SOMETIMES I GET YOU, SOMETIMES I DON’T UNDERSTAND.
Er wusste es. Er hatte es schon von Anfang an gewusst.
Nicht, dass es eine grosse Kunst war, das zu merken. Schliesslich war es klar, dass jedes, aber auch absolut jedes Mädchen irgendwann Scorpius Malfoy verfiel. Das war nicht weiter verwunderlich, schliesslich hatte besagter Slytherin so einiges im Repertoire: Er konnte den wunderbaren Frauenversteher mimen. Natürlich fielen da alle drauf rein. Welches Mädchen konnte denn schon widerstehen, wenn es glaubte, verstanden zu werden?
Spontan wäre Lysander Scamander natürlich Rose Weasley eingefallen. Sie war klug, hübsch und nicht so leicht über den Tisch zu ziehen. Nun ja, das hatte er zumindest bis zu dem Tag geglaubt, an dem ihm aufgefallen war, dass sie sich anders verhielt. Es waren keine grossartigen Veränderungen – während der Mahlzeiten ein paar Blicke zum Slytherintisch, Herumtrödeln nach gemeinsamen Stunden und unerwartetes Erscheinen auf sämtlichen Partys.
Ein plötzliches Aufleuchten erhellte die Bibliothek und riss den dunkelhaarigen Jungen aus seinen Gedanken. Das Donnergrollen, welches kurz darauf folgte, zog eine unheilvolle Stimmung mit sich. Lysander blickte kurz zum Fenster, nur um festzustellen, dass der Regen in den letzten fünf Minuten stärker geworden war.
Mistwetter.
Er richtete den Blick – und somit auch seine Aufmerksamkeit – wieder dahin, wo er vorher schon geruht hatte: Auf Rose Weasley. Sie sass an einem Tisch ganz in seiner Nähe und liess sich von dem Unwetter, das draussen brauste und tobte, nicht weiter stören. Nun ja, das hätte vielleicht ein Aussenstehender gesagt; Lysander aber konnte sehen, dass sie sich nicht wohl fühlte. Öfter als gewöhnlich legte sie ihre Feder ab und fuhr sich mit ihrer rechten Hand durch die hellen, langen Haare, ehe sie in einer unruhigen Bewegung ihre Feder wieder nahm, um erneut ein Wort – oder manchmal sogar einen ganzen Satz – durchzustreichen.
Rose bemerkte seine Blicke natürlich nicht. Warum sollte sie auch? Lysander hegte die starke Vermutung, dass sie gerade mal seinen Namen kannte – wenn überhaupt. Oder vielleicht den seines Zwillingsbruders. In ihren Augen war er nur ein Slytherin. Nicht mehr und nicht weniger.
Wer diese Blicke auch nicht bemerkte, war Scorpius Malfoy. Nicht nur ein Slytherin, sondern der Slytherin. Er merkte nicht mal jetzt, dass Lysander ihn im Blickfeld hatte, als er die Bibliothek betrat.
Rose wurde sofort noch unruhiger, wenn nicht sogar nervös. Wenn die Situation nicht so unerfreulich gewesen wäre, wäre auf Lysanders Gesicht fast ein Schmunzeln sichtbar geworden.
Der blonde Slytherin ging zielstrebig auf Rose zu. Anstatt sich vis-à-vis von ihr niederzulassen, blieb er neben ihr stehen und bedachte sie mit einem Grinsen, das Lysander ganz und gar nicht geheuer war. Auch Rose schien zu vermuten, dass da gleich etwas passieren würde, denn sie verengte ihre Augen minimal.
Nicht, dass es Scorpius aufgefallen wäre.
Er beugte sich zu ihr runter und flüsterte ihr sicherlich ein paar ganz zauberhafte Worte ins Ohr, ehe er sich wieder zu voller Grösse aufrichtete und sich zufrieden durch die Haare strich.
Was für ein Arschloch.
Rose schien sich ungemein geschmeichelt zu fühlen, denn ein verräterischer Rotschimmer breitete sich auf ihren Wangen aus, ehe sie hastig ihre Sachen zusammenklaubte und unachtsam in ihre Schultasche stopfte. Dass wieder ein Donnern die Schlossmauern erschütterte, schien sie gar nicht mehr zu interessieren. Sie war ja jetzt in Sicherheit.
Genau. In Sicherheit.
Vorsichtshalber verliess Scorpius schon mal die Bibliothek – nicht, dass es jemandem auffallen könnte, dass die beiden etwas miteinander am Laufen hatten. Dass Rose allerdings wie ein blindes Huhn diesem blonden Schönling nachrannte, hätte eigentlich schon jemandem auffallen müssen. Jemandem ausser Lysander, versteht sich.
Der Dunkelhaarige seufzte ergeben, als Rose die Bibliothek endlich verlassen hatte. Wie lange er sich das noch antun konnte, wusste er nicht. Er schätzte mal, dass es vielleicht noch zwei Wochen dauern würde, bis er sich endgültig dem Wahnsinn hingeben würde.
Blöder Malfoy.