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Nachtigall

von

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Nachtigall

Abermals hatte das Licht des Tages den ewigen Kampf gegen die allzu mächtige Dunkelheit verloren. In ständiger Zwietracht war ihr Schlachtfeld inmitten der Wolken nun zerfetzt, die noch immer einen Schimmer jener roten Farbe trugen, welche von vergossenem Blut kündete.

Vereinzelt zogen jetzt die verbliebenen Kadaver über das samtene Zelt des Himmels, welches ein Zuhause für die Vielzahl an Sternen und die hoheitsvolle Sichel des Mondes barg, die dem Kampf in stillem Einklang beigewohnt hatten.

In blaues Zwielicht getaucht, lag das Anwesen der Phantomhives inmitten von saftig grüner Landschaft; prächtig und eindrucksvoll in seinem Gewand aus sandfarbenen Steinen, war es ein ständiges Mahnmal gegenüber all jenen, die glaubten, dass mit dem Tod Vincent Phantomhives, die Blutlinie der Familie ihr Ende gefunden hatte.

Doch klopfte der Unglaube an die breite, eichene Eingangstür, wurde er eines Besseren belehrt, wenn ihm ein schwarzgewandeter Butler öffnete, höflich nach dem Anliegen fragte und darauf Antwort gab, dass der Herr des Hauses, Ciel Phantomhive, gegenwärtig nicht zu sprechen wäre.

Nachts waren Besucher nicht willkommen.
 

Nacht.

Stunden der Heimlichkeit und verborgener Gelüste. Das Königreich, in welchem Schatten herrschten und Licht in eisernen Ketten lag.

Doch fielen die Fesseln wieder, wenn die Stunde der Dämmerung anbrach und der Schöpfer des Lebens, das Sonnenrad, erschien.
 

„Aber noch ist es Nacht.“

Die Mundwinkel des Butlers Sebastian Michaelis verzogen sich zu einem leichten Grinsen.

Die Nacht war ihm die liebste Zeit des Tages. Bot sie doch so viele Möglichkeiten an Verruchtem, das während der Sonnenstunden undenkbar war.

Katzengleich kroch dann die Leidenschaft hervor, die unter den damastenen Decken nur darauf lauerte, das ein unachtsames Auge den Weg der Tugend verließ und Platz machte für die Spiele des Teufels.
 

Ein Pfeifen aus dem eisernen Teekessel zerriss den Schleier aus Gedanken und rückte die Wirklichkeit brutal in den Fokus.

Mit einer eleganten Bewegung hob Sebastian den Kessel von der eisernen Platte und goss das erhitzte Wasser in eine kleinere Kanne aus feinem blau-weißem Porzellan, die das Wappen der Familie Phantomhive zierte (wie es auch auf sämtlichen Services, Vorhängen und Tagesdecken prangte, die zum Haushaltsrat gehörten).

Leise summend wandte der Butler sich an einen Schrank zu seiner Linken und öffnete die Tür, hinter der das gesamte Sortiment an Teesorten, penibel von Hand geordnet, aufbewahrt war.

An diesem späten Herbstabend wäre wohl eine Sorte geeignet, die von innen heraus wärmte – wusste er doch genau, dass sein Herr schnell fror.

Eine Kombination aus Roibusch, Nelken, Ingwer, Sternanis und Zimt musste es also sein.

Zielsicher griff die behandschuhte Hand vor und zog eine kleine bemalte Dose hervor, die die gewünschte Mischung enthielt.

In ein Tüllensieb gegeben und vorne in der Tülle der Kanne befestigt; ein Kännchen Milch und Sahne, sowie Zucker und eine Tasse samt Untertasse und einem feingliedrigen Löffel und alles elegant auf einem runden Tablett arrangiert.

Zufrieden hob Sebastian das Tablett auf und wandte sich zum gehen, als sein Blick den Strauß roter Rosen gewahrte, die erst am Nachmittag von Finny gepflückt worden waren. Sie sollten am kommenden Tag als Tischdekoration dienen, wenn Ciel Besuch von seiner Verlobten Elizabeth Middleford erwartete.

Aber eine Rose war wohl entbehrlich. Die prächtigste von allen, heimlicher König des unendlich weiten Feldes, auf dem die blutroten Juwelen in jungfräulicher Unberührtheit wuchsen.

Lächelnd löste Sebastian die zarte Blüte aus dem Schoß des Straußes. Ein betörender Duft ging von den seidenen Blättern aus und umschmeichelte sanft seine Nase, die so viele Nuancen mehr wahrnahm, als das schnöde menschliche Sinnesorgan.

