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You said you'll never leave me

Peter's Requiem
von

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One-Shot

Das rote, blinkende Licht des Telefons erschien in dem dunklen Raum fast gespenstisch. Ein grelles Piepen ertönte und Angelas Stimme folgte.

„Peter“, sie konnte nicht verbergen, dass sie geweint hatte, „Das Krankenhaus hat wieder angerufen. Sie erreichen dich auch nicht. Du musst dich wenigstens dort melden. Sie wissen, was passiert ist, aber das kann nicht ewig so weitergehen. Noch zwei Tage und du verlierst deinen Beruf.“

Kurz trat Stille ein, nur der aggressive Novemberwind ließ den Rollladen im anderen Zimmer unaufhörlich gegen das Fenster scheppern. Dann sprach die Frau erneut, stiller als zuvor.

„Mach nichts Dummes. Ich liebe dich.“

Das Piepen war erneut zu hören.

Ohne Reaktion starrte Peter auf das Tischbein vor sich. Er saß seit dem Abend auf dem Boden, sein Rücken an der hölzernen Küchentheke.

Er war nicht regungslos. Seine Hände, vergraben in seinem Schoß, zitterten, nur leicht, aber unaufhörlich. Dunkelrote Striemen hatten sich an dieser Stelle seiner Jeans gebildet und trotz dessen, dass ihm das zarte Schaben am Stoff schmerzte, rührte er sich nicht. Er konnte nicht. Wusste ohnehin nicht, wohin, wenn er aufstehen würde.

Die restlichen Splitter des zerbrochenen Glases lagen um ihn verstreut wie drei Stunden zuvor, als es ihm herunter fiel und er nicht mehr die Kraft fand, alles in Ordnung zu bringen, nachdem er sich beide Hände aufgeschnitten hatte. Er hatte durcheinander auf die Wunden gestarrt und bemerkte erst, dass er weinte, als eine salzige Träne ein Brennen in einem der Schnitte verursachte.
 

Diese Hände.
 

Sie konnten den Menschen, den er am meisten in dieser ganzen verdammten Welt liebte, nicht retten.

Er spürte noch immer die warme Haut, das Gelenk, welches er in panischer Verzweiflung umklammert hielt, welches ihm erbarmungslos entglitt.
 

Er hatte wochenlang geweint. Nicht mehr geschlafen. Stundenlang in die Dunkelheit gestarrt, nicht fähig, die ganze Situation zu erfassen. Er war gefangen in seiner eigenen grausamen Realität.

Oft ging er mitten in der Nacht nach draußen, lief durch den Regen so schnell seine Füße ihn tragen konnten, auf der Suche nach seinem zweiten Gesicht, welches ihm bestialisch aus dem Leben gerissen wurde. Nach seinem fehlenden Teil, ohne dass er nicht mehr funktionieren konnte.
 

Er wusste, dass er nichts finden würde, während sich der kalte Regen mit seinen Tränen vermischte, als er zum schwarzen Himmel aufsah.
 

Er hatte all die wichtigen Orte seiner Kindheit aufgesucht, an denen sie gemeinsam waren. Manchmal hatte er das Gefühl, sein Bruder wäre noch dort mit ihm. Würde ihn beobachten, auf ihn aufpassen, ihm liebevoll über die Wange streicheln, so wie die ganzen 27 Jahre seines Lebens.

Er hatte kein Leben ohne Nathan. Noch nie. Und nun, da er ihn verlassen hatte, war es, als hätte er alles mit sich gerissen. Die schönen Erinnerungen. Die schlechten Erinnerungen. Trost, Nähe, Angst, Vertrauen, Ärger, Wut, Versöhnung. Liebe.

Peters Leben war vor seinen Augen zerbrochen und er konnte mit diesen verfluchten Händen kein einziges Teil mehr zusammensetzen.
 

Nathan war tot.
 

Alles, was sie geteilt hatten, verschwand. Absolut nichts war wie zuvor. Die ganze Welt hatte sich für Peter so absurd verschoben, dass er es nicht glauben konnte.

