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Seven years from now

von

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Touya Ouza, Shindo Meijin

Hallo, vielen Dank fürs anklicken dieser FF und viel Spaß beim Reinlesen. Sie spielt 7 Jahre nach Ende des Manga und ich hoffe, sie bereitet euch beim Lesen genauso viel Spaß wie mir beim Schreiben :)

Vielen Dank an harakiri fürs betan.

~~~
 

"Change,

Everything you are

And everything you were

Your number has been called

Fights and battles have begun

Revenge will surely come

Your hard times are ahead"

(Muse - Butterflies and Hurricanes)

Als die Tür oben zuknallte wusste Touya, dass Shindo den direkten Weg zu seiner Wohnung genommen hatte. Zugegeben, sie hatten heftiger gestritten als in der ganzen letzten Woche, kein Wunder also, dass Touya auch noch die Fenster klirren hörte, als Shindo über ihm die Türen in seiner Wohnung zuwarf. Wenigstens wusste er, wo Shindo war. Ab und zu - an schlechten Tagen - hatte er vergeblich auf ein Lebenszeichen warten müssen und war mitten in der Nacht aufgebrochen, um Shindo in einer der nahen Bars aufzulesen. In den seltensten Fällen war er ohne ihn zurückgekehrt und hatte ihm die Hölle heißgemacht, wenn er am Vormittag nach Hause kam und etwas von einer Frau erzählte, die ihn mit zu sich genommen hatte wie eine streunende Katze. Oder wie einen Callboy, hatte Touya einmal wütend erwidert.

"Wie kann man sich mit dreiundzwanzig Jahren nur so gehen lassen?", hatte er Shindo schon öfter an den Kopf geworfen. "Und wie kannst du nur so verkrampft sein?!", meinte Shindo darauf oft.

Doch Touya hatte nicht Spaß auf die Art, wie Shindo ihn definierte. Sein Glück definierte sich über Go. Eine wunderbare Partie, eine anregende Diskussion, ein überraschender Zug - all das kitzelte seine Nerven mehr als Alkohol oder ein flacher Witz. Auf diese Go-basierte Art hatte er oft Spaß, meistens zusammen mit Shindo, doch der suchte sich ständig neue Ventile für seinen Stress.

Nicht, dass es Touya störte. Sie spielten genauso häufig gegeneinander wie früher, mittlerweile sogar jeden Abend, an dem sie die Zeit fanden.

Touya war gelegentlich in Shindos Apartment gewesen, bevor die Wohnung darunter zur Miete angeboten wurde. Der Komplex war schön, nahe am Institut, auf mehr legte er kaum Wert, also war er eingezogen.

Es war sogar unkomplizierter als gedacht, im gleichen Gebäude mit Shindo zu wohnen. Manchmal, wenn dieser sich Fast Food mitbrachte, kaufte er genug für sie beide und kam dann zu Touya, damit sie es bei einer Partie genießen konnten. Wenn er sich etwas bestellte, bestellte er es gelegentlich gleich zu Touya. Wenn Shindo Filme auslieh, zwang er Touya, sie mit ihm zu sehen, auch wenn dieser viel lieber Go spielen würde. Ihr Zusammenleben bestand zu einem Großteil aus Drücken und Ziehen von Shindo und Nachgeben seitens Touyas. Doch es funktionierte.

~x~

Die meisten Dinge, die Touya über seinen Rivalen wusste, hatte er durch Go erfahren. Seine Persönlichkeit lag entblättert auf dem Goban und ließ sich bis ins kleinste Detail betrachten - nicht verstehen, davon war er meist weit entfernt.

Was er nicht in den Partien gesehen hatte, das erzählte ihm Shindo bereitwillig. Wie damals, als er mit siebzehn seine erste Freundin gehabt hatte.

Touya hatte in ihren Partien gesehen, wie es auf und ab ging mit in Beziehung bis sie schließlich zerbrach. Das Mädchen hatte gesagt, sie wolle nicht ewig die zweite Geige in Shindos Leben spielen. Er hatte lange getrauert und Touya hatte sein Bestes versucht, ihn abzulenken.

Mit zwanzig traf er eine angehende Go-Spielerin, die Beziehung hielt ein Jahr, bis Shindo Touya vor dem Goban gestand, dass er sie verlassen werde. Touya versuchte, ihn davon abzubringen, doch es war nicht länger gutgegangen. Shindo schien einfach nicht für lange Bindungen geschaffen zu sein.

