinen Großeltern gut ging – er überreichte Ki-ho die ernsten Worte seines besten Freundes und verschwieg, dass er Kan Yeon-bae weggejagt weggeschickt hatte. Er zeigte ihm ein Foto seines kleinen Neffen, wie er in die Kamera lachte und freute sich an dem Lachen des Älteren und obwohl er mit keiner Silbe erwähnte, dass Ki-ho nun einen neuen Traum finden musste, spürte er, dass Ki-ho das bereits wusste.

Und dieser wundervolle Mann schien das bereits akzeptiert zu haben – oder vielleicht war es vielmehr so, dass ihm eine Last von den Schultern genommen worden war?
 

„Yejun?“ – „Hm?“ – „Bleibst du hier? Über Nacht?“ – „Klar.“
 

Yejun verschwieg, dass er am nächsten Morgen eigentlich hätte arbeiten müssen. Er verschwieg, dass er auch am die letzten drei Tage die Arbeit geschwänzt hatte, um bei ihm zu sein. Die eigenen Ziele und Träume waren plötzlich seltsam nichtig geworden – er spielte sogar mit dem Gedanken, die Auslandsreise abzublasen, um bei Ki-hos Genesung eine Rolle spielen zu können. Und als dieser Gedanke erst einmal aufgekommen war, stolperte er selbst über die Intensität der Gefühle.
 

Immerhin konnten Träume neu gefunden werden. Träume konnten umgeschrieben werden.
 

Leben nicht – Ki-ho war am Leben und wenn jemand die Stärke hatte, aus einem zerbrochenen Traum einen neuen zu formen, dann Park Ki-ho. Und er würde dabei nicht allein sein; Yejun würde jeden Schritt seines Weges mit ihm gemeinsam gehen.

Vielleicht würden sie gemeinsam einen neuen Traum finden.



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