Wie zart und zerbrechlich dieses Machwerk aus natürlicher Kunst doch war … Zerbrechlich wie Glas und genauso schnell splitternd, wie das knöcherne Gerüst, das die sterbliche Hülle stützte. Und wie vergänglich ihre Kronblätter fielen, so endlich war auch das Leben jener Wesen, deren Lebensgeschichten spannender als jeder Roman waren.

Ein Blütenblatt löste sich aus dem verletzlichen Kopf und fiel zu Boden. Rasch hob er es auf; ließ es über seine Wange streichen. Eine hauchzarte Berührung, die auch er von Zeit zu Zeit genoss.

Wie weich und samten, die Beschaffenheit der Oberfläche doch war; erinnerte sie ihn doch an die Nachgiebigkeit junger Haut, welche sich nackt und bloß an feinen Satin schmiegte.

Wie wunderbar zweideutig.

Wie wunderbar verheißungsvoll.
 

Die letzten Überbleibsel des Tages hatten ihr vergebliches Schauspiel aufgegeben. Der Vorhang der Nacht war endgültig gefallen und präsentierte sich in seinem herrlichsten Festtagsgewand, behängt mit kostbarem Geschmeide, das aus den Tiefen des Universums stammte und dem kein noch so strahlender Diamant der Erde gerecht werden konnte.

Die Vorstellung konnte beginnen!

Vollkommen unbehelligt schritt Sebastian Michaelis gemächlichen Fußes den langen Korridor entlang, an dessen Wegesende ihn das Nest des prächtigsten Vogels erwartete, der nur darauf wartete, seine Flügel mit seiner Hilfe zu spreizen und Höhen zu erreichen, die anderen verwehrt blieben.

Wie prickelnd die Vorfreude das Geflecht der Adern seines Körpers durchströmte und jede Nervenfaser in Freudentaumel versetzte, bis fast allein ihre Schwingungen ihn voran trugen; immer schneller und schneller, um endlich Erlösung zu erlangen von der lieblichen Qual der Erregung, die sich wie ein Brandmal in sein Fleisch gefressen hatte.
 

Sanft, beinahe liebkosend, berührten die Fingerknöchel die harte Eiche, hinter der sich das Arbeitszimmer des jungen Earls befand.

„Junger Herr, Euer abendlicher Schlaftee.“

Das Tablett auf drei Fingern seiner rechten Hand balancierend, drückte der Butler die Messingklinke hinunter und betrat den angenehm temperierten, edlen Raum, in dessen Mitte der mächtige, von Hand verzierte Schreibtisch sofort alle Blicke auf sich zog.

Nicht jedoch die Sebastian Michaelis‘, der nur Augen für das hinreißende Geschöpf seiner Begierde hatte, das an eben jenem Schreibtisch tief gebeugt über einem Stapel Papieren saß und nun soeben aufblickte, da es seinen Diener wahrgenommen hatte.

„Ah, Sebastian. Sehr gut. Und wie immer pünktlich.“ Süffisant lächelnd legte Ciel den Füller zur Seite, mit dem er gerade ein wichtiges Dokument unterzeichnet hatte.

„Ihr hattet doch nichts anderes erwartet, oder?“ Sebastians Mundwinkel zuckten amüsiert, als er das Tablett auf dem Schreibtisch abstellte, etwas Tee in eine Tasse goss und sie seinem Master zuschob.

„Nein.“ Ciel seufzte, griff nach dem Kännchen Milch und goss etwas in die dampfende Tiefe inmitten des Porzellans.

Bevor er jedoch nach der Zuckerzunge greifen konnte, hielt er inne; stutzte und zog eine Augenbraue hoch.

„Eine Rose?“ Die schlanken Finger griffen nach dem filigranen Gebilde, hoben es auf Augenhöhe und betrachteten es eingehend.

Sebastian verfolgte jede Bewegung mit glühendem Blick.

„Sie passt zu Euch. Schlicht und dennoch überirdisch. Ein junger Gott, dessen Schönheit jedes Wesen betört und es trunken macht vor sehnsüchtiger Liebe. Wusstet Ihr, dass eine Legende besagt, dass die Nachtigall, in berauschender Liebe zu der einst weißen Rose entbrannt, die Blüte allzu stürmisch umarmte und sich an den Stacheln stach? Ihr Blut färbte die Blütenblätter rot.

Auch Ihr habt meine unbeschriebene Seite mit Eurem Blut gefüllt; lasst mich erstrahlen im Kleid einer ausgefüllten Existenz ...“

Ganz nah hatte der schwarzhaarige Mann sich herab gebeugt, bis sein Mund fast das Ohr des Earls berührte.