Er hatte nächtelang geschrieen. Hatte sich so fest in seine eigene Haut gekrallt, dass dunkles Blut über die helle Oberfläche rann. Er presste sein Gesicht Abend für Abend zitternd in Nathans blau kariertes Hemd, welches noch immer seinen Duft an sich hatte, und rief nach ihm, so oft, bis ihm der Name in den Ohren wehtat.

Nathan. Nathan.
 

Wenn er in den Spiegel sah, erkannte er nicht mehr den jungen Mann, den er sonst immer gesehen hatte. Er tastete über seine Gesichtszüge und stellte fest, dass nichts mehr von dem übrig war, was Nathan jedes mal als wunderschön bezeichnet hatte.

Ausdruckslose Augen starrten zurück, die denen seines geliebten Bruders so ähnlich gewesen waren. Ihr Licht war verschwunden. Sie sahen glasig und blutunterlaufen aus.
 

Nun saß er stumm in seinem Apartment und hatte keine Kraft mehr zu Kämpfen. Für was sollte er kämpfen? Seine Ideale waren bis zur Unkenntlichkeit verblasst.

Peter fühlte sich taub. Er wollte nicht mehr weinen, denn er konnte es nicht mehr aushalten.

Seine blutige rechte Hand griff nach seinem Handy und er blickte eine Weile auf das leuchtende Display. Nathan hielt ihm eine Hand entgegen, versuchte, nicht fotografiert zu werden und lachte, denn es war ihm fürchterlich misslungen.

Mit unruhigen Fingern gab er eine Kurzwahl ein und drückte auf den grünen Hörer. Das Rufsignal war für über eine Minute zu hören, ehe der Anruf abbrach und der Ton in schnellerer Abfolge erklang.

Achtmal rief er erneut an, ehe er sich müde erhob und seine Schuhe anzog. Aus seiner Jacke nahm er ein abgenutztes Foto von sich und seinem Bruder und küsste es behutsam, ehe er es in seine Hosentasche steckte.

Ruhig stieg er die Treppen hinauf und öffnete schließlich die Tür zum Dach.

Der Wind war eisig und schneidend, doch es regnete nicht wie all die Tage zuvor.

Kleine Kiesel brachen unter seinen Schritten, als er auf die leicht erhöhte Kante vor ihm zu lief. Er hatte keine Angst, obwohl er das oft erwartet hatte.
 

Den Blick auf den klaren Himmel gerichtet stand er knapp vor dem Abgrund und suchte in den Sternen nach seinen lang verlorenen Gefühlen. Nach seinem Bruder. Wie jede Nacht.

Vorsichtig öffnete er seine zerbissenen Lippen, die immer noch nach Salz schmeckten.

„Du hast mir versprochen, dass wir immer zusammen sein werden, weißt du das noch?“ Trotz des entsetzlichen Schmerzes, der plötzlich seinen abgemagerten Körper ergriff, klang seine Stimme mild. „Jetzt finde ich dich nicht mehr. Ich vermisse dich so.“

Nach kurzem Schweigen schluckte er hart. Die Ruhe und Taubheit in ihm schwand.

Ein Wimmern unterdrückend schloss er die Augen für einen Moment.

Seine Hand fuhr in seine Hosentasche und er nahm das Foto heraus.

„Ich will nicht, dass du dein Versprechen brechen musst.“

Eine einsame Träne bahnte sich ihren Weg über die weiße Haut des jungen Mannes, als er seine Augen wieder öffnete.

„Lass uns für immer zusammen sein.“

Peter schaute in die dunkle Leere vor sich und es fühlte sich vertraut an.
 

Früher hatte er oft Träume gehabt, von einem Haus zu stürzen. Er wollte fliegen. Kurz vor dem Aufschlag sah er Nathans Gesicht. Warme Züge, sein typisches, liebevolles Lächeln.

Er war immer für ihn da gewesen.

Peter atmete tief ein, sein Brustkorb hob sich erwartungsvoll.

„Ich liebe dich, Nathan.“

Langsam trat er über den Vorsprung, umklammerte ihr Foto für immer.

Ein Rausch von Adrenalin erfasste ihn, während die Schwerkraft ihn nach unten zog und die Nacht ihn verschlang.
 

Nathan war nicht für ihn da, als sein zierlicher Körper auf dem eiskalten Asphalt zerschmetterte.



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