Doch Shindo war ein gutaussehender junger Mann geworden, Touya wusste das, denn er hatte sogar einen kleinen Fanclub, der zu seinen Spielen auftauchte. Er bestand ausschließlich aus Mädchen und jungen Frauen. Shindo hatte mit der Zeit gelernt, sein Aussehen zu seinem Vorteil zu nutzen.

Touya hatte ihn beim ersten Mal nicht entschlüsseln können, diesen neuen, besonderen Zug in Shindos Go, der zu waghalsigeren und noch genialeren Zügen führte. Er erkannte ihn auch beim zweiten Mal, zwei Wochen später. Beim vierten Mal sprach er Shindo darauf an. Der hatte schelmisch erwidert, ein Gentleman solle genießen und schweigen, doch dieser Kommentar alleine reichte Touya schon.

Eine Weile hatte Shindo seine One-Night-Stands auf zwei-Wochen-Basis abgehalten. Dann wurden sie häufiger und geschahen mittlerweile nur noch von Zeit zu Zeit. Touya fragte sich, ob Shindo erwachsen geworden war, oder er einfach mit niemandem aus seinem Fanclub mehr schlafen konnte ohne sich strafbar zu machen (Touya hoffte inständig, dass Shindo sich über so etwas Gedanken machte).

Touya selbst hatte jegliche Avancen von Frauen – Mädchen versuchten es bei ihm gar nicht erst – abgewiesen. Es waren nicht viele gewesen. Shindo hatte ihm gesagt, er solle bei öffentlichen Empfängen und Events nicht immer so ernst dreinschauen, doch Touya war es egal, ob ihm die Damen schöne Augen machten, er nahm es hin und dachte nicht weiter darüber nach. Nachdem Shindo ihn eine junge Frau hatte abweisen sehen, hatte er versucht, Touya davon zu überzeugen, dass Damenbesuch durchaus etwas zu Begrüßendes sei. Er hatte etwas geredet von Ausgleich und Druck ablassen, doch Touya hatte nicht zugehört.

Er brauchte keinen Ausgleich zu Go, und zum Druck ablassen gab es einfachere Wege, die am Morgen kein Frühstück serviert bekommen wollten und die ihm keine Szene machten, wenn er ihnen beibrachte, dass die Nacht eine einmalige Sache gewesen war. Er hatte das ab und zu bei Shindo gehört und konnte gut darauf verzichten.

Es hämmerte gegen die Tür. Touya blickte sich um und sah Shindos Handy neben dem Goban liegen. Er ging zu Tür und öffnete.

"Du würdest deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre."

Shindo betrat das Apartment, schwungvoll wie immer. "Ich habe keinen Oolong mehr, setz schonmal Wasser auf." Touya ging in die Küche und stellte einen Kessel auf den Herd. Gedankenverloren fragte er sich, warum er Shindos Lieblingstee vorrätig hatte obwohl er ihn selbst nicht trank.

Shindo trat ein, das Handy in der Hand. "Das nächste Mal gewinne ich", sagte er und warf einen Blick in den Kühlschrank.

Touya wiegte den Kopf hin und her und erwiderte: "Möglich."

Shindo schloss den Kühlschrank wieder und sah in den Eisschrank darunter. Er zog ein Eis am Stiel hervor und Touya fragte sich, wer von ihnen es gekauft hatte. Er selbst mochte kein Eis, also hatte es Shindo wohl hier gelagert.

"Spielen wir noch eine Partie?" fragte Touya, als er seinem Gast heißes Wasser aufgoss. Ein Löffel Zucker, etwas Zitrone, fertig. Shindo wickelte vorsichtig die Finger um die Tasse.

"Lass uns einen Film sehen. Die Nachbarn regen sich nur wieder auf, wenn wir nach Mitternacht rumbrüllen."

"Du könntest auch einfach ruhig bleiben", murmelte Touya und folgte Shindo ins Wohnzimmer. Wenn der andere Pro da war, fühlte er sich immer wie ein Gast in seiner eigenen Wohnung.