Heiß strich Atem über die Ohrmuschel; kroch in die Gehörgänge des jungen Mannes und ließen ihn erschaudern.

Raschelnd fiel die Rose aus bebenden Fingern auf die polierte Platte des Schreibtischs.

„Lass diesen Unsinn“, sagte Ciel dann jedoch mürrisch und befreite sich mit einem unwirschen Schulterzucken aus den unsichtbaren Klauen des Dämons, der sie heimlich und lautlos über seinen wehrlosen Geist gebreitet hatte.

Lachend wich der Butler zurück und richtete sich auf. „Nun denn, junger Herr. Lasst uns sehen, was morgen ansteht …“

Ohne auf eine Entgegnung seines Masters zu warten, griff Sebastian in die Innentasche seines Jacketts und zog ein schwarzes Büchlein, einen Terminkalender, hervor.

„Unterricht findet am heiligen Sonntag nicht statt, deshalb erwartet Euch Mrs. Hopkins bereits um halb Neun zur Anprobe zweier Gewänder, die sie für den abendlichen Empfang Eurer Verlobten vorbereitet hat. Das müsste einige Zeit in Anspruch nehmen.

Zum Lunch wollte ich ein Lammkarree in Olivenkruste mit Erdäpfeln und Fenchel servieren.

Am Nachmittag dann reiche ich einen Gyokuro-Tee (ein Geschenk von Mr. Lau, bevor er zu weiteren Geschäften in China aufbrach) zusammen mit glasierten Petit Fours.

Um sechs schließlich trifft Lady Middleford ein, sowie weitere hundert erlesene Gäste aus verschiedenen Geschäftsbereichen.“

Sebastian klappte das Büchlein zu und ließ es wieder in seine Innentasche gleiten.

Geduldig wartete er darauf, dass sein Herr eine Reaktion zeigte – jedoch starrte der junge Mann bloß abwesend und nervös seine Hände knetend vor sich hin.

Fragend runzelte Sebastian die Stirn. „Mein Herr, habt Ihr zugehört?“

Als würde er aus tiefster, traumumwölkter Trance erwachen, zuckte Ciel zusammen und blickte verwirrt auf. „Bitte? Ähm, ja. Ja. Der Empfang. Mrs. Hopkins. Ja, ja.“

„Mein Herr, was bedrückt Euch?“ Sebastian wusste, dass Ciel ihm diese Frage nicht übel nehmen würde. Ihr Verhältnis dauerte schon lange genug an, so dass solch eine Frage nicht zu gewagt schien.

„Ach, es ist nur …“ Unruhig sprang Ciel von seinem ledernen Sessel auf und begann angespannt im Zimmer auf und ab zu gehen.

Sebastian ließ ihn gewähren und wartete geduldig ab.

Endlich blieb Ciel, mit dem Rücken zu ihm gewandt, stehen.

„Es sind bloß noch drei Monate“, sagte er leise.

Ein kurzer Moment der Stille schnitt mit eiskalter Klinge durch die Luft, die plötzlich gar zu erdrückend schien.

„Ja, das ist wahr“, erwiderte Sebastian sanft.

Unwillkürlich fühlte er, wie seine Füße ein paar Schritte auf den jungen Mann zutaten; es schien wie dunkle Magie, die seine Sinne beherrschte und ihn unweigerlich immer wieder zu diesem Geschöpf, diesem funkelnsten Stern am Nachthimmel, hinzog. Selbst er, als Dämon und durchaus vertraut mit den teuflischen Spielen der Verlockung, konnte sich nicht der Anziehungskraft verwehren, die von dieser schmalen Silhouette ausging, die, angestrahlt und umrahmt vom silbernen Licht des fernen Himmelgestirns, vor ihm stand.

Ein kurzes Zögern – und dann legte er seine Hände auf Ciels Schultern, die sich unter der vertrauten Berührung augenblicklich entspannten.

Zärtlich zogen Sebastians Daumen kleine Kreise, bevor sie wieder zur Ruhe kamen und verharrten.

Ciels Kehle entwich ein Seufzen, in dem alle Qual und Traurigkeit über dem kommenden Ereignis zu liegen schienen.

Mit festem Druck umschloss seine linke Hand Sebastians rechte; drückte so fest zu, das ein feiner Schmerz mit spitzen Zähnen nach den Knöchel biss.

Aber welch bittersüßer, offen empfangener Schmerz.