Shindo ging zu Touyas Regalen. Dort standen Bücher, die meisten davon waren Go-Bücher. Bekannte hatten ihm ab und zu Romane geschenkt, viele standen noch eingeschweißt in ihrer Reihe. Er fand einfach nie die Zeit. Die Bücher standen ganz oben. Darunter waren zwei Reihen CDs. Touya hatte Klassik für sich entdeckt und wenn er und Shindo spielten, legte er ab und zu Beethoven zu ihren Partien auf. Shindo hatte versucht, ihn an moderne Musik heranzuführen, doch er hatte kein großes Interesse gezeigt.

In der untersten Reihe standen schließlich Filme. Shindo schenkte ihm zu allen möglichen Anlässen DVDs: Geburtstag, Neujahr, wenn Touya einen seiner Titel verteidigte, wenn Shindo seinen Titel verteidigte... Drei standen noch immer unangetastet im Regal, Shindo wählte eine von ihnen aus.

"Weißt du, Touya, du könntest sie wenigstens auspacken. So unhöflich bist du doch sonst nicht."

"Du weißt, dass ich sie mir nicht ansehe, wenn du mich nicht zwingst", erwiderte er achselzuckend. Shindo grinste schief und Touya wusste, dass es dieses Gesicht war, das Frauenherzen im Sturm eroberte. Bei Touya war es wirkungslos.

Shindo schob die DVD in den Player – auch ein Geschenk von ihm, damit er seinen eigenen nicht immer mitbringen musste. Touya ging derweil in die Küche und holte sich ein Glas Wasser. Shindo machte es sich auf der Couch schon gemütlich.

"Pass auf –"

"–wegen dem Leder, jaja! Warum kaufst du dir überhaupt ein Sofa, wenn man dann nicht darauf sitzen darf?"

"Shindo, das, was du da machst, kann man nicht mehr als sitzen bezeichnen." Der andere verdrehte die Augen und winkte Touya zu sich.

Touya wusste, dass Shindo tatsächlich darüber nachdachte, was für Filme er ihm schenken konnte. Für seine eigene Sammlung war er weit weniger wählerisch: meist kaufte er irgendwelche Horror- und Actionstreifen ohne Handlung und mit viel visuellen Effekten. Touya hatte mal bemängelt, wie anspruchslos die Filmauswahl war, seitdem hatte Shindo ihm zu einer eigenen Sammlung verholfen.

Shindo hatte bei diesem Film keine schlechte Wahl getroffen: es war eine Dokumentation über Go in Skandinavien. Meist konnte er mit Filmen, in denen es um Go ging, nicht falsch liegen.

"Wann hast du mir den geschenkt?" fragte Touya. Shindo warf ihm einen Blick zu, der sagte: Nicht einmal das weißt du noch? Touya hob die Schultern und erwiderte: "Sei froh, dass ich ihn überhaupt sehe."

"Das war im Oktober, als du den Tengen zum zweiten Mal verteidigt hast... Touya Tengen." Er sagte es abfällig, allein diesen Fakt fand Touya bizarr.

"Du weißt, dass mir Ouza besser gefällt, Shindo Meijin..." Dieser zog eine Grimasse und wandte sich wieder dem TV zu.

~x~

Shindo verbrachte die Nacht auf der Couch. Er war noch während der Dokumentation eingeschlafen und Touya hatte ihn danach nicht geweckt, sondern ihm die bereitliegende Decke umgelegt und einen anderen Film angemacht. Er wusste, dass Shindo ungern in einem stillen Zimmer schlief und oft den Fernseher in der Nacht laufen ließ – eine Unart, die Touya nicht im Geringsten verstand, aber tolerierte.

Am Morgen rief Touya im Institut an und erkundigte sich nach dem Terminplan des anderen. Erst am Mittag würde er eine Partie erklären müssen, bis dahin war er ausgeschlafen. Also ließ Touya ihn liegen und legte ihm bevor er ging einen Zettel mit einer Erinnerung an seinen ersten Termin in die Küche. Er wusste, dass es Shindo nervte, wenn er das tat, aber er war sich fast sicher, dass der andere Pro ansonsten die Hälfte seiner Termine vergessen würde.

Touya traf eine junge Reporterin von Weekly Go vor dem Institut, bereit, sich auf jeden beliebigen Pro zu stürzen, der ihr begegnete. Es war sein typisches Glück, dass ausgerechnet er das war.

"Touya Ouza, was für eine Ehre, Sie zu treffen!" Sie verbeugte sich tief vor ihm und er nickte ihr zu. "Bitte lassen Sie mich Ihnen ein paar Fragen stellen!"

Er seufzte, lehnte aber aus Höflichkeit nicht ab. Dabei hatte er eigentlich ein Meeting wegen des kommenden Hokuto-Cups, in dem er Japans Manager sein würde.

"Sie haben Zeit, bis der Fahrstuhl oben angekommen ist", gestand er der Frau zu und sie eilte neben ihm her und warf ihm Fragenbrocken zu. Wie Japans Aussichten im nächsten Hokuto-Cup waren, an welchen internationalen Turnieren er demnächst teilnehmen würde, ob er schon liiert sei (er wunderte sich, woher diese Frage wohl kam), und als sie gerade die Fragen, die Shindo betrafen, erreichte, erklang das feine Läuten und die Fahrstuhltüren glitten im fünften Stock auf. Touya verabschiedete sich bestimmt und ging in sein ihm zugewiesenes Büro, in dem sich die Sponsoren und Organisatoren des Events trafen.

"Entschuldigen Sie die Verspätung, Shindo Meijin hat mich aufgehalten." Er betrat den Raum, in dem bereits alle außer ihm versammelt waren.

Er nahm Shindo fast reflexartig als Ausrede. Ihre Rivalität war längst berüchtigt in der Go-Welt, viele Magazine hatten sogar Specials darüber gebracht, keins ihrer Interviews verlief ohne Fragen über den anderen. Sein Einzug in Shindos Apartment-Komplex hatte ebenfalls weit mehr Aufsehen erregt, als ihm lieb war. Es war weithin bekannt, dass man sie die Hälfte der Zeit beieinander antraf.

Er wusste, dass auch Shindo seine – viel häufiger vorkommenden – Verspätungen auf Touya schob, selbst wenn sie eigentlich seinem Verschlafen, einer Frau oder dem schrecklichen tokyoter Verkehr zu verdanken waren. Warum also nicht dem anderen etwas von seiner eigenen Medizin geben?

Die Männer, fünf an der Zahl, waren gerade dabei, die Teilnehmerlisten für die Vorauswahl zusammenzustellen. Touya setzte sich dazu und hörte nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Hier konnte er nicht viel beisteuern: in die Auswahl kamen die wenigen jungen Pros, die Tokyo zu bieten hatte – seine Generation war längst herausgewachsen – und sechs Plätze wurden für Jungpros der anderen Institute freigehalten.

Eine Ziehung würde die Matchreihenfolge festlegen, alles gängige Praxis und keine große Überraschung für Touya. Während die anderen Organisatoren sich weiter absprachen stand er auf und goss sich etwas Tee vom Sideboard ein.

Er hasste diese Treffen. Nicht wegen der Leute oder des winzigen Büros, das angeblich seines war. Auch nicht wegen der Zeit, die sie ihm stahlen – oft viele Stunden bis in den Abend. Er hasste die Meetings, weil es überhaupt nicht mehr um Go ging. Es ging um Geld, um Budgets, um Marketing. Die Teilnahme einiger junger Pros basierte nicht auf deren Können, sondern auf ihrer Medienwirksamkeit, in jedem Jahr lief ein süßes Mädchen einem unscheinbaren den Rang ab, obwohl es meist schlechter spielte. Sie vermarkteten ihre Spieler wie Sportstars und Touya fand es abstoßend.

Als er mit Shindo im ersten Hokuto-Cup angetreten war, da war es nur um Go gegangen. Doch nach drei Jahren hatte schon reges Interesse bestanden und die Sponsoren hatten eine lukrative Chance gewittert.

Touya ließ seine Gedanken wandern und überlegte, welches Turnier als nächstes auf dem Plan stand. Ein unauffälliger Blick in seinen Terminkalender ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen.

'GOSEI' stand da, groß, fett und rot. Es sagte ihm, dass er im Rahmen des Turniers auf Shindo treffen würde.

Wann immer Shindo seinen Taschenkalender in die Hände bekam – Gott, er wusste, wo er suchen musste, also sehr häufig – markierte er ihre offiziellen Partien gerne und auffällig. Touya wunderte es etwas, dass er diese Termine so zuverlässig im Kopf hatte. Sie trafen mittlerweile öfter aufeinander, kaum jemand von den alten Pros konnte ihnen noch die Stirn bieten. Doch der Gosei-Titel war im Moment in Ogatas Händen, und dieser würde ihn nicht ohne weiteres aufgeben.