So bittersüß…

„Ich … ich hatte immer gedacht, dass dieser Tag noch so fern ist. Eine Begebenheit, die gewiss kommen wird, aber die mir noch so viel Zeit lässt.

Doch jetzt, da Elizabeth ebenfalls achtzehn ist … Ich –“ Ciel brach ab. Er traute seiner Stimme nicht mehr, die mit jedem weiteren Wort, das von seinen zitternden Lippen perlte, immer brüchiger geworden war.

„Mein Herr … Ciel.“ Bestimmt drehte Sebastian den Earl zu sich herum.

Die Pupillen inmitten des tiefen Rots weiteten sich für einige Sekunden, als sie das von tiefer Trauer gezeichnete Antlitz des jungen Mannes gewährten, der sichtlich um Fassung rang.

Sebastian schluckte. Wieso musste ihn ausgerechnet in einem Moment wie diesem ein Anflug von menschlichen, irritierenden Gefühlen überkommen?

„Ciel, bitte, erlaubt mir, offen zu sprechen.“

Das Nicken seitens des Earls war kaum mehr als ein müdes Rucken mit dem Kinn.

„Vom ersten Tag an, als unser Kontrakt zu wachsen begann wie der Sprössling einer jungen Pflanze, habe ich niemals Eure Seite verlassen. Ich bin Euch gefolgt wie ein stummer Schatten und habe stets Acht darauf gegeben, dass kein noch so scharfer Dorn der Finsternis das Innere Eures Herzens erreichen kann.

Sehntet Ihr Euch nach Wärme, so breitete ich meinen Mantel über Euch; suchtet Ihr Schutz vor schleichenden Schatten, die ihre langen Fingern direkt aus Eurer Vergangenheit ausstreckten, so war ich das Schwert, dass die Dunkelheit mit fester Hand niederstreckte.

Und auch jetzt, nun, da Ihr dabei seid, einen Schritt zu tun, der Eure Seele womöglich in den Grundfesten erschüttert, weil es sich falsch anfühlt – auch dann werde ich immer zur Stelle zu sein. Um Euch aufzufangen und vor dem Abgrund zu bewahren.

Dafür seid Ihr zu kostbar – für mich.“

Diese letzten zwei Worte … So schlicht und doch von unmessbarer Bedeutung. Ein Liebesgeständnis umhüllt von glutrotem Satin und umschlungen von den seidigen Federn einer Krähe.
 

Das letzte Eis des Winterabends schmolz im ersten, wärmenden Licht des Frühlingsmorgens, als ein strahlendes Lächeln die Kälte aus Ciels Gesicht vertrieb und es stattdessen wieder mit Wärme und Leben füllte.

„Danke. Ich danke dir“, hauchte Ciel.

Schmale Arme schlangen sich um muskulöse, breite Schultern und zogen den viel größeren Körper an den schmächtigeren, kleineren heran.

Und war es auch nur eine Umarmung, so war sie doch erfüllt von so unendlich viel Liebe wie die jener Nachtigall, die trotz aller Schmerzen nicht ablassen konnte, ihre Liebe an die Rose zu verschenken, die auf ewig Mittelpunkt ihres Daseins sein würde.

Herr und Diener. Ein untrennbares Band.
 

Tja, schon zu Ende.

Nicht, dass ihr euch wundert: Ich habe absichtlich nicht explizit erwähnt, welches Ereignis sich zwischen Ciel und Lizzy in baldiger Zeit ereignen wird. Erraten habt ihr es wahrscheinlich trotzdem, oder? xD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Pentragon
2010-09-03T20:21:06+00:00 03.09.2010 22:21
Ich verstehe garnicht, warum diese FF noch keine Kommentare hat!
Also wirklich, dein Schreibstil ist außerordentlich interessant! Ich liebe es, wie du die Metapher einsetzt. All die Vergleiche, die du ziehst ... die Poesie in deinen Sätzen ist einfach wunderbar.
Normalerweise bin ich kein Poesiefan, aber bei dir liest es sich sehr flüssig und angenehm. Es hindert nicht, sonder hilft, sich das Bild dieser Geschichte besser auszumalen.
Wirklich sehr angenehm.
Und das Ereigniss zwischen Ciel und Elizabeth hast du in wenigen prägnanten Sätzen gut genug hervortreten lassen, sodass man schnell weiß, worum es geht.
Die Geschichte mit der Rose und dem Vogel ist ebenfalls sehr schön. Hast du dir die alleine ausgedacht? Gefällt mir jedenfalls sehr gut - auf jeden FAll eines der schönsten Vergleiche in deiner FF


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