"Was denken Sie dazu, Ouza?"

Wie ertappt klappte er seinen Kalender zu und sah auf. "Verzeihung?" Er hasste es, Schwächen zu offenbaren. Vor allem vor Leuten, die ihn für seine Meinung und seinen Namen bezahlten.

"Es ging um die Autos, die wir in Korea mieten wollen. Eher ein Bus oder zwei Limousinen?"

Touya betrachtete den Sponsor und überlegte, ob er scherzte. "Das Hotel ist gegenüber des Veranstaltungsortes", sagte er, halb entsetzt. Die Sponsoren nickten ernst und er seufzte. "Ein Bus reicht vollkommen aus."

Schon im Vorjahr hatte er sich breitschlagen lassen, Manager des japanischen Teams zu sein. Auch Shindo war der Posten zugetragen worden, doch der hatte dankend abgelehnt und auf Touya verwiesen. Nach China war er trotzdem mitgekommen, um alte Bekannte zu treffen, er genoss also alle Vorteile des Cups, während Touya sich kaputt schuftete, bis er auf dem Zahnfleisch kroch.

Dieses Jahr hatte Touya wieder angenommen. Nicht wegen des Geldes – davon hatte er mit seinen zwei Titeln mehr als er brauchte – er fürchtete einfach, dass, wer auch immer die Stelle sonst bekäme, ein schlechtes Licht auf Japan werfen würde. Kurata war bei ihrem ersten Wettkampf auch nicht gerade ein Juwel gewesen, so eine Peinlichkeit wollte Touya ihnen gerne ersparen.

Am frühen Nachmittag legten sie eine Pause von einer Stunde ein, Touya lehnte die Einladung zum Essen ab und holte sich nur eine weitere Tasse Tee, bevor er nach unten ging. Heute spielte ein junger Pro gegen Morishita, Shindo kommentierte also damit eine Partie seines ehemaligen Lehrers.

Mit der Tasse in der Hand betrat er den großen Showroom und stellte sich an die Rückwand des Raumes. Shindo stand vor einer riesigen Magnetwand und stellte Schritt für Schritt die Partie nach, erklärte die Züge und fügte gelegentlich hinzu, was er anders getan hätte. Die Zuschauer bestanden großteils aus älteren Herren, einer kleinen Gruppe junger Pros, die vermutlich zur Unterstützung ihres spielenden Freundes gekommen waren, und zwei kleinen Kindern. Shindo sah auf und erkannte Touya. Er winkte unauffällig und Touya nickte ihm zu. Shindo erklärte gut, die Zuschauer hingen gebannt an seinen Lippen. Touya lehnte an der Wand und sah ihm zu, ohne allerdings zuzuhören. Er selbst bekam selten solche Aufträge, Shindo dafür häufiger. Er hatte wohl einfach das nötige Charisma.

Die Spieler machten eine Pause und Shindo stoppte ebenfalls. Er holte sich einen Kaffee und stellte sich dann zu Touya. Die jungen Pros beäugten sie respektvoll von weitem.

"Touya Tengen", grüßte er grinsend. "Ich hoffe, du konntest noch etwas lernen."

"Meijin", erwiderte Touya den Gruß und schüttelte müde den Kopf. Er würde sich hier nicht mit Shindo streiten. Das taten sie schon oft genug, dachte er leicht genervt.

"Du musst mich übrigens nicht mehr an meine Termine erinnern", beschwerte Shindo sich. Touya dachte kurz nach, bis ihm der Zettel vom Morgen einfiel. "Und du hättest mich auch wecken können."

Touya warf ihm einen genervten Blick zu. "Als ich das das letzte Mal getan habe, hatte ich eine Woche Rückenschmerzen. Beim vorletzten Mal hatte ich ein blaues Auge und du hast im ganzen Institut erzählt, ich hätte mich in einer Bar geprügelt."

Shindo grinste. "Ah, das war eine unterhaltsame Woche." Touya funkelte ihn wütend an. Er hatte damals viele Kunden beschwichtigen müssen.

"Wann gehst du heute?" fragte Shindo, um abzulenken.

Touya seufzte. "Nicht vor acht, so wie es aussieht" Er verdrehte die Augen, nachdem er sichergestellt hatte, dass keiner der Sponsoren im Raum war.

"Dann bringe ich Burger mit." Touya sah ihn pikiert an, doch er ignorierte es geflissentlich. Sie stritten oft, weil Touya lieber traditionell aß und Shindo jegliches überfettige Essen vorzog. Touya wüsste gern, in welches schwarze Loch in Shindos Körper das ganze Essen, das dieser zu sich nahm, gesogen wurde, denn er schien einfach nie zuzunehmen. Vielleicht rutschte es alles in Shindos Beine, ein Grund, warum er immer so weite Hosen trug, deren Sinn Touya nie ganz verstanden hatte. Shindo hatte versucht, ihm irgendetwas über ultimative Coolness von zu großen Klamotten zu erklären, doch Touya hielt das für Ammenmärchen.

"Schon gehört, wer Koreas Manager ist?" fragte Touya. Shindo schüttelte den Kopf. "Ko Yongha", sagte er und deutete ein Lächeln an, als Shindo überrascht aufsah.

"Dieser alte... Dabei hatten wir uns geschworen, den Platz als Marionette anderen zu überlassen." Touya sah ihn wieder böse an. Er stieß sich von der Wand ab und holte sich selbst auch einen Kaffee. An Tagen solcher Meetings schien er unheimlich viel zu trinken.

"Vermutlich hofft er, dass er nicht rausgeworfen wird, wenn er eine offizielle Position innehat."

Shindo grinste als Antwort. Yongha hatte Chinas Vertreter im letzten Jahr auf seine provokative Art herausgefordert und im darauffolgenden Handgemenge ein paar Büschel seiner Haarpracht verloren. Provokation lag ihm wirklich, auch wenn er damit nur die Kontrahenten anstacheln wollte.

Shindo und Touya waren bei jedem Hokuto-Cup mitgereist. Sie waren Teilnehmer gewesen, bis sie zu alt waren, und hatten danach kleinere Aufgaben übernommen um dabei sein zu können. Touya hatte seine Sprachkenntnisse ausgeweitet, während Shindo weiterhin kaum ein Wort koreanisch und mandarin sprach. Genauso war es Tradition, dass sie beide gegen die früheren Hokuto-Teilnehmer ihres ersten Jahres spielten, wenn sich die Zeit bot. Besonders Yongha und Shindo hatten sich ihre ungesunde Rivalität bewahrt.

Nach zehn Minuten nahmen die Pros ihre Partie wieder auf und Shindo ging zurück an die Tafel. Touya sah ihm zu und trank in Ruhe seinen Kaffee. Die Jugendlichen drehten sich noch immer gelegentlich zu ihm um und er nickte höflich, den Gedanken im Hinterkopf, dass er vielleicht bald einen von ihnen betreuen musste. Er lauschte Shindos Ausführungen halbherzig und folgte den Handbewegungen mit den Augen, bis es für ihn Zeit war, wieder nach oben zu gehen. Er winkte Shindo und warf seinen Becher weg.

Sie besprachen die letzten Details, die es vor Beginn der Auswahlen zu klären gab. Da das eigentliche Turnier nicht in Japan stattfand, wurde die Werbetrommel nicht allzu sehr gerührt. Es würde eine Übertragung im Fernsehen geben und im Nachhinein ein Buch mit Fotos und Kifu. Sogar der Fotograf war schon gebucht.

Es war um sieben, als Touyas Meeting vorbei war und er das Parkhaus betrat. Er schnipste einen Flyer von seiner Windschutzscheibe und stieg in seinen dunklen Sportwagen. Er war das einzige, was er sich geleistet hatte. Shindo hatte einen ähnlichen in rot und ihn zu dieser Ausgabe – "Investition" – überredet, nachdem er das Auto viele Monate bewundernd umkreist hatte.

Er mochte die tiefen, weichen Sitze und den Geruch von Flieder, den der Anhänger an seinem Rückspiegel verströmte. Er schaltete in Drive und fuhr los.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Khyre
2014-03-04T14:19:51+00:00 04.03.2014 15:19
Wow, die Charas klingen überzeugend und das Kapitel ist sehr unterhaltsam geschrieben.
Ich freue mich schon auf die weiteren :)



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